Mathan und Oronêl
Aus der Sicht von Oronêl:
Der Elb blickte ihn unentwegt an, seine braunen Augen schienen ihn zu verschlingen und Oronêl wandte den Blick ab.
Arafin zog sich zurück, der andere Elb folgte ihm und sie beide standen sich allein gegenüber. Stumm maßen sie sich gegenseitig mit Blicken.
Oronêl räusperte sich und deutete auf einen etwas freieren Platz, hinter dem Lager wo die Verletzten lagen. Schweigend gingen sie durch die rastenden Elben, er beobachtete, das Mathan ungeduldig wirkte, verkniff sich jedoch seine Frage, noch war es nicht der rechte Zeitpunkt. Der Hauptmann setzte sich ins Gras, zog eines seiner beeindruckenden Schwerter und strich sanft über die Schneide. Erwartungsvoll blickte er auf, ein funkeln lag in seinen Augen als er sprach:
"Wie geht es jetzt weiter? Ich werde nicht tatenlos dasitzen und auf den Untergang unseres Volkes warten. Deswegen will ich auf Machtspiele verzichten, ich bin Hauptmann, doch hier...", der Elb sah sich um und Oronêl folgte seinem Blick. "...hier gibt es nichts zu retten, sie sitzen alle da und bemitleiden sich selbst, trauern um verlorenes-", der Hauptmann brach ab und schluckte hart, Oronêl war klug genug um ihn aussprechen zu lassen.
"Ich hasse Niederlagen...", murmelte der Elb und ballte die Fäuste, bis die Knöchel weiß wurden: "Hiermit übertrage ich euch die Verantwortung über die Flüchtlinge, doch werde ich immer in der Nähe sein, wenn es etwas zu besprechen gibt.", sagte Mathan plötzlich.
So ist er nicht durch sein Kommando gebunden und kann machen was er will.
Oronêl hatte Mitleid mit ihm, man sah, dass der Elb, trotz seiner eindrucksvollen Erscheinung, unter einen schweren Verlust litt. Allerdings nicht den seiner Heimat, es war etwas anderes. Er wurde aus dem Gedanken gerissen, als der Hauptmann aufstand und ihn erneut ansprach:
"Hat es euch die Sprache verschlagen? Oder wollt ihr nicht mit mir reden?", fuhr ihn der Elb an, eine einzelne Träne lief über seine rechte Wange.
"Nein, ich war am überlegen.", antwortete er schnell und nickte ihm zu.
"Ich denke wir sollten uns den Reitern anschließen und vorausreiten, in der Zeit kann Antien die Flüchtlinge in dieselbe Richtung führen.", fuhr er nach kurzen zögern fort.
Aus der Sicht von Mathan:
Mathan sah den Elb, der etwas hölzern auf ihn wirkte, lange in die Augen, gelegentlich wich er seinen Blick aus. Er hielt es für keine gute Idee die Flüchtlingsgruppe alleine losziehen zu lassen und äußerte seine Bedenken.
"Du hast recht, wir werden alleine losreiten.", antwortete sein gegenüber und er drehte sich langsam um. Im Gedanken war er schon in Aldburg, falls er wirklich in die Richtung ritt, würde er dann dort nach Halarîn suchen. Plötzlich fiel ihm etwas ein und er wirbelte auf dem Absatz herum:" Wo ist Galadriel? Sie war nicht bei meiner Gruppe und hier kann ich sie ebenfalls nirgendwo entdecken. Einige aus den ersten Gruppen haben sie ebenfalls nicht gesehen."
Aus der Sicht von Oronêl:
Oronêl hatte kurz das Gefühl, dass ihm das Herz in den Magen rutschte. Wie hatte er das bloß übersehen können, doch nach einer Weile beruhigte er sich wieder:
"Sie weiß was sie tut, außerdem kommen wir auch ohne sie zurecht, denke ich.", versuchte er den Hauptmann zu beruhigen, dieser nickte langsam:
"Du hast recht, meine Schwester ist in ihrem Gefolge und sie würde sich niemals ohne ein Wort davonstehlen.", bekräftigte er.
Oronêl atmete tief aus, die Wunde in der Schulter pochte dumpf, schmerzte aber nicht stark. Er setzte sich kurz und betastete die verbundene Stelle, als sei sie nicht Teil von ihm. Mathan beobachtete die Szene und hielt die Haare aus seinem Gesicht, seine linke Wange war übersäht von Kratzern, ein feiner Schnitt verlief knapp neben dem Auge.
"Da hatte ich mehr Glück als ihr.", kommentierte der Hauptmann und ließ die langen Strähnen wieder los.
Der breite Elb wandte sich zum Gehen um und hielt auf die Reiter zu.
"Reiten wir dem Heer entgegen.", sprach Oronêl hinter seinem Rücken und ein zustimmendes Brummen kam als Antwort von Vorne zurück.
Bei den Reitern angekommen, verteilten sie die Befehle und Mathan zögerte schließlich. Oronêl bemerkte es und drehte sich fragend zu ihm um.
"Ich hasse es auf Pferden zu reiten, ich laufe lieber.", gab Mathan zur antwort und ging an ihm vorbei, als ihm plötzlich sein rechtes Bein einknickte. Oronêl schaffte es noch ihn zu halten und erhaschte einen Blick auf die eingravierten Runen auf den Schwertscheiden, konnte sie sich aber nicht einprägen, da der Elb ihn von sich schob.
"Das wäre nicht nötig gewesen, aber ich danke euch trotzdem.", er stutzte und drehte sich zu ihm um.
"Darf ich vielleicht euren Namen noch einmal erfahren, ich fürchte, ich habe in vergessen.", fragte Mathan und er nannte seinen Namen, daraufhin nickte dieser nur.
"Bevor wir aufbrechen, möchte ich noch etwas trinken.", sprach der Hauptmann nach einer Weile und öffnete langsam die geballte Faust.
Vielleicht hat er seine Familie verloren? Oder er kann sich nicht von seiner Heimat trennen...
Während er weiter nachdachte, gingen sie zu einem behelfsmäßigen Zelt, in dem sich allerlei Proviant stapelte. Die Wache am Eingang nickte und trat zur Seite.
Aus der Sicht von Mathan:
Seufzend ließ sich Mathan auf eine Bank fallen und starrte Oronêl an und bedeutete ihm sich zu setzen. Nach kurzen zögern tat er das dann auch und setzte sich neben ihm.
"Wir sollten nicht zu lange verweilen.", sagte er, während der Elb trank. Ungeduldig setzte Mathan die Flasche ab und sah ihn von der Seite an, er hatte am ehesten einen Grund zu hetzen, nicht Oronêl. Er behielt den Gedanken für sich und sagte stattdessen:
"Ich reite ungern und hatte seit langer Zeit keine Ruhe. Diese kleine Rast ist nötig, ansonsten kann ich es vergessen nach...-", er biss sich auf Zunge und ignorierte den neugierigen Blick, den Oronêl ihm zuwarf.
"…ansonsten kann ich euch nicht begleiten.", beendete er rasch den Satz und nahm einen erneuten Schluck von dem Wasser. Er säuberte den Rand und bot seinen Sitznachbarn die halbvolle Flasche an, dieser trank einen kurzen Schluck und sah in den Himmel, während er begann mit leiser Stimme zu sprechen:
"Warum müssen uns solche Lasten auferlegt werden? Die dunklen Tage überschatten jegliches Gute. Ich weiß, als ihr den Befehl gabt zum Rückzug, dass ihr ungeheure Gewissensbisse hattet, doch es sind mehr entkommen als ich für möglich gehalten habe.", er machte eine lange Pause und Mathan überlegte, erinnerte sich an die mörderischen Gefechte zwischen den Bäumen, die vielen Elben die tot am Boden lagen oder bei lebendigen Leib verbrannten. Erneut wallte eine Woge puren Zorns in ihm auf und er biss die Zähne zusammen, er atmete tief ein und aus um sich beruhigen, schließlich entgegnete er mit fester Stimme:
"Was sind das für Prüfungen und von wem? Ich bin froh, dass meine Tochter nichts von all dem hier mitbekommt, denn würde sie es doch tun, so müsste ich auch um ihr wohl fürchten... Sind es denn unsere Prüfungen? Die der Elben? Sollen wir uns würdig erweisen nach Aman zu ziehen? Wenn das alles dafür notwendig ist, so verzichte ich darauf. Nichts in meinen langen Erinnerungen rechtfertigt solch ein Wahnsinn, auch keine Prüfung.", als er endete herrschte schweigen zwischen den Männern, vereinzelnde Rufe drangen zu ihnen vor, beunruhigten sie aber nicht. Oronêl wollte aufstehen, doch Mathan hielt ihn zurück:
"Du kennst auch keine Antwort auf meine Fragen?"
Der Elb mit der Narbe verneinte und schüttelte den Kopf. Langsam ließ er sich wieder auf die Bank nieder und Mathan wartete ab. Nach einer Weile der Stille begann Oronêl zu sprechen, seine Augen blickten dabei unentwegt in den Himmel:
„ Das Leben ist eine Prüfung, nicht die Umstände, in denen ihr euch begebt. Was wir daraus machen; das macht uns aus. Anders als die Menschen oder Zwerge, leben wir lange genug um unser Schicksal zu kennen und können versuchen es zu verändern.“, eine Pause setzte ein und Mathan warf seinen Sitznachbarn einen Seitenblick zu, die Stoffbahnen flatterten leise und Oronêl blickte noch immer in den Himmel. Die Worte brachten ihn zum Nachdenken, während der Elb mit der Narbe weitersprach:
„Verlorenes sollte man ruhen lassen, selbst Galadriel hat dies erkannt. Jeder Elb der es aus dem Wald geschafft hat, wird sich irgendwann dieser Worte bewusst werden und gestärkt in die Zukunft blicken können.“, Mathan sah erstaunt auf und blickte Oronêl lange an, schwieg weiterhin und trank noch etwas Wasser. Als er die Flasche absetzte, klopfte sein Herz laut und er dachte nach. Mathan spürte, das Halarîn noch lebte, konnte aber nicht sagen, ob sie in Gefahr war oder nicht.
„ Es ist nicht die Zeit, die einen formt…“, sagte er ohne Nachzudenken und stand langsam auf, seine Trauer war gewichen, er reckte sein Kreuz und schob die Brust heraus. Mathans Blick bohrte sich in die Augen von Oronêl und er rechte ihm wortlos die Hand:
„es sind die Schmerzen, aus denen wir lernen.“, beendete er den Satz und Oronêl ergriff seine Hand, er half ihm auf.
Aus der Sicht von Oronêl
Der Hauptmann machte auf ihn einen anderen Eindruck als zuvor, er wirkte etwas gelöster. Oronêl fiel es wie Schuppen von den Augen und er verstand endlich. Er legte behutsam seine Hand auf die Schulter von Mathan und sprach leise:
„Dazu zählt aber nicht Verlust; jeder Verlust ist der Beginn von etwas neuem.“, er bemerkte einige blasse Narben an seinem Hals, der fast vollständig von Haaren verdeckt wurde. Mathan hob den Kopf und sah ihn an, es schien als ob ein Feuer in seinen Augen brennen würde, er hatte die Kiefer zusammengepresst und die Stirn lag in Falten, entschlossen ballte er die Faust als er sprach:
„ Ich schlage vor, dass wir zusammen die Elben nach Aldburg führen werden und vorausreiten. Noch ist nichts verloren. Häuser kann man neu errichten und Bäume neu pflanzen. Nichts ist aussichtslos, ich danke dir, das du mir die Augen geöffnet hast und freie Sicht geschenkt hast.“, ohne weitere Worte drehte sich der Elb um und rauschte schnellen Schrittes aus seinem Blickfeld. Seine Worte hinterließen ein merkwürdiges Gefühl, eine Balance zwischen Hoffnung und Trauer. Gedankenverloren strich er sich über die Narbe und bemerkte erst jetzt, das Mathan ihn im letzten Satz ungefragt geduzt hatte.
Aus der Sicht von Mathan:
Mathan lief zwischen den Elben hindurch und zog seine Schwerter, er musste sich abreagieren. Einige Elben standen verwirrt auf, andere warfen ihm beunruhigte blicke zu, doch er ignorierte alle und marschierte zu einen großen Baum am äußersten Rand des Lagers. Mehrere Elben schlossen sich ihm an, einige trugen Waffen und er schickte sie wieder zurück.
Leise fluchend begann er auf das vertrocknete Holz einzudreschen, die Klingen schnitten das morsche Holz wie Wasser und als er fertig war, stand nur noch der dicke Stamm des Baumes. Er zog seinen Dolch und ritzte einige Schriftzeichen in das Holz, wohl darauf bedacht, dass niemand anderes als für den sie bestimm waren, sie lesen konnte. Der Elb trat einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk, für ungeübte Augen waren die Zeichen kaum zu erkennen. Als er zurückging, nahm er im Vorbeilaufen die abgeschnittenen Äste mit, zog den geradesten Ast heraus und warf den Rest achtlos beiseite.
Aus der Sicht von Oronêl:
Der Späher deutete einen Knicks an und verschwand, Oronêl blickte auf seine Axt, die an einem kleinen Fass lehnte.
Woher sie wohl kommen?
Als er den Blick hob und über das Lager streifen ließ, entdeckte er Mathan. Dieser rannte fast auf ihn zu und blieb vor ihm stehen, Oronêl entgingen nicht die Blicke, die man ihnen zuwarf.
„Was hat der Späher gesagt?“, verlangte der Hauptmann zu wissen und sah über seine Schulter nach Süden. Oronêl zog ihn etwas zur Seite und sagte leise:
„Eine Gruppe Zwerge, sie lagern südlicher Position von uns und unsere Späher blieben unentdeckt.“, antwortete er nur ausweichend, doch diese genügte dem Elben und das Feuer von vorhin loderte in seinen Augen wieder auf.
„Je mehr wir sind, umso besser. Ich schlage vor uns diese Zwerge mal anzusehen.“, schlug er vor.
Oronêl dachte kurz nach und nickte langsam, sagte aber leise und eindringlich:
„Wir sollten dennoch wachsam sein und Vorsicht walten lassen, wir können uns nicht sicher sein, was genau sie hier wollen.“, sein Gegenüber zog die Brauen zusammen und nickte schulterzuckend.
„Von mir aus.“, brummelte Mathan und ging langsam zu den Pferden, während Oronêl überlegte ob er seine Axt mitnahm. Nach kurzen zögern packte er sie und nahm sie mit, er würde sie an den Sattel hängen. Der Hauptmann hatte einen schnellen Schritt und er glaubte ihm, dass er fast ausschließlich zu Fuß ging. Bei den Pferden angekommen, machte er seine Axt am Sattel fest und saß auf. Er hoffte, sie taten das Richtige und hatte kurz den Blick des Elben vor Augen, als er ihm sagte, sie sollen nach Aldburg ziehen.
Aus der Sicht von Mathan:
Mathan rückte sich kurz die Schwerter zurecht, zog die Gürtel enger, damit sie beim Reiten nicht umherwackelten und schwang sich elegant in den Sattel. Beruhigend tätschelte er den Hals des Pferdes und sah zu Oronêl, er nickte ihm zu und sie gaben den Pferden die Sporen. Dumpf dröhnten die Hufe auf den Boden und wühlten das Gras auf. Es kam Mathan so vor, als ob hunderte Augenpaare auf ihnen lagen als sie losritten und er ließ den Blick schweifen. Zum Anduin, in dem größere, verbrannte und geborstene Bäume trieben und einzelne tote Orks. Er sah das breite Lager, in denen die meisten Elben im Gras saßen und ihre Bündel schnürten, andere räumten ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Das Lazarett, in dem die letzten Elben versorgt wurden und die bewusstlosen auf behelfsmäßigen Tragen gelegt wurden. Alles wurde immer kleiner, je weiter sie sich entfernten und Mathan hatte das Gefühl, dass der Tag noch die eine oder andere Überraschung bringen würde.