Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Umbar

Der Fürstenpalast

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Eandril:
Als sie die Treppe aus dem Kerker hinauf gingen, machte Edrahils schlechtes Bein sich zum ersten Mal während der Operation bemerkbar. Valirë, die bereits das obere Ende der Treppe erreicht hatte, schien zu bemerken dass etwas nicht stimmte, als sie sich umwandte und zu ihm und Lothíriel hinunterblickte.
"Ist alles in Ordnung?", fragte sie, und Edrahil war über den beinahe fürsorglichen Ton ihrer Stimme überrascht. Er hatte eher mit einer spöttischen Bemerkung gerechnet, selbst nachdem er ihre Reaktion bei Mustqîms Flucht vor einigen Tagen gesehen hatte. Vielleicht sollte er doch einmal ein klärendes Gespräch mit ihr führen... doch nicht jetzt.
Er winkte beruhigend ab, während er sich mit der anderen Hand das Knie rieb. "Alles in Ordnung. Wir sollten weiter."
Valirë zögerte kurz, zuckte dann aber mit den Schultern und trat hinaus auf den oberen Flur, während Edrahil und Lothíriel ihr so schnell folgten, wie Edrahils Bein es zuließ.
"Ich hatte gehofft, dass ihr mich findet", meinte Lothíriel, die bislang geschwiegen hatte, sich aber allmählich vom Schock ihrer plötzlichen Befreiung zu erholen schien. "Ich wusste ja, dass ihr in Umbar sein musstet - und wenn Hasael euch bereits gefangen hätte, hätte er mich sicherlich damit verspottet."
"Vermutlich", ächzte Edrahil, und streckte, am oberen Ende der Treppe angekommen, sein Bein mehrfach durch, bis die Schmerzen nachließen.
"Aber ich wusste nicht, ob ihr über mich Bescheid wusstet, und... ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben." Lothíriel ließ den Kopf hängen, doch Valirë warf mit einem Augenzwinkern ein: "Aber du weißt doch, dass Edrahil immer alles weiß."
"Nicht immer alles, leider", stieß Edrahil hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ich werde allmählich zu alt für solche Unternehmungen...
"Wie habt ihr mich eigentlich gefunden?", fragte Lothíriel, während sie dem Gang in Richtung des Bibliotheksturms folgten. Während sie gingen, warf Edrahil immer wieder Blicke über die Schulter und lauschte auf weitere Schritte, denn inzwischen waren sie keineswegs länger unauffällig, bewaffnet, mit blutbespritzter Kleidung und in Begleitung einer wertvollen Gefangenen.
"Wie schon gesagt, wir hatten ein wenig Hilfe von Leuten mit Zugang zum Palast, die Hasael ebenfalls nicht wohlgesonnen sind."
"Und ihr seid euch sicher, dass das keine... Falle ist?"
Edrahil zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete: "Hasael hatte euch bereits, mich so weit kommen zu lassen nur um mich in eine Falle zu locken ist viel zu riskant. Und außerdem... vertraue ich meinen Kontakten."
"Tut ihr?", fragte Valirë ungläubig. "Das habt ihr aber sehr gut verborgen..."
"Bis vor ein paar Augenblicken habe ich das auch nicht", gab Edrahil zurück. Erst der bislang so glatte Verlauf dieses Abends hatte ihn überzeugt, dass Minûlîth es tatsächlich ernst meinte. Wie leicht wäre es für sie gewesen, über Lothíriels Zelle zu lügen, oder ihre Waffen nicht wie besprochen zu verstecken, oder die Wachen vorzuwarnen, ohne dass er Gelegenheit gehabt hätte, es rechtzeitig zu erfahren.
Er wollte gerade weitersprechen, als er Schritte aus dem Gang vor ihnen hörte.
"Wachen, vor uns", sagte er, und im selben Moment fuhr Valirës Schwert aus der Scheide. Nur einen Herzschlag später bogen zwei mit Hellebarden bewaffnete Wächter im Laufschritt um die Ecke, hinter der der Bibliotheksturm lag, und blieben beim Anblick der Eindringlinge wie angewurzelt stehen. Bevor sie jedoch ihre Waffen zum Angriff senken oder Alarm geben konnten, war Valirë bereits auf sie zugestürmt, duckte sich unter ihren Hieben weg und schlitterte dann auf dem glatten Boden des Ganges zwischen hindurch. Dabei versetzte sie dem einen mit dem Schwert einen Rückhandhieb gegen die ungepanzerte Wade der ihn auf die Knie gehen ließ, kam hinter ihnen wieder auf die Füße und rammte dem anderen aus der Bewegung hinaus ihr Schwert in den Nacken, sodass es aus dem vor Schreck geöffneten Mund des Mannes wieder hervortrat.
Dann riss sie das Schwert wieder aus ihrem gefallenen Gegner heraus und versetzte dem anderen Wächter einen zweihändig geführten Schwerthieb gegen den Kopf, bevor er wieder auf die Füße kommen konnte, und Blut und Knochensplitter spritzen an die Wand des Ganges.

Das ganze hatte gerade lange genug gedauert, dass Lothíriel einen kurzen Entsetzensschrei hinter vorgehaltener Hand ausstoßen konnte. "Du solltest wirklich auch mal ein bisschen Schwertkampf lernen. Ich bringe dir gerne ein paar Tricks bei", sagte Valirë als wäre nichts bedeutendes geschehen, während sie einige Blutstropfen von ihrer Klinge schüttelte.
"Das könnte tatsächlich nicht schaden", meinte Edrahil, und ertappte sich bei dem Gedanken wie froh er war, dass Valirë und ihr Bruder auf seiner Seite standen. "Aber wir sollten weiter, denn wo zwei Wachen sind, sind auch mehr." Außerdem war ihm aufgefallen, dass wie beiden Männer sehr eilig in Richtung des Festes, von dem, wie ihm jetzt klar wurde, auch keine Musik mehr zu hören war, unterwegs gewesen waren. Irgendetwas musste auf dem Fest vorgefallen war, doch er hatte jetzt keine Zeit sich darum zu kümmern. Bis er seinen Teil des Plans ausgeführt hatte, waren Valion und Minûlîth auf sich selbst gestellt.
"Könnt ihr weitergehen?", fragte er an Lothíriel gerichtet. Die Prinzessin hatte die Hand vom Mund gesenkt, doch ihre grauen Augen waren noch immer weit aufgerissen. Dennoch nickte sie, und sagte: "Ja, lasst uns... lasst uns weitergehen, und diesen Ort verlassen."
Als sie über die Leichen der unglücklichen Wächter hinwegstiegen dachte Edrahil bei sich, dass Lothíriel eindeutig die Tochter ihres Vaters war. Sie war zwar keine Kämpferin wie Valirë und den Anblick von Blut und Leichen wenig gewohnt - und erst recht nicht, wie Männer direkt vor ihren Augen getötet wurden - doch sie war auf andere Art und Weise stark, und mit Sicherheit stark genug um sich in der Welt zu behaupten. Er hoffte, dass Hasaels Neffe Qúsay wusste, wie viel er mit diesem Verlöbnis außer der Unterstützung Gondors für seine Sache gewonnen hatte.

Sie erreichten die Bibliothek ohne weitere Zwischenfälle, und als Edrahil in den Raum kam, sah er gerade Bayyin mit einer kleinen Lampe in der einen und einer Schriftrolle in der anderen Hand eine der gewundenen Treppen auf die unterste Ebene hinabkommen. "Hast du gefunden, was du gesucht hast?"
"Ich denke schon", erwiderte der Bibliothekar etwas atemlos, als er unten angekommen war und ihnen gegenüberstand. "Es war ziemlich versteckt, aber wie es aussieht habe ich es ja gerade rechtzeitig geschafft."
"Darf ich vorstellen, Bayyin, ein Schreiber mit... vielen Talenten", mischte Valirë sich mit einem dezent anzüglichen Grinsen ein. "Bayyin, das ist die hochwohlgeborene Prinzessin Lothíriel von Dol Amroth. Bitte mach einen Knicks."
Edrahil unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen, und blickte nervös zur geschlossenen Tür, doch vom Gang her waren keine Schritte zu hören und kein Lichtschein kroch unter der Tür hervor. Auf Bayyins verwirrten Blick hin neigte Lothíriel anmutig den Kopf, und sagte: "Das wird nicht nötig sein. Um genau zu sein, ist es meistens besser nicht so genau auf Valirës Ideen zu hören."
Der Blick, den sie Valirë zuwarf verriet Edrahil allerdings, dass die Prinzessin ihre Anspielung auf Bayyins Talente nur allzu gut verstanden hatte. "Und auch wenn ich deine Ideen keineswegs vermisst habe, liebe Valirë, freue ich mich doch sehr dich zu sehen."
Weitere Gefühlsausbrüche wusste Edrahil zu verhindern. "Schön, dass sich alle verstehen, aber wir sollten allmählich wirklich hier verschwinden."
Er ging bereits auf den geheimen Ausgang zu, während Valirë sagte: "Ihr wiederholt euch, Edrahil... aber ihr habt trotzdem recht. Wir sollten erst feiern, wenn wir wirklich in Sicherheit sind."
"Das dürfte dann in Dol Amroth sein", gab Edrahil ironisch zurück, stieß die Tür auf, und trat hinaus auf die Straßen der Stadt.

Edrahil, Valirë, Bayyin und Lothíriel auf die Straßen von Umbar

Eandril:
Edrahil und Hírilorn von den Straßen der Stadt

Auf dem Innenhof des Palastes standen sich zwei Gruppen von Männern gegenüber, an ihren Spitzen Qúsay und Hasael. Hasaels Gruppe war jedoch deutlich kleiner, und seine Männer wirkten erschöpft und verwundet.
Gerade als Edrahil und Hírilorn den Innenhof betraten, rief Qúsay: "Komm, Onkel. Stell dich mir. Oder willst du noch mehr deiner Söhne vorschicken?"
"Ich kann jederzeit ein paar neue machen", gab Hasael zurück, doch Edrahil entgingen die verschleierte Erschöpfung und Wut in seiner Stimme nicht. "Aber na schön. Wenn ich dich wie einen Hund abgeschlachtet habe, wird dein lächerliches Bündnis zerfallen, und schon bald wird Umbar wieder mir gehören, Málik." Er sprach das letzte Wort aus wie eine Beleidigung, und spuckte dann auf die Pflastersteine.
Ohne ein weiteres Wort trat Qúsay mit gezogenem Schwert vor, und Hasael tat es ihm gleich.
"Warum geht er dieses Risiko ein?", fragte Hírilorn leise. "Er hat gesiegt, jeder kann das sehen."
"Aus zwei Gründen, vermute ich", erklärte Edrahil, als die Schwerter von Onkel und Neffe zum ersten Mal zusammenprallten. "Erstens verringert es die weiteren Verluste, wenn er Hasael jetzt tötet. Und zweitens würde es die Schmach seiner Niederlage im Zweikampf gegen Valirë mehr als wettmachen, wenn er Hasael im Zweikampf besiegt." Edrahil hatte kaum zu Ende gesprochen, als Qúsay einem Schwerthieb gewandt auswich, und stattdessen Hasael seine eigene Klinge tief in den Leib rammte. Hasael ließ sein Schwert fallen, das klirrend auf den Steinen aufkam, und stürzte nach hinten. Qúsay fing ihn auf, und schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern, bevor der den Fürsten auf die blutigen Steine fallen lies, ihm die Spitze seines Schwertes auf das linke Auge setzte zustieß.
"Offenbar war es doch ein geringeres Risiko als gedacht", bemerkte Edrahil trocken, und begann sich einen Weg durch die Soldaten hindurch nach vorne zu bahnen. Qúsay wischte sich gerade mit der Hand den Schweiß von der Stirn, bevor er Edrahil bemerkte.
"Ihr seid früh hier, Edrahil", meinte er. "Der Leichnam meines Onkels ist noch nicht einmal kalt." Seine Stimme war bemüht neutral, doch Edrahil entging das Leuchten Qúsays Auge nicht.
"Ich gratuliere euch zu eurem Sieg", erwiderte Edrahil, und bemerkte, wie Dírar sich neben ihn stellte. "In Gondors Namen - und in meinem eigenen."
"Kein vollständiger Sieg", stellte Qúsay fest. "Mein Vetter Abbas ist anscheinend entkommen, und Minastir befindet sich in Ain Salah als Mündel des dortigen Fürsten." Er warf einen Seitenblick auf Hasaels Leiche. "Ich werde dafür sorgen, dass er uns ausgeliefert wird. Dírar?"
"Die meisten der Verteidiger haben sich inzwischen ergeben", berichtete Dírar. "Lediglich im Norden der Stadt halten sich noch einige, doch ich nehme an, dass auch sie aufgeben werden, sobald sich die Nachricht von Hasaels Tod verbreitet. Allerdings..."
"... steht inzwischen die halbe Stadt in Flammen", beendete Edrahil den Satz für ihn. "Qúsay, ihr müsst... ich rate euch, euren Männern zu befehlen, beim Löschen zu helfen."
Qúsay zögerte, und seine Kiefer arbeiteten sichtlich. Edrahil konnte sich mühelos vorstellen, was er dachte. Dass es nur gerecht wäre, diese Stadt, die sich ihm so lange widersetzt und ihn so viel gekostet hatte, vollständig niederbrennen zu lassen. Tatsächlich war der Gedanke verlockend, denn Edrahil selbst hegte Umbar gegenüber auch keine große Zuneigung.
Es war Dírar, der als erstes sprach: "Wir brauchen Umbar, Malik. Wir brauchen den Hafen, wir brauchen Umbars Händler, Fischer und Nahrungsvorräte, die Schmieden und Werkstätten... Wollt ihr ein Fürst ohne Stadt sein?"
Qúsay schüttelte den Kopf. "Nein. Ihr habt Recht. Veranlasst alle Männer, die wir entbehren können, beim Löschen zu helfen." Die Offiziere, die in der Nähe gestanden hatten, salutierten, und eilten davon.
"Und dann wüsste ich gerne, wie diese Brände entstanden sind."
"Sie sind ein Geschenk einer lieben Feindin, fürchte ich", mischte sich eine neue, tiefe Stimme ein." Aus der Menge der Soldaten trat ein hochgewachsener Mann mit dunkelbraunen, geölten Haaren und einem geflochteten Vollbart hervor. Er war in eine unauffällige, aber gut gearbeitete Lederrüstung gekleidet, und trug eine Armbrust auf dem Rücken.
"Grüße vom Schattenfalken", sagte er, und verneigte sich. "Mein Name ist Ifan ben-Mezd."
"Eayan schickt euch?", fragte Edrahil mit erhobener Augenbraue, und Ifan nickte: "Ich gehöre zwar nicht dem Silbernen Bogen an, doch Eayan und ich sind alte Freunde, die oft zusammengearbeitet haben. Falls euch das nicht genügt: Darauf könnt ihr euch verlassen. In eurer Nähe geschieht immer etwas interessantes." Qúsay warf Edrahil einen fragenden Blick zu, und Edrahil nickte. Er glaubte nicht, dass irgendjemand die letzten Worte, die Eayan zu ihm gesagt hatte, von jemand anderem als Eayan selbst erfahren haben konnte.
"Was habt ihr gemeint, ein Geschenk von einer alten Feindin?", fragte Qúsay, und Ifan zuckte mit den Schultern.
"Saleme, wer sonst? Eayan hat mich geschickt, um euch zu warnen, dass sie irgendetwas mit Umbar plant. Dass sie allerdings gleich die halbe Stadt abbrennen würde... damit hätte ich nicht gerechnet. Und leider seid ihr ein wenig schneller mit eurer Eroberung gewesen, als ich erwartet habe. So kommt meine Warnung ja offenbar ein wenig zu spät."
"Ich weiß eure Mühen trotzdem zu schätzen", erwiderte Qúsay. "Und einen Mann mit euren Talenten könnte ich in meinen Reihen vielleicht gebrauchen."
"Wir werden sehen", gab Ifan zurück. "Ich habe mich in einem Haus ein wenig nördlich von Umbar eingenistet - Edrahil sollte wissen, wo."
Mit diesen Worten war er auch bereits wieder verschwunden.
"Saleme", sagte Qúsay düster. "Eines Tages wird sie mir in die Hände fallen, und dann..." Er rief sich sichtlich zur Ordnung, und wechselte das Thema. "Dírar. Was gibt es sonst zu berichten?"
"Nicht viel. Die Brände geraten an vielen Stellen außer Kontrolle, da einige Brunnen plötzlich versiegt zu sein scheinen."
"Salemes Werk", kommentierte Edrahil.
"Von eurem Vetter Abbas weiterhin keine Spur, wir nehmen an, dass er irgendwo im Süden der Stadt über die Mauer gestiegen und geflohen ist. Wahab ist am Tor gefallen, Watar und Yusuf habt ihr selbst erschlagen. Meneldur ist ebenfalls auf den Mauern getötet worden, und man hat Calmacils Leiche auf den Straßen gefunden - er ist wohl von der Menge in Stücke gerissen worden." Mit einem Gesichtsausdruck, als wäre ihm übel, fügte Dírar hinzu: "Buchstäblich."
Qúsays Gesicht zeigte keine Regung. "Bleiben noch Arannís und ihr jüngster Sohn."
"Keine Spur von beiden", berichtete Dírar. Edrahil spürte Hírilorns Blick, schwieg jedoch.
"Sie werden sich nicht lange verstecken können", meinte Qúsay. "Früher oder später werden wir sie finden."

Eandril:
"... und die alten Handelshäuser der Stadt - was von ihnen noch übrig ist - haben uns ihre Unterstützung signalisiert sofern Umbars Sonderstellung als unabhängige Stadt gewahrt bleibt." Dírars Stimme hallte in dem kahlen Zimmer wieder. Nach dem Fall Umbars hatte Qúsay sämtliche Banner, Wandteppiche und sonstige Dekorationen mit Hasaels Zeichen aus dem Palast entfernen lassen, mit dem Ergebnis, dass Wände und Böden nun fast überall nur noch nackter Stein waren. Edrahil stimmte Qúsay zu, dass es notwendig war die Spuren seines Vorgängers so weit wie möglich zu beseitigen, doch er kam nicht umhin zu bemerken, dass der Palast nun sehr viel kälter und abweisender wirkte als zuvor.
Qúsay seufzte. "Was befürchten sie eigentlich? Dass ihre sie demnächst Abgaben an irgendein anderes Fürstentum zahlen müssen? Ich bin der Fürst von Umbar, also sind ihre Befürchtungen vollkommen sinnlos."
Edrahil fing den verstohlenen Blick seines Sohnes auf, und nickte knapp. Seiner Meinung nach ging Qúsay sehr geschickt mit den Forderungen und Befürchtungen der vielen Fraktionen in Umbar um. Er beruhigte ihre Ängste während er gleichzeitig keinen Zweifel daran ließ, wer der Herr von Umbar war. Mehr und mehr gewann Edrahil den Eindruck, dass Qúsay auch in Zukunft, wenn sie nicht alle im Kampf gegen Mordor untergingen, ein guter Nachbar für Gondor sein könnte.
"Ich werde es ihnen mitteilen", erwiderte Dírar mit einer leichten Verbeugung. "Nun, wollen wir einmal sehen...", fügte er in Gedanken hinzu, und fasste dann zusammen: "Die Adelshäuser der Stadt haben sich unterworfen und uns militärische Unterstützung zugesichert - wenn auch ein wenig zähneknirschend. Die Vertreter der Bürger heißen ihren rechtmäßigen Fürsten willkommen, doch die fürchten eine Hungersnot in der Stadt als Folge der Belagerung und der Brände in der Nacht der Eroberung."
"Nahrunglieferungen von den umliegenden Stämmen könnte diese Furcht lindern", schlug Edrahil leise vor. Qúsay blickte ihn aufmerksam an, und nickte schließlich knapp. "Sie werden nicht in Jubel darüber ausbrechen - vor allem die Qahtan besitzen keine Liebe für Umbar. Doch eine Hungersnot hier könnte alles zunichte machen was wir erreicht haben. Vor allem, wenn zwei von Hasaels Söhnen noch frei herumlaufen." Edrahil behielt seinen gleichmütigen Gesichtsausdruck mit ein wenig Mühe bei, was Erchirion weniger gut gelang. Der Prinz von Dol Amroth zeigte für einen kurzen Augenblick offen seine Bestürzung und Überraschung, doch glücklicherweise war Qúsays Blick fest auf Edrahil gerichtet.
"Zwei sogar?", fragte Edrahil mit erhobener Augenbraue. "Ich war der Meinung, dass sie alle in der Schlacht gefallen wären." Tatsächlich hatte er vorgehabt, die Tatsache, dass sich Arannis und ihr jüngster Sohn in Gondors Gewahrsam befanden, nicht viel länger geheim zu halten. Da Qúsay offenbar auf anderem Wege davon erfahren hatte, brauchte er Zeit.
"Alle bis auf zwei", erwiderte Qúsay. Seine Stimme war eiskalt. "Calmacils Aufenthaltsort ist noch immer unbekannt, aber ich nehme an, dass er in Richtung Osten geflohen ist. Anders ist es mit Menelmir und seiner Mutter. Sie wurden in der Nacht der Eroberung gesehen, und einige der Zeugen waren sich sicher, dass sie in Gesellschaft eurer Verlobten waren." Bei den letzten Worten nickte der knapp in Erchirions Richtung.
Edrahil zuckte mit den Schultern. "Nun, diese Leute sprechen die Wahrheit. Arannis und ihr Sohn befinden sich tatsächlich im Augenblick im Gewahrsam Gondors."
Er spürte Dírars besorgten Blick geradezu, wandte sich allerdings nicht von Qúsay ab, der die Zähne zusammenpresste und bemüht ruhig sagte: "Besser, ihr erklärt euch schnell."
"Als ich ihr in jener Nacht auf den Straßen begegnete, fürchtete sie um ihr Leben und vor allem um das ihres einzig verbliebenen Sohnes", begann Edrahil zu erklären. "Ich hielt diese Furcht für berechtigt, und gleichzeitig hielt ich es für ungünstig einen Jungen unter zehn Jahren womöglich hinzurichten - ganz gleich, wer sein Vater ist. Sie schwor mir in diesem Augenblick im Namen ihres Sohnes, euren Anspruch auf Umbar anzuerkennen."
"Und wann hattet ihr vor, mich darüber zu unterrichten?", fragte Qúsay, noch immer gezwungen ruhig. Edrahil antwortete wahrheitsgemäß: "Heute. Ich habe abgewartet bis eure Herrschaft über Umbar gesichert ist - soweit, wie das im Augenblick möglich ist. Diese Tag ist heute gekommen."
Qúsay wandte sich an Erchirion. "Ihr wusstet darüber Bescheid?"
Erchirion neigte respektvoll den Kopf, bevor er antwortete: "Ja, und ich habe Arannis und ihren Sohn im Namen Dol Amroths unter meinen Schutz gestellt. Doch ich kann euch mein Ehrenwort geben, dass dies nicht geschah um euch den Anspruch auf Umbar streitig zu machen, Malik. Ihr seid mit meiner Schwester verlobt, und werdet nach der Hochzeit ebenso mein Bruder sein wie meine leiblichen Brüder. Ihr seid unser Verbündeter im Kampf gegen jenen, der die ganze Welt bedroht. Welche Gründe könnte ich da haben, euch zu schaden?"
Qúsay atmete tief durch, und entspannte sich dann sichtlich. "Ich... danke euch für eure Offenheit, Erchirion", sagte er, bevor er sich Edrahil zuwandte. "Und euch, Edrahil, wird eure Geheimniskrämerei eines Tages um Kopf und Kragen bringen."
Edrahil nickte ungerührt. "Ohne Zweifel. Doch in diesem Fall war ich nie in Sorge." Dírar lächelte ihm verstohlen zu, doch Qúsay schüttelte nur ungehalten den Kopf. "Ihr müsst mich für einen außergewöhnlich schwachen Herrscher halten wenn ihr sicher wart, damit durchzukommen."
"Ganz im Gegenteil", meinte Edrahil ernst. "Wärt ihr ein schwacher Herrscher, hätte ich vermutlich trotz aller Beteuerungen den Kopf verloren - vielleicht sogar, bevor ihr mich überhaupt angehört hättet."
Qúsay warf einen Blick auf die Karte von Harad, die auf dem großen Tisch in der Mitte des Raumes ausgebreitet war, und sagte dann: "Also schön. Arannis und Menelmir soll für die Zeit in Gondor Zuflucht gewährt werden. Wir haben ohnehin andere Schwierigkeiten. Durch den Nahrungsmangel in Umbar können wir nicht mehr lange hierbleiben, und die Zeit drängt ohnehin. Je länger wir Suladân Zeit lassen sich vorzubereiten, desto schwieriger wird unser Vorhaben." Er schwieg einen Augenblick, und alle warteten stumm, wie der Malik entscheiden würde. "Übermorgen, zwei Stunden vor Sonnenaufgang, soll das Heer bereit stehen. Wir marschieren nach Osten... direkt nach Ain Salah. Wir nehmen die Stadt - auf die eine oder andere Art - und nutzen sie als Basis für den Vorstoß nach Qafsah." Er blickte auf zu Dírar, der nickte und aus dem Raum eilte. Qúsay wandte sich an Erchirion. "Wie sieht es mit der Unterstützung Gondors aus?"
Der Prinz fühlte sich sichtlich etwas unbehaglich, doch er antwortete ohne zu zögern: "Ich kann euch nicht viele Krieger bieten, die meisten meiner Männer sind Seeleute die ihre Schiffe nicht für einen langen Feldzug verlassen können. Unsere Hilfe wäre also eher symbolischer Art."
"Nun, jedes bisschen Hilfe ist höchst willkommen", entgegnete Qúsay, ohne den Blick von Erchirion abzuwenden, und Edrahil hatte beinahe ein wenig Mitleid mit dem Prinzen. Er kannte diesen Blick, und es war nicht leicht seiner Kraft zu widerstehen. "Ich werde so viele Männer sammeln wie möglich, und mit euch nach Qafsah ziehen", antwortete Erchirion schließlich. "Valirë wird die Flotte nach Hause führen."
Bei den letzten Worten musste Edrahil ein Lächeln unterdrücken. Wenn Erchirion glaubte, seine Verlobte würde ihn in den Krieg ziehen lassen und selbst in die Sicherheit Dol Amroths zurückkehren, dann kannte er Valirë schlecht.

Edrahil, Qúsay und Erchirion vor die Stadt

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