Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Imladris

Die Gärten Bruchtals

<< < (2/2)

Eandril:
Oronêl und Irwyne aus Elronds Haus...

Die Gärten unterhalb von Elronds Haus waren von vielen kleinen Bächen, die von den Bergen im Osten herabplätscherten durchzogen, und über diese schwangen sich viele kleine und größere kunstvolle Brücken. Über einem dieser Bächer befand sich etwas exponiert auf einem kleinen Hügel eine steinerne Bank, und dorthin führte Irwyne Oronêl. Auf der Bank saß eine Elbenfrau und blickte über das Tal, und bei ihrem Anblick erstarrte Oronêl. Auf der Bank saß Calenwen - so schien es ihm zumindest. Doch es war unmöglich, denn sie war nach Westen gefahren und er würde sie nicht wiedersehen, bis er ihr über das Meer folgte. Mit der rechten Hand strich er über den Anhänger aus Mallorn-Holz, den er immer trug seit er in Dunland das Kästchen geöffnet hatte, dass sie ihm hinterlassen hatte, atmete tief durch und folgte Irwyne langsamen Schrittes. Das Mädchen war bereits einige Schritte voraus, und rief: "Finelleth!"
Die Elbin wandte sich zu ihr um, und statt ihres Profils konnte Oronêl nun ihr ganzes Gesicht erkennen. Je näher er kam, desto mehr Unterschiede zu Calenwen entdeckte er: Finelleths Haar war sandfarben, während Calenwens Haar in einem dunklen Braun geglänzet hatten. Die Nase war etwas kürzer, die Augen etwas dunkler und die Wangenknochen etwas höher, und dennoch... dennoch... Sie kam Oronêl bekannt vor, und eine Verwandschaft mit seiner Frau war offensichtlich. Doch auf welche Weise? Den Stammbaum des Hauses Lenwe kannte er. Linwiel, Malgalads Tochter hatte drei Kinder gehabt: Oropher, Malire und Amdír. Amdírs einziger Sohn war Amroth gewesen, der keine Kinder gehabt hatte. Auch Oropher hatte nur einen Sohn gehabt, und das war Thranduil, der König des Waldlandreichs, dessen einziges Kind Legolas in der Schlacht gefallen war. Soweit er wusste, hatte Legolas keine Kinder gehabt.
Malires einziges Kind wiederum war Calenwen, also musste Finelleth über Calenwens Vater Rúmil mit ihr verwandt sein. Allerdings war da noch eine andere Ähnlichkeit, doch Oronêl kam nicht darauf, mit wem.

So in Gedanken versunken hätte er beinahe Finelleths freundliche Begrüßung nicht gehört. "Mae govannen", erwiderte er gerade noch rechtzeitig. "Ich freue mich, eine Freundin von Irwyne kennenzulernen." "Ich freue mich ebenfalls, den berühmten Oronêl kennenzulernen", sagte Finelleth mit einem kleinen Lächeln. "Irwyne hat mir bereits viel über dich erzählt."
Die Wangen des Mädchens liefen rot an, und beide Elben mussten lachen. "Nur gutes, hoffe ich."
Irwyne schob die Unterlippe vor. "Es gibt nichts schlechtes über dich zu berichten", sagte sie, worüber Oronêl erneut lachen musste. "Das gäbe es sicherlich, aber ich zeige mich nur von meinen besten Seiten, wenn du in der Nähe bist."

"Finelleth ist ebenfalls eine große Kriegerin", sagte Irwyne. "Sie hat mich und Antien gerettet, als wir auf dem Pass von Orks angegriffen wurden - auch wenn wir sie hinterher zusammenflicken mussten", fügte sie mit einem sitzbübischen Lächeln hinzu. Jetzt war es an der Elbin, leicht rot anzulaufen. "Das waren doch nur ein paar Orks, und ich bin immerhin verwundet worden."
"Nur ein paar Orks." Oronêl zog eine Augenbraue in die Höhe, und ihm wurde plötzlich der zweite Grund klar, warum Irwyne es so eilig gehabt hatte, ihn Finelleth vorzustellen. Dass sie ihn und Elrond belauscht hatte, hatte sie offenbar auf Ideen gebracht... Die kleine Intrigantin wollte ihm anscheinend auf diese Weise eine Kampfgefährtin für Fornost verschaffen. "Wo hast du das Kämpfen gelernt, im Waldlandreich?"
Es war mehr oder weniger ins Blaue hinein geraten, doch es gab nicht viele andere Möglichkeiten. Nach einer Elbin aus Bruchtal oder Lindon sah Finelleth nicht aus, sondern eher nach einer Waldelbin, und dann war da noch die merkwürdige Ähnlichkeit mit Calenwen und jemand anderem, der ihm einfach nicht einfallen wollte. Zog man alles in Betracht, so blieben nur noch Lothlórien und das Waldlandreich übrig. Er verbannte den Gedanken an Lórien so schnell wie möglich aus seinem Kopf.

"Ja, im Waldlandreich...", antwortete Finelleth zögernd, und Oronêl erkannte sofort, dass sie nicht gerne über ihre Herkunft sprach. Er beschloss nicht weiter nachzufragen - vielleicht später, wenn sie ihm vertraute.
"Genau, und eigentlich heißt sie Faer..." Irwyne verstummte unter dem strafenden Blick der Elbin. Finelleth seufzte, und erklärte: "Mein Geburtsname ist Faerwen, aber ich habe mich an Finelleth gewöhnt."
"Die Namen passen beide zu dir", erwiderte Oronêl, und deutete eine Verbeugung an. "Ich ziehe bald nach Fornost weiter, doch Elrond befürchtet dass die Stadt bald angegriffen werden könnte." Er strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fuhr fort: "Eine Freundin von Irwyne ist eine Freundin von mir, und ich könnte Gefährten gebrauchen, die mit ihren Waffen umzugehen verstehen."
Dass er nicht weiter über Finelleths Herkunft nachgefragt hatte, hatte ihm offenbar einen Vorteil verschafft, denn sie antwortete: "Ich werde dich gerne begleiten. Meine Wunden sind inzwischen gut verheilt, nicht zuletzt dank unserer Irwyne hier." Das Mädchen strahlte, und freute sich sichtlich über die Anerkennung ihrer Heilkünste. "Und so schön es in Bruchtal auch ist, der Frieden ist trügerisch. Also ja, ich werde mit dir nach Fornost gehen."

Eandril:
Einige Stunden später schlenderten Oronêl und Finelleth nebeneinander durch die Gärten, ins Gespräch vertieft. Irwyne hatte sie einige Zeit begleitet, und sich dann zu ihrer beider Verwunderung unter recht fadenscheinigen Vorwänden verabschiedet.
Dennoch genoss Oronêl den Frieden der Gärten Bruchtals, ebenso wie Finelleths Gesellschaft. Auch wenn die Elbin sehr reserviert reagierte, sobald er auf ihre Vergangenheit zu sprechen kam, unterhielt er sich gerne mit ihr. Er fand es interessant, mehr über das Waldlandreich zu erfahren, wie es gewesen war bevor es unter Mordors Herrschaft gefallen war.
Zwar hatte er das Reich Thranduils früher, im Zweiten Zeitalter als noch Thranduils Vater Oropher König gewesen war, mehrere Male besucht (schließlich war Oropher Calenwens Onkel gewesen), und auch einmal zu Anfang des Dritten Zeitalters gemeinsam mit Amroth um dem neuen König Thranduil ihre Aufwartung zu machen. Das war allerdings lange her, und vieles von dem was Finelleth ihm erzählen konnte, hatte er zuvor nicht gewusst.
Sie erzählte ihm auch von den Kämpfen bei Dol Guldur und der Eroberung der Festung, und als er vom Bruch zwischen Saruman und Rohan hörte, war Oronêl zugleich erleichtert und besorgt. Erleichtert, weil es eine gute Nachricht war dass die Rohirrim Saruman nicht länger blind folgten, und besorgt, weil er fürchtete dass Saruman seinen Zorn nun erneut gegen das Land der Pferdeherren richten würde.
Im Gegenzug interessierte Finelleth sich sehr für alles, was er über das alte Lórinand erzählen konnte, über Amdír, Amroth und Nimrodel, und über Calenwen.
"Du siehst ihr sogar ein wenig ähnlich", sagte Oronêl irgendwann, und legte gedankenverloren die Rechte auf Calenwens Medaillon.
"Nun, äh... wir Waldelben haben doch alle irgendwo gemeinsame Vorfahren." Ihre abwehrende Antwort überraschte Oronêl nicht wirklich, weckte seine Neugierde allerdings weiter. Er musste wissen, was es mit Finelleth wirklich auf sich hatte, und so wagte er einen weiteren Vorstoß.

"Ist deine Familie aus dem Waldlandreich entkommen?", fragte er vorsichtig, und beobachtete wie ihre Schultern sich sofort anspannten.
"Ja, aber..." Finelleth rückte mit einer unbewussten Geste ihre Haare zurecht, und Oronêl erkannte, dass ihr epesse gut gewählt war. "Ich verstehe mich mit ihnen nicht besonders", gab sie zu. "Mein Vater... hat einige Dinge getan, die mir nicht gefallen."
"Ich war eine zeitlang ebenfalls sehr wütend auf meinen Vater - und meine Mutter", sagte Oronêl und ließ sich auf einer Bank nieder, die auf die tiefe Schlucht im Süden hinabschaute. Finelleth setzte sich zögerlich neben ihn. "Das war, nachdem sie Mittelerde verlassen hatten. Damals hatte ich gerade etwas mehr als sechzig Sommer erlebt, und konnte sie nicht verstehen. Ich konnte nicht verstehen, dass sie ein Zeitalter lang einen Kampf gegen das Dunkel geführt hatten, den sie verlieren mussten. Ich konnte nicht verstehen, dass sie genug von der Welt hatten, und dass es sie nicht nach weiteren Abenteuern verlangte."
Er blickte über die Schlucht hinaus auf die endlosen Hügel von Eriador. "Inzwischen verstehe ich sie, und es gibt Momente in denen ich glaube, nicht mehr weiterkämpfen zu können. Und vielleicht... vielleicht geht es dir mit deinem Vater ebenso."
Wer immer er sein mag... "Vielleicht verstehst du eines Tages die Entscheidungen, die er getroffen hat."
Finelleth blickte ihn ungläubig an, und schüttelte dann den Kopf. Dabei löste sich eine Haarsträhne aus ihrer Frisur, die sie mit einer raschen Bewegung wieder an der richtigen Stelle befestigte. "Das glaube ich nicht... was er tut... werde ich niemals verstehen können."
Sie wurden unterbrochen, als Irwyne und Gamling um die Ecke kamen, in ein Gespräch in ihrer eigenen Sprache vertieft. "Oh!", stieß das Mädchen hervor, als sie die Elben auf der Bank sitzen saß. "Ich... wir lassen euch wieder alleine. Kommt, Gamling." Oronêl zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen, während Finelleth lächelnd nickte. Irgendetwas an Irwynes Verhalten erschien ihm merkwürdig, aber er verstand nicht, was.

"Verstehst du das?", fragte er Finelleth nachdem Irwyne und Gamling wieder verschwunden waren, und sie lächelte. "Vielleicht. Aber ich denke, ich werde dich noch ein wenig darüber nachgrübeln lassen." Mit diesen Worten stand sie auf, schenkte ihm noch ein unschuldiges Lächeln und verschwand. Oronêl blieb allein zurück, und rieb sich verwirrt die Schläfe. Seit über sechstausend Jahren lebte er in dieser Welt, aber das half ihm kein bisschen dabei, Frauen zu verstehen.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als nun Erestor, Elronds Bibliothekar und Haushofmeister um die Wegbiegung kam. "Ah, Oronêl. Meister Elrond möchte dich sprechen. Es geht um deine Reise nach Fornost."

Oronêl zurück in Elronds Haus...

Eandril:
Oronêl aus Elronds Haus

Nach dem Gespräch mit Kerry war Oronêl einige Zeit unter den Sternen durch die Gärten von Bruchtal gewandert. Er genoss die Ruhe und den Frieden der über dem Tal lag, und das immerwährende leise Rauschen der Wasserfälle.
Im Norden über den Kiefernwäldern war ein blasser Mond aufgegangen, der die schmalen Pfade der Gärten erhellte, und mehr Licht brauchte Oronêl nicht, um sich zurechtzufinden. Trotz aller Finsternis draußen in der Welt barg die Nacht in Bruchtal keine Schrecken. Sie war eine Zeit des Friedens und der Stille, wie Oronêl sie seit den Zeiten des Friedens in Lórien nicht erlebt hatte - und noch anders, denn Elronds Zauber lag über dem Tal. Er wusste es nicht sicher, doch Oronêl vermutete, dass Elrond wie Galadriel und eine Zeit lang auch Celebithiel einen der Drei Ringe trug, dessen Macht das Tal vor den Dunklen Mächten schützte.
Der dünne Ast eines Baumes neben ihm schwankte leicht, als eine kleine Eule beinahe lautlos darauf landete. Oronêl blieb stehen, und sah dem Vogel einen Moment lang stumm in die großen, runden Augen, in denen sich schwach einige Sterne spiegelten. Dann streckte er der Eule die linke Hand entgegen, und sagte in einem beruhigenden Singsang: "Komm zu mir, lautlose Jägerin." Er sagte es in der Sprache der Waldelben, die er von Kindesbeinen an gesprochen hatte. Er war mit zwei Sprachen aufgewachsen, dem Sindarin seines Vaters und der Sindar aus Beleriand, und der Sprache, die die Waldelben, die Laiquendi von Ossiriand, gesprochen hatten. Beides war im alten Lórinand gleichermaßen gesprochen worden, und auch wenn die Sprache der Elben von Lórien sich von der von Ossiriand inzwischen stark unterschied, beherrschte Oronêl die alte Sprache noch fließend.
Die Eule zögerte einen Augenblick, bevor sie mit einem kleinen Hüpfer und einem Flattern der Flügel auf seinen Fingern landete. Oronêl spürte, wie sich die kleinen, aber kräftigen Krallen um seine Finger schlossen, und strich dem Vogel mit den Fingerspitzen der rechten Hand sanft über die weichen Federn auf dem Kopf. Die Eule gab ein offensichtlich wohliges, leises "Schuhu" von sich, und Oronêl sagte: "Mögest du reichliche Beute finden, möge deine Brut immer zahlreich sein und deine Feinde dich in Frieden lassen. Nun flieg, lautlose Jägerin." Er nahm die Finger vom Kopf der Eule, sie breitete die Flügel aus und flog lautlos in die Nacht davon. Oronêl sah ihr einige Zeit nach, wie sie über dem Tal und den Wäldern im Norden verschwand, und ging dann langsam weiter.
Er kam zu dem kleinen Hügel mit der steinernen Bank, auf dem er Finelleth zuerst begegnet war, doch jetzt war dieser Ort verlassen. Einen Augenblick verharrte er, und erinnerte sich, wie er Finelleth zuerst hier hatte sitzen sehen, wie er sie kurz für Calenwen gehalten hatte, und wie er damals über ihre Abstammung nachgegrübelt hatte. Heute wusste er, warum sie ihm so bekannt vorgekommen war.
Er lächelte unwillkürlich, denn es kam ihm beinahe so vor, als wäre diese Begegnung schon lange Zeit her, wo es doch nur etwas mehr als zwei Monate gewesen waren. Doch diese beiden Monate waren beinahe die ereignisreichsten seines langen Lebens gewesen, selbst ihm konnten sie lang vorkommen.

Nach einiger Zeit kam Oronêl über eine schmale, elegant geschwungene Brücke, die auf eine Art Insel zwischen zwei Bächen führte. Auf der Insel erhob sich ein kleiner Pavillon, der durch zwei Laternen in ein warmes Licht gehüllt wurde, und dort saßen Arwen und Celebithiel auf zwei gegenüberliegenden Bänken und sprachen leise auf Quenya miteinander. Diese Sprache verstand Oronêl nicht allzu gut - sein Vater und die meisten anderen Sindar von Lórien hatten sie entweder selbst nicht gesprochen oder sich geweigert, sie weiterzugeben.
Später, als Flüchtlinge aus Eregion nach Lórien gekommen waren, und zur Zeit des Letzten Bundes, hatte Oronêl einiges über die Sprache der Noldor gelernt, doch nicht genug um sie selbst flüssig sprechen zu können, oder sie im Gespräch wirklich zu verstehen. Als Oronêl in den Pavillon trat, hob Celebithiel den Kopf und lächelte. "Oronêl! Wir fragten uns schon, wann du kommst." Sie war ins Sindarin gewechselt, denn sie wusste, dass Oronêl das Quenya nicht gut beherrschte.
"Ich wollte euch nicht unterbrechen", sagte Oronêl, und erwiderte das Lächeln. Es war schön, Celebithiel einmal wirklich glücklich zu sehen. Zuletzt war sie oft nachdenklich und ernst gewesen, trotz ihres Erfolges in Eregion. Jetzt, in Gesellschaft ihrer Ziehschwester, wirkte sie beinahe unbeschwert und glücklicher als sie seit Lórien gewesen war.
"Das hast du nicht", erwiderte Arwen sanft, und deutete auf seine rechte Hand. "Ich sehe, dass du meinen Ring noch immer trägst."
"Wir alle tragen sie noch", meinte Oronêl, und setzte sich neben Celebithiel auf die Bank. "Die, die noch leben jedenfalls. Irwyne hat Cúruons Ring bekommen, und Faronwes Ring habe ich seinem Sohn in Lindon zum Andenken gegeben." Er drehte den silbernen Reif mit dem eingravierten einzelnen Stern an seinem Finger nachdenklich. "Ich weiß, dass sie keine besondere Kraft haben, aber sie geben Mut. Und sie erinnern immer an die Freunde und Verbündeten, die wir haben - hier, in Lindon, in Dol Amroth, und sogar in Ringechad in der nördlichen Eiswüste, oder wo immer Valandur sich gerade herumtreiben mag."
"Und darin wohnt diesen Ringen wiederum doch eine gewisse Kraft inne", sagte Celebithiel. "In der Erinnerung und den Gedanken an Freunde."
Sie schwiegen einen Augenblick, bis Arwen fragte: "Ihr wart in Ringechad? Wie hat es euch dorthin verschlagen?"
Ihre Frage verwunderte Oronêl. "Woher weißt du davon? Ich dachte, Súlien wäre seit langer Zeit die erste, die von dort nach Süden gekommen ist."
"Das ist auch richtig", bestätigte Arwen. "Aber mein Vater und Erestor haben Aufzeichnungen über alle Siedlungen der Dúnedain von Arnor angelegt - selbst über Ringechad."
Oronêl nickte, denn die Erklärung ergab Sinn. Für Elrond, der schon immer ein Verbündeter der Waldläufer von Arnor gewesen war, war es natürlich von Nutzen einen Überblick über ihre verstreuten Siedlungen und Verstecke zu haben. Und hier in Bruchtal bestand auch keine Gefahr, dass es den Feinden der Dúnedain in die Hände fallen könnte. Obwohl Saruman inzwischen, durch das Bündnis mit Helluin, vermutlich ohnehin über dieses Wissen verfügte.
Oronêl erzählte, wie Kerry von Laedor aus Fornost entführt worden war, wie sie ihn bis nach Carn Dûm hinein verfolgt hatten und schließlich nach Ringechad geflohen waren. Als er mit seiner Erzählung in der Siedlung der Dúnedain angekommen war, raschelten hinter ihm einige trockene Blätter, und eine bekannte weibliche Stimme sagte: "... und in Ringechad überfiel der heldenhafte Krieger Oronêl seine schwache und wehrlose Gefährtin mit der fürchterlichen Waffe des Eiswassers - ein Verbrechen, dass bis heute nicht angemessen gesühnt wurde." Finelleth trat in den Lichtkreis der Laternen, und wirkte überaus zufrieden mit sich selbst. Oronêl streckte die Beine aus, verschränkte die Arme und erwiderte: "Es war kein Verbrechen, sondern eine angemessene Strafe."
"Darüber könnte man sich streiten", gab Finelleth zurück, und ließ sich ihm gegenüber neben Arwen nieder.
Celebithiel, die den Austausch wie Arwen schmunzelnd verfolgt hatte, fragte: "Was führt dich zu uns, Finelleth?"
Finelleth blickte offenbar ein wenig verlegen zu Boden, und antwortete: "Ich wollte euch nicht stören, aber... ich fühlte mich ein wenig einsam mit meinen Gedanken. Kerry scheint bereits zu schlafen, und Antien ist irgendwo hin verschwunden, also habe ich mich auf die Suche nach Oronêl gemacht. Ich... brauche jemanden, mit dem ich ein wenig reden kann."
Celebithiel und Arwen wechselten einen Blick, während Oronêl abwartete. Dann sagte Arwen: "Nun, ich bin sicher, ihr drei habt einige interessante Geschichten zu erzählen - und vielleicht weiß ich auch das ein oder andere, was euch nicht bekannt ist. Damit könnten wir einige Zeit verbringen..."

Tatsächlich hatten sie sich so lange über dieses und jenes Abenteuer unterhalten, dass der Mond schon lange wieder hinter dem Horizont verschwunden war, als Oronêl den Pavillon verließ, um ein wenig Ruhe zu finden. Es waren noch einige Stunden bis Sonnenaufgang. Er wanderte erneut ziellos einige Zeit durch die Gärten, bis er eine abgeschiedene Bank direkt unterhalb der Berghänge im Osten fand, die auf die Schlucht im Süden Bruchtals hinunterblickte.
Dort setzte er sich, lehnte sich zurück, schloss die Augen und ließ seinen Geist wandern - bis er von der Seite angesprochen wurde.
"Verzeihung", sagte Mírwen beinahe schüchtern. "Darf ich... kann ich mich zu dir setzen?"
Ein wenig verwundert, was ihre Bitte zu bedeuten hatte, machte Oronêl eine einladende Geste. Er freute sich, seine junge Gefährtin wiederzusehen, auch wenn ihr Verhalten bei seiner Ankunft in Bruchtal ihn ein wenig verwirrt hatte. Mírwen setzte sich neben ihn auf die Bank, strich sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht, und schwieg. Sie saßen einige Zeit schweigend nebeneinander, bis Mírwen schließlich leise fragte: "Du wirst mit Finelleth über den Hohen Pass ins Waldlandreich gehen, nicht wahr?"
"Ja", antwortete Oronêl. "Mit Finelleth und mit Kerry. Mathan wird uns ebenfalls begleiten, aber ich weiß nicht, ob er ins Waldlandreich mitgehen wird. Ich glaube, auf ihn wartet eine andere Aufgabe."
"Dann werde ich mit dir... mit euch kommen. Das heißt, wenn ihr mich überhaupt mitnehmen würdet."
"Wir würden uns über deine Gesellschaft freuen", erwiderte Oronêl. "Du bist schließlich ein Teil unserer Gemeinschaft, wie Finelleth und ich. Aber warum möchtest du Bruchtal schon wieder verlassen?"
Mírwen wandte den Blick ab, und ihre Haare verdeckten ihr Gesicht - doch Oronêl war sich sicher, dass sie errötet war. "Ich will nicht länger in Bruchtal herumsitzen und warten, bis der Krieg vorbei ist. Ich will etwas tun. Helfen."
Oronêl schüttelte den Kopf. Das mochte einer der Gründe sein, doch wirklich überzeugend hatte sie nicht geklungen. Und nach Düsterwald zu gehen war dafür auch nicht nötig, sie könnte ebenso gut in Fornost dem Sternenbund zur Seite stehen oder nach Gondor in den Krieg ziehen.
"Mírwen", sagte er langsam. "Bist du dir sicher, dass das der einzige Grund ist?" Jetzt sah sie ihn wieder an, und zum ersten Mal fiel Oronêl auf, wie blau ihre Augen waren. Sie bildeten einen schönen Kontrast zu den feuerroten Haaren und der hellen Haut, und... Oronêl schob die Gedanken beiseite, und konzentrierte sich auf ihre Antwort.
"Nein", antwortete sie schließlich. "Die Wahrheit ist... ich möchte mit dir dorthin gehen." Sie sah ihn weiter an, wartete vielleicht auf eine Frage, oder auf Widerspruch. Doch Oronêl nickte nur stumm, und sah wieder auf die Schlucht und die Wasserfälle, auf denen die Sterne glitzerten hinaus. Er ahnte, was geschah, und er fürchtete sich ein wenig davor. Doch er brachte es nicht über sich, Mírwen abzulehnen und von sich zu stoßen - nicht, nachdem ihr Vater, ihr einziger Verwandter, in der Schlacht gefallen war in der er ihn geführt hatte.
Er war ihr etwas schuldig, und vielleicht konnte er... Er wehrte sich nicht, als sie sanft die Hand auf seine legte. Sie sprachen nicht, und saßen nebeneinander bis im Osten über den Bergen die Sonne aufging. Irgendwann stand Oronêl auf, küsste Mírwen, die die Augen geschlossen hatte, sanft auf die Stirn, und ging langsam zum Haus zurück.

Oronêl in Elronds Haus

Eandril:
Oronêl aus Elronds Haus

Oronêl trat aus Elronds Haus hinaus, und atmete die frische Abendluft ein. Hier in Bruchtal schien die Luft frischer und reiner zu sein als in der Welt außerhalb, und er fühlte schon beim ersten Atemzug, wie er sich entspannte. Er folgte dem mit Kies bestreuten Weg vom Haus weg, zwischen schlummernden Bäumen und Sträuchern hindurch. Kein Schnee lag im Tal von Imladris, doch der Winter war dennoch spürbar. Nachdem er mehrere Brücken, die über die kleinen, den Garten durchziehenden Bachläufe führten, passiert hatte, kam Oronêl schließlich an die Stelle, an der er Finelleth getroffen hatte. Eigentlich war es nicht lange her - zumindest nicht in den Maßstäben eines elbischen Lebens - doch in diesem Moment kam es ihm wie eine Ewigkeit vor.
Eine Eule flog beinahe lautlos durch die heraufziehende Nacht über seinen Kopf hinweg und stieß einen leisen Ruf aus.
Oronêl setzte sich auf die steinerne Bank, und blickte über das Tal hinweg. Die vielen kleinen Wasserfälle glitzerten im Sternenlicht, und im Norden erhoben sich schwarze Kiefernwälder, während die obersten Hänge weiß vor Schnee leuchteten. Er stützte das Kinn in die Hand und sagte leise: "Es ist... nicht gerecht."
Er hörte ein leises Rascheln von Stoff hinter sich und spürte, wie jemand neben ihn trat.
"Was ist nicht gerecht?" Es war Arwens Stimme. Als Oronêl ihr schweigend den Blick zuwandte, lächelte Elronds Tochter ein wenig verlegen, und fügte hinzu: "Verzeih. Ich wollte nicht lauschen."
"Es gibt nichts zu verzeihen", erwiderte Oronêl, und rutschte einladend ein wenig auf der Bank beiseite. Arwen setzte sich, und zog das hellblaue Kleid zurecht.
"Ich dachte... an Mírwen. Dass es nicht gerecht ist, dass sie sterben musste und dieses Anblicks für immer beraubt ist. Weil sie... weil sie jemanden liebte, der ihr diese Liebe nicht zurückgeben konnte. Der sie nicht verdiente."
"Du machst dir noch immer Vorwürfe", stellte Arwen fest. "Bedenke eines, Oronêl. Jeder deiner Gefährten, der den Tod gefunden hat, ist dir freiwillig gefolgt. Es war Mírwens Entscheidung, mit dir nach Osten zu gehen, und sie wusste um die Gefahr. Trauere um sie - das habe ich ebenfalls getan, als die Nachricht kam. Doch verzehre dich nicht in Vorwürfen."
Oronêl schüttelte den Kopf. "Sie starb... glücklich, denke ich. Doch es war eine Lüge. Alles was ich getan habe, war im Grunde eine Lüge, denn ich konnte sie nicht lieben. Nicht so. Nicht wie..." Er brach ab.
Arwen schwieg einen Augenblick, die Hände im Schoß gefaltet und den Blick über das Tal gerichtet. Schließlich sagte sie leise: "Wir suchen uns nicht aus, wen wir lieben. Weder du, noch Mírwen, noch sonst jemand. Mírwens Weg hat sie unglücklich gemacht, doch es ist nicht deine Schuld." Sie blickte zu Boden und fügte noch leiser hinzu: "Auch ich habe eine Entscheidung getroffen, die... die Hoffnung auf ein glückliches Ende schwindet, von Tag zu Tag. Und es kostet meine ganze Kraft, nicht zu verzweifeln."
Oronêl wusste, wovon sie sprach, doch er wusste nicht, was er sagen sollte.
Nach einem Augenblick erhob Arwen sich anmutig, und sagte: "Ich werde zurück ins Haus gehen. Und du, Oronêl, bleibe noch ein bisschen. Vielleicht wird deine Last ein wenig leichter..."
Oronêl nickte stumm, und blieb alleine auf der Bank zurück. Tatsächlich zeigten Arwens Worte bereits Wirkung - und der Frieden der Gärten tat sein übriges. Mírwen war freiwillig mit ihm gekommen, und vermutlich war sie sich der Gefahr vollkommen bewusst gewesen. Ihr Tod schmerzte, doch wäre es in ihrem Sinne, sich in Schuldgefühlen zu verstricken?

Irgendwann, Oronêl wusste nicht, wie lange er auf der Bank gesessen hatte, stand er auf, und folgte dem schmalen Pfad weiter in die Gärten hinein. Inzwischen war das letzte Licht des Tages verschwunden, und auch der Mond war noch nicht aufgegangen, sodass nur die Sterne ein schwaches Licht spendeten. Es erinnerte Oronêl an viele Nächte, die er gemeinsam mit Calenwen unter den Sternen durch die Wälder Lóriens und darüber hinaus gewandert war.
Unter einem schmalen, elegant geschwungenen Bogen traf er auf einen hochgewachsenen, blonden Elben, der, den Kopf zurückgelegt, die Sterne beobachtete. Als Oronêl näher kam, wandte Glorfindel den Blick vom Nachthimmel ab, und nur seine Augen verrieten sein Lächeln. Er trug seine goldene Rüstung und sein Schwert an der Seite, und war offensichtlich gerade erst von einem Kundschaftsritt zurückgekehrt.
"Es ist schön, dich in Imladris zu treffen, Oronêl. Wenn auch ein wenig unerwartet, nach unserer Trennung im Waldlandreich."
"Und dennoch wirkst du nicht überrascht", erwiderte Oronêl, und ergriff die ihm angebotene Hand.
"Auf der Oststraße traf ich auf drei Waldläufer, die sich nicht lange zuvor von dir und Kerry getrennt hatten." Glorfindels Blick wandte sich wieder zum Himmel. "Eine klare und ruhige Nacht. Doch ich fürchte, der Frieden ist trügerisch."
"Dann droht Bruchtal Gefahr?", fragte Oronêl. "Ich dachte..."
Glorfindel schüttelte sacht den Kopf. "Nein, die Lande um uns herum sind ruhig und frei von Feinden. Ich dachte an die Bedrohung, die sich Eregion nähert - und dass der Frieden von Imladris für uns alle nur noch von kurzer Dauer sein kann."
"Bis der Schatten in Mittelerde besiegt und vertrieben ist."
Glorfindel lächelte traurig. "Ich fürchte, selbst dann wird dieser Ort dahinschwinden, und eines Tages nur noch Vergangenheit sein. Der einzige Weg, der uns allen offen steht, ist der nach Westen - früher oder später."
Oronêl hatte das Gefühl, dass Glorfindels Augen geradezu durch ihn hindurch blickten, bis auf den Grund seiner Seele. "Ich habe meine Entscheidung getroffen", stellte Oronêl fest, und seine Finger strichen wie von selbst über den Knauf von Amrûns Schwert. "Für mich wird es später sein."
Glorfindel nickte. "Dies ist keine leichte Entscheidung, denn der Westen..." Er brach ab, doch ein Hauch Sehnsucht trat in seinen Blick. Schließlich schüttelte er leicht den Kopf, wie um eine Erinnerung oder einen Gedanken zu vertreiben, und sagte: "Du solltest mit Gwilwileth darüber sprechen. Sie ist unruhig in letzter Zeit, und sie verbirgt es unter Leichtigkeit und Fröhlichkeit."
"Ich werde mit ihr sprechen", versprach Oronêl, obwohl er sich insgeheim ein wenig wunderte.
Glorfindel blickte erneut zu den Sternen empor, bevor er seinen Blick Elronds Haus zuwandte, und sagte: "Lass uns hineingehen, und uns an Gesellschaft und Fröhlichkeit erfreuen, solange wir können. Denn der Krieg rückt mit jeder Stunde wieder näher."

Oronêl und Glorfindel in Elronds Haus

Navigation

[0] Themen-Index

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln