Minas-Tirith, Weiße Festung (Gondor)
Octavia im Palast der Weißen Festung…
Während sie in den großen Thronsaal gebracht wurde und auf den Thron mit langsamen Schritten zu ging, fühlte sie nur eine unfassbare Leere. Dann wurde ihr bewusst, dass sie endlich dort stand, wo sie lange hin wollte. Sie stand vor der Königin, die sie ermorden wollte. Sie war wirklich äußerst hübsch und ihre Violetten Augen fixierten die Siegerin des Turniers neugierig. Es musste sich nur die richtige Gelegenheit ergeben um sie zu töten und all der Schrecken war vorbei. Zum Glück bemerkte keiner, dass sie sich die Spitze einer abgebrochenen Lanze aus der Arena in ihren Stiefel geschoben hatte.
"Ihr befindet euch in Anwesenheit von Kiana Vaneryen, erste ihres Namens, Hohe Königin von Mittelerde, Beschützerin des Reiches, und Befreierin der Menschheit...", sagte Loki, der sich auch im Saal befand, trocken.
Noch immer verspürte sie die Erschöpfung und die Schmerzen des Kampfes. Ihre Bemalung im Gesicht war verwischt und noch kaum erkennbar.
"Ihr habt tapfer gekämpft…", erhob die Königin ihre Stimme, "...Und da Ihr eine Frau seid, macht es mich umso glücklicher!".
Octavia schwieg zunächst. Was sollte sie auch dazu sagen. Gut fühlte sie sich nicht dadurch, dass die Königin angeblich stolz auf sie war.
"Ich könnte mehr schlagkräftige Frauen gebrauchen… Bis jetzt habe ich nur eine Kommandantin, die für Frieden und Ruhe hier in Gondor sorgt!", fuhr Kiana nachdenklich fort. "Ich persönlich spreche das allgemeine Ostron, Ihr aber, scheint einen Dialekt zu sprechen… Wo habt Ihr ihn erlernt?".
Die junge Rebellin hatte kein interesse daran, mit der Frau zu sprechen ,die sie über alles auf der Welt verabscheute. Aber sie musste warten. Sie konnte ja nicht vor allen Wachen und vor allem vor Loki an ihren Hals springen und sie töten.
"Ein Mann den ich über alles liebte brachte es mir bei..", erwiderte sie mit kratziger Stimme.
"Den Ihr über alles liebtet?", bohrte die Königin nach und betonte die das letzte Wort. "Männer können grausam sein, wenn es um die Liebe geht… Ich verstehe das!".
Octavia atmete tief ein. "Er wurde ermordet…".
"Das tut mir leid…", entgegnete Kiana nur. "Wollt ihr deshalb Gerechtigkeit? Gerechtigkeit für den Tod eures Liebhabers?".
Die Rebellin sah zu Loki. Als ihre Blicke sich kurz kreuzten, senkte Loki wieder seinen Kopf zum Boden. Dann schaute sie zu Kiana. "Verzeiht mir… Eure Hoheit…", presste sie quälend hervor, "...Vielleicht versteht Ihr, dass ich nicht… Vor gewissen Personen darüber sprechen möchte!". Es fiel ihr nicht leicht, die höfliche Sprechform beizubehalten.
Sie hoffte, dass Kiana Vaneryen die Ausrede schluckte und sich darauf einließ. Sie nickte daraufhin Loki zu, der noch zum Sprechen ansetzte, dann aber stoppte. Dann befahl sie auf Ostron ihren Wachen den Saal zu verlassen, was diese auch sofort taten. Die Türen fielen in das schwere Schloss und das war das Zeichen, dass sie sich nun nur noch zu zweit im Saal befanden.
"Hat ein Mann aus meiner Armee etwas damit zu tun?", fragte Kiana direkt mit einem Unterton, als würde sie auf etwas anspielen wollen.
Octavia kam den Stufen, die sich unterhalb des Thrones befanden, näher und leckte sich über die trockenen Lippen. "Ich will gerechtigkeit für all die Menschen, die während der Eroberung von Minas-Tirith ermordet worden sind, Gerechtigkeit für alle, die unter Eurer Herrschaft leiden müssen… Ich will Freiheit!".
Die Rebellin konnte das unerwartete Schlucken der Königin fast schon hören. Wahrscheinlich rechnete sie nicht mit dieser Antwort.
"Das ist auch was ich will…", erwiderte sie vorsichtig und leicht zittriger Stimme.
"Warum entsendest…
du] … dann noch immer Soldaten in den Norden und sitzt auf dem Thron?", fauchte Octavia und vergaß dabei jegliche Höflichkeitsformen.
"Die Rebellen töten die Soldaten… Das sind alles Männer die selbst Familien haben… Männer die das Reich und auch Euch beschützen!", redete sich die Königin heraus.
"Ich bin auch eine der Rebellen!", sagte Octavia, "Und deine Soldaten beschützen keinen von uns… Eher im Gegenteil!".
"Es muss einen Grund haben warum Ihr als Rebellin hier seid. Sonst wärt Ihr niemals von so weit hergekommen, außer um absurde Forderungen zu stellen…", dabei wirkte die Königin äußerst überzeugt. "Ich nehme an, Ihr seid hier um das Knie vor der rechtmäßigen Königin zu beugen?".
Sie muss ja sehr von sich überzeugt sein, dachte Octavia, als sie die Worte hörte. Sie machte der Königin schwere Vorwürfe und Kiana hatte nichts besseres zu tun als zu glauben, sie würde sich trotzdem Kiana unterwerfen.
"Nein...", hauchte Octavia kopfschüttelnd. "Das macht keinen Sinn…".
"Ihr seid noch jung, Ihr versteht noch nicht viel von den Dingen in der Welt… Im Krieg müssen Menschen sterben und die in Minas-Tirith wählten ihr Schicksal selbst! Sie haben freiwillig einen Tyrannen gedient!", entgegnete Kiana und spielte das Geschehene damit herab. Die junge Rebellin sah all die Bilder wieder vor sich. Die brennenden Straßen und schreienden Menschen, die durch die Stadt um ihr Leben rannten. "Ihr seid eine gute Kämpferin und deshalb frage ich Euch noch einmal: Beugt das Knie vor mir und schließt Euch der wahren Königin an. Jeder Rebell, der seinen Fehler eingesteht, garantiere ich eine Begnadigung. Lehnt ab und… Stirbt!".
Octavia dachte sie hört nicht richtig, weshalb sie den kurzen Lacher nicht unterdrücken konnte. War die Königin wirklich so überheblich und sich keiner Schuld bewusst? Sie konnte kaum glauben, dass jemand eine solche verzerrte Wahrnehmung haben konnte.Und diese Frau regierte das ganze Reich!
"Mit jemanden der Eure Fähigkeiten besitzt können wir für Frieden im ganzen Reich sorgen! Zusammen können wir dieses Reich von denen Befreien, die es zerstören wollen!", sagte die Königin weiter.
"Wir waren vorher hier,
vor dir... Schon bevor du Königin wurdest..", entgegnete Octavia ruhig, dennoch entschlossen. "Es gibt keine andere Wahl für uns!".
"Aber das ändert doch nichts daran, dass ich die rechtmäßige Königin bin und dass ich diese Welt zu einem besseren Ort mache! Ihr Armes Ding seht das nur noch nicht!", sagte Kiana Vaneryen mit einem mütterlichen Unterton. Dabei stand sie von ihrem Thron auf und stieg die Stufen hinunter zu Octavia.
"Du hast all diese Menschen in Minas-Tirith sterben lassen, riskierst es, dass weitere sterben!", schimpfte Octavia.
"Es war notwendig… Anders hätten sie es nicht bemerkt, von Tyrannen kontrolliert zu werden!", erklärte und verteidigte Kiana weiter ihre Taten.
"Da liegst du falsch!", sagte sie, "Thirak hatte recht... Du bist verrückt!".
Octavia bemerkte, dass diese Worte Kiana gekränkt haben mussten. Sie zog ihr Gesicht zusammen, als würde sie einen Schmerz verspüren. Ihre sonst so kühlen Violetten Augen wirkten auf einmal glasig und verletzbar.
"Ach, er lebt noch? Ich dachte er sei inzwischen tot?", entgegnete die Königin herablassend. "Was auch immer er gesagt haben mag… Es ist unbedeutend… Er ist nur ein Schwindler und ein Verräter…".
"Für mich bist du die größte Schwindlerin und Verräterin des Reiches!", fauchte Octavia, "Du heuchelst allen eine bessere Welt vor… Eine Welt die du bestimmst und niemand anders! Alle anderen sind zum Tode verurteilt!".
"Weil ich weiß was richtig für alle ist… Oh, mein armes verwirrtes Mädchen…Was haben die Wilden im Norden nur mit dir gemacht...", sagte die Königin fast schon besorgt. Sie stand direkt vor Octavia, und nahm plötzlich das Gesicht der Rebellin in ihre Hände. "Ich bin die rechtmäßige und
einzige Königin von Mittelerde, ich muss wissen, was gut für mein Volk ist. Dafür wurde ich geboren!".
"Es muss einfach unmöglich sein, das Gleiche Blut mit dir zu teilen…", rutschte es Octavia plötzlich abwertend heraus. Sie wollte nicht mit jemandem Verrücktes Verwandt sein. Kiana ließ daraufhin ihre Gesicht los und sah sie erschrocken an."Was meint Ihr damit?".
Erst seufzte sie im Ärger über sich selbst. Ansprechen wollte sie das nicht, mit Kiana verwandt zu sein.
Egal...Ich töte sie ja sowieso…, dachte sie sich.
"Wir beide teilen das selbe Blut… Wir haben den gleichen Vater! Und legitimiert das mich jetzt für alle Menschen zu bestimmen? Was richtig und falsch ist?", wollte Octavia wissen, hoffte dass sie lieber auf ihre Frage einging, obwohl sie keine vernünftige erwartete.
Kiana ging zwei Schritte rückwärts und sah sie misstrauisch an. "Das kann nicht sein…", flüsterte sie und musterte Octavia vom Kopf bis zu den Füßen.
"Ich hoffte auch ,dass das nicht wahr ist… Mit der Frau das gleiche Blut zu teilen, die ich mir jeden Tag tot wünsche, war nicht mein größter Traum!", scherzte die junge Rebellin sarkastisch. "Als Thurion...Dein Vater… Unser Vater… Von meiner Geburt erfuhr, wollte er den Krieg beenden…".
"Das kann nicht sein!", wiederholte Kiana sofort und sicher, "Er tat es weil er von mir erfuhr und liebte nie wieder eine Frau nach meiner Mutter Anarya!".
"Es war ein irrtum… Von dir wusste er noch nicht einmal… Er und meine Mutter liebten sich…", erzählte Octavia weiter. Kiana sah sie nur ungläubig an und schüttelte den Kopf. "Das kann nicht sein…", entgegnete sie zum dritten mal, diesmal langsam.
"Eldarion erzählte es mir und meine Mutter starb für dieses Geheimnis in den Flammen deines Ungeheuers… Und wenn du ehrlich bist spürst du es doch selbst dass es stimmt… Ich tue es auch.
Leider...", entgegnete Octavia niedergeschlagen. Als sie die Königin beobachtete, schien sie genauso zu fühlen. Zumindest wirkte es so. Plötzlich hatte sie ein sanftes und breites Lächeln auf den Lippen. "Wenn das so ist, haben wir doch keinen Grund uns zu hassen! Dann sollten wir zusammen bleiben, gemeinsam die Welt zu einem besseren Ort machen, mit mir als Königin und du als meine Nachfolgerin, falls mir etwas zustoßen sollte!".
Octavia schüttelte den Kopf. war Kiana Vaneryen wirklich so naiv? Langsam empfand sie das nur noch als lächerlich.
"Ich kann verstehen, dass du verwirrt bist, mein armes kleines Mädchen… Meine Schwester! Auch ich fühlte mich einsam und irrte alleine durch die Welt! Das mächtige Blut, welches wir in unseren Adern tragen, ist eine schwere Bürde!", versuchte Kiana sie weiter zu überzeugen. "Alleine wird es in dir nur die Gier nach Blut antreiben und deine Seele Stück für Stück zerstören!".
Die junge Rebellin verstand nicht worauf sie hinaus wollte. Die einzige, die eine zerstörte Seele besaß und sich von der Gier zerfressen lassen hatte war Kiana selbst! Sie war diejenige, die besessen von ihrem Anspruch und ihrer Macht war.
"Wir sollten als Familie zusammenhalten und nur du kannst die fehlgeleiteten Seelen im Norden zu ihrer Erleuchtung führen, indem sie sich unserem Blut unterwerfen! Das Blut ihres Schicksals liegt in deinen Händen!", redete Kiana weiter auf sie ein. "Reich mir deine Hand, gemeinsam wird diese Welt in Flammen aufgehen und alle Zweifel, jede Angst wird in den Flammen untergehen!". Dabei hielt sie Octavia an den Armen fest und schüttelte sie, als wollte sie, dass die Rebellin endlich aus ihrem Schlaf erwachte.
Hat sie nun vollständig den Verstand verloren? Was um alles in der Welt redet sie da?, fragte sie sich entsetzt. Octavia zog nur ihre augenbrauen absprechend hoch. Niemals wollte sie mit der Königin gemeinsame Sache machen. Auch nicht, wenn sie ihre Halbschwester war. In gewisser Weise machte ihr die plötzliche manische Art der Königin Angst.
Inzwischen streichelte Kiana Octavias Wange liebevoll entlang und sah sie fürsorglich an an. Für einen kurzen Moment glaubte sie, in den Violetten Augen der Königin ein Fünkchen Liebe zu finden.
Allerdings ließ sie sich weder von den Versuchen der jungen Königin sie zu überzeugen, noch von der Tatsache, dass sie Halbschwestern waren, davon abhalten ihren eigentlichen Plan umzusetzen: Kiana Vaneryen musste sterben!
Tief aus dem Bauch heraus seufzend nahm sie die Hände Kianas in ihre und nickte ihr mit einem schiefen Mund zu. Die Miene der Königin blieb sanft und sie schien schon siegessicher zu sein.
"Du hast mich gefragt, warum ich den weiten Weg hierher gemacht habe…", fing Octavia an, "Meine wahre Familie ist im Norden… Mein Bruder Kael, Phelan, Indro und sogar Thirak… Ich will sie beschützen und du bist die größte Bedrohung für sie alle!".
Mit den Worten wurde ihr Griff um die Handfesseln Kianas fester. "Du musst sterben, damit die Tyrannei aufhört!".
Sie drückte die etwas kleinere Frau hinunter auf die Stufen und versuchte mit der anderen Hand das Stück der Lanze aus ihrem Stiefel zu bekommen. Dies erwies sich als schwieriger als gedacht, da die junge Königin sich vehement gegen den Angriff wehrte. Kiana Vaneryen rief nach ihren Wachen und die Rebellin wurde hastig und versuchte den Mund ihrer Halbschwester zu zu halten. Sie konnte ihre improvisierte Waffe einfach nicht erreichen.
Verdammt!, ärgerte sie sich. Plötzlich spürte sie nur eine Druckwelle, die sie ein Stück nach hinten, weg von der Königin, schob. Sie konnte sich nicht erklären, was das war. Die silberhaarige Frau hielt ihre Hände in Octavias richtung, was sie vermuten ließ, dass sie etwas damit zu tun hatte. Schnell nahm sie die Spitze der Lanze aus ihrem Stiefel. Noch einmal setzte sie zum Angriff an und sprang auf Kiana zu, die rückwärts zu Boden über die Stufen stürzte. Dabei fiel die schwarze Krone der Königin herunter und setzte auf jede Stufe lautstark auf.
Octavias Herz schlug schnell. Sie wusste, dass sie die Kiana nicht mehr töten konnte. Allmählich breitete sich doch die Angst in ihr aus, ihr Leben zu verlieren und die anderen nie wieder zu sehen.
"Das nächste mal wenn ich dich sehe, töte ich dich!", beschwor Octavia mit Tränen in den Augen, bevor sie flüchtete. Im gleichen Moment öffneten sich die Türen zum Saal und etliche Wachen stürmten den großen Raum.
Octavia rannte so schnell sie konnte durch den Palast und hoffte auf keine Wachen zu treffen. Eine Zeitlang hatte sie das Gefühl im Kreis zu laufen, bis sie aber ein Fenster erblickte. Als sie hindurch sah, bemerkte sie, dass der Boden nicht weit weg war. Rasch sprang sie herunter und befand sich auf der obersten Ebene der weißen Festung.
"Komm schnell, hier entlang!", hörte sie eine männliche Stimme hinter sich. Es war Loki, der sie zu sich winkte. Eigentlich wollte sie ihm nicht vertrauen, doch was blieb ihr anderes übrig. Sie folgte ihm zu einer Seitentreppe, die von der obersten Ebene hinunter führte. Er zog ihr seinen Mantel über und hielt die Kapuze über ihren Kopf. Sie merkte nur, dass er sie fest an sich drückte und mit schnellen Schritten lief. Wenn es ihr möglich war einen Blick zu erhaschen, sah sie, dass er sie weit am Rand der Festung führte. Viele Glocken schlugen alarm und sie hörte viele Schritte und viel geklimper der Rüstungen der Soldaten, an denen sie vorbeikamen.
Endlich unten angekommen, huschten sie durch das Tor der Weißen Festung bis zu der äußerste östlichen Mauer der Stadt. Dort warf er ein Seil über die Mauer. "Los, schnell klettere hinunter! Unten wartet ein Pferd auf dich, rasch!".
Obwohl sie ihn noch verabschieden wollte, kletterte sie ohne Worte das Seil hinunter. Das erste mal seit langem hatte sie wieder Angst um ihr eigenes Leben und hoffte nur zu entkommen...
Octavia flieht aus Minas-Tirith in unbekannte Richtung...