Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dol Amroth

Am Hafen

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Fine:
Valion und Valirë vom Palast des Fürsten


Die Súlrohír war eines der kleineren Schiffe der Flotte Dol Amroths und besaß zwei Masten mit hellblauen Segeln, auf denen der Silberne Schwan der Prinzen prangte. Ihr Kapitän, ein alter Seefahrer namens Veantur, behauptete, sie sei das schnellste Schiff südlich von Mithlond, doch Valion bezweifelte das. Es war zwar in guten Zustand und hatte an der Zweiten Schlacht um Dol Amroth teilgenommen, aber es war von älterer Bauart und hatte schon viele Seemeilen hinter sich. Die Mannschaft bestand aus fünfzehn Männern und Frauen vom Ethir, die den Zwillingen treu ergeben waren und sich nicht davon abbringen gelassen hatten, Valion und Valirë sicher zum Start ihrer gefährlichen Mission nach Umbar zu bringen. Sie verluden ihre Habseligkeiten unter Deck und machten sich für die Abfahrt bereit.

Zu ihrer Überraschung fanden sie kurze Zeit später, als alles bereit zum Aufbruch war, Elphir und Erchirion am Kai stehend vor. Imrahils Erbe war in Begleitung seiner Frau Tírneth von Anfalas. Er winkte Valion und Valirë zu sich hinüber.
"Macht keine Dummheiten, ihr beiden," sagte Elphir lächelnd.
"Wie mein Prinz befiehlt", gab Valirë spielerisch zurück.
Tírneth, Golasgils Tochter, hatten die Zwillinge während ihrer Zeit in Anfalas kennengelernt. Auch sie war eine gute Freundin geworden. "Passt auf euch auf, hört ihr?" verlangte sie. "Ihr müsst Lothíriel retten!"
"Natürlich, meine Dame," sagte Valion galant. "Ihr werdet sehen, in ein paar Tagen sind wir mit der Prinzessin wieder zurück."
"Ich bewundere deine Zuversicht," sagte Erchirion. "Sieh' zu, dass du mir meine zukünftige Frau wohlbehalten wiederbringst, Valion."
"Das erwähntest du bereits," erinnerte Valion den Prinzen.
Valirë sagte: "Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, Verlobter." Sie spuckte das Wort verächtlich aus, und jeder der Anwesenden wusste, dass es die Wahrheit war. Mit Valirë war nicht zu spaßen.

Die Zwillinge betraten den Steg, der ihr Schiff mit dem Festland verband und waren im Begriff, ihre Reise zu beginnen, als eine neue Stimme den Abschied von Dol Amroth durchschnitt:
"Valirë! Edle Valirë! So wartet doch einen Augenblick!"
Es war Amros von Edhellond, der Kommandant der Flotte Gondors. Imrahil hatte ihn erst kürzlich zum Tirn Aear, dem Wächter der Meere ernannt, ein Titel der ihm auch ganz offiziell den Oberbefehl über alle Schiffe und Kapitäne verlieh, die zwischen Dol Amroth, Anfalas, Linhir und Tolfalas kreuzten. Und ganz offenbar zeigte das, was Valirë mit ihm angestellt hatte um ein Schiff für die geheime Fahrt zum Ethir zu erhalten, weiterhin Wirkung.
Keuchend und außer Atem kam Amros am Kai zum Stehen. "Was gibt es, Wächter der Meere?" fragte Valirë gleichmütig.
"Ich... ich wollte mich von Euch verabschieden, edle Dame," stieß Amros hervor. Sein Gesicht war rot von der Anstrengung, doch offensichtlich nicht ausschließlich davon.
"Nun, dies habt Ihr hiermit getan. Gibt es sonst noch etwas, das Ihr sagen möchtet?" gab Valirë zurück. Erchirion beobachte sie neugierig.
"Nun, ich... ich wünsche Euch viel Erfolg auf Eurer Mission... und hoffe, Ihr kehrt unversehrt wieder!" sagte Amros. "Das hoffen wir in Dol Amroth alle, schätze ich..."
Valirë schenkte dem Mann ein kleines Lächeln. "Das werde ich, nur keine Sorge. Wir sehen uns bestimmt bald wieder, Kommandant." Sie winkte ihm anmutig zu und betrat das Schiff.
Auch Valion nahm nun Abschied von den Prinzen Dol Amroths und ging an Bord der Súlrohír, begleitet von den besten Wünschen seiner Freunde.

Im Kommandodeck fanden sie Kapitän Veantur vor, gebeugt über einen großen Tisch mit Seekarten darauf. Der Alte brummelte vor sich hin, sichtlich aufgeregt und voller Vorfreude auf die Fahrt.
"Ah, da seid ihr ja, meine Herrschaften!" rief er, als er die Zwillinge bemerkte. "Kommt, kommt, die Winde stehen gut und der Segen Uínens ist mit uns. Die Reise kann beginnen!"
Er zeigte Valion und Valirë die Route, die zu nehmen plante. "Wir werden uns zunächst in südlicher Richtung von Dol Amroth entfernen und diesen Kurs für eine gute Strecke beibehalten, um die günstige Windrichtung zu nutzen. Außerdem vermeiden wir damit das Gebiet rings um Tolfalas, wo sich immer noch einige dieser verdammten Korsarenschiffe herumtreiben sollen. Wir gehen dem Ärger also am besten direkt aus dem Weg und nähern uns unseren Ziel dennoch auf schnellem Wege."
Er zeigte auf die Seekarten. "Direkt westlich von Umbar wenden wir uns dann hart nach Backbord, also nach Osten, auf die Stadt zu. Natürlich werden wir nicht einfach so mirnichts, dirnichts in den Hafen Umbars einlaufen können - wir fahren unter der Flagge des Prinzen, denkt dran - deshalb werde ich euch irgendwo in der Nähe ungesehen mit dem Beiboot absetzen, vielleicht in der Nähe des großen Leuchtturms am Eingang zur großen Bucht von Umbar. Die restliche Strecke schafft ihr dann auch alleine."
Valion nickte. "Sobald wir in Umbar sind, müsst Ihr euch bereithalten, Kapitän. Es kann sein, dass wir... ziemlich hastig aufbrechen müssen."
"Ha! Kein Aufbruch ist zu schnell für dieses Schätzchen," lachte er und strich geradezu zärtlich über die Holzwand des Schiffes. "Sie ist eine Schönheit, nicht wahr? Keiner kann mit ihr mithalten, nicht einmal die Windläufer der Elben! Und schon gar nicht diese Wracks, die die Korsaren Kriegsschiffe nennen! Ha ha! Das hier ist eben noch echte Schiffbaukunst in der Tradition Númenors, nicht dieser moderne Unsinn. Sie wird euch nicht enttäuschen, da habt ihr mein Wort als Seemann!"
"Das ist gut," sagte Valirë. "Dann wollen wir hoffen, dass uns der Wind weiterhin gewogen bleibt. Gib den Befehl zum Ablegen, Kapitän!"

Und genau das tat er. "Leinen los, Freunde!" rief er der Besatzung zu.
Die Súlrohir setzte sich in Bewegung. Am Bug des Schiffes war ein grüner Zweig befestigt worden, als Gedenken an Uinen, die Gemahlin Osses. Das Schiff verließ den Hafen, umrundete den Felsen auf dem Dol Amroth stand und schlug einen direkten Kurs nach Süden ein. Als sie westlich der Stadt vorbeikamen erschallte von der Spitze des Turms zum Abschied ein Klang von Posaunen, der ihnen noch einige Momente lang nachhallte.
Nun hatte die Reise wahrlich begonnen.


Valion, Valirë und Veantur mit der Súlrohír in die Bucht von Belfalas

Eandril:
Hilgorn aus der Stadt
Valion und Valirë aus der Bucht von Belfalas

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Hilgorn am Kai das für die Landung der Súlrohír geräumt worden war, ungeduldig auf die Ankunft des Schiffes wartete. Nicht nur war das Ergebnis, mit dem die Zwillinge vom Ethir zurückkehrten vermutlich entscheidend für die Zukunft Gondors, sondern auch für seine eigene. In der Freude über die Rückkehr von Imrahils geliebter Tochter würde sich vielleicht eine Gelegenheit für Hilgorn ergeben, erneut das Thema der Hochzeit mit Faniel anzusprechen...
Er schob den Gedanken beiseite, als ein Raunen durch die Menge ging, die sich etwas abseits des Kais versammelt hatte, zurückgehalten durch seine Soldaten. Von Nordwesten näherte sich das Schiff mit den blauen Segeln, an dessen Mast die Flagge Dol Amroths und erstaunlicherweise ein kleines gelbes Banner wehten. Hilgorn atmete tief durch, und legte instinktiv die Hand auf den Schwertgriff, obwohl er keinen Kampf erwartete, während das Schiff den Eingang des Hafens passierte.
"Nun", sagte er leise zu sich selbst. "Dann wollen wir sehen ob diese Zwillinge etwas anderes können als Saufen und Streiche spielen." Er wusste, er war etwas ungerecht, denn er selbst hatte vor dem Krieg ebenfalls einen Hang zum Unsinn besessen - wenn auch nur selten. Und die Rückeroberung des Ethir war eine beachtliche Leistung gewesen, aber die Befreiung Lóthiriels aus der Hauptstadt der Korsaren, war etwas ganz anderes. "Wir werden sehen", murmelte er, als das Schiff sanft gegen die Kaimauer stieß.

~~~
Valion stand in voller Rüstung am Bug des Schiffes, eine wehende Flagge an der Spitze des Speeres, den er unter Deck aufgetrieben hatte. Die Súlrohír umrundete den Felsen, auf dem Dol Amroth stand, und durchquerte das große Seetor, das im Notfall mit einer schweren Kette geschlossen werden konnte. Am Kai, den man ihnen zugewiesen hatte, hatte sich bereits eine beträchtliche Menschenmenge gebildet.
Perfekt, dachte er. Er hielt nach Fürst Imrahil Ausschau, doch konnte er den Prinzen nirgendwo entdecken. Valion hatte mit seiner Schwester gewettet, ob Imrahil sie direkt am Hafen oder erst im Fürstenpalast in Empfang nehmen würde, und war ein bisschen enttäuscht, dass er diese Wette offenbar verloren hatte. Er war sich sicher gewesen, dass Imrahil seine einzige Tochter persönlich abholen würde, doch offenbar hatte er sich getäuscht.

Das Schiff stieß sanft gegen die Mauer des Kais und sofort begann die Besatzung, den Hafenarbeitern Seile zuzuwerfen, die die Súlrohír am Ufer fest vertäuten. Valion verließ seinen Posten - er war gesehen worden, da war er sich sicher - und drückte den Speer einem von Veanturs Leuten in die Hand ehe er zur Steuerbordseite des Schiffes eilte, wo gerade die Rampe ausgelegt wurde, die Zugang zum Hafen bot. Er ließ es sich nicht nehmen, als erster einen Fuß ans Festland zu setzen. Und als hinter ihm Valirë auftauchte, die Lothíriel über die Rampe begleitete, brach die Menge endgültig in lauten Jubel aus.

~~~
Als Lothíriel an der Seite Valirës anmutig die Rampe hinunter geschritten kam, stieß Hilgorn den angehaltenen Atem erleichtert aus. "Schickt nach dem Fürsten", sagte er über die Schulter zu Balvorn, der hinter ihm stand. "Sagt ihm, seine Tochter ist zurück." Dann trat er vor, und bot Lothíriel seine Hand an, als die Fürstentochter gerade den ersten Fuß von der Planke auf das Festland setzte. "Willkommen zuhause, Herrin", sagte er lächelnd, und die Prinzessin erwiderte das Lächeln.
"General Hilgorn, wie schön euch zu sehen. Ist mein Vater nicht da?" Sie sah sich suchend um, und Hilgorn antwortete: "Er wird gleich hier sein. Viele hielten ein Scheitern der Aufgabe für möglich, und ich denke, er wollte sich den Schock ersparen, wärt ihr nicht an Bord gewesen." Hinter Lothíriel und Valirë schritt nun eine dritte Frau die Planke hinunter, die Hilgorn unbekannt war. Sie war eine ausgesprochene Schönheit, und bewegte sich mit einer selbstverständlichen Anmut, die auf eine adlige Abstammung hinwies.
Hilgorn hätte beinahe die Augen verdreht - es passte zu Valions Ruf, dass der junge Herr vom Ethir selbst auf einer Rettungsmission Zeit fand, eine schöne Frau zu verführen. Allerdings konnte er nicht umhin sich zu fragen, woher sie stammte. Er war niemals in Umbar gewesen, doch nach einer Korsarin sah sie nicht aus...
"Und seid ebenfalls willkommen in Dol Amroth, Valion und Valirë vom Ethir. Wie ich sehe, habt ihr eure Aufgabe erfüllt", sagte er laut.

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"Das haben wir in der Tat," gab Valion zurück, der äußerst zufrieden mit sich war. "Ich weiß, dass viele Zweifel daran hegten, ob Lothíriel wirklich gerettet werden könne. Aber wir haben es geschafft und kehren nun, nach vielen Abenteuern heim."
Er konnte sehen, wie viele der Frauen in der Menge ihm bewundernde Blicke zuwarfen, und dass seine Schwester ähnliche Aufmerksamkeit von der männlichen Bevölkerung genoss. Und während dies Valion früher genug gewesen wäre, um glücklich zu sein, ertappte er sich jetzt dabei, wie er den Blick auf Lóminîth richtete, die darum bemüht war, dass sich ihr Staunen über die Schwanenstadt nicht auf ihrem Gesichtsausdruck widerspiegelte. Ich hoffe, sie kommt zurecht, dachte Valion, doch schon wurde seine Aufmerksamkeit auf die Gasse gelenkt, die sich in der Menge gebildet hatte. Hindurch schritten Imrahil, Fürst von Dol Amroth und Truchsess des freien Gondors, dicht gefolgt von seinem ältesten Sohn und Erben Elphir und von Erchirion, der lächelnd Valirës Blick suchte.
Imrahil sagte kein Wort als Lothíriel ihm mit Tränen in den Augen in den Arm fiel. Valion musste zugeben, dass diese Wiedervereinigung durchaus bewegend war.
"Endllich bist du zurück, meine Tochter," flüsterte Imrahil leise.
Lothíriel nickte und wischte sich die Tränen ab. "Ja, ich bin zurück," antwortete sie und blickte zu den Zwillingen hinüber. Imrahil folgte ihrem Blick und Valion und Valirë kamen heran, die unausgesprochene Einladung annehmen. Imrahil hielt seine Tochter weiterhin im Arm als er sagte: "Gut gemacht. Ich ... danke euch. Wir werden später eingehend darüber sprechen, was geschehen ist. Doch dies ist ein glücklicher Moment, und wir wollen ihn nicht verschwenden."
"Hallo, Flinkklinge," sagte Erchirion mit einem schiefen Lächeln zu Valirë. Es war ein Spitzname, den sie von Amrothos erhalten hatte als sie zum ersten Mal ein Schwert in der Hand gehalten hatte. Der Name war hängengeblieben.
"Hallo, Verlobter," gab sie zurück und ließ tatsächlich zu, dass er sie umarmte. "Schön, dass es dir gutgeht."

~~~
"Leute von Dol Amroth!", rief Imrahil schließlich mit tragender Stimme, den Arm noch immer um seine Tochter gelegt. "Meine Tochter ist aus der Gefangenschaft in Umbar zurückgekehrt!" Die Menge brach erneut in Jubel aus, und der Fürst legte eine kleine Pause ein. Die Menschen der Stadt liebten ihre Prinzessin, das war schon immer so gewesen.
Hilgorn fühlte durch seine Rüstung einen sachten Hieb gegen seinen Oberarm. "Meine kleine Schwester ist zurück", hörte er über den Jubel der Menge Elphir sagen, dessen Frau Tírneth ein Stück entfernt zusammen mit Faniel stand und ihnen zuwinkte. "Ich kann es kaum glauben, Hilgorn."
"Die Tage seit ihrer Entführung waren auf jeden Fall dunkler als zuvor", erwiderte Hilgorn, und gab leise zu: "Ich hatte meine Zweifel, ob dein Vater die richtigen Leute ausgesandt hatte."
"Ich auch", erwiderte Elphir leise. "Die Zwillinge waren immer eher eine Plage - erst recht mit Erchirion zusammen. Aber anscheinend hat er etwas in ihnen gesehen, was wir nicht sehen konnten, und damit recht behalten."
Passend dazu fuhr in diesem Moment Imrahil fort, nachdem die Menge sich ein wenig beruhigt hatte: "Der Dank für die Befreiung meiner Tochter gebührt den Zwillingen vom Ethir: Valion und Valirë Cirgon! Ehrt sie!", donnerte der Fürst, und die Menge brach erneut in Jubel aus. Einige begannen sogar, die Namen der Zwillinge zu skandieren, und während Hilgorn den Blick aufmerksam über die Menge und die Gesichter der beiden, die die Aufmerksamkeit zu genießen schienen, schweifen ließ, fragte er sich, ob sie in Umbar möglicherweise etwas über den alten Edrahil in Erfahrung gebracht hatten.
Bevor er jedoch weiter darüber nachdenken konnte, beruhigte sich die Menge erneut etwas, und Valion nutzte den Moment. "Dieser Triumph gehört nicht nur mir und meiner Schwester," sagte er laut. "Auch euer Meister der Spione, Edrahil von Belfalas, war maßgeblich an unserem Erfolg beteiligt. Und noch immer kämpft er im Süden für die Sicherheit Gondors. Er soll nicht unerwähnt bleiben. Ein Hoch auf Meister Edrahil!" rief er, und die Menschen nahmen seinen Ruf auf.
Hilgorn bedeutete seinen Männern, den Ruf ebenfalls aufzunehmen und dachte bei sich, dass seine Einschätzung von Valion möglicherweise ein wenig ungerecht gewesen war. Zumindest hätte er nicht erwartet, dass dieser seinen Moment des Ruhmes selbst mit einem Abwesenden teilen würde.

Hilgorn, Valion, Valirë und alle anderen wichtigen Personen zum Palast

Fine:
Valion, Valirë, Lóminîth und Erchirion vom Palast des Fürsten


Valion stand neben seiner Zwillingsschwester Valirë am Rand des langen Kais, der sich in die Hafenbucht der Schwanenstadt hinein erstreckte, und fühlte sich sehr an seinen Aufbruch nach Umbar vor einigen Monaten erinnert. Erneut brachen die Zwillinge im Auftrag des Fürsten per Schiff auf, und erneut war es die Súlrohír und ihr Kapitän, Veantur, die sie an ihr Ziel bringen würden. Doch diesmal würden sie nicht nach Süden, sondern nach Westen fahren. Diesmal hieß das Ziel Anfalas, und nicht Umbar.
Als der alte Seefahrer sie entdeckt hatte, war er freudestrahlend über die breite Planke getreten, die das Schiff mit dem Hafen verband und hatte sie lautstark begrüßt. "Wenn das nicht meine ganz besonderen Fahrgäste sind," sagte er und schlug Valion kameradschaftlich auf die Schulter. "Meine Hübsche und ich waren fleißig," fuhr er fort und deutete mit dem Daumen hinter sich auf das zweimastige Schiff mit den blauen Segeln, auf denen der Schwan von Dol Amroth prangte. "Und wie ich hörte, habt ihr euren Landgang ebenfalls gut genutzt. Soll eine wichtige Schlacht im Norden gegeben haben, am Fuße der Berge."
"Die gab es, Veantur," bestätigte Valion, der sich von der guten Laune des alten Gondorers anstecken ließ. "Aber sorge dich nicht. Wir hatten alles im Griff."
"Ha! Habe keinen Augenblick daran gezweifelt," lachte der Seefahrer. "Es braucht schon mehr als ein paar lausige Orks, um die Reihen Gondors zu brechen - ob nun zu Land, oder zur See."
Wie er den Zwillingen nun allzu bereitwillig erzählte, war Veantur seit ihrer Rückkehr nach Dol Amroth bereits zweimal zur Insel der Turmherren gefahren, um Nachrichten und Hilfsgüter abzuliefern. Valion war erfreut zu hören, dass der Wiederaufbau inzwischen größtenteils abgeschlossen war, und dass von Umbar noch immer keine direkte Gefahr für Tol Thelyn auszugehen schien. "Wie es aussieht, werden wir so bald keine schwarzen Segel am Horizont fürchten müssen," kommentierte Veantur.
Die gondorische Flotte besaß uneingeschränkte Kontrolle über die Bucht von Belfalas und das Mündungsgebiet des Anduin, und einige wagemutige Kapitäne sprachen bereits davon, einen Angriff über den Seeweg auf den großen Hafen Pelargir zu planen, der noch immer von den Ringgeistern beherrscht wurde. Imrahil hatte allen Vorschlägen dieser Art bislang rasch den Wind aus den Segeln genommen - zu unsicher war die Lage an Land, wo es an der östlichen Front entlang des Flusses Gilrain seit einigen Tagen immer wieder zu kleineren Gefechten mit den Streitkräften Mordors gekommen war. Linhir, der wichtigste Grenzposten Gondors, war noch frei von Kämpfen, doch nun, da General Hilgorn mit einer starken Verstärkungsarmee dorthin unterwegs war, würde es wahrscheinlich nicht lange dauern, bis sich das änderte. Noch hielt Gondor die Front aufrecht, doch Valion wusste nicht, wie lange das noch so bleiben würde. Deshalb war es umso wichtiger, dass er seine neue Mission so rasch wie möglich erfolgreich abschloss. Gondor konnte es sich nicht leisten, die wichtige Unterstützung der kriegsfernen Gebiete im Westen zu verlieren - nicht jetzt, wo der Krieg wieder offen geführt wurde. Wenn es wirklich Verräter und Separatisten in Anfalas und den Pinnath Gelin gab, würde Valions Gruppe sie finden und mit der offiziellen Ermächtigung des Fürsten von Dol Amroth und amtierenden Truchsessen von Gondor ihres Amtes entheben. Erchirion, der zweitälteste Sohn Imrahils, war ein wichtiger Teil davon, denn waren zwar auch Valion und seine Schwester Adelige des Reiches, und hatten Titel mit einigem Gewicht, doch Erchirions Prinzentitel würde ihren Worten und Taten die endgültige Legitimität verleihen.

Valions Verlobte, die schwarzhaarige Lóminîth, stand etwas abseits nahe der hohen Mauern, die den Hafen umgaben, und sprach in eindringlichem Ton mit einer der jungen Zofen, die ihr auf Schritt und Tritt zu folgen schienen und die sie teilweise von der Straße geholt hatte. Als Valion neugierig näher kam, konnte er den Rest der Unterhaltung mitanhören.
"Du wirst mich in meiner Abwesenheit am Hofe des Fürsten vertreten und wirst in meinem Namen sprechen, Váneth," erklärte Lóminîth gerade. "Hast du verstanden, was das bedeutet?"
"Ja, Herrin," antwortete Váneth, deren hellbraune Haare zu einer komplizierten Hochsteckfrisur aufgetürmt waren. "Ich verstehe die Verantwortung, die Ihr auf meine Schultern legt, und fühle mich geehrt."
"Gut, gut. Du wirst tägliche Berichte von allem, was geschieht und was dir zu Ohren kommt, anfertigen, und mir alles einmal pro Woche zuschicken. Und vergiss nicht, dass du jetzt nicht mehr Váneth, das Mädchen aus dem Armenviertel bist. Du bist die lange verschollene Erbin von Haus Bereneth aus Ithilien."
Váneth nickte. "Ich kenne meine Titel und meinen Anspruch, Herrin."
"Und du weißt, für wen du dich damit zum Ziel machst," fügte Lominîth hinzu.
"Ich werde Euren Worten diesbezüglich ganz genau Folge leisten, Herrin."
"Sehr gut. Informiere mich darüber, wenn du deine Wahl getroffen hast. Denke daran, dass ein wichtigerer Titel auch mehr Einfluss bedeutet, wähle dein Ziel also sorgfältig aus. Und vergiss nicht: Nicht jeder Mann, der viel Einfluss besitzt, weiß diesen auch sinnvoll zu nutzen."
Váneth nickte und schien noch etwas sagen zu wollen, doch als sie Valion herankommen sah, senkte sie den Blick und schwieg. Ihr blausilbernes Kleid wiegte im Wind, der vom Meer herwehte, leicht hin und her.
"Geh jetzt," befahl Lóminîth. "Du wirst deine Sache gut machen."
Das Mädchen drehte sich um und verschwand in Richtung der Oberstadt.
"Du hast sie ja ziemlich gut abgerichtet," kommentierte Valion mit einem schiefen Grinsen. "Gibt es denn wirklich genug ausgestorbene Adelshäuser und vakante Titel, die du an deine Mädchen verteilen kannst?"
Seine Verlobte schien den leisen Spott inzwischen gewohnt zu sein, weshalb sie nicht darauf einging. "Ich kümmere mich gut um sie," stellte sie klar. "Dank mir haben sie die Möglichkeit, ihr Leben noch einmal neu anzufangen."
Valion hob abwehrend die Hände. "Ich sagte ja nicht, dass etwas dagegen hätte, was du da tust."
Es hatte eine Weile gedauert, bis sich Lóminîth mit dem Gedanken angefreundet hatte, Dol Amroth zu verlassen. Doch am Ende hatte sie eingesehen, dass es ihrem Ansehen und ihrer Vertrauenswürdigkeit in Imrahils Augen sehr gut tun würde, wenn sie keine Einwände erhob. "Ich bin sehr darauf gespannt, deine Mutter kennenzulernen," sagte sie. "Sie muss eine beeindruckende Frau sein, wenn sie dich und deine Schwester ihr Leben lang ertragen hat, ohne dem Wahnsinn zu verfallen."
Und das war Míleth von Nan Faerrim auch. Sie war schon immer diejenige gewesen, die es geschafft hatte, die Wahrheit aus den Zwillingen herauszuholen, wenn sie wieder einmal einen unmöglichen Streich gespielt hatten und die einen so strengen Ton anschlagen konnte, dass Valion und Valirë für einige Zeit nicht einmal mehr daran dachten, sich auf die Kosten anderer einen Spaß zu machen. Doch sie war auch stets liebevoll mit ihren Kindern umgegangen und hatte ihnen viele Wünsche erfüllt. Valion stellte fest, dass er sie vermisste. Seit dem Tod ihres Mannes lebte Míleth wieder bei ihrer Familie in Anfalas, in einem kleinen Tal in der Nähe des südwestlichsten Ausläufers des Weißen Gebirges, das den Namen Nan Faerrim trug. Und dort wartete sie nun darauf, dass ihr ihre Kinder ihre Verlobten vorstellten.

Sie bestiegen das Schiff, nachdem die Mannschaft die Vorbereitungen für die Abfahrt abgeschlossen hatte. Erchirion hatte Valirës Hand genommen. Valions Schwester war in ihre Reitkleidung aus festem Leder gehüllt und trug das große Elbenschwert in der rechten Hand, das das Erbstück ihres Hauses war. Erchirion trug die Farben Dol Amroths - Blau und Silber - und war mit Schwert und Schild bewaffnet. Auch Valion hatte seine Rüstung angelegt und seine beiden Schwerter hingen fest an seinem Gürtel. Und Lóminîth trug ein rotschwarzes Kleid mit langen, weiten Ärmeln und darüber einen weinroten Umhang, der sie vor dem Wind schützen sollte. Denn der Wind wurde immer stärker, als sich das Schiff schließlich vom Kai Dol Amroths löste und Fahrt aufnahm.
Bringen wir es hinter uns, dachte Valion, der neben seiner Verlobten an der Reling stand und auf das Meer hinausblickte, das sich nun vor ihnen ausbreitete. Zu ihrer Rechten konnte er den Hafen von Edhellond in der Ferne erkennen, und zur Linken ragten die Türme Dol Amroths in den von der Mittagssonne erhellten Himmel hinauf. Wir finden heraus, was in Anfalas vor sich geht, und setzen den Separatisten ein Ende. Und dann schließe ich mich Hilgorn und seinen Leuten an der Front an. Es wird Zeit, dass Gondor in die Offensive geht. Wenn Verdandis Bericht stimmt, dann leiden die Menschen in den besetzten Gebieten noch mehr, als wir auch nur hätten erahnen können. Wir müssen das so schnell wie möglich beenden. Er hoffte, dass ihn dieser Auftrag nicht allzu lange aufhalten würde. Entschlossen ballte er die Hände zu Fäusten, öffnete sie jedoch wieder, als sich schmale Finger dazwischen schoben. Lóminîth hatte seine Hand genommen und schenkte ihm ein seltenes, echtes Lächeln.
"Eigentlich bin ich ganz froh, den Intrigen und dem Gerede am Hof für einige Zeit den Rücken kehren zu können," sagte sie.
"Du gibst also zu, dass du in Intrigen verstrickt bist, meine Schöne?" Valion grinste.
"Welche Frau ist das nicht?" gab sie schlagfertig zurück. "Du kannst froh sein, dass ich auf deiner Seite bin, Valion."
"Oh, glaub mir... das bin ich."


Valion, Valirë, Lóminîth, Erchirion und Veantur an Bord der Súlrohír nach Anfalas

Fine:
Aus der Sicht Valirës

"Ihr langweilt mich, Schiffsmeister."
"Sagt nicht so etwas, Teuerste. Es gibt noch so viele wundersame Dinge, die ich Euch über dieses Schiff erzählen könnte."
"Aber ich weiß bereits alles, was es über die Rache von Edhellond zu wissen gibt. Dass Euer Urgroßvater, der große Piratenjäger Faerion von Edhellond, sie einem grausamen Korsarenkapitän abluchste und ihr schwarzen Segel gegen hellblaue austauschte. Und dass sie seitdem zu einem der gefürchtesten Schiffe im gesamten südlichen Meer geworden ist, das die Korsaren noch bis in ihre Albträume verfolgt."
"Oh," machte Amros. "Ihr habt tatsächlich zugehört."
"Natürlich habe ich das," entgegnete Valirë und erhob sich träge vom Bett. Während Amros von Edhellond an Ort und Stelle liegenblieb und weiter auf sie einredete, schnappte sie sich seinen Umhang und bedeckte sich notdürftig damit. Die Kapitänskabine der Rache von Edhellond war luxuriös ausgestattet und sehr geräumig. Der leichte Seegang, der im Hafen von Dol Amroth die Schiffe bewegte, verstärkte das leichte Gefühl von Übelkeit, das Valirë jedesmal verspürte, wenn sie Dinge tat, die sie selbst vor ihrem Zwillingsbruder geheim hielt.
"Lieblichste Valirë," versuchte es Amros erneut. "Wollt Ihr denn wirklich schon gehen?"
"Ja, will ich," gab sie zurück. "Ich hatte gehofft, dass Ihr mir im Kampf gegen die Eintönigkeit Abhilfe schaffen könntet. Und habe mich zu spät daran erinnert, dass Ihr in dieser Hinsicht auch früher schon nicht viel zu bieten hattet. Von... anderen Bereichen gar nicht erst zu sprechen."
Amros hatte den Anstand, beschämt zu erröten, als er verstand, wovon sie sprach. Kleinlaut schwieg er, während Valirë ihre Kleider zusammensuchte und sich anzog. Dann verließ sie die Kajüte und betrat das große Deck des Kriegsschiffes, das von Amros zum Flaggschiff der Seemacht Gondors gemacht worden war.
Solange die Rache von Edhellond im Hafen ankerte, war der Großteil der Besatzung an Land unterwegs. Valirë wusste allerdings aus erster Hand, dass das Schiff schon bald nach Tolfalas aufbrechen würde, mit einem Zwischenstopp in Linhir. Kurz fragte sie sich, wie der Krieg an den Grenzen wohl lief, doch rasch schob sie Gedanken daran beiseite. Sich die aufregenden Kämpfe vorzustellen erinnerte sie nur immer wieder daran, wie sehr sie sich in Dol Amroth als Gefangene des Prinzenhofes vorkam. Seit ihrer Rückkehr aus Anfalas an Erchirions Seite hatte Fürst Imrahil es sich in den Kopf gesetzt, seine neue Tochter zu einer anmutigen Hofdame von Dol Amroth zu machen. Valirë blickte zu Imrahil auf und hatte ihn ohne Vorbehalte als Vater akzeptiert, doch für diese Entscheidung hasste sie ihn. Sie wollte über die Ebenen von Belfalas reiten und sich in waghalsigen Wettstreiten mit anderen Abenteurern messen, nicht das Getuschel des Hofstaates ertragen. Sie wollte Blut von ihrer Klinge tropfen sehen. Und da Gondors Blut in diesen Tagen kostbar war, konnte sie es sich nicht erlauben, ihre Kampfeslust an den Menschen von Dol Amroth auszulassen.

"Segel in Sicht!" brüllte einer der wenigen Seeleute, die im Augenblick noch an Bord des Flaggschiffes waren. Als Valirë rasch zum Heck der Rache geeilt war, kam das neu eingetroffene Schiff gerade in Sicht, als es in die scharf eingeschnittene Bucht zwischen Edhellond und dem Fels, auf dem Dol Amroth stand, einbog. Es war eines der leichteren Schiffe der Flotte des Schwanenprinzen, das zwar nicht die stärkste Bewaffnung aufweisen konnte, doch diesen Nachteil durch höhere Geschwindigkeit wettmachte. Das hellblaue Segel blähte sich im günstigen Wind und zeigte stolz den silbernen Schwan, der zentral darauf prangte.
Valirë sah zu, wie das kleinere Schiff zielsicher in den Hafen einlief und neben der Rache vertäut wurde. Da Amros' Flaggschiff um ein gutes Stück höher als der Neuankömmling war, konnte sie von oben auf das benachbarte Deck herabblicken. Und entdeckte dort unten eine ihr nur allzu gut bekannte Gestalt. Kurz entschlossen packte sie eines der Taue, die vom Hauptmast der Rache herabhingen und warf es auf das untere Deck herab. Die feste, lederne Hose und die Handschuhe, die sie trug, verhinderten Verletzungen, als Valirë mit Schwung an dem dicken Seil herabrutschte und mit einem Knall auf den Planken des kleineren Schiffes landete.
"Sieh mal einer an, wer endlich den Weg nach Hause gefunden hat," sagte sie und stemmte spielerisch die Hände in die Hüften.
Amrothos, jüngster Sohn des Fürsten von Dol Amroth, wich überrascht einen Schritt zurück, ehe er Valirë erkannte. Und dann begann er zu ihrer Verwunderung, schallend zu lachen.
"Was ist so komisch?" wollte sie wissen.
"Wir haben gerade von dir gesprochen," mischte sich eine neue Stimme ein. Ein junges blondes Mädchen - Valirë schätzte sie auf sechzehn oder siebzehn - in einem grünen Kleid war neben Amrothos aufgetaucht und musterte Valirë mit neugierigem Blick. "Amrothos sagt, dass es keine Frau in Gondor gibt, die dir an Wildheit gleichkommt."
"So so, sagt er das?" Valirë legte den Kopf leicht schief und wartete darauf, dass der junge Prinz sich beruhigte.
"Nun, es war eine äußerst lange Reise über den Seeweg von den Anfurten von Mithlond," meinte Amrothos. "Ich hatte viel Zeit, Geschichten über Dol Amroth und seine berühmtesten Persönlichkeiten zu erzählen. Und in dieser Aufzählung durften natürlich die Zwillinge vom Ethir nicht fehlen. Wo ist dein nichtsnutziger Bruder? Sag nicht, er wartet am Kai mit einem Sack Mehl auf mich... schon wieder."
"Ha! Das war eines unserer Meisterstücke!" lachte Valirë. "Noch drei Monate später riefen sie dich den bemehlten Prinzen, erinnerst du dich?"
"Nur allzu gut," gab Amrothos zerknirscht zu. "Du hast meine Frage nicht beantwortet... schon wieder."
"Valion jagt einen Verräter Gondors... irgendwo im Schwarzgrundtal. Und wenn er ihn erwisch hat - was nicht allzu lange dauern sollte - greift er diesem Jungspund bei Linhir unter die Arme. General Hilgorn war der Name, wenn ich mich nicht täusche."
"Hilgorn von der Stadtwache? Ein guter Mann. Mein Vater muss ihn befördert haben, während ich... fort war."
"Wer ist denn deine kleine Freundin, Amrothos?" wollte Valirë wissen.
"Ich heiße Irwyne und komme aus Rohan," stellte sich das Mädchen artig vor. Sie machte einen durchaus annehmbaren Knicks.
"Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich diese Geste erwidere," sagte Valirë.
"Irwyne, das ist die berüchtigte Valirë vom Ethir, wie du dir ja bereits denken konntest," stellte Amrothos sie vor.
Eine neue Stimme ertönte hinter ihnen. "Wieso seid ihr beiden noch nicht von Bord gegangen? Der Kapitän und seine Mannschaft sind alle schon fort."
Valirë drehte sich um und fand eine Frau vor sich stehen, wie sie sie noch nie in ihrem Leben erblickt hatte. Braunes Haar und feine Züge besaß sie, doch waren es die Augen, die Valirë wie in einem Bann gefangen hielten. Grau wie der Himmel an einem stürmischen Tag schienen sie eine endlose Tiefe aufzuweisen, in der man sich verlieren konnte. Alt und gleichzeitig jung war das Antlitz der Frau und Valirë erkannte, dass sie einer vom Sternenvolk gegenüber stand. Elben waren in jenen Tagen in Dol Amroth keine Seltenheit mehr, doch unter den Kriegern, die sich die Erben Lenwes nannten, waren nur wenige Frauen gewesen. Und darüber hinaus verspürte Valirë eine ihr unerklärliche Verbundenheit zu der Unbekannten, die sie merkwürdigerweise an ihre Mutter Míleth denken ließ, die nun über das Tal von Nan Faerrim herrschte.
"Wir wurden... aufgehalten," sagte Amrothos entschuldigend, und trat verlegen von einem Bein aufs andere. "Valirë, dies ist Mithrellas vom Goldenen Wald, Tochter des Oronêl und... Ahnherrin der Fürsten von Dol Amroth."
Normalerweise hätte Valirë anhand eines solch langatmigen, hochfahrenden Titels einen schlechten Scherz gemacht, doch Mithrellas' Gegenwart bewirkte, dass sie zum ersten Mal seit vielen Tagen nicht wusste, was sie sagen sollte.
Ein peinlicher Augenblick der Stille trat an. Die Elbin musterte Valirë eindringlich und ihr Gesichtsausdruck blieb neutral. Als ihre grauen Augen jedoch den zartrosanen Kussabdruck an Valirës Hals streiften, den Amros' Lippen dort hinterlassen hatten, glaubte Valirë darin eine Spur von Missbilligung zu entdecken, und ein Gefühl von bislang ungekanntem Schuldbewusstsein stieg in der Gondorerin auf.
Es war Amrothos, der sie rettete. "Mithrellas, dies ist Valirë vom Ethir - eine von Gondors berüchtigsten Kriegerinnen. Sie hat einen wahrlich gefürchteten Ruf."
Die linke Augenbraue der Elbin wanderte um ein Winziges nach oben. Ihr Blick schien Valirë zu durchbohren, doch dann machte Mithrellas einen Schritt vorwärts und legte unvermittelt einen Arm um die verdutzte Valirë.
"Du suchst Aufregung, Tochter des Steinlandes," wisperte die Elbin in ihr Ohr. "Dafür verdamme ich dich nicht. Doch vergiss nicht, woher du kommst. Ich erkenne meine Nachfahren, so zahlreich sie in diesen Tagen auch geworden sein mögen. Und ich weiß, dass mehr in dir steckt."
Mithrellas ließ sie los und nickte Valirë freundlich zu. "Es freut mich, die Bekanntschaft zu machen, Valirë. Ich kehre nun an Imrahils Hof zurück, und erwarte, dass wir uns dort bald wiedersehen werden."
Sie ließ Valirë stehen und ging anmutig von Bord.
"Also, so etwas habe ich noch nie gesehen," sagte Amrothos, zu gleichen Teilen ratlos und belustigt. "Valirë vom Ethir ist sprachlos. Ich wünschte, ich könnte diesen Moment irgendwie festhalten, damit ich ihn dir immer wieder schön unter die Nase reiben kann."
Da fand Valirë ihre Sprache wieder und sagte: "Ach, halt bloß den Mund, Amrothos. Sonst stopfe ich ihn dir mit meiner Faust... schon wieder."

Fine:
Ardóneth, Valion, Rinheryn, Damrod, Thandor, Gilvorn, Lothíriel, Areneth und Glóradan von der Bucht von Belfalas


Trotz der Ankunft in Dol Amroth blieb Valion unfreiwillig weiterhin dort, wo er auch während der gesamten Überfahrt von Tolfalas gewesen war: Eingesperrt in der Brigg der Rache von Edhellond. Lothíriel hatte ihm mitteilen lassen, dass sie erst mit ihrem Vater sprechen würde, ehe Valion die Zelle verlassen durfte.
In den Stunden, die er dorts bereits verbracht hatte, hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Und er war zu dem Schluss gekommen, dass er das Richtige getan hatte, als er sich seiner Eskorte in Anfalas entzogen hatte. Es stimmte zwar, dass er damit das Gesetz Gondors gebrochen hatte, doch der Erfolg der Gefangennahme Gilvorns würde ihm in Imrahils Augen doch sicherlich recht geben, oder nicht?
Er hasste es, eingesperrt zu sein. Andere würden Imrahil nun eine Version der Ereignisse erzählen, ehe Valion die Gelegenheit bekommen würde, seine Sicht der Dinge darzulegen. Und er fürchtete, dass der Fürst ihm trotz seiner kürzlichen Verdienste in Umbar und in der Schlacht in Morthond nicht unbedingt wohlgesonnen sein würde.
Frustriert lehnte er sich mit dem Rücken gegen die dicke Außenwand des Schiffes, als er aus den Augenwinkeln einen schlanken Schatten vor den Gittern seiner Zelle bemerkte.
"Lóminîth?" fragte er überrascht.
"Valion! Ist alles in Ordnung mit dir, bist du verletzt?" fragte seine Verlobte mit untypischer Sorge in der sonst so kühlen Stimme.
"Es geht mir gut," antwortete er. "Aber es würde mir noch deutlich besser gehen, wenn ich hier raus käme. Ein gutes Abendessen mit einem edlen Tropfen Wein dazu wäre jetzt genau das Richtige."
Ihm fiel auf, dass auch Lóminîth während der Heimreise aus Anfalas unter Aufsicht der Eskorte Nengwens, der Herrin der Pinnath Gelin gestanden hatte. "Haben sie dich etwa gehen lassen?" fragte er verwundert.
"Ich stehe unter Hausarrest," antwortete die dunkelhaarige Frau. "Aber ich musste dich einfach sehen. Es ist zu lange her, und ich..." Ihre Stimme wurde leise, kaum hörbar. "...ich habe dich vermisst."
Valion traute seinen Ohren kaum. Hier stand Lóminîth, eine in Umbar aufgewachsene, berechnende Frau, die ohne mit der Wimper zu zucken zu Werkzeugen wie Intrigen und Mord griff, und führte sich auf, wie ein Mädchen, das nur halb so alt war wie sie. Und zu seiner eigenen Überraschung... berührten ihn ihre Worte.
"Ich habe dich auch vermisst, Lómi," antwortete er sanft. In seinem Herzen erkannte er, dass dieser Satz der Wahrheit entsprach. Ein großer Teil von ihm war froh, dass es Lóminîth gut ging, und dass sie jetzt in diesem Augenblick bei ihm war. "Sie werden dein Fehlen bald bemerken," sagte er besorgt.
"Vaneth und die anderen sorgen für eine ausreichende Ablenkung," sagte Lóminîth, nun wieder ganz sie selbst. "Wir haben genug Zeit. Erzähl mir, was auf deiner Jagd nach Gilvorn geschehen ist. Und lasse nichts aus."
Valion grinste. Dann fasste er rasch die vergangenen Wochen zusammen. Lóminîth erfuhr von seinem hastigen Ritt durch Anfalas und Morthond, bis über die Pfade der Toten nach Rohan hinein. Sie machte große Augen als sie von der Schlacht in Anorien hörte, und schlug besorgt die Hände vor das Gesicht, als Valion von den Kämpfen in Minas Tirith erzählte.
"Du hast wahrlich mehr Glück als Verstand," sagte sie tadelnd, als Valion vom Überfall der Waldläufer auf Balkazîrs Streitmacht in den Wäldern Ithiliens berichtete.
"Ich habe das Glück, du den Verstand," hielt Valion dagegen. "Deshalb passen wir auch so gut zusammen."
Lóminîth gab ein Schnauben von sich. "Jetzt müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass der Fürst uns für unsere Taten nicht aufhängen lässt."
"Wir werden das schon hinbekommen, Lómi. Gemeinsam kriegen wir das hin."
Sie blickte ihn an. Zweifel stand in ihren dunklen, beinahe schwarzen Augen. Doch langsam, ganz langsam schwanden sie. "Wenn du es sagst..."
Valion war aufgestanden und an das Gitter heran getreten. Er ergriff Lóminîths schlanke, feingliedrige Hände und schweigend standen sie einige Minuten einfach dort, getrennt von einer Barriere aus gehärtetem Stahl. Dann überwanden sie die Barriere mit ihren Lippen und küssten sich - so gut es ging.
Lóminîth löste sich nur widerwillig von ihm. Doch über ihnen auf dem Deck waren Schritte zu hören geworden. "Bleib stark," wisperte seine Verlobte Valion noch zu, dann verschmolz sie mit den Schatten und war verschwunden.
Ein Wächter in schwerer Rüstung kam polternd die Treppen vom Hauptdeck hinab. Er schloss Valions Zelle auf und gab ihm zu verstehen, dass er mitkommen sollte. "Der Fürst will dich seh'n," brummte der Mann. "Bevor die Sonne untergegangen ist, will er sein Urteil gefällt haben, heißt es."
Valion folgte dem Gondorer auf das Deck der Rache hinaus. Es musste Mittag sein, denn die Sonne schien hoch über den Türmen Dol Amroths auf ihn herab. Von Rinheryn oder den Waldläufern fehlte jede Spur. Einige Hafenarbeiter warfen Valion neugierige Blicke zu, während er von dem Wächter durch den Hafen geführt und in die Stadt hinauf gebracht wurde.


Valion zum Palast des Fürsten

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