Die Aufforderung ging ihm durch Mark und Bein. Algarân räusperte sich und brauchte drei Versuche um seinen Namen zu sagen.
"Aglarân?" Die kühle Stimme der Frau wiederholte den Namen öfters und ließ ihn dabei zergehen, wie eine exotische Frucht, "Das ist adunaisch." Keine Wertung, nur eine nüchterne Feststellung, dennoch kribbelten alle seine Sinne und schrien vor Gefahr.
"Ja", bestätigte er tonlos und hob den Blick, wobei er die spitzen Schulterpanzer der Fremden erblickte. Sie waren ebenfalls in einem dunklen Blau gehalten. Er mied dem Blick zum Gesicht und machte sich innerlich darüber lustig, dass er unter dem Auge selbst gedient hatte und sich nun vor einer Fremden in einer Eishöhle fürchtete.
"Gibt es noch mehr wie dich? Was wollt ihr in meinen Landen?" Die Schärfe in der Stimme nahm deutlich zu und ließ ihn abwehrend die Hände heben. Irgendwo im Saal klirrten Waffen.
"Ich versichere Euch, ich bin nicht freiwillig hier", antwortete er langsam und vorsichtig.
"Ich glaube dir, denn ich erkenne einen Diener der Finsternis, wenn ich ihn sehe", erklang sofort die Antwort und die Schicht aus Schnee auf dem Saum des Kleides der Frau zerbrach, als sie einen Schritt nach vorn machte. Ein kühler Hauch ging von ihr aus, der ihn einen Schritt zurückmachen ließ, während sie sprach: "Richte deinem Herrn aus, dass er hier nur den Tod finden wird. Jeder Lakai wird von uns vernichtet, wie wir es schon seit Jahrtausenden tun. Jeder Sklave der einen Fuß in unseres Land setzt wird befreit und jeder verletzter Wanderer gerettet. Hier hat die Dunkelheit keinen Platz."
Zorn kochte in Aglarân hoch und er blieb stehen, während die Fremde noch weiter auf ihn zuging. "Ich bin niemandes Sklave und kein Bote. Ich mag zwar in die Gewänder der Finsternis gehüllt sein, doch bin ich mein eigener Herr."
"Bist du das wirklich?" Die kühle Stimme wisperte an ihn heran, schien plötzlich hinter ihm zu sein, "Du denkst, du bist dein eigener Herr? Was hast du denn erreicht? Du bist nur ein jämmerlicher Befehlsempfänger wie jeder Andere unter der Fuchtel des Auges."
"Lügen!", begehrte Aglarân auf und ballte die Faust, "Ich habe zwei Kinder gerettet und werde nicht mehr nach Mordor gehen."
"Nimm diesen Namen hier nicht in den Mund!" Die Temperatur fiel bedeutsam, sodass sein Atem nun in großen Wolken vor seinem Mund stand, "Ich sehe Furcht und Zerrissenheit in dir. Du kannst froh sein, dass dich meine Wächter nicht getötet haben, so wie die anderen beiden jämmerlichen Menschen."
Aglarân blickte zu ihr auf und starrte in eisblauen Augen. Sie war bis auf wenige Meter an ihn herangekommen, deutlich konnte er verschlungene Zeichen auf der bleichen Haut erkennen, die sich von dem Kinn, über die Wange und Auge bis zur Stirn zogen. Er bemerkte, dass sie die Quelle der Kälte war und trat zögernd einen Schritt zurück. Es knirschte und ein rascher Blick verriet ihm, dass die Wasserläufe allesamt eingefroren waren, selbst der Wasserfall in der Kammer vor dem Saal war verstummt.
"Was ist mit meinem Freund, die Katze?", fragte Aglarân plötzlich und entlockte der Fremden erstmalig eine Regung, denn eine Augenbraue zuckte.
"Du stehst vor einem tödlichen Feind und kümmerst dich um ein Tier?", fragte sie mit einer Spur von Belustigung in der Stimme, "Doch zeigt es mir, dass du nicht komplett in der Dunkelheit gefangen bist."
Die Kälte nahm ab und die Fremde schien auf das Podest zurückzuschweben. In der Ferne setzte wieder das Rauschen des Wasserfalls ein.
"Sie und die Trägerin sind unversehrt. Der andere Kerl hat versucht einen Wächter anzugreifen und wurde bestraft, ihn wirst du nicht mehr wiedersehen. Nun verrate mir, was dich in mein Land getrieben hat."
Aglarân atmete etwas erleichtert auf und ließ es zu, dass er die Sorgen um die Katze verschwinden ließ. Nach kurzen Überlegen antwortete er auf die Frage und berichtete über die Pläne Saurons, ohne ihn beim Namen zu nennen, wie er das Graue Gebirge kontrollieren sollte und eine mögliche Bedrohung. Er wurde kein einziges Mal unterbrochen und endete schließlich mit der Flucht durch die Tunnel und seiner anschließenden Gefangennahme. Nach einer kurzen Stille sprach die Fremde: "Ich verstehe. Wir haben dich weit von dem Ort weggebracht wo du wir dich gefunden haben, aber dafür, dass du dein Leben behalten darfst, ist es ein geringer Preis. Ich habe beschlossen, dich gehen zu lassen. Deine Sorge um das Tier hat dir dein Leben gerettet, da ich eigentlich niemanden von hier fortgehen lasse, der diese Hallen erblickt. Meine Wächter werden dich noch einmal bewusstlos schlagen müssen, bevor du aufbrichst. Du hast ein paar Stunden Zeit, dann setzen wir dich am südlichsten Rand meiner Lande ab."
Aglarân deutete eine Verbeugung an und wollte schon gehen, ehe er ein Wächter ihm in den Weg trat. Die verhüllte Gestalt erschien ihm noch immer unheimlich, so wandte er sich wieder um. "Solltest du mich belogen haben, werde ich dich finden. Wirst du einem gutherzigen Wesen Schaden zufügen, folgt meine Strafe. Du findest Iva oben, schärfe ihr ein, niemals über das zu sprechen, was ihr hier gesehen habt. Das gilt auch für dich", verkündete die Fremde und entließ ihn mit einer Handbewegung.
Aglarân folgte dem Wächter durch den Saal und wurde hinausgeführt. In der Kammer mit der Spirale nach oben verschwand der Kerl in dem Saal. Es knirschte und das Tor schloss sich mit einem dumpfen Schlag. Einen Moment blieb er stehen und amüsierte sich darüber, dass eine Katze ihm das Leben gerettet hatte. Vielleicht hatte die Fremde Recht, dass nicht alles in ihm der Dunkelheit angehörte. Nachdenklich begab er sich nach oben und achtete darauf nicht auszurutschen. Am Rande des Kraters erblickte er sogleich die schlanke Gestalt der verbliebenden Söldnerin. Auf ihrem Arm lag die Katze, welche gerade ruhig schlief unter einer Decke, sodass nur der kleine Kopf hervorlugte. Nach einm Nicken zur Begrüßung sagte er:"Ich habe mit der Anführerin von diesem... Ort gesprochen. Sie lassen uns gehen, aber dafür müssen sie uns bewusstlos schlagen. Scheinbar ist es geheim."
"Dachte ich mir", flüsterte Iva überraschend, sodass Aglarân sich zu ihr drehte. Unter ihrem Schutztuch konnte er nicht ihren Mund sehen, doch anhand der freien Augen konnte er erkennen, dass sie lächelte. Auch fiel ihm auf, dass sie keinen Helm trug und ihre blonden Haare locker über die Schultern fielen.
"Habe sie dir geholfen?", fragte er beinahe ungläubig und schüttelte den Kopf. Er würde diesen Ort und die Bewohner nie verstehen. Iva nickte zögerlich und schien zusammenzuzucken, als einer der Wächter wie aus dem Nichts neben ihnen erschien. Das Wesen strahlte ebenfalls eine Kälte aus, die ihn schaudern ließ. Der leere Ärmel bewegte sich und bedeutete ihnen zu folgen. Aglarân warf Iva einen Blick zu und in ihren Augen las er blanke Furcht, die sie aber gut versteckte. Vorsichtig folgten die beiden dem stillen Wächter, der sie durch die imposante Eishalle führte. Tief im Eis hörten sie ein Rumoren, das selbst den Wächter alarmiert herumfahren ließ. Ein Knirschen folgte, dann war es wieder still und nach einigen Momenten setzte sich der Wächter wieder in Bewegung.
"Das gefällt mir nicht...", wisperte Iva hastig und folgte ihren Führer in eine Öffnung im Eis. Plötzlich standen sie in einer Höhle aus geschliffenen Stein, ein einzelner steinerner Tisch stand in der Mitte der Kaverne. Darauf befanden sich einige Lebensmittel, wie getrocknete Beeren oder andere, lang haltbare Nahrung. Als Aglarân eintrat wandte sich Iva kurz zu ihm und als sie sich gemeinsam in den Raum begaben, war de Wächter verschwunden. Einzig ein kühler Hauch ging an ihnen vorbei und ließ ihre Nackenhaare zu Berge stehen. Aglarân fluchte leise und verkündete, dass er die Dinger noch immer unheimlich fand, wobei ihm Iva stumm zustimmte. Still und nachdenklich füllten sich die beiden ihre knurrenden Mägen, auch wenn das Essen schon bessere Tage gesehen hatte, so stillte es den Hunger.
Beginn der Reise Aglarâns nach Süden