Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Weit-Harad

Tol Thelyn

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Eandril:
Dieses Mal führte Narissa Aerien nicht zu der Bucht mit dem alten Leuchtturm, sondern an einen anderen kleinen Strand im Nordosten der Insel, der von einer Reihe ins Wasser ragenden Felsen in zwei Teile geteilt wurde. Die Sonne schien warm auf sie hinunter und glitzerte auf den sanft gegen den Strand und die Felsen schlagenden Wellen. Von Norden her wehte ein leichter Wind, der ihnen ein wenig Kühlung verschaffte, sodass es nicht unerträglich warm wurde sondern angenehm blieb.
Narissa kletterte auf den vordersten der Felsen, und streckte Aerien die Hand entgegen. "Komm mit! Von der Spitze hat man einen guten Ausblick auf die Bucht und die Küste."
Sie sprang und kletterte von Stein zu Stein, bis sie etwa in der Mitte der Felsreihe angelangt war, wo sie bereits auf beiden Seiten von Wasser umgeben war. Aerien folgte ihr ein wenig langsamer und vorsichtiger, und als sie auf dem selben flachen Stein angelangt war, sagte sie: "Du hast doch etwas vor." Narissa wandte sich zu ihr um, die Hände in die Seiten gestützt und konnte sich ein Grinsen nur schwer verkneifen. "Was sollte ich vorhaben?", fragte sie so unschuldig wie möglich. "Ist ein schöner Anblick nicht genug... und ein schöner Ausblick von den Felsen ebenfalls?"
Für einen Augenblick stockte Aerien, bevor sie begriffen hatte, was Narissa gemeint hatte. "Na schön", erwiderte sie mit einem flüchtigen Grinsen. "Du hast recht, der Anblick ist es wert. Aber ich traue dir immer noch nicht, also... geh voran."
Narissa schnaubte, und tat beleidigt als sie sich umwandte, und ihren Weg an die Spitze der Felsen fortsetzte. Der Felsen, der am weitesten draußen in der Bucht lag, ragte beinahe zwei Meter über die Wasseroberfläche hinaus. Sie mussten springen und sich an der Kante des Steines hinaufziehen, um ganz nach oben zu kommen, und oben angelangt brauchte Aerien einen Augenblick um ihr Gleichgewicht wieder zu erlangen und schwankte kurz im Wind. Narissa legte ihr einen Arm um die Hüfte, zog sie an sich und hielt sie fest, und der Wind wirbelte ihre Haare durcheinander und vermischte sie, Schwarz und Weiß.
"Hm", machte Aerien, und berührte Narissas Stirn mit ihrer. "Man könnte meinen, dass das von Anfang an dein Plan war."
"Vielleicht... aber eigentlich brauche ich dafür keine Entschuldigung", gab Narissa zurück, und Aerien lächelte. "Ganz sicher nicht."
Narissa löste sich ein wenig von ihr, sodass sie nebeneinander auf dem Felsen standen und nach Westen auf die Küste von Harad blickten. Entlang des Meeres zog sich ein schmaler Streifen, der an vielen Stellen von dichtem Grün bewachsen war, doch nur kurz danach wurde er von dem gelbbraunen Sand und Staub der Mehu-Wüste abgelöst.  Es war ein karges Land, in dem dennoch einige Stämme der Haradrim lebten, von denen die meisten seit altersher mit den den Dúnedain der Insel befreundet waren.
Nach einiger Zeit brach Narissa das Schweigen, und sagte: "Du weißt, das ich dich liebe, oder?"
Aerien wandte ihr abrupt den Kopf zu, und ihre Augen strahlten. "Wissen tue ich das... aber du hast es mir so noch nicht gesagt." "Mhm..." Narissa legte den Kopf schief. "Dann tue ich es eben nochmal: Ich liebe dich, Aerien." Es so auszusprechen, verursachte ihr ein merkwürdiges, aber gleichzeitig angenehmes Gefühl irgendwo in der Magengrube. Eine feine Röte überzog Aeriens Wangen, und Narissa war sich sicher, dass sie ganz genauso aussah, als Aerien antwortete: "Und ich dich auch, 'Rissa. Ich dich auch."
Nach einem Augenblick unterbrach Narissa den Blickkontakt und räusperte sich ein wenig verlegen. "Und vertraust du mir jetzt?"
Aerien warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu und antwortete langsam: "Eigentlich schon... aber ich fürchte, du hast immer noch irgendetwas vor."
"Mag schon sein...", sagte Narissa vor sich hin, blickte zum strahlend blauen Himmel empor, und versetzte Aerien dann einen plötzlichen Stoß, der sie zur Seite und über den Rand des Felsblocks taumeln ließ. Aerien stieß einen kurzen überraschten Schrei aus, bevor sie mit einem Platschen im Wasser landete. Für einen kurzen Augenblick verschwand sie vollständig unter Wasser, bevor sie wieder auftauchte, nach Luft schnappte und wild mit den Armen um sich schlug.
"Mit den Füßen treten, die Arme gleichmäßig bewegen!", rief Narissa vom Felsen herunter. "Und den Mund zumachen, bevor du dich verschluckst!" Im gleichen Moment schlug eine kleine Welle Aerien gegen das Gesicht, sie verschluckte sich, hustete und spuckte Wasser aus, während sie panisch dagegen ankämpfte, unterzugehen. Narissa seufzte, verdrehte die Augen, und zog ihre Stiefel aus, bevor sie kopfüber vom Felsen ins Wasser sprang. Das Wasser war angenehm kühl, hier in der Bucht aber nicht so kalt wie an der Westküste der Insel, wo es kalte Strömungen vom Meer gab. Sie tauchte um Aerien herum, wobei sie darauf aufpassen musste nicht von Aeriens Armen und Beinen getroffen zu werden.
Hinter Aerien kam sie wieder an die Oberfläche, schlang Aerien einen Arm um den Oberkörper und hielt sie beide mit dem anderen und den Beinen über Wasser. "Ganz ruhig, ich bin da", sagte sie ihrer Freundin ins Ohr, und Aerien entspannte sich augenblicklich spürbar. "Beweg die Arme ganz regelmäßig, vor und zurück - ja, genau so." Es dauerte einen Moment bis Aerien den richtigen Rhythmus gefunden hatte und nicht mehr unterzugehen drohte, und Narissa sie loslassen konnte. "Lass dich einfach treiben und von den Wellen schaukeln. Das Meer tut dir nichts." Aerien antwortete nichts, ganz damit beschäftigt, über Wasser zu bleiben, und Narissa musste lächeln. "Immerhin bist du seine Tochter."

Nach einigen Augenblicken, die sie sich treiben ließen, schlang Narissa ihren Arm wieder um Aerien, und zog sie ein Stück mit sich in Richtung Ufer, bis das Wasser flach genug war, um bequem stehen zu können. Als sie Aerien wieder losgelassen hatte, warf diese ihr mit blitzenden Augen einen Blick zu. "Mach das nie wieder!"
Narissa zuckte ohne jedes Schuldbewusstsein die Schultern, und spritzte wie zufällig ein wenig Wasser in Aeriens Richtung. "Ist jetzt nicht mehr nötig, jetzt kennst du das Wasser ja und gehst nächstes Mal vielleicht freiwillig hinein." Sie grinste über Aeriens strengen Blick, und fügte hinzu: "Und außerdem hätte ich nicht gedacht, dass jemand so schlecht Schwimmen kann."
Aerien spritzte mit der Hand ein wenig Wasser zurück, und protestierte: "Im Gegensatz zu dir bin ich weit weg vom Meer aufgewachsen - und auch von Flüssen oder anderen größeren Gewässern. Wo soll ich da Schwimmen gelernt haben."
"Das musst du wirklich dringend nachholen", stellte Narissa entschlossen fest. Sie hatte beinahe vergessen, dass sie selbst als sie hier angekommen war, ebenfalls nicht Schwimmen gekonnt hatte. Doch über die Jahre hatte sie es gelernt, und inzwischen kam es ihr wie eine Selbstverständlichkeit vor - so wie Laufen oder Klettern. "Ich werde es dir zeigen. Es ist ganz einfach, du wirst schon sehen."
"Aber nicht mehr heute", meinte Aerien. "Diese Lektion hat mir für einen Tag gereicht."
Narissa wich ihrem Blick aus, konnte sich ein Lächeln aber nicht verkneifen. Gemeinsam kehrten sie an das Ufer aus weichem, feinen Sand zurück, zunächst halb gehend, halb schwimmend, und schließlich durch das flache Wasser watend. Ihre nasse Kleidung klebte eng an der Haut, was es Narissa erschwerte, ihren Blick von Aerien loszureißen. Sobald sie das Ufer erreicht hatten, stürzte Aerien sich mit einem Mal auf sie, riss sie zu Boden und drückte sie in den Sand. "So", knurrte sie. "Jetzt muss ich mir noch eine Strafe für dich ausdenken..." Soweit wollte Narissa es nicht kommen lassen, obwohl sie den Verdacht hatte, dass ihr gefallen könnte was Aerien im Sinn hatte. Sie wälzte sich herum, und versuchte ihrerseits Aerien unter sich zu bringen. Ein paar Augenblicke kämpfen sie im Sand miteinander, der an ihrer nassen Kleidung kleben blieb, doch schließlich kam Narissa wieder unter Aerien zu liegen, die mit den Knien ihre Hüfte umklammerte und mit der rechten Hand ihre Handgelenke über dem Kopf zusammenhielt und auf den Boden drückte.
"Strafe muss sein", sagte sie schwer atmend, und ihr linke Hand wanderte langsam an Narissas Seite hinunter. Als sie das untere Ende der Rippen erreichte und ein wenig darüber hinaus nach unten glitt, konnte Narissa ein Zusammenzucken und leises Quietschen nicht unterdrücken. Aerien hob eine Augenbraue. "Das ist doch nicht die Möglichkeit...", sagte sie leise. "Bist du etwa... kitzlig?" Sie bohrte ihre Finger leicht in Narissas rechte Seite, und Narissa schnappte nach Luft und krümmte sich ein wenig zusammen. Ein Grinsen breitete sich auf Aeriens Gesicht aus, als sie Narissas Handgelenke losließ, und ihr Werk auch mit der rechten Hand begann. Es war zu viel für Narissa, der nichts anderes übrig blieb als sich kichernd und nach Luft schnappend unter Aeriens Fingern hin und her zu winden. "Ich... gebe auf!", brachte sie mühsam hervor, unterbrochen von einem erneuten Kichern. "Es tut... mir Leid!"
"So einfach kommst du mir nicht davon!", antwortete Aerien, ohne das Kitzeln zu unterbrechen. "Es gibt keine Gnade!"
Im selben Moment hörte Narissa, wie jemand ihren und Aeriens Namen rief. Es war eindeutig Laedris' Stimme, die von weiter im Inland kam. Auch Aerien schien es gehört zu haben, denn sie zeigte Gnade, entließ Narissa aus ihrem Griff und rappelte sich auf. Auch Narissa kam mühsam auf die Füße, gerade als Laedris hinter einem Busch hervorkam und auf den Strand trat. "Meister Edrahil würde gerne etwas mit euch besprechen." Dann fiel ihr Blick auf den Zustand der Kleidung der Beiden, und sie stockte kurz. "Allerdings... solltet ihr auch vorher vielleicht umziehen..."
Narissa warf einen Blick zu Aerien, die wiederum sie ansah. In der warmen Sonne hatte ihre Kleidung bereits zu trocknen begonnen und wurde vom salzigen Meerwasser hart und steif, und beide waren über und über mit Sand verklebt. Als ihre Blicke sich trafen, konnte Narissa ein Grinsen und ein Kichern nicht unterdrücken, und steckte damit auch Aerien an.
Mit größter Mühe konnte Narissa ihr Kichern schließlich unterdrücken, und antwortete Laedris, die verständnislos zugesehen hatte und ein wenig errötet war, mit mühsamem Ernst, der hin und wieder vom unkontrollierbaren Zucken ihrer Mundwinkel unterbrochen wurde: "Natürlich, wir werden sobald wie möglich zu ihm kommen... und uns vorher umziehen."
Laedris nickte nur stumm, und eilte dann so schnell wie möglich in Richtung des Turmes davon. Narissa sah Aerien an, der noch immer Wasser aus den Haaren tropfte, und beide brachen erneut in unkontrolliertes Gelächter aus.

Fine:
"Du hast deine Schuhe auf dem Felsen vergessen," erinnerte Aerien Narissa, als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatten. Während sie versuchte, das Wasser aus ihren schwarz glänzenden Haaren herauszuwringen suchte Narissa ihre Habseligkeiten zusammen. Narissas Haare waren ein gutes Stück kürzer, weshalb sie schneller trocknen würden. Aerien sah zu, wie Hadors Enkelin gewandt über die in der Mitte des Strands ins Meer hineinragenden Felsen kletterte und dabei nicht ein einziges Mal ins Straucheln geriet. Sie stellte fest, dass ihr dieser Anblick sehr gefiel. Nachdenklich strich sie mit der Hand durch den warmen Sand. Sand war etwas, das sie kannte, aber nicht in Verbindung mit Wasser. Es faszinierte sie, wie weich und formbar der Sand wurde, wenn das Meerwasser darin versickerte.
"Möchtest du eine Sandburg bauen?" fragte Narissa belustigt. Aerien hatte sie nicht zurückkehren sehen und drehte sich überrascht um.
"Eigentlich mag ich Sand nicht," meinte sie. "Hattest du schon einmal welchen im Schuh? Das ist wirklich unangenehm."
"Nun stell' dich nicht so an. Wir gehen einfach barfuß zum Turm zurück."
Sie nahmen ihre Schuhe in die Hände und verließen den Strand. Ein ausgetretener Pfad führte durch grüne Wiesen zurück zum Turm, der vom Licht der untergehenden Sonne rötlich beleuchtet wurde. Es war ein wundersamer Anblick, der in Aerien eine Erinnerung weckte.
"Minas Tirith," murmelte sie leise und vor ihrem inneren Auge erschien die Weiße Stadt, wie sie sie damals zum ersten Mal gesehen hatte: Groß und majestätisch, getaucht in das Licht der Abendsonne. Damals war sie noch Azruphel gewesen und hatte die Stadt in Mordors Namen besucht, auch wenn ihre eigentlichen Ziele andere gewesen waren.
Narissa entging diese Aussage natürlich nicht, denn sie hatte scharfe Ohren. "Was redest du da?" fragte sie und blieb stehen.
"Der Turm erinnert mich an Minas Tirith," erklärte Aerien. "Ich habe dir das noch gar nich erzählt, aber dort habe ich Beregond getroffen. Die Stadt ist vom Herrn der Ringeister besetzt worden und es sind nur noch wenige Menschen dort. Dennoch bietet sie noch immer einen gewaltigen Anblick. Ich würde es dir gerne eines Tages zeigen."
"Unser Weg wird uns bestimmt irgendwann dorthin führen," meinte Narissa.
"Nein, ich möchte nicht einfach so dorthin, Rissa. Die Stadt in den Händen der Orks zu sehen hat mich mit Trauer und Schmerz erfüllt. Wenn ich nach Minas Tirith zurückkehre, will ich ihr die Freiheit bringen."
"Dafür bräuchten wir eine Armee, und Gondors Unterstützung," wandte Narissa ein. "Du hast doch gehört, was Edrahil gesagt hat: solange der König Gondors ein Gefangener Saurons ist, sind dem Truchsessen die Hände gebunden."
"Aber was ist mit Damrod und seinen Leuten? Sie sind gut ausgerüstet und sie sind viele - könnten sie nicht...?"
"Das musst du Serelloth fragen. Ich kenne mich in Gondor noch weniger aus als du. Komm, wir sollten hier nicht rumstehen. Du wirst dir noch eine Erkältung holen wenn wir deine Haare nicht bald trocken kriegen."
"Oooh, machst du dir Sorgen um mich?" stichelte Aerien.
"Eher um mich selbst," gab Narissa amüsiert zurück. "Wenn wir nicht pünktlich bei Edrahil auftauchen werde ich den ganzen Abend lang seine miese Laune ertragen müssen."
"Du meinst, er kann noch mieser gelaunt sein als er sowieso schon ist?"
"O ja, kann er. Du hast noch gar nichts gesehen," sagte Narissa unheilvoll. "Also los. Bis zum Turm ist es nicht mehr weit."

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich bereit für das Gespräch mit Edrahil gemacht hatten. Aerien bestand darauf, sich mit sauberem Wasser abzuwaschen und saß in einem gut gefüllten Badezuber, den Minûlîth irgenwo aufgetrieben hatte. "Ich wusste nicht, dass Meerwasser so unangenehm auf der Haut klebt und juckt, nachdem sie schon getrocknet ist," beschwerte sie sich während Narissa ihr den Rücken abtupfte.
"Die Tochter des Meeres jammert über Meerwasser," sagte Narissa gelassen. "Welche Ironie."
"Ich hab' mir den Namen nicht ausgesucht, sondern ihn nur übersetzt," antwortete Aerien und band sich ein Handtuch um.
"Aber er passt zu dir. Eines Tages wirst du bestimmt eine große Seefahrerin werden. Tante Melíril leiht dir bestimmt ihr Schiff."
"Hmm," machte Aerien. "Solange ich dabei nicht nass werde..."
Sie beschloss, eines der Kleider anzuprobieren, die Minûlîths Schwester gehört hatten. Ihre Wahl fiel auf ein dunkelrotes Kleid mit goldenen Stickereien an Armen und Saum. Der Stoff erinnerte Aerien an Durthang. Sie fand sogar, er roch ein wenig nach ihrer Mutter. Ihre Gedanken schweiften ab und sie fragte sich, wie es ihrer Familie wohl gerade ging. Azruphels Mutter war die Einzige, die ihre wahren Absichten kannte. Alle anderen mussten wohl glauben, sie sei in Ithilien ein Opfer der Überfälle der Partisanen geworden. Andererseits hatte der Nazgûl in Qafsah offenbar sehr genau über Aeriens Flucht Bescheid gewusst...
Aeriens Überlegungen blieben bei ihrem Vater hängen. Er war nach Dol Guldur beordert worden. Ob er wohl noch immer dort ist? Ich frage mich, wie es ihm geht, und ob er von meinem Verrat gehört hat... Ihr fiel ein, was Varakhôr am Tag vor seiner Abreise zu ihr gesagt hatte, als sie einen der seltenen Momente erlebt hatten in denen sie wirklich etwas Zeit hatten um miteinander zu sprechen.
"Wenn ich zurückkehre werde ich einen Mann für dich finden," hatte ihr Vater gesagt. "Es wird Zeit für dich, deine Pflicht gegenüber der Familie zu erfüllen."
"Was, wenn ich ihn nicht mag, Vater?" hatte Azruphel eingewandt.
"Er wird dich gut behandeln, dafür sorge ich. Ich werde nicht zulassen, dass meine Tochter in die falschen Hände gerät. Mache dir keine Sorgen, Kind. Es wird jemand sein, der sich meinen Respekt verdient hat."
Ihr war damals niemand eingefallen, den sie sich gewünscht hatte. Unter den schwarzen Númenorern von Durthang, deren Stand hoch genug gewesen wäre um für eine Vermählung in Frage zu kommen, war niemand gewesen, der Azruphel gefallen hätte. Und auch sonst gab es im Tal von Aglarêth nur wenige, die sie überhaupt attraktiv fand. Es wäre zwar möglich, jemanden von niedrigerem Gesellschaftsstand in Betracht zu ziehen, dies würde allerdings am Hof für viel Gerede sorgen. Es war bereits vorgekommen dass die Fürsten von Durthang ihre Töchter an Krieger verheiratet hatten, die sich im Kampf einen Namen gemacht hatten, doch solche Ereignisse waren eine Seltenheit. Und außerdem gefiel Azruphel die Vorstellung überhaupt nicht, als eine Art Preis betrachtet zu werden.

"He, Meerestochter, träumst du?" Narissas Stimme riss Aerien aus den Gedanken. Die Turmerbin hatte sich inzwischen ebenfalls trockene Sachen angezogen und trug nun einen festen Wappenrock mit dem Abzeichen des Reiches von Tol Thelyn auf der Brust: Ein hoch aufragender stilisierter Turm in Weiß, auf einem orangefarbenen Segel, dazu eine kleine silberne Blüte im Zentrum, die für die Vorfahren Ciryatans in Númenor stand. Narissa trug hohe Stiefel und hatte ihre Dolche umgegürtet. Sie wirkte auf Aerien kampfbereit und entschlossen.
"Ich habe nur nachgedacht," antwortete Aerien. "Du siehst gut aus in der Tracht der Insel," fügte sie hinzu.
"Und du in den Kleidern von Melírils Schwester," gab Narissa lächelnd zurück. "Die, die nach Dol Amroth gegangen ist."
"Dort möchte ich auch eines Tages hin, und die berühmten Schwanenritter sehen," schwärmte Aerien. "Sie haben den Ansturm Mordors zweimal abgewehrt obwohl sie weit in der Unterzahl waren, wusstest du das?"
"Es wird bestimmt mal die Gelegenheit geben, Dol Amroth zu besuchen," meinte Narissa und nahm Aeriens Hand. "Aber zuerst sollten wir vielleicht dem Abgesandten Dol Amroths unsere Aufwartung machen. Du weißt schon, Meister Edrahil. Seine Geduld ist bestimmt schon lange zu Ende gegangen."
Hastig band Aerien ihre Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammen und stand auf. "Also gut. Gehen wir zu ihm."

Sie verließen Narissas Zimmer und trafen unterwegs erneut auf Laedris. "Da seid ihr beiden ja," rief die junge Frau ihnen zu als sie sich auf der Treppe begegneten. "Herr Edrahil schickt mich um, und ich zitiere, nachzusehen ob diese beiden unverantwortlichen Mädchen sich auf dem komplizierten Weg den Turm hinab zu meinem Zimmer verlaufen haben." Sie zwinkerte ihnen zu und fuhr fort: "Es wird Zeit, dass ihr ihn aufsucht. Die Sonne ist schon untergegangen und es wird spät."
"Das machen wir, Laedris," sagte Narissa.
"Der Abend hat ja gerade erst begonnen," meinte Aerien. "Bleibt also noch mehr als genug Zeit, um sich anzuhören, was Meister Edrahil uns zu sagen hat."
Laedris nickte. "Sollte man meinen, ja. Aber dieser alte Kerl gibt einem ständig das Gefühl, dass ihm alles viel zu langsam geht."
"Mach dir um ihn keine Sorgen. Wir kommen schon mit ihm zurecht," gab sich Narissa zuversichtlich.
Sie stiegen die Treppe hinab und kamen schließlich vor Edrahils Zimmer an. Vorsichtig klopfte Aerien dagegen, doch die Tür schwang bereits auf...

Eandril:
Edrahil ließ sich auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch nieder, und Thorongil und Eayan setzten sich einander gegenüber an die Kopfenden des Tisches. Obwohl ihm mehrere Fragen unter den Nägeln brannten und er es kaum erwarten konnte die Ideen, die ihm in der Zwischenzeit gekommen waren, zur Diskussion zu stellen, schwieg Edrahil zunächst und wartete ab, dass Thorongil das Wort ergriff. Immerhin war er der Herr von Tol Thelyn, und Edrahil und Eayan waren nur Gäste und Verbündete.
Thorongil faltete die Hände auf dem Tisch, und begann zu erzählen: "Wie Edrahil bereits weiß, kam vor einigen Tagen Karnuzîr, ein Vetter Aeriens und im Gegensatz zu ihr ein treuer Diener des Feindes, mit zwei Gefährten auf die Insel. Er hatte das Mädchen Serelloth in seiner Gewalt, eine Freundin von Narissa und Aerien, und zwang Aerien mit ihrem Leben dazu, Narissa anscheinend zu verraten und nach Mordor zurückzukehren."
Er fuhr fort zu erzählen, wie er und Narissa Karnuzîr verfolgt, zur Strecke gebracht und seine Ränke aufgedeckt hatten. Als er schließlich zum Ende kam, sagte Eayan: "Ich bin froh, dass sich alles aufgeklärt hat, denn sowohl Narissa als auch Aerien könnten wertvolle Waffen im Kampf gegen den Schatten sein."
Angesichts der Wortwahl verzog Thorongil ein wenig das Gesicht, doch Edrahil gab dem Schattenfalken mit einem unmerklichen Nicken zu verstehen, dass er diese Meinung teilte. Auch wenn er selbst den jungen Frauen ebenfalls Sympathie entgegenbrachte, würde er doch nicht zögern, sie auch in größte Gefahr zu schicken, sollte es ihrem Kampf gegen Mordor nützen - denn der Krieg war größer als jeder einzelne von ihnen, und Opfer mussten gebracht werden.
Er stand auf, die Blicke der beiden anderen Männer ignorierend, ging zur Tür und blickte nach draußen. Zu seinem Glück kam gerade eine junge Frau die Treppe aus den oberen Ebenen des Turmes hinunter, und er sagte: "Laedris, würdest du bitte Narissa und Aerien finden und zu mir schicken?" Laedris wirkte nicht sonderlich begeistert, doch sie nickte und erwiderte: "Natürlich."
Zurück im Zimmer setzte Edrahil sich erneut und erklärte: "Ich denke, es wäre sinnvoll die beiden bei dem, was ich gerne besprechen möchte, dabei zu haben, denn es betrifft sie sehr stark."
Thorongil und Eayan nickten zustimmend, und Edrahil fuhr fort: "Ich habe allerdings zuerst eine Frage an euch, Eayan, über denjenigen, dem Saleme zu dienen scheint."
"Es ist nicht Mordor, in diesem Punkt bin ich mir sicher - auch wenn derjenige keineswegs unser Freund zu sein scheint", sagte Eayan, ohne dass sich eine Regung in seinem Gesicht zeigte. "Und nach dem wenigen was ich herausfinden konnte, kommt er nicht aus Harad oder noch südlich davon, und vermutlich ebenfalls nicht aus dem Osten."
"Damit bleibt nur der Norden", meinte Edrahil, und rieb sich die Stirn. "Er kommt nicht aus Gondor, davon wüsste ich - wenn nicht, müsste ich den Beruf wechseln." Er überlegte. In Rohan gab es niemanden mit ausreichender Macht um Saleme kontrollieren zu können, und die Elben schienen sich nicht für die Länder südlich von Gondor zu interessieren... bis vor einiger Zeit ja nicht einmal für Gondor selbst. Außerdem glaubte er nicht, dass sie sich so offensichtlich gegen andere Feinde Mordors stellen würden, auch wenn die Elben ihm immer ein gewisses Rätsel gewesen waren. Edrahil zog die Augenbrauen zusammen, als ihm ein Verdacht kam.
"Wir müssen einen Boten nach Dol Amroth schicken", sagte er. "Vielleicht kann Amrodin herausfinden, ob..."
Thorongil seufzte. "Wir sind alle auf einer Seite, Edrahil. Ihr müsst eure Verdacht nicht verschweigen."
Edrahil zögerte noch einen Augenblick, denn er sprach ungern über Vermutungen, für die er keine Beweise hatte. Doch Thorongil hatte Recht, sowohl er als auch Eayan hatten das Recht es zu hören. "Habt ihr von Saruman gehört, dem Zauberer und ehemaligen Herrn von Isengart?", fragte er. Thorongil nickte, doch Eayan schüttelte den Kopf und meinte: "Diese Namen sagen mir nichts. Ich habe zwar Gerüchte von den Zauberern gehört, doch nichts gesichertes."
"Ich selbst weiß von dreien", erklärte Edrahil. "Ob es noch mehr gibt, weiß ich nicht, doch Saruman wäre der einzige, der als Salemes Meister in Frage kommt. Früher stand er auf unserer Seite, doch dann wandte er sich gegen unsere Verbündeten. Soweit ich weiß führt er nun Krieg gegen Sauron, denn er hasst Mordor und die Freien Völker gleichermaßen."
Eayan strich sich langsam über das Kinn, während er nachdachte. "Diese Haltung würde auch zu Saleme passen, denn sie arbeitet sowohl gegen Mordor als auch gegen uns. Eure Vermutung könnte sich als richtig erweisen, Edrahil, doch es bleibt die Frage, was das für uns bedeutet."
"Für den Augenblick nicht viel", erwiderte Edrahil. "Saruman ist außerhalb unserer Reichweite, doch immerhin wüssten wir, mit wem wir es zu tun haben."
"Ihr solltet einen Vogel mit der Botschaft nach Dol Amroth schicken", beschloss Thorongil, dem Edrahil als Herr des Turmes in diesen Dingen mindestens ein Mitspracherecht einräumte. "Lasst eure Leute dort nach einer Verbindung zwischen Saruman und Saleme suchen."

Edrahil machte sich eine kurze Notiz auf einem Fetzen Papier, und sagte dann: "Ihr habt Karnuzîr trotz allem am Leben gelassen. Ich nehme an, ihr seht noch einen Verwendungszweck für ihn?"
"Ich habe ihm bereits viele hilfreiche Informationen entlockt", antwortete Thorongil. "Aber ich denke, dass er uns noch mehr Wissen bieten könnte, vielleicht sogar über seine Verwandte in Mordor."
"Unwahrscheinlich, dass er uns mehr erzählen kann als Aerien", warf Eayan ein. "Soweit ich weiß, ist er nicht in Mordor geboren worden, und ist eher ein Diener Suladâns als einer von Mordor."
"Das denke ich ebenfalls", stimmte Edrahil ihm zu. "Deswegen glaube ich, dass er uns einiges über Suladâns Hof erzählen könnte. Und außerdem... ihr habt all seine Begleiter getötet, also weiß niemand außer uns, dass er sich in unserer Gewalt befindet. Das könnten wir vielleicht zu unserem Vorteil nutzen, und ihn für unsere Zwecke benutzen."
Thorongil hatte sich ein Stück vorgebeugt, und auch Eayan lauschte offensichtlich interessiert.
"Wenn wir ihn dazu bringen uns zu helfen, auf die eine oder andere Art, könnte er uns an Suladâns Hof bringen - vielleicht sogar nach Durthang oder in den Dunklen Turm selbst."
Thorongil verzog das Gesicht. "Und wie wollt ihr ihn dazu bringen? Ich glaube nicht, dass er im Augenblick sonderlich geneigt ist die Seiten zu wechseln, nicht nach den... Gesprächen, die ich mit ihm geführt habe."
"Mit Schmerzen werden wir diesbezüglich sicherlich nicht weit kommen. Er könnte zum Schein tun was wir wollen, und uns im entscheidenden Moment verraten", meinte Edrahil nachdenklich. Karnuzîr für ihre Zwecke zu benutzen bot gewaltige Möglichkeiten - aber auch mindestens ebenso große Risiken. "Wir müssen ihm einen Grund geben, uns nicht zu verraten. Zum Beispiel Aeriens Hand, die er ja anscheinend anstrebt."
"Das würde Narissa niemals zulassen", widersprach Eayan. "Und Aerien selbst ebenso wenig."
"Was wir damit erreichen könnten, ist ein paar verletzte Gefühle wert", gab Edrahil emotionslos zurück. "Wir können uns es nicht leisten, uns von einer Laune zweier junger Mädchen ablenken zu lassen."
Thorongil hatte sich erneut vorgebeugt, und die Hände auf den Tisch gelegt. "Vorsicht, Edrahil. Schließt nicht von euch selbst auf andere, nicht jeder ist in der Lage solche Entscheidungen zu treffen und damit zu leben", sagte er leise, und seine Augen funkelten gefährlich. "Und außerdem sprechen wir hier von meiner Nichte, und ich werde nicht verantworten dass sie und Aerien auseinander gerissen werden müssen um unsere Ziele zu erreichen."
"Jeder von uns muss Opfer bringen, um...", begann Edrahil, doch Thorongil unterbrach ihn. "Sie bringen genug Opfer, wenn wir sie tatsächlich nach Mordor schicken. Nein, Edrahil, wir werden einen anderen Weg finden."
Edrahil hob abwehrend die Hände. Er würde seinen Plan nicht aufgeben, doch jetzt darauf zu bestehen schien ihm der falsche Weg zu sein. "Also gut, wir werden sehen", sagte er, stand auf und ging erneut zur Tür.
Er hatte kaum Laedris' Namen gerufen, als das Mädchen bereits vor ihm stand. "Wenigstens auf die kann man sich verlassen", sagte er mit einem Seufzen. "Würdest zu bitte nachsehen, ob diese beiden unverantwortlichen Mädchen sich auf dem komplizierten Weg den Turm hinab zu meinem Zimmer verlaufen haben?"
Laedris nickte und antwortete: "Sofort, Meister. Sie werden wohl einige Zeit zum Umziehen gebraucht haben..."
Edrahil verdrehte die Augen, und schloss die Tür wieder. Er wollte gar nicht so genau wissen, warum Narissa und Aerien sich umziehen mussten.

Glücklicherweise mussten sie nicht lange warten. Eayan und Thorongil  unterhielten sich  leise über irgendetwas, während Edrahil ungeduldig am Fenster stehen geblieben war und hinausblickte. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und die ersten Sterne schienen am Himmel und spiegelten sich auf der in dieser Nacht beinahe spiegelglatten Oberfläche des Meeres. Der Anblick ließ Edrahil zurückdenken an eine Zeit vor über vierzig Jahren, an seine Jugend an der Küste von Belfalas. Damals hatte er an solchen Abenden lange am Strand gesessen und auf das Meer hinausgeblickt, auch wenn er früh am nächsten Morgen wieder mit seinem Vater zum Fischen hinausfahren musste. Er hatte sich ausgemalt, welche Abenteuer er später, wenn er erwachsen war, draußen auf dem Meer erleben und welche exotischen Länder er besuchen würde. Nichts von dem, was er sich damals erträumt hatte war eingetreten, und inzwischen war er zu alt für solche Träumereien.
Edrahil wurde aus seinen Gedanken gerissen, als es beinahe zaghaft an der Tür klopfte. Offenbar hatte Eayan die Schritte auf der Treppe gehört, denn er war bereits dort und öffnete die Tür. Nacheinander traten Aerien und Narissa ein, wobei Aerien Thorongils Nichte leise zuflüsterte: "Ich bekomme den Geschmack von dem Wasser einfach nicht aus dem Mund... ich hätte nicht gedacht, dass es so salzig sein kann."
Edrahil verschränkte die Arme vor der Brust und sagte kühl: "Ich bin sicher, das Meer hält noch viele faszinierende Erkenntnisse für euch bereit. Doch für den Moment solltet ihr andere Sorgen haben."
Aerien schwieg, senkte den Blick aber nicht und errötete auch nicht. Narissa erwiderte seinen Blick ebenfalls standhaft und mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen, und erwiderte: "Der Krieg wird schon nicht weglaufen - und die Welt wird nicht untergehen, weil wir versuchen nebenher ein wenig zu leben."
"Zum Leben ist genug Zeit, wenn Sauron besiegt ist", entgegnete Edrahil ohne sich zu rühren. Für euch zumindest. "Ihr seid alt genug und solltet genug erlebt haben, um das zu verstehen."
"Wir haben wahrscheinlich mehr erlebt als ihr", gab Narissa zurück, ohne ihren Blick auch nur einen Fingerbreit zu senken. "Vielleicht solltet ihr mal losziehen in die Welt, anstatt nur hier oder in Umbar herumzusitzen und Ränke zu schmieden."
Edrahil konnte seinen Zorn nur mühsam zurückhalten, doch gleichzeitig beeindruckte ihn ihre Sturheit irgendwie. In der Zeit die er brauchte, um sich eine Antwort zu überlegen - was nicht oft so lange dauerte - schritt Thorongil ein. "Genug", sagte er scharf. "Narissa, du wirst dir anhören was Edrahil zu sagen hat. Und ihr werdet demnächst pünktlicher kommen, wenn er oder ich nach euch rufen lassen."
Narissa erwiderte den Blick ihres Onkels mit rebellischer Mine, sagte jedoch nichts nachdem Aerien unauffällig ihre Hand ergriffen und gedrückt hatte.
"Also schön", sagte Edrahil. Er hatte sich nicht von seiner Position am Fenster wegbewegt, und alle wandten sich ihm zu. "Aerien, wie gut kennst du dich in Mordor aus?"
Aerien, offensichtlich von seiner direkten Frage überrumpelt, rührte sich ein wenig unbehaglich. "Nun, ich... ich selbst war bislang nur im Norden unterwegs, zwischen Durthang und... Minas Morgul. Aber ich habe viel über den Rest des Landes gehört und gelesen, und auf Karten gesehen. Also... recht gut, denke ich." Es war offensichtlich, dass das Thema ihr unangenehm war, doch sie hatte ohne großes Zögern und präzise geantwortet, und das ließ Edrahil hoffen.
Er sah ihr fest in die grauen, beinahe silbrigen Augen, und fragte: "Würdest du jemals dorthin zurückgehen?" Augenblicklich erbleichte Aerien, und bewegte nur stumm die Lippen anstatt zu antworten. Allein der Gedanke schien ihr schwer zuzusetzen, und Edrahil verfluchte Karnuzîr stumm dafür. Ohne seine Einmischung wäre es wohl deutlich einfacher gewesen, Aerien dazu zu überreden. Narissa legte Aerien einen Arm um die Schultern und sagte mit deutlichem Vorwurf in der Stimme: "Das war nicht sonderlich taktvoll, Edrahil."
"Taktvoll zu sein ist im Augenblick nicht meine größte Sorge... und es war ohnehin nie eine meiner Stärken", gab er zurück. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass seine Frage Aerien einen Schock versetzen könnte, doch es musste sein. "Aerien, du weißt wen Sauron in Barad-Dûr gefangen hält." Jedes einzelne dieser Worte schien Aerien wie ein Hammerschlag zu treffen, doch als Edrahil ausgesprochen hatte, nickte sie langsam.
"Aragorn. Ich bin... nur seinetwegen bin ich hier. Er hat mir den Mut gegeben, Mordor und... meine Familie zu verraten."
"Den Mut den er dir gegeben hat, könnte er einem ganzen Volk geben", erklärte Edrahil ruhig. Er hätte es lieber gesehen, wenn der Erbe von Gondor am Schwarzen Tor gefallen und das Haus Dol Amroth die Macht über den Rest von Gondor erlangt hatte, doch solange Elessar am Leben war, würde er der rechtmäßige König sein, und Imrahil würde sich niemals gegen ihn stellen. Und außerdem hatte Edrahil erkannt, wie sehr Isildurs Erbe die Männer Gondors ermutigen konnte, und genau das war es, was sie brauchten um Mordors Streitkräften weiterhin zu widerstehen. Er sprach weiter: "Und außerdem, solange der rechtmäßige König von Gondor sich in Saurons Gewalt befindet, hat er ein mächtiges Unterpfand gegen Gondor in der Hand. Selbst wenn es an anderen Fronten nicht gut für ihn läuft, kann er sich mit dem Leben Elessars unser Stillhalten erkaufen, und ohne die Macht Gondors und Rohans wird es keinen Sieg gegen Mordor geben."
"Und ihr wollt, dass ich nach Mordor gehe und ihn befreie." Aerien fragte nicht, es war eine Feststellung.
"Das ist die Idee", bestätigte Thorongil, obwohl ihm sichtlich unwohl bei der Sache war.
"Ich muss... darüber nachdenken", meinte Aerien, und Edrahil nickte, nachdem er einen Blick mit Eayan und Thorongil gewechselt hatte. "Das ist dein Recht", sagte er. "Denke sorgfältig darüber nach, doch nicht zu lange."
"Augenblick mal", mischte Narissa sich ein. "Ihr wollt sie doch nicht allein wegschicken? Nach Mordor?"
Edrahil lächelte, denn ihre Reaktion kam gänzlich erwartet. "Natürlich nicht", erwiderte er. "Du wirst sie begleiten."
"Ich werde...", begann Narissa, brach dann aber ab als ihr klar wurde, was Edrahil gesagt hatte. Sie warf einen unsicheren Blick zu Thorongil, der nur hilflos die Hände ausbreitete und sagte: "Es gefällt mir nicht, dich einer solchen Gefahr auszusetzen - oder Aerien. Aber Aerien ist die einzige von uns, die sich in Mordor auskennt, und du bist die einzige hier, die noch die volle Ausbildung meines Vaters genossen hat."
"Außer dir", meinte Narissa, und Thorongil nickte. "Außer mir, und ich habe mit Sicherheit mehr Erfahrung als du. Und dennoch... ich kann nicht gehen, du aber schon. Und außerdem..." Er lächelte schwach. "Ich glaube nicht, dass irgendjemand dich davon abhalten könnte, sollte Aerien sich entscheiden zu gehen."
Narissa verschränkte die Arme, schob die Unterlippe vor und erwiderte: "Natürlich nicht." Der Blick, denn Aerien ihr zuwarf war eindeutig verliebt, und für einen winzigen Moment verspürte Edrahil einen Stich seines Gewissens, dass er diese Verbindung so schamlos ausnutzte. Doch der Moment ging schnell vorbei, und er sagte: "Denkt darüber nach. Und wenn wir eure Antwort haben, werden wir Pläne machen."
Als weder Narissa noch Aerien sich rührten, seufzte er und fügte mit einem unwirschen Wink hinzu: "Nun geht schon, ich bin sicher ihr habt noch irgendwelche Dummheiten vor, bevor ihr euch ernsthafte Gedanken machen könnt..."

Fine:
Während Edrahil, Thorongil und Eayan im Raum blieben (um offenbar weitere Pläne zu schmieden) kehrten Narissa und Aerien in das Dachzimmer zurück, welches sie seit ihrer Rückkehr nach Tol Thelyn gemeinsam bewohnten.
"Also," sagte Narissa und ließ sich auf das Bett fallen. "Was hältst du davon?"
Aerien war ans Fenster getreten und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Über der stillen See war der Mond aufgegangen, der mit jeder Nacht voller wurde. "Ich weiß nicht recht," sagte sie schließlich. "Hättest du mich in Qafsah gefragt, ehe wir Karnuzîr und dem Nazgûl begegnet waren, hätte ich gesagt: Ich würde dir überall hin folgen, selbst in die Schatten Mordors. Und ich wünschte, es wäre noch immer so. Aber..."
"Es ist seitdem viel passiert," wandte Narissa leise ein. "Es gab da.... einige... schöne Augenblicke... du weißt, was ich meine." Aerien konnte aus ihrer Stimme heraushören, dass Narissa gerade etwas rötlich im Gesicht sein müsste. "Aber ich weiß auch, was du meinst. Die Sache mit Karnuzîr war... übel. Ich kann noch immer nicht recht glauben, dass du tatsächlich in Betracht gezogen hast, seine Frau zu werden."
Aerien wandte den Blick von den Weiten Belegaers ab und drehte sich um, einen ernsten Ausdruck im Gesicht. "Ich hatte alle Hoffnung aufgegeben. Das war ein Fehler, das weiß ich jetzt."
"Und ob das ein Fehler war. Du hättest wissen sollen, dass ich dich nicht aufgeben würde," warf Narissa hastig ein. "Niemals."
"Ja, ich hätte nicht daran zweifeln dürfen. Aber in der Lage, in der ich mich befand, habe ich versucht, das Beste daraus zu machen. Eine Flucht wäre sinnlos gewesen - ich war unbewaffnet und umgeben von Karnuzîrs Wächtern. Also musste ich mich der Tatsache stellen, dass er mich nach Mordor bringen würde. Um Serelloths Leben zu retten befolgte ich seine Anweisungen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich von ihm erdulden musste.... er hat mich angefasst, Rissa, er hat..." sie brach ab als die Erinnerungen zu schmerzhaft wurden und unterdrückte die Tränen, die ihre Augen zu füllen drohten.
Sofort war Narissa aufgesprungen und war bei ihr. "Du bist jetzt in Sicherheit. Was auch immer dieser Bastard getan hat - wir werden es ihm heimzahlen." Sie schloss Aerien in eine enge Umarmung. "Wenn er dich auch nur einmal unsittlich berührt hat, werde ich ihm seine Hände persönlich abhacken. Ich verspreche es dir."
"Das wird die Erinnerungen nicht auslöschen," stellte Aerien leise klar. Sie kam sich in diesem Moment unendlich schwach und verletzlich vor, und hasste sich dafür. Sie wollte vor Narissa keine Schwäche zeigen - und Tränen schon gar nicht.
"Vielleicht nicht - aber es wird sich gut anfühlen," meinte Narissa grimmig. "Ich glaube, ich weiß, worauf du hinaus möchtest. Dank Karnuzîr bist du dir jetzt nicht mehr sicher, ob du es wirklich ertragen könntest, nach Mordor zurückzukehren."
Aerien nickte langsam und setzte sich auf die Bettkante. Narissa sank neben ihr auf die Matratze und legte die Decke um Aeriens Schultern. "Ich habe immer gedacht, ich wäre stark und mich könnte nichts erschüttern. Ich hatte nie Angst vor irgendetwas, verstehst du? Mein ganzes Leben habe ich gelernt, den Anschein aufrecht zu erhalten und nach außen hart und unnahbar zu wirken. Unerschrocken. Durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Das hat mir mein Vater oft genug gesagt. Halte deine Augen stets offen! hat er gesagt. Bewahre die Ruhe! Aber wie kann ich die Ruhe bewahren, wenn da all diese Gefühle sind, die ich nie gekannt habe? Ich will sie nicht einfach unterdrücken oder verbergen. Ich will dir zeigen, was in mir steckt, Rissa. Und ich will stark für dich sein. Ich will mit dir nach Mordor gehen... auch wenn mir dafür noch die Kraft fehlt."
Anstatt einer Antwort drückte Narissa Aeriens Hand und zog sie an sich. "Du bist stark genug für mich - schon immer," sagte sie dann leise. "Etwas Ruhe wird dir für's Erste ganz gut tun, schätze ich. Morgen ist ein neuer Tag, hm? Und denk dran: du besitzt eine Stärke, die du dir selbst nicht zugestehst. Nutze sie."
"Wo war diese Stärke, als der Nazgûl mich in seinem stählernen Griff hatte? Wo war sie, als Karnuzîr mich gefangennahm?" erwiderte Aerien traurig. "Du hast nicht gesehen, was ich in den grausamen Augen sah, die mich aus der Leere unter der Kapuze dieser... Kreatur aus anstarrten." Ein Schauer fuhr ihr über den Rücken, ehe sie weitersprach. "Tod und Verderben, Rissa. Mordor wird unser Tod sein, wenn wir nicht darauf vorbereitet sind."
"Das ist eine gute Idee," entgegnete Narissa. "Wir werden uns so gut vorbereiten, wie sich noch niemand in Mittelerde vorbereitet hat. Koste es was es wolle. Wir werden bereit sein, hörst du? Wir werden es schaffen."
Aerien schwieg für einen Augenblick. In ihr regte sich etwas, aufgeweckt durch Narissas Optimismus. "Versprichst du es mir?" fragte sie leise.
"Mordor wird nicht unser Ende sein. Das verspreche ich dir," sagte Narissa feierlich. "Schlaf' jetzt. Morgen beginnen wir mit den Vorbereitungen."

Eandril:
Nachdem auch Thorongil und Eayan den Raum verlassen hatten, blieb Edrahil noch einen Augenblick am offenen Fenster stehen und blickte auf das nächtliche Meer hinaus. Dann wandte er sich ein wenig widerwillig ab, und ging ebenfalls zur Tür. Er stieg langsam die Treppe ein Stockwerk hinunter, und betrat dort das kleine Zimmer, dass im Augenblick Serelloth bewohnte. Das junge Mädchen war noch wach, saß halb aufgerichtet im Bett und las im Licht einer kleinen Lampe in einem ein wenig staubigen Buch. Als sie Edrahil hereinkommen hörte, ließ sie das Buch sinken und sagte lächelnd: "Edrahil! Diese Geschichten sind wirklich spannend, ich hätte nie gedacht, dass Bücher so interessant sein können."
Edrahil erwiderte das Lächeln, und setzte sich auf den hölzernen Stuhl neben Serelloths Bett. Nachdem ihre Wunde einigermaßen verheilt war, hatte das Mädchen begonnen, sich zu langweilen und sich mit Sorgen um Aerien und Narissa zu quälen. Also hatte Edrahil sie hin und wieder besucht, um sich mit ihr zu unterhalten und sie ein wenig abzulenken - und, auch wenn er sich das nur ungern eingestand, sich selbst auch. Bei diesen Gelegenheiten hatte er einiges über Serelloth erfahren, über ihr Leben in Ithilien unter den Waldläufern, den Auftrag, der sie nach Harad geführt hatte, und über alles was sie mit Aerien und Narissa erlebt hatte. Er selbst hatte sich hin und wieder dabei ertappt, dass er, von Serelloths Offenheit angesteckt, mehr über sich preisgegeben hatte als er eigentlich wollte. So war sie die bislang einzige, der er verraten hatte, dass er die Hoffnung, in Harad eine Spur seines Sohnes zu finden, noch immer nicht aufgegeben hatte.
Er konnte jedoch nicht den ganzen Tag bei Serelloth sein und mit ihr sprechen, also war er zu Bayyin in den Keller hinunter gestiegen, und hatte sich von ihm eine Sammlung von Geschichten und Legenden aus Harad und Gondor, die irgendein gelehrter Turmherr vor langer Zeit gesammelt hatte, geben lassen. Als er Serelloth das Buch gebracht hatte, hatte diese es zunächst misstrauisch beäugt, und war nicht wirklich begeistert gewesen. Bücher und Geschichten hatten in ihrem kurzen Leben bislang keine Rolle gespielt, sondern waren etwas für Gelehrte wie Bayyin gewesen. Doch offensichtlich hatten die Geschichten Serelloth doch noch für sich einnehmen können, denn bei seinen Besuchen fand Edrahil sie oft lesend vor - wie auch jetzt.
"Nun, ich habe es doch gesagt", erwiderte Edrahil. "Meistens lohnt es sich, auf mich zu hören." Serelloth schnaubte. "Jaja, ihr habt immer Recht."
"Leider nicht immer", meinte Edrahil. "Wenn ich immer Recht hätte, wäre Hasael jetzt nicht mehr Fürst von Umbar, aber... lass uns über etwas anderes reden. Was für eine Geschichte ließt du?"
"Eine Legende aus dem Osten", begann Serelloth. "Darin kommt ein Drache aus dem Norden in das Reich Kush, und verwüstet das Land. Jetzt gerade kommt Anlam, ein großer Krieger, in die Hauptstadt, und bietet an den Drachen zu töten, wenn er danach die Tochter des Königs zur Frau bekommt, und zu seinem Nachfolger ernannt wird."
"Ich kann mir denken, wie es ausgeht", sagte Edrahil, doch Serelloth hob die Hand. "Nein, erzählt es mir nicht", bat sie. "Ich will es selbst lesen."
Edrahil zog eine Augenbraue in die Höhe, sagte aber nichts mehr dazu. Stattdessen wechselte er das Thema. "Was würdest du davon halten, nach Hause zu gehen - nach Ithilien, zu deinem Vater?"
"Ich..." Serelloth stockte, und blickte ihn misstrauisch an. "Ihr wollt mich loswerden? Sobald ich kräftig genug zum Reisen bin?"
"Sobald du kräftig genug zum Reisen bist, ja", bestätigte Edrahil, fügte aber hinzu: "Und es hat nichts damit zu tun, dass ich dich loswerden möchte - oder sonst jemand auf dieser Insel." Ganz im Gegenteil, hätte er beinahe hinzugefügt. Serelloth war, neben Minûlîth, die einzige Person mit der er gerne offen sprach, und Minûlîth wandte zur Zeit viel Zeit für Thorongil und ihren Sohn auf.
"Wir brauchen Kontakte nach Gondor - und nicht nur über Briefe", erklärte er. "Und Dol Amroth muss die Verbindung nach Ithilien wieder aufnehmen, denn alleine wird niemand überleben können. Und da dein Vater der Anführer der Waldläufer dort ist, bist du dazu besser geeignet als sonst jemand."
"Hm... wenn ihr meint...", erwiderte Serelloth, sah allerdings nicht wirklich überzeugt aus. Edrahil seufzte, und nahm ihre Hand, die auf der Bettdecke lag, in seine. "Du möchtest weiterhin mit Aerien und Narissa gehen, nicht wahr?"
"Ihr habt schon wieder Recht", antwortete Serelloth mit einem unglücklichen Nicken. "Das, was passiert ist, ist meine Schuld, und jetzt will ich ihnen helfen. Bei was auch immer sie tun werden."
"Der Weg, den diese beiden gehen werden - vermutlich - ist ein sehr dunkler, und sie müssen ihn alleine gehen", sagte Edrahil ruhig. "Und wenn du nach Ithilien gehst, kannst du uns allen helfen - auch Aerien und Narissa."
Er stand auf, und Serelloth sagte leise: "Also... ich werde darüber nachdenken. Ich vermisse meinen Vater ja auch, und er wird sich schon Sorgen um mich machen, aber..."
"Du hast Angst, dass deine Freundinnen glauben, du würdest sie im Stich lassen wollen?"
"Ja... genau wie damals, nach... Qafsah." Serelloth sprach den Namen der Stadt aus, als würde er ihr Schmerzen bereiten, und Edrahil wusste, warum.
"Sie werden es verstehen, wenn du mit ihnen darüber sprichst. Und ich glaube, sie wissen selbst, dass sie ihren Weg alleine gehen werden müssen." Edrahil wandte sich zum Gehen, doch als er an der Tür war, wandte er sich noch einmal um und sagte: "Serelloth - wenn ich ehrlich sein soll, wäre es mir lieber, wenn du nicht gingst. Aber es muss sein." Er zog sanft die Tür hinter sich zu, und sah sich im dunklen Flur plötzlich Minûlîth gegenüber.

"Der finstere Edrahil hat also doch das ein oder andere Gefühl", sagte sie spöttisch, und bot ihm ihren Arm an. "Geh ein Stück mit mir, ja?" Edrahil ergriff den Arm bereitwillig, und ging mit ihr die Treppe hinunter. "Wenn ich jemals eine Tochter gehabt hätte, hätte ich sie mir wie dieses Mädchen gewünscht", gestand er freimütig. Er war an Minûlîths gelegentlich spöttische Bemerkungen gewöhnt, und sie machten ihm nicht aus. Sie verließen den Turm, und gingen langsam den Weg, der zum Hafen hinunterführte, entlang. "Wie kommt es, dass du Serelloth gegenüber so... anders sein kannst, als gegenüber Narissa, oder Aerien?", fragte Minûlîth schließlich, und Edrahil blickte zum Himmel, an dem der Mond wie eine halbe silberne Münze hing. "Ah", machte er, und blieb stehen. "Darum geht es dir also."
"Darum geht es mir", gab Minûlîth zurück, und befreite ihren Arm. Trotz der Dunkelheit erkannte Edrahil mühelos, dass sie ganz und gar nicht zufrieden mit ihm war. "Du willst sie nach Mordor schicken?"
"Nicht ich", wehrte Edrahil ab. "Wir. Weder Eayan noch Thorongil waren anderer Meinung als ich. Und außerdem haben wir ihnen Gelegenheit gegeben, selbst darüber zu entscheiden."
"Und vorher dafür gesorgt, dass die Entscheidung in deinem Sinne ausfällt?", fragte Minûlîth verächtlich, und Edrahil schüttelte den Kopf. "Ich habe ihnen nur dargelegt, warum es unserer Meinung nach sein muss."
"Und Aerien mit Karnuzîr zu verheiraten, muss das auch sein?" Minûlîths Stimme klang kalt, und Edrahil schwieg einen Augenblick lang. "Thorongil scheint dir wirklich alles erzählt zu haben", sagte er schließlich langsam, und Minûlîth nickte heftig. "Im Gegensatz zu dir scheint er mich nicht vergessen zu haben. In Umbar waren wir Verbündete, Edrahil. Wir haben zusammen gearbeitet, nicht heimlich jeder für sich alleine. Ihr hättet mich wenigstens nach meiner Meinung fragen können!"
Edrahil öffnete den Mund, um sich zu verteidigen, schloss ihn allerdings wieder ohne etwas zu sagen, was nicht oft vorkam. Weiter im Inneren der Insel stieß ein Nachtvogel klagende Laute aus, während sie schwiegen. Schließlich sagte er: "Das hätten wir tun sollen. Verzeih mir, Minûlîth."
Minûlîth schien einen Moment zu brauchen, um seine Reaktion zu begreifen. "Einfach so?", fragte sie dann. "Du entschuldigst dich und gibst mir Recht? Einfach so?"
Edrahil zuckte mit den Schultern. "Manchmal habe ich Unrecht. Und ganz selten bin ich sogar in der Lage, das einzusehen. Und du hast Recht, es ist nicht richtig gewesen, dich zu übergehen. Immerhin bist du noch immer Minûlîth aus dem Haus Minluzîr und die Herrin von Tol Thelyn."
Ein Grinsen breitete sich auf Minûlîths Gesicht aus, als sie erwiderte: "Wer seid ihr, und was habt ihr mit meinem Freund Edrahil gemacht?"
Mit großer Mühe zwang Edrahil sich dazu, das Grinsen nicht zu erwidern, und sagte stattdessen: "Die Nacht scheint eine gute Zeit für Ehrlichkeit zu sein. Aber warte bis morgen, dann wird der finstere Meister Edrahil zurück sein."
Minûlîth lachte, und fragte dann wieder ernst: "Und was ist nun mit Aerien und Karnuzîr? Ganz davon abgesehen dass es dir niemals gelingen würde, sowohl Aerien als auch Narissa davon zu überzeugen, könnte alleine der Versuch..."
"Es war nur ein Gedanke", unterbrach Edrahil sie. "Kein besonders schöner, und ich denke auch, dass er keinen Sinn hat. Ich werde einen anderen Weg finden müssen."

Während sie zum Turm zurückgingen, kam ihm ein anderer Gedanke. "Kush", sagte er. "Das Reich gibt es nicht mehr, doch heute liegt dort ein anderes Königreich... Kerma?"
"Richtig", meinte Minûlîth. "Aerien und Narissa sind seinem König Músab in Aín Sefra begegnet. Wie kommst du darauf?"
"Serelloth hat eine Geschichte über das alte Kush gelesen", erklärte Edrahil. "Und das brachte mich darauf, dass wir Verbündete brauchen - und in Kerma könnten wir anfangen."
"Das könnte gelingen", erwiderte Minûlîth. "Immerhin ist König Músab mit Aerien verwandt. Die Schwester von Aeriens Großvater, der übrigens die Schwester meines Großvaters geheiratet hatte, ist Músabs Mutter."
"Hm", machte Edrahil, und strich sich nachdenklich über das Kinn. "Vielleicht sollten sie bevor sie nach Mordor gehen, einen Umweg machen..."

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