Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Der Düsterwald
Ringsherum um Dol Guldur
--Cirdan--:
Eddy atmete auf. Nach Sarumans wutentbrannten Reden zogen sich die Orks nach und nach zurück und auch die freien Völker wendeten sich wieder zu ihren Lagern. Ed und Fred gingen mit ihnen und bedankten sich bei Irwyne für ihre Hilfe in der Nacht. Beim Verlassen der Heilstätte kam einer der Dúnedain des Norders zu ihnen. Er führte sie zurück in Sarumans Lager, wo sie zu einem Treffen mit Lucianus, dem Anführer der Belagerungsmeister, gerufen wurden. Alle für die Belagerungsmaschinen eingeteilten Menschen waren bereits anwesend. Sie saßen in einem großen Kreis und der alte Lucianus stand in der Mitte mit einer langen Schriftrolle.
„Da wir nun vollzählig sind, kann ich endlich anfangen“, erklärte Lucianus und blickte beim Weitersprechen immer wieder auf seine Schriftrolle, „unser aller Herrscher Saruman entsendet seine Grüße und dankt jeden für seinen Einsatz in der Schlacht um Dol Guldur. Jeder erhält gleich einen kleinen Beutel Silbermünzen.“ Einige klatschten verhalten. Ein Mann stampfte wie wild vor Freunde mit den Füßen auf den Boden. Ed war das Silber egal. Er würde alle Reichtümer der Welt hergeben um wieder nach Hause zu kommen.
„Viele fragen sich sicherlich, wie es jetzt für sie weitergeht“, fuhr der Alte fort, „jeder einzelne bekommt eine neue Aufgabe entsprechend seiner Qualifikationen, Herkunft und Gesundheit. Ich werde jeden mit seiner Dienstnummer aufrufen. Ihr tretet vor, ich lese die Aufgabe vor und überreiche euch den Auftrag und euer Silber.“
Lucianus kramte ein wenig umher, während Eddys Aufregung auf ein Maximum anstieg. Seinen Nachbarn ging es nicht anders, wie er schnell bemerkte.
„1-7-9“, rief Lucianus in die Menge. Ein Mann mit einem Verband um den Kopf, den Ed wenig kannte, erhob sich, „Lothlórien, - Bau von Werkstätten.“ Eddy konnte die Mine des Mannes nicht erkennen. Lórien ist besser als dieser Ort, überlegte Ed.
„1-7-14“, und auch hier erhob sich ein Mann mit leichten Verletzungen an Armen und Beinen, „über Lothlórien, Khazad-Dûm nach Tharbad – Befestigung der Stadt.“
Als nächstes wurde die 1-7-11 aufgerufen. Der Mann musste in Dol Guldur bleiben.
„1-7-6“, sprach Lucianus und stockte bevor er leise das Wort auf dem Papier vorlas, „Tod“. Verunsichert sahen sich die Anwesenden um. „1-7-6, bist du anwesend?“ Der Mann, der sich vorhin so ausfallend über das Silber gefreut hat, stand auf. „Tod, wegen Verrat am Feind“, erklärte der Alte und einer der immer noch umstehenden Dúnedain trat mit schussbereitem Bogen in der Hand vor. Der Verräter wollte fliehen, wurde allerdings von einem Pfeil im Rücken getroffen und stürzte tot zu Boden.
„1-7-8“, fuhr Lucianus unbeirrt fort, „über Lothlórien, Khazad-Dûm, Tharbad nach Bree – Befestigung der Stadt.“ Eddy blickte auf und sah einen seiner blonden Kameraden aufstehen. Nach Bree, dachte Ed, bitte so schickt auch mich nach Bree. Sehnsüchtige Blicke tauschte er mit Fred.
„1-7-0“, sprach Lucianus und stockte daraufhin wieder weil es seine eigene Dienstnummer war. „Wohin geht ihr?“, fragte ein Mann lauthals. „Nirgendwo hin. Ich bleibe hier in Dol Guldur“, erklärte Lucianus traurig und fuhr mit der nächsten Nummer fort, „1-7-5“.
Eddy stand zitternd auf. Dies war seine Nummer. „über Lothlórien, Khazad-Dûm, Tharbad, Bree nach Fornost – Befestigung der Stadt.“ Eddy schlug die Arme über den Kopf zusammen. Über das Ziel hinausgeschossen, dachte er sich, aber nicht das schrecklichste Übel. Ed nahm seinen Auftrag und das Silber an sich und verfolgte im Anschluss die weiteren Aufrufe.
Fred wurde nach Tharbad geschickt. Viele weitere Personen blieben in Dol Guldur. Einige wenigen wurden noch nach Bree oder Fornost geschickt.
Zum Abschluss erklärte Lucianus noch, dass alle die über Lothlórien abreisten sich in morgen gegen Mittag an diesem Ort einfinden sollten.
Eddy wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Es ging immerhin in Richtung Heimat.
Eddy nach Lothlorien
Fine:
Eine deutliche Trennung bemerkte Cyneric zwischen den beiden Lagern der einst verbündeten Armeen. Während sich beide Heere langsam zum Aufbruch bereit machten hielten sie jeweils ein wachsames Auge aufeinander. Dol Guldur wurde von einer starken Orktruppe besetzt und Sarumans Baumeister begannen bereits mit der Reparatur der Mauern. Die Elben Thranduils sammelten sich am Nordrand der Lichtung, nahe Sarumans Lager, während die Elben aus Imladris, Rohirrim und Zwerge ihren Rückweg in die Riddermark vorbereiteten. Glorfindel selbst versuchte weiter, Thranduil dazu zu bringen, ebenfalls das Bündnis mit Saruman zu brechen, hatte jedoch keinen Erfolg. Schließlich entschied er sich, dem Waldlandkönig nach Norden zu folgen um ihn im Auge zu behalten. "Ich befürchte, er steht nun ganz in Sarumans Bann," erklärte Glorfindel Erkenbrand gegenüber. "Ich muss einen Weg finden, diese Verbindung zu trennen. Führe du das Heer zurück nach Aldburg. Ich werde mein Glück im Norden versuchen."
Man konnte sehen, dass diese Entscheidung beiden nicht zusagte, jedoch wurden keine weiteren Worte darüber gesprochen. Sie wünschten einander viel Glück und verabschiedeten sich.
Cyneric wurde gegen Mittag zu Erkenbrand gerufen.
"Ich habe eine Aufgabe für euch," sagte der Marschall. Außer Cyneric waren drei weitere erfahrene Reiter anwesend. "Der Angriff der Ostlinge war hauptsächlich gegen Saruman gerichtet, doch ich bin mir sicher es hätte uns genauso treffen können. Wir müssen wissen, wie stark die Schlagkraft Rhûns ist. Mit etwas Glück sind die meisten Truppen noch bei Khamûl am Erebor. Sollen sie dort ruhig gegen die Weiße Hand kämpfen! Doch für den Fall, dass sie eine Bedrohung für Rohan darstellen müssen wir vorbereitet sein. Wir haben einige Gefangene gemacht - Ostlinge, die sich uns ergeben haben. Von ihnen haben wir erfahren, dass es in der Hauptstadt ihres Königreiches Widerstandskämpfer gibt, die sich gegen die Herrschaft Khâmuls auflehnen. Von diesen Leuten könnten wir wichtige Informationen erhalten. Reitet nach Osten und findet heraus, wie die Lage in Rhûn ist! Haltet euch im Verborgenen und kehrt sobald ihr könnt nach Aldburg zurück! Ich werde dort auf euch warten."
Als er kurz darauf Irwyne von seinem Auftrag erzählte war Cyneric verwundert, dass sie ihn nicht anflehte, sie mitzunehmen.
"Also haben wir bald beide jeder unser eigenes Abenteuer," sagte das Mädchen.
"Wie meinst du das?" wollte Cyneric wissen.
"Antien und Finelleth haben eine wichtige Botschaft zu überbringen, und ich werde sie begleiten," sagte Irwyne. In diesem Moment traten die beiden angesprochenen Elben hinzu.
"Glorfindel schickt uns zu Elrond um zu berichten, was hier geschehen ist," erklärte Antien.
"In Bruchtal wird Irwyne in Sicherheit sein," fügte Finelleth hinzu. "Und vielleicht kann sie dort ihre Heilkünste noch weiter steigern. Du musst wissen, Irwyne, Meister Elrond ist einer der fähigsten Heiler in ganz Mittelerde."
"Oh! Und ich darf ihn wirklich treffen?" fragte Irwyne entzückt.
"Wenn er Zeit findet," beschwichtigte Finelleth. "Das werden wir sehen, wenn wir dort sind. Denn ich kann nicht länger hier bleiben. Ich sehe nun, dass Saruman den Geist meines Königs vergiftet hat. Ich fürchte, das wird sein Untergang sein, und das möchte ich nicht mit ansehen."
"Du wirst also nicht ins Waldlandreich zurückkehren?" frage Cyneric.
"Nicht, solange es unter Sarumans Herrschaft steht," stellte die Elbin klar.
"Wann brecht ihr auf?" wollte Cyneric nach einigen Momenten des Schweigens wissen.
"Heute Abend, schätze ich," sagte Antien. "Meiner Karte zufolge sollte der Weg über den Hohen Pass am besten geeignet sein."
Cyneric nickte. Er war froh, dass Irwyne in Sicherheit gebracht werden würde und sie ihn nicht auf die gefährliche Reise in den Osten begleiten würde. Denn er wusste nicht, was ihn dort erwarten würde...
Fine:
Am frühen Abend fand sich Cyneric vor Irwynes Zelt zu einem letzten gemeinsamen Abendessen ein, bevor sich ihre Wege für einige Zeit trennen würden. Er selbst würde im Schutze der Dunkelheit losreiten, in aller Heimlichkeit. Zwar spürte er hier und dort in seinem Körper noch die Nachwirkungen der Schlacht, doch mit jeder Stunde die verging verblassten diese mehr und mehr.
Auch Antien, Finelleth und Irwyne planten, noch an diesem Abend aufzubrechen. Ihre Habseligkeiten standen griffbereit neben der Kochstelle, an der Antien ein Abschiedsmahl zubereitet hatte. Viel nahmen sie nicht mit, auch wenn der Weg nach Bruchtal beschwerlich werden würde. Doch in den Landen östlich des Nebelgebirges waren die Diener Sarumans unterwegs, und es würde sich bezahlt machen, dank dem leichten Gepäck eine schnellere Reisegeschwindigkeit zu erreichen.
"Es schmeckt wunderbar," sagte Irwyne mit vollem Mund.
Antien schenkte ihr ein Schmunzeln. "Hast du etwas anderes erwartet?"
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
"Ein gut gefüllter Magen befeuert Körper und Verstand," meinte Finelleth. Die Elbin lehnte an einem breiten Pfahl, der Teil eines hölzernen Wachturms war, und ließ eines ihrer Wurfmesser in den Fingern kreisen. "Beides werden wir brauchen wenn wir Cirith Forn en Andrath erreichen. Wir wissen nicht, ob der Pass noch frei von Feinden ist, nun da die Orks der Hithaeglir wieder unsere Feinde sind."
"Orks waren stets die Feinde der Freien Völker," warf Cyneric ein. "Dieses Bündnis mit Saruman war von Anfang an nichts als ein Trugbild, eine List des Zauberers, der unsere Krieger für seine Zwecke einsetzte."
Irwyne nickte zustimmend. Cyneric wusste, dass ihr Dorf einst von Orks überfallen worden war. Sie verstand ganz genau, welche Gefahr diese Kreaturen darstellten.
Sie weiß, was es bedeutet, wenn man seine Heimat und Familie verliert, dachte er.
"Und was wirst du tun, wenn du nach Rhûn reitest?" unterbrach Finelleth seine Gedanken. "Hast du schon einen Plan gemacht?"
"Wir reiten mit wenig Last, und schnell, immer im Schutze der Dunkelheit, um ungesehen so weit wie möglich nach Osten zu gelangen," erklärte Cyneric. "Je näher wir dem Reich der Ostlinge kommen, desto vorsichtiger müssen wir werden. Die Pferde Rohans sind ausdauernd und in der Not zu langen Sprints in der Lage, daher bin ich zuversichtlich dass wir alle Verfolger hinter uns lassen könnten falls wir entdeckt werden. Doch je mehr wir für Marschall Erkenbrand herausfinden können, desto besser. Vielleicht können wir sogar Kontakt zu den Widerstandskämpfern aufnehmen, von denen die Ostlinge berichteten, die sich Erkenbrand ergeben haben."
"Es ist gut, vorsichtig und besonnen zu sein," befand Finelleth. "Die Ebenen Rhovanions werden euch zum Vorteil gereichen, denn dort können Reiter hohe Geschwindigkeiten erreichen. Soweit ich weiß sind diese Lande offen und weit, ohne Hindernisse."
"Das ist gut," antwortete Cyneric. "Es bedeutete jedoch auch, dass wir tagsüber schon von Weitem zu sehen sein werden."
"Vor allem von oben," warf Irwyne ein. "Vielleicht gibt es noch mehr von diesen geflügelten Ungeheuern."
"Lass' uns nicht von ihnen sprechen," sagte Finelleth sanft. "Heute Abend wollen wir froh sein, dass wir alle die Schlacht überstanden haben und die verbliebene gemeinsame Zeit genießen."
Und genau das taten sie dann auch. Geschichten wurden erzählt und Lieder wurden gesungen. Für wenige Stunden vertrieben sie die Sorgen über die Zukunft mit Fröhlichkeit und Gemeinschaft. Doch viel zu schnell verstrich die Zeit und der Abschied rückte näher.
Außerhalb des Heerlagers, das sich bereits im Abbau befand, trafen sie ein letztes Mal zusammen: Antien, Finelleth und Irwyne reisefertig mit Rucksäcken und Bündeln, Cyneric mit seinem Ross Rynescead, der geduldig neben ihm stand. Die übrigen vier Reiter hielten sich im Hintergrund zum Aufbruch bereit, auf dem Rücken ihrer Pferde wachsam nach Osten blickend.
Irwyne umarmte Cyneric lange und innig. "Pass auf dich auf, hörst du?" verlangte sie. "Wenn du deine Aufgabe im Osten erledigt hast, musst du mich in Imladris besuchen kommen. Versprichst du es mir, Cyneric?" Ihre Stimme hatte einen traurigen Klang angenommen, doch auch Zuneigung und Entschlossenheit konnte er darin erkennen.
"Ich verspreche es," antwortete er leise. "Ich verspreche es dir."
Irwyne vergrub ihr Gesicht in seinen Armen. Einen Moment blieben sie still stehen, den Schmerz der Trennung teilend. Dann löste sie sich von ihm, ein kleines Lächeln im Gesicht, begleitet von einigen wenigen Tränen die sich ihre Wange hinunter stahlen.
"Wir sehen uns wieder," versicherte Cyneric dem Mädchen.
"Ich weiß," brachte sie hervor. "Ich werde in Gedanken bei dir sein."
Cyneric zog das Stück Stoff hervor, auf dem der Abdruck der Hand seiner Tochter zu sehen war und drückte es Irwyne in die Hand. Sie schloss die Finger darum und nickte. Sie wusste, worum es sich dabei handelte.
"Möge es dir Trost spenden wenn du dich einsam fühlst," sagte er sanft.
"Einsam? Wo denkst du hin, mein Freund?" warf Antien gut gelaunt ein. "Ich und die große böse Kriegerin hier werden schon dafür sorgen, dass es dazu nicht kommt, nicht wahr?"
Finelleth schoss einen tödlichen Blick zu Antien hinüber, grinste dann jedoch Irwyne an. "Langweilig wird es auf unserem Abenteuer gewiss nicht werden, nicht mit mir und diesem vorwitzigen Sänger als Begleitung."
"Du wirst meine Lieder noch zu schätzen wissen," wehrte sich Antien.
"Und du wirst noch froh darüber sein, dass wenigstens einer von uns mit Waffen umgehen kann wenn wir erst in Schwierigkeiten geraten," gab die Elbin zurück.
"'Wenn'? Du meinst hoffentlich 'Falls', meine Liebe," korrigierte Antien, was Finelleth erst mit einem Seufzen, dann mit herzlichem Gelächter kommentierte. Alle stimmten sie mit ein.
Und dann war er da, der Augenblick des Abschiedes. Irwyne winkte, als sich Cyneric auf Rynesceads Rücken schwang. Ein letztes Mal blickte er zurück auf die vom Feuerschein der von Finelleth getragenen Fackel erhellten Gesichter und hob ebenfalls die Hand.
"Gute Reise!" rief Irwyne.
"Sichere Wege," antwortete Cyneric. Dann wandte er sich ab.
Rynescead setzte sich in Bewegung, einen flotten Trab anschlagend. Die vier anderen Reiter schlossen zu ihm auf und gemeinsam suchten sie sich ihren Weg zum Waldrand südöstlich Dol Guldurs. Die Reise nach Osten hatte begonnen.
Cyneric nach Süd-Rhovanion
Antien, Finelleth und Irwyne zum Hohen Pass
Eru:
Der Zwerg schüttelte den Kopf als er einen Moment über das nachgedacht hatte, was das Mädchen gerade gesagt hatte. Sie stammte aus Rhûn, das hatte er inzwischen verstanden, aber wollte sie etwa dorthin zurück? Er deutete auf die Fesselabdrücke an ihren Handgelenken und sagte „Nein.“
Sogleich legte Inari die verschränkten Hände auf ihren Brustkorb auf und deutete eine Umarmung an. Aivari durchschaute die Geste nicht sofort, doch nachdem sie einige weitere Bewegungen mit den Armen durchführte und eine Art Kreis darstellte, schloss Aivari, dass sie von Familie oder Freunden sprach. Menschen, denen sie etwas bedeutete und die ihr offensichtlich auch etwas bedeuteten.
Offenbar plante sie also zurückzukehren in dieses Land, das Aivari völlig fremd war, obwohl er lange Jahre nur wenige Wegstunden entfernt gelebt hatte.
Ihr würde eine beschwerliche Reise bevorstehen, sie würde unzählige Meilen Feindesland durchqueren und viele Wegstunden über offenes, trostloses Gelände ziehen müssen. Doch sie hatten beide ihre gegenseitige Schuldigkeit getan und Aivari hatte nicht das Verlangen sie in den Osten zu begleiten. Zumal er das Mädchen nur äußerst dürftig kannte. Er hatte eigene Pläne und die beinhalteten keinerlei Teilhabe mehr an den belanglosen Wirren dieser Welt. Er würde sein Ende weit im Westen finden, unweit seiner ursprünglichen Heimat in den Blauen Bergen. Die unerbittlichen Wogen Belegaers würden seinen Körper aufnehmen und Aule würde über all das richten können, was ihm in Mittelerde widerfahren war und eine gerechte Strafe würde ihm zuteil. Unter sein Volk jedoch konnte er sich nie wieder trauen, nicht einmal weil er deren Vergeltung fürchtete, sondern weil er es selbst nicht ertragen würde.
»Dann trennen sich unsere Wege.«, sagte Aivari entschlossen und versuchte dabei mit seiner Körpersprache zu untermalen, dass er sie nicht begleiten würde. Sie schien zu verstehen, zumindest deutete ihr enttäuschter Ausdruck darauf hin.
Einen Augenblick trat unangenehme Stille ein, sodass Aivari entschied ein wenig von der Situation abzulenken.
Also nahm er das Leinentuch, das ihm der Rohir am Zelt gegeben hatte, um sicherzustellen, dass es sich um sein Schwert handelte. Er öffnete die sorgsam gefalteten Schichten mit aller Behutsamkeit. Wie erwartet lag darin nur die schwarze Klinge des verfluchten Azanul. Aivari wich entsetzt zurück, als er die dunklen Verfärbungen durch das getrocknete Blut daran sah und ihn fürchterliche Erinnerungen überkamen. So schlimm traf es ihn in diesem Moment wieder, dass ihm das Atmen schwer fiel und er zusammensackte.
Er wandte den Blick ab, hörte jedoch wie Inari mit dem Leinentuch vorsichtig die Klinge säuberte. Als ein Moment vergangen war, schaute er das Mädchen an. Sie hielt das Schwert eng bei sich und sah den Zwerg fragend mit leicht zur Seite gelegtem Kopf an. Aivari vermutete, dass sie ihm anbieten wollte, das Schwert zu behalten, das ihm solches Leid bereitete.
»Nein.«, sagte er sogleich aus seinem Schock erwacht, nahm das Schwert rasch aus ihrer Hand und wickelte es schnell wieder in das Tuch ein. »Ich fürchte es ist verflucht. Ich will nicht, dass es Euer Leben ebenso in Dunkelheit hüllt, wie das meinige.«
Obwohl sie ihn nicht vollends verstand, war sie klug genug zu ahnen, was seine Beweggründe waren ihr das Schwert vorzuenthalten.
»Wir sollten uns nun etwas Ruhe gönnen. Wir haben heute beide vieles durchleben müssen und etwas Schlaf und Erholung wird uns jetzt gut tun.«
Der Zwerg hatte beschlossen sich nun schlicht seiner Sprache zu bedienen, auch wenn er jede Aussage mit Gesten zu verdeutlichen versuchte. Das Mädchen schien einige Worte des Westron zu kennen oder einigermaßen richtig zu deuten, jedenfalls schien sie zu verstehen.
Im Halbdunkel und in ihrer Rohirrimkluft konnte sie ganz in der Nähe von Aivaris Zelt nächtigen ohne groß aufzufallen. Obwohl Aivari dem Mädchen am nächsten Morgen trotz ihrer kurzen Bekanntschaft noch in aller Breite Lebewohl sagen wollte, stellte er jedoch fest, dass sie nirgends mehr zu finden war und zu Aivaris Bedauern und Enttäuschung hatte sie ebenfalls seinen Ratschlag missachtet sich von Azanul fernzuhalten, denn auch von seinem Schwert fehlte jede Spur. Ob als letzte freundschaftliche Geste, um ihn von der offensichtlichen Last zu befreien, die ihm diese Waffe aufgebürdet hatte oder schlichtweg um sich nicht unbewaffnet auf den gefährlichen Weg zu machen, wusste Aivari nicht, doch für ihn war es nicht mehr von Bedeutung. Wenn sie es so wollte, dann sollte sie mit dieser Waffe nun neue Geschichten schreiben, die hoffentlich von mehr Glorie und Hoffnung zeugten und die für die Trägerin weniger verhängnisvoll waren, als es für Aivari der Fall gewesen war.
Vom Aufruhr im Lager und einer Konfrontation mit Sarumans Armee am Rande Dol Guldurs hatte Aivari nichts mitbekommen. Erst am nächsten Morgen erfuhr Aivari von einigen Eorlingas von den Vorfällen. Obwohl ihn die Pläne des Zauberers beunruhigten und er sich an ihre Konfrontation nur unter Schaudern erinnern mochte, und obwohl er das Vorgehen der Diener Sarumans als genauso abstoßend und schändlich empfand, wie der Rest, erschien es ihm inzwischen vollkommen unbedeutend aus welchen Gründen diese Bündnisse zerbrachen oder neu geschmiedet wurden. Für ihn galt nun nur noch diesen bitteren letzten Teil seiner Geschichte im Westen hinter sich zu bringen, wo alles angefangen hatte. So packte er das wenige, das er besaß, zusammen und brach in der allgemeinen Aufbruchsstimmung an diesem Morgen ohne großen Abschied im Alleingang auf, zusätzlich nur noch Wegzehrung und Wasser mitnehmend. Gen Südwesten wollte er zunächst aus dem Düsterwald hinaus bis an den Fuß der Nebelberge ziehen und dann südlich durch Rohan weiterreisen, um die von Saruman besetzte Zwergenbinge zu umgehen. Noch immer schmerzte ihn der tiefe Fall seines Volkes in diesem Jahrhundert. Von drei Königreichen waren nur noch zwei übrig, eines ganz im Osten und eines im Westen und auch mit ihnen meinte es das Schicksal nicht besonders wohlwollend. Zumal nur das Königreich in den Eisenbergen über nennenswerte Kampfeskraft verfügte. Im Westen lebten schließlich nur noch die wenigen Völker, die von den Zwergen Beleriands abstammten. Ein Zeitalter der Dunkelheit schien näher zu rücken und Aivari hoffte die Menschen würden es aufzuhalten wissen, während Elben und Zwerge Mittelerde mehr und mehr hinter sich ließen. Für Aivari war ein Leben zurückgezogen in die Berge dieser Welt jedoch keine Möglichkeit. Dafür war in seinem Wesen die Liebe zur Natur und der Gedanke an das freie Himmelszelt über dem Kopf viel zu tief verankert. Belegaer würde ihm unter freiem Himmel ein schnelles Ende bereiten, das ihm weniger Angst einflößte als der Gedanke an ein langes und langsames Ableben in der Dunkelheit der Berge.
Während er der aufgehenden Sonne den Rücken kehrte und seinen Marsch durch den kurzen Abschnitt des Düsterwaldes westlich von Dol Guldur begann, schweiften seine Gedanken wieder zu Inari und ließen ihm schnell keine Ruhe mehr. So sehr er sich wünschte, sie sofort wieder vergessen zu können, war ihr merkwürdiger Eintritt in sein Leben doch zu nachhaltig, um es als bloßes Zwinkern des Schicksals abzutun. Ohne sie wäre er einem schmachvollen Freitod durch das verfluchte Azanul bereits erlegen gewesen. Sie schien ihm jetzt, da sie getrennte Wege gingen, mehr und mehr wie eine Botin Aules, der sein Wirken in Mittelerde nicht auf diese Weise hatte enden sehen wollen. Und jetzt ließ Aivari diese Botin möglicherweise einfach ziehen und ging wieder seines eigenen Weges, der ihn auf solch traurige Pfade geführt hatte. Sollte dies sein Dank sein für diesen Fingerzeig des Schicksals?
Jeder Vogel der am Himmel an ihm vorbei in den Osten Richtung Sonnenaufgang zog, ließ ihn kurz stocken, doch mehrmals trieb er sich weiter dazu an den immer klarer werdenden orangerot aufleuchtenden Bergen am Horizont den Vorzug zu geben. Erst als ihn sein Verstand begann mit Überlegungen zu quälen, wie Inari in Feindeshand geraten sein konnte und nun unter Folter ihrem eigenen Tod entgegensah, konnte er seiner Sturheit nicht länger nachgeben und rang mit sich umzudrehen.
Da er den Düsterwald just verlassen hatte, beschloss er kurzerhand gen Süden am Waldrand entlang zu gehen und die baumlosen Braunen Lande zu durchqueren...
Aivari in die Braunen Lande...
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