Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Umbar

Auf den Straßen von Umbar

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Rohirrim:
Zarifa und Ziad von den Straßen von Umbar

„Hast du es schon gehört? Im Palast des Fürsten soll es zu Kämpfen gekommen sein. Hasael und seine Anhänger sind auf der Flucht“, erklärte Ziad, während er das Zelt betrat.
„Was? Du verarschst mich doch?“, erwiderte Zarifa.
„Nein, ich bin ganz sicher. Heute war doch das große Fest im Palast und dabei haben anscheinend einige Verschwörer zugeschlagen.“
„Aber... Was? Wie? Und wieso haben wir nichts davon mitbekommen?“
„Naja, wer sich gegen den Fürsten verschwört, wird das ganze doch wohl kaum auf der Straße herumerzählen oder? Ich kann dir nicht genau sagen, was passiert ist, aber die ganze Stadt ist auf den Beinen. Komm steh auf, wir müssen da raus und sehen was los ist. Vielleicht können wir ja sogar helfen.“
Ziad half Zarifa auf die Beine und gemeinsam verließen sie das Zelt.

Wie jeden Tag in den letzten Wochen hatten Zarifa und Ziad den Tag damit verbracht sich auf den Straßen umzuhören und irgendeinen Ansatz zu finden, wie man den Adel dieser Stadt stürzen konnte. Doch sie waren kaum einen Schritt weiter als an jenem Tag, an dem Zarifa ihren alten Freund und Mentor aus dem Haus eines Kaufmanns gerettet und mit ihm gemeinsam den Beschluss gefasst hatte, einen Aufstand anzuzetteln. Sie hatten versucht Verbündete zu finden, Vertraute von Hasael ausfindig zu machen und Schwachstellen im Palast zu finden. Doch keine ihrer Aktionen schien sie großartig voranzubringen. Es gab ein paar einfache Leute, die mit ihrer Sache grundsätzlich sympathisiert hatten, aber niemand schien bereit sich ihnen wahrhaftig anzuschließen. Es gab einige Kaufmänner und Adelige, die Hasael unterstützten, doch diese waren alle unantastbar. Gestützt durch die undurchdringlichen Strukturen der Politik. Und es gab sogar eine Hand voll Möglichkeiten in den Palast zu kommen, doch für zwei Obdachlose waren diese ungefähr so realisierbar, wie für einen Hobbit der Versuch den einen Ring in den Schicksalsberg zu werfen. Zarifa hatte bereits den Glauben an ihren Plan verloren und sie hatte gespürt, dass es Ziad ähnlich ergangen war. Die Strukturen der Stadt waren einfach zu festgefahren, zu groß, zu organisiert, um wirklich etwas verändern zu können. Sie hatten zwar von dem Fest heute gehört, doch als Obdachlose hatten sie natürlich keine Möglichkeit, an eine Einladung zu kommen.
Doch anscheinend hatten andere diese Möglichkeit genutzt. Es war schon den ganzen Abend etwas lauter als üblich in der Stadt gewesen und Ziad hatte sich ansehen wollen, was vor sich ging. Er hatte den Eindruck gehabt, der Lärm hätte eine andere Ursache als einfach nur Betrunkene, die vom Fest zurückkamen. Und anscheinend hatte er Recht gehabt. Zarifa konnte es immer noch nicht fassen.

Hasael ist auf der Flucht? Gestürzt? Und wir haben nichts davon mitbekommen? Wochenlang haben wir an Türen gelauscht, mit Leuten geredet, den Markt beobachtet und sind keinen Schritt weiter gekommen.Und jetzt sind wir überflüssig geworden?

Neben ihrer Euphorie verspürte Zarifa auch eine leichte Enttäuschung darüber, dass sie nichts bewirkte hatte. Möglicherweise war dies das Ziel, aber was ist das Ziel ohne den mühevollen Weg wirklich wert? Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich vorgenommen, etwas zu bewegen. Etwas für andere zu tun. Nicht einfach nur an sich selber zu denken. Und nun stellte sich heraus, dass all das umsonst gewesen war. Andere, vermutlich deutlich mächtigere Leute hatten es vor ihr geschafft. Je mehr die junge Südländerin über die Situation nachdachte, desto bestärkter wurde sie in dem Wunsch, Hasael persönlich die Kehle durchzuschneiden. Und was wenn die Verschwörer gar nicht besser waren als Hasael? Vielleicht waren es ja einfach nur verfeindete Adelige, die sich genauso wenig um die einfachen Leute scherten. Vielleicht waren sie genauso machthungrig und geldgeil wie der Fürst und die Verschwörung diente nur dem Ziel, die eigene Macht zu vergrößern. Doch das würde sie nicht zulassen. Möglicherweise ergab sich ja jetzt eine Gelegenheit, die Dinge selber in die Hand zu nehmen.

„Wo gehen wir hin?“, fragte Zarifa. „Zum Palast?“
„Falls wir dort hinkommen, ja. Aber sie dich mal um. Die ganze Stadt geht auf die Barrikaden“, antwortete Ziad und deutete auf den aufsteigenden Rauch in der Ferne.

Erst jetzt realisierte Zarifa, wie laut es eigentlich war. Ziad hatte recht. In der Stadt herrschte Chaos. Scheiben wurden eingeschmissen, Feuer wurden entfacht und Leute rannten schreiend durch die Straßen. Ohne genau zu wissen warum, überkam Zarifa plötzlich eine Woge der Begeisterung. Irgendetwas fühlte sich richtig an.
„Du hast Recht. Beim Palast können wir momentan vermutlich ohnehin nicht viel ausrichten. Lass uns stattdessen ins Kaufmannsviertel gehen. Wenn wir jetzt im Chaos zuschlagen, sind diese reichen Bastarde uns hilflos ausgeliefert. Die Wachen werden alle in Palastnähe sein. Niemand ist dort um sie zu schützen. Wir wissen nicht, wer die Verschwörer sind und ob sie besser sind als Hasael, aber wir wissen, dass diese Dreckssäcke im Kaufmannsviertel die Triebkraft der Unterdrückung sind. Dort können wir etwas bewirken“, meinte Zarifa und erstmals seit dem Abend, an dem sie Ziad gerettet hatte, verspürte die junge Südländerin wieder dieses lodernde Feuer in sich. Den unumstößlichen Wunsch die Oberschicht der Stadt bezahlen zu lassen. In der Ferne flog ein Schmetterling von dem aufsteigenden Rauch weg.

Rohirrim:
Im Kaufmannsviertel herrschte Chaos. Scheiben waren zerbrochen, Läden ausgeplündert und von überallher ertönten Schreie. Einiges davon ging auf das Konto einer jungen Südländerin, die gerade einen Stein durch ein Fenster eines besonders reichen Kaufmanns geworfen hatte und sich anschließend daran machte dessen Besitz auszuplündern. An ihrer Seite war ein älterer Mann, der ihr hinterher eilte und dabei brüllte: „Diese Stadt gehört euch nicht mehr. Diese Stadt gehört uns!“ Diesem Ausruf folgte begeisterter Jubel einiger Umstehender. Es wirkte, als wäre das gesamte Kaufmannsviertel von armen Leuten übernommen worden, die die Gelegenheit der Vertreibung von Hasael nutzten, um sich aus ihrem Elend zu befreien.

Die Überlegung von Zarifa war aufgegangen. Im Kaufmannsviertel befanden sich keinerlei Wachen. Die mussten alle beim Palast sein. So war es für sie und Ziad ein Leichtes gewesen, Scheiben einzuschmeißen und Diebstähle zu begehen. Niemand konnte sie aufhalten. Die Kaufleute flohen, während andere arme Leute angetrieben von den Parolen der Randalierer sich dem Aufstand anschlossen. Die reichen Leute flohen aus ihren Häusern, während es um sie herum klirrte und knallte. Zarifa war voll in ihrem Element. Jahre der Armut, des Frustes und des Hasses auf die Oberschicht entluden sich, während sie schreiend einen Stein hinter einem Kaufmann hinterherwarf und ihn an der Schulter traf. Nichts anderes hatten diese ausbeutenden Bastarde verdient. Diese Schweine, die in ihrem Reichtum schwelgten, während vor ihren Augen Leute verhungerten. Jetzt bekamen sie den Zorn jener zu spüren, die sie so lange ignoriert oder sogar gedemütigt hatten. Die junge Haradan verspürte förmlich ein Feuer der Euphorie, während sie kurz innehielt und dabei zusah, wie Kaufleute aus ihrer Wohnung gezerrt wurden und Leute, die vermutlich seit Tagen nichts gegessen hatte sich an den Speisekammern bedienten. Alles war so, wie es sein sollte.

So glücklich war Zarifa in ihrem Leben noch nicht gewesen. Sie suchte Ziads Blick, doch der blickte nur stumm geradeaus und rannte plötzlich wie von der Tarantel gestochen los. Die verwirrte Zarifa rannte ihm hinterher und sah dabei zu, wie ihr Freund einen weiteren Kaufmann umstieß, der gerade aus seinem Haus gekommen war. Zarifa erkannte das Haus. Es war das Haus, aus dem sie vor einigen Wochen Ziad befreit hatte. Und sie begriff, was Ziad so plötzlich aus der Fassung gebracht hatte. Er hatte den Mann wiedergesehen, der ihn über 15 Jahre lang gefangen gehalten hatte. Seit dem Abend der Befreiung hatte Ziad den Mann nicht mehr erwähnt und Zarifa hatte sich gehütet, das Thema anzusprechen. Sie wusste, dass Ziad mit den Erfahrungen zu kämpfen hatte und wollte ihm das Thema nicht aufzwingen. Vermutlich hatte er versucht es zu verdrängen. Und jetzt hatte er ihn wieder gesehen. Schutzlos und verängstigt, wie er aus seinem Haus gekommen war, umgeben von Aufständischen. Zarifa sah aus einiger Entfernung dabei zu, wie sie Ziads Zorn nun entlud. Immer weiter trat er auf den um Gnade winselnden Mann ein. Die junge Haradan ging näher ran. Etwas an diesem Anblick ließ das Feuer in ihr ein wenig abflachen, wie ein Windstoß mitten durch ihr Herz. Ziad war komplett außer sich und trat immer weiter auf den am Boden liegenden Mann ein, dessen Gesicht inzwischen komplett blutverschmiert war.

„Bitte... nein... hab Gnade“, röchelte der Kaufmann, doch Ziad ignorierte ihn. Der Mann hörte auf zu sprechen. Eine Blutlache ergoss sich über den Boden. Ein lautes Knacken war zu hören. Zarifa blickte zu dem Haus des Kaufmanns und sah einen Jungen aus dem Fenster schauen. Er war kaum älter als 6 Jahre alt. Eine Träne kullerte über seine Wange.

„ZIAD!“, schrie Zarifa und zog ihren Freund von dem Kaufmann weg. „WAS? WAS WILLST DU?“, schrie er zurück. Er war wahnsinnig. Seine Augen waren geweitet, sein Gesicht zerfurcht und Sabber lief aus seinem Mund. „Es ist genug. Er ist tot.“

Rohirrim:
„Es tut mir leid, okay? Als ich diesen Mann wiedergesehen hatte, konnte ich nicht mehr klar denken. Ich verspürte nur noch Hass. Blinden Hass. Diese Person hatte mich 16 Jahre lang gefangen gehalten und mich dabei hungern lassen und misshandelt. Wie hättest du da wohl reagiert? Ich habe versucht diese Zeit zu vergessen, aber als ich dieses Gesicht plötzlich wiedersah, kam alles wieder hoch. All die Schmerzen, all die Verzweiflung und all die Hoffnung, jemand möge mich von meinem Leid erlösen.“
Ziad hatte Tränen in den Augen. Die Situation im Kaufmannsviertel hatte sich inzwischen etwas beruhigt und Zarifa sah ihren Freund mit einem unergründlichen Blick an.

„Schon gut, ich kann dich verstehen. Ich konnte das ganze nur nicht länger mit ansehen. Es war der Anblick dieses Jungen, der mich fertig gemacht hat. Ich konnte nicht einfach nur tatenlos rumstehen,“ antwortete Zarifa, jedoch ohne die Wut in ihrer Stimme verbergen zu können. Die letzten 15 Minuten hatten die junge Haradan sehr aufgewühlt. Auf der einen Seite hatte der Kaufmann zweifelsohne seine gerechte Strafe erhalten. Er war ein schrecklicher Mann gewesen und seine Verbrechen gegenüber Ziad waren unentschuldbar. Und dennoch hatten Ziads Handlungen zur Folge gehabt, dass ein unschuldiger Junge seinen Vater verloren hatte. Sie selbst war ohne Vater aufgewachsen und nur dank Ziad, der sie gewissermaßen adoptiert hatte, war sie heute überhaupt am Leben. Wie würde es dem Jungen nun ohne Vater ergehen? Hatte er noch eine Mutter? Oder war er jetzt ein Waise, komplett auf sich allein gestellt? Taten sie überhaupt das Richtige oder sorgten sie mit ihrem rebellischen Verhalten letztlich nur für noch mehr Leid in der Welt?

„Natürlich hast du recht. Hätte ich gewusst, dass sein Sohn zusieht, hätte ich den Kaufmann auch niemals zu Tode prügeln können. Aber das ändert nichts daran, dass er seine gerechte Strafe erhalten hat. Es ist nicht meine Schuld, dass das Kind einen so scheußlichen Vater hatte“, sagte Ziad mit fast schon flehender Stimme. Er schien auch nicht fassen zu können, was er getan hatte.
„Der Junge kann aber auch nichts für seinen Vater“, gab Zarifa trocken zurück. Sie wusste selber nicht, warum sie so aufgewühlt war. Auf rationaler Ebene konnte sie Ziad absolut verstehen und sie wollte ihn auch eigentlich aufmuntern. Ihm Zuspruch geben. Ihm sagen, dass sie sich genauso verhalten hätte. Doch das Bild des weinenden Jungen vor ihrem geistigen Auge hielt sie davon ab.

Es begann zu regnen.
„Komm!“, sagte Zarifa tonlos. „Lass uns in einem verlassenen Haus Unterschlupf suchen.“

Rohirrim:
„Willst du auch ein bisschen Wein?“, fragte Ziad. „Der ehemalige Besitzer dieses Hauses hat einen ganzen Vorrat in seinem Keller.“ „Nein danke. Ich trinke keinen Alkohol“, gab Zarifa zurück. Die beiden Haradrim hatten sich in ein leerstehendes Haus im Kaufmannsviertel von Umbar zurückgezogen. „Ach komm schon. Du bist 19 Jahre alt und wir haben allen Grund zum Feiern. Hasael ist geflohen und wir haben das Kaufmannsviertel übernommen. Darauf sollten wir anstoßen“, meinte Ziad,während er die Flasche entkorkte.
„Nein, ich will nicht!“
„Warum denn nicht?“
„Ich habe schon zu viele Schnapsleichen auf den Straßen verenden sehen, um nicht zu wissen, was Alkohol anrichten kann. Ich rühre dieses Zeug nicht an“, erklärte Zarifa.
„Okay, wenn du meinst. Ich für meinen Teil brauche das jetzt.“ Und so schenkte Ziad nur für sich etwas ein und begann zu trinken.

Es waren inzwischen ca. 5 Stunden vergangen, seitdem Ziad zu Zarifa ins Zelt gestürmt kam und ihr von den Unruhen am Palast erzählt hatte. Die Lage im Kaufmannsviertel hatte sich ein wenig beruhigt. Viele Kaufmänner waren geflohen und ihre Häuser waren besetzt worden. Zarifa dachte immer noch ein wenig betrübt über den Jungen, der nun seinen Vater verloren hatte nach.

Die ganze Zeit über habe ich die Reichen dieser Stadt nur als das Böse gesehen. Als Sklavenhalter, als Ausbeuter, als verwöhnte und grausame Dreckssäcke, die es verdient hatten, dass man sie bestahl, verletzte und sogar tötete, wenn sie es verdient hatten. Ich habe nie darüber nachgedacht, dass viele dieser Leute  vermutlich auch gute Familienväter sind. Sie verdienen Geld, um ihren Frauen und Kindern ein schönes Haus und etwas zu Essen bieten zu können. Damit ihre Kinder nicht wie ich selber auf der Straße aufwachsen müssen. Einen solchen Familienvater zu bestehlen bedeutete, immer auch seine Familie zu bestehlen. Ihn zu töten bedeute, ihn für immer seiner Familie zu entreißen. Und dennoch, was hätte Ziad denn tun sollen? 16 Jahre der Folter einfach vergessen, nur weil der Mann einen Sohn hatte? Nein, der Mann hatte es verdient zu sterben. Ein wirklich guter Familienvater würde sich allen Menschen gegenüber gutherzig verhalten, anstatt seiner Familie gegenüber eine Maske aufzusetzen, um dann in seinem Keller sein wahres Gesicht zu zeigen. Ist doch klar, dass dann irgendwann was zurückkommt. In einer Welt, die sich nicht in Arme und Reiche gliedert, muss auch kein Familienvater damit rechnen bestohlen zu werden. In einer Welt, in der es keine Sklavenhaltung gibt, muss auch kein Familienvater damit rechnen, bei einem Sklavenaufstand ums Leben zu kommen. Und in einer Welt, in der Menschen einander nichts Grausames antun, muss auch kein Familienvater damit rechnen, aus Rache getötet zu werden. Aber bis es so weit ist, kann ich nicht jeden Schaden verhindern. Der Junge tut mir immer noch Leid, aber wenn es sein soll, wird er schon durchkommen.   

„Bist du etwa immer noch sauer auf mich? Oder warum sagst du nichts?“, wollte Ziad wissen.
„Nein, ich war nie wirklich sauer auf dich. Ich war einfach nur aufgewühlt. Ich schätze, es hat mich einfach umgehauen, als ich plötzlich gesehen habe, dass es Leute gibt, die um den Tod dieses grausamen Menschen trauern. Aber keine Sorge, ich hab mich beruhigt“, antwortete Zarifa.
„Alles klar, das kann ich verstehen. Also, was machen wir jetzt?“, fragte Ziad sichtlich erleichtert über Zarifas entspannten Tonfall.
„Genieß du deinen Wein. Ich gehe zurück zu unserem Zelt und hole unser Zeug rüber. Vielleicht erfahre ich dabei ja auch etwas neues“, sagte Zarifa und stand auf. „Und dann schlafe ich erstmal gründlich aus.“
„Alles klar, aber sei vorsichtig“, mahnte Ziad.
„Ich bin immer vorsichtig. Hast du mir ja schließlich beigebracht“, sagte Zarifa lächelnd und verließ das Zimmer.

Rohirrim:
Nachdem sie das Haus verlassen hatte, lief Zarifa zurück durch die Straßen des Kaufmannsviertels in Richtung der ärmeren Stadtviertel, wo ihr Zelt stand. Sie war schon ziemlich müde, doch ihr wäre nicht wohl dabei gewesen, das Zelt in dieser Nacht allein zu lassen. Sie besaß zwar kaum etwas und schon gar nichts Wertvolles, aber alles was sie besaß, hatte einen Nutzen für sie. Ihr Dietrichset, mit dem sie fast jedes Schloss knacken konnte, ihr Hammer, mit dem sie oftmals kleine Dinge zerstörte und ihr kleines Messer, das sie im Zweifelsfall zur Selbstverteidigung nutzen konnte. Das Messer trug sie immer bei sich, doch die anderen beiden Gegenstände befanden sich noch im Zelt zusammen mit ihrer Kleidung, die sie ebenfalls mitnehmen wollte. Und auch das Zelt selber wollte Zarifa gerne mitnehmen. Jetzt wo sie ein Haus besetzt hatte, brauchte sie das zwar nicht mehr unbedingt, aber etwas, das die junge Haradan selber nicht ganz verstand, verband sie mit diesem Zelt. Und außerdem könnte sie es ja eines Tages wieder brauchen.

Die Situation in der Stadt hatte sich beruhigt, wodurch jetzt die Schäden, die durch den Aufstand entstanden waren, deutlich hervorstachen. Wo man auch hinsah waren Scheiben zerbrochen, Wände beschmiert und Türen aus den Angeln gerissen worden. Es roch stark nach Rauch. Zarifa lächelte. So gefiel ihr das Kaufmannsviertel viel besser. Als sie an dem Haus des von Ziad getöteten Kaufmanns vorbeikam schluckte sie kurz, zwang sich dann jedoch an etwas anderes zu denken, was ihr angesichts der Tatsache, dass die Leiche weggeräumt worden war auch einigermaßen leicht fiel. Stattdessen dachte sie über die Zukunft nach. Was würde nun mit Umbar geschehen. Würde es wirklich so werden, wie sie es sich wünschte, oder wird einfach jemand anderes Hasaels Platz einnehmen?

Während die junge Haradan durch die Straße wanderte viel ihr die anscheinend deutlich erhöhte Anzahl an Festen auf. Die Gasthäuser waren alle gut besucht und die Leute, die ihr auf der Straße begegneten, besangen den Sturz des Herrschers der Stadt. Fast alle schienen betrunken zu sein. Während die meisten jedoch glücklich und zufrieden wirkten, waren einige Leute auch sehr aggressiv gestimmt. Sie brüllten sich gegenseitig an und auch eine Schlägerei konnte Zarifa beobachten. Kurz bevor die junge Südländerin dann die Gasse erreichte, in der sich ihr Zelt befand, wurde sie von einer Gruppe älterer Männer bepöbelt.
„Hey Süße, komm doch mal rüber. Wir wollen was mit dir machen“, lallte einer der drei Männer. Zarifa wollte einfach schnell an der Gruppe vorbeigehen, doch die anderen beiden stellten sich ihr in den Weg. „Warum hast du es denn so eilig? Komm her und trink einen mit uns.“
„Nein danke, ich verzichte“, gab Zarifa angewidert zurück. Selbst wenn sie gerade Lust auf etwas zu trinken hätte, verstärkte der Gestank, der aus dem Mund des sprechenden Mannes kam definitiv nicht den Drang dies ausgerechnet hier bei dieser Gruppe zu machen.
„Ach komm schon“, sagte der Mann, der sich direkt vor sie gestellt hatte leicht schwanken.
„Wir haben doch allen Grund zum Feiern. Hasael ist fort und die Wachen sind nicht hier.“
„Und das bedeutet“, sagte der andere vor ihr stehende Mann mit einem lauten Hickser „dass wir machen können was wir wollen. Und wir wollen jetzt, dass du etwas mit uns trinkst.“
„Und wenn du uns diesen Gefallen nicht erwiderst, können wir auch andere Seiten aufziehen“, sagte nun wieder der direkt vor ihr stehende Mann und packte dabei ihren Arm. Zarifa schlug ihn weg und wich einen Schritt zurück.
„Na komm, jetzt hab dich doch nicht...“, begann der Mann, doch als er einen Schritt nach vorne machen wollte, stolperte er über seine eigenen Füße und viel zu Boden. Der andere Mann erschrak, drehte schnell sich zu seinem gefallenen Kameraden und wollte ihm helfen. Allerdings war diese plötzliche Bewegung anscheinend zu viel für seinen betrunkenen Körper, was sich in einer Ladung Erbrochenem direkt auf seinem am Boden liegenden Freund manifestierte.
„Ups, tschuldigung“, hickste der Mann, während sein Freund sich fluchend aufrichtete. Der dritte Mann, der Zarifa zu Beginn angesprochen hatte ignorierte das Geschehene und blickte Zarifa an. Die junge Haradan zog gedankenschnell ihr Messer.
„Bleib zurück“, sagte sie warnend und ging halb wütend, halb belustigt an der Gruppe vorbei, die sich nun gegenseitig Vorwürfe machte.
Und für die Freiheit solcher Leute kämpfe ich, dachte Zarifa kopfschüttelnd, während sie sich ihrem Zelt näherte.

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