Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Nah-Harad und Harondor
Aín Sefra - In der Stadt
Fine:
"Die Audienz war nicht meine erste oder einzige Begegnung mit ihm," sagte Aerien. "Vielleicht sollte ich ganz von vorne anfangen, wenn dir das nichts ausmacht. Ich schätze, uns bleibt noch etwas Zeit, bis der Maljes beginnt."
Sie warf einen Blick auf die Straße, auf der keine zusätzlichen Menschenmassen als zuvor zu sehen waren. Aerien war sich sicher, dass bei einer öffentlichen Verkündigung deutlich mehr Leute über die Hauptstraße in Richtung des zentralen Platzes strömen würden. Solange dies nicht geschehen war gab es keinen Grund zur Eile.
Sie strich sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und fuhr fort. "Damrod von Ithilien ist ein sehr misstrauischer Mann. Der Auftrag, den er mir gab, soll ihm beweisen, dass ich die Lage des Verstecks in Ithilien nicht verraten werde. Und er selbst erhielt den Auftrag von Fürst Imrahil, Qúsay zu unterstützen. Allerdings will er dies erst tun, wenn Qúsay sich als vertrauenswürdig erwiesen hat. Das soll ich herausfinden."
Aerien machte eine kurze Pause und ordnete ihre Gedanken. Es fühlte sich seltsam befreiend an, Herlenna all dies anzuvertrauen.
"An den Furten des Harnen-Flusses trafen wir - ob durch Zufall oder Schicksal - auf Qúsay und seine Reiter, doch er gab sich uns nicht zu erkennen. Er erwies sich als ein Mann, dem dieses Land am Herzen liegt und es endlich vom Würgegriff Saurons befreien will. Er machte einige Behauptungen, die ich seltsam finde - dass Ithilien einst von Haradrim bewohnt gewesen sei - aber im Großen und Ganzen wirkte er vernünftig, ehrlich und wie ein guter Anführer. Als wir dann heute morgen in der Audienz vor ihn traten zeigte er sich erfreut darüber, dass Gondor ihm weitere Unterstützung zusicherte. Was mich jedoch noch wundert, ist seine Abstammung, von der Linie der Quasatamiden habe ich bis vorhin noch nie gehört. Er versteht ebenfalls die Elbensprache, glaube ich."
Sie ertappte sich dabei, wie sie mit Herlenna nun kaum anders als mit Beregond sprach: wie mit einer Verbündeten, der sie restlos vertrauen konnte. Sie unterdrückte den Impuls, sich selbst zu ohrfeigen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie noch ihre wahre Herkunft verraten und alles verderben. Sie musste vorsichtig und aufmerksam bleiben, durfte sich nicht von der Sympathie blenden lassen.
"Was hälst du davon?" fragte sie das andere Mädchen.
Eandril:
Narissa zog überrascht eine Augenbraue hoch, denn dass jemand aus Gondor noch nie vom Haus der Qasatamiden gehört hatte. Andererseits...
"Die Qasatamiden sind eine Linie der Nachfahren von Castamir, der im fünfzehnten Jahrhundert König Eldacar von Gondor stürzte und dessen Söhne nach seiner Niederlage nach Umbar flohen und dort die Herrschaft übernahmen."
Ohne dass Narissa wirklich nachdenken musste, kam alles Wissen über die Adelshäuser Gondors und Harads wieder. Sie hatte es gehasst, diesen trockenen Stoff auswendig zu lernen, und sich bei ihrem Großvater beklagt dass sie es niemals brauchen würde, und nun war sie dankbar dass er darauf bestanden hatte.
"Ein Bastardsohn eines der Fürsten von Umbar wurde schließlich Scheich der Quahtan und einer seiner Nachfahren wiederum heiratete die Tochter des letzten Fürsten von Umbar aus dem Haus Castamirs, und ihre Nachkommen sind die Qasatamiden."
Narissa kratzte sich an der Schläfe, wodurch von ihr unbemerkt das Kopftuch verrutschte und eine weiße Strähne zum Vorschein kam, und versuchte sich zu erinnern wie Qúsay in diese Linie passte.
"Wenn ich mich richtig erinnere ist Qúsay der illegitime Sohn von Nazir bin Qasim, der vor ein paar Jahren plötzlich gestorben ist. Und da Qúsay eben illegitim ist, hat sein Onkel Hasaël den Titel Scheich der Quahtan geerbt, der durch seine Frau auch noch Fürst von Umbar geworden ist. Soweit ich weiß hat mein Großvater auch vermutet, dass Nazir von Hasaël ermordet worden ist, aber genaues wussten wir nicht." Sie verstummte, denn mit einem Mal wurde ihr bewusst dass sie mehr Wissen preisgegeben hatte als sie eigentlich gewollt hatte. Außerdem hatte sie zum ersten Mal seit langem ihren Großvater Hador erwähnt, und der Gedanke an seinen Tod ließ sie verstummen. Was hätte er dazu gesagt dass sie gegenüber einer Fremden einfach alles mögliche Wissen offenbarte?
Fine:
Ein Erbe Castamírs des Thronräubers?
Aerien spürte einen kalten Schauer ihren Rücken hinunterlaufen. Als Nachfahre der vertriebenen Gondorer des Sippenstreits war es gut möglich, dass Qúsays Kenntnis der Elbensprache von seinen Vorfahren stammte. Doch für das Bündnis mit Gondor war dies kein gutes Zeichen. Castamirs Söhne waren Todfeinde der Könige und Truchsessen des Reiches gewesen und man hatte aufgeatmet, als die feindselige Linie endlich ihr Ende gefunden zu haben schien. Aerien hoffte inständig, dass Qúsay nicht wie sein Vorfahr dachte und handelte.
"Das... sind keine guten Neuigkeiten," sagte sie betroffen. "Ein Erbe des Thronräubers schwingt sich zum Herrscher über den Süden auf? Ich fürchte, wenn das in Gondor bekannt wird stehen uns große Schwierigkeiten bevor. Weiß dein Auftraggeber davon?"
Angestrengt dachte sie nach. Die Sache würde geheim bleiben müssen. Die Linie Anárions war mit Earnur erloschen und das Land würde keinen zweiten Bürgerkrieg überstehen. Nun, da der rechtmäßige König in Mordor gefangen gehalten wurde war ein Machtvakuum entstanden, dass Imrahil bisher gut gefüllt hatte, doch wie lange würde das gut gehen wenn nun einer Anspruch auf die Krone Gondors erheben würde? Und wenn Qúsay seine Abstammung von Castamir belegen könnte, wäre sein Anspruch sogar größer als der von Aragorn, stellte sie erschrocken fest. Nein, davon darf in Gondor niemand etwas wissen, entschied sie. Doch wie sollte sie das Herlenna beibringen? Sie blickte dem Mädchen ins Gesicht und dabei fielen ihr die weißen Haare auf, die unter dem Kopftuch hervorlugten.
"Hör zu, Herlenna..." setzte sie an, doch weiter wusste sie nicht. Die Ruhe, die sie vorhin verspürt hatte, war Anspannung gewichen. Irgendwie musste sie dieses Mädchen dazu bringen, dieses Wissen für sich zu behalten.
"Also... wer weiß noch davon? Dein Großvater scheint ein gebildeter und belesener Mann zu sein, aber gewiß ist Qúsays Abstammung kein Allgemeinwissen in Harad, nicht wahr? Du musst wissen dass Aragorn.... ich meine, Elessar, der König Gondors, von Gothmog in Barad-dûr gefangen gehalten wird. Das Reich kann es sich nicht leisten, in Erbfolgestreitigkeiten verwickelt zu werden, verstehst du? Wir müssen das Ganze irgendwie geheim halten."
Das Anliegen war heraus. Sie warf einen besorgten Blick über ihre Schultern. Wenn jemand diese Unterhaltung belauscht hat... Sie konnte sich die Folgen kaum ausmalen.
Eandril:
Narissa schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Was sie erzählt hatte war für sie in diesem Moment nur alte Geschichte gewesen, ohne große Bedeutung für die Gegenwart. Doch Aerien hatte Recht, durch seine Abstammung von Castamir hatte Qúsay einen gewissen Anspruch auf den Thron Gondors. Und wenn Qúsay ebenfalls davon wusste - war es möglich dass er über sein Bündnis mit Gondor letzten Endes dessen Thron erlangen wollte? Das wäre das Ende des Königreichs, denn Narissa konnte sich nicht vorstellen dass viele in Gondor einen Haradrim, noch dazu einen Abkömmling Castamirs auf dem Thron dulden würden. Sie hatte in Edrahils Augen gesehen wie sehr dieser sich zur Zusammenarbeit mit Menschen des Südens zwingen musste, und wahrscheinlich dachten viele in Gondor ebenso.
"Ich weiß nicht, wie bekannt das alles ist.", antwortete Narissa leise. Ihr Blick wanderte nervös hin und her, nach möglichen Lauschern Ausschau haltend. "Von denen die von meinem Volk übrig sind wissen es vermutlich einige, und Qúsay weiß es vermutlich ebenfalls. Wenn er sich entschließt seinen Anspruch durchzusetzen..."
Sie sprang von ihrem Sitz auf dem leeren Faß auf. "Ich muss mit Qúsay sprechen. Weißt du, wo er ist?"
Fine:
"Nun... er muss wohl noch immer im der Residenz des Fürsten Marwan sein, dort hinten." Aerien zeigte in Richtung der Residenz, deren Türme jenseits des großen Zentralplatzes sichtbar waren. "Ich weiß nicht, ob du da so einfach hineinkommst ohne eine Audienz zu haben. Die Wachen dort sind sehr aufmerksam."
Sie überlegte, was sie nun tun könnte. Der Maljes würde im Laufe des Tages stattfinden und sie glaubte nicht, dass Qúsay Zeit haben würde, mit dem seltsamen Mädchen zu sprechen.
"Als ich den Fürstenhof verließ empfing er gerade Würdenträger von verbündeteten Stämmen. Vielleicht leiht er danach einige Zeit lang dem einfachen Volk sein Ohr?"
Doch dann wurde ihr klar, dass Herlenna offensichtlich über die Angelegenheit von Qúsays Abstammung mit dem Herrscher Harondors und Ain Sefras reden wollte, was nun wirklich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Sie war ratlos. Wie wollte sie das bewerkstelligen?
"Tu' nichts unüberlegtes," sagte sie vorsichtig. "Du siehst aus wie jemand, der auf sich aufpassen kann, aber jetzt Hals über Kopf in Qúsays Palast zu stürzen schätze ich nicht gerade als weise ein."
Aerien wunderte sich über sich selbst. Wieso war es ihr nicht egal, was mit Herlenna passierte? War es das númenorische Blut, dass die beiden Mädchen teilten und sie nun verband? Sie erkannte sich selbst kaum mehr. War dies etwa... normal im Westen, dass man sich um Mitmenschen sorgte, die man kaum kannte? Sie, die sie nichts als die Intrigen und Brutalität Mordors kannte, hatte nie dergleichen erlebt und zweifelte einen langen Augenblick an ihrer gesamten Entscheidung, ihrer Heimat und ihrer Familien den Rücken zu kehren. Einen Augenblick hing alles in der Schwebe.
Doch der Moment verging und sie war wieder sie selbst.
"Ich habe meine Audienz gehabt, mich wird man wohl kaum erneut hineinlassen," sagte sie. "Das bedeutet dann wohl, dass sich unsere Wege fürs Erste trennen werden. Ich wünsche dir viel Glück mit deinem Auftrag. Mögen die Valar dir gesonnen sein, Herlenna. Wir sehen uns hoffentlich bald wieder."
Sie nahm die Hand des Mädchens und drückte sie, da ihr die Worte für diesen sonderbaren Abschied fehlten. Als sie losließ blieb ihr jeder weitere Satz im Hals stecken.
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