Da ich für gewöhnlich immer nur so viel Geld mitnehme, wie ich brauche (d.h. ich weiß schon vorher genau, was ich kaufen will), hat sich die Situation praktisch bereits erledigt, theoretisch überlegen kann (und werde) ich aber trotzdem:
Die beschriebene Situation ist ein Beispiel für eine solche, bei der die gängigen Moralsysteme (Utilitarismus, Kant usw...) versagen, weil es an Informationen zur Bewertung fehlt, weder kennt ihr seine tatsächlichen Absichten noch die möglichen Folgen der verschiedenen Handlungsweisen, weswegen man eigl nur auf sein "Bauchgefühl", also eine persönliche moralische Einschätzung, vertrauen kann.
Ich persönlich bin immer ziemlich vorsichtig, was um Geld bittende Leute jeglicher Art angeht, egal was sie für eine Geschichte erzählen - oft ist diese einfach erfunden und so ausgeschmückt, dass sie möglichst viel Mitleid erzeugt.
Höchstwahrscheinlich hätte ich ihn (in der Reihenfolge) an eine öffentliche Telefonzelle, von der er mit seinen 30 Fr seine Eltern anrufen kann, die Bahnhofsmission oder irgendeine andere charitative Organisation verwiesen - das Telefon, um seine Eltern um Geld (Überweisung?) und/oder Abholen zu bitten und die Mission (o.Ä.), damit er bis dahin nen Ort zum Schlafen und Essen hat.
Wenn man sinnvolle Alternativen aufzeigt, die keine Spende enthalten, kann man an der Reaktion der Person meist recht gut erkennen, wie es wirklich aussieht - wenn seine Geschichte wahr ist, hat er diese Option vielleicht ganz einfach vergessen und freut sich über den Hinweis (dann kann man ihn als Ortsansässiger ja durchaus noch zu ner nahen Telefonzelle führen, um ihm zu helfen) oder kann erklären, warum das keine Option ist - für gewöhnlich ist das irgendwas ihm Peinliches, was man ihm ansehen dürfte - in diesem Falle kann man ruhig überlegen, ihm doch was zu geben.
Wenn seine Geschichte NICHT wahr ist, wird eine zuvor zurechtgelegte Geschichte quasi wie aus der Pistole geschossen folgen (wenn auch mit einem gerüttelten Maß an Schauspielerei, etwas Menschenkenntnis hilft hier enorm) oder er versucht, das Gespräch zu einem schnellen Ende zu führen, weil er merkt, dass bei euch nichts zu holen ist, meist geht er dann auf eure Vorschläge ein, dankt euch, sagt aber, dass es "wirklich nicht nötig ist, dass ihr ihn noch ein Stück begleitet", er habe auf dem Weg möglicherweise bereits ein Telefon gesehen.
An dieser spezifischen Situation komisch finde ich allerdings, dass er angibt, bereits bei der Polizei um Hilfe gebeten hat, aber nichts zu einem möglichen Telefonat mit den Eltern - denn das wäre auch bei der Polizei (wenn sie ihn ernst nehmen, und die haben meist ne ziemlich gute Menschenkenntnis vom Beruf her) der erste Schritt gewesen, insofern hätte sich mein Misstrauen eher noch gesteigert. Ebenso, dass er relativ teure Dinge (Anzug, Mp3-Player) dabei hatte, die er evtl hätte ins Pgandhaus geben (zumindest den Mp3-Player, Kleidung sollte er besser behalten) und nachher wieder auslösen können, wenn er bei seinen Eltern war.
Je nach Gesprächsverlauf hätte ich aber danach wohl versucht, mich mit einem mehr oder weniger starken schlechten Gefühl zu verdrücken, jenachdem hätt ich ihm vllt noch n bissl Geld für was zu Essen in die Hand gedrückt.
Evtl hätte ich ihm auch einfach zum Schwarzfahren angehalten, in einer Notlage kann man das da etwas weiter sehen... die Bahn hat deutlich weniger Probs, auf diese 56 Fr zu verzichten als ein Schüler.Das alles war jetzt allerdings mit einiger Überlegung geschrieben, wie ich im Realfall gehandelt hätte (also ohne sonderlich viel Zeit zu überlegen), ist nicht ganz so leicht... wahrscheinlich ähnlich, ich hätte auf jeden Fall ein Gespräch angefangen und währenddessen überlegt.
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Mir wäre es wahrscheinlich ziemlich genauso ergangen wie dir auch, die gesunde Portion Skepsis^^
Aber auf jeden Fall hätte ich, wie du mit deinem Freund auch, da nachher noch ne Weile drüber geredet, um mich entweder noch schlechter (weil er moralisch überlegen war und Recht hatte) oder bestätigt zu fühlen - deine Recherche ist ja die Fortsetzung davon und führt ja eher zu zweiterem.
Auf jeden Fall aber eine seltsame Geschichte - eigl hätte dem Kerl selber auffallen sollen, dass sein Auftreten vllt doch etwas unpassend dafür ist.
Von daher bin ich mir nicht ganz so sicher, ob er tatsächlich komplett clean war - bei manchen Leuten bemerkt man das gar nicht.
(Oder er war ein "versnobtes Luxuskind", das unbedingt erste Klasse nach hause fahren wollte, was so teuer ist, und wollte auf keinen Fall von sich aus was abgeben

)
Auf jeden Fall hat mich diese Situatio nochmal darin bekräftigt, bei sowas lieber doppelt kritisch zu sein und genau aufzupassen...