Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Der Düsterwald

Ringsherum um Dol Guldur

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Fine:
Glorfindel, Thranduil, Erkenbrand, Elfhelm, Antien, Cyneric, Fred, die Elbenkundschafter und Irwyne mit dem großen Heer vom Rand des Düsterwalds


Bald schon konnten sie die Umrisse der Festungsanlagen vor sich durch die Äste der Bäume erkennen, die hier immer weniger Blätter trugen, obwohl es Hochsommer war. Die Festung war vor vier Jahren bereits einmal belagert und von der Herrin Lothlóriens, Galadriel, zerstört worden. Die Spuren von damals konnten sie gut erkennen als die Bäume mit einem Mal aufhörten und sie aus dem Wald heraus kamen. Rings um die Festung herum waren die Bäume während der ersten Belagerung gefällt oder durch die Kämpfe stark beschädigt worden, sodass die Festung nun auf einer großen Lichtung stand. Vor ihnen erhob sie sich auf den Hängen des Amon Lanc und stand als finstere Drohungen gegen ihre hoffnungsvollen Absichten. Doch keine Pfeile schwirtten zu ihnen hinüber und keine Reaktion auf ihre Ankunft kam aus Dol Guldur. Noch waren sie außer Reichweite der feindlichen Bogenschützen und dort blieben sie auch. "Bis Saruman eintrifft werden wir uns hier bereit halten," sagte Glorfindel und befahl die Errichtung eines zum Feind hin befestigten Lagers.

Es dauerte bis spät in die Nacht bis das neue Lager zum größeren Teil fertig war. Durch eine provisorische Palisade in Richtung Dol Guldurs geschützt stand es am westlichen Rand der großen Lichtung auf einer Anhöhe, die als letzter Ausläufer des Berges in den Wald hinein verlief. Die mitgereisten Belagerungsmeister hatten ihre Katapulte und Ballisten ausgerichtet aber noch nicht abgefeuert. Die Belagerung würde an diesem Tag nicht mehr beginnen, denn die Armee des Weißen Zauberers war noch nicht eingetroffen. Die Armee der freien Völker machte sich bereit für die erste Nacht der Belagerung Dol Guldurs.

Cyneric nahm ein knappes Abendmahl zu sich und ging anschließend mit Irwyne zur Palisade am Fuß des Berges. Gemeinsam standen sie dort und starrten zur vom fahlen Mondlicht beschienenen Feindesfestung.
"Ein böser Ort, das kann man gleich sehen," kommentierte das Mädchen.
"Wir werden ihn schon noch in Schutt und Asche legen," versicherte Cyneric ihr, auch wenn er selbst noch nicht ganz daran glauben konnte.
"Das müsst ihr. Wenn es dort noch mehr Gefangene wie die, die wir gestern gerettet haben gibt, müssen wir sie alle befreien! Sie leiden sicherlich schlimme Qualen."
Ihr Mitgefühl bewegte ihn, denn er wusste, dass sie Recht hatte. Er fragte sich, wen oder was sie vorfinden würden, wenn sie erst die tiefen Verliese Dol Guldurs erobert und geöffnet hatten.

Fine:
Saruman, Helluin, Eddy, Aivari und Lucianus mit dem Heer der Weißen Hand vom Lager der Armee Sarumans im Düsterwald


Die Streitmacht des Zauberers war eingetroffen. In den dunkelsten Nachtstunden waren die Orks und Menschen in Sarumans Diensten zur Lichtung am Fuß des Amon Lanc marschiert und hatten ein kleines Stück nördlich von Glorfindels Position ihr eigenes Lager errichtet. Es waren viele - mehr als Cyneric erwartet hatte. Die Nebelberge müssen entleert worden sein, dachte er. Saruman hat wohl nahezu alle Orks dort zu den Waffen gerufen.

Die Sonne ging auf, spendete jedoch aufgrund der dicken Wolkendecke nur wenig Helligkeit. Cyneric blickte staunend nach Norden, wo die Armee Sarumans bereits dabei war, einen dichten Belagerungsring um Dol Guldur zu schließen. Je höher die Sonne stieg, umso weniger Orks sah er. Doch auch an menschlichen Dienern schien es dem Zauberer nicht zu mangeln. Dunländer und Menschen aus den Landen im Westen von Dunland, dachte er. Und viele aus dem Breeland und dem Norden. Wie Eddy. Er fragte sich, wo der Junge wohl stecken mochte.

Gegen Mittag am selben Tag war Dol Guldur bereits vollständig eingeschlossen. Die zahlreichere Streitmacht Sarumans umschloss die Festung im Westen, Nordwesten, Nordosten und im Südosten, während das aus Aldburg angereiste Heer der Elben und Menschen das letzte Drittel abdeckte, im Süden und Südwesten. Und rings um die Heere herum ragten die schattenhaften Bäume des Düsterwalds empor.
Cynerics Anspannung hatte sich mit jeder vergangenen Stunde gesteigert. Er hatte bereits an einer Belagerung teilgenommen, als Faramir im vergangenen Jahr den Angriff auf Isengard angeführt hatte. Doch damals hatten sie vor bereits beschädigten Mauern gestanden und direkt nach ihrer Ankunft den Sturmangriff gewagt.
Dol Guldur war im ersten Jahr des Ringkriegs von den Galadhrim besiegt und teilweise zerstört worden, hatte ihm Calachír erzählt. Doch seitdem hatte der Feind genug Zeit gehabt, die Festung wieder instand zu setzen. Lückenlose, hoch aufragende Mauern umgaben sie, die von stachelförmigen Zinnen gekrönt wurden. Finstere Türme blickten auf die Belagerer herab und der Bergfried stand als stumme Drohung gegen jegliche Angreifer. Ich hoffe, die Maschinen Sarumans können hier etwas ausrichten, dachte Cyneric.

Kriegstrommeln riefen die Orks der Weißen Hand zur Schlacht. Es war Abend geworden und die letzten Sonnenstrahlen vermochten nicht mehr, die oberen Äste der Bäume im Westen zu durchdringen. Auf der freien Fläche zwischen den beiden Kriegslagern wurden nun die Belagerungsmaschinen in Stellung gebracht. Cyneric beobachtete die Vorbereitungen von seinem Posten an der Palisade von Glorfindels Lager. Große Katapulte die von Menschen bedient und von trollartigen Wesen mit schweren Felsbrocken beladen wurden standen in einer Reihe. So beginnt es also. Der Angriff auf Dol Guldur ist nicht mehr aufzuhalten.

Noch immer kam keine Reaktion aus der belagerten Festung. Kein Pfeil flog herab und kein Ausfall wurde geführt. Dennoch hielten sich alle Krieger beider Heere bereit, um auf einen Gegenangriff vorbereitet zu sein. Cynerics Finger schlossen sich fester um den Griff seines Schwertes. Alle Blicke richteten sich auf die Katapulte, die noch immer ausgerichtet wurden. Offenbar waren genaue Berechnungen notwendig, um zielgenau zu schießen. Dann endlich gab der oberste Belagerungsmeister das Zeichen, dass seine Männer bereit waren. Er hob den Arm in die Höhe und ließ ihn in einer ruckartigen Bewegung herunterschnellen. "Felsen los!"

Die Katapulte feuerten, eines nach dem anderen. Die schweren Felsbrocken flogen im hohen Bogen auf die feindliche Festung zu. Jetzt werden wir sehen, wie stabil ihre Mauern und Türme sind, dachte Cyneric.
Ein Raunen ging durch die Reihen der Elben und Menschen als der erste Felsen sein Ziel fand - und nahezu wirkungslos von der Mauer abprallte. Auch die übrigen Geschosse richteten nur geringen Schaden an. Viele erreichten ihr Ziel nicht einmal sondern verloren kurz vor dem Einschlag scheinbar ihren Schwung, um daraufhin auf dem Erdboden vor den Mauern Dol Guldurs zu landen.
Was geht hier vor sich?

Für einen Moment trat eine ratlose Stille ein. Dann begannen alle, durcheinander zu sprechen.
"Die Belagerungsmeister haben ihr Ziel verfehlt!"
"Nicht einmal ein Kratzer in den Mauern!"
"Ich hatte mehr von den Maschinen Sarumans erwartet."
"Wie ist das möglich?"
"Feuert noch eine Salve ab!"
"Hier stimmt etwas nicht," sagte Calachír, der neben Cyneric getreten war. "Dunkle Kräfte sind hier am Werk. Kannst du es nicht spüren?"
Cyneric spürte nichts bis auf ein wachsendes Unbehagen. "Was meint Ihr damit?"
"Dies ist eine Festung der Ringgeister, und durch und durch böse," erklärte Calachír. "Der Dunkle Herrscher selbst hat lange Jahre hier gehaust. Ich bin mir sicher, dass finstere Magie die Geschosse Sarumans wirkungslos gemacht hat."
Was sollen wir dagegen ausrichten? fragte sich Cyneric.

Und nun kam Antwort aus Dol Guldur: Ork-Hörner erklangen und ein Pfeilhagel prasselte von den Mauern auf die Belagerer herab. Die Menschen und Elben gingen hinter ihren Schilden oder Palisaden in Deckung. Da erklang ein furchtbares Kreischen von hoch oben als sich ein geflügelter Schrecken vom höchsten Turm Dol Guldurs in die Lüfte schwang und über ihnen zu kreisen begann.
"Nazgûl! rief man es überall um Cyneric herum.

kolibri8:
Alfward und das Heer der Fluss- und Waldmenschen aus dem Anduin-Tal.


Der Wald um sie herum wurde dichter. Die Bäume standen schließlich so nah beieinander, dass sie die Formation auflösen mussten und jeder seinen eigenen Weg suchen musste, trotzdem versuchten  sie in Sichtweite zu bleiben.
Nimmt dieser Wald denn nie ein Ende?
Und als ob seine Gedanken erhört worden wären, lichtete sich der Wald vor ihnen und bot den Reisenden den Blick auf die Festung Dol Guldur. Um die Festung war bereits ein Lager errichtet worden, wo Alfward viele Banner sehen konnte. Eines erkannte er als weißes Pferd auf grünem Grund. Das muss Rohan sein, dachte er sich.
„Wir sind da!“ hörte er neben sich Alfrik sagen, „was nun?“
Noch bevor Alfward antworten konnte wurden sie jäh unterbrochen, ein markerschütterndes Kreischen durchdrang jeden einzelnen von ihnen. Im Lager gab es laute Rufe. „Ein Nazgul“, rief Glóin, „sie werden angegriffen.“
„Vorwärts!“ rief schließlich Widurik, „wir sind nicht hergekommen um uns von etwas Gekreische aufhalten zu lassen.“ Mit diesen Worten trieb er sein Pferd vorwärts und die anderen folgten ihm.

--Cirdan--:
„Nun beginnt es also! Nun beginnt es“, hörte Eddy seine Kameraden tuscheln und auch in einiger Entfernung noch hörte er die Worte: „Jetzt beginnt es.“
Hört auf das andauernd zu sagen, dachte der breeländische Handwerker ärgerlich, natürlich beginnt es jetzt. Wir sind die letzten Stunden in diesem Wald umhergelaufen und jetzt stehen unsere Maschinen und das ganze Heer bereit – natürlich beginnt es jetzt.
Bereit? –Nein, bereit bin ich keineswegs. Wie könnte ich?

Eddy fror und zitterte, trotz des milden Sommerabends. Wie erstarrt schaute sich Eddy um und sah ringsherum die johlenden Orks und anderen Geschöpfe Sarumans. Weiter links im Süden von ihm, beleuchtet durch die untergehende Sonne im Westen, flatterten die Banner der freien Völker über den Köpfen der Elben und Rohirrim. Gerne wäre er jetzt dort drüben und noch viel lieber wäre er an jedem anderen Ort weiter westlich von hier und am liebsten zu Hause in den Armen von Lilly. Eddy ließ sich kurz ablenken durch Erinnerungen an sein früheres Leben, bis ihn die Wirklichkeit zurückholte. „Steine los!“, schrie jemand befehlend.  Ein Kreis aus über zwei duzend großer Uruks in schwerer Rüstung mit breitem Schild umschloss schützend Eddy und seine Stellung der Katapulte. Die Belagerungsmaschinen schleuderten auf Befehl die Steine und kleinen Felsen in Richtung der umstellten und belagerten Festung Dol Guldurs, Saurons Trotzburg im Düsterwald. Eddy folgte den fliegenden Geschossen mit gespannten Blicken und erkannte welch geringen Schaden sie verursachten.
Der Breeländer sprang von seiner Maschine, spannte die Schleuder erneut und half dabei neue Steine in die Halterung zu laden. Daraufhin ließ er erneut die Felsen auf die Festung schleudern. Es schien im fast so, als würden die Geschosse vor dem Aufprall erst verlangsamt und dann von der schwarzen Festung komplett verschluckt ohne auch nur irgendeinen Schaden zu erzielen.

“Hat sich was getroffen?“, quiekte ein befehlshabender Ork. Eddy wollte ihm erklären, was da vor sich ging, aber der Ork schien ihn nicht zu verstehen. „Nehmt Feuer“, ordnete die Kreatur an, „brennt sie nieder und räuchert sie aus!“
Noch bevor die neuen brennenden Geschosse ganz bereit zum Abschuss waren, regte sich die Festung Saurons. Viele kleine bewegende Lichter, Fackeln, gingen auf den Mauern und Türmen der Burg um und über den Dächern erhob sich ein großer, fliegender Schatten. Ein Nazgûl aus Mordor lehrte durch sein ohrenbetäubendes Kreischen den Orks und Uruks und auch Eddy und den anderen Menschen das Fürchten. In einer Schleife gewann der Nazgûl auf seiner Fellbestien an Höhe und verschwand im dunklen Himmel zwischen den tief hängenden Wolken. Über dem Düsterwald drehte der Diener Saurons seine Kreis mit genug Abstand, dass ihn selbst die Langbögen der Elben nicht erreichen konnten, aber noch immer nah genug an seinen Feinden, sodass sie seine Anwesenheit deutlich spürten.

„Was war das denn?“, stieß der Breeländer aus, aber es blieb keine Zeit darüber nachzudenken, denn die Orks in Dol Guldur besetzten ihre Mauern mit Bogenschützen und schickten einen Pfeilhagen auf die Angreifer. Eddy suchte Schutz hinter einer seiner Schleudern und feuerte zugleich einen der brennenden Steine auf Dol Guldur. Mich bekommen sie nicht, dachte Eddy selbstmotivierend, weder die Krieger Sarumans noch die Dol Guldur Orks mit ihren Pfeilen. „Kommt schon! Ladet die Katapulte. Wir werden Sauron zeigen, wer hier die Maschinen bedient!“, rief Eddy in der langsam eintretenden Abenddämmerung im Düsterwald.

In immer wieder kurzen Momenten des Aufblickens und Verfolgens der geschleuderten Steine, bemerkte Eddy auf seiner linken Flanke die Bogenschützen der Elben weiter vorrücken und Saurons Orks auf der Mauer unter Beschuss nehmen. Zu seiner Rechten rückten Sarumans Geschöpfe weiter vor und in der Entfernung konnte er andere Stellungen der Belagerungsmaschinen erkennen, die ebenfalls Dol Guldur unter Beschuss nahmen.

Die Feuergeschosse tauchten die feindliche Festung in einen roten Schein, der noch befeuert durch die rötliche Abendsonne im Westen ein besonderes und noch nie dagewesenes Bild abgab. Eddy kribbelte es am ganzen Körper, als er einen Moment inne hielt und den Anblick auf sich wirken ließ. Blutrot steht der ganze Hügel Dol Guldurs, dachte sich Eddy. 

Eru:
Der Weg in Glorfindels Lager war unaufgeregt und wortlos. Der Dúnadan, der das Pferd führte, war nicht von der gesprächigen Sorte, aber Aivari hatte auch nicht das Bedürfnis mit ihm zu sprechen.
Er war froh das Orklager hinter sich lassen zu können und hatte einen Großteil seines spärlichen Reisegepäcks zurückerhalten. Nur sein Kochtopf und der Proviant war bei dem Überfall auf sein nächtliches Lager verloren gegangen, doch Aivari hing ohnehin nicht an Besitztümern, weshalb es ihn trotz seiner groben Behandlung nicht ärgerte.

Als sie schließlich zu Glorfindels Stützpunkt stießen, der schon von weitem an den unterschiedlichen im Wind wehenden Bannern der beteiligten Völker und den hellen Zelten zu erkennen war, führte der Dúnadan sein Pferd direkt in einen Teil des Heerlagers, in dem viele Zwerge untergebracht waren. Sie bildeten immer noch nur einen kleinen Bruchteil des Heeres, doch ihre Zahl reichte sicherlich an die hundert.
»Nun, gehabt euch wohl, Zwerg. Und vergesst die Worte des Zauberers nicht.«
Die Stimme des Dúnadan konnte einen scharfzüngigen Unterton nicht verbergen. Aivari nahm sein weniges Hab und Gut vom Rücken des Pferdes und würdigte den Menschen keines weiteren Blickes. Er hatte Geschichten von den Dúnedain, den Westmenschen gehört, während des Ringkrieges, doch keine dieser Erzählungen schien der Wahrheit zu entsprechen, denn gegenüber dem Zwerg hatten sie keinen Respekt gezeigt. Doch wer wusste welchen Einfluss der Zauberer auf ihre Handlungen ausübte.
Der Mensch riss die Zügel seines Pferdes herum und galoppierte davon. Aivari blickte sich nun um und erkannte reges Treiben im Zwergenlager. Seit über einem halben Jahr in den Wäldern der Elbenherrin Galadriel hatte er keinen seines eigenen Volkes mehr zu Gesicht bekommen. Doch der Abschied war herzlich gewesen und obwohl sie seine Pläne nicht befürwortet hatten, in die Tiefen Morias hinabzusteigen, hatten sie seinen Entschluss geachtet.

Aivari ging ein paar Schritte ins Lager, hier und da saß ein Grüppchen in kleiner Runde und erfreute sich am Pfeifenkraut, ein paar andere schliefen in der warmen Mittagssonne und wieder andere schliffen ihre Äxte und Schwerter, spitzten die Bögen und beulten ihre Schilde aus.
»Bei Durins Barte!«
Aivari nahm plötzlich eine Stimme wahr, die er seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr vernommen hatte. Er drehte sich herum und erkannte einen grauhaarigen Zwerg, mit rundem, freundlichem Gesicht, einer knolligen Nase und mit Ringen und Runen verziertem Haar am Kopf und am Barte.
Ein Lächeln voller Überraschung und Freude machte sich auf Aivaris Gesicht breit und der andere fiel ihm sogleich um die Arme.

»Aivari Stormborinn! Mein Junge, ich glaubte dich bereits verloren.«
Dann ging der Zwerg wieder einen Schritt zurück, ohne jedoch die Hände von Aivaris Schultern zu lassen, als drohe dieser sofort wieder verloren zu gehen, wenn er ihn loslasse. Sie schauten sich einen Moment schmunzelnd in die Augen.
»Du bist grau geworden, alter Freund«, sagte Aivari und lachte. Bei dem anderen Zwerg handelte es sich um seinen Ziehvater und Lehrmeister aus den Eisenbergen, namens Alvar. Aivari hatte ihm mehr zu verdanken als jedem anderen Zwerg in Mittelerde.
»Und du siehst aus als hättest du seit Wochen Schere und Kamm den Rücken gekehrt. Wo hat es dich hin verschlagen?«, erwiderte Alvar.
Aivari hatte tatsächlich seit dem Überfall der Dúnedain auf sein Lager nicht mehr nach seinem Äußeren sehen können und auch nach seinen Torturen in Moria hatte er keine Zeit finden können, seinen Bart und sein Haar zu stutzen.
»Lasst uns jetzt nicht darüber reden. Ich komme gerade aus dem Lager des Zauberers und bin nicht froh darüber, dass die freien Völker ein Bündnis mit diesem Intriganten eingegangen sind.«
»Ich erkläre dir später alles. Nimm erstmal einen Schluck Wasser und kümmer dich um dein leibliches Wohl, Aivari. Was bin ich froh dich lebend zu sehen!«

Sein Alter Freund führte ihn sogleich zu einer kleinen Wasserstelle. Nachdem Aivari sich erfrischt hatte, in saubere Bekleidung gewandet war, Bart und Haare gestutzt und sein Magen gefüllt waren, führte ihn Alvar durch das Lager. Nur wenige der Zwerge, die hier lagerten, kannte Aivari persönlich. Einige jedoch hatten mit ihm am Erebor gekämpft, die meisten derjenigen waren jedoch von Rohan aus in Richtung Helms Klamm gezogen, wie ihm sein alter Freund mitteilte. Dort, so sagte er, solle es Höhlensysteme geben, die selbst Khazad-Dûm in den Schatten stellten. Aivari, der nie ein Freund von dunklen Hallen gewesen war, gab sich wenig euphorisch, doch er freute sich dennoch für seine vertriebenen Brüder. Viel mehr interessierte es ihn was Alvar zur aktuellen Situation zu berichten hatte. Sein Wissen war etwas umfassender als das des Breeländers, mit dem er im Lager des Zauberers gesprochen hatte.

Es stand offensichtlich wirklich nicht gut um diese Lande. Seit dem Fall des Erebor hatte Sauron sich offenbar mit Hilfe vieler Handlanger im Osten Rhovanions breit gemacht und säte Angst und Schrecken. Das Bündnis mit dem Zauberer war wohl die einzige Möglichkeit gewesen, das Reich der Elben nicht vollends den Schergen Saurons zu überlassen und damit den Osten Mittelerdes aufzugeben.
»Wie steht es um unsere Brüder und Schwestern in den Eisenbergen?«, fragte Aivari, als er hörte wie tief in den Osten sich Saurons Fänge schon gegraben hatten. Alvar war schon einige Jahre vor der letzten Schlacht am Erebor nach Westen in die Ered Luin gezogen, um die Welt und vor allem das Meer zu sehen, wie er sagte. Schließlich war er mit über zweihundert Jahren nicht mehr der Jüngste, selbst für einen Zwerg.
Als er jedoch vom Angriff auf den Erebor hörte zog es ihn als heimatverbundenen Kriegersohn wieder in den Osten. So war er in Glorfindels Heer gelangt.

»Genaues weiß auch ich nicht. Doch das wenige, das wir aus dem Osten gehört haben ist beunruhigend. Unser Volk ist durch Saurons Blockade abgeschnitten vom Rest Mittelerdes, selbst der Handel kam zum Erliegen. Nur wenige Raben schaffen den weiten Weg in den Westen. Man hört sogar Khamûl, der Schrecken des Ostens, der auch den Erebor erstürmte, habe unserem Gráin Feuerfaust ein Bündnis vorgeschlagen.«
Sie beide mussten lachen, obwohl sie auch um ihr Volk fürchteten. Doch es war völlig undenkbar, dass Gráin auf so einen Vorschlag eingehen würde, selbst in seiner misslichen Lage. Die Feuerfaust würde sich eher in Ketten bis nach Mordor schleifen lassen, bevor er sein Volk an das rote Auge verkaufen würde, da waren sie sich sicher. Der Feind musste wohl an ihren Leuten in den Eisenbergen verzweifeln, um so eine Allianz auch nur zu erwähnen.

Als Aivari schließlich von seinem Vorhaben seinen Vater zu finden und seiner Reise nach Khazad-Dûm erzählte, wurde Alvar betrübt und riet ihm von seinen Plänen ab.
»Nur noch mehr Leid wirst du vorfinden, wenn du Narvari überhaupt entdeckst, Junge.«
»Ich hatte gehofft ihn schon hier im Lager vorzufinden, seine Spuren und die seiner Begleiter führten in die Ebene des Celebrant. Ein paar alte Zwergeninsignien waren alles, was ich dort vorfinden konnte. Ich muss ihn finden, Alvar. Ich kann nicht mit dem Wissen leben, dass er seinen Verstand in den Tiefen Morias verloren hat. Schon meiner Mutter zuliebe, die bereits in Aules Hallen auf ihn wartet.«
Alvar verstand schnell, dass er seinen Ziehsohn nicht von seinem Ansinnen abbringen konnte, dafür kannte er ihn schon zu lange.
»Kaia ist aus Mittelerde geschieden? Es tut mir Leid, mein Junge. Aule habe sie selig. Viel musstest du in diesem Frühjahr überstehen und noch mehr wird auf uns alle zukommen, fürchte ich. Auch ich habe viele Verluste erlitten. Unser Volk muss stark sein, wie es immer stark war. Und auch denen helfen unseren Feind zu bezwingen, die ihr Haupt gegen ihn erheben.«
»Schwer liegen die Kämpfe vergangener Tage auf mir, Alvar. Wenn ich nicht in Moria mein Leben hätte verteidigen müssen, ich hätte wohl Schwert und Axt endgültig abgelegt. Doch erst muss ich ihn finden.«
Alvar nickte nur besorgt, war jedoch bestrebt ihm dabei zu helfen.

»Orkpatrouillen haben in den letzten Wochen, bevor das Heer so weit an den Düsterwald vorstoßen konnte, diese Lande durchquert. Dein Vater ist entweder schon ihren Klingen zum Opfer gefallen oder in Ketten nach Dol Guldur gebracht worden. Ich weiß nicht, was das bösere Schicksal wäre, Aivari. Und ich weiß nicht, ob du es wirklich erfahren willst.«
»Dann muss ich nach Dol Guldur.«, sagte Aivari aus Überzeugung und mit fester Stimme.
Bekümmert senkte Alvar den Kopf, denn er wusste das hieraus nichts Gutes erwachsen konnte. Natürlich war die beste Chance dennoch sich ebenfalls Glorfindels Heer anzuschließen und gemeinsam die Mauern der dunklen Feste niederzureißen.

Noch am selben Nachmittag bließ man schließlich zum Aufbruch und marschierte auf Dol Guldur, wo man in sicherer Entfernung ein Lager errichtete und auf die Ankunft des Zauberers wartete, die noch bis in die Nachtstunden auf sich warten ließ. Die vereinten Heere, wenn auch räumlich voneinander getrennt, waren mehr als imposant. Wenn es überhaupt möglich war Saurons Diener einzuschüchtern, dann vielleicht mit diesem Heer.
Bis zum folgenden Abend dauerten die Aufbauarbeiten der Stellungen noch, während der dunkle, kahle Hügel des Amon Lanc über ihnen thronte und sie ob ihrer Bemühungen zu verspotten schien. Dunkle Wolken kreisten über den hohen Türmen und dem Mauerwerk, das selbst Zwergenbaumeister in Staunen und Ehrfurcht versetzt hätte.
Als schließlich im Zwielicht der Abendämmerung die Katapulte ihre zerstörerischen Geschosse auf die dunkle Festung niederregnen ließen, lag eine spürbare Spannung in der Luft... die genauso schnell in Sorge und Verzweiflung umschlug, als die brennenden Steingeschosse an den Außenmauern der Befestigungen des Feindes wie Blätter im Wind abprallten und fast wirkungslos zu Boden gingen.

»Was ist passiert? Was geht hier vor sich?«
Aivari blickte um sich herum in ratlose Gesichter. Die Zwerge hatten sich inzwischen in die Reihen der anderen Völker gemischt und verstärkten mit ihren schweren Rüstungen und Äxten die Reihen, der Elbenkrieger und der Fußsoldaten Rohans.
Aivari hingegen hatte sich wie immer fast ausschließlich in Stoff und Leinen mit Ausnahme seiner Lederschulterplatten und Armschützer gekleidet und befand sich zwischen einigen Soldaten Rohans. Alvar, in klassischer, schwerer Rüstung mit seiner Breitaxt, einem schweren Eisenholzschild und zwergisch verziertem Helm, direkt an seiner Seite.
»Dunkle Magie. Saruman ist machtlos oder hat uns gar hintergangen.«, hörte Aivari von ein paar Menschen hinter sich rufen.
»Ruhe bewahren!«, rief eine andere Stimme, die einen Tonfall wie den eines Befehlshabers in sich trug. »Wartet die nächste Salve ab.«
»Vielleicht haben sie Fehler bei der Bestimmung der Flugbahnen der Geschosse gemacht?«, meinte einer der Rohirrim, direkt neben ihm.
»Das sind keine Anfänger, Edric.«, berichtigte ihn der danebenstehende Mensch.
»Ich hörte Saruman hat die besten Baumeister aus dem Breeland in seinen Reihen.«

Bevor sie weitersprechen konnten, waren das Aufschnellen der Reißleinen und die in die Luft schießenden Wurfarme der Katapulte erneut zu hören und wie brennende Himmelskörper, die über den Sternenhimmel huschten, brandeten die Geschosse wie Wellen im Meer an den Steinmauern der düsteren Festung. Erneut war kaum Schaden angerichtet worden, kaum ein Geschoss drang über die Mauern hinweg.

Mehr und mehr Menschen um Aivari herum wurden unruhig, die festen Aufstellungen wurden löchriger, die Angreifer nervös.
»Stellungen halten!«, war wieder der Ruf eines Befehlshabers zu hören. Aivari konnte nicht alles sehen. Zwar stand er unmittelbar an der Front, doch nach hinten und zu den Seiten verdeckten die größeren Menschen die Sicht.
Er hielt sein Schwert Azanul fest in der Hand, doch auch er war beunruhigt. Bevor er Alvar etwas fragen konnte, ertönten plötzlich ferne Ork-Hörner, deren tiefer Klang über die baumlose Ebene getragen wurde. Viele in der dunklen Ferne erkennbare Fackeln versetzten die Feste und die Mauern in einen rötlichen Schein. Die Abendsonne sendete scheinbar spöttisch ihre letzten blutroten Farben über den Horizont, als die ersten Pfeilhagel über den Angreifern der freien Völker niedergingen.
»Deckung!«, kam ein Befehl von der Seite und wer konnte richtete Schilde gen Himmel oder suchte andere Deckung. Die ersten Schmerzensschreie waren schon nach der ersten Salve von denen zu hören, denen heute das Glück nicht Hold war.
Aivari konnte sich hinter Alvars schwerem Schild schützen, doch einige Pfeilschäfte gingen auch in seiner unmittelbaren Umgebung nieder.

Zwischen der ersten und zweiten Salve, wurden die letzten leuchtenden Boten der Abendsonne plötzlich durch einen großen Schatten verdeckt, der von der Feste in die Höhe aufstieg. Kurz danach erreichte sie ein markerschütternder Schrei, der über das Schlachtfeld hallte und Aivari einen Schauer über den Rücken jagte. Das letzte Mal, als er einen solchen Schrei vernommen hatte, stand er hinter dem großen Tor des Erebor, um ihn herum sein sterbendes Volk. Es blieb nicht viel Zeit den Schrecken zu überwinden, denn die wackeren Elben bließen sogleich zum Gegenangriff.

»Tangado a chadad!«, hörte der Zwerg eine elbische Stimme aus etwas größerer Entfernung, doch der Befehl schallte mit solcher Wucht herbei, dass auch die Menschen um ihm herum Mut fassten.

Zu seiner linken Flanke sah er wie hunderte Elbenbogenschützen, zu ihrer Seite jeweils einen Elbenkrieger mit im Fackelschein glitzerndem Schild, in Reih und Glied vorrückten und nach etwa fünfzig Schritt zugleich die Langbögen anlegten.
»Hado i philinn!«, war erneut die heroische Stimme des Elbenbefehlshabers zu hören.
Im selben Moment, schnellten die Sehnen der Elbenbögen zurück und ließen ihre tödlichen Geschosse gleichermaßen auf den Feind niederregnen.
Der Rausch der Schlacht war bereits spürbar und doch musste Aivari diesen zunächst in seinem Inneren verweilen lassen, denn nun brach erst einmal der Moment der Fernkämpfer an. Doch sehnlichst erwartete er den Befehl für einen Sturmangriff.

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