Reise in die Finsternis
Nachdem Andurion seinen treuen Untertanen und auch Freunden Bescheid gegeben hatte, dass er am nächsten Tage aufbrechen würde in das Reich der Dunkelheit und des Todes, begab er sich wieder in seinen Turm und darin in seine Gemächer. Wie jeden Abend versperrte er die hübsche goldene Tür hinter sich mehrmals und legte anschließend noch einen, vor der Dunkelheit schützenden, Zauber darüber, auf dass seine Seele niemals verunreinigt werden würde und die bösen Dämonen der Dunkelheit ihn nicht im Schlaf überraschen könnten. Anschließend bewegte er sich zu seinem Schreibtisch, dieser war vollgeräumt mit verschiedensten, geöffneten Büchern in denen zumeist irgendwelche Symbole abgebildet waren die verschiedene Bedeutungen für sein Volk und auch das gesamte Land Kaledonien hatte. Der gesamte Raum wurde nur durch eine einzige, anscheinend unter einem Zauber stehender, Kerze erhellt. Das wärmende, etwas rötliche Licht erfüllte den ganzen Raum mit einer angenehmen Wärme und verschaffte Andurion die nötige Sicht zu seinem schneeweißen, aus Seide bestehendem, Bett. Nun, da er seines Erachtens alles an diesem Tag getan hatte, was getan werden musste, nahm er nur noch seine rote Maske von seinem Gesicht und legte sich mitsamt seiner gesamten Kleidung in das weiche Bett um anschließend in das Reich der Träume zu gelangen.
Doch diese Nacht sollte nicht wie die bisherigen werden. Worte, dunkle Worte, in dieser fremden aber doch irgendwie vertrauten Sprache, prägten sich immer mehr in seinen Kopf ein, er konnte sie in seinen Träumen die gesamte Nacht über wahrnehmen als hätte es ein Dämon geschafft an diesem mächtigen Schutzzauber hindurch zu gelangen und die Gedanken des Lichtkönigs zu beeinflussen. Man konnte deutlich erkennen dass der König keinen guten Schlaf hatte, er wälzte sich in seinem Bett hin und her, gab manchmal ein paar Laute von sich die schon fast nicht mehr von seinem Volk stammen konnten, grauenhafte Geräusche so kreischend und krächzend wie jene, die der Botschafter verwendete.
Plötzlich wurde Andurion aus dem Schlaf gerissen, einer seiner Günstlinge hatte die Unruhe bemerkt und mit Hilfe körperlichen Einsatzes die goldene Tür zu sprengen. „Mein König, geht es euch gut.... Es hörte sich so an als wäre ein Dämon über euch gekommen....“, Andurion hatte die Augen noch immer geschlossen, er bemerkte dass jemand mit ihm redete, jedoch wollte er diese Stimme nicht als Realität wahrnehmen, es konnte doch nicht sein dass einer seiner Günstlinge den größten Fehler begann, den er Andurions Ansicht nach machen konnte. „Günstling des Lichts. Treuer Diener des Lichtkönigs. Du glaubst an unseren Gott Ardion, du glaubst an unsere Gesetze und kennst unsere Rechte und Verpflichtungen. Doch warum... wieso brichst du jenes, auf das du geschworen hast?“, es trat unendliche Stille ein, man konnte nicht mehr den geringsten Laut wahrnehmen, nicht einmal einen Atemzug der beiden konnte man hören in diesem absolutem Schweigen. „Ich wollte euch schützen, Andurion, König.“, obwohl die zittrige Stimme des Günstlings darauf hinwies dass er bereits wusste was ihm bevorstand, dass er wusste den Kodex dieser Bruderschaft des Lichts gebrochen zu haben und somit den Tod verdient hatte um Ardion über sich selbst richten zu lassen, bemerkte der Lichtkönig doch die Wahrheit in seinen Worten. „Ihr seht meinen Mund, ihr seht meine Nase, doch meine Augen bleiben euch verwehrt. Euer Blick ist starr, ihr könnt ihn nicht abwenden, meine Haut ist zu rein, mein Gesicht zu schön. Versucht nicht euch zu wehren. Denn nicht ich bin derjenige der über euch richtet, sondern nur unser Gott, der Herrscher des Lichts und der einzige wahre Glauben auf diesem Lande, er alleine hat die Macht über eure Seele und euer Schicksal zu entscheiden.“, er öffnete nun die Augen, wie gelähmt blieb der Günstling in der weißen Robe vor ihm stehen und konnte sich nicht mehr bewegen. Langsam färbte sich das Blut in seinen Adern in eine schwarze Flüssigkeit, es glich fast einem Netz welches über seinen gesamten Körper gelegt wurde, jedoch war es seine Seele die zerberstet war und die Boshaftigkeit in dessen Seele freiließ. „Ein Günstling des Lichts warst du wohl kaum, die Dunkelheit hat dich verpestet, dir jeglichen Glauben an unser Volk geraubt, wie konnte ich nur so geblendet sein um nicht zu erkennen, einen Verräter unter uns zu haben.“, Andurion erhob sich von seinem Bett, denn es war bereits hell geworden und die Sonne tauchte das gesamte Land wieder in eine angenehme Wärme. Der leblose Körper des ehemaligen Günstlings knickte zusammen und zerbrach vor dem schneeweißen Bett in schwarzen Sand. „Mein Blick belohnt die reinen Seelen und bestraft die Unreinen.“, mit diesen Worten packte er abermals seine rote Maske und setzte sie sich auf, anschließend ging er zu seinem Fenster und blickte weit in die Ferne wo er das dunkle Land erkennen konnte.
Mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt blickte er hinaus, er spürte die Wärme der morgendlichen Sonne auf seinem Gesicht, deshalb musste er die Augen schließen. Diese angenehme Wärme musste so viel Haut seines Körpers wie es möglich war berühren. Es kam ihm an diesem Tage fast so vor als würde das Licht ihm mehr Kraft verleihen als sonst, als ob sein Gott ihm helfen wollte für die bevorstehende Reise. Nachdem die Dunkelheit den König des Lichts wieder geschwächt hatte und seine Sinne erschlaffen ließ, tat es ihm außerordentlich gut diese neue Stärke zu erfassen, denn nun hätte er wieder die nötige Aufmerksamkeit die er wahrscheinlich über mehrere Tage beibehalten musste um nicht in der Dunkelheit unterzugehen.
„Mein Herr, was ist hier geschehen? Eure Reise, sie wird bald beginnen.“, sprach ein Günstling der seinem Blick nicht trauen konnte und im Türrahmen stand. Andurion drehte sich langsam zu ihm um und lächelte ihm freundlich entgegen. Er ersparte sich sämtliche Worte, sein leichtes Nicken und sein zufriedener Gesichtsausdruck mussten dem Günstling genug an Antworten liefern und so verschwand der in einer roten Robe gekleidete Günstling wieder aus dem Raum und ließ seinen König noch einige Zeit alleine. Dieser Tag war zu schön, die ersten Vögel konnte man zwitschern hören, das Gras hatte ein dermaßen sattes Grün wie seit Ewigkeiten nicht mehr und der Himmel war wunderschön blau dass die Sonne ihr gesamte Stärke auf das Land auswirken konnte, es tat ihm schon fast Leid genau an solch einem Tag in dieses dunkle Land aufbrechen zu müssen und seinen Orden nach dieser Jahrzehnten langen Ruhe auf sich alleine gestellt lassen musste.
Nachdem er seine letzten Gedankengänge verarbeitet hatte machte er sich schließlich auf. Andurion bewegte sich nun in Richtung der Wendeltreppe und schritt langsam hinunter, jeden Schritt mit dem er sich weiter nach unten bewegte schmerzte ihn. Irgendetwas war an diesem Tag grauenhaft, sein Gefühl in dieses Land zu gehen alleine war es nicht, irgendetwas sagte ihm dass es einen Konflikt zwischen dem Volk des Lichts und dem Volk des Schattens geben würde. Schließlich am Ende der Treppe angekommen öffnete er die Pforten vor sich und schritt langsam wieder an den luxuriösen, riesigen Häusern vorüber bis er abermals bei den kleinen, schäbigeren angekommen war und die uralte Mechanik dieses Tores wieder einmal gestartet werden musste. Als die Tore letztendlich geöffnet waren und der Lichtkönig sich nach draußen begab, drehte er sich noch ein letztes Mal zu seiner Festung um, die Bürger, seine Günstlinge und auch seine Untertanen blickten ihm traurig hinterher, obwohl seine Ausbildung streng und hart war, wurde er doch sehr gemocht.
Mit einer abermals harmonischen Handbewegung, die in der Menge vor ihm ein leichtes Raunen auslöste, segnete er die Festung noch einmal ab und wollte sie somit vor Angriffen verborgener Feinde schützen, denn während seiner Abwesenheit könnte es eventuell zu Angriffe verschiedenster Völker oder Kreaturen kommen und er würde dann rein gar nichts dagegen unternehmen können.
Das Land der Dunkelheit
Nach dieser beinahe traurigen Verabschiedung, machte sich Andurion auf in das Reich seines größten Widersachers, dem Herrscher des dunklen Landes. Erst nach ein paar Tagen des Fußmarschs verspürte er wie seine Fußsohlen leicht zu brennen begannen, der Boden war nur mehr kahl und nicht mehr mit diesem weichen, grünen Gras übersäht. Langsam wechselte auch der einfach nur kahle Boden in eine sehr bucklige, steinige Art von Belag, an manchen Stellen waren riesige Krater, an anderen wieder waren riesige Anhöhen, doch eines hatte der gesamte Boden, die gesamte Landschaft gemein – sie war eintönig und dunkel, es strahlte die pure Bosheit die in diesem Land herrschte aus.
Desto tiefer er in den Kern dieses Landes eindrang, desto schwächer wurde er, zwar hatte er noch immer dutzende von Amuletten sowie Ringen umgehängt und angesteckt, trotzdem versuchte dieses Land ihn in die Knie zu zwingen. Es gab jedoch etwas, das den Lichtkönig doch sehr verwunderte – warum attackierten ihn keine Wesen in diesem Land, warum war es so friedlich hier – eventuell wollte der Herrscher dieses Landes dass Andurion zu ihm gelangt, vielleicht wollte er unbedingt mit ihm sprechen? Wieder einmal schossen ihm dutzende von Fragen im Kopf herum obwohl er wahrscheinlich die Antwort darauf schon kannte, jedoch war seine Unsicherheit so stark wie schon lange nicht mehr. Schließlich war er so in seine Gedanken und Fragen vertieft dass er überhaupt nicht bemerkte dass bereits die Nacht angebrochen war, obwohl die Dunkelheit dabei nicht viel aussagen konnte. Er entschied sich schlafen zu gehen, zwar kreuchten ständig irgendwo Kreaturen umher, doch er kannte keine Angst und schlief friedlich ein. Nach weiteren drei Tagen mit schnellem Schritt und einem weiten Marsch war er endlich angekommen. Er konnte eine Festung die sich großflächig über dieses gesamte Land verbreitete erkennen, sie glich fast einem Friedhof. Alle paar Meter stand ein Grabstein, überall waren Zäune aus Metall, jedoch befanden sich auch riesige Mauern um den wahren Kern, wo sich der Herr über dieses Land befand. Langsam aber mit sicheren Schritten ging er auf das riesige, pechschwarze Tor mit verdreckten silbernen Henkeln zu und klopfte mit ein paar starken Hieben an den hölzernen Torflügel. Er vernahm kurz darauf leichtes Wimmern als auch Schreie von gefolterten Leuten, die anscheinend tief unter der Erde in einer Art Kammer gefangen gehalten wurden.
Plötzlich öffnete sich nur ein paar Zentimeter neben der Stelle wo Andurion gerade zuvor dagegen geklopft hatte ein Spalt und ein ziemlich großes, eklig gelblich schimmerndes Auge blickte heraus und musterte den König des Lichts genau. Hastig stieß diese erbärmliche Kreatur ein paar Worte heraus, es war deutlich zu vernehmen dass sie bereits etwas wisperte, ob diese Art von Wispern jedoch angeboren war wagte Andurion zu bezweifeln: „Wer... Wer seid ihr?“, der Aroit ging ein paar Schritte nach vorne und blickte tief in das gelbe Auge um schließlich eine Antwort zu geben: „Ich bin Andurion, aus dem Land des Lichts, ich komme um den Herrn des Schattenlandes zu sprechen.“, die Worte erfüllten dieses Ungetüm hinter dem Tor anscheinend mit Angst, sein beinahe riesiges Auge fing plötzlich an wie wild hin und her zu zucken und verschwand schließlich wieder indem der Holzspalt der gerade zuvor geöffnet wurde, wieder geschlossen wurde.
Leise brabbelte Andurion vor sich hin: „Das war es dann wohl, ich werde niemals die Antworten bekommen die ich so begehre.“, er hatte bereits umgedreht und zum ersten Schritt Richtung Heimat angelegt als sich hinter ihm auf einmal etwas regte. Mit einem Knarren, bei weitem nicht mit den Knarren der riesigen Tore seiner Heimatstadt vergleichbar, öffnete sich das schäbige Tor welches beinahe so wirkte als würde es jeden Moment zusammenbrechen. Zufrieden drehte sich der Aroit wieder um und schritt langsam durch das Tor hindurch in den Kern des dunklen Landes.
Egal wo er hinblickte, egal wie sehr er versuchte seinen Blick von scheußlichen Kreaturen, dreckigen und blutigen Landschaften und ebenso armseligen Hütten abzuwenden, überall wo sein Blick versuchte etwas grauenhaftem auszuweichen, erhaschte er etwas neues noch grausameres. Auf der rechten Seite befanden sich sämtliche Kreaturen, sie bestanden fast nur noch aus Knochen und vereinzelt hingen an diesen noch die Haut oder sogar noch Fleischstücke sowie Teile von ehemals vorhandenen Organen herunter. Der grässlichste Anblick für Andurion persönlich waren wahrscheinlich die gerade erst Wiederauferstandenen, diese noch fast das komplette Aussehen eines normalen Lebewesens hatten, jedoch fehlten ihnen eventuell Augen oder die Haut, sie war an manchen Stellen so gut wie komplett abgelöst und das blutige Fleisch kam zum Vorschein. Am Kopf zappelten etliche Insekten herum oder bohrten sich sogar durch das leicht verfaulte Fleisch in seine Organe. Auf der anderen Seite wiederum befanden sich eher mysteriöse Wesen, schwarze Gestalten, meist in Kutten aber auch in engen Anzügen und blasser Haut, zwar besaßen sie auch eine eher knöchrige Körperformen jedoch grauste es Andurion vor diesen Gestalten nicht so sehr, wie vor jenen zu seiner Rechten.
Er erfreute sich schon beinahe daran endlich beim nächsten Tor angekommen zu sein um endlich in das Hauptgebäude eintreten zu können. Auf der ebenfalls modrigen hölzernen Tür befanden sich etliche Runen, dieses Mal jedoch waren ihm einige sichtlich unbekannt, deshalb versuchte er sie sich so gut wie möglich in sein Gedächtnis einzuprägen, eines Tages würde er sie noch brauchen können sagte eine innere Stimme zu ihm. Obwohl es ihm um seine Reinheit Leid tat, die er über mehrere Jahre beibehalten konnte, musste er den dreckigen, von Insekten befallenen und von Blut verklebten Torhenkel angreifen und das Tor langsam öffnen.
Er öffnete das Tor und erkannte einen, eigentlich nur sehr kleinen, blutigen Raum, an den Wenden kam eine Art giftgrüner Rauch herabgeschwommen und bedeckte auch ein paar Zentimeter hoch den Boden. Die Tür schloss sich hinter dem Lichtkönig wieder mit einem lauten Knall und ließ ihn alleine in diesem düsteren Raum. Nun schritt er weiter und erkannte schließlich dass der Rauch an einer Treppe weiter nach unten sackte und bewegte sich langsam in Richtung dieser vermutlich steinernen Treppen, diese mit Insekten und Blut, aber auch anderen Flüssigkeiten und wahrscheinlich auch Abfällen übersäht war, denn bei jedem Schritt verspürte Andurion entweder ein unangenehmes Knacken unter seinen Füßen oder etwas feuchtes, beinahe triefnasses. Langsam ging er die Treppen hinunter, immer und immer wieder folgte eine weitere Treppe. Desto tiefer er in die Gruft hinunterstieg, desto mehr modriger Gestank drang in seine Nase und verzog sein Gesicht manchmal sehr. Nach einiger Zeit hatte er endlich die Treppe verlassen und landete auf einem langen Gang, dieser führte zu einem weiteren, großen Tor mit verschiedenen rituellen Symbolen und beinahe riesigen Henkeln. Auf der linken und rechten Seite befanden sich auch mehrere kleinere Einbuchtungen mit Türen, Andurion wollte sich nicht vorstellen was hinter diesen Türen alles geschah denn teilweise konnte er Schreie und Gewinsel hören. Schließlich war er über den langen Steg und über diesen giftgrünen Rauch der sich unter ihm befand gelangt und öffnete das Tor langsam.
Noch bevor der Flügel ganz geöffnet war konnte Andurion den dunklen Herrscher auf seinem steinernen, ebenfalls mit Blut verschmierten Thron sitzen sehen, mit einer Eleganz, wie sie für Wesen seiner Art eher untypisch war. Der König des Lichts, so hell er auch leuchtete, durch seine Reinheit und seinen Glauben, erlosch beinahe durch die niederdrückende Dunkelheit und die Bosheit die in diesem Raum und überall in diesem Land herrschte. Nun stand er endlich seinem Ziel gegenüber, nun würde er vielleicht endlich seine dutzenden von Fragen beantwortet bekommen.
~weitere Kapitel folgen~
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