Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Eregion
Ost-in-Edhil
Fine:
Kerry hatte den Beginn von Faelivrins Ansprache damit verbracht, über Adrienne und Aéd nachzudenken. Ihre Sorge um ihre Freundin war etwas geringer geworden, da es ihr immerhin gelungen war, Adrienne dazu zu bringen, eine Rüstung in den kommenden Kämpfen zu tragen. Dennoch blieb eine große Ungewissheit. Adrienne schien noch immer nicht sonderlich an ihrem eigenen Leben zu hängen. Außerdem war sie offensichtlich verärgert, dass Mathan eine neue Schülerin an seiner Seite hatte. Kerry fragte sich, was es mit der fremden Frau wohl auf sich haben mochte. Ihr waren weder Name noch Gesicht der Kriegerin bekannt, die neben Mathan stand. Kerry beschloss, bei einer passenden Gelegenheit die Bekanntschaft der Fremden zu machen.
Ihr Blick war immer wieder an Aéd hängengeblieben. Wie stark und königlich er an der Seite der Elbenherrscherin wirkte! Kerry hatte zunächst befürchtet, dass Faelivrins Glanz ein schlechtes Licht auf den Wolfskönig werfen und ihn im Vergleich ärmlich und primitiv wirken lassen würde, doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Faelivrins Worte erhoben Aéd zu einem mächtigen, nahezu ebenbürtigen Verbündeten, der die Sicherheit seines eigenen Reiches riskierte, um den Elben Eregions im Kampf beizustehen. Standhaft und kriegerisch sah der Wolfskönig aus, wie er mit seiner Wolfskrone auf dem Haupt und mit Schwert und Axt bewaffnet neben der Königin der Manarîn stand und ihr durch seine Anwesenheit seine Unterstützung versicherte. Kerry hatte viele der jungen Krieger in Aéds Wolfsrudel kennengelernt und wusste, welche Leistungen die Dunländer im Kampf zeigen konnten. Sie würden in den kommenden Schlachten eine unschätzbare Verstärkung für Ost-in-Edhils Verteidiger darstellen.
Kerry stellte fest, dass das nachdenkliche Antlitz Helluins, das ihre Gedanken oft begleitet hatte, in jenen Momenten dort im Thronsaal weit in den Hintergrund gerückt war. Mit einem Mal stellte sie ihre Entscheidung in Frage, getrennten Weges von Aéd zu gehen. Zweifel nagten an ihr und wieder einmal stritten Gefühle in ihr miteinander, die sich nicht so leicht vereinbaren ließen. Ein Teil von Kerry war es mittlerweile Leid, sich ständig mit derlei Fragen herumzuschlagen. Ein anderer Teil machte sogar Adrienne Vorwürfe, weil sie die Verwirrung in Kerrys Herzen noch um ein Vielfaches verstärkt hatte. Sollte sie versuchen, Aéd in einem ruhigen Moment nach dem Ende von Faelivrins Ansprache beiseite zu ziehen und offen mit ihm über ihre Gefühle zu sprechen?
Nein, nein, das kannst du nicht machen. Er hat doch Wichtigeres zu tun, sagte sie zu sich selbst.
Sie wäre ohnehin nicht weit gekommen, falls sie ihren Gedanken wirklich in die Tat hatte umsetzen wollen. Aéd wurde gleich nach dem Ende der Rede der Königin zum Kriegsrat gerufen, dem auch Mathan als oberster Kommandant angehörte. Als Kerry, noch immer stark von ihrem inneren Konflikt beeinträchtigt versuchte, sich in Richtung des Hauptausgangs des Thronsaals zu bewegen, lief sie mitten in eine schwarze, weiche Wand.
Stoff? fragte sie sich noch, ehe eine starke Hand sie an der Schulter packte - sanft, aber mit Nachdruck - und davon abhielt, einen ganz und gar Prinzessinnen-unwürdigen Spagat auf dem glatten Saalboden hinzulegen. In ihrer Gedankenverlorenheit hatte sie vergessen, dass sie nun auf Faelivrins Anordnung hin auf Schritt und Tritt von Tárdur, dem Palastwächter und seinen beiden Gefährten begleitet wurde.
"Nicht so hastig, hírilya," ertönte Tárdurs Stimme, aus der Kerry das amüsierte, aber respektvolle Schmunzeln heraushören konnte, auch wenn sein Mund hinter dem schwarzen Stoff verborgen blieb, aus dem auch sein breiter Mantel bestand - in dem Kerry sich verfangen hatte. Wie so oft schoss ihr die Schamesröte in die Wangen. Sie fragte sich, ob wohl viele Augen ihr Missgeschick mitbekommen hatten und war erleichtert festzustellen, dass so gut wie alle Elben in der Halle sich längst ebenfalls in Bewegung gesetzt und dadurch einen so großen Trubel ausgelöst hatten, dass Kerrys Fehltritt wohl nur von den Wenigsten bemerkt worden sein konnte.
Ich frage mich, was diese ganzen hohen Herrschaften - abgesehen von nésas Familie - wohl von mir halten, dachte sie und war mit einem Mal ganz froh, einen kompetenten Beschützer zu haben. Tárdur verlieh ihr eine gewisse Legitimität als Prinzessin der Manarîn - wenn auch nur durch Adoption. Und ihre Begleiter konnten sie vor den meisten Blicken schützen, wenn sie es wünschte. Kerrys Stolz erwachte, wenn auch nur in einem Teil von ihr. Schon verlachte sie sich selbst, als sie merkte, was geschah. Vergiss nicht, wer du bist, sagte sie sich selbst. Eine lächerliche Gestalt inmitten all dieser prunkvollen Elbendamen und mächtigen Krieger. Sie legte eine gedankliche Pause ein, dann gestattete sie sich ein knappes Lächeln. Aber immerhin wichtig genug, um drei Leibwächter verpasst zu bekommen.
"Wir sollten reden," sagte Kerry, nachdem sie sich gesammelt hatte. Der Thronsaal war mittlerweile leerer geworden; nur hier und da strebten noch einige Nachzügler auf die Ausgänge zu.
Ihre drei Begleiter blieben stehen. Sie flankierten Kerry rechts und links, während der dritte Palastwächter einen Schritt hinter ihr ging. Bewaffnet waren sie mit langen Speeren mit breiten Klingen, die sie zweihändig führten. Weitere Waffen hingen an ihren Gürteln - jeweils zwei kurze Schwerter - und über der Schulter war ein Bogen gehängt, dessen Sehne abgenommen und zusammengerollt worden war.
Die Elben blieben stumm, als Kerry ihren Satz beendet hatte. Also sprach sie weiter. "Tárdur, deinen Namen kenne ich bereits. Doch wer sind die beiden anderen? Ich möchte wissen, mit wem ich nahezu jeden Moment meines Lebens in den kommenden Tagen teilen werde."
"Wie Ihr wünscht, hírilya Morilië," sagte Tárdur.
"Kennt ihr ein ruhiges Plätzchen, wo wir vier uns setzen und miteinander unterhalten können?" fragte Kerry in die Runde. "Vielleicht gibt es einen Ort, der so sicher ist, dass ihr nicht ständig auf der Hut bleiben müsst. Dann könnt ihr die Helme abnehmen und mir eure Gesichter zeigen."
"Wenn dies Euer Befehl ist, werden wir uns Euch nicht verweigern," antwortete Tárdur. "Einen vollständig sicheren Ort werden wir nicht finden, und unser Eid und unsere Ehre verbietet es uns, in unserer Wachsamkeit nachzulassen. Wir haben geschworen, Euch mit unserem Leben zu verteidigen." Als er weitersprach, hörte Kerry wieder dieses typische Schmunzeln aus seiner Stimme. "Und im Vertrauen, hírilya,, ich bin nicht gerade dafür bekannt, mein Wort zu brechen."
"Dasselbe gilt für mich," fügte der zweite Gardist hinzu. Der dritte Elb nickte bestätigend.
Kerry sah sie der Reihe nach an. "Na gut. Aber gibt es vielleicht irgendwo einen Ort, wo wir zumindest halbwegs in Ruhe reden können?"
"Wie wäre es mit Euren Gemächern hier im Palast?" schlug Tárdur vor.
"Ich.. habe hier eigene Gemächer?" fragte Kerry. "Ich wohne doch bei Farelyë, in ihrem Haus."
"Dennoch wurden Euch hier eigene Unterkünfte vorbereitet - für den Fall," meinte Tárdur. "Die königliche Residenz ist der sicherste Ort in der ganzen Stadt. Sollte die Behausung der Herrin Farelyë in Gefahr geraten, habt Ihr hier einen Rückzugsort."
Kerry nickte verstehen. "So ist das also. Da sieht man es mal wieder; Faelivrin denkt wirklich an alles." Sie blickte in die Runde. "Also gut, wer von euch kennt den Weg dorthin?"
Sie brauchten nicht weit zu gehen. In den oberen Stockwerken, die sie über eine gewundene Treppe erreichten, waren viele Gemächer eingerichtet worden nachdem die Bauarbeiten am Palast fertiggestellt worden waren. Kerrys persönliches Gemach lag an der linken Flanke des Gebäudekomplexes und besaß einen kleinen Erker mit runden Fenstern. Türkise Vorhänge filterten das Sonnenlicht, das hereinfiel. Kerry war froh, drei Stühle neben dem Bett zu entdecken, das für sie vorbereitet worden war. Sie bat ihre Leibwächter, Platz zu nehmen, doch sie stieß dabei auf Widerwillen.
"Ich möchte euch dreien keine Befehle geben," sagte sie notgedrungen. "Das passt nicht zu mir. Aber mir wäre es wirklich lieber, wenn ihr mich nicht so auf ein Podest stellen würdet... ich habe wirklich nichts dagegen, wenn ihr sitzt. Ich werde mich aufs Bett niederlassen und ihr stellt die Stühle daneben, in Ordnung?"
"Wie unschwer festzustellen ist, hat die junge Dame noch viel über ihre hohe Stellung zu lernen," scherzte Tárdur, dann tauschte er sich im Flüsterton mit seinen Kameraden aus. Den Quenya-Dialekt, den sie dabei benutzten, konnte Kerry kaum verstehen, doch sie war erfreut festzustellen, dass zwei der Elben schließlich Platz nahmen. Tárdur hingegen blieb stehen. "Ich werde vor der Türe Wacht halten, bis Ihr Eure Neugierde im Bezug auf diese beiden befriedigt habt. Danach werden sie meinen Platz auf dem Flur einnehmen und ich werde mich Euren Fragen stellen, hírilya."
Kerry erkannte, dass sie nicht mehr erreichen würde als das. Also nickte sie und bat dann die beiden Gardisten, ihre Helme abzunehmen und sich ihr vorzustellen.
"Ramatar," sagte der erste.
"Ristallë", sprach die zweite Gardistin, deren Stimme Kerry bislang nicht gehört hatte. Sie war erstaunt, eine Frau hinter der schwarzen Gesichtsmaske vorzufinden.
Beide Krieger stammten aus den Neuen Landen und waren vergleichsweise jung, geboren während der Herrschaft Finuor Mârins. Ramatar war ursprünglich Marinesoldat gewesen und hatte sich in mehreren Seegefechten ausgezeichnet, was ihm seinen Aufstieg zur ehrenvollen Position der Palastgarde ermöglicht hatte. Ristallë stammte von einer der kleinsten Inseln des Seereiches der Manarîn, die immer wieder Ziel von Überfällen durch Piraten gewesen war, die in den Meeren südlich der Neuen Lande ihr Unwesen trieben. Sie hatte von klein auf gelernt, sich und andere zu verteidigen und war dem Weg der Kriegskunst bis zur Ehrengarde gefolgt.
Nachdem Kerry ihre beiden Beschützer eine Weile mit Fragen gelöchert hatte, entließ sie Ristallë und Ramatar schließlich. Sofort setzten die beiden ihre Helme wieder auf und bezogen vor Kerrys Tür Stellung, während Tárdur Kerry damit überraschte, dass er sich neben sie auf das Bett setzte.
"Nun, meinen Namen kennt Ihr bereits," begann der Gardist, ehe er seinen Kopfschutz abnahm. Sein Haar war blond und relativ kurz; eine Seltenheit unter den Manarîn, wie Kerry wusste. "Was möchtet Ihr wissen?"
Kerry überlegte. Sie war mit Tárdur bereits viel vertrauter als sie gedacht hatte. Sie legte den Kopf um eine Winzigkeit schief und sagte: "Erzähl' mir eine unterhaltsame Anekdote aus deinem Leben, Tárdur."
Der Gardist strich sich mit einem Finger über das Kinn, doch er zeigte keinerlei Überraschung hinsichtlich der ungewöhnlichen Frage Kerrys.
"Weißt du, als ich zum Gardisten ausgebildet wurde, passierte mir einmal etwas sehr Peinliches", begann er. "Ich war damals noch sehr unerfahren und hatte Schwierigkeiten, mich an die strenge Ausbildung anzupassen."
Kerry nickte und hörte aufmerksam zu.
"Eines Tages wurden wir aufgefordert, einen Hindernisparcours zu absolvieren, bei dem wir unser Gleichgewicht und unsere Koordination beweisen mussten", fuhr Tárdur fort. "Ich war so nervös und aufgeregt, dass ich auf einer der Herausforderungen stolperte und mit dem Gesicht voran in einem Haufen Stroh landete."
Kerry kicherte, während Tárdur weitersprach.
"Ich war so beschämt, dass ich mich nicht einmal traute, aufzustehen", sagte er. "Aber meine Ausbilder und die anderen Anwärter lachten nicht über mich. Stattdessen halfen sie mir auf die Beine und sagten, dass ich es beim nächsten Mal besser machen würde."
"Das ist schön zu hören", sagte Kerry lächelnd. "Es zeigt, dass die Gardisten eine starke Gemeinschaft sind, die zusammenhält und sich gegenseitig unterstützt."
Tárdur nickte. "Genau das ist es. Und ich bin stolz darauf, Teil dieser Gemeinschaft zu sein."
"Und hast du den Hindernislauf dann im zweiten Versuch erfolgreich abgeschlossen?" hakte Kerry nach. Dass ein so ruhiger und erfahren wirkender Krieger auch einst ein blutiger Anfänger gewesen war, machte ihn umso nahbarer für sie.
"Es hat noch mehr als einen Anlauf gebracht," gab Tárdur zu und zeigte wieder das gewohnte Schmunzeln. "Das habt Ihr nicht erwartet, nicht wahr?"
"N-naja, ich schätze... jeder muss irgendwann einen schwierigen Anfang hinter sich bringen, also, im Leben, meine ich," sagte Kerry etwas holprig.
"Und so ist es bei Euch ebenfalls," sagte Tárdur. "Ihr werdet sehen, die Rolle der Prinzessin wird sich schon bald viel einfacher für Euch anfühlen."
Kerry nickte. Er machte ihr Hoffnung, und das war gut. Ihr fiel auf, dass sie schon die ganze Zeit über weder an Aéd, noch an Adrienne oder an Helluin gedacht hatte. Und das war ihr im Augenblick viel wert.
Curanthor:
Adrienne stand mit verschränkten Armen an einer Säule gelehnt und hatte der Rede der Königin mit gleichmütiger Miene zugehört. Sie hörte die Stimme der Elbe, aber es war so, als ob sie durch einen dichten Schleier zu ihr sprach. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie irgendwelche Krieger hervorgerufen wurden, dann Mathan. Ihr Blick bemerkte die Fremde die neben ihren ehemaligen Lehrmeister in der Menge stand. Der Anblick versetzte ihr einen Stich. Unwohl wechselte sie das Bein, mit dem sie sich an die Säule lehnte.
Ihr Ersatz hatte lange rote Haare und schien in einem ähnlichen Alter zu sein. Sie wirkte viel kriegerischer als sie selber, allein dadurch, dass sie stets mit gerecktem Kinn und gerader Statur dastand. Adrienne konnte sich dem Gedanken nicht verschließen, dass die Fremde vielleicht doch eine bessere Wahl war als sie selber. Dann sollte es so eben sein, warum gegen das Schicksal ankämpfen, es war sowieso zwecklos.
Ihr Blick wanderte zu Kerry, als die Versammlung aufgelöst wurde. Die Blonde warf ihr zwar einen Blick zu, den Adrienne jedoch nur gleichmütig erwiderte. Ihr war noch immer nicht klar, was sie dazu gebracht hatte sie zu küssen. Nüchtern betrachtet war es nichts als der Wunsch nach einer engen Freundin und etwas Zuneigung gewesen. Zumindest war sie zu dem Schluss gekommen, nachdem sie mit dem Messer in der Hand vor einigen Stunden wieder aufgewacht war. Alles was sie bisher getan hatte, kam ihr so lächerlich unbedeutend vorgekommen. Warum war sie überhaupt hier? Sie ließ sich mit den übrigen Elben aus dem Thronsaal treiben. Ihr Blick hing auf den wolkenverhangen, dunkelgrauen Himmel. Aus dem Augenwinkel sah sie einen kleineren blonden Haarschopf, der von drei in schwarz Gewandten Elbenkriegern in einen großen Westflügel geleitete wurde. Adrienne atmete tief durch, aber das Gefühl von Enge wollte nicht von ihrem Brustkorb weichen. Sie spürte, wie ihre Augen wieder etwas feucht wurden, bis ein dumpfes Pochen in ihrem verletzten Auge sie zum Blinzeln brachte. Irgendjemand legte ihr einen Mantel um die Schultern.
Valena schaute abwartend zu Mathan, als die Versammlung aufgelöst wurde. Sie fühlte sich etwas fehl am Platz. Der Elb gab ihr mit einem Handzeichen zu verstehen draußen zu warten. Die anfängliche Begeisterung über diesen Ort war bei ihr bereits verflogen, also schritt sie relativ zügig hinaus zu dem großen Portal zur Treppe, die hinaus auf dem Palastvorplatz führte. Niemand sprach sie an, die meisten liefen entweder eilig die Treppen hinunter und verteilten sich, oder warfen ihr einen neugierigen Seitenblick zu. Sie atmete tief durch, als ein Windzug etwas frische Luft mit sich brachte.
Als sie sich wieder umwandte, wurde das Tor zum Thronsaal geschlossen. Inder Vorhalle waren nur ein paar wenige Elben übrig. Etwas verloren stand die verwirrt wirkende Gestalt der anderen Schülerin Mathans in der Mitte der Halle und starrte ins Leere. Valena hatte nur kurz mit ihr zu tun gehabt, aber es hatte gereicht um ihren Geisteszustand anzuzweifeln. Damit war sie offenbar nicht alleine, denn alle die an ihr vorbeigingen, machten einen großen Bogen um sie. Sie seufzte und ging auf sie zu. Die kastanienbraunen Haare der jungen Frau waren durcheinander und eine große Wunde zeichnete ihr Gesicht. Sie musste entweder einen ungleichen Kampf bestritten haben oder eine Menge Glückt gehabt haben. Valena war sich sicher, dass jeder normale Hieb sonst jemanden den Kopf gespalten hätte. Sie löste die Klammern ihres Umhangs und legte sie der Barfüßigen um die Schultern. Erst jetzt, wo sie direkt vor ihr stand nahm sie Notiz von ihr. Ein Anflug von Hass flackerte in den nussbraunen Augen auf, der aber sofort mit Gleichmut ersetzt wurde.
„Ist dir nicht kalt?“, fragte Valena etwas unbeholfen.
Erst starrte die Angesprochene nur an ihr vorbei, bis sich ihr Blick unwillig auf ihr Gesicht fixierte. „Etwas“, entgegnete sie nur knapp.
„Du bist Adrienne, auch eine Schülerin von dem Elbenherrn“, stellte Valena unbeeindruckt fest und nickte dabei zur verschlossenen Türe des Thronsaals, „Hab‘ ich von den anderen gehört.“
Ein knappes Nicken. Adrienne begann etwas auf den Fußballen hin und her zu wippen.
„Vielleicht sollten wir dich einkleiden.“
Sie stoppte und legte fragend den Kopf schief.
Valena stöhnte genervt auf. „Wenn du dich selbst umbringen möchtest…“ begann sie mit einem Blick auf den dunkelroten, verlaufenen Fleck auf Herzhöhe ihres weißen Oberteils, „Da gibt es andere Wege.“
„Hmm?“, machte Adrienne überrascht. Ihr trüber Blick wurde plötzlich klar und ihre Augen fixierten sie. „Warum sollte ich so etwas Dämliches tun?“
Valena runzelte die Stirn. „Du hast eben ziemlich selbstzerstörerisches Zeug von dir gegeben, schon vergessen?“
„Oh, das.“ Adrienne schaute wieder über Valenas Schulter in die Ferne, „Warum gegen das Schicksal ankämpfen? Es holt doch sowieso wieder einen ein.“
Valena rollte die Augen. „Schwachsinn. Ich glaube nicht an Schicksal, aber das sei jedem selbst überlassen.“
Adrienne schnaubte leise. „Bist du nur hier um mich zu nerven?“
„Ich mache mir nur Sorgen um dich an der Stelle unseres Lehrmeisters. Er hat im Moment wichtigere Aufgaben.“
„Ja, so ist das mit den feinen Elben. Immer gibt es etwas Wichtiges, oder jemanden anderen. Es gibt immer jemanden an letzter Stelle. Dort habe ich mich selbst hin befördert. Es lieg nicht an dir, das zu korrigieren, dafür ist es zu spät.“
Valena erschauderte unwillentlich. Sie kannte diesen Blick nur vom Schlachtfeld - oder von den Lagern des roten Auges. In den Tiefen der schwarzen Iris Adriennes brannte ein gefährliches Feuer. Scheinbar hatte sie akzeptiert was geschehen würde, was auch immer es war wovon sie überzeugt war. Es hatte kaum einen Sinn gegen jemanden, der abgeschlossen hatte anzureden. Sie seufzte und antwortete, dass sie von solchen Dingen nicht viel verstand.
Adrienne legte fragend den Kopf schief.
„Ich erzähle dir jetzt nicht meine Lebensgeschichte. Bei uns gab es keine Elben, nur alte Geschichten und andere Bräuche. Jetzt sei nicht so stur.“ Valena verlor allmählich die Geduld und schob sie an den Schultern einfach in die Richtung, wo sie die Rüstkammer vermutete. Adrienne schien sich kurz zu widersetzen, gab dann aber plötzlich nach. Einer der herumstehenden Elben in Schwarz beschrieb ihr einen Raum, in dem behelfsmäßig Ausrüstung ausgegeben wurde. Valena wunderte sich noch immer über ihren Zweck, bedankte sich aber bei dem Mann und ging in den Ostflügel. Mittlerweile musste sie Adrienne auch nicht mehr vor sich herschieben, sondern sie an der Schulter gepackt bestimmt leiten.
Als sie an der unscheinbaren Türe, die aus frischem Holz bestand angekommen waren, befreite sich Adrienne mit einem Schulterzucken von dem Griff und klopfte. Ein Ruf aus dem Inneren ließ die beiden eintreten. Ein dunkelhaariger Elb mit einer breiten Narbe auf der Stirn und einfachen Roben gekleidet blickte von einem kleinen Tisch auf. Rechts und links von ihm türmten sich Truhen, Schachteln und Kisten, aus denen Griffe aller Art und allerlei Ausrüstungsgegenstände ragte. Auf einigen simplen Rüstungsständern hinter ihm hingen mehrere Elbenrüstung unterschiedlicher Machart.
„Valena vom Raureiftal“, stellte sie sich mit einem knappen Nicken vor und deutete auf die leicht bekleidete Adrienne, „Ich denke unser Anliegen ist offensichtlich.“
Der Elb legte eine Zange beiseite, mit der er an einem Kettenhemd gearbeitet hatte. „Und auf wessen Geheiß seid Ihr hier, Dame Valena?“ Er hatte eine sanfte, melodische Stimme, wie fast alle Elben die sie in den letzten Tagen sprechen gehört hatte.
„Mein Lehrmeister ist der ehrenwerte Herr Mathan“, antwortete sie knapp.
Der Elb hob eine Braue. „Ach, tatsächlich.“ Er griff erneut nach seiner Zange und arbeitete einige weitere Ringe in das Kettenhemd. „Und was wünscht Ihr nun von mir?“, fragte er ohne aufzublicken.
„Eine neue Ausrüstung für meine…“, Valena blickte aus dem Augenwinkel zu Adrienne, die eine unergründliche Miene aus Gleichmut aufgesetzte hatte, „Mitschülerin. Ein Paar Schuhe allen voran.“
„Davon ging ich aus.“ Der Elb legte erneut seine Zange zur Seite und beugte sich nach rechts hinab. Als er sich aufrichtete, warf er ein Paar Lederstiefel quer durch den Raum. Valena und Adrienne fingen jeweils einen Schuh. Es waren Reiterstiefel, die fast bis zu den Knien reichten. Das Leder war sehr weich und dunkelbraun, fast schwarz. Valena reichte ihn prompt weiter. Adrienne nickte sogar knapp.
„Eben fertig geworden. Neu besohlt. Dürften eine lange Zeit halten“, brummte der Elb. Er deutete mit dem Daumen hinter sich auf zwei etwas kleiner wirkende Rüstungen, die auch schon mit Schulterschutz, Arm- und Beinschienen versehen waren. „Je nach euren Kampfstil. Genietetes Leder für Beweglichkeit, oder ein Stahlkürass für die Schlacht. Für Extrawünsche müsstet ihr zu Herrn Amarin gehen, er hat auch eure Maße genommen.“
„Oh“, machte Adrienne und klang tatsächlich erstaunt, „Danke.“
Der Elb brummte etwas Unverständliches in einer unbekannten Sprache, sagte aber dann etwas unwirsch: „Unterkleidung und dergleichen sind in der Truhe links von den Streithämmern. Hosen und Beinbekleidung in der Kiste links von der Tür. Ich empfehle eine mehrschichtige Lederhose.“
Valena hob überrascht eine Braue und wandte den Kopf langsam zu Adrienne. Wäre sie so verrückt ohne Unterkleidung herzumzulaufen? Eine leise Stimme in ihrem Kopf stimmte dem zu. Valena schloss genervt die Augen, hörte aber wie Adrienne die Truhe öffnete und sich die übrigen Kleidungs- und Ausrüstungstücke zusammensuchte, die der Elb ihr beschrieb wo sie zu finden waren.
Jemand tippte ihr dann nach einer kurze Weile auf die Schulter. Adrienne stand vor ihr, einen Berg Ausrüstung auf beiden Armen, neben ihr der etwas garstige Elb. Erst jetzt bemerkte sie, dass eines seiner Hosenbeine ins Leere ging und er auf einem Bein balancierte. Rasch fixierte sie seine Narbe, den missbilligenden Blick vermeidend.
„Besser Ihr helft ihr, Dame Valena“, brummte der Elb und hielt sich an einer Kiste fest, als er zu seinem Tisch zurückkehrte, „Damit sie wenigstens etwas in Würde herumläuft. Und jetzt lasst mich alleine, ich habe noch sehr viel zu tun.“
Valena kam der Aufforderung gerne nach und verließ recht eilig das Arbeitszimmer des unwirschen Elben. Adrienne folgte ihr auf dem Fuß. Auf dem Korridor tauschten sie einen Blick. Scheinbar hatte auch sie auch noch nie so eine Begegnung gehabt.
„Dann wollen wir dich mal einkleiden“, schlug Valena mit einem Blick auf dem genieteten Lederharnisch vor.
Adrienne brummte zustimmend und nickte zu dem Nachbarraum, dessen Tür einige Schritte weiterlag.
Vielleicht war sie doch nicht so verloren wie sie dachte. Aber stark war sie, fiel ihr auf. Allein das Kettenhemd auf ihren Armen wog einiges, ging es ihr durch den Kopf als sie in einen leeren Raum traten. Er besaß keine Fenster und schien erst vor kurzem fertig gestellt worden zu sein.
Sie wechselten keine weiteren Wörter, während Valena Adrienne half sich anzukleiden und die Rüstung anzulegen. Sie bemerkte drei gewaltige Narben, wobei eine sich quer über den Oberkörper zog. Auch sonst war der Körper ihrer Mitschülerin so sehr gezeichnet, als ob sie hunderte Schlachten erlebt hatte. Überall waren feine weiße Narben von Schnitten, Stichen und anderen alten Wunden.
Als sie fertig waren, blickte Adrienne zweifelnd an sich herab. „Ich würde es schätzen, wenn du das was du gesehen hast für dich behältst.“ Ihr Blick traf Valena und sich wirkte das erste Mal nicht abweisend, „Manche Augen lassen sich leider nicht täuschen. Du hast einen starken Blick.“ Ein Anflug eines Lächelns lag in ihren Augen, der rasch verschwand, als sie ihr den Mantel zurückgab, doch Valena schüttelte den Kopf.
„Behalte ihn. Als Entschädigung für unsere… missglückte erste Begegnung.“
Adrienne legte kurz den Kopf schief, nickte aber dann. „Wenn du es so willst.“ Sie zögerte kurz und setzte nach: „Er wird mir gute Dienste leisten.“ Sie ging an ihr vorbei und öffnete die Tür, „Ich werde dir diesen Dienst erwidern.“ Mit den Worten fiel die Tür wieder zu.
Valena blickte mit einem verwirrten Gesichtsausdruck auf die Tür und schüttelte den Kopf. Eine eigenwillige Art sich zu bedanken, aber der Gedanke zählt. Wer weiß was sie erlebt hat...
Curanthor:
„Unsere Späher berichten, dass die vermummten Krieger unter weißer Flagge ihren Schritt stark verlangsamt haben“, berichtete Baranthea von den Hwenti, „Es ist nur eine Hand voll in schwarz gekleidete Fremde, aber sehr schwer gerüstet und hinterlassen so gut wie keine Spuren. Wenig Proviant, bis auf einen großen Leinsack. Keine Orks, soweit wir beurteilen konnten. Zu wenige für einen Angriff.“
„Was auf ein relativ nahes Lager hinweist“, schloss Isanasca besorgt und nickte knapp zum Dank.
Baranthea, eine junge Hwenti-Elbe kaum dem Jugendalter entsprungen lief eine Spur rot an und trank hastig einen Schluck Wasser.
Mathan strecke seine Füße. Sie saßen schon seit einiger Weile auf hölzernen Stühlen in einem großen Kreis im Thronsaal. Fast alle Anführer oder Sprecher der Avari waren gekommen, Aéd saß neben Faelivrin und gönnte sich einen leichten Wein, den Ivyn gerade ausschenken ließ. Der Wolfskönig hörte aufmerksam zu und hatte bisher nur versichert, dass seine Krieger bald eintreffen werden. Sarante von den Kinn-Lai saß direkt nehmen ihn und wollte etwas sagen, als eine Nebentür aufschwang und Amarin den Raum betrat. Er wirkte müde, sein Gesicht mit Ruß verschmiert, eine lederne Augenklappe verdeckte sein trübes Auge.
„Weitermachen.“ Er hob nur lässig einen Arm und lehnte sich an den Türrahmen.
Einige blickten irritiert zu ihm, dann zu Faelivrin und Ivyn, die jedoch keine Regungen zeigten.
Merolon von den Kindi erhob das Wort: "Ich denke, diese Fremden sind uns ohne Zweifel feindlich gesinnt und mit der Absicht gekommen, unsere Verteidigungsanlagen auszukundschaften . Es wird wohl keine Verhandlung geben.“ Seine tiefe Stimme verhallte kaum im Saal, als Adrator von den Cuind ein leises Schnaubten von sich gab.
„Wart Ihr es nicht, die lieber den Kopf in den Sand stecken wolltet? Jetzt sind es 'unsere' Verteidigungsanlagen?“, fragte Sarante spitz und wandte sich an Faelivrin, „Dennoch ist die Überlegung nicht so abwegig.“
„Wir sollten sie von hier vertreiben“, schlug Adrator vor, „Wahrscheinlich waren sie es, die unsere Siedlungen überfallen haben.“
Fanathr hob beschwichtigend die Hände: „Wir sollten nicht übereilt handeln.“
Mathan tauschte einen Blick mit seinem Vater. Amarin rollte etwas mit den Augen. Sie beide hatten keinen großen Gefallen an Verhandlungen oder großen Besprechungen.
Er unterdrückte ein Grinsen und deckte sein Glas rasch mit einer Hand ab, als eine Elbenmagd ihm nachschenken wollte: „Danke, wir sollten einen klaren Kopf bewahren.“
Seine Tochter wandte ihm daraufhin ihren Blick zu. Mathan kannte diesen Ausdruck. Fordernd. Er räusperte sich leise und wandte sie stattdessen zu seiner Enkelin, während Faelivrin kurz überrascht eine Braue hob: „Prinzessin?“
Isanasca trug ein kleines Veilchen in ihrem blonden Haar und hatte bisher kein Wort gesagt. Sie hatte die ganze Zeit über schweigend dort gesessen und eher wie ein Rüstungsständer gewirkt.
„Ich denke, wir sollten sie vor den Toren anhören“, sagte sie schließlich bedacht, als alle Blicke auf ihr lagen, „Die äußerlichen Verteidigungsmerkmale werden sie auch so erkennen, da macht es keinen Unterschied ob sie auf der Anhöhe stehen oder direkt vor dem Tor.“
Ehe murren oder Widersprüche kamen, erklang unvermittelt Amarins Stimme: „Außerdem sollten wir herausfinden mit was wir es zu tun haben. Keine Orks? Ungewöhnlich. Dann doch Menschen im Dienste Sarumans? Etwas anderes? Mir gefällt das nicht.“
Ivyn nickte zustimmend und Mathan fiel auf, das sie das erste mal unruhig wirkte. „Etwas trübt meine Sicht, doch sie zu vertreiben wäre töricht.“ Ihr Kopf ruckte zum Tor, ihre Blick ging ins Leere, „Und doch sind es Augenblicke wie dieser... die mir Sorgen bereiten.“
„Amante hat mir eben davon berichtet“, ergänzte Amarin besorgt, „Und auch andere mit der Gabe berichteten ähnliches.“
Die übrigen Avari murmelten zustimmend und tuschelten besorgt, während Faelivrin Aéd scheinbar mit leisen Worten erklärte, worum es ging.
„Ich schlage vor...“, hob Isanasca an und wurde unterbrochen als ein Bote eintrat. Sie wartete, während er eilig herankam und ihr den Bericht ins Ohr flüsterte. Sie nickte knapp.
Ivyn wandte sich an Mathan mit einem zuckendem Mundwinkel, ihre Augen voll mit silbernen Glanz: „Feldherr, holt euer Großschwert und euren Schild, Ihr werdet sie brauchen.“
Mathan starrte sie einen Moment lang an. Sein Großschwert hatte er schon seit sehr langer Zeit nicht mehr geführt. Und wenn, dann in seinen verzweifelten Stunden. Sein Magen zog sich zusammen. Ihn beschlich ein aufkommendes Gefühl von Verderben.
„Geht“, drängte Ivyn, die irritierten Gesichter der übrigen Elben ignorierend, „Amarin, es ist Zeit.“
Sein Vater gab ein fast schon trauriges Atmen von sich und das teilnahmslose Gesicht verhärtete sich zu noldorischen Stahl. Er zog Mathan unvermittelt vom Stuhl, der mit anfangs wackeligen Beinen auf die Füße kam. Gemeinsam verließen sie den Saal über eine Seitentür. Er hörte noch, wie Faelivrin verkündete, dass die wichtigsten Mitglieder des Hauses und Verbündeten auf die Torburg des nördlichen Tores als Zeugen kommen sollten, wenn die Fremden in Sichtweite waren.
In dem engen Gang kam ihnen Nivim entgegen. Sie wirkte überrascht und machte breit grinsend Platz, ihre knallgrünes Kleid schien brandneu zu sein. Mathan war froh, dass wenigstens sie ihre gute Laune nicht verloren hatte.
„Na, habt ihr Estora gesehen? Sie hat sich heute wieder einmal gut versteckt.“
„Bedaure“, Amarin schüttelte den Kopf, „Du solltest außerdem sie jetzt nicht mehr aus den Augen lassen.“
Nivim kicherte, auch wenn selbst ihr freudiges Gemüt merklich gefasster wirkte. „Das habe ich vor, letztens hatte es einen ganzen Tag gedauert sie zu finden.“
„Wenn du uns entschuldigst.“
Sein Vater schob Mathan weiter, sodass sie wieder zurück in der Eingangshalle kamen.
„Hättest du vielleicht die Güte mir zu erklären, was los ist? Was sollte der merkwürdige Austausch vorhin?“, platzte es aus Mathan hervor, seine Schritte verlangsamend.
Amarin machte kurz halt. „Ich hole das Schwert und den Schild. Du... suchst nach jenen, denen du vertrauen kannst.“
Mathan blinzelte verwirrt. „Vertrauen? Warum? Es ist doch noch keine Belagerung-...“
Sein Vater packte ihm grob am Schulterpanzer und zog ihn dicht an sich. „Verstehst du denn nicht?! Etwas wandert in dieser Stadt... und die Saat der Verrats wurde ausgebracht.“ Sein Blick hastete unstet durch die Halle, die glücklicherweise für diesen kurzen Augenblick leer war, „Vertraue niemanden, dem du nicht durchs Blut verbunden bist... und sei selbst dann wachsam."
Mit dem Worten ließ sein Vater Mathan in der Halle stehen. Etwas verdattert blieb er noch eine Weile dort. War Amarin wieder in eine seiner geistigen Umnachtungen zurückgefallen? Ivyn schien aber das ausgelöst zu haben, so als sie beide es erwartet hatten. Vielleicht hatte sie durch den Schleier gesehen? Er kaute auf seiner Unterlippe. Eigentlich würde er Halarîn um Rat fragen, aber sie wollte er jetzt nicht damit belasten, nicht in ihrem Zustand. Kerry hatte ihren Kopf voll mit allerlei Gefühlskram, wie er so gehört hatte – sie war außerdem nicht so gefestigt, dass er ihr das zumuten konnte. Wen könnte er verrtauen?
„Du siehst aus, als ob du einen zweiten Kopf gebrauchen könntest...“
„...oder jemanden, der dir das Denken abnimmt, so wie das raucht.“
Mathan blickte auf und vor ihm standen die zwei Elbendamen, mit denen er am wenigsten gerechnet hatte. Beide grinsten schelmisch, wenn auch deutlich reifer wirkend als zuvor.
„Wir sind hoffentlich nicht zu spät?“ Yutée musterte ihn mit einem vielsagendem Blick.
Sabaia – die ihre dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte zwinkerte ihm zu: „Irgendwie haben wir uns immer verpasst.“
Die drei umarmten sich, wenn auch nur kurz. Er spürte, dass sie ihre ganz eigenen Abenteuer erlebt hatten. Er bemerkte die Kette, die sie jeweils um den Hals trugen. Den Stahl gab es nur an einem Ort der Welt, an dem er vor einiger Zeit nach beschwerlicher Reise verweilt war. Sie trugen identische, weite Kapuzenmäntel, einzig an ihren Frisuren konnte man sie unterscheiden.
„Wir haben viel zu bereden“, stimmte er schließlich zu, „Und ihr seid genau zu rechten Zeit gekommen. Verdächtig genau.“ Mathan war froh sie zu sehen, erleichtert ebenfalls, aber das ungute Gefühl im Magen wollte einfach nicht weichen. Irgendwas übersah er, oder schaute zur falschen Stelle.
Beide hoben eine Braue. „Mutter schickte uns hier her.“
Yutée strich sich eine Strähne ihres offenen Haars aus dem Gesicht. „Sie hat auch nicht mehr gesagt, nur, dass wir zu dieser Stunde hier sein sollten.“
Sabaia runzelte besorgt die Stirn als sie ihn genauer musterte. „So schaust du nur aus, wenn irgendwas gefährliches in der Luft liegt... und die Anspannung in der Stadt. Zeitdruck? Offensichtlich. Geschwisterbesprechung, jetzt sofort.“
Ihr Zwilling hakte sich bei ihm unter, woraufhin sie es ihr gleichtat. „In der Schnellfassung.“
Er nickte nur und führte beide in eine unbenutzten Kammer im Ostflügel.
Curanthor:
Es war ein merkwürdiges Gefühl wieder mit seinen Schwestern zu sprechen. Ihm war es, als sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen hatten, dabei waren es erst einige Wochen, vielleicht Monate. Er musterte sie genauer, als sie sich in der fast leeren Kammer auf einige Fässer setzten. Sie kamen deutlich nach Mutter, die wachsamen Augen waren aber die ihres Vaters. Ihre Haare hatten mittlerweile die ursprüngliche weiße Färbung verloren und nun einen dunkelblonden Ton angenommen. Um ihre Mundwinkel hatte sich ein harter Zug gebildet, am linken Handgelenk trugen sie beide jeweils einen schmalen, eleganten Armreif mit verschlungen Mustern und drei kleinen Edelsteinen. Seine Schwestern musterten auch ihn einen langen Moment, bis sie ihn darum baten seine Reise bis hier hin zu erläutern.
Mathan umriss grob die Fahrt mit der Avalosse, den Kampf um Tharbad und den Weg nach Eregion, die Kämpfe in der Schmiede, die Ankunft der übrigen Elben und dann die Reise nach Norden. Auch wenn er sich so kurz wie möglich fasste, dauerte die Erzählung länger als ihn lieb war. Glücklicherweise kannten seine Schwestern bereits einen Teil, da sie ebenfalls in den Norden gereist waren, einige Zeit nach ihm. Er blinzelte und sein Blick huschte erneut zu den Schmuck, den sie trugen. „Also... wisst ihr über Mutter Bescheid?“
Sabaia zögerte schuldbewusst, doch Yutée nickte entschlossen. „Wie haben eine Zeit lang bei ihr gelebt, zusammen mit anderen. Noch bevor wir uns in Lindon trafen.“
Mathan wurde klar, dass er nie gefragt hatte, was sie so trieben, oder wo sie lebten, als sie sich vor einiger Zeit getroffen hatten. Er fühlte sich schuldig, sich so wenig für das Leben seiner Schwestern zu interessieren. Ein wenig nagte es auch an ihm, dass seine Mutter ihm nichts davon erzählt hatte.
Sabaia bemerkte seinen Gesichtsausdruck und schob hastig nach: „Sie wollte nicht, dass wir jemanden davon erzählen. Wir waren ihre Augen und Ohren. Außerdem beobachteten wir die Schmiede, bewachten sie ohne einzugreifen... sie verbat uns hinunterzugehen...“
„...Und daran hielten wir uns.“ Yutée strich ihm sanft über die Schulter, „Wir wussten auch nicht, dass Vater dort unten lebt, sonst hätten wir es dir gleich gesagt, egal was Mutter sagt.“
Mathan atmete tief durch und nickte knapp. Er konnte ihnen nicht böse sein, immerhin war er auch kaum für sie da gewesen. Er setzte seine Erzählung fort und kam rasch an der aktuellen Lage an.
„Hmm“, machten seine Schwestern nur und schauten sich nachdenklich an, „Wir könnten dieses wandelnde Etwas suchen gehen. Und vertrauen kannst du uns sowieso.“
Er sah keinen Grund ihre Hilfe abzulehnen und stimmte zu. „Habt ihr irgendwelche Pläne bei dem aufkommenden Kampf mitzuwirken?“
Die beiden sahen sich an. Er kannte diesen Blick, dass sie irgendwas wussten, aber erst später preisgeben würden. „Vorerst nicht. Wir sind recht begabt darin unerkannt zu bleiben, wenn du verstehst...“, begann Sabaia langsam und Yutée beendete den Satz: „Zumal uns niemand in der Stadt wirklich kennt.“
Mathan runzelte die Stirn. Die Zwillinge waren schon immer etwas geheimniskrämerisch, aber diesmal war er sich sicher, dass sie etwas Größeres zurückhielten. Gleichwohl kannte er sie gut genug zu wissen, dass sie ihn nie schaden würden.
„Also gut“, brummte Mathan, „Falls euch jemand fragen stellt, verweist auf mich. Streng geheime Mission des Feldherrn.“ Die beiden nickten ernst und machten sie auf den Weg. Er wartete einige Momente, bis sie weit genug weg waren und verließ die Kammer.
Valena saß am Brunnenplatz auf dem Rand des Sockels und beobachtete wie geordnete Kolonnen an gerüsteten Elben in Reih und Glied durch die Straßen marschierten, die meisten im Laufschritt. Nur vereinzelt wurden Befehle gebellt. Scheinbar wussten sie was zu tun war, denn die meisten hatten den nördlichen Stadtteil als Zeil. Eine weitere Kolonne aus einhundert Soldaten mit purpurroten Mänteln und auf Hochglanz polierte, schwere Rüstungen marschierte gerade auf dem Platz auf. Sie wirkten deutlich abgehärteter, die Haltung stramm und bis an die Zähne bewaffnet. Hier bellte niemand Befehle, jede Bewegung wirkte so, als sie im Schlaf ausgeführt werden konnte. Einige Umstehenden murmelten, dass dies die königliche Leibgarde sei.
„Rück mal 'n Stück, Menschenmädchen“, brummte eine männliche Stimme mit einem seltsamen Akzent. Der Duft von Tannenzapfen und kaltem Metall drang ihr in die Nase. Jemand setzt sich unangenehm nah an sie heran, sodass sich ihre Beine berührten. Valenas Seitenblick war missbilligend, doch der Elbenkrieger trug eine schwere, vom Kampf gezeichnete Rüstung und starrte nach vorn. Sein leicht eingedellter Helm auf den Kopf sprach von dutzenden abgefangenen Hieben, dennoch glänzte der Stahl in der trüben Sonne. Dunkelbraune, fast schwarze Haare ergossen sich vom Unterrand des Helms auf seinem bemantelten Rücken.
„Neu hier?“, fragte er Mann nach eine Weile der Stille.
Valena brummte zustimmend, wenig Lust verspürend den aufdringlichen Kerl zu unterhalten.
„Bin schon eine Weile hier und du...?“
„Valena vom Raureiftal“, stellte sie sich kühl vor und blieb weiterhin stur sitzen.
Der Elbenkrieger lachte rau und schlang einen Arm um ihre Schulter. „Calûnor, aber du kannst mich Calún oder Cal rufen.“ Sie wand sich unter dem starken Arm, die aufkommende Panik herunter kämpfend.“Vielleicht werde ich den kommenden Krieg nicht überleben. Mein Platz ist in der vordersten Reihe. Ich wurde mit dem Schwert in der Hand geboren und werde durch ein Schwert sterben, das hat man mir weisgesagt.“ Valena hielt dabei inne, ihn von sich abzuschütteln. „Einmal wollte ich mir vorstellen wie es ist, einfach nicht in den Kampf zu ziehen... ein warmes Feuer zu Hause, einen gemütlichen Sessel mit einem Buch... aber irgendwie kann ich es nicht.“
„Warum?, fragte sie nach einem kurzen Moment, den schweren Arm auf ihren Schultern ignorierend, „Es zwingt dich doch keiner?“
Calûnor lachte erneut, jedoch weniger herzlich, „Das nicht, aber es liegt in meiner Natur. Die Kinn-Lai sind nicht dafür bekannt zimperlich zu sein“ Er zog seinen Arm zurück und legte die gepanzerte Hand auf ihr Knie, woraufhin sie merklich zusammenzuckte. „Wenn wir etwas wollen, dann machen wir das klar. Und ich sehe nicht, was du willst.“
Sie blinzelte verwirrte, noch immer unangenehm berührt durch die schwere Hand des Mannes, doch das pochende Herzen in ihrer Brust beruhigte sich stetig. Etwas überrascht davon, dass es plötzlich um sie ging, räusperte sie sich. „Was meinst du?“
„Das wüsste ich auch gerne...“ Er nahm seine Hand von ihr. „Vergiss es. Nur die Launen eines Kriegers, der sein Volk wohl in den Krieg führen muss. Die wilden und ungezähmten Gedanken vor einer Schlacht.“
Velanas Knie wirkte leichter als zuvor. Irgendwie hatte die Berührung ihr weniger ausgemacht als gedacht. Sie schaute ihn an, doch Calûnor hatte sich vorgebeugt und stützte seinen Kopf auf der Handfläche, den Ellenbogen wiederum auf seinem Bein.
„Vielleicht wollte ich auch einfach nur die Stimme einer Frau hören, die nicht ständig nörgelt, über wichtige Dinge schwadroniert oder aufbrausend ist“, murmelte der Elbenkrieger.
Valena rutschte etwas peinlich berührt auf einer Stelle herum. „Ich bin eigentlich nichts von dem. Vielleicht zu ruhig in manchen Dingen?“ Sie überlegte kurz. „Und etwas zu kämpferisch, habe ich öfters gehört.“
„Hmm, kämpferisch klingt gut, das mag ich. Aber ich denke, du magst mich nicht. Das ist auch in Ordnung.“ Calûnor richtete sich auf, „Wie gesagt, mein Volk ist nicht bekannt für seine zarte Seite.“
Er machte Anstalten zu gehen, doch Valenas Hand hielt ihn am tiefblauen Umhang fest. Überrascht schaute er zu ihr hinab. Seine bernsteinfarbenen Augen musterten sie das erste Mal im Gesicht. Der Blick des Mannes war kalt wie Stahl. Langsam ließ er sich wieder nieder. Sie wusste selbst nicht, warum sie ihn hierbehalten wollte. Ihr Blick ging zu dem wuchtigen Zweihänder, den der Elbenkrieger neben sich gelegt hatte. Vielleicht ein Anflug von Bewunderung? Sie wusste es selbst nicht. Irgendwas in ihr sehnte sich vielleicht nach Stärke? Herr Mathan war die Führung, die sie brauchte. Vielleicht hatte sie nun diese Stärke gefunden. Sie war selbst von sich überrascht und schluckte den Brocken in ihrem Hals hinunter, unsicher ob sie nervös sein sollte, oder ein klein wenig Gefühl der Sicherheit zulassen sollte.
„Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich dich nicht mag“, murmelte sie schließlich. Sie griff selbstbewusster nach seiner Hand und platzierte sie auf ihrem Knie, „Dafür brauche ich mehr Zeit.“
Calûnor ließ sie gewähren und wirkte kein Stück wie die unnahbaren Gestalten aus den Geschichten. „Ich weiß auch nicht, was ich hier mache.“, sagte er nach einem Moment und verharrte neben ihr regungslos. „Vielleicht hilft das hier mir dabei.“ Seine schwere Hand wirkte auf Valena wie ein schützendes Zelt in einer fremden Stadt. „Was auch immer gerade geschieht.“
Adrienne stiefelte unwirsch durch die enge Gassen. Irgendwas war hier, aber es entzog sich ihren Blicken. Immer wieder hatte sie das Gefühl den oder die fremde gleich um eine Ecke flitzen zu sehen, fand aber entweder leere Gassen und Gänge, oder gelegentlich ein Spitzohr. Das Geflüster, das sie stets begleitete, war zu einem dumpfen Rauschen abgeklungen. Ihr Auge schmerzte gelegentlich, vor allem wenn sie in die Sonne blickte, aber ansonsten ging es ihr besser, je mehr sie sich bewegte. Ihr kam alles so dumm und peinlich vor. Sie hatte sich gehen lassen, alles falsch verstanden und dem dunklen Gedanken nachgegeben. Der frisch verkrustete, flache Schnitt auf der Höhe ihres Herzens war das deutlichste Zeichen davon. Ein Mal ihrer eigenen Dummheit.
Nach ihrer Begegnung und der daraus folgenden Verwundung waren ihr wieder Dinge eingefallen, die sie anfangs nicht zuordnen konnte. Fetzen aus Unterhaltungen. Grausame Bilder, zerhackte Körper, Blut und Eingeweide. Dinge, die sie nie jemanden erzählen würde; darunter ihr eigenes hohles, kaltes Lachen. Dunkle Gelüste und verwirrende Erinnerungen. Alles schwirrte in ihrem Kopf umher und alles aus ihrem eigenen Blickwinkel. So als ob sie es war, die die schrecklichen Taten verübt hatte.
Sie hatte Angst, so sehr, dass ihr Magen jeden Bissen Nahrung verweigerte. Angst um sich selbst, was mit ihr geschah und auch um ihre Freunde. Sie hatte schreckliche Furcht vor dem, was kommen würde. Die Gewissheit, dass sie dem selbst kein Ende bereiten konnte war ein furchtbares Gefühl, als ob ein klaffendes Loch sie zu verschlingen drohte. Sie hatte bereits in diesen Abgrund gestarrt und hatte alle um sich herum von sich gestoßen. Hatte sich auf alle Stimmen in ihrem Kopf eingelassen.
Keuchend lehnte sich Adrienne an eine Hauswand, noch immer den ausweichenden Wesen folgend. Vielleicht war es nur ein Hirngespinst, aber es half ihr nicht daran zu denken, wie töricht sie war. Kerry hatte sie noch immer wie eine Freundin behandelt, ganz gleich wie entstellt sie war. Oder, dass sie sie ungefragt geküsst hatte. Eines der dunkleren Gelüste, ausgelöst durch übermäßigen Alkohol und den wispernden Stimmen. Und dennoch... sie wollte niemanden in der Nähe haben, nicht wenn sie ständig Gefahr verspürte. Meistens von sich selbst ausgehend. Und dennoch behandelten sie alle Adrienne wie eine Freundin. Niemand wusste, dass sie das nicht verdient hatte. Vor allem da sie immer klarer sah, was sie einst getan hatte. Es waren noch immer Fetzen, aber grausam genug es auf der Stelle zu beenden – oder es zumindest zu versuchen. Sie wollte niemanden da hineinziehen, aber die Stimmen in ihren Kopf wisperten ihr zu, dass es dafür schon längst zu spät war. Ihre Freunde würden sich sicherlich von ihr abwenden, wenn sie herausfanden was sie war. Nicht jeder war so naiv wie Kerry.
Adrienne schloss kurz die Augen. Ein Gefühl von Dringlichkeit machte sich in ihr breit. Sie stieß sich von der Wand ab und beschleunigte ihre Schritte. Ihre Hand legte sich auf dem kühlen Griff ihres Elbenschwerts. Eine besonders eindringliche Stimme erhob sich in ihrem Kopf über den allgemeinen Rauschen hinweg. Sie klang ruhig, gütig und sehr weise. Die Stimme warnte sie in einem vertrauensvollem Ton. Es drohte Gefahr, aber nicht für sie. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Mit einem leisen sirren fuhr der blanke Stahl aus der Scheide. Das Wispern bestärkte sie. Adrienne hatte nicht viel Zeit. Sie konnte sich vielleicht nicht selbst beschützen, das machte keinen Sinn, ganz gleich was sie Kerry sagen würde, aber sie konnte alle Kraft aufbieten andere zu beschützen – selbst diese unbekannte, ungezügelte Macht, die sich in ihr erneut regte. Selbst wenn sie daran zerbrechen würde. Es war der letzte Akt, den sie vollziehen konnte, solange sie so klar war wie jetzt.
Nivim hatte sich schließlich Hilfe geholt. Elestora war einfach zu gut in dem Spiel geworden. Sie lächelte geschlagen, als der leicht gerüstete Spähtrupp eilig vor ihr an den Treppen zum Kronsitz zum Stehen kam. Es waren neun Elben, plus den Anführer, der sich knapp verneigte. „Randar, zu Euren Diensten, ehrenwerte Dame Nivim.“
Erstaunt stellte sie fest, dass es Hwenti waren. Nivim nickte und befasste ein Tuch, mit dem sich den Schweiß zuvor von der Stirn getupft hatte. „Ich weiß, dass es fast schon lächerlich klingt, aber könntet Ihr und Eure Mannen bitte helfen meine Tochter zu finden? Die Kleine ist zu geschickt im Versteckspiel geworden.“
Der Anführer blinzelte einen Moment. „Die kleine Prinzessin Elestora?“ Seine Stimme war ernster als sie erwartet hatte.
Nivim nickte zögerlich, verunsichert von der Professionalität des Mannes. „Ich weiß, in so einer Situation habt Ihr sicherlich andere...“
Sie verstummte, da Randar die Hand hob. „Verzeiht, Dame Nivim, aber macht euch keine Sorgen. Unser Volk hält Kinder für den größten Schatz des Lebens. Macht Euch keine Vorwürfe, wir helfen gerne.“ Die Männer Randars nickten bekräftigend und versicherten ihr, dass sie sie finden würden.
Sie atmete erleichtert auf, auch wenn es ihr noch immer übertrieben vorkam. Nivim trat näher an den Trupp heran, sodass nur sie sie hören konnte. „Bitte behandelt den... Auftrag diskret.“ Sie lächelte unsicher.
Randar erlaubte sich ein Schmunzeln. „Natürlich, unsere Lippen sind versiegelt.“
Sie erklärte den Männern wo sie ihre Tochter das letzte Mal gefunden hatte, ihre beliebten und unbeliebten Orte, woraufhin sie wie Schwarm Vögel auseinander stoben.
Amante maß das schwere Schwert mit einem missbilligenden Blick, das Amarin aus dem geheimen Versteck gezogen hatte. Es war ein massiger Zweihänder, der vermutlich mehr Metall als so mancher Plattenpanzer aufwies. Der Stahl war schwarz, durchzogen von blauen Adern und schimmerte im Licht. Sie wusste relativ wenig über die Schmiedekunst, vermutlich war er leichter als er aussah, aber vor allem wertvoll. Sternenstahl erkannte sie immer problemlos.
„Ein Andenken aus Gondolin, oder inspiriert davon?“, fragte sie feixend.
Amarin hielt inne und das Steinfach einen Moment offen, ließ es aber dann mit einem Rumpeln zufallen. „Das hatte ich schon vorher auslagern lassen.“ Er trat an die schwere Klinge, „Eigentlich war es für einen der Hohen Herren der Stadt bestimmt. Mein alter Lehrmeister gestattet es mir nur für diesen Zweck mit nach Mittelerde zu bringen. Nun, wie auch immer, es kam anders .“
Sie hielt sich kurz den Kopf, doch der Schleier war heute dichter als je zuvor. Es war nichts zu sehen, nur trübe Dunkelheit. „Also beginnt das, was Cúwen einst sah.“
Ihr alter Freund grunzte nur zustimmend und schnappte sich ein Ledertuch, mit dem er die Klinge entlangfuhr. „So sieht es aus.“
„Und das sorgt dich nicht?“ Sie musterte ihn mit gerunzelter Stirn. Ob er schon soweit bei klarem Verstand war?
Amarin hielt inne. „Natürlich sorgt es mich.“ Seine Stimme war schneidend, sodass sie innerlich zusammenzuckte. Da war sie wieder, die Schärfe der letzten Jahrhunderte, die ihn verändert hatten. „Meine Nachfahren werden durch Blut waten. Tragödien werden uns befallen. Natürlich...“ Er verstummte, da seine Stimme sich immer weiter hochschaukelte. Er hielt sich kurz den Kopf. Dann sagte er sanfter: „Wer würde das nicht, es sind meine Nachfahren und alten Freunde, um die es geht.“
Amante spürte sich unwillkürlich lächeln. „Alte Freunde, ja.“, wiederholte sie versonnen, „Damals schien vieles leichter, mit klaren Grenzen. Ich frage mich, was die anderen heute so tun...“
Er warf ihr einen unergründlichen Blick zu und polierte das Schwert. „Cúwen war da nicht so deutlich, ob wir uns alle überhaupt noch einmal wiedersehen... und ich erinnere mich nicht, wo ich den Schild versteckt habe.“
Sie erlaubte sich ein schelmisches Grinsen. „Dann ist es scheinbar noch nicht so dringend.“ Amante nickte in die Richtung der Schmiedefeuer, die in den geheimen Gang hinein flackerten. „Das Feuer wird es dir offenbaren, der Große Schmied wird dich sicherlich nicht vergessen haben.“
Er verharrte in der Bewegung. „Da bin ich mir nicht so sicher.“
„Wenn ich eins weiß, dann, dass es nie zu spät ist für einen Versuch.“ Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Versuche es. Ohne den Schild... nun, du weißt ja... Wir sehen uns oben.“
„Sehr aufmunternd.“, brummte er.
Morlas putzte einige Gläser, seine starken Arme wie üblich entblößt. Eine junge Elbendame warf ihm hin und wieder Blicke zu und bestellte wahrscheinlich ihren sechsten Wein. Nein, er wusste genau, dass es ihr sechstes Glas war. Nityel erschien wie aus dem Nichts neben ihm, das Weinfässchen unterm Arm. Ihr scharfer Blick wanderte durch den leeren Schankraum. Bis auf einige wenige Elben und die drei Zwerge war es leer. Morlas erwartete ein Kniff in die Seite, da die Elbenmaid ihm deutliche Zeichen gab, doch seine Frau runzelte stattdessen die Stirn. Er stellte besorgt das Glas ab und trocknete seine Hände an der Schürze. Normalerweise hätte sie ihm die Ohren lang gezogen, stattdessen ließ sie fast das Fass fallen, sodass er es ihr abnehmen musste.
„Es ist so ruhig...“, sagte Nityel schließlich und es klang ominös. Sie blickte ihn an, ihre dunklen Augen leicht geweitet. Morlas ging ein Schauer über den Rücken. So aufgebracht hatte er sie noch nie erlebt. Selbst bei den Überfällen auf der Reise hier nach Westen nicht. „Meister Peregrin hatte davon gesprochen...“
Er legte ihr eine Hand um die Hüfte, die sie ergriff. Ihre Finger waren kalt und klammerten sich um die seine. „Was meinst du?“
„Das große Luftholen vor dem Sprung.“
Morlas' Magengrube krampfte sich zusammen, als er an Pippins Worte dachte, die der Halbling auch ihm erzählt hatte. Wortlos nahm er sie in den Arm und die starke Kinn-Lai vergrub ihren Kopf an seinen Schultern.
Elestora war mit ihren ganz eigenen Abenteuer beschäftigt. Sie lief einer streunenden Katze nach, die sie in die alten Viertel führten, weiter südlich. Hier waren die Gassen eng und mehr Ruinen als Zelte zu sehen. Sie mochte die Gassen nicht, aber Fari würde sich sicher freuen, wenn sie eine neue Freundin hatte. Oder Nammano. Der Mann aus Stahl, der Mutter und Großmutter immer beschützte. Nammano mochte Tiere. Sie lächelte breit, vielleicht würde er dann öfters mit ihr spielen. Und Nammano war gar nicht so garstig wie er immer tat. Er spielte nur mit ihr, wenn es keiner sah und sie musste Nammano immer versprechen es keinem zu sagen. Und sie war ein gutes Mädchen, sie hielt immer ihre Versprechen. Eilig hastete sie der Katze weiter hinterher in eine besonders enge und dunkle Gasse.
Ein schwarzer Schemen in einem Schatten ließ sie kurz zögern. Die weiß-blond getigerte Katze nutzt die Chance und quetschte sich mit einem maunzen zwischen zwei engen Steinwänden hindurch. Elestora ließ die Schultern hängen. Blöder Schemen! Sie lief darauf zu und es bewegte sich. Neugierig geworden folgte sie ihm. Mutter spielte ihr wohl wieder einen Streich - oder es war vielleicht ein anderes Tier. Sie folgte ihm tiefer in die immer unheimlich wirkendere Gasse und sie stockte. „Amil?“ Sie stolperte rückwärts, als der Schemen urplötzlich anhielt. Zu spät bemerkte sie, dass das kein Schemen war und er sich aufrichtete. Etwas packte sie. Kaltes Leder über ihren Mund verhinderte ihren gellenden Schrei, dann wurde sie von den Füßen gerissen.
Adrienne erstarrte mitten in der Bewegung, ein stechender Schmerz im Auge. Klirrend fiel ihr Schwert zu Boden. Stöhnend beugte sie sich nach vorn, eine Hand am Kopf, die andere gegen eine alte Steinwand gelehnt. Eine weiß-blond getigerte Katze strich ihr schnurrend um die Beine.
Fine:
Nachdem Kerry die drei ihr zugeteilten Gardisten zu Genüge kennengelernt hatte, beschloss sie, sich die Beine zu vertreten. Im Palast war es ihr zu eng geworden, wie sie Tárdur anvertraute als dieser sie die großen Stufen vor dem Eingangsportal der königlichen Residenz hinab geleitete. Aufgrund der angespannten Lage in der Stadt wurden weiterhin viele der Bewohner dort in Sicherheit gebracht, weil der Königspalast der am besten gesicherte Ort in Ost-in-Edhil war. Allerdings bedeutete das ebenfalls, dass sämtliche Gänge und Hallen voller Leute waren und ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Dasselbe galt auch für die Straßen in unmittelbarer Nähe zum Palast. Die angespannte Atmosphäre, die von beinahe allen Stadtbewohner auszugehen schien, ließ Kerry immer wieder ungewollt den Atem anhalten und erinnerte sie nur allzu deutlich daran, dass sie sich nun erneut in einer Situation befand, die sie schon einmal erlebt hatte: das Warten auf einen lang erwarteten Krieg, der nur darauf wartete, wie eine schwarze Woge über sie hereinzubrechen.
Plötzlich war sie in ihrer Erinnerung wieder in Fornost, kurz bevor die Horden Angmars die Stadt einschlossen. Sie sah die wenigen Dúnedain des Sternenbundes, die sich verzweifelt abmühten, die letzten Vorbereitungen so weit es ging abzuschließen. Ardóneth rannte an ihr vorbei, einen großen Stapel Pfeile im Arm. Er schien Kerry nicht zu bemerken. Gandalf, der Zauberer, schritt würdevoll auf sie zu, den ernsten Blick in die Ferne gerichtet und den weißen Stab fest in der Hand. Auch er nahm Kerry nicht wahr. An einer Straßenecke entdeckte sie Mathan, der mehrere Menschen in den Grundlagen des Schwertkampfes unterwies. Adrienne stand neben ihm, und wandte den Kopf, als Kerry sich näherte. Doch Adriennes Blick durchbohrte Kerry, als wäre sie gar nicht da. Zuletzt stieg sie die breiten Stufen zum Torhaus Fornosts hinauf, wo eine Frau im langen grauen Kapuzenumhang auf sie zu warten schien. Erst glaubte Kerry, es handele sich um Haleth, doch dann streifte die Waldläuferin vor ihr die Kapuze ab und die goldblonden Haare Mírlinns leuchteten Kerry entgegen. Mírlinn, die in der Schlacht um Fornost gefallen war. Sie streckte die Hand nach Kerry aus und legte sie ihr auf die Schulter, doch als Kerry spürte, wie der Griff etwas fester wurde und sie sanft schüttelte, verschwamm das Bild vor ihren Augen und Mírlinns trauriges, ernstes Gesicht verwandelte sich in das halb von schwarzem Stoff verborgene Antlitz ihres Gardisten, Tárdur.
"Dies ist nicht die Zeit für Tagträumereien," sagte er ohne Spott oder Vorwurf in der Stimme. Kerry sah sich um und stellte fest, dass sie in der Nähe der Straße standen, in der das Lorbeerblatt lag. Kurzerhand entschied sie, Morlas und Nityel einen Besuch abzustatten.
In der Gaststube war wenig los, wie Kerry mit einem raschen Blick feststellte. Die Ankunft ihrer drei bewaffneten Begleiter ließ die anwesenden Elben alarmiert aufblicken, doch Tárdur machte eine beruhigende Geste mit der Hand, und alle wandten sich wieder ihren Gesprächen und Getränken zu. Tárdur, Ramatar und Ristallë lehnten ihre Speere gegen eines der Fenster und folgten Kerry zu einem der Tische.
"Setzt euch," sagte sie, ohne selbst Platz zu nehmen. "Ich bringe euch etwas. Immerhin bin ich hier Schankmaid, zur Aushilfe."
Tárdur schien Kerry mittlerweile gut genug zu kennen dass er nicht versuchte, ihr diese Idee auszureden, so unangemessen sie für eine - zumindest adoptierte - hochrangige Dame auch sein mochten. Ramatar und Ristallë tauschten einen raschen Blick mit Tárdur, dann setzten sie sich gehorsam.
"Was hättet ihr gerne?" fragte Kerry.
"Etwas Tee," sagten Ramatar und Ristallë wie aus einem Mund, was Tárdur zum Schmunzeln brachte. Alle drei Gardisten hatten die Halstücher, die sonst immer ihre Münder verdeckten, herabgezogen, was Kerry gut gefiel.
"Ich denke, ich werde etwas zu Essen nehmen," sagte Tárdur und lehnte sich ein wenig in seinem Stuhl zurück. "Die exakte Auswahl der Speisen überlasse ich dir, hírilya."
Kerry ging und ließ die drei Gardisten an ihrem Tisch alleine. Morlas, der ungewohnt ernst wirkte, war einigermaßen überrascht, sie zu sehen. "Solltest du nicht im Palast sein, mit den anderen hochwohlgeborenen Persönlichkeiten?" fragte er, und legte damit doch wieder sein typisches, zwangloses Verhalten an, auch wenn es auf Kerry etwas aufgesetzt wirkte.
"Mittlerweile solltest du doch verstanden haben, dass ich wenig Wert auf meine Stellung lege," entgegnete Kerry und begab sich hinter die Theke, um Tee und Speisen für ihre Gäste zu beschaffen.
Morlas, der ihr gefolgt war, nickte im Gehen. "Natürlich, aber selbst du müsstest doch bemerkt haben, was in der Stadt vor sich geht."
"Alle warten darauf, dass es los geht," antwortete Kerry. "Und niemand weiß genau, wann es losgeht. Mit den Kämpfen, meine ich."
"So ist es..." meinte der Schankwirt. "Ein äußerst unschönes Gefühl. Wir sind gezwungen auf einen Schrecken zu warten, dem wir nicht entgehen können."
Kerry befüllte eine Teekanne mit heißem Wasser und hängte einen kleinen hölzernen Sieb hinein, den sie mit Teekräutern gefüllt hatte. "Ich versuche nicht so viel daran zu denken," sagte sie. "Die letzte Belagerung, die ich miterlebt habe, war..." Sie schüttelt den Kopf, um unangenehme Erinnerungen zu vertreiben, während sie für Tárdur mehrere Scheiben warmen Zwiebelbrots abschnitt. "Ich war damals viel zu nahe an den Kämpfen dran," fuhr sie fort. "Kannst du dir das vorstellen? Ich weiß nicht, was mich damals geritten hat, mich auf den Mauern herumzutreiben. Natürlich war Gandalf bei mir, und ich habe ihm ein wenig geholfen, aber..." Kerry atmete einmal tief durch und legte etwas Obst auf Tárdurs Teller. "...ich glaube, ich hätte damals nicht dort oben sein sollen."
"Wäre es dir lieber gewesen, an einem besser geschützten Ort zu kauern und auf den Ausgang der Schlacht zu warten?" fragte Morlas nachdenklich. "Jenen von uns, die nicht kämpfen können oder wollen, bleibt nur das Abwarten... auf den Mauern zu stehen würde zumindest dabei helfen, die Ungewissheit zu vetreiben."
Kerry hielt einen Augenblick in ihren Bewegungen inne, während sie über die Frage des Schankwirts nachdachte. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. "Nein, ich werde mich von dort fern halten," erklärte sie und setzte sich wieder in Gang. "Meine drei Begleiter dort," sie zeigte auf die Gardisten, die am Tisch auf sie warteten, "würden mich ohnehin niemals auf die Mauern steigen lassen, selbst jetzt sind sie schon nicht sonderlich davon begeistert, dass ich den Palast verlassen habe."
Morlas gab ein knappes Prusten von sich. "Ich wette, die drei sind sehr gut in dem, was sie tun." Kerry beschloss, dass er das als Kompliment gemeint hatte und nickte, ehe sie ihr gut gefülltes Tablett zum Tisch zurück brachte.
"Eine exzellente Wahl, hírilya," lobte Tárdur, der sich das Zwiebelbrot schmecken ließ.
"Der Tee schmeckt gut," merkte Ristallë an, Kerry kannte sie allerdings nicht gut genug um herauszuhören, ob die Gardistin es ernst meinte oder nur höflich war.
Ramatar gab ebenfalls einen zufriedenen Laut von sich, während er die Tasse in schnellen Zügen leerte, um dann wieder mit wachsamem Blick aus dem Fenster zu schauen. Er schien sich auf die Bewegungen auf der Straße zu konzentrieren, während Ristallë mehr das Innere des Lorbeerblatts im Auge behielt. In der Schankstube gab es nicht viel zu sehen. Die drei Zwerge, die bei Kerrys Eintreffen in einer Ecke geschmaust hatten, hatten mittlerweile ihre Mahlzeit beendet und schickten sich gerade an, die Gaststube zu verlassen.
"Das freut mich," sagte Kerry und nahm Platz. Sie hatte für sich selbst nur etwas Wasser mitgebracht, nach mehr stand ihr der Sinn gerade nicht.
"Der Gastwirt scheint ein guter Freund deinerseits zu sein," meinte Tárdur mit einem knappen Fingerzeig auf Morlas, der den Blick mit einem leicht spöttischen Grinsen erwiderte, eher er sich wieder daran machte, seinen Tresen zu reinigen.
Kerry nickte. "Er ist ein guter Arbeitgeber. Viel besser als diejenigen, die ich früher hatte."
Auf Tárdurs interresierten Blick hin erzählte Kerry in wenigen Worten von dem unerfreulichen Jahr, das sie nach ihrer Flucht aus Dunland in Bree verbracht hatte, wo Rilmir sie damals abgesetzt hatte, ehe er endlich zurückgekehrt und Kerry aus ihrem Elend gerettet hatte. Dabei musste Kerry an Haleth denken, die sich noch immer gemeinsam mit Elea in Farelyës Haus aufhalten musste. Haleth hatte ihr damals nicht erzählt, wo Rilmir abgeblieben war, nachdem sie gemeinsam mit Oronêl in den Tiefen Morias gelandet war. Nachdenklich geworden beschloss Kerry, die Dúnadan bald danach zu fragen.
"Ich sehe, dass es noch viele Geschichten gibt, die du uns aus deinem kurzen Leben erzählen kannst," sagte Tárdur und holte Kerry damit in die Realität zurück. Sie nickte und legte den Kopf um eine Winzigkeit schief.
"Mir kommt es schon vor, als wäre eine Ewigkeit seither vergangen," murmelte sie und strich sich dann eine lose Strähne von der Stirn. "So viel ist in den letzten beiden Jahren passiert dass ich das Gefühl habe, ein ganzes Leben auf einige kurze Momente gepresst erlegt zu haben."
"So erscheint es uns oft, wenn wir mit den jüngeren Völkern sprechen," sagte Ramatar bedächtig. "Monate und Jahre verstreichen rasch für die Älteren Kinder, für manche sind sie kaum mehr als ein Herzschlag."
"Und doch wissen wir die Zeit, die uns gegeben ist, zu schätzen," stellte Tárdur klar. "Insbesondere jetzt, wo es jeden Augenblick geschehen kann, dass unsere Zeit abläuft..."
Mit diesem etwas unheilvollem Satz noch in ihren Gedanken blickte Kerry zum Fenster hinaus, wo gerade ein Trupp Soldaten hin Richtung des nahe gelegenen Tores hastete. Sie fragte sich, ob dort wohl gerade etwas Wichiges geschehen würde...
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