4. Abschnitt meines EssaysHeyho!
Ich habe mich lange und intensiv mit gewissen früheren Kritikern Edains unterhalten. Mir ist dabei aufgefallen, dass sie praktisch alle Spiele entweder als unvergleichliches Meisterwerk,
oder als hirnlosen Bullshit beurteilten. Tiefe war nur ein genau quantifizierbares "Gesamtvolumen" von mathematischen Algorithmen. Was sie zu einem so unglaublich fantasielosen Bild getrieben hat, ist bis heute ein ungelöstes Mysterium; mir bleibt nur, mich scharf davon abzugrenzen.
Ich bin überzeugt, dass nicht Zahlen oder Potenzen, sondern deren qualitative Implikationen die Tiefe eines Spiels bestimmen:
Dynamiken.Aber was ist das?
Kurz und schmerzlos: Ich verstehe darunter
das Verhältnis von zwei verschiedenen Problemen, denen der Spieler begegnen muss, zueinander.In Edain wären solche Probleme (unter anderem)
Wie kann ich mein Income maximieren?
Wie kann ich das Meiste aus einem gegebenen Battailon herausholen?
Wie kann ich meinen Gegner davon abhalten, an mächtige Spells zu gelangen?Nimmt man zwei solche Fragen, und untersucht, in welcher Spielsituation welche von ihnen die
wichtigere ist, kann das Ergebnis ganz verschieden ausfallen: Es kann der Fall sein, dass die eine Frage die andere komplett nebensächlich macht ("arme Dynamik"), oder aber, dass sie in einem gewissen Gleichgewicht zueinander stehen ("reiche Dynamik") und daher die eine Frage immer nur unter Berücksichtigung der anderen für den Spieler beantwortbar ist.
Ist ein Spiel notwendigerweise schlechter, wenn es nicht in jeder vorstellbaren Hinsicht mit Komplexität überladen ist?
Nein.
Sehr viele sehr gute Spiele besitzen nur eine einzige Kerndynamik, statt 25 solche. Ein Spiel ist ein Kunstwerk und gute Kunstwerke zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie alles zu sein versuchen, sondern dass sie etwas sein wollen und genauestens wissen,
wie.
Um das etwas anschaulicher zu machen, stellt euch vor, ihr wollt essen gehen. In der Nähe gibt es einen Inder mit 300 Currys, die alle äußerst lecker sind. Außerdem gibt es um die Ecke eine kleine Imbissbude, die nur drei verschiedene Gerichte hat, die aber alle genauso lecker sind. (Beide Lokalitäten haben das gleiche Preis-Leistungs-Verhältnis)
Frage:
Begeht ihr notwendigerweise eine bodenlose Dummheit, wenn ihr euch für die Imbissbude entscheidet, obwohl sie auf dem Papier hundertmal weniger bietet?
Werden wir jetzt allmählich etwas konkreter:
Im langsamen Edain 4.0 scheint es, dass die vorhandenen Dynamiken nicht allzu zahlreich sind. Das soll bitte nicht so verstanden werden, dass ich sagen würde, es gebe keine. Aber:
Habt ihr euch schonmal, in einem Patch, als Rohans Bauern alles zerhächselt haben, die Frage gestellt, ob sie nicht zu riskant wären? Nämlich weil sie dem Gegner so viele Spellpoints geben?
Natürlich nicht. Denn wenn die Bauern alles zerhächseln, dann ist der Gegner am Boden zerstört, und was will er dann noch mit Spells ausrichten? Wir können also guten Gewissens den Schluss ziehen, dass die Dynamik hier nur schwach, wenn überhaupt, ausgeprägt ist - ein Bauern-Rush wird nicht wirklich
komplexer oder
schwieriger dadurch, dass man auf eine Überlegenheit an Spellpoints verzichtet.
Mehr noch: Wer die überlegene Armee hat, der richtet mehr Zerstörung an, als sein Gegner, und ist letztlich an Spellpoints sogar überlegen.
Das Problem, in der Armee überlegen zu sein, marginalisiert (=vernebensächlicht) das Problem, im Spellbook überlegen zu sein. Und genau solche "armen Dynamiken" rauben einem Spiel sehr viel Tiefe, wo es vermeidbar gewesen wäre.
(Man könnte vielleicht nicht sagen, eine Einheit hat etwas schlechtere Stats, gibt dafür aber weniger Spellpunkte - das würde kein Mensch spielen, und aus gutem Grund.
Allerdings könnte man sehr wohl sagen: Ich nehme eine Einheit XY mit tollen Stats, und dann schalte ich einen billigen Spell frei, der besagt: "Diese Einheit XY gibt dem Gegner durch ihren Tod nur noch 20% der Spellpunkte."
Nur so eine spontane Idee. Was zählt, ist die Tatsache, dass beide Lösungen mit der gleichen Dynamik arbeiten aber unterm Strich so unterschiedlich
gut und
spielbar sind - es gibt sicherlich noch viel geschicktere...)
Dynamik und "Situativer Wert"Hah, reingelegt. Wir werden nicht konkreter, sondern abstrakter. Hochgradig amateurische Skizze incoming!
Man verzeihe mir den Anglizismus des "Impact".
Dieses Bild will eine kausale Kette verdeutlichen. Von unten nach oben gelesen:
Ding, das ich mache (z.B. Reiter ausbilden)
=> situativer Nutzen dessen ist groß oder klein. Kann ich damit ein paar ungerüstete Gehöfte abreißen, ist er z.B. recht groß
=> steckt die Dynamik meiner Handlung ab, z.B. interessiert mich in diesem Szenario gar nicht, ob ich es mir leisten kann dem Gegner Spellpoints zu geben, da er schließlich eh keinen müden Spellpoint verdient, wenn ich sein ungeschütztes Gehöft abreiße
=> die Tiefe geht daraus hervor, wie sehr diese Dynamik schwanken kann, denn: Je komplexer sich die Dynamik manipulieren und kalkulieren lässt, desto anspruchsvoller und strategisch reicher ist das Spiel
=> und genau da wollen wir schließlich hin
Wenn wir dies soweit verdaut haben, gehen wir jetzt mal über zu einem Vergleich mit anderen Spielen. Falls wir Spiele nach der
Vielfalt ihrer Kerndynamiken unterteilen wollen, dann sähe das Ergebnis so oder so ähnlich aus:
Potenziell großartige Spiele- Schach
- StarCraft
Bescheidenere, aber potenziell gute Spiele- Hearthstone
- SuM
Ja - ich betrachte Edain in diesem Essay als viel,
viel enger mit Hearthstone verwandt denn mit StarCraft. Wer Edain bezüglich der "Einzigartigkeit" seiner Völker mit StarCraft vergleicht, hat, so meine persönliche Meinung hierzu, offensichtlich keinen Schimmer von letzterem. Aber das interessiert uns jetzt nicht weiter.
SuM ist, genau wie Hearthstone, von Grund auf so konzipiert, dass es genau eine große, reiche Dynamik gibt: Es ist die Reibung zwischen
Armee und Spells.
Hearthstone kennt lediglich drei Kartentypen:
Spells, Waffen, und Minions.
Waffen lassen wir jetzt vollkommen beiseite. Ein Spell ist eine sofortige und sehr mächtige, aber eben singulär wirkende, von selbst verpuffende Karte. Ein Minion hat viel mehr Schadenspotenzial als ein Spell, weil er eben so lange leben und kämpfen wird, bis er von was auch immer beseitigt wurde.
Minions sind die vielseitigeren, Spells die situativeren Karten. Im einen Moment ist der Minion die wertvollere Karte und im nächsten der Spell. Dies vorauszusehen und zu manipulieren, ist eine der entscheidenden Dynamiken des Spiels.
Wer mir nicht glaubt, dass dies mit Tiefe verbunden sein soll, den verweise ich kurzerhand nach Youtube.
https://www.youtube.com/watch?v=IVra8FpanAkhttps://www.youtube.com/watch?v=Mer0ai2U8bIWenn wir so wollen, dann können wir "Attacking the Face" - also den gegnerischen Helden direkt - mit einem Rusher vergleichen, der in Edain auf ein Gehöft einkloppt und dabei bereitwillig zuschaut, wie die gegnerische Armee seine eigene tötet.
Daher kommt auch meine Sensibilität für den Umstand, dass in Edain alles und jeder immer nur stupide rusht:
Aus Hearthstone.
In Wirklichkeit sind Hearthstone mindestens drei verschiedene Spieltypen in einem, doch wie ihr sehen könnt, sind diese Typen oder "Stile" nicht gleich tief.
Der Rush-Stil ist in der Tat alles andere als tief. Entweder, der Gegner schafft es mich mit sehr eingeschränkten Methoden zu stoppen, oder eben nicht.
Stellen wir uns nun vor, dieser Rush-Stil würde aus bestimmten Gründen gebufft; Spells stünden plötzlich nicht mehr in einer gesunden Dynamik zu den Minions, und wären ihnen immer und überall unterlegen - dann würde sich obige Grafik plötzlich mehr oder weniger auf die blaue Kurve beschränken und das strategische Spielgeschehen verarmen.
Willkommen in Edain.
Es ist absolut verständlich, dass man schon seit geraumer Zeit keine "Spellschlachten" mehr haben möchte. Aber die plötzliche Massenvernichtung aus heiterem Himmel zu entfernen, war und ist nicht unbedingt weise.
Wenn wir einen Blick nach SuM 1 werfen, können wir klar und deutlich erkennen, dass es nur sinnvoll ist, mit welcher Urgewalt der Balrog und die AdT dort wüten. Ganz ähnlich wie in Hearthstone sind sie genau dann stark, wenn die gegnerische Armee groß ist.
Von einem Battailon Turmwachen lässt sich das nicht behaupten. Die AdT und die Turmwache ergeben zusammen eine Dynamik, weil das eine dem anderen auf seine Weise überlegen ist.
Sehr wichtig ist nun, zu wissen, wo die Analogien enden.
Denn in Hearthstone bezahlt man sowohl Spells als auch "Armee" mit exakt denselben Ressourcen, nämlich Karten sowie Mana. Bei uns ist dies selbstverständlich nicht der Fall, aber dennoch spiele ich auf Situationen hin, genau wie in Hearthstone. Und in diesem strategischen Prozess ist die Dynamik, die ich lang und breit versucht habe zu umreißen, das Salz in der Suppe.
Die große Frage, die im Raum steht, lautet nun:
Wenn sich das alles so verhält, warum erscheint uns die Vernichtung durch eine AdT dann so witzlos?
Warum sind tatsächlich gar nicht so wenige Spieler dazu übergegangen, komplett ohne Spellbook zu spielen?
Erlaubt mir eine dritte und letzte Grafik.
Nicht zuletzt, weil man sie noch anhäufen kann, wenn das CP-Limit schon lange erreicht ist, sind Spells im Grunde erst im Lategame "lame" - sie berauben uns all dessen, was wir im Schweiße unseres Angesichts aufgebaut haben, in wenigen Sekunden vollautomatisch. Und im nächsten Moment kommt der Gegner mit seiner Armee angewalzt.
Man kann das Problematische an dieser Situation an mindestens vier verschiedenen Punkten verankern, die alle
eben nicht besagen "Spells sind zu stark", sondern stattdessen Probleme, die bisher nie so recht ins Augenmerk gerückt sind:
1) Das Design der Spellbooks erlaubt es, die gegnerische Armee zu attackieren, aber versäumt es, in der Konsequenz auch Möglichkeiten bereitzustellen, seine Armee zu beschützenKurzzeitige massive Rüstungsbuffs die die eigene Armee slowen o.ä. wären notwendig, um vielseitigere Szenarien zu ermöglichen. Denn sonst ist es halt klar, dass ich lieber der Aggressor sein will, und entsprechend spielt jeder den Aggressor.
2) Vernichter-Spells sollten erst dann ihren Preis gegenüber Nicht-Vernichtern wert sein, wenn man sie in Synergie spieltEinen Balrog aufs Feld klatschen, kann jeder. Dagegen eine Situation herzustellen, in welcher die gegnerische Armee vielleicht erst gerootet wird, dann auch noch verringerte Rüstung gegen Magieschaden erhält, oder wahlweise ich sogar dem Gegner 10 Sekunden lang verbiete, selber Spells zu wirken...
das wäre ein Balrog! Das Bereitstellen solchen "Supports" und gleichzeitig das Schwächen seiner rohen Stats würde exakt dasselbe Ergebnis haben, doch es wäre um Welten raffinierter und fairer.
3) Situative Spells können ruhig sehr mächtig sein, brauchen aber sehr hohe CooldownsDazu gibt es nicht so viel zu erläutern. Hohe Cooldowns bedeuten, dass ich es mir zweimal überlege, bevor ich etwas ausspiele, statt dem Motto zu folgen "je eher ich es raushaue desto schneller ist's wieder da"
4) Mächtige, aber hintergründige Spells fühlen sich garantiert nicht so dämlich an, wie ein "Du verlierst deine halbe Armee. Deal with it", können aber im übergeordneten Gameplay durchaus dieselbe Rolle spielen, indem ihr Wert situativ ist und genau dann in die Höhe schießt, wenn mein Gegner halt seine fette Armee ins Feld schickt.
Ehm... Feedback, wie immer, willkommen!^^
Ich verbleibe diesmal wieder etwas abstrakter. Würde mich aber, wenn der eine oder andere diesen Text für anwendbar und ergänzbar hält, durchaus daran versuchen, bei der Entwicklung konkreter Umsetzungen mitzumachen.