Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dol Amroth
Am Hafen
Eandril:
Oronêl aus dem Palast des Fürsten
Schon bald nach der Verhandlung hatte Oronêl sich von Amrothos verabschiedet und war ein wenig ziellos durch die Stadt geirrt. Er hatte die Menschen von Dol Amroth beobachtet, ihre zur Schau getragene Hoffnung und die darunterliegende, unterschwellige Verzweiflung erkannt. Und mit jedem Augenblick, den er unter ihnen verbracht hatte, hatte der Zweifel mehr an ihm zu nagen begonnen. Hier war ein Volk, für das es keinen Ausweg gab, dass sich der Dunkelheit entgegenstellen und kämpfen oder sterben musste und würde. Welcher Elb konnte dabei beiseite stehen, und sie ihrem Schicksal überlassen, ohne selbst zu handeln? Und doch... Er glaubte nicht, dass er es tun konnte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, fürchtete er sich davor, dieses Volk scheitern und sterben zu sehen, und nicht nur diese Menschen. Alle Menschen in Mittelerde, die er kennen und lieben gelernt hatte. Oronêl glaubte nicht daran, dass er einen weitere Tod wie den Mírwens, Foraths oder Amrûns ertragen konnte... also war es besser, zu gehen.
Wie von diesem Gedankengang geleitet, führten ihn seine Füße hinunter zum Hafen von Dol Amroth. Nicht von hier fuhren traditionell die Schiffe der Elben nach Westen ab, sondern von Edhellond, auf der anderen Seite der Bucht aus, doch etwas zog Oronêl zum Wasser hin. Nur wenige Schiffe lagen im Hafen, nur einige Handelsschiffe sowie zwei Kriegsschiffe aus der Flotte Dol Amroths, die offenbar während einer Schlacht oder eines Sturms beschädigt worden waren. Dazwischen fiel das kleinere, schlanke Schiff mit dem silbernen Segel deutlich auf.
Oronêl schlenderte langsam das Pier entlang auf das Elbenschiff zu. Was tat ein Schiff aus Lindon hier in Dol Amroth? Waren noch weitere Elben von dort nach Gondor gesegelt, um sich dem Kampf anzuschließen? Oder war es nur hier, um ihn in Versuchung zu führen? Mit zögerlichen Schritten betrat er die ausgelegte Planke, und folgte ihr auf das sanft schaukelnde Deck.
Aus der Sicht Aratinnuíre’s:
Ein Hauch von Lebensfreude überkam die Elbe als sie spürte wie die sanften Wellen verspielt gegen den Rumpf des Schiffes schnellten und es in Schwingung hielten. Schon immer hat sie das Meer geliebt, seine Weite, seine Freiheit, seine zeitenüberwindende Schönheit.
Ihr Blick haftete am westlichen Horizont, ihrem Ziel. Nur auf Bitten Cirdan’s, ihres Verwandten, hatte sie diesen Umweg angetreten um Kunde aus dem Norden in die Schwanenstadt zu bringen. Dies erledigten all jene, die mit ihr gesegelt sind, denn in die Geschicke dieses Krieges hat sie noch nie direkt eingegriffen.
Die weißen Häuser die in den steilaufragenden Klippen erbaut wurden und vom Hafen bis hinauf zum Palast reichten, beeindruckten Aratinnuíre nur wenig. Früher hätte sie einen solch wunderbaren Anblick genossen, doch seit die letzten Soldaten Lothloriens ihr außer der Nachricht über den Fall Amrûn’s auch sein Hab und Gut brachten, hegte sie kaum noch erfreuliche Gedanken. Sie hatte nur noch das Verlangen nach Westen zu gehen und doch hielt sie noch irgendetwas fest oder schmälerte ihren Verlust. Erst jetzt, seit sie den Hafen von Mithlond verlassen hatte wurde dieses Verlangen unerträglich.
Unbekümmert nahm sie den Elben wahr der das Schiff betreten hatte und sich auf dem Schiff umsah. Sein Blick fokussierte sie.
„Kennen wir einander?“ sprach er sie an.
Die Elbe musterte ihn von oben bis unten und entgegnete in einem freundlichen Ton: „Wir haben uns noch nie gesehen.“
Ein kurzes Schweigen erfüllte den Raum zwischen ihnen.
„Ihr segelt nach Westen. Habe ich recht?“ Sie nickte zaghaft.
„Aber wieso seid ihr dann hierhergekommen?“
„Wir bringen Nachrichten aus dem Norden. Es war der Wunsch von Cirdan. Die Flotte der Elben hat an Größe etwas eingebüßt.“
„Was für ein…“, seine Stimme begann leicht zu zittern „eigenartiger Zufall“.
„Weil ihr ein Schiff sucht, dass euch nach Aman bringt?“, schloss sie rück.
„Ja… und auch nein“
Aratinnuíre war verwirrt, aber diese Reaktion kam ihr bekannt vor.
„Seit Tagen, ja sogar seit Wochen oder Monaten ringe ich mit mir und dieser Entscheidung und jetzt wird sie mir so einfach abgenommen. Das Schicksal ist scheinbar unmissverständlich.“
„Es ist ein seltenes Geschenk, dass sich das Schicksal einem so offenbart. Immerfort machen wir Pläne. Sie sind zahlreich und reichen über wenige oder über viele Jahre. Wie oft geben wir einander Versprechungen und können sie dann nicht halten, weil es uns anders ‚bestimmt‘ ist.“
Der Elb wirkte ein wenig bedrückt und Aratinnuíre erkannte die Angst in ihm seine Heimat für immer hinter sich zu lassen.
Sie setzte fort: „Aber unser Volk hat die Gnade der Unsterblichkeit erfahren und so ist es uns gewiss, dass wir jedes Versprechen irgendwann einlösen können. Ich gehe reinen Gewissens. Meine letzte Schuld liegt bei dem, den ich Liebe und zu ihm werde ich ab morgen gehen um sie einzulösen.“
„Was habt ihr im versprochen?“
„Dass wir gemeinsam nach Aman gehen um dort für immer vereint zu sein. Aber er musste noch einiges Erledigen hier in Mittelerde. Er fiel in Lothlorien und ging mir voraus.“
„Dann fiel er in meiner Heimat, an meiner Seite“, antwortete der Elb und die beklemmende Traurigkeit dieses Ereignisses überkam ihn.
„Dann kanntet ihr ihn wahrscheinlich, er war Amrûn, Sohn des Gilwe.“
Die Überraschung war ihm in das Gesicht geschrieben: „Amrûn war mein Freund. Er und Celebithiel holten mich in diese Welt zurück. Zum ersten Mal sah ich sie hier in Dol Amroth. In Lothlorien rettete er mir das Leben bevor er seines gab.“
Aratinnuíre biss die Zähne zusammen um ihre Tränen zu unterdrücken.
„Ihr seid Aratinnuíre. Ich bin Oronêl“, er wartete vergebens auf ein Nicken. Er ging ein paar Schritte auf sie zu und stellte sich neben sie an die Brüstung des Schiffes. Der Blick war auf den westlichen Horizont gerichtet.
„Hier hat alles angefangen, hier wird alles enden. Als wäre dies nicht schon Bestimmung genug seid auch ihr noch hier um eure letzte Reise anzutreten. Es gibt für mich keinen Zweifel mehr“, sagte er abschließend.
Oronêl
In der Nacht hatte Oronêl keine Ruhe gefunden. Rastlos war er durch die stillen Hallen des Palastes gewandert, durch die Gärten hinab zur Stadt, hinauf auf die Mauern über dem Tor, von wo er auf den Platz hinab blickte, wo Celebithiel und er gegen den Nazgûl gekämpft hatten.
Er stand vor der Tür von Irwynes Zimmer, lauschte auf ihren ruhigen, gleichmäßigen Atem, und nahm Abschied. Er öffnete die Tür nicht, sondern flüsterte schließlich, an das Holz der Tür gelehnt: "Leb wohl, Siniel." Er fragte sich, ob sie die Worte irgendwie gespürt hatte, ob sie sich im Schlaf geregt hatte. Und er kam zu dem Entschluss, dass es nicht wichtig war. Er hatte ihr alles gesagt, was er sagen musste, und er wusste, dass sie es eines Tages verstehen würde.
In den Gärten, in einem Rund aus süß duftenden Blumen, traf er auf Mithrellas. Seine Tochter sprach kein Wort, sondern blickte ihm nur ins Gesicht, und legte dann eine Hand auf seine Wange. "Tue, was richtig ist", sagte sie leise, bevor sie sich abwandte, und davoneilte, ein Schatten in der Nacht.
Aus der Sicht Aratinnuíre’s:
Oronêl saß auf einer steinernen Bank am Hafen der Schwanenstadt. Sein Gepäck lag in einem Lederbeutel zu seinen Füßen. Die ersten gelben Sonnenstrahlen fielen von Osten her in die Bucht.
Aratinnuíre hatte ihn bereits aus der Ferne gesehen. Sie hatte die gestrige Nacht kaum Ruhe. Zu groß war ihre Neugier auf Oronêl, der ihr vielleicht mehr über die letzten Tage und Stunden Amrûns erzählen konnte. Sie balancierte über den Holzsteg vom Schiff, am Ende hielt sie kurz inne. Der Schritt kostete sie Überwindung, doch sie atmete tief ein tat den Schritt und so spürte sie unter ihren bloßen Füßen ein letztes Mal den kühlen Steinboden.
„Guten Morgen!“ begrüßte der Elb sie leicht trübselig „Ich bin gleich bei euch an Bord.“
Ohne eine Antwort zu geben setzte sie sich neben Oronêl.
„Möchtest du wirklich mitkommen?“, fragte sie.
„Ja!“, sagte er bestimmt „Was ich gestern gesagt habe, meinte ich ernst.“
„Ich sehe in dir denselben Zweifel den ich einst in den Augen Amrûns sah. Dass er hier blieb in Mittelerde, es geschah durch mein zutun. Wir haben es dem Schicksal überlassen indem jeder von uns seinen Wunsch auf einen Zettel schrieb und nur einer von ihnen gezogen wurde. Es war letztlich meiner den er in seinen Händen auffaltete und laut ‚Mittelerde‘ vorlas. Vielleicht war es dumm von mir, aber andererseits wäre er dann niemals dir begegnet und hätte Hoffnung zurück in dein Herz gebracht und vielleicht noch in die Herzen vieler anderer.“
Einen Augenblick schweifte sie im Gedanken an jenen Tag zurück als sie Amrûn in Mithlond verabschiedete.
„Was ich dir damit sagen möchte: Das Schicksal kann dir ein Ende aufzeigen aber genauso auch einen Neuanfang. Die Entscheidung darüber triffst du selbst.“
Ihre Hand legte sie auf seinen Handrücken und drehte sie langsam um, um ihm etwas in die Hand zu legen. Behutsam nahm er eine Kette an sich mit einem bernsteinfarbenen Amulett. Ein sanftes Licht strahlte von ihm ab und warf einen orangen Schein auf ihre Gesichter.
„Dies ist eine Gemme der Noldor und in ihr scheint das vergessene Licht Laurelins, dem Vater der Sonne. Ich weiß, dass dein Haus weder Freude an Geschenken der Noldor hat noch habt ihr je das Licht der Bäume gesehen, aber es bring Mut und Entschlossenheit in die Herzen jener die es bei sich tragen. Wo auch immer du sein magst, in dieser Zeit tust du gut es zu haben.“
Sein Blick verzehrte sich nach dem Schimmern des Amuletts: „Nicht die Noldor machten mir dieses atemberaubende Geschenk, sondern ihr aus dem hohen Hause der Teleri und Amrûn. Stets werde ich es in Ehren halten.“
Aratinnuíre hatte ein ehrliches Lächeln auf ihren Lippen.
„Ich werde dich nun alleine lassen. Tausend Fragen habe ich an dich, aber sie sind jetzt nicht wichtig. Gewiss ist, dass ich dich kennen lerne. Entweder auf dieser Reise oder durch die Geschichten die mir Amrûn erzählen wird. Wir werden in gut einer Stunde aufbrechen.“
Oronêl
Oronêl atmete tief durch. Dann hänge er sich da Amulett um den Hals, wo es neben Calenwens Andenken zu liegen kam, und schloss die Augen.
Bilder blitzten vor seinem inneren Auge auf. Zwei hohe, schneebedeckte Berge, zwischen denen eine weiße Stadt lag. Durch die Lücke zwischen den Bergen schien Licht. Eine goldene Stadt, inmitten einer grünen Ebene. Und schließlich dunkle, schattige Hallen - doch sie strahlten nichts böses aus, sondern ein Gefühl der Ruhe, des Friedens, der Geborgenheit.
Vor ihm stand Amrûn, das blutige Schwert in der Hand, auf dem Schlachtfeld an der Furt des Nimrodel. Dieses Mal nickte Oronêl nicht bloß dankbar, sondern sagte: "Ich danke dir. Du hast mein Leben gerettet."
Und wozu? Obwohl Amrûns Lippen sich nicht bewegten, hörte Oronêl seine Stimme. Willst du den gleichen Weg einschlagen, von dem du mich abbringen wolltest? In Amrûns Stimme schwang trotz seiner Worte kein Vorwurf, keine Enttäuschung mit - sondern Mitleid.
"Ich... weiß es nicht", erwiderte Oronêl, und mit einem Mal fühlte er sich, als wäre eine gewaltige Last von ihm genommen worden. Es war in Ordnung, nicht zu wissen, was man tun sollte. "Spreche ich wirklich mit dir?", fragte er. Die Frage schien Amrûn zu belustigen. Was ist wirklich, mein Freund? Vielleicht genügt es dir zu wissen, dass ich mich an alles erinnere, was uns zwischen Dol Amroth und Lórien geschehen ist. Und ich ahne, dass du mein Amulett trägst.
"Aratinnuíre hat es mir gegeben. Sie hat... einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen."
Ich weiß. Eine tiefe Sehnsucht schwang in Amrûns Stimme mit. Mein größtes Bedauern ist, dass ich diese Reise nicht mit ihr antreten kann. Doch ich bedaure nicht, mich in meiner letzten Schlacht dem Feind gestellt zu haben.
Oronêl schwieg, doch etwas in ihm veränderte sich. Bedauern gab es immer, und er konnte diese Entscheidung niemals treffen, ohne zu bedauern, was er nicht getan hatte. Doch der Punkt dieser Entscheidung lag bereits hinter ihm - er war nicht mit Calenwen gesegelt. Und was waren ein paar Monate, Jahre, im Leben eines Elben? Sie würde warten.
Amrûn, der ihn aufmerksam beobachtet hatte, lächelte, bevor ihn in rascher Folge zwei schwarz gefiederte Bolzen in die Brust trafen. Wir können nicht jeden Tod verhindern. Er gehört zum Leben dazu, bei Elben wie auch den Menschen, nur auf eine andere Art. Uns ist es nur überlassen zu entscheiden, was wir mit unserer Zeit anfangen wollen.
Amrûn verschwand, und weitere Bilder wechselten sich in rascher Folge ab. Irwyne eilte zwischen Zelten entlang, einen Stapel weißer Verbände in den Armen. Kerry ritt über eine dunkle Ebene, verfolgt von Schatten. Amrothos stand in glänzender Rüstung an der Spitze einer Armee, vor ihm ein Meer aus Dunkelheit. Finelleth saß in einer schwach erleuchteten Halle, angespannt, abwartend. Celebithiel berührte mit einem Lächeln das Amulett um ihren Hals. Mithrellas legte ihre Hand auf seine Wange und wisperte Tue was richtig ist.
Oronêl öffnete die Augen, und kehrte zurück ins sonnenbeschienene Dol Amroth. Ein tiefer Frieden breitete sich in ihm aus, und er wusste, was er zu tun hatte.
Aus der Sicht Aratinnuíre’s:
Aratinnuíre stand am Heck des Schiffes und winkte Oronêl zu. Jetzt erst verstand sie, dass ihre Reise hierher kein Zufall war. Ein Bote von Galadriel überbrachte ihr vor der Abreise von Mithlond das Schwert Amrûns um es mit auf die Reise zu nehmen. Es war jenes Schwert, das Amrûn einst von Gil-Galad erhielt und von da an trug er es bis zu seinem Tod und nicht länger. Es war nicht gedacht es zurück zu seinem Besitzer zu bringen, es war nun bei seinem neuen Besitzer.
Oronêl
Die Finger seiner linken Hand strichen über den Schwertgriff, um den sich einst Amrûns Hand geschlossen hatte, und mit der Rechten erwiderte er Aratinnuíres Winken. Langsam glitt das schlanke Elbenschiff aus dem Hafen, in Richtung Westen, und mit sich nahm es Oronêls Unsicherheit und Verzweiflung. Leben vor dem Tod, dachte er bei sich. Im Grunde war es das, was ihm alle versucht hatten, zu sagen - Kerry vor allen anderen. Sie hatte Recht gehabt, doch er hatte es nicht verstehen wollen. Bis jetzt.
Er hörte Amrothos' schnelle Schritte hinter sich, und als der Prinz neben ihm stand, wirkte er ein wenig außer Atem. "Ich dachte, ich würde zu spät kommen", sagte er. "Mithrellas erzählte mir von dem Schiff, und dass du hier sein würdest, und da dachte ich..." Sein Blick fiel auf das sich entfernende silberne Segel. "Ist es das?"
Oronêl musste über die ungläubige Hoffnung in seiner Stimme lachen. "Ja, das ist es." Amrothos blickte ihn an. "Aber dann... dann hast du..."
"Ich habe meine Entscheidung getroffen", erwiderte Oronêl. "Schmerz und Trauer gehören zum Leben dazu. Und bevor ich meine letzte Reise antrete, werde ich noch ein wenig Leben - und wenn ich währenddessen etwas dazu beitragen kann, die Dunkelheit aus Mittelerde zu vertreiben, umso besser. Schließlich leben meine Freunde hier." Amrothos blickte ihn stumm an, bevor er ihn abrupt in eine heftige Umarmung zog. Oronêl lächelte, und ließ es über sich ergehen.
"Wo ist Irwyne?", fragte er schließlich. "Sie hat sich geweigert, mit mir zu kommen. Ich glaube, sie ist wirklich wütend auf dich."
"Nicht völlig zu unrecht", gestand sich Oronêl ein. "Ich glaube, ich sollte mit ihr sprechen - vielleicht solltest du mitkommen, damit sie mich nicht beim ersten Anblick erdolcht."
Amrothos grinste breit. "Ich kann nicht versprechen, dass es mir gelingen würde, sie davon abzuhalten. Aber ich werde dich begleiten, Ahnherr."
"Wenn du mich so nennst fühle ich mich so alt, wie ich bin", seufzte Oronêl, und legte die Hand wieder auf den Schwertgriff. "Und danach könnte ich ein wenig Übung gebrauchen. Es wäre eine Schande, wenn ich mit dieser Waffe im Kampf nichts anfangen könnte." Er hatte das Gefühl, dass er Amrûns letztes Geschenk schon bald brauchen würde.
Oronêl zum Palast des Fürsten
Aratinnuíre by Thorondor the Eagle
Eandril:
Aragorn, Gandalf, Irwyne, Amrothos, Narissa und Aerien vom Meer
Im Hafen von Dol Amroth herrschte zu dieser späten Stunde nicht viel Betrieb. Tatsächlich war die Falchíril das einzige Schiff, das gerade an- oder ablegte, und auf den Docks und den nahen Straßen schienen außer der ein oder anderen Stadtwache nicht viele Menschen unterwegs zu sein. Wenige Fackeln und Lampen brannten entlang der Kais, und auch die Sterne spendeten nur ein schwaches Licht. Nachdem Gandalf den Kapitän der Falchíril für die Überfahrt bezahlt hatte, setzte er sich an die Spitze und kletterte als erster auf das steinerne Dock hinauf - die Falchíril war so klein, dass das Deck ein gutes Stück tiefer lag. Aragorn folgte als zweiter, während Narissa Aerien nicht ganz uneigennützig den Vortritt überließ. Den Schluss bildeten Amrothos und Irwyne.
"Es ist spät", sagte Aragorn leise, als sich alle auf dem Dock versammelt hatten. "Ich weiß nicht, ob es weise wäre, jetzt zum Palast hinaufzugehen, doch..."
"Bitte verzeiht, Herr", unterbrach Amrothos ihn ebenso leise. "Ich denke nicht, dass mein Vater euch die Stunde, zu der ihr eintrefft, übel nehmen würde." Im schwachen Licht glaubte Narissa ein Lächeln auf den Lippen des Prinzen zu sehen. "Tatsächlich glaube ich, dass es kaum etwas gibt, was er euch verübeln würde."
"Prinz Amrothos hat Recht. Fürst Imrahil mag zunächst ein wenig ungehalten auf die späte Störung reagieren, doch wenn er den Grund dafür erfährt, dürfte er... Verständnis zeigen." Gandalf lächelte ein wenig verstohlen, als Narissa versuchte, möglichst unauffällig ein Gähnen zu unterdrücken. Sie hätte auf dem Schiff ein wenig schlafen sollen, doch jetzt wollte sie auf jeden Fall beim ersten Treffen mit dem Fürsten dabei sein.
Aragorn nickte langsam unter seiner Kapuze. "Gut. Gehen wir also zum Palast."
Aragorn, Gandalf, Irwyne, Amrothos, Narissa und Aerien in die Stadt
Eandril:
Narissa, Valion, Aerien, Lóminîth, Imrahil, Hilgorn und Thorongil vom Palast des Fürsten
Der Hafen von Dol Amroth war schon am frühen Morgen erfüllt vom Geschrei der Möwen, den geschäftigen Rufen der Matrosen und Kapitäne, und dem Flattern der blausilbernen Fahnen und Segel. Narissa gähnte herzhaft, während sie Thorongil und Minulîth das Pier entlang zu dem Schiff folgte, dass sie nach Umbar bringen würde. Aerien und sie hatten wenig geschlafen, immerhin war es ihre letzte gemeinsame Nacht für längere Zeit gewesen, daher war Narissa noch nicht ganz wach. Allmählich begann die kühle, salzige Morgenluft allerdings ihre Lebensgeister wieder zu wecken.
"Hast du auch an alles gedacht?", fragte Aerien neben ihr. Ihre Stimme klang gezwungen ruhig, die Besorgnis darin kaum zu überhören. "Alles sorgfältig verstaut?"
Narissa unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen, und drückte stattdessen sanft Aeriens Hand. "Ich habe meine Dolche - alle fünf - die Rüstung die der Fürst mir aufgedrängt hat, Proviant ist wohl genug an Bord des Schiffes, und ich habe sogar an Ersatzkleidung gedacht." Letzteres hatte sich als etwas schwierig zu beschaffen herausgestellt, da sich im Palast beinahe ausschließlich Kleider gefunden hatten.
"Ah, hier sind wir", stellte Thorongil in diesem Augenblick fest, und blieb stehen. Noch fest am Kai vertäut lag ein schlankes Schiff mit einem einzelnen Mast und einer schwanenförmigen Galionsfigur. Auf dem Bug war mit weißen Buchstaben der Name aufgemalt: Falthaleth.
Am Fuß der Leitplanke wartete eine kleine Gruppe Menschen. Hilgorn, der einäugige General von Dol Amroth, war in ein Gespräch mit einem anderen Mann vertieft, der ihm bis auf den vollen schwarzen Bart sehr ähnlich sah. Ein Stück entfernt von ihnen entfernt warteten Valion und Lóminîth - Minûlîths Schwester wirkte nicht sehr berührt von der Tatsache, dass ihr Verlobter sie verlassen würde um auf eine gefährliche Fahrt mit ungewissem Ausgang aufzubrechen. Jedenfalls wirkte Lóminîth sehr viel gelassener als Aerien.
Als sie sich näherten, unterbrach Hilgorn sein Gespräch und begrüßte sie mit einem Lächeln. "Ich fürchte, ihr werdet auf der Fahrt die unliebsame Gesellschaft meines Bruders in Kauf nehmen müssen", sagte er an Narissa und Thorongil gewandt, doch sein Tonfall war scherzhaft. Der andere Mann - Hilgorns Bruder - schnaubte verächtlich, und verbeugte dann höflich. "Aldar Thoron, bester Kapitän in der Flotte Dol Amroths, zu euren Diensten." In verschwörerischem Tonfall fügte er hinzu: "Unter uns... von uns beiden bin ich der mit Abstand interessantere Bruder. Ihr werdet keinen Grund haben, euch zu beklagen."
"Mit Sicherheit nicht", erwiderte Narissa, der Aldar auf Anhieb sympathischer war als Hilgorn selbst. Sie nickte in Richtung der Falthaleth. "Ihr habt ein sehr schönes Schiff."
Ein strahlendes Lächeln ging über das Gesicht des Kapitäns. "Nicht wahr? Sie ist eine Augenweide. Ich..." Neben ihm ächzte Hilgorn leise. "Nein, bitte. Du wirst auf der Reise genug Zeit haben, dein Seemannsgarn zu erzählen, aber nicht jetzt, sonst werdet ihr niemals aufbrechen."
"Meinetwegen", gab Aldar zurück, und richtete seinen Blick auf einen Punkt weiter das Pier entlang in Richtung Stadt. "Wenn mich nicht alles täuscht kommt dort Fürst Imrahil - Zeit für Verabschiedungen, wir brechen in wenigen Minuten auf."
Narissa warf einen Blick zur Seite zu Aerien, und zog sie dann kurzentschlossen einige Meter zur Seite, halb hinter einen hohen Stapel Kisten und Seile.
"Hör mal", begann sie, und nahm Aeriens Hände in ihre. "Du weißt, dass ich fast nichts lieber täte, als bei dir zu bleiben. Aber... manchmal können wir uns unseren Weg nicht aussuchen. Das wissen wir beide."
"Ja", erwiderte Aerien leise, und lehnte ihre Stirn gegen Narissas. "Das macht es nicht viel leichter." Ihre Stimme zitterte ein wenig, und auch Narissa musste sich heftig zusammenreißen.
"Wir haben so viel gemeinsam überstanden. Wir werden auch ein paar Wochen allein überstehen. Immerhin... werden wir beide nicht ganz allein sein. Ich habe Thorongil. Und Valion scheint auch ganz in Ordnung zu sein. Und du hast Aragorn, und Amrothos und Irwyne. Und Minûlîth und Túor."
Aerien atmete tief durch. "Denk an dein Versprechen", sagte sie, und Narissa nickte stumm.
Dann griff sie unter ihre Kleidung, und zog das Medaillon hervor, dass sie nun schon so lange trug. Sie betrachtete einen Augenblick das Silber mit dem eingeprägten Baum, das in der Morgensonne schimmerte, zog dann entschlossen die Kette über den Kopf und hielt es Aerien hin. "Hier", sagte sie. "Bewahr es für mich auf, bis ich wiederkomme."
Aerien zögerten einen Augenblick, und schloss dann ihre Hand um das Medaillon, bevor sie ihrerseits ihre Halskette mit dem fünfzackigen Anhänger über den Kopf zog. "Und du nimm dies, bis du zurückkommst, damit du an mich denkst." Narissa lächelte. "Ich brauche nichts, um an dich zu denken", sagte sie, nahm die Kette aber trotzdem und hängte sie sich um den Hals. Sie wusste, was Aerien diese Kette bedeutete - nicht weniger, als ihr selbst das Medaillon bedeutete, das Aerien nun trug.
Sie schloss kurz die Augen, und legte die Hand auf den Anhänger auf ihrer Brust. "Lass uns den Abschied nicht zu lange aufschieben", sagte sie schließlich, und gab Aerien einen Kuss. "Auf wiedersehen, Aerien... Sternchen."
Aeriens Stimme klang ebenso belegt wie Narissas, als sie erwiderte: "Auf Wiedersehen, 'Rissa, und... möge es bald sein. Möge... möge der Segen der Valar deinen Weg begleiten."
Als sie zu den anderen zurückkehrten, sagte Imrahil, der inzwischen eingetroffen war: "Ah, nun sind wir vollständig." Er wandte sich Narissa und Valion zu. "Als Truchsess von Gondor erteile ich euch den Auftrag, nach Harad zu gehen und alles in eurer Macht stehende zu tun, den Fürsten Qúsay in seinem Krieg gegen Mordors Getreue zu unterstützen, und schließlich zu unserer Hilfe nach Norden zu führen." Er blickte zuerst Valion, dann Narissa direkte in die Augen. "Ich denke, die Wichtigkeit eures Unterfangens muss nicht weiter betont werden. Die Gedanken Gondors sind mit euch, und möge das Licht der Sonne und Sterne euren Weg bescheinen."
Da Narissa kein Wort herausbrachte, nickte sie nur stumm, wandte sich dann abrupt um und stieg die Leitplanke hinauf an Bord der Falthaleth. Oben angekommen lehnte sie sich auf die Reling und blickte hinab, doch sie konnte nichts anderes sehen als Aerien, die ebenso stumm zu ihr hinauf blickte. Neben sich sah sie aus dem Augenwinkel zuerst Valion, dann Thorongil und zuletzt Kapitän Aldar die Planke hinaufsteigen. Bereits im Gehen rief der Kapitän die ersten Befehle. Taue wurden gelöst, die Planke eingezogen, und mit einem Mal entfernte sich die Kaimauer langsam, und Aerien wurde langsam kleiner in der Entfernung. Narissa verspürte für einen kurzen Augenblick den überwältigenden Drang, über Bord zu springen und an Land zu schwimmen, doch sie umklammerte die Reling so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten und verharrte regungslos.
Noch während sich die Falthaleth langsam aus dem Hafen bewegte, hatten Lóminîth und Imrahil die Anlegestelle bereits wieder verlassen, doch Aerien verharrte ebenso regungslos wie Narissa. Gerade als sich das Schiff in den Wind zu drehen begann und der Hafen allmählich aus dem Sichtfeld geriet, sah Narissa noch, wie Hilgorn zu Aerien trat, und ihr eine Hand auf die Schulter legte. Im gleichen Augenblick spürte sie ebenfalls eine Hand auf der Schulter, als der Wind das Segel der Falthaleth ergriff und da Schiff immer mehr Fahrt aufnahm. Während die Hafenmauer hinter ihnen verschwand, sagte Valion, die Hand immer noch auf Narissas Schulter: "Mach dir keine Sorgen. Hilgorn ist ein guter Kerl, er wird schon darauf achten, dass Aerien nichts passiert. Ganz davon abgesehen scheint sie ja auch gut auf sich selbst aufpassen zu können."
Als Narissa schwieg ergänzte er ein wenig leiser: "Es ist schwer für euch, sich zu trennen, nicht wahr?"
"Ich... ja", sagte Narissa nach einem Augenblick schlicht. "Mir ist noch fast nichts in meinem Leben schwerer gefallen, denn... immer wenn wir uns getrennt haben, oder getrennt wurden, ist irgendetwas schlechtes geschehen. Oder jedenfalls habe ich das Gefühl. Und... ich weiß nicht. Aber du weißt sicher selbst, wie schwer der Abschied fällt." Narissas letzte Worte schienen Valion ein wenig unangenehm zu sein, denn er räusperte sich und blickte scheinbar ein wenig verlegen zur Seite.
"Nun ja. Für die einen ist es schwerer, für die anderen leichter. Weder Lóminîth noch ich sind..." Valion unterbrach sich, und schüttelte nur den Kopf, bevor er das Thema wechselte: "Wir haben noch nicht viel Gelegenheit gehabt, unsere Geschichten von Umbar auszutauschen. Vielleicht sollten wir unsere Erfahrungen sammeln und vergleichen - und vielleicht den ein oder anderen Plan schmieden, hm? Ein wenig Ablenkung."
Narissa blickte auf die grauen Wellen hinaus, hinter denen in immer weitere Entfernung die Küste von Belfalas dahinzog. Dann straffte sie sich innerlich, richtete sich auf und sagte: "Ja, das würde mir gefallen, denke ich. Also... fang an."
Narissa, Valion, Aldar und Thorongil in die Bucht von Belfalas
Aerien zur Bibliothek des Túron
Hilgorn in die Stadt
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