Araloth aus den Gebieten westlich des AnduinsDie letzten Tage der Reise Araloths waren eher mühsam und beschwerlich. Immer wieder hatten schwere Frühjahrsstürme und Gewitter seine Tagesmärsche zum erliegen gebracht.
Am schwierigsten allerdings war die Überquerung des Anduins gewesen.
Die einzigen beiden Stellen an denen eine reibungslose Überfahrt möglich gewesen wäre, waren die Städte Osgiliath und Pelargir. Beide Optionen fielen jedoch flach, da die ehemalige Hauptstadt Gondors nun eine wandelnde Stadt der Verwüstung und der Toten war, in der einer der Nazgûl hauste.
Pelargir hingegen war vor wenigen Monaten endgültig gegen die Flotte der Korsaren gefallen und jene machten sich dort breit, plünderten und schändeten die Stadt in massivster Art und Weise.
Dennoch wusste Araloth um einige versteckte Boote an den Ufern des westlichen Anduins, die eine sichere Überfahrt über das Wasser garantieren, aber dennoch war er nicht sicher, wo genau sie waren und ob sie nicht den Horden Mordors und des Südens bereits zum Opfer gefallen war.
Der Himmel war diesig und schwere Dampfwolken stiegen aus den Laubwäldern an den Ufern des großen Stroms herauf, die das Wandern fast unerträglich machte. Es war unnatürlich heiß für diese Frühjahrstage und Araloth machte an einem schattigen Plätzchen halt, um sich an einen Baum niedersinken zu lassen.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und fuhr sich durchs rabenschwarze Haar, welches ihn am Kopf klebte. Seit Wochen hatte er sich nicht mehr richtig waschen können und seine Kleidung war verfilzt und stank bestialisch. Mit seinen Vollbart, der wucherte seit er in die Kerker der weißen Stadt geworfen worden war, und seinen zerrissenen, schmutzigen Kleidern wirkte er wie der perfekte Landstreicher.
Doch das war ihm egal, denn sein einziges Ziel bestand darin, Damrod in Ithilen zu finden und den Widerstand zu unterstützen. Seit er die Mädchen verlassen hatte, war ihm keine Menschenseele begegnet und er sehnte sich nach menschlicher Gesellschaft.
In Momenten wie diesen, wo ihn die Einsamkeit und Anzeichen des Wahnsinns überkamen, betrachtete er die Spange, die ihn Lea überlassen hatte, und behutsam fuhr er über die filigranen Silberlinien.
Ich werde Brianna und meiner Tochter eine ebenso schöne Spange schenken, wenn ich sie wiedersehe….WennAb und zu nagte der Zweifel an ihn, der seit er Lea, Ýfis und die anderen getroffen hatte, stetig und schnell gewachsen war. Da regte sich eine Stimme in seinen Kopf (in seiner Vorstellung oft mit dem Gesicht Herumors oder Lucius‘), die ihn verhöhnte und verspottete:
„Verlässt die Liebsten in größer Not. Ein wahrer Feigling. Sowas schimpft sich einen Ehrenmann. Die Tochter und die Mutter, krank vor Sorge, auf eine Insel gebracht. Direkt in die Hände der Korsaren, die brandschatzend und lüstern über sie herfallen. Die Geliebte mit ungeborenen Kind, in der Stadt der Verwüstung und Zerstörung zurückgelassen. Entweder als Opfer des tosenden Herumors und der Haradrim, oder der Wut der Königstreuen ausgeliefert. Schäm dich Araloth. Schäm dich deiner selbst!“Voller Wut ließ er in solchen Augenblicken die Faust mit voller Wucht gegen einen der Laubbäume des Waldes schlagen. So massiv, dass die Vögel und übriges Getier in den Baumkronen verschreckt das Weite suchte.
Dies passierte nicht heute, denn er hörte einen Stimmenpaar näher kommen, schluckte seine Wut herunter und drückte sich gegen den Baumstamm.
„…was hast du denn auch anderes erwartet, Dôl?“, schnappte Araloth als ersten Wortfetzen auf. Die Stimme gehörte anscheinend einen sehr alten Mann, denn seine Stimme war kratzig und rau.
„ Érut mir ist klar, dass nicht voll Hoffnung bestand. Doch war die Revolte in Minas Tirith immerhin ein Zeichen der Veränderung in diesen dunklen Tagen! Der Fall des Erebor Anfang letzten Monats war ein erschütternder Verlust!“
Der Mann, der Érut hieß, schnaubte laut und tadelte, den offenbar viel jüngeren Dôl, mit spöttischen Tonfall.
„Diesen Teufelsberg im Norden hätte man nie verteidigen dürfen. Er ist verflucht, genau wie diese ganze Rasse dieser kleinen, bärtigen Geschöpfe. Du kennst doch die Sagen, die über sie erzählt werden. Die einen, die im Nebelberge hausen – an sich schon eine komische Heimatwahl, wenn du mich fragst – werden fast vollkommen ausgelöscht. Verbrannt sollen sie alle sein, sagt man sich! Und dann wird dieser Teufelsberg eines Tages von einem DRACHEN heimgesucht. Die Rasse ist dem Untergang geweiht. Sollen wir froh sein, wenn sie jetzt alle tot sind. Als Verbündete hätten sie uns eher Pech gebracht, als das sie nützlich gewesen wären…“
Auf die Tirade folgte langes Schweigen und Araloth lächelte verschmitzt und dachte:
Mit dem Alter kommt wohl doch nicht immer Weisheit.Araloth hatte zwar nicht mit vielen Zwergen Kontakt gehabt, doch mit jenen des Erebors und Ered Luins war er, als diplomatischer Vertreter der Schwanenstadt, in Kontakt getreten.
Sehr stolze und habgierige Geschöpfe waren es zwar, da irrte sich der Mann nicht, aber dennoch ehrenvoll und loyal bis zum Tode. Einen Vertrag zu brechen oder die Bündnistreue auch in größter Not zu verwehren, käme ihnen nie in den Sinn. Des Weiteren sollte man niemand den Tod gönnen, gerade in diesen Zeiten wo die Verbündeten der Menschen rar und die freien Völker vor der totalen Vernichtung standen.
Doch er wurde jeh aus seinen Überlegungen gerissen, als Dôl sichtlich erschüttert und peinlich berührt, gedämpft fortfuhr.
„Egal wie du zu den Zwergen stehst. Rhovanion ist bis auf das Elbenreich nun in der Hand Saurons und wenn du mich fragst, wird das auch nicht mehr lange bestehen! Die Rückeroberung Minas Tiriths ist nur ein weiterer Schlag Saurons in die Magengegend und wäre wirklich nicht nötig gewesen. Immerhin…“.
Araloth verstand die übrigen Worte des jungen Mannes nicht mehr. Ein ohrenbetäubendes Rauschen und Summen erfüllte nun seinen Kopf als er hörte, dass Minas Tirith wieder in den Händen Saurons war; dessen Zorn Anbetracht des Aufstandes sicherlich maßlos und verheerend war. Es versetzte ihn einen Stich ins Herz, als er an Brianna und sein Kind dachte, und mit leicht verschwommen Augen ging er in die Hocke.
„Was war das?!“, ertönte die scharfe Stimme Éruts, der wohl gehört hatte, wie ein Ast knackste, oder vielleicht hatte Araloth ja doch einen Geräusch gemacht. Er wusste es nicht. Er bemerkte auch kaum, wie die beiden Männer sein Versteck ausfindig machen, ihn am Kragen packten und vor sich auf die Füße warfen.
„ Wer bist du?“, fragte immer noch Érut, der wie Araloth aus den Augenwinkeln erkennen konnte, wirklich mindestens um die Sechzig war und einen wettervergilbten Mantel trug. Dôl, der vielleicht siebzehn Jahre alt war, hatte die Klinge des kurzen Krummsäbels auf seinen Nacken gelegt.
„Nun sprecht schon“, raunte der Alte und Araloth wusste, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war.
„Ich…ich bin Araloth aus Dol Amroth. Ich bin Gesandter Imrahils und oberster Diplomat der Schwanenstadt“, entgegnete Araloth fest, der keineswegs eingeschüchtert war in Anbetracht seiner eher schlechten Situation.
Ein langgezogenes Krächzen entfuhr dem Alten und Araloth verstand nur die Hälfte der Wörter, die er während der Lachpausen ausstieß.
„Ein Vertreter d… Schwa….adt. Dass ich nicht lache. Siehst aus wie ein Landstreicher. Wie sollen wir dir das glauben?“
„Ihr könnt mir glauben oder auch nicht. Mein Aussehen verdank ich der alten Regentschaft des Verräters Herumors, der mich wochenlang in Kerkergefangenschaft hielt. Seit der Revolte vor einer Woche bin ich auf der Flucht.“
Araloth, der zwar aus dem Gespräch erfahren hatte, dass diese zwei Männer Feinde Saurons waren, wollte aber lieber noch nichts über sein konkretes Ziel verraten, denn sicher über ihre Absichten war er nicht.
Es war nun Dôl, der das Wort mit zitternder Stimme an ihn richtete:
„Wo..woher soll..sollen wir wissen, dass ihr die Wahrheit sprecht. Ihr kö…könnt u..u…uns viel erzählen. Und im nächsten Moment, wo wir euch gehen lassen, schlagt ihr uns tot und nehmt unsere Sachen!“.
Sein Gesicht wurde kreidebleich, als malte er sich diese Szenerie erst aus, nachdem er die Worte gesprochen hatte.
Araloth seine Nase immer noch in die feuchte Erde drückend, lächelte und antwortete:
„Eure Habseligkeiten zu nehmen wäre zwar eine Option, und nötig habe ich es wirklich. Ich stinke schlimmer als ein Schweinestall, aber dennoch ist das nicht mein Begehr. Ich möchte den großen Strom überqueren, um nach Ithilien zu reisen.“
Es wurde auf einmal still und nachdem der Alte und Dôl Blicke gewechselt hatten, ertönte wieder die raue Stimme Éruts.
„Nach Ithilien?“, er versuchte verblüfft und gleichgültig zugleich zu klingen, aber Araloth durchschaute ihn, „ Was treibt euch in diesen gotverlassene Land? Wenn ihr in den Armen der Haradrim und als Abendessen der Geier dort enden wollt, warum die Mühe machen und den Anduin überqueren? Ein paar Tagesmärsche weiter südwestlich ist eine Feste der Haradrim, die ihr besuchen könnt. Dazu braucht ihr nichtmal ein Boot, sondern nur eure Beine. Jene scheinen doch recht kräftig zu sein.“
Wieder das krähenartige Lachen ausstoßend packte er das rechte Bein des Diplomaten und krempelte die Hose ein wenig nach oben, um Dôl Araloths durchtrainierten Waden zu zeigen. Als er jedoch die Wade begutachtete, gefror ihm das Lachen und Dôl entfuhr ein lautes Stöhnen.
Sie blickten auf das Familienwappen Araloths Familie, dass auf seine Wade gebrannt worden war. Wie in Trance fuhr Érut über die Lilie und die Schwanenköpfe bevor er langsam nickte.
„Nun gut ihr sprecht die Wahrheit, aber dennoch was wollt ihr in Ithilien? Unsere Aufgabe ist es fremde von dort fernzuhalten und nur weil ihr aus Dol Amroth seid heißt das noch lange nicht, dass wir euch vertrauen. Die Zeiten haben sich geändert, niemand weiß mehr wer auf wessen Seite steht und wer für wen arbeitet. Schreckliche Zeiten!“
Die Stimme des Alten zu Beginn noch stark und niederschmetternd, wurde nun wehmütig und als er verstummte, fuhr Dôl fort, als könnte der Alte nicht mehr sprechen.
„Nun sprich schon, Fremder.“
Araloth überlegte einen Moment und ging seine Möglichkeiten durch, bevor er sich entschied die Wahrheit zu sagen.
„Im Prinzip ist es mir gleich. Sterben werde ich, egal, ob ich euch die Wahrheit noch verrate und ihr seid meine Feinde, oder sie verschweige, obwohl ihr meine Verbündeten seit“, er machte eine kurze Pause, um die Spannung zu steigern, denn wenn er starb wollte er wenigstens spannungsreich diese Erde verlassen, „Ich bin auf der Suche nach Damrod aus zweierlei Beweggründen. Zum einen möchte ich mich den Partisanen Ithiliens anschließen, zum anderen soll ich ihn ein Schmuckstück wiederbringen, dass seiner ehemaligen Verlobten Lea gehört. Es ist eine Brosche!“
„Das ist doch gleich was anderes“, erwiderte nun wieder Érut, der sich ebenso darauf verstanden hatte mit seiner Antwort zu warten und zog Araloth unsanft aufrecht.
Die beiden gingen weiter und verdattert blieb Araloth stehen.
„Was passiert nun?“, rief er ihnen hinter her, da sie ihm keine Beachtung mehr zu schenken schienen.
„Wir bringen dich zu deinem Boot und dann zu Damrod, wir sind selber auf dem Weg zu ihm“, rief Dôl mit deutlicher Leichtigkeit in der Stimme.
Araloth atmete aus und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Nur stammten diese sicherlich nicht von der drückenden Hitze.
….Araloth nach Zentralithilien