Narissa, Aerien, Karnuzîr und Gimli von der Hochebene von GorgorothJe näher sie dem Dunklen Turm kamen, desto weniger gelang es Aerien, den Blick von der gewaltigen Bastion des Bösen abzuwenden. Sie konnte kaum glauben, dass sie sich Barad-Dûr einst voller Vorfreude genähert hatte und dass ihr der Großteil des Jahres, das sie in den Mauern des Turmes verbracht hatte, gut gefallen hatte.
Alles hat sich seither verändert, dachte sie. Die Fesseln an ihren Handgelenken waren zwar nicht so eng gebunden, dass sie ihr Schmerzen bereiteten, doch das grobe Seil, mit dem Karnuzîr sie gebunden hatte, hatte mit der Zeit begonnen, auf Aeriens Haut zu reiben, was ein unangenehmes Brennen verursacht hatte. Sie ging am Ende der kleinen Gruppe, direkt hinter Narissa her, während Gimli als vorderster der drei "Gefangenen" ihrem vermeintlichen Häscher Karnuzîr über die aschene Ödnis von Gorgoroth folgte. Der Turm ragte inzwischen so hoch über ihren Köpfen auf, dass Aerien den Kopf in den Nacken legen musste, um die Spitze zu erkennen. Spätestens jetzt wurde ihr klar, dass ihr Gefühl sie nicht getäuscht hatte. Nicht nur sie selbst hatte sich seit ihrer Flucht aus Barad-Dûr verändert, sondern auch der Turm selbst war ebenfalls einer deutlich sichtbaren Veränderung unterworfen worden. Während Aeriens gesamter Kindheit hatte von der Turmspitze aus stets das flammende Auge des Gebieters von Mordor mit wachsamem Blick auf sein Reich herabgeblickt, und so war es auch bei Aeriens Ankunft in Barad-Dûr gewesen, als sie noch den Namen Azruphel getragen hatte.
"Es ist fort," wisperte sie, mehr zu sich selbst als an jemand Bestimmtes gewandt.
"Was ist fort?" fragte Narissa und blieb stehen.
"Bei meinem Barte," meinte Gimli und zeigte zur Turmspitze hinauf. "Du hast Recht, Mädchen. Sieh mal einer an. Kein Feuerauge mehr an der Turmspitze. Dann steckt wohl doch etwas Wahrheit in deinem Gespür zu stecken. Ha!"
Zwischen den beiden stählernen Klauen, die in großer Höhe nur noch undeutlich zu erkennen waren, hatte sich einst das flammende Auge Saurons befunden. Doch nun war es verschwunden.
"Er ist tatsächlich nicht hier," sagte Aerien leise. "Ich frage mich, was dies zu bedeuten hat."
"Ein feuriges Auge?" hakte Narissa nach. "Hat es so etwas tatsächlich gegeben?"
"Ich denke nicht, dass wir so weit gekommen wären, wenn sein Blick noch immer von dort droben Wacht gehalten hätte," murmelte Karnuzîr. "Dies kommt mir alles sehr schicksalbehaftet vor."
"Oder es ist einfach nur Glück," entschied Narissa.
"Wie dem auch sei, ob nun Glück oder Schicksal - wir sollten es nicht länger herausfordern," sagte Gimli. "Es ist nicht mehr weit bis zum Tor. Gehen wir."
Sie legten die letzte Meile eilig zurück. Die Umgebung von Barad-Dûr hatte einst von Orks und anderen Dienern des Dunklen Herrschers gewimmelt, doch nun waren nur einige vereinzelte Kreaturen des Schattens in der Nähe des Turmes unterwegs. Keine davon schien große Lust zu verspüren, einem Schwarzen Númenorer in den Weg zu treten. So kam die Gruppe schließlich an eine langgezogene, steinerne Brücke, die über einen mit heißer Lava gefüllten Abgrund hinweg zum Tor von Barad-Dûr führte. Da wider Erwarten am Kopfende der Brücke keine Wachen standen, entschloss sich Karnuzîr, den Augen, die sie ohne Frage beobachteten, keinen Grund zum Zweifeln zu geben. Er marschierte mit entschlossenem Schritt voran und ging sogar so weit, Gimli einen groben Schubser zu versetzen, damit der Zwerg sich in Bewegung setzte.
Eine dräuende Hitze ging von dem dunklen Gestein der Brücke aus. Als Aerien sie zuletzt überquert hatte, war sie von einer starken Eskorte von Orks begleitet worden und hatte die ersten Schritte auf ihrer Flucht aus den Schatten getan. Ein Teil von ihr konnte noch immer nicht glauben, dass sie nun freiwillig an den finstersten Ort in ganz Mittelerde zurückkehrte. Doch sie fasste sich ein Herz. Sie war aufgebrochen, um ihr Volk - die Dúnedain von Númenor - zu retten. Und dafür brauchte sie Aragorns Hilfe.
Endlich standen sie vor dem stählernen Tor, das einem geöffneten Maul mit Fangzähnen glich. Unglaublich hoch ragte der Turm über ihnen auf. Als sie den kleinen Vorhof am Ende der Brücke betraten, traten ihnen die Wachen des Turmes entgegen.
Keine einfachen Orks hüteten die Tore Barad-Dûrs. Die Krieger, die der Dunkle Herrscher als Wächter seines Sitzes auserwählte, waren größer als die meisten Menschen und trugen finstere, stählerne Rüstung, auf denen das Rote Auge prangte. Dies waren die Uruks von Mordor, die sich bereits in vielen Kämpfen bewährt hatten und entgegen den meisten Angehörigen ihrer orkischen Rasse eine unvergleichliche Disziplin besaßen.
"Stehen bleiben," knurrte eine der vier imposanten Kreaturen. Der eiserne Helm verschloss das Antlitz des Orks nahezu vollständig und verlieh ihm ein umso bedrohlicheres Aussehen. "Identifiziert Euch, sofort."
"Ich bin Karnuzîr, Sohn des Aglazôr. Ich bringe wichtige Gefangene für den Gebieter," antwortete Karnuzîr so kalt, als würde es ihn nicht im Geringsten scheren, dass er hier an der Schwelle zu einem wahren Hort von Schrecken stand.
"Nie gehört," grollte der Wächter. "Habt Ihr einen Befehl? Vorzeigen, wenn Ihr nicht aufgespießt werden wollt."
"Einen Befehl habe ich nicht. Ich handelte auf eigene Faust, als ich eine vom Turm gesuchte Verräterin in Harad aufspürte und in Gewahrsam nahm. Darüber hinaus habe ich in Nurn einen wertvollen entflohenen Sklaven gefangen. Vielleicht habt ihr ja schon
ihm gehört." Er schubste Gimli vor sich und der Zwerg strauchelte.
"Sieh an. Den kennen wir," erwiderte der Torwächter. "Aber das heißt noch nichts. Euer Name - oder zumindest der, von dem Ihr behauptet, dass er zu Euch gehört - klingt nach den Menschen von Durthang. Wenn es um eine Verräterin geht, dann geht es den Herold etwas an. Ich denke, er wird sich für Euch interessieren."
Der Ork gab einem seiner Kameraden ein Zeichen. Daraufhin verschwand dieser im Inneren des Turmes. "Der Meister des Ordens wird sich Eurer annehmen," fuhr der Torwächter fort. "Und wie Ihr sicherlich wisst, gibt es keinerlei Geheimnisse, die man vor dem Bleichen Herold verbergen kann." Bei dieser unheilvollen Feststellung beließ der Ork es.
Der Bleiche Herold! dachte Aerien entsetzt. Dieser Name war selbst in Mordor gefürchtet. Sein Träger war der Anführer des Ordens des Roten Auges, einer Gruppe von besonders fanatischen Dienern des Dunklen Herrschers, deren hauptsächliche Aufgabe es war, den Willen des Dunklen Herrschers in den von ihm beherrschten Landen durchzusetzen. Der Orden jagte sowohl Verräter als auch jene, die sich nach einem Versagen der Strafe ihres Gebieters zu entziehen suchten. Der Bleiche Herold war ein Vollstrecker, der selbst vor den hochrangigsten Dienern Saurons nicht Halt machte, wenn diese seine Aufmerksamkeit erregten. Seinen wahren Namen kannte Aerien nicht - sie wusste nur, dass der Bleiche Herold sein Hauptquartier in der Aschenebene von Lithlad hatte.
Ein Diener in dunklen Roben erschien in dem schmalen Durchang, der sich im Tor Barad-Dûrs aufgetan hatte. "Mein Meister befiehlt, die Gefangenen sowie jenen, der sie hier her brachte, unverzüglich in die Ordenskammer zu bringen."
Die Orks nahmen die Anweisung kommentarlos hin und öffneten das Tor weit genug, dass Karnuzîr und der Rest der Gruppe hindurchgehen konnten. Sie stolperten hindurch, noch immer von ihren Fesseln eingeschränkt, während Aeriens Vetter dem Diener des Bleichen Herolds mit festem Schritt durch die labyrintischen Gänge und Treppen Barad-Dûrs folgte. So kamen sie auf verschlungenen Wegen zu dem Ort, an dem der Orden des Roten Auges im Dunklen Turm seinen Aufgaben nachging.
Der Raum, in den sie nun kamen, war von einem unheilvollen, rötlichen Licht erhellt, das von kleinen Fenstern in drei Metern Höhe kam. Die Kammer war rund und im Zentrum stand ein einfacher Sitz aus Stein. Darauf saß ein Mensch, dessen Gesicht von einer Maske aus Stahl vermummt war. Der Rest seines Körpers steckte in einer dunklen Rüstung, die durch einen breiten, schwarzen Umhang ergänzt wurde. Teile dieses Umhangs hingen einem langen Halstuch gleich auch über Hals, Kinn und Brust der Gestalt. Dies musste der Bleiche Herold sein, der der Legende nach seit vielen Jahrzehnten sein Gesicht nicht mehr der Sonne gezeigt hatte und dessen Haut daher so weiß wie frisch gefallener Schnee geworden war.
"Karnuzîr, Sohn des Aglazôr," sprach der Herold. Seine Stimme ließ Aerien das Blut in den Adern zu Eis werden. Oberflächlich klang der Herold freundlich, doch in seiner Stimme lag etwas Unnatürliches, als würde sie von mehreren Mündern gleichzeitig erzeugt. "Lass mich dich ansehen, mein Junge."
Karnuzîr trat vor und ließ sich vor dem Sitz des Herolds auf ein Knie herab. Die in schwarze Roben und Kapuzen gehüllten Diener des Herolds, acht an der Zahl, hielten derweil seine Gefangenen mit Schwertern und anderen Waffen in Schach. Aerien wünschte sich in jenem Moment, Narissa hätte nicht darauf bestanden, die Dolche zu behalten. Wenn man sie durchsuchen würde, wäre jegliche Hoffnung auf eine erfolgreiche Täuschung dahin.
"Ich kannte deinen Vater gut, Karnuzîr," säuselte der Herold und strich Aeriens Vetter durch die Haare, als wäre Karnuzîr ein Kind. "Schon lange war er uns ein Dorn im Auge. Sein Bruder, der Fürst von Durthang, hätte längst ein Exempel an dem alten Sandläufer statuieren sollen. Und nun hören wir, dass Aglazôr sich einem der niederen Reiche des Südens angeschlossen hat, die in einem sinnlosen Krieg versinken. Was für eine...
Verschwendung." Der Herold spuckte das Wort voller Abscheu aus.
"Ich bin nicht mein Vater, Ordensmeister. Ich bin dem Gebieter treu," sagte Karnuzîr. Selbst Aerien konnte keine Furcht aus seiner Stimme heraushören.
"Treu? Das wird sich zeigen, Karnuzîr. Wen hast du dort mit dir gebracht?" zischte der Herold und erhob sich von seinem Stuhl. Direkt vor Aerien blieb er stehen. Sie wagte nicht, ihm in die grausamen, toten Augen seiner Maske zu blicken.
"Als mein Vater die gerechte Sache unseres Gebieters verriet und sich den Kermern für
Gold anschloss, wollte ich meine Treue beweisen. Ihn der Gerechtigkeit des Gebieters zuführen. Doch Aglazôr war für mich damals außer Reichweite. Ich hörte jedoch in Qafsah davon, dass ein weiteres Mitglied meiner Familie Verrat am Roten Auge begangen hatte," sagte Karnuzîr. "Hier habe ich sie also nun, Azruphel von Durthang, einzige Tochter des Varakhôr, welcher der Bâr-n'Adûnâi genannt wird."
"Azruphel, in der Tat." Eine stählerne Klaue legte sich unter Aeriens Kinn und zwang sie, aufzublicken. "Einst hatte ich deinen Werdegang mit großem Interesse verfolgt, Kind," raunte der Herold ihr zu. "So schön. So vielversprechend. Bei deinem Potenzial hättest du selbst Azardinîth übertreffen können. Doch dann dieser... enttäuschende Verrat. Welch ein gerissener Vorwand, um den armen Gothmog zu täuschen! Dieses Manöver ging über den Intellekt eines Orks hinaus, fürchte ich. Er war dir nicht gewachsen."
Das Lob des Herolds fühlte sich so falsch an, wie es in Aeriens Ohren klang. Sie konzentrierte sich darauf, ein- und auszuatmen und eingeschüchtert auszusehen. Schon seit sie die Kammer des Ordens betreten hatten, hatte sie sich nicht sonderlich anstrengen müssen, ihre Angst zu zeigen. Die Furcht, die der Bleiche Herold in ihren grauen Augen las, war absolut echt.
"Ein weiterer Gefangener lief mir in Nurn über den Weg," sagte Karnuzîr im Hintergrund. Aerien atmete innerlich auf, als der Herold ihr Kinn freigab und sich aufrichtete.
"Ein Zwerg von gewissem Wert, ja." Der Herold warf einen abschätzigen Blick zu Gimli hinüber, der mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf dem steinernen Boden saß. "Er entlief uns vor einiger Zeit. Es ist gut, dass du ihn zurückgebracht hast, mein Junge. Doch wie ist es dir nur gelungen, ihn gefangen zu nehmen? Du führtest doch bereits Azruphel mit dir, als du nach Nurn kamst, oder etwa nicht?"
"Er war stark geschwächt, als ich ihn fand. Ein Karagâth griff ihn an, glaube ich", erklärte Karnuzîr.
"Ein ungewöhlicher Glücksfall," meinte der Herold, der langsam in der Kammer auf und ab ging. "Nehmen wir an, es entspricht der Wahrheit, was du gesagt hast, Karnuzîr. Doch welcher Weg führte dich überhaupt erst nach Nurn? Liegen die Pässe nach Mordor hinein nicht viel weiter im Norden? Weshalb also der Umweg?"
Karnuzîr benötigte einen Augenblick, ehe er antwortete - ein Augenblick, in dem Aerien beinahe das Herz stehen blieb.
"Ich weiß nicht, wie gut Ihr mein Volk kennt, Ordensmeister," sagte Karnuzîr gedehnt.
"Ich kenne die Adûnai gut genug. Fahrt fort."
"Dann versteht Ihr sicher, dass mit der Rückkehr Azruphels gewisse...
Belohungen verbunden sind. Und Ihr versteht, dass auch Andere nach der verlorenen Tochter des Fürsten von Durthang Ausschau hielten. Ich hörte, ihr eigener Bruder Balâkan spürte sie vor einiger Zeit am Rande von Kerma auf."
"Ohne Erfolg zu haben," zischte der Herold. "Und weiter?"
"Ich habe nicht vor, mir meinem Preis unterwegs entreißen zu lassen, damit ein Anderer die Belohnung, die mir zusteht, erlangt," stellte Karnuzîr klar. "Azruphel wird mein sein."
"Dies also ist dein Wunsch. Ich verstehe... doch das erklärt nicht den Umweg, den du durch Nurn nahmst."
"Es war kein Umweg. Ich folgte einem vergessenen Pfad durch das Gebirge hindurch und kam so von der Südgrenze Gondors direkt nach Nurn hinein."
"Einen solchen Pfad gibt es nicht."
"Ich versichere Euch, es gibt ihn. Ich fand einen Hinweis darauf in den Archiven von Tol Thelyn."
"Tol Thelyn... ich kenne diesen Ort. Und er bringt mich zu deinem nächsten Gefangenen, Karnuzîr." Der Herold blieb vor Narissa stehen. Sie begegnete seinem Blick mit einer Entschlossenheit, für die Aerien ihre Freundin am liebsten hier und jetzt fest umarmt hätte. "Ist dies also tatsächlich jenes Kind, das Sûladan mit der Inselspionin zeugte?"
"Sie ist es," bestätigte Karnuzîr.
"Wirklich bemerkenswert," murmelte der Herold unheilvoll. "Weißes Haar ist selten. Wenn man etwas auf alte Legenden und Mythen gibt, ist eine solche Eigenschaft von großer Bedeutung."
"Was meint Ihr, Ordensmeister"? fragte Karnuzîr.
"Es tut nichts zur Sache, mein Junge." Der Herold kehrte auf seinen Sitz zurück. "Karnuzîr, Sohn des Aglazôr. Nur der Blick meines Herrn, des Großen Gebieters von Mittelerde, kann das Innerste einer Seele freilegen und die Wahrheit aufdecken. Doch er ist nicht hier, weshalb nun also
mein bescheidenes Urteil genügen muss."
"Der Gebieter ist nicht hier?" fragte Karnuzîr. "Weshalb? Und wohin ist er gegangen?"
"Du verstehst wohl nur wenig von den Kriegsplänen Mordors, wenn du dies nicht selbst weißt," antwortete der Bleiche Herold. "Mich deucht, du hast zu viel Zeit im wilden Süden verbracht..." Er beugte sich vor und fixierte Karnuzîr mit dem toten Blick aus seiner Maske. "Drei große Heere setzte der Gebieter kürzlich in Bewegung und er leerte sein Land, um diese Heere stark genug zu machen. Eines zog gegen Dol Guldur, um den Narren der Weißen Hand auszuräuchern. Eines zog gen Osten, um die Völker Palisors daran zu erinnern, dass das Rote Auge auch sie nicht vergessen hat. Und das dritte Heer... es reist unter der persönlichen Führung unseres Herrn nach Norden, in das Reich von Rhûn. Er hat genügend Macht erlang, um eine körperliche Gestalt anzunehmen, Karnuzîr. Und schon bald werden alle sich vor dieser Gestalt verneigen, wenn sie die kommende Demonstration seiner Stärke gesehen haben."
Karnuzîr gab darauf keine Antwort. Stumm stand er vor dem Sitz des Herolds, das Urteil erwartend. Aerien wagte nicht, sich zu bewegen. Dies nun war der entscheidende Augenblick, von dem alles abhing. Und er zog sich länger und länger hin, bis sie glaubte, sie würde wahnsinnig werden müssen.
"An deiner Verschlagenheit besteht kein Zweifel, Karnuzîr," sprach der Bleiche Herold in die Stille hinein. "Meine Augen und mein Verstand sagen mir, dass jene, die du mir gebracht hast, tatsächlich die sind, für die du sie ausgegeben hast. Und auch du selbst bist zwar nie zuvor in Mordor gewesen, doch dein Gesicht ist für mich allzu leicht zu lesen. Ich kenne dein Verlangen, mein Junge." Der Herold blickte auf Aerien hinab. "Du weißt, dass Azruphels Vater deiner Forderung nur unter großem Zorn zustimmen wird."
"Varakhôr wird keine Wahl haben," sagte Karnuzîr und es gelang ihm tatsächlich, ein grausames Lächeln auf seine Lippen zu zaubern. "Azruphel wird mein sein."
"Das wird sich zeigen. Für's Erste wird die Verräterin hier bleiben, bis ich Zeit gefunden habe, sie
gründlich zu verhören." Der Bleiche Herold erhob sich und schlug die Fäuste gegeneinander. Sofort eilte einer seiner Diener herbei. "Gehe mit Karnuzîr und dreien deiner Untergebenen zu den Verliesen," wies der Herold ihn an. "Dort sollen die Gefangenen eingesperrt werden. Bringe Karnuzîr anschließend wieder zu mir zurück, damit er seine Belohung erhalten kann, Varazîr."
Noch während die dunklen Diener Aerien, Narissa und Gimli packten und begannen, sie aus der Kammer hinaus zu zerren, drang der Name an Aeriens Ohr.
Varazîr? Ein kalter Schrecken durchzuckte sie. Erst vor Kurzem hatte sie noch an ihn gedacht... Was, bei allen sieben Sternen, tat ihr jüngerer Bruder hier?