Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Gondor (West)

Die Bucht von Belfalas

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Eandril:
...Edrahil und Lothíriel von Tolfalas

Edrahil stand am Bug des Schiffes, das ihn nach Dol Amroth bringen sollte, und schaute nach Westen in den Sonnenuntergang. Seit dem Aufbruch am frühen Morgen hatten sie Tolfalas hinter sich gelassen, und schickten sich nun an, die südliche Landspitze von Belfalas zu umrunden, um von dort aus in Richtung Norden, nach Dol Amroth, abzudrehen.
Der Wind hatte ein wenig abgeflaut, und so kamen sie nur noch langsam voran. Doch Edrahil war zufrieden, denn sie hatten ein gutes Stück seit Tolfalas zurückgelegt, und die Chancen standen gut, dass er noch morgen in Dol Amroth ankam. Außerdem erinnerten ihn das Meer und das Schiff an seine längst vergangene Jugend, und während er auf die Reling gelehnt nach Westen blickte, überfluteten ihn die Erinnerungen.


"Komm schon, Edrahil, trödele nicht so." "Ja Vater! Ich komme schon.", antwortete dieser, und eilte auf seinen noch kurzen Beinen seinem Vater hinterher. Es war sein zehnter Geburtstag, und heute würde er endlich mit seinem Vater aufs Meer hinausfahren dürfen.  An Vaters kleinem Fischerboot, das an einem Steg im flachen Küstenwasser dümpelte, angelangt, sprang Edrahil an Deck, und wartete ungeduldig, dass seine Vater die Taue löste, und es endlich losgehen konnte.
"Na komm schon Vater, jetzt trödelst du aber!", drängelte er ungeduldig. Sein Vater jedoch fuhr unbeirrt, die Taue sorgfältig aufzurollen und trocken in einem kleinen Verschlag am Anfang des Steges zu verstauen. "Das ist eine wichtige Regel, mein Sohn: Verstaue deine Taue immer sicher und trocken, denn wenn sie dir abhandenkommen, oder Risse bekommen, kann dein Boot sich eines Tages losreißen. Und wenn das geschieht, bist du verloren, denn ohne Boot kannst du als Fischer nicht überleben." Edrahil hörte ihm aufmerksam und mit ernstem Gesicht zu. Er mochte es gerne, wenn sein Vater mit ihm über das Fischen sprach, denn nur dann hatte er das Gefühl, wirklich von ihm beachtet zu werden. Der Vater stieß das Boot ab, und setzte sich an die Ruder. Er würde ein Stück aus der Bucht, an der ihr Dorf lag, rudern müssen, bevor er das kleine Segel hissen konnte.
"Die zweite Grundregel für den Fischer ist ebenso wichtig.", fuhr er fort, ohne zu keuchen, obwohl das Boot gewiss schwer war. Doch der Vater hatte starke Arme vom Rudern und Schleppen der Fische bekommen. "Befestige dein Netz immer sicher am Boot, denn Netze sind teuer. Und wenn es sich löst, verlierst du außerdem deinen ganzen Fang. So etwas kann einen Fischer ruinieren. Und als dritte Regel gilt: Fahr niemals so weit hinaus, dass du das Land aus den Augen verlierst. Draußen auf dem Meer lauern die verfluchten Piraten aus Umbar, und die Wellen dort können so hoch werden, dass dein Boot kentert. Jetzt sag mir noch einmal alle drei Regeln auf, damit ich weiß, dass du sie verstanden hast." Edrahil konnte alle Regeln perfekt aufsagen. Es gab wenige Dinge, bei denen er so genau zuhörte, wie bei solchen, die für das Fischen wichtig waren, denn er wollte seinen Vater nicht enttäuschen.
An diesem Tag machte Vater einen der größten Fänge seines ganzen Lebens als Fischer, und Edrahil sah, dass er so glücklich war, ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Als die Sonne langsam zu Sinken begann, machten sie sich auf den Heimweg. Als sie sich der Bucht näherten legte der Vater plötzlich den Arm um Edrahils Schultern und sagte: "Mein Sohn, ich weiß, du wirst ein guter Fischer werde. Ich bin stolz darauf, und du solltest auch so stolz auf dich sein, wie ich es bin."
In diesem Moment hatte Edrahil das Gefühl, er könnte alles auf der Welt schaffen, wenn er nur wollte.


Edrahil lächelte bei dem Gedanken daran, wie naiv er damals noch gewesen war. Es war sein erstes großes "Abenteuer" auf See gewesen, jedenfalls hatte er es damals so empfunden. Sein zweites Seeabenteuer erlebte er, als er fünfundzwanzig Jahre alt war. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Korsaren ihm bereits alles genommen, und der glückliche Fischer war einem von Zorn und Hass beherrschten Soldaten gewichen. Es war der Angriff auf Umbar unter dem Befehl des Hauptmanns Thorongil gewesen...

Die Schiffe der gondorischen Kriegsflotte liefen nahezu lautlos in den halbkreisförmigen Hafen Umbars ein. Edrahil stand an der Reling, gemeinsam mit vielen anderen Seesoldaten, die von der ganzen langen Küste Gondors kamen und sich wie er freiwillig für dieses Himmelfahrtskommando gemeldet hatten. Am Bug des Schiffes stand Thorongil, der geheimnisvolle Hauptmann Truchsess Ecthelions, um dessen Herkunft und Taten im Dienst des Truchsessen und auch des Königs von Rohan bereits Legenden rankten, und zu dem viele Soldaten ehrfürchtig aufschauten.
Edrahil allerdings, obwohl auch er von den Taten Thorongils gehört hatte und dessen Tapferkeit und Kampfgeschick wohl anerkannte, wusste nicht, was er von diesem Mann halten sollte. Irgendetwas verbarg er, ein finsteres Geheimnis, da war Edrahil sicher, und stimmte darin mit Denethor, dem Sohn des Truchsessen, überein.
Es war verdächtig ruhig im Hafen. Sollte es möglich sein, das nicht eine einzige Wache die fremden Schiffe bemerkt hatte? (Tatsächlich war an jenem Abend ein rauschendes Fest unter den Korsaren gefeiert worden, und die Wachen, so sie überhaupt auf ihren Posten waren, waren noch vom Alkohol benebelt. Die Korsaren fühlten sich hier in ihrer Trutzburg  offensichtlich sicher vor der schwindenden Kraft Gondors.) Als sie die Kais erreicht hatten, entfernte Thorongil die Abdeckung von einem Kohlebecken, das vor ihm stand, und entzündete einen Pfeil darin. Er legte ihn auf die Sehne seines Bogens und schoss ihn mitten in das zusammengerollte Segel eines Korsarenschiffes. Das war das Zeichen zum Angriff gewesen, und auf allen Schiffen wurden Kohlebecken enthüllte, Pfeile angezündet und auf die feindlichen Schiffe abgeschossen. Bald stand das erste Schiff vollkommen in Flammen, und die Korsaren, von Rauch, Licht und Lärm des Feuers aufgeweckt, griffen zu den Waffen - oder zu den Wassereimern, um zu retten, was zu retten war.
Währenddessen hatte einige Schiffe, die besonders stark mit Soldaten besetzt waren, Boote zu Wasser gelassen, in denen die Soldaten, unter ihnen auch Edrahil, mit Fackel bewaffnet, an Land übersetzten, um dort Taue loszuschneiden, Boote und Häuser anzuzünden, und so viel zu zerstören wie möglich, um den raschen Wiederaufbau der Korsarenflotte zu verhindern. Gerade als die ersten bewaffneten Korsaren ankamen, legten die Boote an, und Edrahil stürmte als einer der ersten von Bord, nur von dem Gedanken beseelt, so viele Korsaren zu töten, wie möglich. Außerdem glomm unter all dem Hass noch immer die schwache Hoffnung, seinen Sohn zu finden.

Edrahil riss sich gewaltsam von den Erinnerungen an diese Nacht los. Er wollte nicht daran denken, wie grausam er unter den Korsaren gewütet hatte, nicht nur unter den bewaffneten Männern, sondern auch unter den Wehrlosen, Frauen, Alten, ja selbst Kindern, immer wieder den Namen seiner ermordeten Frau herausschreiend. Noch lange Jahre hatte diese Nacht der Grausamkeit ihm Albträume beschert und den Schlaf geraubt.
Gerade als er sich von der Reling abwenden wollte, um in seine Kajüte zu gehen, ertönte die Stimme des Ausgucks: "Schiffe in Sicht, direkt vor uns." Der Kapitän kam nach vorne gelaufen, so schnell es ging, und beschirmte die Augen mit der linken Hand. "Tatsächlich. Aber was können das für Schiffe sein? Könnte die Flotte Dol Amroths ausgelaufen sein? Aber wieso?" "Nein Kapitän", antwortet Edrahil grimmig, "Das sind keine unserer Schiffe. Diese Form erkenne ich immer noch: Es sind Korsaren, die Vorhut von Suladans Armee, die Dol Amroth angreifen wird. Wir müssen sofort an Land gehen, der Seeweg ist nun für uns versperrt. Seht ihr diese Bucht dort?", fragte er, und deutete nach Nordosten, zu Küste. Der Kapitän bejahte. "Steuert sie an, und landet dort. Setzt mich und, so es denn ihr Wille ist, aus die Tochter des Fürsten mit einer kleinen, unauffälligen Eskorte dort ab. Dann fahrt zurück nach Tolfalas", fuhr er fort, "und warnt die Fürstin. Hier könnt ihr nichts mehr tun." Dem Kapitän war sichtlich unwohl dabei, doch er nickte und antwortete: "Wie ihr wünscht. Ich sehe ein, dass ihr allein weiter müsst."

Edrahil und Lothíriel nach Belfalas...

--Cirdan--:
Merian aus Linhir.

Den Strom abwärts hinein in die stürmische See

Schnell war Linhir außer Sicht gekommen und der Fluss öffnete sich zu einem Ausläufer der Bucht von Belfalas.
Einen salzigen Geschmack hatte Merian im Mund, als sie immer weiter gegen den Wind und die Wellen anruderten. Merian hätte gedacht, dass der nach der regnerischen Nacht nicht nasser werden könnte, doch nun wurde alles an Nässe und Kälte übertroffen. Er hätte genauso gut über Bord ins Meer springen können und wäre nicht nasser geworden. Einzig das Rudern, die Bewegungen des Körpers, verhinderten das er erfror, schätzte Merian.

Vereinzelnd hörte Merian Wortfetzen, die durch den Wind zu ihm herüber getragen wurden. Er hörte Angbor Odjana als Verräterin beschimpfen. Wenig später hörte er zwei Korsaren höhnisch lachen. Merian sah sich um und entdeckte die zwei Männer Umbars dabei einen regungslosen Mann über die hölzerne Reling zu schieben und ins Wasser zu werfen. Merian erkannte das junge Gesicht des toten Mannes. Es war der Haradrim Eandril, den Merian in Abdaberies Haus getroffen hatte und mit dem er eine Vereinbarung getroffen hatte um Angbor und seine Begleiter zu schützen.
Keine Zeit hatte er Eandrils Tod zu betrauern, da einer der Korsaren Merians Ruderpause mitbekommen hatte und ihn nun durch einen Schlag in den Nacken bis zur letzten Entkräftung antrieb das Korsarenschiff weiter ins stürmische Gewässer zu rudern.

„Das ist Wahnsinn!“, rief einer der Männer aus Cirith Dûm, der vor Merian an die Ruderbank gekettet war. Merian wusste, was der Mann meinte. Schon jetzt, noch in einiger Nähe zum Ufer, hob und senkte sich das Schiff gewaltig in den Wellen. Die Planken ächzten bei jeder Bewegung und der Hauptmast wankte gewaltig. Einen solchen Sturm hatte Merian noch nicht erlebt und schon gar nicht auf einem Schiff im tosendem Meer.
Der einfache Steinmetz aus Lamedon befürchtete jeden Moment, dass das Schiff beim Abwärtsfahren in ein Wellental nicht mehr daraus hervor kommen würde. Wasser würde über das ganze Deck fluten und er, angekettet an die Ruderbank, jämmerlich ertrinken.

Der Kapitän der Korsaren kannte kein Halten, kein Anlegen, kein Abwarten. Sie mussten weiter hinein in den Sturm der Gewalten. Doch bald nahmen sogar die erfahrenden Seeleute mit die Ruder in die Hand versuchten das Schiff auf Kurs zu halten. Die Wellen wurden höher, der Wind stärker und der Regen stach in die Augen. Der Kapitän stand verkrampft am Steuerrand und brüllte Befehle, dessen Ausführungen nahezu unmöglich waren, da sich nun noch nicht einmal die Korsaren gezielt auf dem Deck bewegen konnten. Noch einmal wurde der Kurs leicht geändert um den Wellen besser trotzen zu können. Vereinzelt wurden kleine Hilfssegel in den reißenden Wind gesetzt, die das Schiff zusätzlich antrieben.

„Wir sind verloren“, hörte Merian eine ferne dumpfe Stimme durch die Geräusche des Windes, des Meeres, des Regens und des Bootes hallen. Die Korsaren und die gefangenen aus Gondor kämpften nun gleichermaßen gegen den Sturm. Bei jeder Fahrt über eine Welle hinweg floss Wasser zwischen Merians Füßen hindurch über den  Boden des Decks. Und immer mehr Wasser sammelte sich. Es brach über den Bug oder die Seiten herein.

Die Überfahrt wurde zu einer Irrfahrt, bei der jede Orientierung verloren ging und das Land außer Sicht geriet. Das Korsarenschiff wurde zum Spielzeug der See. Selbst die vereinten Kräfte der Männer reichten nicht aus um den Kurs zu halten.  Einige übergaben sich, Andere hielten sich mit letzter Kraft an ihren Bänken fest. Das Rudern wurde aufgegeben und die Ruder zum Stabilisieren und Abbremsen bestmöglich ins Wasser gehalten. Seile wurden gekappt und somit die noch existierenden Segel aus dem Wind genommen.

„Macht uns los“, schrie Merian und zog an seinen Ketten. Merian hatte das Gefühl, dass das Schiff jeden Moment unter ihm auseinander brechen würde. Er konnte ohnehin nicht schwimmen und ob er jetzt zusammen mit seiner Ruderbank oder alleine untergehen würde, machte wahrscheinlich keinen Unterschied. Dennoch nahm sich Merian vor bis zu Letzt zu kämpfen.
Erst machte keiner der Korsaren Anstalten Merian und die anderen Angeketteten zu befreien, aber als Odjana ihnen zuredete, versuchten einige ihr möglichstes. Reihum wurden die Gefangen von ihren Ketten befreit.

Eine gewaltige Welle brach über das Schiff. Einige Männer wurden von ihren Plätzen gerissen. Ein Korsar wurde über Bord gespült. Doch wieder tauchte das Schiff aus der Versenkung auf und setze seine ungewisse Fahrt fort.
Am Horizont backbords erhellten einige Blitze den sonst verdunkelten Morgen. Im Licht der Naturgewalt erkannte Merian eine Wand aus Fels nicht weit  vor ihnen. Er wollte schon warnend rufend, doch schon Odjana und einige Andere schrien zum Kapitän, der immer noch das Steuerrad hielt.

Keine Worte der Hoffnung gab es. Nur immer wieder hörte Merian Auszüge von Sätzen wie: „Wir werden Zerschellen“. Merian selbst hatte ebenfalls Befürchtungen wie diese. Er hatte keine Ahnung von der Seefahrt, aber es schien fast so, als zog sie ein Sog immer näher an die Felskante heran. Vielleicht waren es aber auch die Wellen, die das Schiff nun gefährlich nahe an die scharfen Zacken der Felsen schoben. Merian und die Männer auf der linken Seite des Schiffes wechselten kriechend und rutschend auf die andere Seite, als sie nur knapp einen vorstehenden Felsen verpassten.

In jedem der Männer, egal ob Korsar, Haradrim, oder Gondorer, konnte Merian nun die bloße Todesangst sehen. Sie kauerten, sie hofften und einige beteten zu ihren Göttern. All dies half nichts, denn plötzlich hörten sie ein tierisches Krachen vom Bug. Das  Schiff blieb hängen, wurde dann von einer Welle erfasst und seitlich auf einen Felsen geworfen. Das Holz splitterte mit ohrenbetäubendem Geräusch und es wurde ein Loch in den Rumpf gerissen. Das Schiff, immer wieder von den Wellen gegen den Felsen geschlagen, kippte immer weiter zur Seite um. Der Hauptmast stieß oben gegen den Fels und brach. Immer mehr des Decks wurde weggerissen.

Merian konnte sich nicht mehr halten. Er stürzte in die Tiefe. Das kalte Wasser machte seine Glieder kurzzeitig bewegungsunfähig. Der Schock setzte ein, während Merian immer weiter unter Wasser gezogen wurde. Er zappelte und versuchte dabei die schwere Kleidung loszuwerden, die ihn immer weiter nach unten zog.
Merians Fuß stieß auf etwas Hartes. Er verharrte kurz, dann stieß er sich mit aller Kraft ab. Wasser sammelte sich in seinem Mund. Mit Armen und Beiden kämpfte er sich weiter nach oben, bis sein Kopf die Wasseroberfläche durchstieß. Er schnappte nach Luft, bevor ihn eine Welle überspülte. Danach sah Merian sich panisch um, während er wild paddelnd versuchte über Wasser zu bleiben.

Merian befand sich irgendwo zwischen halb untergegangenem Schiff und den scharfen Felsen. Ein, zwei Leute sah Merian am Schiff herum klettern, Weitere waren wie er im Wasser und versuchten nicht gegen die Felsen gespült zu werden.

Was sollte er tun? Wo sollte er hin? Merian hatte niemand, der ihm helfen konnte. Er war alleine. Alleine in tödlicher Gefahr. Die Wellen warfen ihn hin und her als spielten sie mit ihm.
Dann sah Merian nicht weit von ihm ein Fass schwimmen. Er bewegte sich dorthin und hängte sich mit den Armen dran. Es würde seinen Kopf über Wasser halten und seinen Körper beim Aufprall gegen einen Felsen schützen.
Doch wie lange? Wie lange könnte er so überleben?


Merian nach Tolfalas.

--Cirdan--:
Merian, Angbor und Odjana vom Hafen der Insel Tolfalas.

Die Überfahrt

Merian hatte erwartet, dass ihr Schiff sofort Kurs auf die offene See setzte würde nachdem sie den Hafen verlassen hatten. Der Kapitän entschied jedoch nach Angbors Berichten anders und segelte an der Küste der Insel entlang. Zu seiner Rechten sah Merian im letzten Licht der untergehenden Sonne eben jedes Land, auf dem er Tage zuvor entlang gewandert war. Geschickt lenkte der Kapitän das stolze Schiff der Flotte Dol Amroths entlang der Felsen, an denen das Korsarenschiff zerschellt war. Sie ankerten in einer kleinen Bucht in Sichtweite des großen, runden Steines am Strand von Belfalas.
In einer kleinen Kajüte versuchte Merian beim Kreischen der Möwen und schaukeln des Schiffes einzuschlafen. Es gelang ihm lange Zeit nicht, doch irgendwann überkam ihn die Müdigkeit. 

Den gesamten nächsten Tag verbrachten sie damit den Palantír auf das Schiff zu verladen. Der Stein war nicht nur groß und schwer, sondern auch so glatt, dass er kaum Halt zum Anfassen bot. Schließlich schafften sie es mit Hilfe einer Holz- und Seilkonstruktion und beförderten den Palantír in den größten der Lagerräume des Handelsschiffes. Mit einem Reservesegel umschlossen sie den Stein und der Kapitän verbot jedweden Zugang.

Tags darauf stachen sie in See und setzten Kurs auf das Kap von Belfalas um von dort aus weiter nach Dol Amroth zu segeln. Während der Überfahrt suchte der Heiler aus Umbar Merian immer wieder auf um seine Genesung zu überwachen. Die anderen Begleiter Merians halfen auf Befehl des Kapitäns täglich einige Stunden auf Deck.

"Das ist das Kap von Belfalas", erklärte Angbor Merian, als sie Beide an Deck die Aussicht genossen, "siehst du den Turm dort? Er warnt die Schiffe bei Nacht oder Sturm den Felsen nicht zu nahe zu kommen. Er ist Teil von Lontirost, der Festung der Herren von Belfalas. Ardamir herrscht dort." Merian erkannte Angbors unterschwelligen Tonfall: "Du magst ihn nicht?"
"Alles Heuchler", antwortete Angbor, "du hättest hören sollen, wie sie in Dol Amroth redeten und Imrahil zum neuen Statthalter von Gondor ernannten, anstatt auf Faramirs Rückkehr zu warten."
"Ich war dabei", entgegnete Merian und Angbor wandte sich ab. "Bist du deshalb ins Exil an die Grenzen von Lamedon gegangen?", fragte Merian vorsichtig in die Richtung des Herrn von Lamedon. Eine Antwort erhielt Merian darauf nie.

Sie ließen das Kap hinter sich und steuerten nun in Richtung Dol Amroths entlang an der Küste von Belfalas. Der Wind stand denkbar schlecht und sie kreuzten kontinuierlich, was der Besatzung viel abverlangte und einiges an Zeit kostete.


Merian, Angbor und Odjana nach Dol Amroth.

--Cirdan--:
Der Prachthaubenadler

Merian, Lothíriel und Odjana aus Dol Amroth

Die Korsaren hatten gespottet, als Merian sie bat ihn vom Schiffsmast loszubinden. „Du bist vom Kapitän aus Amroth festgenommen worden. Wir dürfen dich nicht befreien“, hatten sie gelacht. Somit stand der Steinmetz aus Lamedon noch immer gefesselt auf dem Schiff aus Gondor, welches die Korsaren erobert hatten und nun an der Küste von Belfalas entlang segelten.
Auf der anderen Seite des hölzernen Mastes stand Lothíriel, dreiundzwanzig Jahre jung und wunderschön mit ihren langen, dunklen Haaren, aber ebenso festgebunden wie Merian. Der einfache Mann aus Cirit Dûm und die Tochter des Fürsten von Dol Amroth, Rücken an Rücken nur getrennt durch den Schiffsmast, konnten leise miteinander sprechen.
„Ich habe die letzten Tage immer wieder versucht eurem Bruder oder eurem Vater davon zu überzeugen, dass die Gefahr einer Entführung größer ist als sie diese einschätzen. Und jetzt sieh nur, was geschehen ist! Noch mögt ihr es als lustigen Ausflug sehen oder als Rebellion gegen euren Vater, aber ich kann euch sagen, wir segeln weder nach Tolfalas noch in ein anderes Prinzessinnenland, in dem ihr das Privileg hattet eure Kindheit zu verbringen.“
Merian war wütend und das hörte man ihm auch deutlich an. Er war nie reich gewesen, hatte nie Ansehen oder Ruhm erlangt und er wollte es auch nie. Merian hatte wenig bis gar keinen Kontakt zur Obrigkeit gehabt, worüber er bislang und insbesondere in diesem Moment auch sehr froh war. Er verstand es, das es auch Menschen wie Prinzessin Lothíriel geben musste, aber es ärgerte ihn feurig, dass sie offenbar kaum um die vielen Feinde in der Welt wusste und sich so leicht entführen lassen hatte. Noch mehr ärgerte es Merian allerdings, dass er mit ihr zusammen entführt worden war als er versucht hatte dem fremden Mädchen zu helfen. -Als er ganz Gondor helfen wollte, indem der Sultan Suladan keines der Kinder Imrahils in die Finger bekommt.
Merian hatte eben erst seinen Sohn wiedergetroffen und er stellte sich vor, wie er mit ihm nach Westen zog und ein neues Leben begann.
 
„Ein Schiff verlässt den Hafen!“, rief eine Stimme über ihnen. Ein Mann aus Umbar hatte den Ausguck besetzt und könnte die Schwanenstadt noch immer in der Entfernung sehen.
„Das muss die Angelimar sein“, flüsterte Lothíriel zu Merian, „sie ist erst vor ein paar Wochen vom Stapel gelaufen und mit Abstand unser schnellstes Schiff. Die Elben aus Mithlond waren beim Bau behilflich. Das Schiff wird rasch aufholen und uns befreien.“
Bei der Vorstellung, dass vielleicht Angbor und ein Trupp der Stadtwachen Dol Amroths die Verfolgung aufgenommen haben könnten, stimmte Merian nur mäßig zufriedener. In ein Seegefecht wollte er schon gar nicht geraten. Er erinnerte sich an das letzte Schiffsunglück vor ein paar Tagen noch allzu gut und hätte am liebsten nie wieder den festen Boden verlassen. Verdammter Steinmetz, fluchte Merian, nicht Seefahrer. Bodenständig, nicht seegängig.
 
„Dein Vater hat sich wohl entschieden lieber dein Leben zu riskieren, als zuzulassen, dass du Suladan erreichst“, zischte Odjana zu Lothíriel mit Blick über das Heck des Schiffes Richtung Dol Amroth als Suche sie das angesprochene Schiff. „Wir müssen schneller werden“, gab die Frau danach den Befehl an ihre Landsleute, „werft über Bord was entbehrt werden kann.“ Kurz überlegte Merian, ob er anbieten sollte auch von Bord zu springen um Gewicht zu verlieren, aber die Gefahr tatsächlich und mit aufgeschlitzter Kehle im Wasser zu landen, war ihm zu groß. Von seiner Position aus beobachtete er lieber die Korsaren, die eilig begannen Kisten und Fässer von Bord zu werfen. „Diese Kiste nicht!“, rief Lothíriel plötzlich und deutete so gut es angebunden eben ging auf eine mittelgroße, hölzerne Kiste, die kleine Belüftungsschlitze hatte. „Warum nicht?“, fragte Odjana interessiert, „etwas wertvolles kann im Vergleich zu dir nicht drin sein. Du bist Suladan wertvoller als das ganze Schiff.“
„Es wäre ein qualvoller Tod“, wollte Lothíriel anfangen zu erklären aber der Heiler, der Merian gepflegt hatte, hatte die Kiste schneller geöffnet und darin fanden sich drei Prachthaubenadler. „Was tut dein Volk mit diesen Tieren?“, fragte der Mann und hob einen der gekränkten Vögel auf seinen Arm. „Essen“, gab die Prinzessin prompt zurück, „zu mindestens an Festtagen. Das Vogelherz soll heilende Wirkungen haben. Ansonsten halten sich die Adligen gerne diese Vögel. Was macht ihr denn mit diesen Tieren?“ „Nicht essen zu mindestens“, erklärte der Korsar, „wir trainieren mit ihnen die Jagt und schenken ihnen viel Liebe und Zuneigung.“

„Schluss damit“, beendete Odjana die Unterhaltung, „Aḥmad, komm, wirf die schwere Ladung von Bord und hiss die letzten zusätzlichen Segel. Wir haben noch immer ablandigen Wind der uns schnell davon trägt.“
„Unsere Verfolger hilft der Wind ebenso, Odjana“, sprach Merian und wollte sie ein letztes Mal zur Vernunft überzeugen, „du hättest ein gutes Leben haben können in Gondor. Du hast in Linhir den Bewohnern geholfen und verhindert, dass meine Begleiter und ich ertrinken.“ „Ach! Hör auf“, rief Odjana und trat dabei wütend einen Eimer von Bord. „Ein gutes Leben“, spottete sie, „in Gondor? Sie dir doch dieses Land mal an. Es ist am Ende. Gondor kann mir nicht geben was ich suche. Damals hattet ihr zu mindestens noch Prinzipien, als unsere Feinde! Aber schaut euch an, euer Volk kauert hinter Mauern und versucht Waffenruhen und Bündnisse zu verhandeln, wo es keine Hoffnung gibt! Müssen wir das tatsächlich noch einmal diskutieren? Zu sehr erinnert mich dieses an unsere Gespräche in Linhir, die allesamt nutzlos waren.“
Merian hatte zwischenzeitlich die Augen geschlossen und dachte nach. Jetzt öffnete er sie wieder und begann mit leiser, fester Stimme: „Nutzlos? Das war kein Gespräch. Denn sie zeigten und zeigen noch immer, wer hier die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat. –Wer die Menschen als gemeinsames Volk nicht aufgegeben hat.“

Merians Blick wandte sich nach oben. Es schien ihm, als sollte er ein Zeichen erhalten für seine ehrlichen Worte, die seine Überzeugungen ausgedrückt hatten. Ein brauner Vogel war es, erkannte Merian nach längerem Hinsehen, der das Schiff von Norden kommend überflog. Aufgeregte Rufe vernahm der Steinmetz von den Korsaren, die den Vogel und eine am Bein des Tieres befestigte Papierrolle ebenfalls gesehen hatten. Zwei der Männer Umbars schossen mit ihren Bögen mehrmals erfolglos auf den Vogel, bis es ihnen Odjana verbot und stattdessen befahl einen der Prachthaubenadler zu befreien. Der Jäger der Lüfte erhob sich rasch und nahm die Verfolgung auf.
„Der kommt nicht wieder“, erklärte Lothíriel freudig, doch Odjana entgegnete: „Siehe dich mal um Prinzessin. Weit und breit nur Wasser. Wenn er seine Beute hat wird er genau hierher zurückkommen und wir werden wissen welch eilige Nachricht von Dol Amroth ausgeht.“
Genauso wie Odjana es prophezeite geschah es. Im Lichte der untergehenden Sonne im Westen kehrte der Prachthaubenadler in seiner ganzen Anmut und seinem bunten Federkleid mit seiner Beute zurück. Der Brief am Bein des Opfers wurde entwendet und unter den Korsaren und Odjana eingehend geprüft.
„Wartet bis Mitternacht, dann löscht alle Lichter, gebt Ruhe und ändert den Kurs nach Süden. Es hat tatsächlich ein Schiff vor uns den Hafen verlassen und könnte uns einiges vor raus sein und noch Schwierigkeiten machen“, hörte Merian Odjana von der Kapitänsbrücke aus sagen, „ich bin lieber ein paar Tage mehr unterwegs, als das uns zwei Schiffe der Flotte in die Zange nehmen. Und knebelt um Himmelswillen unsere beiden Passagiere, bevor sie noch bei Nacht herumschreien und unseren geänderten Kurs verraten. Das Verfolgerschiff hat tatsächlich schon aufgeholt. Ich kann es jetzt deutlich sehen. Verfluchte weiße Segel!“ Die Männer grunzten zustimmend und Odjana verabschiedete sich zur Nacht: „Ich gehe in meine Koje. Auf das hier keiner auf dumme Ideen kommt. Und Finger weg von der Prinzessin.“

Nach dem Abend kam die Nacht, in der weder Merian noch Lothíriel viel Schlaf bekamen in ihrer ungemütlichen Position. Das Wendemanöver  um Mitternacht bekamen Beide jedoch deutlich mit.

--Cirdan--:
Über den Rand - der Grenzen Gondors

Tage, wenn nicht gar Wochen, segelte das Schiff aus Gondor unter der Flagge Umbars über das offene Meer. Nichts als Wasser sah Merian, denn die Korsaren hatten ihren Kurs weit nach Süden fernab der Küsten Mittelerdes korrigiert um den Schiffen der Flotte Dol Amroths aus dem Weg zu gehen und zu entkommen. Inzwischen hatte selbst Prinzessin Lothíriel erkannt, dass eine baldige Rettung nicht zu erwarten war und sie wurde von Tag zu Tag stiller und in sich gekehrt wie ein alter, einsamer Mensch mit tödlicher Krankheit.
Von den Korsaren wurde es Merian und Lothíriel erlaubt sich frei auf dem Deck zu bewegen, da sie ohnehin nirgendwo hin entkommen konnten. Allerdings mussten sie zur Belustigung der Korsaren alle ungeliebten Arbeiten erledigen. Meisten schruppten Merian und Lothíriel das Deck unter Androhung Kiel zu holen, wenn sie ihre Aufgabe nicht sorgfältig ausführten.

Bei Nacht studierte Aḥmad, der Heiler, der auch in anderen Belangen anscheinend der einzige Gelehrte war, die Sterne und bestimmte ihren weiteren Kurs. Merian sah ihm dabei gerne zu, denn noch immer war er dankbar für die Pflege und Heilung Aḥmads in den letzten Tagen und zudem war Ahmad der Einzige, der sie nicht verspottete und zur Arbeit zwang.
Merian erzählte dem Mann aus Umbar, dass sich viele Menschen aus seinem Bergdorf in den Ered Nimrais davor fürchteten zur See zu fahren oder zu weit auf das Meer hinauszuschwimmen. „Lasse dich nicht von dem Ciril, so hieß der Fluss an unserem Dorf, zu weit abwärts treiben, riet man sich vor dem Badengehen, denn er trägt dich raus auf das Meer und über den Rand“, erklärte Merian und Ahmad lachte kurz auf. „Ihr Leute aus Gondor werdet immer für so schlau und kultiviert gehalten, aber letztendlich wisst ihr wenig über die Welt im Ganzen“, spottete der Korsar, „es gibt so manches da draußen, Seeungeheuer, Meerjungfrauen, verfluchte Inseln, Meeresstrudel und Geister aus Westernis vom Grund des Meeres, aber mit Sicherheit kein Rand und Abgrund. Wobei auch ich mich einst in jüngeren Jahren fragte, wohin das zusätzliche Wasser landet, das aus den Flüssen und durch den Regen täglich dazu kommt und vielleicht das Meer nach und nach das Land überflutet.

In den darauffolgenden Tagen wurden die Korsaren Müde ihre beiden Passagiere zu Quälen, denn sie selbst litten stark da die Lebensmittel zur Neige gingen. Die Prachthaubenadler wurden jetzt doch einen Kopf kürzer gemacht und in einer Suppe serviert, von der Merian jedoch nicht viel erhielt. Lothíriel immerhin bekam etwas mehr, was wahrscheinlich Odjanas Angst geschuldet war, dass die Prinzessin verhungerte und dann nichts mehr wert war.

Einige Tage dauerte ihre Reise noch bis der Ausguck Meldung gab und über das Land in Sicht informierte. Odjana und Ahmad erkannten die Küsten Harads und korrigierten ihren Kurs nach Norden, da sie weiter nach Süden abgekommen waren, als ohnehin schon geplant. Das stolze Schiff aus Dol Amroth segelte an der Küste entlang. Merian blickte mit hoffenden Blicken nach Westen und hielt Ausschau nach den weißen Segeln der Schwanenschiffe Gondors, doch er wurde enttäuscht.
Nach knappen zwei Tagen erreichten sie die Bucht an dessen Ende der Korsarenhafen Umbar lag. Noch nie zuvor hatte Merian die Grenzen Gondors verlassen und jetzt setzte er Kurs auf die Stadt des Feindes, obwohl Merian wie fast keinem Anderen bewusst war, dass auch dieses eine Menschenstadt war und der Mensch kein Feind des Menschen sein muss.


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