Nein das ist es nicht.
Carracáin kramte in seinem großen Rucksack herum, auf der Suche nach einem ganz bestimmten Kristallgefäß.
„Hast dus jetzt, Carracáin? Die Legierung darf nicht zu heiß werden sonst-“
Carracáin schnitt Dwarkarnur das Wort ab. „Ja, ich weiß, ich habe schließlich die Grundbestandteile davon hergestellt.“
Genervt wühlte er zwischen den Kristallpulverbechern, und den Stapeln von weißem Papier, die er mitgebracht hatte. Da schlossen sich seine Finger um einen kleinen, bauchig-runden Behälter, gemeißelt aus reinem Bergkristall.
„Ich habs!“
Federnden Schrittes kam er zu dem Zergenschmied herüber, der schon ungeduldig an einem riesigen Bottich voller brodelndem Metall stand. Daneben waren die gleichen Apparaturen aufgebaut, die Carracáin auch schon in seinen Katakomben auf seiner Plattform aufgestellt hatte, auch wenn er an ein paar Stellen hatte improvisieren müssen.
„Pass auf,“, setzte er erklärend an, und wandte sich dabei Dwarkarnur zu, „das hier, ist mein Blut.“
Er schüttelte die rote Flüssigkeit in seinem Gefäß. Der Zwerg machte große Augen. „Damit habe ich auch schon Crólair gefärbt. Die Kunst, Farbe zu gewinnen, die so wirkt wie die meine, ist eine Kunst, die ich mir ganz alleine in den Minen von Cristálon erarbeitet habe. Sie ist mein Geheimnis. Verstehst du? Gut. Während ich das hier tue, halt die Luft an, und hol am besten mal ein paar deiner Leute, damit sie uns frische Luft zufächeln.“ Mit diesen Worten strich er sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht und legte seine Finger auf die Apparatur.
Das war sein Moment.
Zitternd nahm er ein anderes Gefäß in die Hand. Es war ein gläserner Pokal, und in ihm schwappte eine tiefschwarze Flüssigkeit, dick und unansehnlich, hin und her. Es war nicht der gleiche Prozess wie bei der Färbung Crólairs, denn hier mischte er zwei Farben, musste sie aber trotzdem voneinander getrennt halten. Es war kompliziert, aber für ihn war das kein Neuland. Er hatte allein fünf Jahre damit verbracht, dieses Gebilde aus Röhren, Schläuchen, Destillationsbehältern und Hitzeleitern zusammenzubauen, das sich da vor ihm erstreckte, er wusste von jedem einzelnen Gläschen wozu es gut war, und er wusste, auf welche Temperatur man jede einzelne Kristallkanüle bringen musste. Ja, auch das war eines seiner Lebenswerke.
Er holte tief Luft, schlang sich ein schwarzes Tuch über Mund und Nase, und gab dann einem der Diener Dwarkarnurs ein Handzeichen. Dieser nickte hastig, und begann dann mit seinen Kumpanen einen riesigen Blasebalg zu betätigen.
Die Hitze unter der Arbeitsplatte wuchs, und sie hatte nur eine Steinspalte, durch die sie entweichen konnte, und durch die sie genau auf ein Kristallgefäß traf. Die farblose Flüssigkeit in dem Gefäß fing an zu blubbern, und die Blasen mit unsichtbarem Stoff, der aus der Flüssigkeit herausgefiltert wurde, liefen durch mehrere Kanäle auf andere Flüssigkeiten zu, sowie auf mehrere Stangen aus seltsamem Material, die sich erhitzten, sobald sie mit dem Gas in Berührung kamen.
Fast sofort war die gesamte Apparatur im Gang, weißglühende Stangen Metall zogen sich durch die Schluchten aus Kristall, die das Gerät bildete, und Carracáin musste grinsen.
Er schüttete die schwarze Flüssigkeit in einen Trichter.
Jetzt geht†™s los.
Als die ersten Tropfen der absoluten Definition von „Rabenschwarz“ auf die Dämpfe innerhalb des Geräts trafen, war es, als würde plötzlich alles Licht der Halle in dem Gefäß implodieren, und dann mit atemberaubender Geschwindigkeit davongestoßen, in wirbelnden Schlieren, durchbrochen von tiefviolett schimmernden Strahlen, die gleißend durch den Lichttanz schnitten. Ein Raunen ging durch die Halle, als das Gemisch gurgelnd hin und her schlug, als leuchtende, goldene Lichtfünkchen das Gebräu umhüllten, und sich ein dichter, Obsidianschwarzer Nebel, so dick wie Wasser in die Rohre ergoss. Das Licht der Halle pulsierte wie eine gigantische Aura um Carracáins Plattform herum, ballte sich wie ein gewaltiges Herz zusammen, und floss dann Wellen werfend wieder zurück. Der lautlose, und dennoch dröhnende Puls des Lichts raubte Carracáin fast die Besinnung, aber mit schweißnassem Gesicht schaffte er es, seine Hände zur Ruhe zu zwingen. Er gab allerlei Substanzen zu der von Schwaden verdeckten Flüssigkeit, und als allerletztes ließ er einige Tropfen des Rabengifts, das ihm sein Gesicht zerfressen hatte, in die Gläser rollen.
Rasant veränderte sich die Flüssigkeit, sie tobte umher, changierte lebhaft zwischen goldenem Schimmern und Schwarzem Feuer, warf rasende Schatten an die Felswände, bis es sich aufbäumte, und als Schwarzer Eiskristall erstarrte. Der zwergische Schmied warf Carracáin einen besorgten Blick zu, aber es lief alles nach Plan! Das mit der Lichtaura war zwar nicht eingeplant, aber... vielleicht hat das nichts zu bedeuten.
Die schwarze Farbe war jetzt eigentlich fertig, aber dank ein paar zusätzlichen Substanzen hatte er die Struktur des Gemischs so verändert, dass es einen sehr sehr hohen Gefrierpunkt hatte. Unter 200 Grad würde es nicht schmelzen, und genau das hatte der schweißüberströmte Elb beabsichtigt. Er träufelte ein paar Tropfen seiner Blutfarbe in eine lange, spiralförmige Kristallröhre, und begann zu beten.
Wenn diese, vorher schon mehrfach behandelte rote Farbe auf seine sehr reaktionsfreudige schwarze Farbe traf, sollten sich Bestandteile des Blutes, die Farbstoffe nämlich, zwischen die Kristallstruktur des schwarzen Eiskristalls schieben, und ihn mit einem Netz aus Rot durchziehen. Dabei würde eine Menge Hitze freigesetzt und Carracáin hoffte inständig, dass nicht alles auf einmal entweichen würde. Würde der Prozess auch nur vier Sekunden dauern, dann hätte sein Bangen ein Ende, dann wäre die Hitze so gleichmäßig freigesetzt worden, dass die Kristalle des Apparats nicht springen würden. Aber sollte der Prozess kürzer dauern, so wäre die Hitze zu groß.
Das Gebilde würde Platzen, und innerhalb von der nächsten Minute wären alle hier in dieser Halle tot, gestorben an verätzten Atemwegen und einer brennenden Lunge.
Das wollte Carracáin natürlich nicht, und angsterfüllt sah er den blutigen Armen zu, wie sie in dem schwarzen Kristallgebilde wucherten. Sie fingen an zu glühen, und schnell zog Carracáin seine Hände von den brühheißen Gläsern weg. Er zählte.
Eine Sekunde.
Die blutigen Adern in dem Eis fraßen sich durch die Dunkelheit in dem Kristall.
Zwei Sekunden
Der Kristall warf Blasen, Carracáin konnte förmlich sehen, wie die Gitterstruktur in ihm zerfiel.
Drei Sekunden.
Das Eis zerfloss nicht, sondern verdampfte sofort, rabenschwarze, ölige Schlieren entwichen, in denen es rot aufblitzte, wie schillernde Flügel von blutigen Insekten.
Vier Sekunden.
Aus.
Mit einem gewaltigen Schlag brach die Welt um Carracáin auseinander. Der gigantische Lichtpuls krampfte sich in einem allerletzten Aufbäumen zusammen, und fetzte dann mit einem ohrenbetäubenden lautlosen Knall auseinander. Das Auge Carracáins zerbrach förmlich an der schieren Menge an Licht, die in einem Taifun aus Farben um die Plattform toste, sich in silbrige, irrlichternde Polarlichter ergoss und sogleich wieder in einem changierenden Goldregen auseinanderstob. Der gepeinigte Elb presste sein Auge zusammen, stand er doch dort, wohin sich der gesamte Schein konzentrierte, stand er doch dort, wo gerade für Bruchteile einer Sekunde ein gewaltiger Stern, umfangen von rasenden Silberschweifen, aus seiner Taufe gehoben wurde.
Dann war es vorbei.
Der leuchtende Herzschlag setzte aus, zerfaserte in der Dunkelheit der Halle, und verlor sich auf dem kalten Stein.
Doch niemand konnte etwas sehen.