Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Gortharia

In den Straßen von Gortharia

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Eru:
Milva, Aivari und Inari von den Gebieten westlich des Meeres von Rhûn...


Die Nacht war klar, kühl und sternenklar, wie Rauchwölkchen zogen Nebelschwaden von den Bächen und Wiesen die Berghänge hinauf, die sie immer weiter hinter sich ließen.

Zu ihrer Linken erstreckte sich bald das weite Meer von Rhûn. Sie ritten in einiger Entfernung und auch das Halbdunkel ließ nur erahnen wie weit sich das Wasser in den Horizont erstreckte. Ihr Pferd Radko schnaubte von der anstrengenden Reise, doch die Kraftreserven, die in diesem Tier schlummerten, waren beeindruckend.
Vor ihnen war der Mond schon untergegangen, und über ihnen funkelten die Sterne; hinter ihnen war das Licht des Tages noch nicht gänzlich über die dunklen Berge heraufgekommen.
Es war ein Grasland mit einem kurzen, federnden Grasteppich, und es war nichts zu hören als das Wispern der Luft über den Bergrücken und hoch oben einzelne Schreie fremdartiger Seevögel und das Plätschern der kleinen Wellen am Ufer des Meeres und die Brandung der Strömung am Schilf.

Die Gruppe sprach nicht mehr bis sie während der ersten Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages ihr Ziel in der Ferne erkannte. Fremde Bauwerke und Gemäuer erstreckten sich am Horizont über einen sonnenbeschienen, gigantischen Felsen auf den unzählige Straßen und Gassen hinaufführten.
An der Spitze des Felsens thronte ein prunkvolles, palastartiges Gebäude aus rotem Gestein und goldenen Dächern, in seinem Glanz und Prunk nur noch übertroffen von einem in der Nähe liegenden Tempel.
Viele der Häuser in den tieferen Regionen waren hingegen aus Holz gefertigt, das war schon aus dieser Entfernung zu erkennen, und die Strohdächer leuchteten im feurigen Orange der Morgensonne.

Da die Stadt direkt am Meer von Rhûn erbaut worden war, lag eine Flotte von einer Größe im Hafen der Stadt, wie sie Aivari zu Lebzeiten noch nicht gesehen hatte. Rauch stieg aus unzähligen Schornsteinen empor und viele Flaggen mit dem Wappen des Königreichs Rhûn wehten im lauen Seewind.

Immer näher kamen sie der äußersten Stadtmauer, nur eine von vielen, die sich schützend um die Bauwerke auf dem Felsen zogen. Während Aivari die Ausmaße der Stadt noch staunend betrachtete, gingen die Mauern von Braun in ein feuriges Rot über und glänzten schwach in der Morgendämmerung; Aivari bemerkte die vielen brachliegenden Felder außerhalb der Stadt. Manche waren völlig ausgetrocknet, andere mit Unkraut überwuchert.

»Der Krieg im Westen fordert seinen Tribut«, sagte Inari zu ihm, als sie die Straße entlangritten, die auf das große Tor im Westen Gortharias zuführte.
»Diese Felder wurden von Sklaven bewirtschaftet, die heute ihr Leben im Westen lassen müssen, in Kämpfen in die sie unschuldig hineingeraten sind, für einen Zweck, der ihnen weder dient noch ihr Leben einfacher machen wird.«
Aivari wusste nicht recht, was er antworten sollte. Diese prachtvolle Stadt von einer Größe, wie sie auch im Westen kaum anzutreffen war, vielleicht die größte, die er je gesehen hatte – erbaut auf Knochen und Blut versklavter Arbeiter. Es war eine bittere Note, die sich auf seinen ersten überwältigenden Eindruck legte.
»Wir sollten uns rasch neue Kleidung besorgen, sobald wir die Stadt betreten haben, Aivari.«
Inari riss den Zwerg wieder aus seinen Gedanken. Vor ihnen erhob sich ein großes Stadttor, viele Menschen gingen ein und aus, selbst zu dieser frühen Stunde.
»Du magst in deiner Kluft nicht sofort auffallen, aber die Wappen der Riddermark dürften hier auf Aufmerksamkeit stoßen, die wir nicht gebrauchen können.«
»Sie hat recht«, stimmte Milva zu, die in ihrer Jägerkluft aus Hirschleder zwar ebenfalls nicht wie ein typischer Bewohner Gortharias aussah, aber weitaus weniger auffällig war als Inari. »Ich habe zwar keine Ahnung wo diese Riddermark liegen soll, aber wenn sie mit Rhûn im Krieg liegt, solltet ihr diese Wappen auf jeden Fall verbergen.«

Ein paar Wachen, die nicht unähnlich gekleidet waren, wie die Soldaten, die sie überfallen hatten, versuchten die eintretenden Menschen sporadisch zu kontrollieren, was von wenig Erfolg gekrönt war.
Inari verdeckte ein paar der auffälligeren Stellen ihrer Rüstung mit den Leinentüchern, die von Kazimir in ihren Besitz gelangt waren. Zwischen einigen anderen Reitern und zwei Händlerkarren, die einer umfangreicheren Inspektion unterzogen wurden und die wenigen Wachen voll und ganz beschäftigten, kamen sie alle drei ungesehen ins Innere der Stadt.
In den Straßen und Gassen herrschte geschäftiges Treiben. Düfte von frisch gebackenem Brot stiegen Aivari in die Nase und die holprige Straße, die sie hierher geführt hatte, wurde durch einen gesteinten Weg abgelöst, auf dem die trappelnden Hufe ihrer Pferde durch die Hauptstraße und einige engere Gassen schallten.
Es war eine wahrlich starke Feste, die wohl kein feindliches Heer einzunehmen vermochte, wenn Männer in ihrem Inneren waren, die Waffen führen konnten. Bogenschützen konnten Angreifer durch die vielen Höhen der Stadt stets ins Kreuzfeuer nehmen und Katapulte hatten auf lange Entfernung gute Sicht auf nahende Feinde.

»Kalervos Kleidungsgeschäft ist nicht weit von hier, wenn er noch dort seinen Sitz hat, wo er zuletzt war. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und…«
Inari neigte sich ein wenig zu dem Zwerg zurück, der hinter ihr saß. »Er hat nicht viel übrig für die Obrigkeit und die menschenunwürdigen Gesetze dieses Landes. Ich bin mir sicher, er kann uns weiterhelfen.«

Zwei Straßen weiter fanden sie sich vor einem kleinen, unscheinbaren Gebäude wieder, das sich nicht sonderlich von den anderen Häusern abhob. Nur ein kleines Holzschild mit der Aufschrift „Kalervos Allerlei“ in verschiedenen Schriften und Sprachen deutete auf einen Laden hin.
Sie sattelten ab und banden ihr Pferd an einen dafür vorgesehenen Holzpfahl neben der Eingangstür. Kalervo selbst war nicht anzutreffen.
»Scheint, als wäre euer Bekannter nicht zu Hause«, meinte Milva in misstrauischem Tonfall. »Ich denke, ich werde lieber draußen warten, falls etwas schiefgeht.«

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»Wegen Verschwörung und Rufmord am König in Gewahrsam genommen«, teilte ihnen eine seiner Aushilfen in monotoner Stimmlage mit, als erzähle sie die Geschichte bereits zum hundertsten Mal.
Inari schnaubte wütend und fragte die ältere Dame nach Einzelheiten zur Festnahme ihres Bekannten. Aivari war indes von dem kleinen Geschäft völlig verblüfft. Wie hatte man so viele exotische Stoffe, Leder und Metalle in einen so kleinen, schwach beleuchteten Raum hineinbekommen? Das war selbst für Zwerge, die Meister im Platzsparen waren, recht erstaunlich. Er ging an Bergen voller Kleidungsteile vorbei in allen Farben der Welt, Bäche von Schals und Leinengewändern, Gamaschen und Anglerhosen, Bergschuhen und allerlei Kopfbedeckungen, die nicht immer als solche zu erkennen waren, bahnten sich ihren Weg durch das Geschäft.

»Ich hatte an so etwas gedacht«, teilte die ältere Dame schließlich mit und deutete auf ein paar Leinengewänder und Kettenhemden. »Und für den Herrn Zwerg vielleicht noch ein solcher Turban. In weiß? Ich glaube er würde euch gut zu Gesichte stehen. Die Obrigkeit pflegt solche zu tragen, und das scheint mir für eure Pläne am sinnvollsten.«
Inari hatte die alte Frau offenbar von ihren Plänen unterrichtet oder sie wusste schon vorher weshalb Inari hierhergekommen war. Pläne, die sie selbst Aivari noch nicht ganz offengelegt hatte.

Nach einigem Debattieren und Ausprobieren stand Aivari in neuer Kluft vor einem großen Spiegel, der irgendwie zwischen einer rückwärtigen Tür und zwei Hügeln aus Stoffhosen angebracht worden war.
Ein weißer Turban wickelte sich um seinen Kopf, die langen Haare darin verschwindend. 
Unter seinen Augenbrauen kam nur noch der weiße, teils mit zwergischen Rollspangen geflochtene Bart zum Vorschein. Am Oberkörper trug er zuunterst ein braunes Stoffhemd und darüber ein silbernes Kettenhemd, das auch seine Oberarme bedeckte. Eine Lederweste und ein marineblauer, dicker Stoffumhang mit zwergischen Verzierungen an den Säumen in weiß und silber, sowie ein weites, schwarzes Wolfsfell, das er sich über seine Schultern legte, rundeten die neue Kleidung ab.
Seine längst zerschlissene und mehrfach geflickte Hose wurde durch eine dunkle, robuste Stoffhose ersetzt, die teils mit Lederteilen verstärkt war. Seine ausgetretenen Stiefel wurden durch neue Lederstiefel ausgetauscht.

Einen neuen verzierten Ledergürtel mit zahlreichen kleinen Taschen zog er darüber.
»Ihr habt Glück das ich erst letzten Monat einen zwergischen Händler zu Besuch hatte, der auch Bekleidung in eurer Größe geliefert hat.«, meinte die alte Verkäuferin zu ihm, während sie seinen Turban noch einmal passgenau ausrichtete und das Wolfsfell zurecht zog. »Seit wir im offenen Krieg mit eurem Volk sind, ist es schwieriger für euresgleichen alltägliche Dinge in dieser Stadt zu finden. Ohnehin trifft man nur noch selten Vertreter eures Volkes in Gortharia. Seid besser auf der Hut und meidet Nebenstraßen im Dunkeln. Auch wenn ihr nicht von offizieller Seite am Betreten unseres Landes gehindert werdet, wird euch unter den meisten Königstreuen offene Abneigung entgegengebracht werden.«

Aivari war nicht überrascht, nicht weniger hatte er erwartet. Noch als er in den Eisenbergen lebte, befanden sich ihre Völker im Krieg und es wurde davor gewarnt weit in den Süden zu reisen.

Inari tauschte die Rüstung der Rohirrim, oder das was von ihr übrig war, gegen ein neues, langärmeliges Kettenhemd ein, das bis zu den Knien reichte, dazu lederne Arm- und Beinschoner und metallene Schulterplatten und Brustschutz, sowie ein ledernes Oberteil, das auch den Hals mit einem Kragen schützte und bis über die Hüfte reichte. Dazu ein Gürtel mit einigen Taschen, braune Stiefel und eine dunkle Stoffhose.
Zusammen ergaben sie so einen reichen Zwergenhändler oder einen kleinen Menschen aus der oberen Schicht mit einer gekauften Leibwächterin. Ein Anblick, der immer noch ungewöhnlich, aber nicht allzu auffällig war.
Durch Inaris Kontakte mussten sie für ihre Neueinkleidung nicht einmal bezahlen, dennoch überließen sie der alten Dame ein paar Goldmünzen – das gebot allein der Anstand und die Freundlichkeit der Frau.

»Unsere Wege müssen sich jetzt für einige Zeit trennen«, meinte Inari zu Aivari gewandt, der noch mit seinem Turban kämpfte, als sie den Laden wieder verließen, jedoch abrupt innehielt, als sie sprach. »Ich werde dich noch heute wiederfinden, aber im Moment würdest du die Sache nur erschweren und dich selbst in Gefahr bringen. Es gilt einige alte Bekanntschaften zu erneuern. Vertrau mir. Sobald ich mehr weiß, komme ich zurück. Geb Acht auf dich und halt dich im Zweifel an Milva. Sie kommt schließlich aus Rhûn und dürfte verhindern, dass du auffällst.«
Aivari überlegte kurz zu protestieren, schließlich hatte er den weiten Weg nur auf sich genommen, um ihr zu helfen, doch sie wirkte entschieden und letztlich wusste sie immer noch am Besten, was ihr Plan war. Allmählich befand es Aivari jedoch für merkwürdig, dass sie ihn nicht weiter in ihre Pläne einweihte und nun einfach verschwinden wollte.
»Ich vertraue dir, aber ich brauche dafür auch dein Vertrauen, Inari. Ich glaube du begibst dich in Gefahr und ich wäre lieber an deiner Seite, wenn das geschieht.«
»Ein letztes Mal muss ich dich noch im Ungewissen lassen, Aivari. Sei dir sicher, dass ich dir mehr sagen würde, wenn ich könnte. Ich muss vorerst alleine handeln. Pass auf dich auf.«
Sie umarmte ihn noch rasch, bevor sie schnellen Fußes in einer nahen Menschentraube verschwand und in eine Gasse abbog.

Aivari schaute unter seinem Turban zu Milva auf und setzte ein wenig überzeugendes Lächeln auf. »Ich schätze damit sind wir auf uns allein gestellt. Wo gedenkt Ihr hinzugehen?«

Eandril:
Milva zuckte zur Antwort mit den Schultern, während sie sich unbehaglich umsah. Bislang hatte sie Riavod für eine große Stadt gehalten, doch die Stadt hätte in Gortharia mindestens zehnmal Platz gefunden. Die Menschenmengen auf den Straßen, die dicht beieinander stehenden Häuser, der Geruch... das alles drohte Milva zu überwältigen, und sie wünschte sich in die ruhigen, einsamen Wälder des Nordens zurück. "Ich habe keine Ahnung", gab sie freimütig zu. "Ich bin noch nie in einer derart... großen Stadt gewesen." Von einer Straßenkreuzung weiter vorne waren laute, zornige Rufe zu hören. Anscheinend waren zwei Wagen zusammengeprallt und hatten sich ineinander verkeilt, und die Fahrer beschimpften sich nun lautstark gegenseitig.
Sie blickte zu Aivari hinunter, der in seiner neuen Kluft deutlich mehr wie ein Ostling aussah als zuvor, und meinte: "Vielleicht gibt es ja irgendwo ein Gasthaus das Zimmer vermietet..."
Aivari war recht erstaunt, dass Milva offenbar über genauso wenig Kenntnis von diesem Ort verfügte, wie er selbst. Er hatte vermutet, dass man als Mensch aus Rhûn mindestens einmal in der Hauptstadt gewesen war.
"Ich weiß nicht, ob es überhaupt nötig sein wird, hier zu übernachten", erwiderte er und schaute sich noch einmal etwas naserümpfend um, als zwischen den beiden Wagenfahrern in der Nähe nun ein handfeste Rauferei ausgebrochen war.
"Aber es wäre sicherlich von Vorteil über einen Rückzugsort zu verfügen. Was plant ihr denn in dieser Stadt zu tun, wenn euch die Frage nicht ungenehm ist?"
Milva trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Der Zwerg war zwar eindeutig ein Feind des Königreiches, aber dennoch... sie konnte ihre Mission nicht einfach herumerzählen. "Ich, äh... bin auf der Suche nach einem Freund", antwortete sie schließlich ausweichend. Aivari blickte sie aufmerksam an, nickte dann aber nur. Er hatte offenbar begriffen, dass sie nicht weiter darüber sprechen wollte und beschlossen, ihr ihr Geheimnis zu lassen.
"Ich glaube, ich habe in der Nähe des Tores ein halbwegs vernünftiges Gasthaus gesehen", meinte er unverbindlich, und Milva folgte ihm bereitwillig.


Das Gasthaus "Zur Mondsichel", zumindest glaubte Milva diesen Namen auf dem verwitterten Schild über der Tür zu entziffern, lag unweit des Tores durch das sie die Stadt betreten hatten am Ende einer schmalen Gasse. Das Haus schmiegte sich direkt an die äußere Mauer Gortharias, und sah zwar nicht gerade luxuriös aus, wirkte aber einigermaßen vertrauenerweckend. Milva und Aivari betraten den Schankraum, und Milva sprach den Wirt im Dialekt Gortharias an: "Habt ihr Zimmer zu vermieten?"
Der Wirt, ein alter Ostling mit kurz geschorenen, grauen Haaren blickte sie misstrauisch an, und seine Augen verengten sich als sein Blick auf Aivari fiel. "An Höhlenkriecher vermiete ich eigentlich nicht." Milva warf Aivari einen kurzen Blick zu, um zu sehen ob er auf die Beleidigung reagieren würde. Selbst wenn er die Sprache Gortharias nicht verstand, waren Tonfall und Blick des Wirtes doch eindeutig gewesen.
Aivari verstand die Worte Milvas und des Wirtes nicht, doch der abschätzige Blick und seine Gestik waren unmissverständlich und zeigten, dass er offenbar ein Problem mit Zwergen hatte. Aivari versicherte sich über diese Einschätzung noch einmal, indem er Milva in die Augen schaute. Ein kurzer, vielsagender Blick der jungen Frau reichte Aivari als Bestätigung. Aivari war für gewöhnlich behutsamer, eher diplomatischer Natur. Doch wenn es um sein Volk oder seine Familie ging, dann war seine Ehre leichter zu kränken, als die des eitelsten Herrschers.
Trotzig nahm Aivari daher den weißen Turban ab und ließ ihn auf den verschmutzten Tavernenboden fallen, um zu verdeutlichen, dass er sich nicht herabsetzen lassen und er die Kultur des Menschen dann im Gegenzug auch nicht mit dieser Kopfbedeckung respektieren würde.
Er stellte sich noch aufrechter hin als ohnehin schon, mit breiten Beinen und packte unter seinem Mantel an den Griff seiner Axt während seine dunklen Augen funkelten.
"Nennt mir Euren Namen, Tresenwischer, dann werde ich Euch meinen nennen und noch einiges über mein Volk. Und lasst mich Euch vor weiteren einfältigen Worten warnen.
Ihr sprecht herablassend von einem Volk, das deutlich weiser und fähiger ist, als ihr Euch vorzustellen vermögt. Euer geringer Verstand ist nur eine schwache Entschuldigung."
Milva stöhnte auf, und bevor der Wirt auffahren konnte, sagte sie rasch: "Mein Freund ist sehr heikel in Fragen der Ehre. Bitte, sagt ihm dass ihr es nicht böse gemeint habt."
"Kommt nicht in Frage", erwiderte der Mann mürrisch. "Ich will kein Gesindel in meinem Gasthaus haben, und Zwerge sind genau das." Aivari schien sehr gut verstanden zu haben, dass der Wirt keineswegs vorhatte sich zu entschuldigen, denn in seinen Augen blitzte ein immer größer werdender Zorn auf und sein Griff um die Axt wurde fester. Die verächtliche Art des Wirtes machte allerdings auch Milva selbst wütend, denn in Riavod war sie vor dem Krieg vielen Zwergen begegnet, und auch wenn diese größtenteils stolz und verschlossen waren, hatte sie die Bewohner der Eisenberge doch immer als ehrenhafte und vertrauenswürdige Leute gekannt.
"Wie tief seid ihr hier gefallen, dass ihr anständigen Leuten eine Unterkunft verwehrt, nur weil sie ein wenig kleiner sind als ihr?" Auch in Milvas Stimme hatte sich ein gewisser Zorn eingeschlichen.
"Zwerge sind keine anständigen Leute", warf ein schmierig aussehender Mann, der an der Theke saß und einen vollen Bierkrug vor sich hatte, ein. "Sie sind Diebe, Mörder und unsere Feinde, und hier gibt es keinen Platz für sie... oder irgendwelche Schlampen, mit denen sie sich vergnügen."
Einen Augenblick glaubte Milva, sie hätte sich verhört, doch dann fuhr der Kerl mit einem anzüglichen Grinsen fort: "Ist sein Schwanz so klein wie der Rest von ihm? Wenn du mal einen richtigen spüren willst, kannst du gerne mal mit mir hochkommen, Süße." Sein Grinsen wurde noch breiter, und neben ihm lachte ein weiterer, ebenso unangenehm wirkender, Mann - bis Milva den Bierkrug packte und dem Schmierigen seinen Inhalt ins Gesicht schüttete.
"Nenn' mich noch einmal so, du... du..." Sie suchte nach dem passenden Wort, kam aber nicht dazu als der Mann tropfend aufsprang und blitzschnell ein Messer in der Hand hatte. Der Wirt warf einen Blick darauf, sagte nur: "Kein Blut auf meinem Boden", und wandte sich dann wieder ab.
"Hörst du, Süße?", fragte Milvas Gegenüber, und hielt ihr das Messer unter das Kinn. "Wir beide werden jetzt rausgehen, und ein wenig Spaß miteinander haben." Dass ihm langsam Bier aus den schwarzen Haaren tropfte, machte ihn für Milva kein bisschen weniger gefährlich, und sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Wäre der Kerl zehn Schritte entfernt und hätte sie ihren Bogen, wäre sie keine Sekunde in Gefahr, doch so war sie ihm hilflos ausgeliefert.


"Überleg dir besser, mit wem du dich anlegst, Lump!", schrie Aivari schließlich wütend, nachdem er schon zu lange untätig mit ansehen musste wie die Männer Milva bedrängten. Er packte schließlich nicht eine seiner beiden Äxte, sondern griff rasch zu seinem Schwert Azanul, das er unter dem neuen blauen Mantel versteckt hatte. Diese Wichte hatten es sich reichlich verdient, die verfluchte Klinge des schwarzen Schwertes zu spüren. Das Schwert fuhr zischend aus der Scheide und blitzte kurz im Lichte der Öllampen auf. Dann trat er zwischen den Mann mit dem Messer und Milva und hielt den krummen Burschen mit der langen Klinge auf Abstand.

"Seht ihn euch an! Ethos und Moral?! Ein Tunichtgut ohne jede Ehre. Und euresgleichen wagt es über mein Volk zu urteilen. Verflucht sollt ihr alle sein und Aules Zorn möge euch treffen!"
Aivari brüllte durch die ganze Taverne und meinte mit seinen Worten einen jeden Anwesenden, der tatenlos zusah oder die Gauner sogar ermutigte.
"Und du wagst es den Kopf hoch zu tragen, du Wicht?", sein Zorn traf nun den Mann mit dem schäbigen Messer. "Gibst dich als der Anständige aus? Und mein Volk schimpfst du Diebe und Mörder? Du elender Halunke! Pack dich bevor ich dir mit der Klinge das Maul stopfe!"
Aivari stand in Kampfeshaltung und jederzeit bereit einen Angriff zu parieren. Er mochte dem Mann vielleicht körperlich unterlegen sein, doch seine Waffe war der seinen um ein vielfaches überlegen.

Der Mann schaute Aivari aus blitzenden Augen und wutverzerrter Mine an, ehe er sich schließlich herumdrehte und zu seinem Platz zurückzugehen schien. Aivari atmete schon auf, da kamen plötzlich zwei der zwielichtigen Freunde des Mannes aus dem Halbdunkel des Inneren des Gasthauses und wollten den Zwerg und Milva von hinten packen. Einer schlug Aivari im Überraschungsmoment ins Gesicht, was ihn kurz zurückwarf.
"Du bist der Wicht, zwergisches Gesindel.", knurrte der grobschlächtige Kerl und
dünstete dabei Bier und Blutwurst aus.
"Hörst du, was ich sage, Höhlenkriecher? Oder hast du Dreck in den Ohren?"
Aivari, der im Munde den Eisengeschmack von Blut hatte, wirbelte mit Azanul herum und hielt sich nun nicht mehr zurück.
Die Klinge huschte in Aivaris Hand hin und her. In die Augen des Zwerges war ein boshaftes Funkeln getreten, zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen drang ein heiseres Gebrüll hervor. "Baruk Khazâd! Khazâd ai-mênu!"

Der Mann wich zurück vor der Macht mit der Aivari diese uralten Worte herausbrüllte, und vor der Wut und plötzlichen Übermacht des Zwerges, die in Wellen auf ihn einschlugen und ihn übermannten.
Einen Augenblick lang herrschte Durcheinander. In der Luft zitterte der hysterische Schrei einer Frau, die aus dem Gasthaus lief. Krachend fiel ein Stuhl um, mit klirrendem Poltern stürzte Geschirr zu Boden. Der Wirt, vor Angst zitternd, blickte auf die offene Bauchwunde des Grobschlächtigen, der die Finger in den Rand eines Schanktisches krallte und hinabsank.
Putz rieselte von der Decke, als Milva den Kopf des anderen Angreifers mit einer flinken Drehung packte, die Geschwindigkeit nutzte, und ihn gegen die Wand der Taverne hämmerte.
Herausfordernd hob Aivari den bärtigen Kopf und sein Blick traf den des Messermannes, der seinen Rückzug nur als Finte genutzt hatte und nun wieder zum Angriff überging. Mit einem gezielten Hieb der deutlich längeren Klinge Azanuls, stach Aivari dem Mann im Lauf in die Brust und als er in die Knie ging, stieß er ihm die blutverschmierte Klinge in den Hals. Röchelnd ging er zu Boden.
"Noch jemand?!", rief Aivari in hellem Zorn und funkelte die Anwesenden an.
"Hol jemand die Stadtwache, schnell!", brüllte der Gastwirt nun mit zitternder Stimme feige hinter seinem Tresen versteckt, schnappte nach Luft und begann sich zu übergeben.
Aivari drehte sich auf dem Stiefelabsatz, stieg über die schnell zunehmende dunkle Lache auf dem Holzboden und schob Milva ohne Worte rasch aus dem Gasthaus heraus auf die offene Straße. Er harrte der Dinge, die da kommen mochten, denn auch auf den Straßen waren Stadtwachen unterwegs.


Sobald sie draußen waren atmete Milva tief durch. Sie hatte zwar bereits zuvor Menschen getötet - das letzte Mal war ja gar nicht lange her, als sie Aivari getroffen hatte - aber dieser Kampf war etwas vollständig anderes gewesen. In Gedanken sah sie immer noch Aivari vor sich, der seine schwarze Klinge schwang und einem der Männer den Bauch aufschlitzte.
"Wir... müssen von der Straße runter." Ihr Blick huschte hin und her durch die Gasse und über die Häuser, und sie fühlte sich wie ein gehetztes Reh, das von den Hunden in die Ecke getrieben worden war.
"Warum bin ich überhaupt erst hierher gekommen?", murmelte sie vor sich hin, und machte einen zögerlichen Schritt in irgendeine Richtung. Eigentlich war es egal, wohin sie flüchteten, denn Milva hatte keine Vorstellung wo man sich in diesem Chaos von einer Stadt vor der Wache verstecken konnte. Bevor sie jedoch eine Entscheidung treffen konnte, bog ein Trupp Wachen in goldenen Rüstungen um die Ecke.
"Ihr zwei da, sofort stehen bleiben!", rief der Anführer ihnen entgegen, und Milva verharrte wie angefroren, während Aivari mit grimmiger Miene sein Schwert, dass er immer noch gezogen hatte, fester packte.
"Ich hätte den Kerl einfach verrecken lassen sollen...", sage Milva leise vor sich hin, was ihr einen kurzen verwirrten Blick des Zwerges einbrachte. "Ich bin für sowas nicht geeignet, ich hätte nein sagen sollen..." Jetzt würde ihre Mission vermutlich scheitern bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte - und noch schlimmer, dieses Mal würde sie niemand rechtzeitig vom Galgen schneiden. Sie bemerkte das kampflustige Funkeln in Aivaris Augen, und legte selbst die Hand auf den Griff ihre Jagdmessers. Wahrscheinlich war es besser, kämpfend zu sterben, als sich zu ergeben und aufgehängt zu werden.
Inzwischen waren die Goldröcke herangekommen, und der Anführer sagte: "Ihr seid verhaftet wegen..."
Eine andere Stimme schnitt ihm das Wort ab. "Sie sind nicht verhaftet." Auf der anderen Straßenseite war eine Frau mit kurzen, dunkelblonden Haaren erschienen, die eine Rüstung und ein Schwert an der Seite trug. Milva kannte diese Rüstung, von den Soldaten, die Aivari und Inari überfallen hatten... und die sie getötet hatte.
"Wir werden sowas von hängen...", stieß sie hervor.
"Nicht verhaftet?!", brach es hingegen etwas erstaunt aus Aivari hervor, der sich schon wieder schwertschwingend gegen die Stadtwachen gesehen hatte.

"Kommandantin Ryltha", sagte der Anführer der Stadtwächter. "Diese zwei haben einen Kampf angezettelt und zwei Männer getötet."
"Wirklich." Die Frau war ebenfalls herangekommen, und fuhr fort: "So wie ich das gehört habe, haben sie sich lediglich gegen ein paar Unruhestifter verteidigt. Und das können wir doch wirklich niemandem vorwerfen, oder?"
"Da habe ich aber etwas ganz anderes gehört", knurrte der Wächter, und blickte Milva und Aivari misstrauisch an, doch Ryltha ließ sich nicht beirren.
"Nur schade, dass ihr im Rang unter mir steht. Und ich befehle euch, abzuziehen und Händler einzuschüchtern, Kinder zu erschrecken oder was ihr sonst so nützliches tut."
Der Mann wurde bleich vor Zorn, widersprach aber nicht, sondern presste die Lippen zusammen und gab seinen Männern ein Zeichen.

Sobald die Stadtwachen außer Hörweite waren, wandte Milva sich an ihre Retterin.
"Warum habt ihr uns geholfen?"
Die Kommandantin zuckte mit den Schultern. "Ich habe gehört, was im Gasthaus geschehen ist, und auch wenn ihr nicht völlig schuldlos wart, sollt ihr deswegen trotzdem nicht den Kopf verlieren."
Sie musterte sowohl Aivari als auch Milva mit Interesse. "Ihr könnt also gehen wohin ihr wollt, passt nur auf keinen allzu großen Ärger zu machen. Und wenn ihr keine Aufsehen erregen wollt, geht ins nördliche Händlerviertel, dort ist man Angehörigen anderer Völker weniger feindlich gesonnen, und dort werdet ihr eine Unterkunft finden."
"Danke", sage Milva erleichtert, auch wenn Aivari der Frau nicht vollends zu vertrauen schien. Während sie sich auf den Weg machten, glaubte Milva noch lange, Rylthas interessierten Blick in ihrem Rücken zu spüren.

Eandril:
Milva und Aivari hatten Glück, und fanden im Händlerviertel im Norden tatsächlich ein Gasthaus, das ihnen ohne weitere Schwierigkeiten zwei Zimmer vermietete. Außerdem wirkte ihr jetziges Quartier deutlich komfortabler und vor allem sauberer als ihr vorheriger Versuch. Milva verstaute die wenigen Habseligkeiten, die sie mit auf ihre Reise genommen hatte, und verabschiedete sich dann für den Moment von Aivari.
"Ich muss... einer Spur folgen", erklärte sie. "Und ich will euch nicht noch weitere Schwierigkeiten machen, also würde ich gerne allein gehen." Sie war sich bewusst, wie fadenscheinig diese Ausrede klingen musste, aber trotz allem wollte sie den Zwerg noch immer möglichst nicht von dem wahren Grund ihrer Anwesenheit in Gortharia erfahren lassen.
"Erstaunlich viele Leute wollen heutzutage irgendwelchen Spuren folgen“, meinte Aivari und lachte, um dann wieder ernster zu werden. "Ich schätze in diesem Stadtviertel sind wir ohnehin sicherer und scheinbar sind auch nicht alle Bewohner dieses Landes auf Konflikt aus, wie diese Kommandatin bewiesen hat.“
"Und außerdem..." Milva räusperte sich unbehaglich, und rückte unbewusst das schmale Stirnband, dass ihre Haare aus dem Gesicht hielt, zurecht. "Außerdem wollte ich euch für eure Hilfe danken. Ohne euch hätten diese Kerle mich wohl..." Sie musste es nicht aussprechen.
"Entschuldigt, dass es so weit gekommen ist“, erwiderte Aivari. "Wir hätten dieses Gasthaus auf dem schnellsten Wege verlassen sollen. Dennoch hätte ich nicht zulassen können, dass Euch und meinem Volk solches Unrecht widerfährt.“
Er drehte sich bereits halb herum, als er sich zu seiner Zimmertür wandte.
"Wenn es Euer Wunsch ist alleine weiterzureisen, dann sei es so. Aber gebt Acht auf Euch. Für ein junges Ding wie Euch scheint mir dies kein guter Ort alleine unterwegs zu sein.“
Dabei musste er an Inari denken, die offen gesagt genauso verletzlich schien wie Milva, jedoch in Gortharia gelebt hatte und sich deshalb hier auskannte.
„Solltet ihr meine Hilfe erneut benötigen, zögert nicht mich aufzusuchen. Ich werde wohl noch eine Weile hier verbringen bis Inari wieder von sich hören lässt.“
So reichte er der jungen Frau die Hand zum Abschied.


Den Königspalast zu finden, erwies sich als schwieriger als Milva eigentlich erwartet hatte. In den Orten die sie kannte - was zugegebenermaßen nicht viele waren - war das wichtigste Gebäude meist von überall in der Stadt zu sehen, doch Gortharia war derart groß, dass sie keine Ahnung hatte, wohin sie gehen sollte. So irrte sie einige Zeit durch die Gassen des nördlichen Händlerviertels, immer darauf bedacht, jeglichen Stadtwächtern auszuweichen, bis sie schließlich eine breite Straße erreichte, die schnurgerade nach Süden führte.
"Kann genauso gut die richtige sein", sagte Milva vor sich hin, zuckte mit den Schultern, und folgte der Straße. Sie hoffte, dass sie später den Rückweg wiederfinden würde, ohne sich allzu sehr zu verirren. Die breite Hauptstraße stellte sich zu ihrem Glück als der richtige Weg heraus, denn schließlich erblickte sie vor sich ein mächtiges Gebäude mit goldenen Dächern vor sich. Sie fragte sich, wie viele Menschen man mit derart viel Reichtum wohl ernähren könnte, und musste an das ausgemergelte Gesicht ihres Vaters denken - kurz bevor er gestorben war. Der große Platz vor dem Palast war im Vergleich zu den anderen Straßen Gortharias relativ leer, und Milva hatte einen freien Blick auf die fünf Gardisten, die den Haupteingang bewachten.
Hier endete ihr Plan, denn weiter hatte sie nicht vorausgedacht - und eigentlich wusste sie selbst nicht genau, was sie am Palast wollte. Aber irgendeine Stimme in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass sie dort vielleicht am ehesten eine Spur der Königsfamilie von Thal finden würde. Immerhin würden sie wertvolle Gefangene sein - falls sie überlebt hatten. Einen Augenblick trat Milva unschlüssig von einem Fuß auf den anderen, doch dann gab sie sich einen Ruck. Vielleicht sollte sie einfach einen der Gardisten fragen, was sollte schon schiefgehen?

Milva zum Königspalast

Eandril:
Milva vom Königspalast

Milva hatte den Vorplatz des Palastes so überhastet verlassen, dass sie nicht darauf geachtet hatte, in welche Straße sie einbog, sondern nur ungefähr in nördlicher Richtung unterwegs war. Erst nach einiger Zeit stellte sie fest, dass es sich nicht um die breite Straße handelte, der sie zuvor zum Palast gefolgt war, und blieb am Straßenrand stehen. Sie blickte sich unsicher um, sah jedoch nichts was ihr auch nur ansatzweise bekannt vorkam - zumindest nichts auffälliges, denn die Häuser zu beiden Seiten der Straße unterschieden sich nicht von allen anderen in Gortharia.
"Dummes Mädchen", murmelte sie leise vor sich hin, während sie nachdachte. Sie könnte den Weg einfach wieder zurück zum Palast gehen und dort die richtige Straße wählen, doch dabei bestand die Gefahr, dem Gardisten mit dem sie gesprochen hatte, ein zweites Mal über den Weg zu laufen. Und das würde ihre Tarnung - über deren Art sie sich nicht einmal selbst wirklich im Klaren war - sicherlich nachhaltig beschädigen.
Die Menschenmengen auf den Straßen und der andauernde Lärm begannen Milva zu verwirren und sie tat sich schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Natürlich waren ihr Menschenansammlungen durch ihre Besuche auf dem Markt einige Meilen flussabwärts von ihrem Heimatdorf nicht vollkommen fremd, doch Gortharia war etwas völlig anderes. Bereits Holmgard, dass sie auf ihrer Reise nach Süden durchquert hatte, war ihr zu viel gewesen, und Gortharia war noch um einiges größer und belebter.
Milva hob die Hände an den Kopf und massierte sich die Schläfen, während sie versuchte den Lärm und die Menschen auszublenden und nachzudenken. Sie glaubte, ein wenig zu weit nach Westen gelangt zu sein, also konnte sie auch einfach weiter nach Norden gehen, und bei der nächsten Gelegenheit nach rechts abbiegen. So würde sie, glaubte Milva, früher oder später zwangsläufig wieder auf den richtigen Weg kommen.

Nur wenige Minuten später musste sie einsehen, dass sie sich vollständig verirrt hatte. Sie hatte zwar eine Straße gefunden, die ein Stück in östlicher Richtung verlaufen war, doch diese hatte sich bald in zwei weitere Straßen aufgegliedert, von denen mehrere Gassen in alle Richtungen abgingen. Einer davon war Milva gefolgt, und dann einer anderen, und nun stand sie am Rand eines geschäftigen Marktplatzes und hatte überhaupt keine Ahnung mehr, wo in dieser verfluchten Stadt sie sich befand. Sie konnte direkt neben ihrem Gasthaus stehen, oder am anderen Ende der Stadt - Milva wusste es nicht. Sie ließ sich auf einen Stapel Kisten am Rand der staubigen Gasse fallen, und blickte frustriert umher. In der Wildnis hatte sie keine Schwierigkeiten sich zurecht zu finden, selbst wenn sie die Gegend nicht kannte, doch dieser Irrgarten von Stadt war zu viel für sie.
Milva seufzte, wollte gerade aufstehen und ihren Irrweg fortsetzen, als sie von einer freundlichen Stimme in der Sprache Gortharias angesprochen wurde: "Meine Liebe, es sieht aus als hättet ihr euch verlaufen."
Milva blickte auf, und sah sich einem gut gekleideten Mann mit kurzen schwarzen Haaren gegenüber, der sie freundlich anlächelte. Er schien etwa zehn Jahre älter als sie zu sein, strahlte aber dennoch eine gewisse jugendliche Kraft aus.
"Wie kommt ihr darauf, dass ich mich verirrt hätte?", fragte Milva misstrauisch, obwohl sie in den Augen ihres Gegenübers keine Falschheit entdecken konnte.
"Nun, ihr euer Blick wandert ziellos durch die Gegend, als würdet ihr etwas suchen, wüsstet aber nicht was. Und ihr wirkt ein wenig wie ein aufgescheuchtes Reh, dass sich in die Stadt verirrt hat - ein sehr hübsches Reh, möchte ich sagen." Er deutete eine Verbeugung an und lächelte, wobei an seinem linken Ohr ein goldener Ring im Sonnenlicht aufblitze.
"Mein Name ist Ántonin Dvâkar, Händler, zu euren Diensten", fuhr er in Milvas Muttersprache fort, allerdings mit einem ihr unbekannten Akzent. Anscheinend hatte er ihren Akzent erkannt, und beherrschte dieses Sprache nahezu perfekt. Der Klang der Wörter löste in Milva Bilder ihrer Heimat aus, von ihrem Dorf an dem kleinen Fluss, der vom Sternenwald hinab kam und schließlich in den Carnen mündete. Erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie das alles vermisste - trotz alldem, was ihr dort widerfahren war.
"Man nennt mich Milva", erwiderte sie, und Ántonin lächelte erneut und bot ihr seinen rechten Arm dar, den Milva zögerlich ergriff. "Ein sehr schöner Name, und er passt sehr gut zu euch", sagte er. "Nun erzählt mir, wie kann ich einer schönen Maid aus dem schönen Dorwinion helfen?"
"Ich finde den Rückweg zu dem Gasthof, in dem ich übernachte nicht mehr", antwortete Milva, und spürte , wie ihr das Blut in die Wangen stieg. "Wisst ihr, wie ich von hier zum nördlichen Händlerviertel komme?"
Ántonin lachte, doch es war kein spöttisches Lachen. Anscheinend wusste der Händler, wie leicht man sich in Gortharia verirren konnte. "Meine Liebe, ihr seit mitten drin im nördlichen Händlerviertel."
"Oh." Mehr brachte Milva für den Moment nicht hinaus, und ihre Wangen mussten inzwischen geradezu glühen. "Aber... wieso kommt mir dann hier nichts bekannt vor?"
"Das Händlerviertel ist groß", erwiderte Ántonin verständnisvoll. "Welches Gasthaus sucht ihr denn?"
"Es heißt Uldor's Rast." Erleichterung durchströmte Milva, denn auch wenn sie sich verirrt hatte, war sie immerhin einigermaßen in die richtige Richtung gegangen.
"Das ist gar nicht weit weg." Ántonin setzte sich in Bewegung und Milva, die noch immer seinen Arm hielt, mit ihm. "Ich bringe euch hin."
Sie waren noch nicht weit gegangen, als der Händler fragte: "Was führt euch so weit von eurer Heimat weg in die Hauptstadt?"
"Darüber... möchte ich nicht sprechen", antwortete Milva. Sie würde sich für solche Gelegenheiten eine glaubhafte Geschichte zurechtlegen müssen, denn wenn sie immer so ausweichend antwortete, würde irgendwann jemand misstrauisch werden. "Ich bin auf der Suche nach einem Freund, wenn euch das genügt."
"Vollauf! Jeder von uns hat das Recht auf ein paar Geheimnisse." Ihr Führer schien durch ihre Zurückhaltung kein bisschen beleidigt zu sein, was Milva freute. Der Händler half ihr, obwohl er sicherlich besseres zu tun hatte. Und er hatte nichts davon, sondern tat es aus reiner Freundlichkeit, da hatte er eigentlich ein wenig Ehrlichkeit verdient die Milva ihm nicht geben konnte. "Euren Verlobten vielleicht?", fragte er nach, und Milva errötete erneut.
"Nein." Es hatte nie mehr als ein paar sehr kurze Affären in ihrem Leben gegeben, während der sie teilweise nicht einmal den Namen des Mannes gewusst hatte. Niemals eine längere Beziehung oder gar Liebe. Sie gab gerne der Herrin die Schuld dafür, doch die Wahrheit war, dass Milva auch zuvor keinen Mann in ihrem Leben gehabt hatte.
Für einen Augenblick schwiegen sie, während Ántonin sie weiter führte. Als sie an einem  einzeln stehenden Haus mit einem eisernen Zaun vorbeikamen, blieb er kurz stehen und sagte: "Das ist mein Haus, hier wohne ich wenn ich in der Stadt bin." Während sie weitergingen, erklärte der Händler: "Ich komme eigentlich aus einer kleinen Stadt in Dervesalend, doch in meinem Beruf ist ein Sitz in der Hauptstadt beinahe Pflicht. Ich bin allerdings höchstens die Hälfte des Jahres hier in Gortharia, und sonst auf Handelsreisen in all möglichen Winkel von Rhûn - auch nach Dorwinion."
"Habt ihr auch mit Zwergen gehandelt?", fragte Milva nach.
"Oh ja. Ein beträchtlicher Teil meiner - ohne prahlen zu wollen - Reichtümer stammt aus dem Handel mit dem kleinen Volk. Auch wenn man sie in ihrer Gegenwart nicht so nennen sollte." Er zwinkerte Milva zu, und fuhr fort: "Ich bin sogar einmal in ihrer Festung Khadar-zarâk gewesen - das war natürlich vor dem großen Krieg." Der Name Khadar-zarâk war Milva bekannt, es handelte sich um eine Festung in den Grauen Bergen, wo der Rotwasser entsprang. Sie selbst war nie so weit nach Norden gekommen, doch sie hatte zwergische Händler davon sprechen hören. Wenn Ántonin dort gewesen war, hatte er vermutlich die Straße am Fluss entlang nach Norden genommen, und war dabei auch nach Gardar, wie die kleine Marktstadt in der Nähe von Milvas Heimatdorf gelangt. Vielleicht war Milva ihm dort bereits begegnet, und der Gedanke ließ sie lächeln - auch wenn sie einen plötzlichen Stich von Heimweh verspürte.
"Es freut mich, dass ihr lächelt", sagte Ántonin, während er stehen blieb und auf das Schild des Gasthauses vor ihnen deutete. "Denn wir haben euer Ziel erreicht." Jetzt erkannte Milva das Haus und die Umgebung wieder. Sie ließ ihren Arm aus seinem gleiten, und sagte: "Ich danke euch für eure Hilfe. Wenn es irgendetwas gibt, dass ich tun kann..." Der Händler hob abwehrend die Hände. "Ihr schuldet mir nichts für einen reinen Freundschaftsdienst. Aber wenn ihr euch einsam fühlt, schaut bei mir vorbei und vielleicht können wir ein wenig über eure Heimat sprechen."
Bei seinen Worten hatte Milva das Gefühl, dass Ántonin geradewegs durch sie hindurchschaute, und errötete zum dritten Mal in kurzer Zeit. Der Händler gab vor, es nicht zu bemerken, ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. "Und auch wenn ihr wieder einmal Hilfe braucht, kommt zu mir. Ich muss euch nun leider verlassen, aber ich zähle darauf, dass wir uns wiedersehen." Er wandte sich um, war einen Herzschlag später in der Menge verschwunden und ließ Milva verwirrt und mit widerstreitenden Gefühlen zurück.
Eigentlich hatte sie vorgehabt, noch zu verschwinden bevor der Gardist hier auftauchen konnte, und auf direktem Weg in ihre Heimat zurückzukehren, doch sie hatte ein unerklärliches Bedürfnis, den Händler wiederzusehen. Wenn der Gardist kam, würde sie ihm erklären, dass sie nicht war wer auch immer er glaubte, und dann würde sie weitersehen.

Eandril:
Cyneric vom Königspalast...

Als Milva das Gasthaus betrat, sah sie als erstes Aivari, dessen Bart im Dämmerlicht geradezu leuchtete, an einem Tisch im Schankraum sitzen, eine Schüssel mit Eintopf vor sich. Sie durchquerte den Raum mit schnellen Schritten, wobei ihr die Tatsache zu gute kam, dass das Gasthaus um diese Tageszeit noch relativ wenig besucht war, und glitt auf den Stuhl dem Zwerg gegenüber.
"Schon wieder zurück? Habt ihr eure Spur gefunden oder habt ihr mich doch mehr vermisst, als ihr vermutet hättet?", scherzte der Zwerg, ehe er feststellte, dass Milva etwas bedrückt wirkte und er eine ernstere Mine auflegte.
"Ich habe einen Fehler gemacht", sagte Milva ohne Umschweife, und merkte selbst, wie atemlos sie klang. "Ich glaube, ich habe mich in Dinge eingemischt, die für mich zu groß sind, und brauche eure Hilfe."
"Erzählt mir, was geschehen ist, dann werde ich sehen wie ich helfen kann." Die dunklen Augen des Zwergs betrachteten Milva interessiert, und unter diesem Blick spürte Milva, wie ihre Nervosität und Angst ein wenig schwand. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass die Dunkelheit bereits hereinbrach, und ihr vermutlich nur wenige Augenblicke bis zum Eintreffen des Gardisten blieben. Sie verfluchte sich selbst, denn hätte sie sich nicht verirrt, wäre ihr deutlich mehr Zeit geblieben.
"Dazu ist keine Zeit. Ich werde euch alles hinterher erklären, aber jetzt..." Milvas Augen wanderten immer wieder zur Tür, während Aivari ihr aufmerksam zuhörte. "Hier wird gleich ein Gardist hereinkommen und vermutlich nach mir fragen. Sagt ihm, dass ihr mich hier noch nie gesehen habt, überzeugt ihn irgendwie, dass ich noch nie hier war und..." Sie unterbrach ihren Redeschwall, als sich die Tür der Schenke öffnete, und ein kräftig gebauter Mann mit kurzen, dunklen Haaren den Raum betrat. Sein suchender Blick verriet Milva sofort um wen es sich handelte, auch wenn sie ihn ohne seine Rüstung nicht direkt wiedererkannt hatte.
"Oh Scheiße", stieß sie hervor, und spielte kurz mit dem Gedanken, sich einfach unter dem Tisch zu verstecken, als der Mann sie bereits erblickt hatte, und zielstrebig auf sie zukam.
Aivari sah aus dem Augenwinkel wie er näher kam, aß noch einen unscheinbaren Löffel Eintopf und ließ den Löffel dann in der Schüssel liegen, ehe er sich langsam und unauffällig von seinem Stuhl erhob und die Hände auf den hölzern gemaserten Tisch stemmte, jederzeit bereit das möglicherweise Notwendige zu tun. Der Blick unter seinen buschigen Brauen traf den des dunkelhaarigen Menschen.
"Sucht ihr etw...", begann der Zwerg und stockte dann plötzlich. Ein Ausdruck des Erstaunens legte sich über sein bärtiges Gesicht. Eine Augenbraue schob sich weiter zur Stirn.
"Ich kenne euch doch.", meinte er zögerlich und mit leicht fragendem Unterton, als der Mann an den Tisch herangetreten war. Als er seine Mutmaßung im überraschten Blick des Menschen bestätigt sah, fügte er etwas leiser hinzu. "Dol Guldur, nicht wahr? Ihr habt mitgeholfen den Stollen unter der Mauer auszuheben." Und mit einem zwergischen Lachen und einer ausgestreckten Hand schloss er noch an: "Die Welt ist ein kleinerer Ort als sie uns weismachen will."
Der Mensch musterte Aivari einen Augenblick und dann leuchtete Erkennen in seinen Augen auf. "Die Stollen, richtig. Ihr und euer Volk habt unermüdlich geschuftet, selbst dann noch, als den kräftigsten Männern der Mark die Luft ausging. Das war wirklich ein beeindruckender Anblick!" sagte er im kameradschaftlichen Ton und gab einer der Bedienungen ein Zeichen, Getränke an den Tisch der drei ungleichen Gefährten zu bringen. "Ich bin Cyneric, Cynegars Sohn," stellte der Eorling sich leise vor und warf einen vorsichtigen Blick in den Raum, als würde er befürchten, belauscht zu werden. "Mein Kommandant Erkenbrand entsandte mich hierher, um herauszufinden, ob das Reich von Gortharia eine Bedrohung für die Riddermark darstellt. Und was bringt einen wackeren Zwerg und eine aufgeweckte junge Dame wie euch hieher, wenn ich fragen darf?" fuhr er fort und warf Milva einen forschenden Blick zu.
"Ich, äh..." Milva seufzte resigniert, und erklärte: "Ich heiße Milva und komme aus dem Norden Dorwinions. Meinen Auftrag solltet ihr bereits kennen, Cyneric, denn diesbezüglich habe ich die Wahrheit gesagt: Ich bin losgeschickt worden, um etwas über das Schicksal des Königs von Thal in Erfahrung zu bringen."
Sie betrachtete den Mann aus dem Westen neugierig. Er hatte ein offenes und ehrliches Gesicht, und eine gewisse Ähnlichkeit mit den Menschen von Thal und Seestadt - Milva fragte sich, ob eine Verbindung zwischen diesem Reich und Cynerics Heimat bestand. Sie bemerkte, dass auch Aivari aufmerksam lauschte, und ihr wurde bewusst, dass sie dem Zwerg bislang nichts davon verraten hatte. Wenn er wie Cyneric in Dol Guldur gewesen war, hätte er vielleicht auch gewusst was mit König Bard geschehen war, und wäre Milva ihm gegenüber ehrlicher gewesen, hätte sie diese ganze unangenehme Situation vermeiden können. Milva stöhnte innerlich über ihre eigene Dummheit und spürte, wie sich ihre Wangen rot färbten. "Ich bin außerdem nicht die, für die ich mich vorhin ausgegeben habe, und habe nichts mit denen zu tun, denen ihr dient - Entschuldigung."
"Es hätte mich auch stark gewundert, Mitglieder in meiner Organisation zu haben, von denen ich nichts weiß", erklang hinter Milva eine leise weibliche Stimme, die ihr entfernt bekannt vorkam. Sie wandte den Kopf, und sah sich einer in die Rüstung der Stadtwache gehüllten Frau gegenüber, die sie sofort erkannte. "Kommandantin Ryltha?" In Milvas Kopf schwirrten verwirrte Gedanken umher. Konnte die Frau, die sie und Aivari vorhin vor der Stadtwache gerettet hatte, tatsächlich etwas mit Cyneric zu tun haben? "Was... was tut ihr hier?"
"Sicherstellen, dass hier niemand etwas Dummes tut," gab Ryltha mit einem schiefen Lächeln zurück.

Die Ostlingfrau warf Cyneric einen tadelnden Blick zu. "Du darfst nicht einfach jedem hübschen Gesicht trauen, dass dir über den Weg läuft," sagte sie in einem ermahnenden Ton. "Du hast Glück, dass die kleine Milva keinen Ärger bedeutet," fuhr die Kommandantin fort und wandte sich wieder an Milva. "Stimmt doch, oder?" fragte sie und Milva blieb nichts anderes übrig, als bestätigend zu nicken. "Gut so," sagte Ryltha mit einem belustigten Unterton. "Sich gegen mich und meine Freunde zu stellen ist nämlich nie eine gute Idee."
Milva bezweifelte keine Sekunde, dass Ryltha mit meine Freunde keineswegs die Stadtwache meinte, sonder etwas anderes- gefährlicheres. "Ich wollte mich in nichts einmischen, das mich nichts angeht", sagte sie zaghaft, doch die Kommandantin schüttelte den Kopf. "Was du tun wolltest spielt überhaupt keine Rolle, nur was du getan und erfahren hast."
"Aber... ich habe doch gar nichts erfahren!", versuchte Milva sich zu wehren. "Nichts wichtiges bislang, das ist richtig", erwiderte Ryltha. "Aber deine Handlungen sprechen für sich, denn wenn du kein Interesse an uns hättest, würde ich nicht hier stehen - und Cyneric", sie warf dem Mann einen weiteren strengen Blick zu, "... erst recht nicht."
Cyneric rutschte offensichtlich unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her, während Milva zögerlich antwortete: "Nun... das mag sein." Sie wusste, sie könnte alles abstreiten, die Stadt so bald wie möglich verlassen und nach Hause gehen. Ihre Aufgabe war erfüllt, und hier gab es nichts mehr für sie zu tun, es sei denn... Was gab es in ihrer Heimat schon für sie außer Armut, Tod und den nicht endenden Kampf gegen übermächtige Gegner? Doch hier könnte sie vielleicht etwas bewirken, um die Lage in ganz Rhûn zu verändern - und wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich war, war sie auch neugierig. "Ich wüsste gerne mehr über euch und eure... Freunde", gab sie nach kurzem Schweigen zu. "Wer ihr seid. Was ihr vorhabt."
"Das lässt sich einrichten", antwortete Ryltha, und blickte ihr fest in die Augen. "Aber du musst wissen, dass du damit einen Punkt erreicht, ab dem es so schnell kein Zurück gibt."
Milva nickte langsam, und Ryltha wandte sich Aivari zu. "Und ihr, Herr Zwerg? Seid ihr ebenfalls interessiert?"

Aivari schaffte es nicht zumindest einen letzten Rest Verwirrtheit von seinem Gesicht zu bannen. Nichtsahnend war er nun anscheinend ebenfalls in dieses Schlamassel, rund um irgendeinen Geheimbund und Intrigen geraten. Und was in aller Welt hatte das Mädchen aus dem Osten nun mit dem König von Thal zu tun, den Aivari selbst noch bei Dol Guldur gesehen hatte? Warum hatten die Frauen im Osten bloß alle so viel zu verbergen?
Lediglich Cynerics Begründung für seinen Aufenthalt in Gortharia erschien ihm plausibel.
Ehe die Blicke der anderen die unangenehme Stille noch befremdlicher machen konnten, erwiderte er schließlich an Cyneric gewendet, der ihn gefragt hatte, was ihn nach Gortharia trieb:
"Nun, mich hat es eher unwillkürlich so weit in den Osten verschlagen. Ich denke eine Weile kann ich euch unter die Arme greifen. Inari, die mich begleitet hat, sagte sie wird mich aufsuchen, wenn sie die Zeit für reif hält. Bis dahin kann ich mich - innerhalb Gortharias - frei bewegen."
Aivari fuhr sich kurz durch den Bart und richtete seine Augen dann auf Milva. „Ihr scheint Ärger gerdazu anzuziehen und ich kann euch jetzt nicht guten Gewissens irgendwelchen Fremden überlassen."
Schließlich hatte sie jetzt schon zum zweiten Mal seine Hilfe aufgesucht, wer konnte da ein drittes Mal ausschließen?
"Auch wenn ich einem Mann aus der Riddermark durchaus den nötigen Mut und die Leibeskraft zuschreibe, fürchte ich, kann er einen Zwerg doch nicht ganz ersetzen."
Er schob Cyneric ein schalkhaftes Schmunzeln zu, ehe er sich der fremden Frau zuwandte.
"Ich bin also ebenfalls interessiert mehr über eure Freunde zu erfahren."
Ryltha musste kurz auflachen, was Aivari zunächst missmutig aufnahm und Runzeln auf seine Stirn trieb.
"Mir scheint ihr habt unwissend bereits Verbindungen in unsere Reihen. Inari ist Teil dieser Freunde, wie ihr sie nennt. Ich hoffe damit nicht eure Illusionen über sie zu zerstören."
Aivaris Augen weiteten sich einen Augenblick und er gab etwas überrumpelt zurück:
"Das erklärt ihr konspiratives Auftreten. Muss sie sich von euch abgeschaut haben." Er konnte einen etwas bärbeißigen Unterton nicht verbergen. Inari hatte ihm also anscheinend noch immer nicht alles über ihre Vergangenheit offenbart.
"Aber dazu mehr zu einem geeigneteren Zeitpunkt und an einem besseren Ort", entgegnete Ryltha und wandte sich wieder allen zu.
"Cyneric wird mich jetzt zurückbegleiten", meinte sie, und warf dem Mann einen strengen Blick zu." Und was euch beide angeht... ich werde euch morgen zur Mittagsstunde vor dem Gasthaus erwarten, wo wir uns das erste Mal begegnet sind. Bis dahin habt ihr Bedenkzeit, und wenn ihr nicht erscheint, gehe ich davon aus, dass er es euch anders überlegt habt."

Ryltha und Cyneric zum Hafen

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