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Tal des Sirannon

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Curanthor:
Mathan strich sich nachdenklich über das Kinn. Er hatte ein Dilemma. Sein Blick ruhte auf den angeketteten Gefangenen der Orks. Er könnte sie unmöglich mit nach Rómen Tirion nehmen und auch keine Truppen zur bewachen abstellen – sie brauchten alle verfügbaren Schwerter und sie wussten nicht, ob man ihnen trauen konnte. Es waren zwölf Gefangene und Grám Feuerhammer – den Zwerg, dem er das Leben gerettet hatte, deutete auf die Stelle, wo die vielen Orks aus der Dunkelheit hergekommen waren.
„Dort ist eine alte Mine. Darin war ein Großteil der Meute und die übrigen Gefangenen… darunter auch die Meinen… Ich vermute, ein alter Elbenschacht.“
Das erklärte auch, woher die vielen Orks kamen, die ihren Spähern entgangen waren. Der Zwerg murmelte etwas davon, dass er schauen wollte, ob seine Freunde noch lebten. Mathan nickte ihm zu und winkte einen der Truppführer heran, der gleich verstand und mit seinen neun Kriegern Grám eskortierte. Weiter hinten suchten die übrigen Elben das Schlachtfeld nach der Gefangenen ab, die kurz vor ihrem Angriff geholt wurde. Der ostländisch aussehende Mann, der ihm den Namen von Verdandi zugeflüstert hatte, wurde inzwischen von einigen Heilern mit Wasser versorgt und wirkte etwas kräftiger. Er räusperte sich und neigte knapp den Kopf.
„Danke, für die Rettung, edle Herren“, sprach er Mathan demütig mit schwerem Akzent auf Westron an, „Mein Name ist Sunshu Jin.“ Er streckte beide Arme im rechten Winkel vor, ballte die rechte Faust und legte die Linke gestreckt dagegen. Erneut senkte Sunshu seinen Kopf. „Mein tiefster Dank.“
Mathan nickte etwas unangenehm, da er die Geste schon einmal aus Erzählungen der Avari kannte. Vor ihm war ein Mensch aus Minzhu, was er auch gleich zu Sprache brachte: „Ihr seid sehr weit weg von zu Hause, Sunshu. Wie kommt es, dass Ihr hier her verschleppt wurdet?“
Mathan ließ indessen den Blick über die übrigen Gefangenen schweifen. Es waren neun Männer und drei Frauen, alles Menschen aus den unterschiedlichsten Winkeln Mittelerdes. Sie hatten es inzwischen aufgegeben darum zu bitten befreit zu werden. Ehe Sunshu antworten konnte, ertönte ein scharfer Ruf. Mathan sprang auf und lief zu Grám, der am Eingang der Mine mit beiden Armen winkte. Der Zwerg blickte düster drein und bedeutete ihm wortlos zu folgen. Tiefer in der alten Mine fanden sie noch ein paar Orkleichen, deren krude Waffen verstreut umherlagen und gelegentlich verschlossene Kisten die am Rande standen. Es war kühl und trocken. Ihre Schritte hallten dutzendfach wieder. Stimmen drangen schließlich dumpf an seine empfindlichen Ohren. Der Gang öffnete sich zu einer größeren Kaverne. Als erstes erblickte er die rotorangen Mäntel der zehn Elben, die ihre Speere im Anschlag hatten. Vor ihnen, mit dem Rücken zur Felswand standen fünf verdreckt und wild aussehende Menschen. Sie hatten vier Geiseln genommen und forderten lautstark freien Abzug. Mathan erkannte zwei Zwerge, einen Mann mittleren Alters, der noch einen verdreckten Wappenrock Gondors trug und eine junge Frau mit dunkelroten, seidigen Haar, dass ihr wild durcheinander vor dem Gesicht hin. Sie war offenbar kaum bei Bewusstsein und wurde nur durch die grobe Hand die sich in ihre sehr langen Haare krallte oben gehalten. Er bemerkte, dass ihre Kleidung durcheinander war, das Oberteil zur Hälfte hochgerollt. Sein Blick fiel auf die Geiselnehmer, zwei von ihnen trugen keine, oder halb geöffnete Gürtel, einer von ihnen trug nur einen Lendenschurz.
Unbewusst sog er scharf die Luft ein. „Abschaum“, entfuhr es ihm mit mühsam beherrschtem Zorn. Grám knurrte so tief wie es einem Zwerg nur möglich war und packte sein Schwert fester, sodass seine Knöchel weiß hervortraten.
Der Anführer der Wilden, ein bärtiger, grobschlächtiger Kerl rief etwas in einer unbekannten Sprache und fuchtelte mit seinem Messer herum. Dann legte er es vielsagend an die Kehle der jungen Frau. Seine bernsteinfarbenen Augen blitzten drohend auf. Der kalte Stahl an ihrer Haut ließ sie zusammenzucken. Plötzlich sprang sie auf und schubste mit aller Kraft den Kerl von sich. Chaos brach aus. Zwei der Elben warfen ihre Speere und trafen jeweils Hals und Kopf der zwei Geiselnehmer, die kurz ihren Blick zur Seite gewandt hatten. Mathan und Grám stürmten vor. Der Gondorer ließ sich nach hinten fallen und entging der Klinge an seinem Hals haarscharf mit einem flachen Schnitt. Der Zwerg rettete ihn mit einem beherzten Wurf seines Schwerts und tötete den Kerl, der gerade nachstechen wollte. Mathan erreichte indessen den Anführer, der sich wutentbrannt auf die junge Frau – wahrscheinlich Verdandi – stürzte. Seine Elbenbeine waren schneller. Mit vollem Körpereinsatz prallte Mathan mit dem Schild voran gegen ihn. Verdandi trat dem Anführer gleichzeitig noch mit aller Kraft zwischen die Beine. Durch die Wucht beider Angriffe wurde er von ihr geschleudert und landete krachend an der Felswand und blieb benommen liegen. Mathan reichte der jungen Frau eine Hand, die sie mit festem Griff packte, dann zog er sie auf die Beine. Ihr Blick aus hellgrünen Augen traf kurz den seinen. Er verstand die wortlose Bitte. Respektvoll trat er einen Schritt zurück und wandte sich um. Die übrigen Elben taten es ihm gleich. Ein knapper, gellender Schmerzensschrei ertönte hinter ihnen. Dann ein zweiter, diesmal aus voller Kehle, bis die Stimme brach. Kurz ertönte ein Wimmern, dass nach einer Zeit verstummte. Mathan sah aus dem Augenwinkel, dass sich in Gráms abgehärteten Gesicht - der bei der Rache zusah - sich eine Mischung aus Wut, Abscheu und sogar eine Spur Furcht widerspiegelte. Barfüßige Schritte nährten sich, dann trat die Rothaarige unter den Blicken des sprachlosen Zwergs in sein Blickfeld, ein blutiges Messer in der Hand. Sie trug eine einfache, blutgetränkte Leinenhose, die mit einer Kordel gehalten wurde. Ihr Leinenoberteil war ebenfalls getränkt von Blut. Ein leichter Schnitt zierte ihre blutbesprenkelte Wange. Sie hatte tiefe Ringe unter den Augen, doch ihr Blick war ungebrochen. Sie murmelte einen kaum hörbaren Dank und sackte plötzlich zusammensackte.
Grám fing sie geistesgegenwärtig auf und schien sich ehrliche Sorgen um sie zu machen. Er befühlte ihren Puls und kontrollierte sie nach weiteren Verletzungen. Die übrigen Elben befreiten indessen die restlichen Geiseln von ihren Handfesseln. Die zwei anderen Zwerge eilten an Gráms Seite. Einer von ihnen schien mit ihm verwandt zu sein, da sie sich recht ähnlich sahen. Zu dritt kümmerten sie sich um die Bewusstlose. Der Älteste von ihnen, ein weißhaariger Zwerg mit einer Halbglatze und prächtigem Bart sagte, dass sie das übernehmen würden. Mathan nickte und wandte sich zu dem Gondorer, der sich ein abgerissenes Stück Stoff an den Schnitt am Hals hielt. Der Mann versteifte sich und verneigte sich tief, nur um dann zu taumeln. Mathan half ihm und setzte ihn auf eine der umstehenden Kisten.
„Habt Dank, werter Elbenherr“, bedankte der Soldat sich  und schien noch etwas sagen zu wollen, fragte aber stattdessen mit den Blick auf die Manarîn: „Wie kommt es, dass Ihr hier seid? Was sind das für Krieger?“
Mathan beschloss vorsichtig zu sein und antwortete höflich, dass ihr Ziel die Orkhorde war. Wer genau sie waren, behielt er erst einmal für sich und er konnte sehen, dass der Mann auch verstand warum. Er schlug vor, ein anderes Mal zu sprechen und trat an die drei Zwerge heran, die gerade die Bewusstlose begannen aus der Mine zu tragen. Mit einem Handzeichen bedeutete er den Manarîn die Truhen einzusammeln und folgte den Zwergen hinaus ins Freie.
„Wir müssen weiter. Denkt Ihr, dass ihr die Gefangenen beaufsichtigen könnt?“
Der alte Zwerg, hob skeptisch eine Braue und wuchtete die Beine Verdandis auf ein behelfsmäßiges Bett. „Wollt Ihr sie nicht freilassen?“
Mathan schüttelte zögerlich den Kopf. „Ich weiß, dass sie wahrscheinlich nichts verbrochen haben, aber niemand darf von uns erfahren, noch nicht.“ Er schaute auf die Gruppe von Gefangenen, die etwas unschlüssig und unzufrieden beisammen saßen. „Und wir können keine Krieger zur Bewachung abstellen.“ Die übrigen Manarîn hatten die überflüssig gewordene Suche eingestellt und machten sich bereit weiterzuziehen.
Grám trat etwas näher und wisperte, sodass er ihn nur dank seiner Elbenohren verstehen konnte: „Ihr geht zu diesem Elbenturm beim Tal von Moria, ja?“
Ein wie gewohnt scharfsinniges Volk, die Zwerge, dachte er sich mit einem leichten Schmunzeln und nickte knapp.
Grám schien zufrieden mit sich selbst und flüsterte weiter: „Wir können das Beaufsichtigen übernehmen. Neben dem Mann da aus Gondor“, Er nickte zu dem Soldaten, der sich noch immer seinen Hals betupfte und die frische Luft einatmete, „Sind unter den anderen zwölf etwa sechs die vernünftig sind. Den Rest kenne ich nicht, da es getrennte Gruppen gab.“
„Warum tut Ihr das?“, flüsterte Mathan zurück, „Es ist nicht so, dass es eine angenehme Aufgabe ist.“
Grám sah aus, als ob ihm jemand in den Bierkrug gespuckt hatte. „Eine Lebensschuld nimmt ein Zwerg sehr ernst. Das war mein Todesstoß, den Ihr da verhindert habt. Meine Dienste gehört Euch, Mathan“, sagte er ernst und warf ihm einen bohrenden Blick unter seinen buschigen Augenbrauen zu, „Vertraut mir.“
Mathan nickte geschlagen, wohl wissen, dass das Thema bereits abgeschlossen war. Die berühmte Sturheit der Zwerge. Rasch machten sie einen Treffpunkt auf der Weststraße aus.
Er warf der bewusstlosen Verdandi noch einen kurzen Blick zu. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass auch Sunshu Jin sie betrachtete. Mathan fragte sich, was zwischen den beiden vorgefallen war, schob den Gedanken aber von sich. Es gab wichtigeres zu tun. Lorindion steuerte seine Schritte in ihre Richtung und er ging ihm entgegen. Der Kommandant legte als Begrüßung seine rechte Hand mit gestreckten Zeige- und Mittelfingern gegen die linke Schulter. Es war eine sehr knapp ausgeführte Geste und Mathan ahnte, dass es ein militärischer Gruß war. Ebenso rasch erwiderte er sie. Der Blick des Avar wanderte zu dem Lager, auf dem Verdandi schlief, dann zu den Kisten, die aus der alten Mine geholt wurden und zu den ‚Gefangenen‘. Mit knappen Worten erklärte er ihm, was er mit Grám besprochen hatte. Lorindion nickte und vermutete, dass in den Kisten die Habseligkeiten der Gefangenen waren, was einer der Zwerge bestätigte. Mathan blickte zum Nachthimmel, der von einigen Wolken bedeckt war. Er trat an den Rand der kleinen Hochebene und blickte hinab in das Tal. Unten hörte er eine Nachtigall und atmete tief durch. Es wirkte friedlich. Schließlich straffte er sich und fokussierte sich wieder auf sein Ziel. Seine Enkelin nach Hause holen… und vor allem so weit wie es geht von Moria wegbringen. Dabei dachte er an das Wesen, dass Oronêl vorhin beschrieben hatte. Er war froh, dass sein Freund so glimpflich davongekommen war. Sein Gefühl sagte ihm, dass er und Haleth unglaubliches Glück gehabt hatten. Lorindion rief, dass sie bereit waren und Mathan drehte sich um. Grám hob einen Arm zum Abschied, während er sich an die Spitze der Kompanie setzte. Man konnte hören, wie die übrigen ‚Gefangenen‘ Empörung äußerten, doch Grám blaffte sie an, dass sie gefälligst nicht so undankbar sein und sich noch ein paar Stunden gedulden sollten. Begleitet von der Diskussion befahl Mathan ein leicht erhöhtes Marschtempo und die Kompanie eilte los, die kleine Hochebene ohne Namen hinter sich lassend.

Sie durchquerten das Tal ohne Probleme und nahmen den Weg, den sie zuvor genommen hatten. Mathan brauchte gar nicht zur Eile antreiben, die Manarîn hielten das Tempo ohne zusätzliche Befehle. Das Gefecht und die Rettung hatte fast die halbe Nacht gedauert, dazu der Rückweg... Er vermutete, dass sie vielleicht den Sonnenaufgang zu ihrem Vorteil nutzen konnten.


Etwa auf halber Strecke kam ihnen eine Späherin von Nénmarils Kompanie entgegen. Die Elbe ritt auf einem der wenigen Pferde kurzzeitig neben ihnen her und berichtete in knappen Worten, dass sie die achtzig Orks ohne Probleme stellen konnten. Mathan wollte sie schon wieder entlassen, doch sie hatte noch mehr zu sagen. Sie räusperte sich und sagte mit fester Stimme: „Angadil hat versucht eigenmächtig gen Rómen Tirion zu ziehen. Nénmaril konnte ihn kurz vorher einholen und… festsetzen. Sie warten hinter in den Hügeln, direkt nördlich der Weststraße. Der Sirannon maß vorhin schon… etwas mehr als zehn Schritt.“
Lorindion stieß scharf zischend die Luft aus. Mathan konnte es ihm nicht verübeln. Eigenmächtiges Handeln und das mit einer ganzen Kompanie, die keine Wahl hatte als den Befehl zu befolgen, war unentschuldbar. Er beschloss das Problem später anzugehen. Ihm bereitete der Fluss mehr Sorgen. Wenn er schon mehr als zehn Schritt breit war, dürfte er auch mehr als zwei Schritt tief sein. Mit Rüstung und Waffen ihn zu durchqueren dürfte einem Selbstmord gleichkommen. Sie würden irgendetwas bauen müssen und wahrscheinlich gleichzeitig Angriffe abwehren. Er blickte zum düsteren Horizont. Etwa fünf Hügelketten trennten sie noch von der Weststraße.
Ein Flackern in der Dunkelheit irritierte ihn. Mathan kniff die Augen zusammen. „Seht ihr das auch?“, fragte er besorgt.
Die Späherin reckte sich in ihrem Sattel, gab ihrem Pferd dann aber doch die Sporen und ritt einen etwas höheren Hügel vor ihnen hinauf. Kurz darauf erreichte auch die Kompanie die vierte Hügelkette.
„Das Leuchtfeuer!“, rief die Späherin alarmiert und lenkte wieder ihr Pferd neben ihm, „Rómen Tirion droht zu fallen.“ Ihre Stimme war erstaunlich ruhig, aber eine Spur von Panik schwang dennoch mit.
Mathan tauschte mit Lorindion einen raschen Blick. „Laufschritt!“, kam es gleichzeitig aus ihren Mündern.
Mit leisem Geflüster breitete sich die Alarmbotschaft in der Kompanie aus. Die Reihen gerieten etwas in Ordnung, als sie den Hügel hinabströmten. Die Nachhut drängte vor und schob die Mitte zusammen. Die Späherin preschte voraus um von ihrer baldigen Ankunft zu berichten. Mathan konnte die Anspannung der Elben spüren, doch mahnte er sie zur Besonnenheit. Ihm selbst raste das Herz. Isansaca war von seinem Blute und er hatte sie noch besser kennenlernen wollen. Doch vor allem wollte er aber seiner Tochter den Schmerz des Verlustes des eigenen Kindes ersparen. Um jeden Preis. Er blickte hinauf auf die Kuppe der dritten Hügelreihe, die sich weit in den Westen streckte. Oben angekommen, konnte er das Leuchtfeuer deutlicher erkennen, auch wenn es noch ein kleiner, flackernder Fleck vor dem massiven Gebirge war. Er meinte in dem Feuerschein schlanke Gestalten zu sehen. Mathan lockerte Halarîns Schwert in der Scheide und steuerte den Hang hinab in die Senke, den Blick auf die zweite Hügelkette gerichtet. Vereinzelte Bäume wuchsen hier, meist Tannen. Lorindion marschierte stumm neben ihm, doch auch er wirkte unruhig. Seine Glefe war permanent zum Angriff bereit angewinkelt. Den restlichen Weg wurden sie unbewusst schneller, überquerten die zweite Hügelkette im Lauf und erblickte das restliche Heer, das gerade in der Senke in Formation ging. Mathan konnte den großen Turm von hier aus erkennen und sein Blick hatte ihn nicht getäuscht, auf der Spitze standen Elben. Vielleicht war seine Enkelin ebenfalls dort oben. Er ballte die Fäuste und zog den Riemen seines Schildes fester. Mit einem Wink bedeutete er Lorindion die Kompanie direkt an die massive Bergflanke zu führen, die sich links von der letzten Hügelkette erhob. Sie würde er die Weststraße blockieren und die Hauptlast der Verteidigung tragen lassen. Auf halber Strecke kamen ihnen die anderen beiden Kommandanten entgegen, Nénmaril zu Pferde und Angadil zu Fuß. Bis auf schwarze Blutspritzer auf den Seidenmänteln schienen sie vollkommen sauber und unverletzt zu sein.
„Feldherr“, begrüßte sie ihn, Angadil nickte nur knapp, „Die Orks wurden vor kurzem zurückgeschlagen und formieren sich für einen neuen Angriff“, fuhr die Kommandantin fort, „Anfangs waren es noch wenige, mittlerweile sind es über vierhundert und die Intervalle zwischen den Angriffen werden immer kürzer. Wir haben die Zeit genutzt und kleine Flöße gebaut, maximal für zwei.“
Angadil ergänzte: „Der Fluss hat sich beruhigt und misst nun fünfzehn Schritt in der Breite. Ein Teil der Turmanlage steht in den Fluten des Sirannon, die Mauern des Innenhofs werden wohl dem Druck der Wassermassen nicht mehr lange standhalten. Außerdem haben sich Orks südlich des Turms auf den Bergflanke postiert und verhindern jede Flucht über diese Route.“
Mathan fluchte im Gedanken, versuchte aber Ruhe auszustrahlen. Damit war sein eigentlicher Plan, den Sirannon etwas weiter westlich zu überqueren und die Besatzung Rómen Tirions über die Bergflanke zu retten wortwörtlich ins Wasser gefallen. Außerdem hatte er nicht damit gerechnet, dass die Orks auch daran denken würden die Südseite zu blockieren. So intelligent waren gewöhnliche Moria-Orks nicht und das bereitete ihm Sorgen. Sie mussten improvisieren und Mathan wusste auch wie.  Er winkte die drei Kommandanten heran, die aufmerksam lauschten, als er ihnen den groben Schlachtplan erläuterte. Als Mathan endete, erntete er gemischte Reaktionen. Lorindion legte beinahe gleichgültig den Kopf schief, ihm war es egal wo er für seine Königin kämpfte.
„Das wird Ihrer Majestät nicht gefallen, falls der schlechtere der beiden Fälle eintritt“, mahnte Angadil und strich sich nachdenklich unter dem Tuch über das Kinn, „Aber ich bin nicht so anmaßend darüber zu entscheiden.“
Nénmaril wirkte als einzige etwas zuversichtlich und nickte ohne große Worte. Rings herum wurden Befehle weitergeflüsterte. Wie eine Perlenkette, schob sich das Elbenheer schließlich auf leisen Sohlen über die Hügelkuppe. Mathan lief geduckt den flachen Hang hinab zur alten Weststraße. Sein Blick ging kurz zur Turmspitze. Er konnte sehen, wie einer der schlanken Schatten genau zu ihnen schaute und auf sie deutete. Links versperrte noch ein großer Felsen den Blick auf den Pfad, der in das Tal von Moria führte. Noch wussten die Orks noch nicht von ihnen. Mathan war an der Spitze des gesamten Heeres, Lorindion hockte sich neben ihm in den Schatten des Felsens. Wolken zogen wieder vor den schwachen Mond. Sein Herz klopfte. Erneut ein Kampf. Erneut sein Leben in die Waagschale werfen, doch er hatte es nicht vor, es zu verlieren. Noch nicht. Nicht heute und auch nicht morgen. Nicht so lange, bis seiner Familie keine Gefahr mehr drohte. Mathan legte die Hand an den Griff des Schwerts seiner Geliebten Halarîn, die zu Hause auf ihn wartete. Zu Hause… der wehmütige Gedanke wurde von einem leisen Quieken unterbrochen. Und dem Gestank von Orks.

Curanthor:
Isanascas Sicht

„Prinzessin!“, einer der Soldaten von der Turmspitze eilte an ihre Seite. Er wirkte aufgeregt, „Verstärkung. Sie sind jenseits des Flusses an der Straße.“
Isanasca ließ den Eimer fallen, der in dem knöchelhohen Wasser davontrieb. Der stetige Strahl, der zwischen den beiden Torflügeln hervorsprudelte würde niemals wieder versiegen, es war ein vergeblicher Kampf. Sie gab den zehn Elben am Tor ein Zeichen weiter zu schöpfen. Eine Eimerkette hatte sich gebildet und versuchte das eindringende Wasser so gut es ging abzufangen und über die Mauer zu schütten. Der halbe Innenhof stand unter Wasser, zu ihrem Glück lag das Tor durch das abschüssige Gelände tiefer. Die Pferde in den Stallungen spürten den herannahenden Tod und wieherten ängstlich, andere traten mit einem Poltern immer wieder gegen die hölzernen Pferdeboxen. Ein dumpfer Schlag erschütterte die Mauern, irgendwo rieselten Steinchen herab. Isanasca hielt kurz auf der Treppe zum Turm inne und biss die Zähne zusammen. Ein weiteres Trümmerstück hatte die Mauer getroffen. Die Orks hatten damit begonnen die Felsbrocken die den Damm gebildet hatten in den Fluss zu werfen. Manchmal hatten sie Erfolg. Halb rollend und halb treibend schlugen sie gegen ihre Wälle, die im Wasser standen. Sie warf einen kurzen Blick zurück. Die östliche Mauer hatte bereits eine tiefe Wölbung nach innen. Noch zwei oder drei solcher Einschläge und ihr Schicksal war besiegelt – wenn nicht durch das Wasser, dann durch die zahlreichen Orks, die sich an den Mauern die Zähne ausbissen. Eilig erklomm sie den Turm. Im Inneren lagen ein Dutzend gerüstete Körper, deren Gesichter mit den gefalteten Mänteln bedeckt waren. Sie mied den Blick und stieg höher, wo einige Verwundete sich erholten. Einem Krieger fehlten mehrere Finger, einer Späherin wurde gerade ein Pfeil aus der Schulter gezogen.  Isanasca ballte die Fäuste und sprintete die Treppen bis zur Spitze empor. Oben angekommen kniff sie Augen zusammen. Sie wollte es kaum glauben, doch auf der Straße, wo nur noch ein Brückenkopf übrig war, hatte sich ein Elbenheer versammelt.
Ein lautes Brüllen einer Bestie aus dem Osten ließ ihren Blick hoch zum Tal von Moria wandern. Rávi? Ihr Gedanke verlor sich bei dem Anblick. Die Treppen und der Weg hinauf zum Tal wimmelten vor Orks. Es waren dutzende hundert, viele trugen das Zeichen einer weißen Hand. In blaues Funkeln in der Nacht in ihrem Augenwinkel ließ sie wieder zu den Elben schauen. Die Gestalt an der Spitze hatte gerade einen Ork geköpft, der wohl Ausschau halten wollte. Sie kannte nur eine einzige Waffe, die blau leuchtete. Isanasca wollte schon freudig nach ihrer Großmutter rufen, bis ihr einfiel, dass sie hochschwanger sicherlich in die Schlacht ziehen würde. Sie selbst würde es auch nicht. Die Elben formierten sich indessen zu einer Schlachtreihe und blockierten die gesamte Breite der Straße, bis hinab zum Fluss. Sie standen vier Mann tief, ihre Glefen funkelten im Mondschein. Sofort erkannte sie welche Truppen dort angekommen waren, die sie selbst mit ausgebildet hatte. Eine Welle der Erleichterung überkam sie. Indessen rollte eine schwarze Flut aus Orks heran, die durch den Tod des Orkspähers alarmiert worden waren. Ein weiteres, fernöstliches Brüllen ließ sie nachdenklich werden. Hinter der schwer gerüsteten Schildfront machte sich eine Hand voll Elben daran, hölzerne Flöße an die Böschung des Flusses zu tragen.
Isanasca verstand sofort und wandte sich an die Soldaten neben ihr: „Sammelt alles, was sich zu einem Seil oder einem Tau verknoten lässt. Zaumzeug, Seile, Gürtel, alles! Sofort!“
Der Elb nickte und verschwand im Inneren. Der Befehl wurde weitergegeben und die Rufe hallten in Rómen Tirion wieder. Hoffnung keimt wieder auf. Sie selbst eilte ebenfalls den Turm hinab. In ihrem Kopf formierte sich ein wahnwitziger Plan. Ein weiter dumpfer Schlag erschütterte das Bollwerk, Steinchen und Staub rieselten auf sie hinab, doch sie hatte einen Plan, wie sie die ihr anvertrauten Leben retten konnte.


„Meinst du, dass sie begriffen haben, was wir vorhaben?“, fragte Lorindion nachdenklich und hob seinen Schild.
Mathan packte die Glefe fester, die er von einem der Späher Nénmarils ausgeliehen bekommen hatte. Auch er hob seinen Schild. Das dumpfe Trampeln von hunderten Orkfüßen wurde bedrohlich lauter. „Die da sicherlich“, antwortete er mit einem Nicken zu Sarumans Horden und rief lauter: „Bereit machen!“ Zweihundert Schritt trennte sie noch voneinander. Das Geräusch von aneinander reibenden Schilden ertönte. Jemand klopfte ihm auf die Schulter und Mathan nickte bestätigend. Der Elitekrieger hinter ihm schob seine Glefe zwischen die Spalte zwischen Lorindion und Mathans Schilden. Er ging etwas in die Knie und ein weiterer Krieger hob seinen Schild und deckte Mathans Kopf, womit der Schildwall bei ihm geschlossen war.
Der Befehl wurde weitergegeben, wobei er Nénmarils kristallklare Stimme deutlich heraushören konnte. Weiter im Hintergrund meinte er Befehle in der Sprache der Manarîn aus dem Bollwerk zu hören. Er hoffte, dass sie es verstanden, was sie vorhatten. Etwa einhundert Schritt. Er linste zwischen die Schilde. Die Orks wirkten seltsam auf Mathan. Sie schrien unablässig und schwangen ihre Schwerter, hatten keine klare Ordnung oder Struktur. Es war einfach ein massiver Pulk, der auf sie zurollte. „Halten!“, rief er und stemmte seine Beine mit aller Kraft in den steinigen Boden. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen prallten die Orks gegen die Schilde. Mathan spürte, dass seine Glefe sich in einen Körper bohrte. Gewicht drückte sich auf seinen Schild und verstärkte sich. Er sah einen Schatten über seinem Kopf. Was zum… „Jetzt!“ Sogleich schwand das Gewicht der Orks, die über ihre Köpfe gebrandet waren, als die dritte Reihe mit ihre Glefen von oben herab auf sie einhakte. Ein kollektives Quieken und krächzend ertönte. Lorindion gab den Befehl für die Bogenschützen. Erneut prallte etwas gegen seinen Schild, doch der Krieger hinter Mathan tötete den Ork, der nach seinen Beine schlagen wollte mit einem gezielten Stich ins Auge. Durch den Pfeilhagel entstand eine kurze Pause. Wie ein Mann machte der Schildwall einen Schritt zurück. Die Orks mussten nun über ihre toten Kameraden steigen, um sie anzugreifen, doch das störte sie nicht. Mathan gab ein Zeichen und die erste Reihe zog ihre Waffen etwas zurück. Nur um die sogleich neu anstürmenden Orks zu erstechen. Er spürte, wie er traf und schwarzes Orkblut über den Glefenschaft und seiner Hand spritzte. Erneut ertönten die Todesschreie der Orks. Die zweite Reihe stach nach den Überlebenden. Mathan blickte kurz hastig über die Schulter. Die Späher aus Nénmarils Kompanie hatten die Hälfte der fünfzig Flöße über die breite Straße ans Flussufer geschafft. 

Das Manöver wurde sechsmal wiederholt, zwei Pfeilhagel von Orksschützen prasselten indessen wirkungslos gegen ihren Schildwall. Vereinzelt ächzten einige Elbenkrieger auf, wenn einer der Pfeile eine schmale Spalte zwischen den Schilden fand, doch niemand fiel. Vor Mathans Füßen stapelte sich bereits ein kleiner Wall aus toten Orks, die jedoch unablässig angriffen. Es mussten mehr als fünfhundert sein. Mathan stach erneut mit seiner Waffe nach vorn, als Lorindion mit leichter Anstrengung sagte: „Denkst du nicht auch, dass sie irgendwie viel zu rücksichtslos mit ihrem eigenen Leben angreifen?“
Mathan stimmte zu und gab den Befehl für einen Schildstoß. Sein eigener Schild verwandelte das unförmige Gesicht eines Orks, der ihn ansprang in eine blutige Masse. Ähnliches Geschah auf ganzer Länge der Schlachtreihe. Die zweite und dritte Reihe ließen ihre Glefen wie Vipern vorschnellen und töteten die taumelnden Orks. Mathan klopfte dem Krieger hinter sich auf die Waffe. Sofort tauschten sie die Plätze.
„Lorindion, du übernimmst das Zentrum. Haltet die Stellung!“, rief er noch, was der Kommandant bestätigte.
Mathan atmete etwas durch und ließ den Blick über die hinteren Reihen schweifen. Etwas weiter hinten konnte er zwei gefallene Elben ausmachen, die auf dem Rücken lagen und deren Gesichter von ihren hellblauen Mänteln bedeckt waren. Einige Heiler versorgten eine Hand voll Verwundete und zogen Pfeile, säuberten und verbanden Wunden. Ein lautes Krachen ertönte von der Frontreihe, gefolgt von dem Geräusch kollektiven Sterbens der angreifenden Orks. Mathan war klar, dass sie das nicht ewig durchalten konnten.
Er ließ das schwarze Blut von seiner Glefe spritzen und ging zu der Flussböschung, wo der Spähtrupp die Flöße vorbereitete. Einige zwirbelten Grasfasern zu Seilen, die anderen legten die kleinen Stämme aneinander. Mathan nahm sich vor, Nénmaril bei Faelivrin lobend zu erwähnen. Ihre Späher hatten vorsorglich schon Holz besorgt, das wohl von den Bauvorhaben um Rómen Tirion stammte. Sie bauten mit flinken Händen die restlichen Flöße, auch wenn sie nicht wussten, wie viele genau sie brauchen würden. Auf der Mauer über dem Tor erschien eine schlanke Gestalt, die ihnen mit beiden Armen zuwinkte. Über dem Lärm der Schlacht konnte er nichts verstehen, doch war das dumpfe Grollen, dass aus Moria heranrollte war deutlich zu hören. Es war wohl eine Warnung. Seine Elbenaugen machten einen Felsblock aus, der den Strom hinabgespült wurde und unnatürlich schnell war. Er deutete mit seinem Schwert darauf. Als Antwort sprang das Tor von Rómen Tirion auf. Ein gewaltiger Sog im Fluss entstand und der Felsblock wurde von der neuen Strömung von der Ostmauer weggezogen, prallte aber dennoch mit einem gut hörbaren, dumpfen Schlag gegen die Mauerecke. Etwas weiter hinten polterten Steine ins Wasser, vermutlich war eine Mauer zusammengebrochen. Ein Pferd wieherte laut und Mathan konnte sehen, wie ein einzelner Reiter auf einem Pferd furchtlos in den Fluss preschte. Wasser spritzte auf, als das Tier das Tor passiert. Der Reiter hielt einen gespannten Bogen in der Hand und zielte. „Späher zu mir!“, rief Mathan geistesgegenwärtig und schnappte das Geschoss aus der Luft. Es war ein Gürtel an einem Pfeil, der an einem weiterer Gürtel geknotet war. In dem langen, selbstgeknoteten Seil konnte er Zaumzeug, Elbenseil und auch einige Mäntel erkennen. Es reichte quer über den Fluss und einige Elben erschienen in dem Innenhof. Der Reiter hatte indessen Mühe sich auf dem Pferd zu halten, das tatsächlich schwamm. Es kämpfte tapfer gegen die Strömung und warf seinen Reiter nicht ab. Erst auf dem dritten Blick erkannte er den Bernstein in der Stirn des Helmes. Die Person auf dem Pferd war Isanasca. Sie trieb es unbarmherzig den Fluss hinauf. Ein Pfeil verfehlte sie knapp. Mathan fluchte. Wie konnte man nur so leichtsinnig sein? Was hatte sie nur vor? Rasch wandte er den Kopf zu den kämpfenden Elben, die noch immer die Flut an Orks zurückhielten und biss sich auf die Lippen.
„Nehmt das Seil und vertäut es mit den Flößen, arbeitet euch so Stück für Stück vor“, befahl er den Spähern und drückte einen von ihnen den Gürtel in die Hand. „Und mach den hier an dem zerstörten Brückenkopf fest.“
„Mein Herr!“, rief einer der Späher bittend, doch Mathan winkte ab und antwortete entnervt: „Befolgt Eure Befehle! Auf der anderen Seite bauen sie ebenfalls etwas und nehmen dafür ihre Schilde. Nun macht schon!“
Mathan eilte hinter den Linien der kämpfenden Elben entlang, die noch immer tapfer ihre Position hielten, doch es gab mehr und mehr Verwundete, da die Orks offenbar auf die Idee gekommen waren Steine zu werfen. Neben den zwei Gefallenen lagen nun drei weitere, deren lebloses Gesicht von einem hellblauen Mantel bedeckt wurde. Mathan packte einem Boten an der Schulter und erklärte, dass er Lorindion ausrichten sollte, dass sie versuchen sollten vorzurücken.
Der Bote schüttelte jedoch den Kopf und berichtete, dass sie keinen festen Grund unter den Füßen hätten, da sich die Orks mittlerweile verzweifelt gegen den tödlichen Schildwall warfen. Es waren zu viele Leichen im Weg. Sie würden auf Körpern stehen.
Mathan blinzelte erstaunt. „Wie war das?“
Der Bote wiederholte etwas unsicherer: „Zu viele Leichen im Weg?“
„Nein, das davor. Sie sind verzweifelt?“
Der Elb wirkte unsicher, nickte dann aber zaghaft. Mathan dämmerte es langsam, was die Orks zu den selbstmörderischen Angriffen anstachelte. Nicht Hass, sondern Furcht. So große Furcht, dass sie sich lieber in einen unüberwindbaren Schildwall stürzten. Und seine Enkelin ritt genau in die Richtung. Was hatte sie nur vor?
Mathan war hin- und hergerissen. Alles drängte in ihm ihr zu folgen. In der Ferne konnte Isansca auf ihrem Pferd sehen, wie sie fast eine halbe Meile dem Fluss auf der südlichen Seite folgte. Sie steuerte auf ein großes Orklager zu, das offenbar durch die Fluten von dem Rest abgeschnitten wurde. Er blickte über die Schulter, wie die Elben hastig eine behelfsmäßige Brücke bauten, die auf dem Fluss schwamm. „Trolle!“, rief einer der Soldaten alarmiert. Die Rufe verbreiteten sich in den Schlachtreihen. Mathan blickte alarmiert nach vorn und reckte den Kopf. Tatsächlich konnte er in der wimmelnden Orkgewühl zwei massige Gestalten ausmachen, die sich einen Weg zu ihnen bahnten. Er fluchte laut. Sie waren weniger als eine halbe Meile entfernt und eine ernstzunehmende Gefahr für die Elben, die schon seit mehr als zwei Stunden im Schildwall kämpften. Irgendjemand musste etwas tun. Wenn sich die Trolle an den Ansturm anschlossen, würden sich die restlichen Orks ermutigt fühlen und die Elben von einer dreifachen Übermacht überrollt werden
„Bringt mir ein Pferd!“, rief er über den Schlachtenlärm hinweg, „Rasch!“ Er wandte sich an einen der Boten: „ Lorindion hat den Oberbefehl, haltet die Stellung und rettet so viele ihr könnt. Es soll eine Rettung sein, keine glorreiche Schlacht. Geht kein unnötiges Risiko ein.“
„Aber mein Herr, die Prinzessin, ihr-“
 „Genug!“, fuhr Mathan dazwischen. „Gebt die Befehle weiter. Ich werde das da vorne übernehmen“, befahl er mit eiserner Stimme und rammte Halarîns Schwert in die Scheide. Die Späherin, die sie zuvor über das Leuchtfeuer unterrichtet hatte, führte ihr Pferd am Zügel und nickte ihm zu. „Es hat keine Scheu vor Wasser und Pfeilen. Möge es Euch Glück bringen, Heerführer.“
Mathan nickte und schwang sich in den Sattel. Rasch prüfte er den Sitz seines Schildes und nahm die Glefe entgegen, die man ihm reichte. Etwas umständlich nahm er die Zügel zwischen die Zähne, klemmte sich die Stangenwaffe unter den Arm und strich dem Pferd beruhigen über den Nacken. Dann nahm er die Zügel und gab dem Tier die Sporen. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie die ersten Elben aus Rómen Tirion leichtfüßig über die schwimmende Brücke entkamen. Sie wirkten abgekämpft und die meisten trugen Verbände. Mathan schüttelte den Kopf über die Leichtsinnigkeit von Isanasca und preschte in die Böschung des Flusses. Der äußerste Flügel des Elbenheeres reagierte und öffnete sich. Er passierte die Manarîn, die ihm Kampfesrufe nachriefen. Sein Pferd machte einen Satz über die zahlreichen toten Orks, die einen dichten Teppich bildeten. Er ritt einen Angreifer über den Haufen und hielt sich ganz nah am Fluss. Die meisten von Orks hatten nur Augen für die gerüstete Elben, die den Weg verperrten. Sie waren ungeordnet, manche bildeten kleine Meuten, andere liefen wie aufgescheuchte Hühner quer durcheinander, doch eines hatten sie alle gemeinsam: Alles drängte nach Westen, fort von Moria. Manche rannten, als ob Sauron persönlich hinter ihnen die Peitsche schwang. Vereinzelte Uruk-Hai konnte er ebenfalls ausmachen. Mathan war sich sicher, dass das mit Oronêls Erzählung zu tun hatte. Sarumans Truppen verließen den westlichen Teil Morias fluchtartig. Sein scharfer Blick erfasst die zwei Trolle, die eher im normalen Tempo die Straße hinabliefen. Noch schenkte ihm keiner große Beachtung und er hoffte, dass es noch so blieb.

Curanthor:
Aus der Sicht Isanascas

Viele Geschichten hatte sie gehört, von der Heimat ihrer Großmutter und den alten Gestaden der Hwenti, aus denen die Manarîn hervorgegangen sind. Nie hätte sie gedacht, dass sie für eine alte Geschichte ihr Leben riskieren würde. Ich Blick fixierte das Orklager, das nur mäßig befestigt war. Hinter sich hörte sie noch den Schlachtenlärm lauter werden, wenn eine neue Welle Orks gegen den Schildwall brandete. Während sie das Pferd parallel zum Fluss hinaufpreschen ließ, blickte Isanasca immer wieder zu den Orks, die in Scharen aus Moria strömten.  Einige warfen Steine nach ihr, oder spannten Bögen, wenn sie sie bemerkten, doch da sie auf der anderen Seite des Flusses ritt, gaben die Orks rasch wieder auf. Die meisten waren damit beschäftigt in ungeordneten Gruppen fortzulaufen. Stellenweise kam es auch zu Auseinandersetzungen innerhalb der Orks.  Sie atmete tief durch und lenkte ihr Pferd weiter an den Rand des schmaler werdenden Pfads, wohl darauf achten, dass es nicht in das Wasser trat. Das Lager lag direkt vor ihr. Ein tiefes Grollen war zu hören, dann ein leises Brüllen einer Kreatur, die sie nur aus Erzählungen kannte. Ihre Hände begannen etwas zu schwitzen. Ihr Pferd wurde langsamer und peitschte nervös mit dem Schweif. Schließlich kam es zwanzig Schritt vor dem Lager zum Stehen und weigerte sich weiterzugehen. Es tänzelte unruhig und hob und senkte immer wieder den Kopf, die Ohren spitz aufgestellt. Isanasca glitt leichtfüßig aus dem Sattel. Ihrer elbischen Gewandtheit war es zu verdanken, dass der Kies unter ihren Füßen keinen Ton von sich gab. Leise flüsterte sie dem Pferd Worte der Beruhigung auf Quenya in die Ohren. Ein majestätisches Brüllen, das in ihrem Magen widerhallte machte die Beruhigung zunichte. Es klang wütend. Das Pferd scheute mit einem ängstlichen Wiehern und nahm Reißaus. Die Prinzessin legte ihre Hand an den Schwertgriff und huschte geduckt in das Lager. Grob behauene, angespitzte Holzpfähle waren als Abschreckung in den Kiesboden gegraben, ein Zaun aus groben Stein und Treibholz umschloss das halbrunde Lager. Ihre Elbenaugen erblickten große Metallkäfige, in denen drei Pferde passten, die in einem Halbkreis angeordnet waren. Sie zählte vier Stück. Ketten rasselten und ein Schnauben war zu hören, gefolgt von einem leisen Grollen, dann die Stimmen von Orks und… Menschen. Sie verstand dank der Lehren Ivyns den Großteil der Unterhaltung.
„Ich sage euch, meine Waren nehme ich wieder mit!“, zischte ein Mann ungehalten, „Offenbar habt ihr die Kontrolle verloren. Und bezahlt wurde ich auch noch nicht, von der gewaltigen Strecke rede ich noch gar nicht!“
„Wage es nicht, du Made“, knurrte eine tiefe, krächzende Stimme eines Uruks, „Der Herr und Meister hat immer die Kontrolle. Bezahlt wirst du, wenn der Herr es für nötig erachtet. Und du warst es selbst, der die Jungen entkommen ließ!“
Isanasca schlich hinter einem schäbigen Zelt her und erhaschte einen Blick auf die Sprechenden. Es war ein Mann, der einen roten Turban um den Kopf gewickelte hatte, einen schwarzen, staubigen Reisemantel trug und sich auf einem Holzstab mit Goldringen an der Spitze stützte. Er stand mit dem Rücken zu ihr. Ihm gegenüber stand ein massiger Uruk-hai in schwerer Rüstung, das Zeichen der Weißen Hand auf dem Brustharnisch. Die beiden fuhren sich nun gegenseitig in einer ihr unbekannten Sprache an. Ein warmer Luftzug ließ ihren Mantel und ihre Haare nach vorn fliegen. Es war merkwürdig warm. Erst jetzt nahm sie eine Präsenz hinter sich wahr. Isanasca erstarrte und wandte sich langsam um. Aus der Dunkelheit starrte ihr ein großes Paar bernsteinfarbene Augen entgegen. Sie strahlten eine ruhige Wärme aus, doch konnte sie rasenden Zorn darin lesen. Es war, als ob die Zeit stehen geblieben war. So viel konnte sie in diesen Augen lesen. Den Schmerz die Familie zu verlieren und mitanzusehen, wie der Rest gefangen wurde.  Ein tiefes Knurrend entrang sich aus der Kehle des mächtigen Geschöpfs, doch Isanasca wich nicht zurück. Der Blick in den Augen änderte sich, wurde wehmütiger. Den Wunsch nach Heimat konnte sie darin lesen, bis ein zorniges Funkeln ihn wieder überlagerte. Die Elbe kannte dieses Gefühl. Den Wunsch nach Heimat, einen Ort zum Leben. Den Drang wieder nach Hause zu gehen, auch wenn man weiß, dass es nicht mehr so existierte, wie man es in Erinnerung hatte. Man könnte niemals wieder zurückkehren. Langsam zog sie ihren Panzerhandschuh aus. Ihre schlanken Finger näherten sich dem metallenen Gitter. Feuchte Wärme und kalter Luftzug wechselten sich ab. Es schnupperte. Erst zweimal, dann vier-, dann sechsmal. Zum Schluss schnaubte es einmal geräuschvoll, sodass ihr die Haare aus dem Gesicht flogen. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Das Wesen legte den massigen Kopf schief und blickte zu den übrigen Käfigen. Es grollte leise, aber deutlich weniger bedrohlich, fast schon versöhnlich. Sie verstand und zog ihr kürzeres Schwert an der Hüfte. Sie blickte noch einmal lange und eindringlich in die bernsteinfarbenen Augen. Und es verstand sie ebenfalls.


Mathan ritt ganz knapp an dem Flussufer entlang, sodass sein Pferd zweimal strauchelte, doch es hielt tapfer den Pfad. Auf der Straße herrschte das blanke Chaos. Ein Krachen und orkische Todesschreie hallten von hinten nach vorn, als ein weiterer Angriff auf den Schildwall erfolgte. Einige Orks sammelten sich immer wieder zu kleinen Meuten, schienen sich gegenseitig aufzustacheln, um dann entschlossen gegen den Schildwall zu stürmen. Niemand schien hier das Kommando zu führen. Drei solche Orkmeuten hatte er schon niedergeritten, wobei sein Pferd zwei Wunden an den Flanken abbekommen hatte, doch der Hengst stürmte unermüdlich weiter nach vorn. Ein lautes Brüllen lenkte seinen Blick wieder ab. Einer der Trolle hatte ihn entdeckt. Weniger als hundert Schritte trennten sie voneinander. Er schwang eine große Keule aus Holz, an der schwarzes Blut klebte. Offenbar war dieser Troll nicht so fügsam. Mathan hoffte, dass der zweite Troll sich weiterhin mit den Uruk-hai anlegte, die ihn mit Lanzen und Ketten versuchten wieder einzufangen. Er biss die Zähne zusammen und gab seinem Pferd die Sporen. Er preschte an einem Ork vorbei und schwang seine Glefe. Der Kopf flog in hohen Bogen davon. Aufgeschreckt davon deuteten mehrere krumme Finger und Arme auf ihn. Er hielt auf eine kleine Meute aus sechs Orks zu und ließ seine Waffe kreisen. Sie durchtrennte Hälse, Arme und hinterließ bei dem Letzten eine klaffende Wunde am Torso. Dann war der Troll auch schon in Reichweite. Mathan riss am Zügel und das Pferd brach nach rechts aus. Die schwere Keule zerschmetterte einen Ork, der gerade sein Pferd anspringen wollte. Seine Glefe zuckte vor und hinterließ einen tiefen Schnitt an der linken Schulter. Der Troll jaulte kurz auf und taumelte zwei Schritt zurück. Dann brüllte er wütend. Mathan riss erneut am Zügel und ließ das Pferd einen großen Bogen schlagen. Er fluchte leise. Der Troll war seinem Stich zum Hals sogar ausgewichen. Offenbar war es kein dümmlicher Höhlentroll. Im Hintergrund sah er, wie der zweite Troll zwei Uruk-hai mit einem Prankenhieb davonsegeln ließ. Sein eigener Gegner stürmte wieder schwer stampfend auf ihn zu und zertrampelte zwei Orks, die nicht schnell genug vor den Kämpfenden davonliefen. Sein Pferd wieherte ängstlich und machte einen tänzelnden Schritt zur Seite. Mathan fluchte und rammte den Troll die Glefe in die Brust, wo irgendwo das Herz schlagen musste, in der Hoffnung, dass es ihn aufhielt. Die schwere Keule streifte die linke Flanke des Hengstes und verfehlte sein eigenes Bein nur um Haaresbreite. Das getroffene Tier bäumte sich vor Schmerz auf und stieg. Mathan krallte sich in die Zügel und drehte geistesgegenwärtig die Glefe in der Wunde. Der Troll jaulte erneut auf und zuckte von dem plötzlichen Schmerz zurück. Schwarzes Blut quoll aus der tiefen Wunde über Brust und Bauch, doch es reichte nicht um ihn zu töten. Der Hengst hinkte auf der linken Seite und Mathan wusste, dass er zumindest mit dem Tier nicht mehr zu den Reihen der Elben zurückkehren konnte. Ein gewaltiges Brüllen, das in seiner Magengegend vibrierte erschütterte das Tal und die Weststraße. Sämtliche Orks erstarrten in Furcht, die Uruk-hai schauten sich verwundert, vielleicht sogar verunsichert um. Selbst der verwundete Troll zögerte einen Moment, dann brüllte er ebenfalls seinen Schmerz in die Welt und stürmte Keulenschwingen vor. Mathan gab seinem Pferd die Sporen, doch reagierte es verzögert. Es war in Panik verfallen und bockte. Er fluchte und machte einen Satz aus dem Sattel. Die Keule sauste haarscharf an seinem Kopf vorbei. Etwas Großes raste in seinem Augenwinkel heran. Mathan ließ sich fallen. Ein Uruk-hai in verbeulter Rüstung flog über ihn hinweg und prallte gegen sein Pferd, dass vollends in blinder Panik verfiel und humpelnd davonlief. Der zweite Troll war in Rage verfallen. Er entledigt sich den letzten Peiniger mit einem Faustschlag und riss sich eine Lanze aus der verwundeten Hand. Mathan wich einem weiteren Keulenhieb aus und stach mit der Glefe in die rechte Schulter. Der zweite Troll warf einen herumliegenden Schild nach Mathan. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Waffe fahren zu lassen und rollte sich zur Seite. Zischen flog das Geschoss knapp an ihm vorbei. Der verwundete Troll brüllte indessen schmerzerfüllt und ließ die Keule fallen. Mathan kam geschwind auf die Füße und zog Halarîns Schwert. Der zweite Troll drängte sich nun vor und schob seinen verwundeten Artgenossen zur Seite. Ein einzelner Lichtstrahl am Himmel erregte seine Aufmerksamkeit. Ein erleichtertes Lächeln bereitete sich auf Mathans Gesicht aus. 
Der Morgen brach an. Und mit ihm kam ein weiteres, majestätisches Brüllen, das ihm in den Magen fuhr. Es klang näher. Viel näher. Gerade als der zweite Troll zum Angriff übergehen wollte, zögerte er. Mathan wagte einen raschen Blick über die Schulter, und traute seinen Augen kaum. Ein gewaltiges Tier bahnte sich einen Weg durch die Orkmassen. Furcht machte sich breit. Hatten die Orks zuvor relativ ruhig das Weite gesucht, stoben sie nun panisch auseinander, um nicht unter die mächtigen Pranken zu kommen. Der verwundete Troll wandte sich um und ergriff die Flucht. Der Zweite war jedoch mutiger und brüllte dem Tier eine Herausforderung entgegen. Mathan machte einen Satz zur Seite, als er einfach ignoriert wurde und der Troll dem mächtigeren Gegner entgegenrannte. Indessen formierte sich eine kleine Gruppe aus zwanzig Uruk-hai mit schweren Schilden und Lanzen zu einer Formation. Doch dem, was da heranstürmte waren sie nicht gewachsen. Mathan starrte noch immer auf das Tier, das er nur aus Geschichten kannte. Pranken mit Krallen, die so lang wie Dolche waren, zerfetzten die Uruk-hai. Das gewaltige Maul schnappte zu und hinterließ eine Spur des Todes. Es war einer der Löwen von Arand. Ein gewaltiges, legendäres Biest aus dem tiefsten Süden von Palisor. Es brach mühelos durch die hastig errichtete Blockade der Uruks und zermalmte alles in seinem Weg. Mathan packte sein Schwert fester und biss die Zähne zusammen. Er ging etwas auf Abstand. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er in dem Rücken eines Trolls abwarten würde. Doch genau das tat er. Niemand kümmerte sich um ihn, die Orks erkletterten eilig den Hang des Gebirges und versuchten dem aufkommenden Sonnenlicht oder dem Biest zu entgehen. Einige machten sogar wieder kehrt nach Moria. Der Troll stürmte indessen auf den Löwen zu, der deutlich größer als ein Pferd war. Das schwarz verschmierte Maul öffnete sich zu einem herausfordernden Brüllen. Mathan blinzelte und unterdrückte den Impuls die Ohren zu bedecken. Etwas war auf dem Rücken des Tieres. Und es sah ihm verdächtig nach einer Person aus, die eine eigentümliche Waffe schwang. Ein langer Speer an dessen Ende eine schwere Klinge saß.  So etwas wie eine Schwertlanze. Der Troll schwang seinerseits einen Speer, doch der Löwe schnappte einfach zu und zerbrach den hölzernen Schaft mühelos. Der Reiter ließ seine Waffe niederfahren und hinterließ eine klaffende Wunde in der Schulter des Trolls. Der Löwe sprang vor und bohrte mit einem Knurren seine Fänge in einen Arm des Trolls. Schwarzes Blut quoll hervor und Mathan konnte ein deutliches, trockenes Knacken hören. Der Troll gab einen erstickten Laut von sich.  Dann zuckte die Schwertlanze des Reiters vor und traf genau in das Auge. Der Troll taumelte kurz, fiel aber dann tot auf den Rücken. Der Löwe von Arand stellte seine rechte Pranke auf seinen toten Gegner und stieß ein triumphierendes Gebrüll aus, das von den Berghängen widerhallte. Dann trottete das Tier genau auf ihn zu. Mathan zögerte und suchte nach einer passenden Waffe für einen tödlichen Kampf, bis er seinen Namen hörte. Er blickte überrascht auf. Von dem Rücken des Löwens winkte ihm ein bekanntes Gesicht.
Isanasca schwang ihre schwere Lanze und deutete auf die Schlachtreihe weiter die Straße hinab. „Wir sollten den verwundeten Troll töten, bevor er unsere Reihen erreicht.“
Etwas verblüfft brachte er nur ein Nicken zustande und sagte stattdessen: „Ich dachte, die Löwen von Arand gelten als unzähmbare Legende…“
Ein Blitzen ihrer weißen Zähne durchschnitt die Morgendämmerung. „Das sind sie auch eigentlich. Wir haben aber im Moment die gleichen Interessen. Doch später mehr, erst müssen wir unser Volk retten.“
So als ob das Tier zugehört hatte, schnaubte es und setzte sich wieder in Bewegung. Noch immer verblüfft schüttelte Mathan den Kopf und verfiel im Laufschritt. Der Löwe hatte bereits einen großen Vorsprung. Er konnte sehen, wie sich seine Enkelin in dessen Fell klammerte. Ihm ging es nicht in den Kopf, wie dieses Tier hierherkam.
Er kannte die uralten Geschichten über Aldaron, dem Jäger zu der Zeit der Sterne und seinem Gefolge, die gemeinsam die bösen Kreaturen des Dunklen Herrschers in den Wäldern jagten. Seine Begleiter waren mächtige und intelligente Geschöpfe, von denen sich manche nach dem großen Kriegen in unbewohnten Winkeln Mittelerdes niederließen. Deren Nachkommen lebten angeblich verborgen vor allen Augen in unzugänglichen Wäldern, verborgenen Tälern und anderen friedlichen Plätzen. Man erzählt sich, dass die Löwen von Arand ebenfalls von ihnen abstammten. Mathan schüttelte die Verwunderung ab und setzte sich in Bewegung. Inzwischen war die Weststraße bis auf vereinzelte Orks wieder frei. Die meisten von ihnen hatten kehrt gemacht, oder flüchteten in die Berge und manche ertranken im Sirannon, als sie dem Löwen ausweichen wollten, der alles und jeden zerfetzte, was in Reichweite kam.  Isanasca holte mit ihrem ‚Reittier‘ den Troll sehr bald ein und konnte ihn mit ihm einem einzigen Hieb in den Nacken zur Strecke bringen. Die Gewicht der schweren Waffe und die Wucht durch die Geschwindigkeit reichten aus, um den ohnehin schon geschwächten Troll sofort zu töten, was mit großem Jubel der Elbenkrieger beantwortet wurde. Der Löwe stieß erneut ein triumphierendes Gebrüll aus. Allerdings antworteten ihm zwei ähnliche Laute. Unbemerkt befanden sich drei weitere Löwen auf der anderen Seite des Flusses. Sie waren etwas kleiner als der, auf dem Isanasca ritt. Mathan vermutete, dass sie auf dem Alphatier saß, das seine Enkelin gerade bis zur Linie der Elbenkrieger trug. Er warf einen raschen Blick über den Rücken und erkannte in den Schatten der Berge noch dutzende Orks und auch einige Uruk-hai, die abwarteten, was als nächstes geschah. Nicht darauf hoffend, dass der Schock über das Erscheinen der Löwen lange währte, beeilte Mathan sich zurück zu den Reihen Manarîn.

Dort angekommen ging er außen rum, um nicht über die dutzenden toten Orks steigen zu müssen. Isanasca sprang indessen leichtfüßig von dem großen Löwen herab, der immer wieder den massigen Kopf zu seinen Artgenossen schwenkte. Seine Enkelin schwang ihre Waffe und legte sie sich auf die Schulter, man konnte sehen, dass das Gewicht selbst für Elben belastend war. Eine pure Reiterwaffe, mit der man durch den Schwung und nicht durch Muskelkraft tötete. Seine Enkelin begrüßte ihn mit einem verschmitzten Lächeln. Mathan schüttelte nur mit halben Ernst den Kopf und nickte den drei Kommandanten zu, die zu ihnen traten. Lorindon war unverletzt, jedoch über und über mit schwarzem Blut besudelt. Nénmarils Rüstung hatte einige Treffer abbekommen und ihr Mantel hing in Fetzen, doch auch sie wirkte unverletzt. Angadil hinkte hingegen und wirkte unzufrieden, ließ sich ansonsten jedoch nichts anmerken. Lorindon berichtete von etwa vierzig Gerettete. Sie schauten zu der schwimmenden Brücke, über die gerade die leblosen Körper der Gefallenen von Rómen Tirion getragen wurden. Es waren viele. Mehr als sie gerettet hatten, stellte Mathan traurig fest. Isanasca machte ein düsteres Gesicht und ballte die Fäuste. Er vermutete, dass sie sich die Schuld für die vielen Toten gab und legte ihr mitfühlend eine Hand auf die Schulter. Schweigend beobachteten sie, wie die toten Manarîn geborgen wurden. Zum Schluss wurden die Schwerverletzten aus dem Turm geholt. Seine Enkelin löst sich von ihm und ging zu dem Brückenkopf. Warmer Atem fiel ihm in den Nacken und Mathan bemerkte, wie der riesige Löwe direkt hinter ihm stand und Isanasca aufmerksam beobachtete. Sie ging zu den letzten Elb, der auf einer Trage gerade über die wackeligen Flöße getragen wurde. Mathan konnte von seinem Blickwinkel nur stahlschwarze Haare erkennen. Er erinnerte sich an die Festlichkeit auf dem Deck der Galeasse  in Mithlond, wo er die Eltern von Anastorias genauer kennengelernt hatte. Sein Verdacht erhärtete sich, als seine Enkelin die kraftlose Hand des Verletzten nahm und sich etwas zu ihm hinabbeugte. Offenbar redete sie leise auf ihn ein. Ohne sie weiter zu beachten, wich sie ihrem Mann nicht mehr von der Seite. Ein leises Schnauben ließen Mathans Haare umherwirbeln. Er legte den Kopf in den Nacken, als der Löwe fragend den Kopf zur Seite neigte und seine ruhigen, bernsteinfarbenen Augen zwischen ihm, Isanasca und dem Verletzten hin- und herwanderten. Mathan machte einen Schritt nach vorn und wandte sich um. Neben dem Leittier hatten sich drei weitere Löwen eingefunden, die allesamt ein wenig kleiner waren, generell wirkten sie eher wie eine Mischung aus Löwe und Tiger. Die kleinsten hatten in etwa die Größe eines kleinen Pferdes. Das zweitgrößte Tier hingegen wie ein ausgewachsenes Pferd. Es war auch schlanker als die anderen, wirkte wesentlich unruhiger und scharrte immer wieder mit den mächtigen Pranken. Und auch hatte es keine Ansätze einer Mähne, woraus Mathan schloss, dass dies das Weibchen war, da es sich immer wieder an das Leittier schmiegte. Ihm wurde etwas unwohl, da er sich unter ihren Blicken ziemlich beobachtet vorkam.
Lorindon trat neben ihm und flüsterte ihm zu: „Wir sind bereit abzuziehen. Die Toten nehmen wir auf die Schilde, oder legen sie auf die Flöße und binden diese an die wenigen Pferde.“ Mit Blick auf die Löwen fügte er etwas unsicherer zu. „Was mit ihnen geschieht weiß ich allerdings nicht…“
Ehe Mathan etwas erwidern konnte tauchte seine Enkelin neben ihm auf. Sie wirkte gefasst, ihre Rüstung wies einzelne schwarze Blutspritzer auf, aber ansonsten hatte sie keinen Kratzer abbekommen.
Isanasca tauschte einen langen Blick mit dem Alphatier „Sie werden uns vorerst begleiten. Er hier“, sie nickte zu dem riesenhaften Löwen, „Wird unsere Lande durchstreifen und seine Junge suchen. Meine Mutter muss davon erfahren und wir sollten die übrigen Bewohner warnen. Die Löwen von Arand sind extrem gefährlich und sehr leicht zu reizen. Sie sind in der Tat unzähmbar, allerdings habe ich eine Vereinbarung mit ihnen.“ Sie wandte sich an Angadil und Nénmaril, die beide offenbar widersprechen wollten, „Bei meiner Autorität als Kronprinzessin dulde ich keine Widerrede. Mir wurde versichert, dass sie keine Elben angreifen, solange niemand ihren Nachwuchs anfasst, „Sie atmete tief durch und hob die Hand, um weitere Fragen zu unterbinden, „Das sollte genügen, machen wir uns bereit zum Aufbruch, ehe die Orks wieder angreifen… oder Schlimmeres auftaucht.“
Mathan wartete, bis die drei Kommandanten wegtraten, doch blickten sie ihn erwartungsvoll an, ebenso wie seine Enkelin. Er erinnerte sich, dass das Heer noch immer unter seinem Kommando stand und sie auf Bestätigung warten. Ein knappes Nicken genügte und die Befehle für den Aufbruch wurden weitergegeben. Mathan sah aus dem Augenwinkel, wie der Alphalöwe sich mit einem Stupsen mit der großen schwarzen Nase von seinem kleinen Rudel verabschiedete. Das große Tier blickte noch einmal zu ihnen. Isanasca senkte sacht das Haupt, daraufhin trottete es davon und verfiel in einem leichten Trab. Rasch war es am Horizont zwischen einer Gruppe Bäume verschwunden.
„Und du bist dir sicher, dass er keine Elben angreifen wird?“, fragte Mathan, besorgt um die unwissenden Bewohner Eregions. Gemeinsam ginge sie an den übrigen Soldaten vorbei zur Spitze.
Seine Enkelin blickte rasch über die Schulter, zu den drei verbliebenden großen Löwen, die ihnen auf Schritt und Tritt folgten. „Wenn du gewaltsam aus deiner Heimat herausgerissen wirst, freust du dich doch sicherlich auch über Verbündete.“
Mathan konnte das nicht bestreiten und blickte noch einmal zu den großen Raubtieren, die sie beide aufmerksam beobachteten, während die übrigen Elben ehrfürchtig Platz machten. Ihm war es, als ob sie ihn verstanden. Die Blicke, die sie ihnen zuwarfen war eine merkwürdige Mischung aus Neugierde, Vorsicht, Misstrauen und Interesse.
Isanasca lachte leise und schien seinen Gedanken zu erraten: „Tatsächlich sind sie ausgesprochen Intelligent, doch darüber reden wir besser später.“
Er nickte und wechselte das Thema, das ihm schon seit vorhin durch den Kopf ging. „Wie geht es…“
Sie unterbrach ihn mit einem ernsten Blick aus dem Augenwinkel und seufzte. „Den Umständen entsprechend. Wir sollten so schnell es geht zurückkehren, die fahle Sonne gefällt mir nicht.“
Es war klar, dass sie nicht darüber reden wollte, was er respektierte. Ein rascher Blick zum Himmel ließ eine Erinnerung zurückkehren. „Sauron bedeckte stets den Himmel mit seinem Brodem, damit seine Truppen nicht so sehr von der Sonne geschwächt werden. Wenn sich auch über unserer Hauptstadt der Himmel verfinstert, sollten wir Kampfbereit sein. Obwohl ich denke, dass dies noch ein normaler Winterhimmel ist.“ Er sah, dass Isanasca trotzdem schmunzelte und hob fragend eine Braue.
Sie hob die Hand um einige knappen Grußworte zu erwidern, dann schenkte sie ihm ein Lächeln. Ihre freie, gepanzerte Hand fand die Seine. „Es ist beruhigend, dich an unserer Seite zu wissen. In unserem Land.“
Er drückte sie bekräftigend und ließ den Blick über die hügelige, grasbedeckte Landschaft. „Ja, unser Land…“, sagte er leise und konnte einen Seitenblick auf die Toten nicht unterdrücken, „Ich wünschte nur, wir wären früher gekommen.“
Isanasca umschloss seine Hand mit beiden Händen und schüttelte den Kopf. „Nein, du bist genau dann gekommen, als es nötig war. Belaste dich nicht, mit Dingen, die hätten sein können und blicke auf das, was du erreicht hast. Sanas wird überleben und auch wenn die Hälfte der Besatzung gefallen ist, gaben sie ihr Leben, um dieses Land zu beschützen. Und ihren Willen werden wir weitertragen. Sie sind die Grundsteine was uns zusammenhält. Wir werden ihre Opfer niemals vergessen und mutig nach vorne blicken.“
„In eine strahlende Zukunft“, bestätigte Mathan, überrascht von der Weisheit in ihren Worten und legte seine freie Hand auf die Ihre, „Ihr habt tapfer gekämpft und die Stellung gehalten, jetzt überlasst dies uns.“
Ein silbernes Blitzen in ihren Augen flackerte für einen kurzen Moment auf, dann nickte sie und begab sich zu den Verletzen – wohl um Sanas beizustehen. Die große Löwendame folgte ihr prompt und ließ dabei ein Pferd der Späher nervös wiehern. Die zwei kleineren Löwen blickten ihn dagegen unverhohlen Neugierig an. Mathan seufzte schwer und wandte sich nach Westen. Es würde eine ganze Weile dauern, bis er sich an sie gewöhnen würde. Er richtete sein Blick auf die Straße, wo Grám Feuerhammer auf ihn warten würde mit noch mehr Dingen, über die er seinen Kopf zerbrechen musste. Er zog sein Schwert und schwenkte es weit über den Kopf. Damit brachen sie in Richtung Ost-In-Edhil auf und er fragte sich, was als nächstes auf ihn wartete.

Curanthor:
Der Rückweg war ruhig und Mathan konnte die Gelegenheit nutzen, mehr Zeit mit seiner Enkelin zu verbringen. Isanasca machte sich zwar große Sorgen um Sanas, doch vertraute sie auf die Heiler, die die Verletzten versorgten. Sie wirkte dennoch zwar ein klein wenig abwesend, doch lauschte sie aufmerksam der Erzählung Mathans, der ihr berichtete, wie sie zu ihrer Rettung ausgezogen waren. Seine Enkelin hatte bereits von den befreiten Gefangenen von den anderen Kommandanten erfahren, wie sie knapp bei einer Atempause einwarf. Mathan warf einen finsteren Blick nach hinten, wo Lorindon an der Spitze der Dämmergarde marschierte, die in beiden Gefechten keinen einzigen Verlust zu beklagen hatte. Sein Blick wurde jedoch kurz darauf von den drei Löwen von Arand versperrt, die genüsslich hinter ihnen her trotteten. Die zwei kleineren Tiere waren etwas größer als ein Pony, das Weibchen hingegen fast so groß wie ein ausgewachsenes Pferd. Letzteres war besonders auf seine Enkelin fixiert und wich ihr kaum von der Seite. Kurz warf es ihm einen abschätzigen Blick zu und knurrte leise. Abgelenkt davon brach er seinen Satz ab und blickte wieder nach vorn. Isanasca warf einen kurzen Blick über die Schulter.
„Sie weiß nicht, was sie von dir halten soll“, erklärte seine Enkelin nachdenklich und legte den Kopf schief, „Ganz genau verstehe ich aber auch nicht, was sie meint.“
Endlich konnte Mathan das fragen, was ihn schon die ganze Zeit umtrieb: „Wie kommunizierst du eigentlich mit ihnen?“
Isanasca blickte noch einmal zu der großen Löwendame und rückte etwas näher an Mathan heran. Mit gesenkter Stimme sagte sie: „So wie die Weisen unseres Volkes miteinander sprechen, aber sie sind äußerst stolze Geschöpfe und haben auch nicht viel mit Zweibeinern zu bereden. Ich habe sie befreit und dadurch fühlen sie sich mir in gewisser Weise verbunden.“
„Hmm“, machte Mathan bestätigend und mied es nach hinten zu blicken. Er spürte den abschätzigen Blick der Löwendame in seinen Nacken. Eigentlich interessierte es ihn brennend, ob es noch mehr ihrer Art gab und wie sie hier so weit im Westen gelandet waren, doch sparte er sich die Fragen für später auf. Seine Enkelin bat ihn indessen, seine Erzählung über ihren Vormarsch nach Rómen Tirion fortzuführen, was er auch tat. Knapp fasste er das Gefecht auf der Hochebene zusammen und die Rettung der Gefangenen. Isanasca erzählte, dass sie in dem Lager ebenfalls auf Sklavenhändler getroffen war, die mit den Orks gemeinsame Sache machten. Sie vermutete, dass es sich dabei um billige Arbeitskräfte für den Feind handelte, da Orks nicht so geschickt mit den Händen waren wie die Menschen. Mathan musste ihr zustimmen. Sauron wollte beherrschen, nicht alles Leben auslöschen und Orks waren auch gerade nicht für große Baukünste oder Schmiedearbeiten bekannt. Ihm bereitete es aber Sorgen, dass die Zugehörigkeiten der Orks aus Moria nicht klar einzuordnen war. Nachdenklich flüsterte er Isanasca seine Sorgen zu, die ihn fragend anblickte. Er erinnerte sich, dass sie nicht in Mittelerde aufgewachsen war und die Machtverhältnisse nicht so gut kannte wie Faelivrin, die wohl noch nicht die Zeit hatte sie über alles, was bisher vorgefallen war aufzuklären. Rasch erklärte er die Verhältnisse von Sauron und Saruman und dessen Verrat. Sie verstand rasch und bestätigte, dass die ersten Angriffe von Orks ohne irgendwelche Zeichen ausgingen. Erst später hatten sich jene mit dem Zeichen der Weißen Hand darunter gemischt. Und nachdem Oronêl aus Moria entkommen war, wurden die Angriffe verzweifelter, da die Besatzung des großen Ostturms keine Orks über die Weststraße entkommen ließ. Sie beide wussten auch den Grund dafür, brachten ihn aber nicht zur Sprache.

Die Unterhaltung zerfaserte schließlich und sie marschierten schweigend an der Spitze des Heeres. Mathan blickte zu Isanasca und studierte ihr Profil. Ihre Stupsnase war etwas kleiner als die seiner Tochter, ihre dunkelblonden Haare hatten einen winzigen Schimmer von Kupfer, wenn man ganz genau hinsah – ein Merkmal, das wohl Halarîns Blut mit sich trug. Sie bemerkte seinen Blick und hob fragend eine Braue, doch Mathan winkte ab und sagte nur, dass er froh ist, dass ihr nichts weiter zugestoßen war. Isanascas Mundwinkel hoben sich für einen winzigen Augenblick, doch erreichte es nicht ihre Augen. Mathan schwieg und blickte wieder nach vorn auf die alte Straße. Links von ihnen –südlich - zog ganz langsam ein hügeliges Gebiet vorbei, das von dichten Wäldern beherrscht wurde. Der alte Flusslauf des Sirannons war  noch immer ausgetrocknet und er vermutete, dass der Fluss jetzt durch oder hinter den Hügeln floss. Nördlich von der Straße befand sich ebenfalls hügeliges Waldland, wenn auch nur spärlich bewachsen. Mathan erkannte die Stelle. Dieser Teil der Straße war früher deutlich belebter, da sich hier eine kleine Stadt befunden hatte, in denen sich einige Schmuckschmiede niedergelassen hatten. Er spähte in die südlichen Hügel, konnte aber nichts genauer erkennen, bis auf unzählige Bäume. Er blickte wieder nach Norden, auf die weniger bewachsenen Hügeln, wo sich ebenfalls eine größere Siedlung befunden hatte, die die umliegenden Felder in dem großen Tal des Sirannon bestellt hatten. Leider erinnerte er sich nicht mehr an die Namen der Städte und Ländereien, da er noch relativ jung war, als seine Heimat fiel. Er wusste aber noch, dass er hier öfters Leckereien von den Bäckern ergattern konnte, die nördlich der Straße gelebt und die Früchte der Feldarbeiten zu einem wahren Gaumenschmaus verarbeitet hatten. In der kleinen Stadt südlich davon hatte er seine Lehre als Schmuckschmied abgeschlossen, um später unter Celebrimbor und Amarin bei den Ringschmieden zu arbeiten. Mathan senkte leicht den Kopf und seufzte bei den Gedanken unmerklich. Er konnte sehen, wie Isanasca ihm einen Seitenblick zuwarf und dabei angestrengt überlegte, ob sie ihn darauf ansprechen sollte oder nicht. Er legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter und schüttelte dabei den Kopf. Jetzt wollte er nicht über seine Vergangenheit sprechen. „Später“, sagte er nur. Seine Enkelin schenkte ihm eines ihres seltenen, aufmunternden Lächeln und respektierte seinen Wunsch. 

Sie marschierten ohne große Probleme bis zu den vereinbarten Treffpunkt auf der alten Weststraße. Die Späher, die ihren Zug permanent umkreisten, um irgendwelche Überraschungen zu verhindern hatten bereits berichtet, dass eine kleine Gruppe von Menschen und einige Zwerge auf sie warten würde.  Mathan tauschte einen Blick mit Isanasca. Sie hatten zuvor schon darüber gesprochen, was sie mit den befreiten Gefangenen tun würden. Er hatte den Befehl über das Heer, aber seine Enkelin konnte stellvertretend für die Königin entscheiden, ob jemand Zuflucht in Eregion gewährt wurde oder nicht. Und es sah nicht so aus, als ob ihr der Gedanke gefiel. Isanascas Stirn lag in Falten, als sie eine Kuppe erreichten und die kleine Gruppe erblickte, die am Wegesrand lagerte. Mathan kniff die Augen zusammen und erblickte die drei Zwerge, die etwas abseits auf einigen Steinen saßen und kleine Rauchwolken ausstießen.  Er schmunzelte und musterte den Rest der Gruppe, von denen die meisten am Boden saßen und sich ausruhten, oder in einem Kreis um ein kleines Lagerfeuer saßen. Es dauerte auch nicht lange, bis die Elben bemerkt wurden – oder eher die drei Löwen hinter ihnen. Isanasca hatte Mühe die Tiere zu bitten etwas auf Abstand zu bleiben, wie sie ihm erklärte. Mathan hatte schon bemerkt, dass es sehr stolze Geschöpfe waren – was seine Enkelin ihm bereits gesagt hatte - und hütete sich einen bissigen Kommentar von sich zu geben. Die Zwerge liefen ihnen auf halber Strecke entgegen und Mathan beschleunigte ebenfalls seine Schritte. Isanasca hielt mühelos Schritt. Die drei Löwen hinter ihnen schwärmten etwas aus und beäugten die Zwerge misstrauisch. Die Löwendame schnaubte schließlich und trabte wieder den Hügel hinauf, um sich in die Sonne zu legen.
Grám Feuerhammer schaute dem Tier mit großen Augen hinterher und sagte anstelle einer Begrüßung ehrfürchtig: „Wo habt ihr… es gefunden?“
Mathan nickte ihm knapp zum Gruß und deutete auf seine Enkelin: „Sie hat sie befreit. Dies ist die Prinzessin dieser Lande, Isanasca, Tochter der Faelivrin, Königin der Manarîn.“
Der bohrende Blick des Zwergs wanderte zwischen seinem und dem Gesicht Isanscas hin und her, dann verneigte er sich – nicht zu knapp, aber auch nicht sonderlich tief. In seinen warmen, rehbraunen Augen funkelte die Erkenntnis, dass beide wohl verwandt sein mussten.
Mathan fuhr mit der Vorstellung fort: „Und dies ist…“
Der Zwerg räusperte sich jedoch und stellte sich selbst vor: „ Grám Feuerhammer, Sohn des Thrám.“ Dann deutete er auf seine beiden Begleiter, zuerst auf den älteren Zwerg mit mächtigen, weißem Bart und einem eigentümlichen, runden Helm auf dem Kopf. „Dies ist Andak, Sohn des Gordac.“ Seine Hand wanderte weiter zu einem jungen Zwerg mit schwarzen Haar und einem kurzen Vollbart. „Lorim, Sohn des Andim.“ Die zwei Zwerge verneigten sich knapp und Grám fuhr fort: „Wir sind aus den Roten Bergen, vom Volk der Schwarzschmiede. Sie begleiten mich, da ich die Schmiedekunst bei unseren Brüder im Westen studieren wollte, doch auf dem Weg gerieten wir diesem Natterngezücht in die Hände.“
Mathan bemerkte, wie der alte Zwerg mit den Namen Andak sich versteifte und hob daraufhin beruhigend eine Hand. Er wusste um die Geheimniskrämerei der Zwerge und sagte: „Eure Angelegenheiten sind Eure Sache, aber es freut mich, dass wir eine Hilfe sein konnten.“
„Grám plaudert zu viel“, brummte Andak missmutig, machte aber dennoch einen leichten Knicks, „Noch einmal unseren Dank für die Rettung. Und auch Euch, Prinzessin, dafür, dass Euer Volk den Meinen in der Not beigestanden hat.“
Isanasca, die bisher schweigend und mit einer Mischung aus Vorsicht und Neugierde zugehört hatte, erwiderte die Geste äußerst knapp. „Mir gebührt kein Dank, da auch ich durch die Taten des Heerführers aus einer prekären Lage befreit wurde und nichts zu Eurer Rettung beigetragen habe.“ Seine Enkelin warf ihm einen dankbaren Blick zu, „Und ich meine mich zu erinnern, dass unsere Völker in den alten Zeiten schon öfters Seite an Seite gekämpft haben.“
Das faltendurchzogene Gesicht des alten Zwergs erhellte sich bei den Worten. Er merkte an, dass er an ihrer Art zu sprechen sie als eine der Avari erkannte, mit denen sie stets freundschaftliche Beziehungen hatten. „Aber von den Manarîn habe ich noch nie etwas gehört“, setzte Andak nachdenklich nach.
Isanasca lächelte verständnisvoll und erklärte, dass ihr Volk einst aus den Hwenti hervorging und einigen Auswanderern der anderen Stämme. Die Zwerge tauschten einen erstaunten Blick, doch seine Enkelin bot an, das Gespräch zu verschieben und lud sie in die Hauptstadt ein.
Grám grinste breit und stieß Mathan den Ellenbogen in die Seite. „Das hatte ich auch ohne Einladung vor, da ich diesem feinen Elbenherr mein Leben schulde. Gibt’s bei euch auch Bier?“
Er musste grinsen, während Lorim leise in seinen Bart nuschelte, dass er die Existenz von Elbenbier stark bezweifelte. Die Zwerge verfielen in ein dröhnendes Gelächter. Isanasca lächelte höflich, blinzelte aber etwas verwirrt, da sie den Witz daran nicht verstand. Mathan war sich sicher, dass sie noch nie Zwergenbier gekostet hatte, was als eines der besten Biere der Welt galt, zumindest unter Kenner. Sein Vater hatte stets ein kleines Fass gehabt, von dem er ein paar Mal gekostet hatte, als sie noch regen Handel mit Khâzad-dûm getrieben hatten.
Seine Gedanken wurden von einem unerwarteten Geräusch unterbrochen. Dem Klang einer Laute und den Gesang einer sanften Stimme, die sich im Wind wiegte. Es war eine alte Sprache der Menschen, die Mathan nur äußerst selten zur Ohr bekommen hatte und auch nicht verstand. Zwar konnte die Singstimme sich nicht mit der Stimmgewalt von Halarîn oder gar Anastarios messen, aber für ihn war es eine der klangvollsten und melancholischsten Stimmen, die ihm zu Ohren gekommen waren. Sie sang eine traurige Melodie, mit langgezogenen, hohen Noten, die immer wieder abstiegen, nur um dann zu neuen Höhen zu wandern. Inzwischen war auch das Elbenheer heran, von denen sich einige Soldaten unbewusst verlangsamten. Isanasca, die gerade mit den Zwergen sprach blickte immer wieder umher, bis der Gesang verstummte.

Eine junge Frau mit einer Laute in der Hand trat aus dem Unterholz. Ihre dunkelroten Haare waren etwas unordentlich und reichten ihr bis über den Po, während sie sanft im Wind wiegten. Ihr durchtrainierter Körper steckte in einem schlichten, grauen Kleid, das ihr nicht ganz passte. Der Stoff spannte an der Brust durch eine Oberweite, für die viele Frauen sie beneiden würde. Doch die Ärmel des Kleids standen ebenfalls unter Spannung, da die kräftigen Oberarme sich deutlich gegen den Stoff abzeichneten. Er erkannte sie als Verdandi, die offensichtlich eine geübte Kriegerin war. Zumindest strotzte ihr Körper vor Muskeln und auch die Art, wie sich bewegte verriet, dass sie im Kampf geübt war. Die Kriegerin wirkte sichtlich unwohl unter den zahllosen Blicken, die auf ihr lagen. Sie biss sich angespannt auf die Unterlippe, den Blick aus hellgrünen Augen stur auf ihn gerichtet. Hinter ihr trat eine kleinere Gestalt hervor und Mathan erkannte Sunshu Jin, den Mann aus Minzhu – besser gesagt den Jungen. Er wirkte im Sonnenlicht, ohne Matsch und Staub im Gesicht viel jünger, deutlich unter zwanzig. Sie bedeutete ihm mit einer knappen Geste zu warten und trat an Mathan heran. Erst etwas unwohl, dann hob sie trotzig den Blick und verschränkte die Arme. Er wartete ab und nickte ihr freundlich zu.
„Ich habe gehört, was Ihr getan habt … Herr Elb“, sagte sie kaum hörbar und in ihrem Blick flackerte Furcht auf, „Wenn Ihr nicht mit den Euren gewesen währt, dann…“, Sie nestelte unwohl mit dem Saum ihres Kleides und biss sich auf die Lippen. Ihre vernarbten Hände ballten sich bebend zu Fäusten.
Mathan deutete eine Verneigung an. „Ich bin froh, dass wir Euch aus den Klauen dieses Abschaums befreien konnten. Niemand sollte so etwas durchmachen“, sagte er mitfühlend.
Ihre Augen weiteten sich einen Moment und sie winkte hastig ab, „Nein, nein, Ihr wart in der Tat zeitig zur Stelle, Meister Elb.“ Kurz senkte sie beschämt den Blick, „M-meine… uhm… Unschuld ist unversehrt“, murmelte sie kaum hörbar.
Er atmete hörbar auf und dankte den Sternen, dass seine Befürchtung sich nicht bewahrheitet hatte. Sie berichtete indessen mit leise Stimme, dass die Orks die menschlichen Aufseher dazu angestachelt hatten ihr Gewalt anzutun. Noch immer etwas erschüttertet, aber mit immer fester werdender Stimme fuhr sie fort und wurde immer detaillierte, wie sie vom Lager fortgezerrt wurde und die drei Wächter unter Beifall der Orks über sie hergefallen waren. Sie erzitterte und rasende Wut funkelte in ihren Augen, als sie von den gierigen Händen erzählte, die ihre Kleider fortrissen. Dann wurde ihr Blick dankbar, als sie von dem plötzlichen Auftauchen einer Gruppe Elbenkrieger erzählte. „Die drei Wächter konnten mich durch das Chaos der Schlacht in den alten Schacht schleppen, wo sie bereits andere, wertvolle Geiseln hingebracht hatten… Und den Rest kennt Ihr ja.“
Beeindruckt von der gewaltigen Stärke, so offen über ein traumatisches Erlebnis zu erzählen, das erst wenige Stunden zurücklag, wusste Mathan erst gar nicht, was er sagen sollte. Offenbar waren sie wirklich in der aller letzten Sekunde angekommen.
Schließlich fand er seine Stimme wieder und sagte freundlich: „Durch und durch eine Kriegerin, wie ich sehe, denn ich habe nur einen Teil zu Eurer Rettung beigetragen. Mein Name ist Mathan Nénharma.“ Er verneigte sich knapp.
Sie erwiderte die Geste steif und sagte etwas leise: „Verdandi… aber das wisst Ihr ja bereits. Mein Leben lang hat er mir kein Glück gebracht und die letzten Monate waren… unschön. Nennt mich Valena, wie meine Mutter es einst wollte…“ Ihr Blick ging in die Ferne, „Doch dann gab sie meinem Vater nach, der… „ Sie verstummte blinzelnd und lächelte flüchtig, „Ich will Euch nicht langweilen.“
Mathan versicherte, dass es ihm nichts ausmachte, doch aus dem Augenwinkel sah er, dass Isanasca das Zeichen zum Aufbruch gab. Valena, wie sie sich nun nannte, winkte Sunshu Jin heran, der sich knapp verneigte und ein Breitschwert, eine Axt und einen kurzen Speer trug. Sie nahm ihn die Waffen ab und gürtete sie sich um. Valena nahm ihren Speer und legten ihn quer vor Mathans Füße. Dann zog sie ihr Schwert, ging auf ein Knie und rammte die Klinge in den Boden, halb darauf stützend.
„Hiermit schwöre ich, Verdandi Valena, Tochter von Bjorn und Lavea, dem Mann, der mein Leben und meine Unschuld bewahrt hat meine Treue, bis die Schuld begleichen ist. Akzeptiert Ihr?“
Etwas überrumpelt wusste Mathan nicht, was er darauf antworten sollte. Ohne groß zu überlegen nickte er langsam. Eine weitere Klinge im Kampf würde nicht schaden. Valena blickte auf und schaute vielsagend auf den Knauf ihres Schwerts. Mathan verstand und neigte sich vor, seine Hand umfasste die ihre.
„Ich, Mathan Nénharma, Heerführer der Manarîn und Begründer des Hauses Manarîn nehme hiermit Eure Dienste an, bis die Schuld beglichen ist; erhebt Euch, Valena.“
Sie blinzelte einen Moment ungläubig und kam mit seiner Hilfe rasch wieder auf die Beine. Dann lächelte sie unsicher und murmelte, dass sie nicht erwartet hat, dass er aus so edlem Hause stammte.
„Nicht, dass ich was davon verstehe“, setzte sie etwas mürrisch nach, „Ich bin weit im Norden aufgewachsen und verstehe nicht viel von… höfischen Dingen. Selbst Elben gab es bei uns nur in Erzählungen…“
„Das ist nicht schlimm“, beruhigte er sie und bedeutete ihr den Weg zur Straße, „Dafür haben wir noch später Zeit. Wir sollten erst einmal in die Hauptstadt.“
Valena nickte knapp und setzte sich in Bewegung. Mathan beeilte sich ein wenig und trieb die zwei Menschen zur Eile an. Warum Sunshu Jin ihnen auf Schritt und Tritt folgte war ihm nicht ganz klar, doch auch die übrigen ehemaligen Gefangenen brachen auf. Wahrscheinlich hatte Isanasca mit ihnen gesprochen, während er sich mit Valena unterhalten hatte. Er blickte kurz über die Schulter, doch bis auf die Nachhut und einem der jungen Löwe, die ihm unablässig folgten war niemand mehr dort. Mathan bemerkte, dass die Zwerge sich etwas zurückfallen ließen und schließlich neben ihnen marschierten. Grám begann auch gleich eine Unterhaltung mit Valena, über den Geschmack von Bier, wobei sie stets den Met als besseres Getränk hervorhob. Bald darauf warfen sich die beiden harmlose Beleidigungen an den Kopf, sehr zur Belustigung der übrigen Marschierenden im Zug. Schmunzelnd ließ er den Blick über die mittlerweile bunte Truppe schweifen. Menschen, Elben und Zwerge, dazu noch aus den verschiedenen Winkeln Mittelerdes. Mathan wurde bewusst, wie sehr es ihn an das Letzte Bündnis erinnerte. Eine schmerzliche, düstere Erinnerung stieg dabei aus den tiefen seines Gedächtnisses hervor. Merlan. Rasch sperrte er sich dagegen und verschloss die Erinnerung wieder in dem tiefsten Verließ seiner Erinnerungen. Angestrengt blickte er umher und blieb bei den ehemaligen Gefangenen hängen, mit denen er bisher noch nicht gesprochen hatte, dann zu den Jungen aus Minzhu und zu Valena. Sie lachte zwar gerade über einen Zwergenwitz von Grám, doch ihr Blick war düster wie noch nie zuvor. Entfernt erinnerte es ihn an Adrienne, die ebenfalls eine ähnliche Dunkelheit im Herzen getragen hatte, doch weitaus düsterer. Er ballte seine Faust um den Griff von Halarîns Schwert. Er würde niemanden mehr an die Dunkelheit verlieren.


Mathan, Isanasca, Valena, die Zwerge, das Elbenheer und die übrigen Gerretteten zurück nach Ost-In-Edhil

edit: Link hinzugefügt.

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