Elea vom Haus des TruchsessenDen kommenden Tag verbrachte Elea ganz alleine in ihrem Haus. Sie wollte keinen sehen, schon gar nicht Herumor. Zudem saß eine Wache auf dem Flur und beobachtete stumm die Haustüre.
Was soll ich nur tun? Ich muss zu Araloth und zu Ioreth… Ich muss ihnen erklären, dass ich unschuldig bin und ich muss ihnen sagen, warum ich bei Herumor bleibe. Warum ich keine andere Möglichkeit habe…Mittags klopfte es laut an der Türe. Eleas Herz pochte vor Nervosität, denn sie dachte ihr Verlobter kommt herein. Die Wache öffnete die Eingangstüre: „Na endlich!“, ertönte die dumpfe Stimme „Hier ist es ja kaum auszuhalten, so ruhig und langweilig. Viel Spaß den nächsten halben Tag, wir sehen uns morgen…“. Die Türe fiel in das Schloss. Beruhigt von den Worten fixierte sie von ihrem Stuhl in der Bibliothek die Türe. Da kam Beregond herein: „Guten Tag, Herrin“, begrüßte er sie.
„Beregond! Endlich jemand, der mir netter gesinnt ist“, entgegnete Elea „Leg deinen Mantel ab und deinen Helm. Hier im Haus passiert uns so und so nichts. Möchtest du Tee?“
Er nickte nur zustimmend, als er die Fibel seines Umhanges öffnete. Augenblicklich stand Elea auf um etwas Wasser auf den Ofen zu stellen und Holz nachzulegen.
„Wie geht es euch, nach allem was passiert ist?“, fragte Beregond.
„Was soll ich nur sagen; den Umständen entsprechend. Schuldgefühle plagen mich, wobei ich keine Schuld trage und Angst habe ich, obwohl ich keine haben müsste, nachdem was Herumor mir versprochen hat.“
„Also hier, in euren vier Wänden müsst ihr keine Angst haben, nicht solange ich bei euch bin.“
Elea lächelte: „Und, wie geht es deiner Familie…“
Das Gespräch zog sich den ganzen Nachmittag hindurch, wie zwei alte Freunde, die sich schon Jahre nicht mehr gesehen haben. Bis schließlich der Abend und die Nacht wieder hereinbrach.
„Beregond, es ist gut, dass du hier bist. Ich muss dich um einen großen Gefallen bitten. Ich möchte ein letztes Mal zu meinen Freunden in die Verliese. Ich muss nochmal mit ihnen sprechen und ihnen erklären, was geschah.“
„Das halte ich für keine gute Idee. Es ist gefährlich für euch und auch für mich. Was glaubt ihr was Herumor mit uns anstellt, wenn er davon erfährt.“
„Ich weiß, das erlöst mich aber nicht von meiner Schuld“, antwortete Elea „Ich muss mit ihnen sprechen und ich hoffe, dass du Verständnis zeigst. Sagt einfach, ich wäre euch davon gelaufen und es wird euch nicht zum Verhängnis.“
„Keine Schuld, aber eine Strafe… Einen Sturm kann ich nicht aufhalten und ein solcher seid ihr Herrin. Ich komme mit, denn ich habe versprochen euch zu beschützen, somit halte ich wenigstens einen von meinen Aufträgen.“
Die Straßen waren wie leergefegt seit dem Ereignis in den Heilhäusern. Nur vereinzelte Patrouillen querten die Straße, doch vor ihnen wussten sich die beiden zu verbergen. „Warum bewacht denn niemand das Verlies?“, fragte Beregond erstaunt.
„Dies ist wirklich eigenartig, aber umso besser für uns, denn ich habe mir schon Sorgen gemacht, wie wir unbemerkt hinein kommen. Los…“, befahl Elea und schlich sich laufend über die schwach beleuchtete Straße.
Zwischen den Fackeln am Korridor breitete sich undurchdringliche Dunkelheit aus. Plötzlich hörten sie leise, eilige Schritte. Beregond packte Elea an der Schulter und zog sie hinter die Eingangstür. Beide hielten den Atem an. Lautlos schloss jemand die Türe von außen. Der Schock legte sich nur langsam in ihnen, doch sie hatten kaum Zeit um sich zu erholen. Zielstrebig fixierten sie die Zellen im hintersten Trakt des Gebäudes.
„Araloth?“, rief sie in die Finsternis.
„Bria…“, er stockte abrupt „Elea? Was machst du hier?“
„Araloth. Es tut mir so Leid, so furchtbar Leid. Ich wollte nicht, dass das passiert.“
Er schlängelte seine Hand zwischen den Stäben heraus und streichelte sanft ihr Haar: „Aber daran trägst du doch keine Schuld.“
„Aber ich schulde euch eine Erklärung…“, sie stoppte kurz und Araloth lauschte aufmerksam „Ich hatte solche Angst, dass ihr mich nicht versteht; dass ihr meine Entscheidung nicht unterstützt. Herumor erpresst mich. Ich war töricht, nein sogar dumm. Vor einigen Monaten schrieb ich einen Brief an meinen Sohn. Er lebt bei den Ruinen von Annuminas und ich gab den Brief an einen Händler, im Stillschweigen selbstverständlich, aber Herumor wusste davon. Er wusste es und fing ihn ab.“ Aufgeregt keuchte Elea: „Er sagte, dass er mich Liebe und dass er mich heiraten wolle, doch ich wollte nicht. Er zeigte mir den Brief und sagte, wenn ich mich nicht beuge, dann wird er einen Trupp seiner besten Männer losschicken um den Brief meinem Kind zu bringen und dann würden sie Helluin gefangen nehmen und sogar umbringen, sollte er ihnen nicht folgen. Die Dunedain würden die Soldaten zu ihm durchlassen, wenn sie eine Nachricht seiner Mutter bringen… Ich konnte nicht anders, er ist alles was mir noch geblieben ist…“ All die Worte platzten gerade zu aus der Frau heraus. Sie war froh sich endlich alles von der Seele zu sprechen. Einige Minuten vergingen und die Dunkelheit schien dicker zu werden und den Raum zu ersticken.
„Wieso dachtest du wir könnten das nicht verstehen? Natürlich verstehe ich dich, vielmehr als du vielleicht denkst. Ich habe meine kleine Tochter nach Tolfalas geschickt, dort ist sie sicher und geborgen in der Hand ihrer Großmutter. Alles würde ich tun um ihr Leben zu schützen, selbst wenn es den Verrat meines Volkes fordert.“
Elea sah Araloth in einem ganz anderen Licht. Niemals hätte sie gedacht, dass er ein Familienvater sein kann. Dass seine größte Liebe sein eigenes Kind ist, sie hatte ihn wahrhaft unterschätzt.
„Dann schmerzt es mich umso mehr, dass du hinter Gittern sitzt und ich frei bin“, sagte Elea betrübt.
„Das muss es nicht. Dieses Schicksal habe ich selbst gewählt und Elea; es ist nur ein momentaner Zustand, ich blicke voll Zuversicht auf eine bessere Zukunft.“
„Ich auch“, antwortete sie „Wenn du die Möglichkeit hast, sprich auch mit Ioreth. Ich hoffe sie zeigt gleiches Verständnis.“
Er nickte ihr zu: „Geh jetzt, ehe sie dich entdecken.“
Elea öffnete die Türe zu ihrem Haus. Plötzlich sah sie einen hellen Fleck am Boden. Sie griff danach und hob ein Kuvert auf.
Liebe Elea,
eine gute Freundin ist dabei zu verzweifeln. Ich denke sie braucht mehr denn je jemanden, mit dem sie sprechen kann.
Sofort dachte sie dabei an Brianna, obwohl der Brief nicht unterzeichnet war. Stattdessen waren dort die klaren Konturen eines Dolches, dessen Klinge von einer Rose umrankt wurde. Elea wusste was sie am nächsten Tag zu tun hatte, doch vorerst ging sie schlafen.
Elea zu Briannas Wohnung in der Spielmanngasse