Gandalf, Celebithiel, Antien und Amrûn aus dem Lager der Orks auf dem Weg nach Isengard
„Dies hier ist nun Holt, meine Freunde. Hier sind wir vorerst sicher und unser neuer Gefährte kann hier wieder zu Kräften kommen“, sagte der Zauberer.
„Düster ist es hier, Mithrandir. Der Schatten der über Rohan liegt hat sich hier nicht gelüftet“, sagte Celebithiel. Ihre Miene war ernst und ihr Blick überflog die traurigen Gesichter der Bewohner.
„Man kann es ihnen nicht verübeln. Die Zeiten in denen sie leben sind die schlechtesten die sie kennen. Nicht jeder weiß, dass Mittelerde schon dunklere Epochen durchlebt hat“, antwortete Amrûn darauf. Seine Stimme klang sehr erschöpft nach diesem Ritt.
„Und trotzdem sind sie hier, um das zurückzufordern und zu wahren, was ihr eigen ist. Wir bleiben hier im Gasthaus, ich kenne den Wirten schon lange und er wird uns gut versorgen“, befahl Gandalf während sie den Dorfplatz erreichten.
Einige Menschen waren auf den Platz gekommen, um die Reisenden zu beobachten. Fremde waren in jenen Zeiten nie gute Gäste. Entweder waren es Orks oder es waren Feinde des dunklen Herrschers und beide Arten verhießen im Normalfall nichts Gutes.
„Guten Tag, Drakun“, sagte Gandalf zu dem dickbäuchigen Wirten. Sein Haar war braun und stark gekräuselt. Er trug einen Vollbart, der das meiste von seinem Gesicht verdeckte. Seine braun weiß gefleckte Schürze spannte schon etwas um den Bauch. Er blickte erstaunt auf den weißen Zauberer und begrüßte ihn recht herzlich: „Gandalf du alter Narr! Welch schöne Überraschung dich zu sehen. Zuletzt bist du hier eingekehrt als du vor König Theoden 'Möge er in Frieden Ruhen' und seinem Gefolge geflohen bist. Was verschlägt dich zu so finsterer Stunde in unser feines Dorf, oder ist es gerade die finstere Stunde die deinen Aufenthalt von Nöten machen?“
„Wie ich sehe hast du dich nicht verändert; du nimmst noch immer kein Blatt vor den Mund! Wir brauchen eine sichere Unterkunft, unser Freund hier ist sehr geschwächt. Wir haben ihn vor einer Bande Orks gerettet, nicht weit von hier entfernt“, sagte der Zauberer.
„Orks wirst du bei uns keine finden. Anscheinend sind ein dicker Wirt und drei alte Dummköpfe aus dem Dorf keine richtige Bedrohung für die dreckigen Orks. Sie haben uns in Ruhe gelassen. Hier in Holt gibt es keine kräftigen, jungen Männer die im Kampf etwas taugen, die sind alle gefallen in der Schlacht von Minas Tirith.“
Der Wirt nahm eine kleine Öllampe und zündete sie an. „Kommt folgt mir, ich bring euch hinauf in euer Zimmer“ forderte er die vier Reisenden auf. Der Raum war nicht sehr gemütlich, aber es war warm. Vier Betten standen in dem einfach eingerichteten Raum, ein Tisch und eine kleine Kommode.
„Ich danke dir Drakun. Wieder einmal beweist du, wie viel Gutes in einem Menschen noch steckt, auch wenn die Zeiten finster sind“, sagte Gandalf. Er wandte sich zu den Elben: „Hier legt euch hin meine Freunde, später werden wir gemeinsam Speisen. Ich habe noch etwas zu erledigen.“
Amrûn lies sich gleich in das erste Bett fallen. Er vertiefte sich in seine Gedanken.
„Meine schöne Rüstung, mein schönes Schwert, alles ist fort. Alles was meine Vergangenheit auszeichnete“, nuschelte er in sich hinein.
„Erzähl uns davon, Amrûn. Von der elbischen Rüstung die der Ork auf seiner Flucht davongetragen hat“, forderte ihn die Elbin auf.
„Ja, meine schöne Rüstung ist wohl für immer weg. Wisst ihr, ich habe sie damals von Gil-Galad, dem König erhalten. Es war in jener Zeit als Sauron in Eriador einfiel. Es ist schon so lange her... Damals Kämpfte ich Seite an Seite mit dem König. Die dunklen Schiffe kamen aus dem Süden und bombardierten Mithlond und von Osten kamen diese unzähligen Orks. Unsere Chance war sehr gering und trotzdem konnten wir die Schlacht für uns gewinnen und gemeinsam mit meinem Heerführer Elrond Eriador befreien. Ich war verletzt, genauso wie jetzt. Aber mein Kampfgeist war nicht gebrochen, nicht solange Sauron noch lebte. Ich wurde geheilt und erhielt als Dank für meine Leistungen in der Schlacht diese Edelstahlrüstungen. Sie trug die Ornamente von Eregion auf sich, aus reinem Mithril geschmiedet und die Runen auf meinem Schwert erzählten von den Heldentaten in Lindon. Es war alles was mir aus jener Zeit geblieben war.“
„Wie alt bist du Amrûn? Diese Geschehnisse liegen schon Jahrtausende zurück. Ich weiß davon, aber nur aus den Büchern von Elronds Bibliothek“, antwortete Celebithiel.
„Ja, ich verweile schon sehr lange auf Mittelerde. Länger als so manch anderer Elb. Am Beginn des zweiten Zeitalters wurde ich geboren, in der damals neu gegründeten Stadt Mithlond. Mein Vater war aus dem Segensreich gekommen um gegen den dunkelsten aller Herrscher zu kämpfen und erlag schließlich. Deshalb blieb ich mit meiner Mutter in Mittelerde und ging nicht in das Segensreich. Jeglichen Kampf nahm sie mir übel, denn der Verlust ihrer Liebe saß tief und hüllte sie ihr ganzes Leben lang in einen dicken, dunklen Mantel“, Amrûns Stimme wurde ganz zittrig. Seine Augen wurden ganz nass und eine Träne ran über seine Wange und tropfte auf das Laken. Celebithiel sah zu ihm hinüber, sie wollte nicht noch mehr fragen. Sie wollte in ihm nicht noch mehr Trauer hervorrufen.
Der Elb lag in seinem Bett und dachte lange nach. Er schloss die Augen:
Die Sonne war bereits weit gesunken, sie würde bald unter dem Horizont versinken. Amrûn stand am Hafen. Er sah seine Mutter an, die gegenüber von ihm stand.
„Mein Kind!“, sagte sie „Das Ende meiner Tage hier ist gekommen. Jede Stunde die ich länger bleibe ist eine Qual für meine Seele. Ich werde zu den Gefilden deines Vaters ziehen, in ein Reich, dass Glückseligkeit und Frieden für mich bringt. Bitte komm mit mir, dort gibt es keinen Krieg, keinen Schmerz und keinen Verlust. Dort können wir glücklich werden.“
Der Elb überlegte lange. Er wollte seine Mutter nicht verlieren, aber hier gab es so viel, was er noch tun musste. Hier waren all seine Freunde und all jene, die seine Hilfe brauchten. Amrûn konnte nicht gehen; noch nicht.
„Es tut mir Leid, Mutter. Mein Platz ist hier, bei meinen Freunden. Ich kann nicht mitkommen und in Ungewissheit leben, was aus ihrem Schicksal wurde“, antwortete er.
In seinen Augen leuchtete wieder der Mut und die Hoffnung. Er war entschlossen in seiner Sache.
„Wenn ich dich so höre, klingst du wie dein Vater. Er war ein großer Heerführer und ein tapferer Kämpfer, doch auch ihn hat das Schicksal des Todes ereilt. Komm mit mir! Erspare dir und mir dieses Leid, dass dich früher oder später treffen wird. In Valinor können wir glücklich werden“, sagte sie auffordernd. Ihre Stimme klang leicht bestimmend, wenn auch ein wenig zittrig und unsicher. Ihre Augen waren glasig und das rote Licht der Sonne spiegelte sich darin.
Amrûn ging einen Schritt auf sie zu und umarmte sie. Eine Träne kullerte über ihre Wange und landete auf der Schulter ihres Sohnes. „Es tut mir Leid“, flüsterte er ins Ohr.
Wortlos wandte sie sich um und ging über die Planke auf das Schiffsdeck. Zwei Elben lösten die Taue und das Schiff begann davon zu schwimmen.
Cirdan, der Herr von Mithlond stand neben Amrûn. „Eines Tages werden auch wir den Weg über das Meer finden, junger Freund. Dann wirst du deine Mutter wieder sehen“, sagte er mit vertrauter und sanfter Stimme.
Der Elb blickte auf die weite See hinaus. Die Sonne war nun am Untergehen. Sie lies den Meeresspiegel in einem kräftigen Rotgold aufleuchten. Das Schiff war nur noch ein kleiner Punkt am Horizont.Amrûn lag in seinem Bett und weinte, als er sich an den Abschied von seiner Mutter erinnerte. Viele Tage sind vergangen seither. Er konnte lange nicht ruhen, doch letztendlich überkam ihn die Müdigkeit.