Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dol Amroth

Der Palast des Fürsten

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Eandril:
Oronêl aus der Stadt

"Ich dachte mir, dass ich dich hier draußen finden würde", sagte Mithrellas' Stimme hinter Oronêl, und als er sich umwandte stand seine Tochter im schwachen Licht der Sterne vor ihm. Von unten drang leise das Plätschern der Wellen gegen die Felsen, auf denen sich der Palast von Dol Amroth erhob, hinauf, und war für einen Augenblick das einzige hörbare Geräusch. Dann schüttelte Oronêl ein wenig resigniert den Kopf. "Ich hätte wissen müssen, dass ich hier nicht lange Ruhe finden würde. Was hat Amrothos dir erzählt?"
Mithrellas hob eine Augenbraue, und setzte sich auf die niedrige Mauer, die den Garten, in dem sie sich befanden, von der Klippe trennte. "Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem Imrazôr mich hierher brachte. Der Palast war noch gerade erst im Bau, und die Stadt war nicht viel mehr als ein Fischerdorf, kleiner als Edhellond. Nach ein paar Tagen hier gestand er mir schließlich seine Liebe und bat mich um seine Hand. Für einen so willensstarken Mann wie er war, war er dabei ziemlich kleinlaut." Mithrellas lächelte über die Erinnerung. Oronêl lächelte nicht, sondern verschränkte die Arme vor der Brust. "Du lenkst ab."
"Mag sein", erwiderte seine Tochter. "Ich habe nicht mit Amrothos gesprochen, sondern mit Irwyne. Sie war geradezu aufgelöst und verzweifelt, und da sie so etwas wie meine kleine Schwester ist, hatte ich das Gefühl, mit dir reden zu müssen. Du kannst nicht Wochen nach unserem letzten Treffen nach Dol Amroth kommen, und allen, die dich lieben, einen solchen Schrecken einjagen."
Oronêl schüttelte den Kopf, und setzte sich langsam ein Stück entfernt von ihr auf die Mauer. "Das war nicht meine Absicht. Ich... wollte mich verabschieden, denn... denn ich meine es ernst."
"Ich zweifle nicht daran, dass ein Teil von dir es ernst meint, Vater. Du bis schon immer so gewesen. Immer, wenn du dir im Inneren einer Sache nicht ganz sicher warst, hast du dich gezwungen, nach außen umso entschlossener zu wirken, um deine eigenen Zweifel verstummen zu lassen."
Oronêl wandte den Blick ab. "Du möchtest es mir ebenfalls ausreden. Ist es nicht so?"
Mithrellas lachte leise, kein besonders fröhliches Lachen. "Oh nein, das will ich nicht. Natürlich will ich nicht, dass du gehst, aber ich will es dir nicht ausreden - nicht, wenn es wirklich dein Wunsch ist, nach Westen zu fahren."
"Es ist mein Wunsch", antwortete Oronêl fest. "Es gibt also keinen Grund, noch weiter darüber zu sprechen."
"Genauso hast du damals ausgesehen", meinte Mithrellas mit einem traurigen Lächeln. "Als du aus dem Krieg des Letzten Bundes heimgekehrt warst und dich mit Mutter gestritten hast. Das war es, was Mutter dazu getrieben hat, den größten Fehler ihres Lebens zu machen."
Oronêl stockte, ließ Mithrellas aber weitersprechen. "Ich war lange Zeit wütend auf dich, doch ebenso wütend war ich auf sie. Sie hat alle Brücken hinter sich abgebrochen, und ihre Zeit in Mittelerde weggeworfen, anstatt sich ihren Schwierigkeiten zu stellen - so wie du es getan hast. Und jetzt möchtest du das Gleiche tun." Oronêl öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch seine Tochter kam ihm zuvor. "Der Grund ist nicht wichtig, Vater. Es gibt keinen Grund, aus dem man diese Welt freiwillig verlassen kann, bevor sie gerettet ist, ohne es zu bereuen. Nicht, wenn man in der Lage ist, etwas zu tun um sie zu retten, und du kannst eine Menge tun. Aber ich glaube nicht, dass ich dir etwas neues erzähle." Sie blickte Oronêl forschend an, und schließlich schüttelte er den Kopf. "Nein. Ich habe das alles schon von anderen gehört, auf andere Weise. Und ich habe diese Gedanken selbst gehabt. Und doch..."
"Der Westen läuft nicht davon, Vater", sagte Mithrellas sanft. "In Mittelerde zu bleiben mag mehr Schmerz bringen. Entsetzen, Trauer, Angst. Aber hier sind auch jene, die du liebst, deine Freunde. Im Westen erwartet dich eine Ewigkeit, ob du jetzt das Schiff besteigst oder später, selbst wenn du in der Schlacht fällst. Und irgendwann in dieser Ewigkeit wirst du bereuen, zu früh gegangen zu sein."
Oronêl schwieg, und blickte die Klippe hinab auf die Wellen, auf denen sich die Sterne spiegelten. "Ich habe Angst davor", gestand er schließlich leise. "Ich habe Angst vor dem, was hier in Mittelerde geschehen könnte. Ich habe Angst davor zu sehen, wie meine Freunde sterben, oder ihnen etwas anderes, schreckliches, widerfährt."
"Was fürchtest du mehr?", fragte Mithrellas. "Zu sehen, wie es ihnen geschieht, oder allein die Tatsache, dass es geschehen könnte?" Oronêl antwortete nicht, denn er wusste, was sie sagen wollte. Ob er in den Westen ging oder nicht, der einzige Unterschied war, dass er nicht sehen würde, wenn seinen Freunden in Mittelerde etwas zustieß - und keine Chance hätte, es zu verhindern. Die Aussicht erschien ihm keineswegs verlockend, und mit Schrecken erkannte er, dass Kerry mit beinahe allem, was sie gesagt hatte, Recht gehabt hatte.
Er blickte Mithrellas in die Augen und lächelte. "Ich... muss darüber nachdenken."
Mithrellas erwiderte das Lächeln, ergriff seine Hand und drückte sie. "Und das sollst du. Doch vorher würde ich gerne wissen, was geschehen ist, seit du Lindon verlassen hast."


Der Morgen kam mit Wolken und leichtem Regen, der Oronêl in den Palast zurücktrieb. Dort begegnete er Amrothos, der in die Rüstung eines Schwanenritters gehüllt war, und mit langen Schritten den Gang entlang eilte. Als er Oronêl entdeckte, leuchteten seine Augen auf. "Oronêl! Du bist noch hier?" Oronêl machte eine Geste, die Amrothos bedeuten sollte, weiterzugehen, und schloss sich ihm an. "Hm. Hattest du etwas anderes befürchtet?" Amrothos warf ihm einen Seitenblick zu. "Ehrlich gesagt... schon. Du warst gestern Abend in einer merkwürdigen Stimmung."
"Das stimmt wohl", gab Oronêl zu. "Aber Irwyne hat mir Mithrellas auf den Hals gehetzt, und sie hat mir einiges zum Nachdenken gegeben." Amrothos lächelte. "Ich wusste, dass sie nicht so einfach aufgeben würde."
"Hm", machte Oronêl, und wechselte dann das Thema. "Wohin gehen wir?" Amrothos blieb stehen, und das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. "Mein Vater hält Gericht über einen Freund, dessen Verlobte eine Adligen Gondors ermordet haben soll, und als Prinz von Dol Amroth wird meine Anwesenheit dabei erwartet."
"Das klingt nicht sehr angenehm", meinte Oronêl, und Amrothos schnitt eine Grimasse. "Nein. Ich glaube nicht, dass Valion ein Verräter ist, aber mein Vater... er ist sehr prinzipientreu, wie du weißt. Ich hoffe nur, dass er in diesen Zeiten über seine Prinzipien ein wenig hinwegsehen kann. Ich..." Er seufzte. "Ich wäre beinahe lieber wieder in Ethring, dort wüsste ich wenigstens, wie die Dinge stehen."
"In Ethring?", fragte Oronêl nach. "Was ist dort?"
"Wir verteidigen dort die Furten über den Gilrain, und ich war dort stationiert", erklärte Amrothos. "Doch dann ist General Hilgorn gefallen, und ich habe die Botschaft hierher gebracht. Ich bin selbst erst vorgestern eingetroffen, und... Was dort geschehen ist, hat mich davon überzeugt, die Dinge mit Irwyne zu klären, bevor es zu spät ist."
"Und das ist offensichtlich gut ausgegangen", meinte Oronêl trocken. Amrothos wirkte ein wenig verlegen und nickte, bevor er sich zu einem Lächeln zwang. "Also dann. Ich will nicht zu spät kommen, die Predigt, die ich mir anhören müsste..."
"Ich begleite dich", meinte Oronêl. Früher oder später würde er Imrahil und seinen älteren Söhnen ohnehin begegnen, also konnte es auch jetzt sein. Außerdem wirkte Amrothos insgeheim erleichtert, dass er nicht allein gehen musste...

Fine:
Valion und Lóminîth vom Hafen


Getuschel wurde laut, als man Valion und Lóminîth hinein führte. Zwar hatte man keinen der beiden gefesselt, doch acht schwer gerüstete Soldaten umringten sie und führten sie durch die große Halle der Schwanenprinzen, die voller Schaulister war. Alles was in Gondor Rang und Nahmen hatte, schien an diesem Tag anwesend zu sein. Da waren die Lehnsherren Amros, Ardamir, Elatan und Golasgil, sowie die wichtigsten Berater Fürst Imrahils. Beinahe Imrahils gesamte Familie war gekommen, Erchirion und Valirë eingeschlossen; nur die Frau des Fürsten fehlte. Prinzessin Lothíriel und ihre drei Brüder hatten neben dem erhöhten Sitz ihres Vaters Position bezogen. Bei Amrothos stand ein in Grün und Grau gekleideter Elb, der Valion vage bekannt vorkam. Es schien sich um Ladion zu handeln, wie er vermutete. Auch die Herrin Mithrellas, die Begründerin des Hauses von Dol Amroth war anwesend, hielt sich jedoch dezent im Hintergrund.
Valion und Lóminîth erreichten die vorderste Sitzreihe und man wies ihnen gesonderte Plätze direkt zur Linken des zentralen Ganges zu. Ihnen gegenüber auf der rechten Seite der Halle saßen ganz vorne jene, die die Anschuldigung vor den Thron Imrahils gebracht hatten: die Herrin Nengwen von Arandol, Gemahlin Elatans, und ihre Nichte, Magrochil. Beide warfen Valion feindselige Blicke zu.

Als sich alle auf ihren Plätzen eingefunden hatten, erklang von draußen ein lauter Glockenton, der die Mittagsstunde einleitete. Imrahil hob die Hand und das Getuschel verstummte. Der Fürst trug ein blausilbernes Gewand, die Farben seines Hauses, doch sein Umhang war schwarz und in seiner rechten Hand hielt er den Amtstab der Truchsessen Gondors. Er machte eine Handbewegung, und ein Herold trat vor, um den Hofstaat offiziell zu eröffnen. Er begann traditionell in der alten Elbensprache, ehe er zur Allgemeinsprache wechselte.
"Imrahil Adrahilion ó Amrothioní, ernil ar' arachír ó Dol Amroth, arandur connui ó Gondor, Tirn Rochondrim ó Alphriondrim - govennas gondhirrim. Im Namen des Fürsten Imrahil, Sohn des Adrahil, Fürst von Dol Amroth und Truchsess von Gondor, Herr des Silbernen Schwanes und Verteidiger des Königreiches, hört nun, ihr Menschen Gondors und Dol Amroths, den Grund dieses Treffens. Wir sind hier, um die Weisheit des Fürsten zu erbitten und für Gerechtigkeit zu sorgen. Ein Unrecht muss gesühnt werden, nach den Gesetzen unseres Volkes."
Der Herold verbeugte sich und trat beiseite.
Imrahil nickte ernst und nahm das Wort. "Recht sprechen werde ich, wie es die mir auferlegte Pflicht ist, nach den Gesetzen unseres Volkes." Er wandte sich Valion und Lóminîth zu. "Hier stehen vor euch der Lehnsherr Valion, Sohn des Amlan, Herr des Ethirs, und seine Verlobte, Lóminîth, Tochter des Azgarzîr von Umbar."
Ein Raunen ging durch die Menge. Viele hatten bereits über Lóminîths Herkunft Bescheid gewusst, doch offensichtlich nicht alle.
"Es ist mir berichtet worden, dass durch Frau Lóminîths Hand ein Adeliger unseres Volkes zu Tode kam. Desweiteren entzog Valion sich der Eskorte, die ihn nach dem Mord an meinen Hof überstellen sollte. Dies kann nicht hingenommen werden. Deshalb werden wir die Umstände darlegen und ich werde mein Urteil über sie fällen."
Lóminîth warf Valion einen Blick zu, in dem er Sorge, aber auch Zuversicht erkennen konnte. Er nahm ihre Hand und wandte sich wieder dem Fürsten zu.
"Ich rufe zunächst meinen Sohn Erchirion auf, der die Ereignisse mit eigenen Augen mitangesehen hat," sagte Imrahil, und Erchirion trat vor. Er begann, von der Reise nach Anfalas zu berichten und Valion war froh, dass Imrahil Erchirion und nicht Nengwen aufgerufen hatte. Erchirion hatte Valion von Anfang an begleitet und kannte die Umstände der Geschehnisse. Der Fürstensohn gab all das Geschehene im neutralen Ton wieder, und endete damit, dass er Lóminîth, nachdem Valion sich auf Gilvorns Spuren nach Rohan abgesetzt hatte, mit der Eskorte Nengwens nach Dol Amroth überführt hatte, wo man sie unter Hausarrest gestellt hatte.
"Ich danke dir, mein Sohn," sagte Imrahil. "Jetzt soll Valion sprechen und berichten, wie seine Reise nach Norden verlaufen ist."
Valion erhob sich und gab einen detailgetreuen Bericht seiner Jagd auf Gilvorn wieder, der damit endete, wie sie schließlich mit den Booten der Waldläufer Ithiliens nach Tolfalas gelangt waren. An vielen Stellen war erstauntes Raunen im Raum zu hören - bei der Schlacht in Anórien, bei der Befreiung aus Minas Tirith, und beim Hinterhalt in Ithilien. Als Valion geendet hatte, hob Imrahil erneut die Hand, um den Saal zum Schweigen zu bringen.
"Du hast also diesen Gilvorn, der laut deiner Aussage für die Separatistenbewegung in West-Gondor verantwortlich ist, einmal quer durch Gondor und Rohan verfolgt?" fragte Imrahil.
"Ich habe nur den Auftrag befolgt, den Ihr mir selbst gegeben habt," antwortete Valion.
Imrahil nickte leicht. "Du hast eine Frau namens Rinheryn erwähnt, die dich auf dem Großteil deiner Fahrt begleitet hat."
"Rinheryn, die Tochter des Duinhir von Morthond," ergänzte Valion. "Sie wird bestätigen, was ich erzählt habe."
Der Fürst machte eine Handbewegung, und drei Soldaten setzten sich in Bewegung, um Rinheryn zu finden. "Sucht nach Frau Rinheryn, und auch nach dem Herrn Damrod, Sohn des Bregadan, dem Anführer der Waldläufer Ithiliens. Auch seine Stimme muss nun gehört werden," wies der Fürst sie an, ehe sie gingen.
"Bringet nun den Gefangenen hervor."
Zwei Wächter zerrten den gefesselten Gilvorn herein. Valion atmete auf - er hatte bereits befürchtet, Lothíriel hätte den Verräter freigelassen, nachdem sie Valion eingesperrt hatte. Man schleuderte ihn unsanft zu Boden vor die Stufen, die zu Imrahils Sitz hinauf führten.
"Dies ist der Verräter, der für den Tod des Herrn Maecar von Nan Faerrim verantwortlich ist. Erchirions Wort hat dies bestätigt. Über sein Schicksal werde ich später sprechen," sagte Imrahil und blickte Nengwen an. "Herrin Nengwen - Ihr wart es, die die Anschuldigungen gegen Valion und Lóminîth vor mich brachtet. Ich gebe Euch nun die Gelegenheit, eine Strafe einzufordern, doch zunächst müsst Ihr die Identität des Gefangenen bestätigen, denn seine Taten haben den Verlauf der Ereignisse nachhaltig verändert."
"Er ist es," sagte Nengwen mit fester Stimme. "Er war es, der das Gift in die Ohren meines Neffens geträufelt hat. Aber," sie machte eine dramatische Pause, und blickte streng zu Valion und Lóminîth hinüber. "es war nicht er, der Maegonds Herz durchbohrt hat. Das war diese schwarzhaarige umbarische Schlange. Ich fordere ihren Tod."
Lóminîths Hand drückte Valions Finger bei diesen Worten fester, doch sie sagte nichts. Nach außen hin blieb ihr Gesichtsausdruck unverändert.
Nengwen sprach weiter. "Desweiteren fordere ich, dass Valion - und dem Hause Cirgon - der Anspruch auf die Herrschaft des Ethirs entzogen wird. Er ist eindeutig ungeeignet dafür, die Menschen für die er verantwortlich ist, von Untaten abzuhalten."
Viele Stimmen wurden nun in der Halle laut. Nengwen hatte eine deutlich härtere Strafe gefordert, als man es von ihr erwartet hatte. Selbst der Fürst Elatan blickte unbehaglich drein. Er fürchtete wohl, dass der Unmut, der seiner Frau nun entgegengebracht wurde, auch auf ihn übergehen könnte. Doch nicht alle äußerten ihre Ablehnung. Beinahe ein Drittel der Anwesenden stimmte Nengwen zu und forderte sogar noch strengere Maßnahmen.
"Ruhe!" rief Imrahil und brachte die Menge damit zum Schweigen. "Ich habe gehört, was Ihr gefordert habt, Frau Nengwen. Doch bevor ich meinen Spruch fälle, werde ich noch weiteren die Gelegenheit geben, zu Wort zu kommen. Ich frage nun also euch alle: Wer möchte für oder gegen die Beschuldigten sprechen?"
Sofort sprang Magrochil, die Schwester des Ermordeten auf. "Ist Gondor nicht ein Land der Gesetze, mein Fürst?" fragte sie aufgebracht. "Weshalb habt Ihr diese Mörderin nicht unverzüglich hinrichten lassen, wie es die Gerechtigkeit verlangt? Sie hat meinen Bruder kaltblütig ermordet, ohne ihm die Gelegenheit zu lassen, seine Fehler zu bedenken!"
Weitere Fürsprecher Nengwens kamen an die Reihe und wiederholten den Vorwurf, dass Imrahil es überhaupt dazu kommen ließ, Gericht über Lóminîth und Valion zu sprechen. "Sowohl auf Mord als auch auf Fahnenflucht steht nach dem Recht der Könige Gondors der Tod," sagte einer der Adeligen, die Nengwen aus Arandol mitgebracht hatte. "Ihr solltet sie alle beide an den Galgen bringen."
Das löste einen weiteren Aufruhr aus, der sich diesmal trotz Imrahils Autorität nur langsam zur Ruhe bringen ließ. Als wieder Ordnung eingekehrt war, sprachen viele der in Dol Amroth ansässigen Adeligen für Lóminîth und forderten eine Abwendung der Todesstrafe, weil Lóminîth aus ihrer Sicht aus Notwehr gehandelt hatte. Einige wiesen ebenfalls darauf hin, dass Valion mit der Jagd auf Gilvorn nur seine Pflicht im Rahmen von Imrahils Auftrag, die Drahtzieher hinter den Separatisten zur Strecke zu bringen erfüllt hatte und es nur unglückliche Umstände gewesen waren, die dazu geführt hatten, dass er sich unerlaubt von seiner Eskorte entfernt hatte - einer Meinung, der Valion selbstverständlich zustimmte. Dabei fiel ihm auf, dass Lóminîths Fürsprecher allesamt Männer waren, deren Frauen entweder abwesend waren, oder die von einer verdächtig jungen Begleitung unterstützt wurden.
So ging es noch eine ganze Weile hin und her, während Imrahil sich immer wieder mit seinen Söhnen beriet. Schließlich zog er auch seine Vorfahrin Mithrellas hinzu, die jedoch nach Valions aufmerksamer Beobachtung nur wenige Worte sagte, ehe sie sich wieder in den Hintergrund zurückzog. Dabei erhaschte Valion einen besseren Blick auf den zweiten Elben und erkannte, dass es sich dabei definitiv nicht um Ladion handelte. Dieser fremde Elb sah Ladion - und Mithrellas - zwar ähnlich genug, um ein Verwandschaftsverhältnis plausibel zu machen, doch wirkte er distanzierter und nachdenklicher. Wenn er sprach, richtete er sich stets nur an Amrothos, den jüngsten Sohn des Fürsten.

Die laufende Verhandlung wurde unterbrochen, als die von Imrahil ausgesandten Soldaten eintrafen und Rinheryn und Damrod herein führten. Zu Valions Erstaunen befand sich auch der Waldläufer Ardóneth in ihrer Begleitung. Damrod und Ardóneth nannten dem Fürsten ihre Namen und bestätigten in wenigen Worten Valions Erzählung ab seiner Reise von Minas Tirith nach Tolfalas, ehe sie die große Halle wieder verließen. Rinheryn hingegen blieb und überraschte Valion damit, wie sehr sie sich bemühte, das Urteil zu seinen Gunsten zu verändern.
"Valion kann zwar hin und wieder wirklich unerträglich sein, aber er hat das Herz am rechten Fleck," sagte sie und warf Valion ein spitzbübisches Lächeln zu, ehe sie wieder ernst wurde. "Ihr könnt ihn nicht dafür bestrafen, was er getan hat. Im Grunde genommen ist er ein Held, und ich verdanke ihm mein Leben."
"Das ändert nichts an der Tatsache, dass mein Neffe Maegond ermordet wurde," beharrte Nengwen. "Ein Mord lässt sich nicht so leicht abtun, wie es in anderen, unzivilisierteren Ländern der Fall ist."
"Selbst der Herr Faramir nahm Valion nicht in Gewahrsam, als er in Aldburg die Gelegenheit dazu hatte," konterte Rinheryn. "Er hat erkannt, wie wichtig Valions Aufgabe war."
"Und doch ist nicht Faramir Truchsess von Gondor," entgegnete Nengwen. "Er ist nicht hier, um sein Urteil zu sprechen." Sie wandte sich Imrahil zu. "Ich ersuche Euch Gerechtigkeit, mein Fürst."
Imrahil nickte langsam. "Ich habe die Worte gehört, die heute gesprochen wurden und ich werde nun darüber nachdenken, wie ich mit ihnen verfahren soll. Elphir, Erchirion, Amrothos, und Herrin Mithrellas - bitte kommt mit mir." Er ging, gefolgt von den Angesprochenen hinaus, während im Saal leise Gespräche begonnen wurden.
"Sei unbesorgt, Lómi," wisperte Valion. "Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt."
Anstatt einer Antwort drückte Lóminîth seine Hand. Auf ihrem Gesicht lag ein merkwürdiges Lächeln, während sie ihre Blicke durch die Halle schweifen ließ. Valion glaubte, in der Menge einige von den Mädchen wiederzuerkennen, die er in Lóminîths Begleitung gesehen hatte...
Der in Grün gekleidete Elb sah in Valions Richtung, und für einen Augenblick begegneten sich ihre Blicke. Er war sich beinahe sicher, dieses Gesicht schon einmal irgendwo gesehen zu haben, doch Valion konnte sich einfach nicht erinnern, wo.

Nicht einmal zehn Minuten waren vergangen, als Imrahil und seine Begleiter zurückkehrten. Der Fürst reichte dem Herold, der ihn bereits erwartet hatte, eine unterzeichnete Schriftrolle, die dieser feierlich entrollte. Ein Fanfarenton erschallte und brachte die Halle erneut zum Schweigen. Der Herold trat vor, um das Urteil zu verlesen, während Imrahil auf seinem Sitz platznahm.
"Höret nun den Spruch des Fürsten von Dol Amroth und Truchsessen von Gondor!"
Eine Pause, in der alle die Luft anzuhalten schienen.
"Im Beisein seiner ehrwürdigen Söhne und der Hohen Dame Mithrellas, der Tochter des Oronêl und Gemahlin des Imrazôr hat der Fürst folgendes Urteil erteilt: Valion Cirgonion wird von seinen Pflichten als Lehnsherr des Ethirs entbunden werden, bis er sich ihrer als würdig erwiesen hat. Deshalb wird er unverzüglich nach Linhir beordert, denn die Moral der Verteidigungsgarnison ist seit dem Fall des Generals Hilgorn stark gesunken und die Männer brauchen einen Anführer. Sollte sich Valion im Krieg beweisen, werden ihm seine Titel zurückgegeben. Die Herrin Lóminîth wird sein Schicksal teilen und soll mit ihm gehen, denn ihre Intrigen hier am Hofe sind dem Fürsten wohl bekannt und bereiten ihm Sorge. Desweiteren wird dem Verräter Gilvorn die Gerechtigkeit des Truchsessen widerfahren und er soll heute bei Sonnenuntergang hingerichtet werden."
Jubel- und Protestgeschrei erhob sich, doch Valion achtete gar nicht darauf. Hilgorn ist gefallen? dachte er und war von seiner eigenen Bestürzung überrascht. Er hatte Faniel nirgendwo sehen können, und nun verstand er auch, weshalb. Hätte Imrahil ihn nicht nach Linhir entsandt, hätte er womöglich irgendetwas tun können, um der Witwe Hilgorns etwas Trost zu spenden...
Lóminîth hatte offenbar ein anderes Urteil erwartet und blickte finster drein, doch auch Erleichtung war ihr anzusehen. Dass man sie ebenfalls nach Linhir schickte, gefiel ihr nicht im Geringsten.
Die Türen der großen Halle öffneten sich, und der Hofstaat löste sich nach und nach auf. Valion und Lóminîth blieben zurück, während Valirë und Rinheryn sich bei ihnen einfanden. Beide schienen einander bereits kennengelernt zu haben und sie verstanden sich prächtig und waren aufgrund des Urteils in Hochstimmung. "Da siehst du, kleiner Bruder, dass es sich auszahlt, der Schwager eines Prinzen zu sein," sagte Valions Schwester und winkte Erchirion zu, der sich leise mit seinem älteren Bruder Elphir und mit Lothíriel unterhielt. "Mach dir keine Sorgen wegen dem Krieg. Wenn es selbst Hilgorn bislang gelungen ist, die Grenze zu halten, wirst du gewiss bald dafür gesorgt haben, dass diese Orks Linhir nicht mehr freiwillig betreten werden."
Ihren großspurigen Worten gelang es wie so oft, Valion aufzumuntern. Dass er seinen Titel und Rang für den Augenblick verloren hatte, schien ihm ein geringer Preis dafür zu sein, Lóminîths Leben gerettet zu haben. Und dass Gilvorn nun seine gerechte Strafe erhalten würde, hob seine Laune ebenfalls.
"Also gut," sagte er und legte Rinheryn die Hand auf die Schulter. "Dann geht es also zurück in den Krieg. Schließt du dich uns an, Rinya?"
"Worauf du wetten kannst," antwortete die Tochter Duinhirs. "Jemand muss doch dafür sorgen, dass du diese Mission auch unbeschadet überstehst."


Valion und Rinheryn in die Stadt
Oronêl zum Hafen

Eandril:
Oronêl vom Hafen

Die Schwertklingen prallten funkensprühend aufeinander, und trennten sich wieder. Oronêl machte einen kurzen Schritt zur Seite um Amrothos' nächstem Hieb auszuweichen, täuschte einen halbhohen Schlag an und ließ seine Klinge im letzten Moment direkt gegen Amrothos' Schwert zucken. Dieser ließ sich jedoch von der Finte nicht irritieren, wich dem Schlag ebenfalls geschickt zur Seite aus, während sein eigenes Schwert blitzschnell auf Oronêls Kopf zu fuhr. Oronêl wollte den Hieb blockieren, wie er ihn mit einer Axt blockiert hätte - mit einer Hand nah an der Axtklinge und der anderen am unteren Ende des Stiels. Noch rechtzeitig konnte er seinen Instinkt überwinden und verhindern, dass sich seine linke Hand um die Schwertklinge schloss, doch er war aus dem Konzept gekommen, und nur einen Herzschlag später lag Amrothos' Schwertspitze an seiner Kehle.
"Der dritte Punkt für mich", meinte der Prinz grinsend, und ließ die Klinge sinken. "Damit steht es... nun, Drei zu Null für mich." Er wischte sich mit einer Handbewegung den Schweiß von der Stirn. "Allerdings kann ich nicht behaupten, dass du es mir einfach machen würdest."
"Ich weiß, wie man mit dem Schwert umgeht", erwiderte Oronêl, und ließ probeweise die Klinge kreisen. Amrûns Schwert lag wie festgewachsen in seiner Hand, und die Klinge war perfekt austariert. Und dennoch... "Es sind meine Instinkte", erklärte er. "Grundsätzlich weiß ich, wie man mit dem Schwert kämpft - ich habe es selbst vor langer Zeit gelernt, und ich habe viele gute Schwertkämpfer beobachtet oder gegen sie gekämpft. Aber mit der Axt macht man im Kampf viele Dinge, die man mit dem Schwert nicht tut, und umgekehrt. Und mein Instinkt sagt mir im Zweifelsfall das zu tun, was ich mit Hatholdôr tun würde. Wo er mir sonst das Leben gerettet hat, könnte er jetzt dazu führen, dass ich einen Kampf verliere."
Amrothos nickte. "Nun, ich habe gehört, dass... ältere Leute langsame Lerner sind. Aber du wirst es bestimmt schaffen." "Ich danke deine Zuversicht", gab Oronêl zurück, den Blick scheinbar entspannt zu Seite gerichtet. Im selben Augenblick stieß er mit dem Schwert vor, Amrothos' Klinge, die er nur locker in der Hand gehalten hatte, flog im hohen Bogen davon, und mit einem raschen Fußtritt stieß Oronêl ihn auf den mit Sand bestreuten Boden. Das ganze hatte nur einen halben Herzschlag lang gedauert, und Oronêl setzte Amrothos die Spitze von Amrûns Schwert - seinem Schwert - auf die Brust. "Dass ich ein langsamer Lerner bin heißt nicht, dass ich langsam bin... mein Junge." Amrothos blinzelte ein wenig benommen, und dann lachte er. "Schon gut, ich habe verstanden. Jetzt sei so gut, und nimm dieses Schwert weg." Sein Blick fiel auf etwas hinter Oronêl. "Oh-oh", machte er. "Du hast jetzt ganz andere Probleme."
Oronêl legte das Schwert behutsam auf den Sand, und wandte sich langsam um. Über den Übungsplatz kam mit langen Schritten Irwyne, unverkennbar zornig.
"Vielleicht solltest du..." sagte Oronêl leise zu Amrothos, der hinter ihm auf die Füße kam, doch dieser verschränkte die Arme vor der Brust und grinste. "Oh nein. Für diesen Schlamassel hast du ganz allein gesorgt, und ich werde mit Freuden dabei zusehen." Oronêl seufzte, und straffte sich innerlich.

Irwyne blieb so nah vor ihm stehen, dass sie sich beinahe berührten. "Wieso bist du noch hier?", fragte sie, und der Klang ihrer Stimme hätte den wärmten Sommertag erkalten lassen können. "Ich dachte, du würdest gehen."
"Ich... habe mich anders entschieden", erwiderte Oronêl, und er selbst begriff, wie schwach es klang. "Als ich das Schiff sah, dass mich nach Westen bringen würde, da... da wusste ich, dass es nicht der Weg für mich war." Irwyne schnaubte verächtlich, und wandte sich Amrothos zu. "Wenn du glaubst, dass ich... dass ich deine blauen Flecke oder was auch immer ihr euch hier zufügt, versorge, dann... dann irrst du dich!" Amrothos' Grinsen verschwand wie weggewischt, und machte einem Ausdruck der Verwirrung Platz, der Oronêl beinahe entschädigte. "Ich? Wieso... was habe ich...", brachte er hervor, doch Irwyne ließ ihn nicht aussprechen. "Du hast es nicht für nötig befunden mir zu sagen, was passiert ist?" Der schuldbewusste Ausdruck auf Amrothos' Gesicht sprach Bände, und Irwyne schoss wutentbrannte Blicke auf ihn und Oronêl ab. "Ihr macht mich krank!" Mit einem Ruck wandte sie sich ab, wobei ihre blonden Haare Amrothos ins Gesicht trafen, und wollte davonstürmen.
"Warte, Siniel", sagte Oronêl leise, und Irwyne blieb abrupt stehen. "Was willst du?", fragte sie, ihnen noch immer den Rücken zugedreht. Oronêl ging um sie herum, und ergriff ihre Hände. "Es tut mir leid", sagte er schlicht. Irwyne wich seinem Blick aus. "Das sollte es auch", gab sie zurück, doch der Zorn schien aus ihrer Stimme zu schwinden. "Ich... ich fürchte, in letzter Zeit habe ich nur mich selbst gesehen", sprach Oronêl weiter. "Nur mein eigenes Leid, meine eigene Trauer, meine eigenen Sorgen. Und in all dem war ich blind für alle, die ich liebe. Es war falsch, dass ich mich nicht von dir verabschiedet hätte, wie es sich gehört hätte. Und es war falsch, dass ich auch jetzt nicht zu dir gekommen bin. Das tut mir Leid, und ich bitte dich um Verzeihung." Bei sich dachte er, dass er sich diese Worte besser merken sollte für den Tag, an dem er Kerry das erste Mal wiederbegegnete...
Irwyne blickte zu Boden, und schniefte. "Ich... konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du mich verlassen wolltest, genau wie Amrûn. Das ist selbstsüchtig, ich weiß, aber... alle, die ich gern habe, verlassen mich irgendwann. Ich weiß nicht, ob ich zugelassen hätte, dass du dich verabschiedest, also..." Oronêl schüttelte den Kopf. Er löste eine Hand aus ihrer, und hob ihr Kinn an, damit sie ihm ins Gesicht blickte. "Nein. Die Schuld liegt allein bei mir. Entschuldige dich nicht für Gefühle, die zu haben dein Recht ist. Also? Kannst du mir verzeihen?"
Irwyne schwieg einen Augenblick, dann schlang sie die Arme um ihn, und brach, das Gesicht an seine Brust gepresst, in Tränen aus. Oronêl legte behutsam die Arme um sie, und blickte über ihren Scheitel hinweg Amrothos an. Er hatte das Gefühl, als wäre hätte sich ein Gewicht von mehreren Tonnen von seiner Seele gelöst. "Das heißt wohl ja", sagte er leise, und Amrothos lächelte. "Du bist doch ziemlich gut weggekommen", meinte er. "Sei bloß still." Irwynes Stimme klang dumpf, weil sie immer noch das Gesicht gegen Oronêls Brust gepresst hatte. "Ich bin immer noch wütend auf dich, Dummkopf." Amrothos grinste wie ein Trottel, und Oronêl musste lachen. Sanft löste er sich aus Irwynes Umarmung, und zog das Amulett, dass Aratinnuíre ihm gegeben hatte, hervor. "Erkennst du es?" Irwynes Augen weiteten sich. "Das hat Amrûn getragen. Woher hast du es?"

Oronêl erzählte, wie er Aratinnuíre auf dem Schiff aus Lindon begegnet war, und was sie zu ihm gesagt hatte. Als er zu dem Traum kam, den er von Amrûn gehabt hatte, zögerte er. Er wusste selbst nicht, was dort geschehen war, ob er wirklich mit Amrûn oder seiner Seele gesprochen hatte, oder ob es nur ein Traum gewesen war, den das Amulett und das Schwert ausgelöst hatten. So oder so, Irwyne hatte Amrûn länger gekannt als er und ihm vermutlich noch näher gestanden. Sie hatte ein Recht, alles zu erfahren.
"Als ich das Amulett umgehängt hatte, sah ich Amrûn, an dem Tag, an dem er gefallen ist. Er... er schien seinen Frieden zu haben. Er sagte mir, dass wir nicht jeden Tod verhindern können, weil er zum Leben dazu gehört. Ich denke, er hat Recht. Und er sagte, dass unsere Entscheidung nur darin liegt, zu entscheiden, was wir mit der Zeit anfangen, die uns in Mittelerde gegeben ist. Ich glaube, er hat das Beste mit seiner Zeit angefangen. Und das werde ich auch tun."
Irwyne zog die Augenbrauen zusammen. "Was willst du damit sagen?" Oronêl legte ihr die Hände auf die Schultern. "Ich werde Dol Amroth verlassen - für den Moment." Irwyne öffnete den Mund, wie vor Schreck, doch Oronêl sprach weiter. Sein Instinkt, der ihn im Kampf mit Amrothos im Stich gelassen hatte, verriet ihm nun, was er sagen musste. "Der Kampf um Mittelerde ist noch lange nicht vorrüber, obwohl ich wünschte, es wäre so. Ich fürchte, der heftigste Schlag wird auf Gondor niedergehen, auf das was von Gondor übrig ist."
"Mit anderen Worten, auf Dol Amroth", warf Amrothos leise ein. Irwyne streckte ihm stumm die Hand entgegen, und er ergriff sie. "Ja", meinte Oronêl zustimmend. Der Gedanke machte ihm gleichzeitig Angst und ließ ihn eine merkwürdige Ruhe und Entschlossenheit verspüren. "Ich fürchte, alleine werdet ihr nicht standhalten können, und deshalb werde ich gehen. Ich werde nach Norden gehen, nach Rohan, nach Dunland, Eregion und Arnor. Nach Lindon, nach Imladris und zu Finelleth ins Waldlandreich. Und ich werde euch alle Hilfe senden, die ich finden kann." Bis zu diesem Augenblick war Oronêl sich nicht vollkommen sicher gewesen, was er zu tun hatte, doch jetzt wusste er es. Amrûns Amulett auf seiner Brust fühlte sich warm an.
Irwyne warf Amrothos einen raschen Blick zu. "Vielleicht sollten wir mit dir kommen. Zumindest... zumindest bis nach Rohan. Ich habe gehört, dass sie Edoras wieder aufbauen, und ich würde es gerne sehen. Außerdem könnte ich vielleicht behilflich sein. Und immerhin ist Amrothos der Sohn des Truchsess. Vielleicht kann er Königin Éowyn überzeugen, und Hilfe zu schicken, wenn es soweit ist."
"Das müsste mein Vater entscheiden", meinte Amrothos. "Aber... ich denke, ich könnte ihn überreden."
Irwyne schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. "In diesem Fall könnte ich mich dazu durchringen, dir zu verzeihen."
Amrothos legte ihr einen Arm um die Schultern und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ich habe das Gefühl, Opfer einer Erpressung geworden zu sein. Ich fürchte, ich bin dir nicht gewachsen. Du verbringst zu viel Zeit mit den Hofdamen meiner Schwägerin."
"Ich habe besseres zu tun, als mir auf dem Übungsplatz blaue Flecken zu holen", erwiderte Irwyne hochmütig, und musste dann selbst lachen. Amrothos stimmte ein, und warf Oronêl einen Blick zu. "Ich denke, ich werde weniger blaue Flecken haben als mein verehrter Urahn hier. Er ist ein wenig... eingerostet."
Oronêl verzichtete auf eine Erwiderung, und lächelte lediglich. Auch wenn sein ursprünglicher Plan ein anderer gewesen war, die Aussicht, dass diese beiden ihn nach Rohan begleiten könnten, erwärmte sein Herz und ließ die Zukunft ein wenig heller erscheinen.

Oronêl, Amrothos und Irwyne nach Aldburg

Eandril:
Valion, Hilgorn, Ta-er as-Safar und Rinheryn von den Toren...

Vor der Halle des Fürsten drängten sich Stadtbewohner, niedere Adlige vom Land und Kaufleute gleichermaßen, die alle auf eine Audienz mit dem Fürsten von Dol Amroth und Truchsess von Gondor warteten, doch als die Türwächter Valion erblickten, winkten sie ihn und seine Begleiter sofort zu sich.
"Der Fürst ist über eure Ankunft bereits unterrichtet worden, mein Herr vom Ethir", sagte einer der Männer förmlich, konnte sich einen neugierigen Blick in Hilgorns Richtung allerdings nicht verkneifen.
"Großartig", brummte Valion zur Antwort. "Können wir rein?" Anstatt zu antworten ließen die Wächter die beiden großen Türflügel aufschwingen, und nacheinander, Valion und Rinheryn zuerst, Hilgorn nach ihnen und Ta-er als Nachhut, betraten sie die Halle.
Jetzt, dachte Hilgorn, und sein Sehfeld engte sich merkwürdig ein, als er Imrahil auf seinem erhöhten Sitz sah. An den Rändern des Saales standen und saßen verschiedene Adlige, doch Hilgorn nahm niemanden außer Imrahil wirklich wahr. Ich muss es jetzt tun, dann kann es gelingen.
Mit größter Willensstärke legte er die Hand locker auf den Dolchgriff, mit einer unauffälligen Bewegung. Was er vorhatte war ein Verbrechen, ein schreckliches Verbrechen, und irgendein Teil von ihm wollte ihn unbedingt aufhalten. Doch er würde nicht zulassen, dass sein altes, schwaches Ich die Herrschaft übernahm. Er war jetzt stärker als zuvor.
Vorsichtig lockerte er im Gehen den Dolch in der Scheide, und noch bevor sie die niedrigen Stufen, die zum Sitz des Fürsten hinauf führten, zog er die Waffe. Jetzt! dachte er, während eine andere Stimme in seinem Kopf panisch schrie Du wirst alles verderben, du Narr!
Er stach schräg von unten zu, doch zu weit rechts. Die Dolchspitze glitt an gehärtetem Leder entlang, fand eine Lücke und drang tief in das Fleisch darunter ein. Hilgorns Sichtfeld verschwamm, doch der Schmerzenslaut, der wie aus weiter Ferne an sein Ohr drang, war eine weibliche Stimme. Die Frau vor ihm ging zu Boden, während Hilgorn einen langen Schritt über ihren Körper hinweg machte, den blutigen Dolch in der Hand. Jemand packte seinen rechten Arm, und riss ihn herum.
"Was tust du?" Ein männliches Gesicht, umrahmt von dunkelbraunen Haaren. Valion? Da Valion seinen rechten Arm mit eisernem Griff gepackt hatte, hieb Hilgorn ihm die Handkante der Linken gegen die Kehle. Valion taumelte zurück und ließ seinen Arm los, doch als Hilgorn sich umwenden und seinen Weg fortsetzen wollte, traf ihn etwas Hartes gegen den Hinterkopf. Er brach in die Knie, doch das Bewusstsein verließ ihn zur langsam. Sein letzter Gedanke war der erste klare Gedanke, den er seit längerer Zeit gehabt hatte.
Ich hoffe, ich habe Rinheryn nicht ernstlich verletzt...

Fine:
Alles hatte so gut angefangen. Je näher sie Dol Amroth gekommen waren, desto normaler hatte Hilgorn sich zu verhalten begonnen und somit Valions Besorgnis nach und nach versiegen lassen. Der General hatte sogar angedeutet gehabt, bei Fürst Imrahil für Valion zum Dank für seine Befreiungsaktion einzustehen, was Valion vermutlich auch bitte rnötig gehabt hätte. So hätten seine Chancen wahrscheinlich gar nicht allzu schlecht gestanden, erneut mit der Missachtung von direkten Befehlen einigermaßen ungeschoren davon zu kommen.

Doch jetzt lag Valion keuchend auf dem glatten Boden der großen Halle der Schwanenprinzen und schnappte angestrengt nach Luft. Die Zeit schien sich verlangsamt zu haben. Hilgorns unerwarteter Schlag hatte ihm die Kehle so sehr eingeengt, dass Valion husten musste, um überhaupt Atem in die Lunge zu bekommen. Mit Mühe stützte er sich halbwegs auf und sah Ta-er as-Safar über ihm stehen, die Hand ausgestreckt um Valion aufzuhelfen. Er hustete ein weiteres Mal und packte dann zu. Als er auf die Beine gekommen war, kam es ihm vor, als würden sich die Ereignisse wieder in normaler Geschwindigkeit abspielen und das laute, chaotische Geschrei der Menge im Inneren der großen Halle stürmte mit einer Wucht auf Valion ein, dass er glaubte, er müsste taub werden. Vor ihm, neben Hilgorns bewusstloser Gestalt, lag Rinheryn in einer Blutlache, halb auf den Stufen zu Imrahils erhöhtem Sitz zusammengebrochen.
"Weg da!" brültte Valion mit aller Kraft die er zusammenbringen konnte und stieß die Wachen, die sich gerade um die gefallene Rinya sammelten brutal beiseite. Das ist alles meine Schuld, dachte er entsetzt. Ich hätte es kommen sehen müssen. Bei Rinheryn angekommen kniete Valion sich neben die junge Frau und drehte sie so vorsichtig es ging auf den Rücken.
"Rinheryn, Rinheryn, sag etwas," rief er. Forderte er. "Komm schon, antworte mir, sag etwas..."
Ihr Gesicht war bleich und zunächst blieb sie ihm jede Antwort schuldig. Aus der Wunde, in der noch der Dolch steckte, rann ein wenig Blut. Valion wagte es nicht, die Waffe zu berühren, auch wenn er froh zu entdecken war, dass Hilgorn nicht die Brust, sondern nur die Schulter Rinheryns getroffen hatte. Als Valion ihr sanft gegen die Wange schlug, flatterten die Augenlider von Duinhirs Tochter und sie bewegte sich.
"Sie atmet!" rief Valion erleichtert. "Holt einen Heiler! Na los doch, eilt euch!"
Die Soldaten reagierten auf den Befehl und eilten davon. Das war der Augenblick, in dem Imrahil langsamen Schrittes die Stufen hinab schritt.
"Valion," begann der Fürst mit leiser Stimme, die von beherrschtem Zorn zeugte. "Wärest du vielleicht so freundlich, mir zu erklären, was hier eigentlich verdammt nochmal los ist?"
Die Lautstärke Imrahils hatte mit jedem Wort zugenommen und mit donnernder Stimme brachte der Herr von Dol Amroth und Gondor seinen Satz zu Ende - und den ganzen Saal zum Schweigen.
"Ich..." war alles, was Valion hervorbrachte.
"Ich glaube, so langsam habe ich genug von dir, Valion," sagte Imrahil drohend.
Es war Ta-er, die Valion rettete. Sie hielt respektvoll Abstand und hatte ihre Kapuze abgesetzt - es war das erste Mal, dass Valion die geheimnisvolle Assassine ohne Verhüllung sah. Er war erstaunt, in ein makelloses Gesicht ohne jegliche Narben zu blicken, dessen vertraute, dunkelbraune Augen dem Blick des mächtigen Fürsten von Dol Amroth ohne Mühe standhielten. Ta-er machte einen Schritt nach vorne - nur einen - und neigte das Haupt vor Imrahil. "Wenn Ihr erlaubt, Fürst. Ich werde Euch alles erklären."
Imrahils Miene blieb hart, als er Ta-er musterte, doch in seinen grauen Augen blitzte eindeutiges Interesse auf. "Und was bringt eine Assassine aus dem Süden an meinen Hofe? Es wäre nicht das erste Mal, dass Valion eine Frau von... fragwürdigem Hintergrund von seinen Abenteuern in die Schwanenstadt bringt."
"Oh, das glaube ich Euch gerne, mein Fürst," sagte Ta-er, jedoch ohne zu lächeln. "Seid unbesorgt. Ich bin mit Valion nicht auf diese Art und Weise verbunden."
"Dass Ihr kein Feind seid, dachte ich mir schon in dem Augenblick, in dem ihr meinen besten General so geübt niedergestreckt habt. Ich hoffe, ihr habt ihn nur betäubt und nicht getötet - ich hätte da nämlich die eine oder andere Frage an ihn."
Valion war froh, dass sich Imrahils Zorn zu geradezu neugierigem Interesse gewandelt hatte. Ein rascher Seitenblick des Fürsten zeigte Valion jedoch, dass der Herr der Schwäne ihn nicht vergessen hatte.
"Er wird sich erholen. Doch ich fürchte, Ihr solltet ihn bis auf Weiteres einsperren," sagte Ta-er. Derweil waren endlich die Heiler eingetroffen und kümmerten sich um Rinheryn, die zwar noch immer etwas Blut verlor, aber nicht danach aussah, als würde sie innerhalb der nächsten Minuten sterben. Valion atmete erleichtert auf, während er der Unterhaltung weiter folgte.
"Schafft ihn in eine der Zellen unter dem Palast und seht zu, dass er Nahrung und etwas zu Trinken erhält," befahl der Fürst seinen Dienern. "Und gebt mir sofort Bescheid, wenn der General erwacht." Während vier Männer Hilgorn eher unsanft aufhoben und davontrugen, wandte sich Imrahil wieder der Attentäterin zu. "Also denn. Nennt mir Euren Namen, Assassinin, und erzählt mir, was ich wissen möchte."
Ta-er begann ihren Bericht damit, dass sie dem Fürsten von der Lage auf der Insel Tol Thelyn berichtete und dass sie auf Edrahils Empfehlung hin nach Gondor gekommen war. Sie erzählte dann in kurzen und prägnanten Sätzen von ihrer Ankunft in Linhir und ihrer ersten Begegnung mit Hilgorn und dessen Gefangennahme durch Arnakhôrs Leute. Als sie an die Stelle kam, an der sich Valion entschieden hatte, Hilgorn zu retten, wandte Imrahil ihm den Kopf zu und musterte Valion streng, jedoch ohne die Erzählung zu unterbrechen. Rasch fasste Ta-er noch den Ablauf der Befreiungsaktion und den Ritt nach Dol Amroth zusammen.
"Also sagt Ihr, dass diese schwarzen Númenorer irgend etwas mit Hilgorn gemacht haben, das ihn zu einer Gefahr werden ließ," fasste Imrahil zusammen und rieb sich nachdenklich das Kinn. "Gewiß war ich selbst das eigentliche Ziel, und nicht die arme Rinheryn." Bei der Nennung ihres Namens blickte Rinya schwach auf und sie versuchte, sich aufzustützen. Sanft, aber bestimmt hielten die Heiler sie zurück.
"Wie steht es um meine tapfere Verteidigerin?" erkundigte sich der Fürst.
"Sie wird es überstehen," sagte der älteste der Heiler. "Die Dame wird sich einige Zeit erholen müssen, aber sie wird durchkommen."
Valion suchte Rinheryns Blick. Schwach lächelte sie ihm entgegen. Dann ließ sie zu, dass die Heiler sie auf eine Trage hievten und davontrugen.

"Nun denn," sagte Imrahil. "Ta-er as-Safar. Ich danke Euch für Euren Bericht. Valion - hat sie die Wahrheit gesagt, oder möchtest du irgend etwas davon korrigieren?"
"Sie hat Euch nicht angelogen, mein Fürst," antwortete Valion.
"Das ist gut," meinte der Herr von Dol Amroth. "Dann werden wir nun..."
Weiter kam er nicht. Aus den Tiefen der Halle, die sich inzwischen nach und nach geleert hatte, kam einer der Palastwächter geeilt. "Mein Fürst!"
"Was gibt es?"
"Ihr habt einen Besucher, mein Fürst," sagte der Wächter, außer Atem. "Aus dem fernen Reich von Kerma."
"Ich denke nicht, dass dies die beste Zeit für..." begann Valion, doch Imrahil hob die Hand.
"Noch mehr Haradrim? Nun, dies ist nicht der seltsamste Zufall an diesem denkwürdigen Tag. Ich werde ihn empfangen. Und du, Valion, wirst an meiner Seite bleiben, bis diese Angelegenheit erledigt ist."
Imrahils Ton duldete keine Widerrede. So fand sich Valion neben dem Sitz des Herrn der Schwanenritter ein, auf dem dieser sich nun wieder niederließ.
"Prinz Gatisen von Kerma, Abgesandter seines Onkels, seiner Majestät Músab bin Kernabes, König von Kerma und Schutzherr von Assuit!" kündigte einer der Begleiter des Haradrim-Prinzen den Besucher an, als dieser die Halle durchquerte und einige Schritte vor den Stufen stehenblieb, die zu Imrahils Sitz hinauf führten.
"Willkommen, Prinz Gatisen," sagte Imrahil.
"Ihr steht vor Imrahil, Adrahils Sohn, Fürst von Dol Amroth und herrschender Truchsess von Gondor," sagte Valion nach einem auffordernden Seitenblick Imrahils.
Gatisen war ein Mann in Valions Alter. Er trug feste Reisekleidung von hoher Qualität. Quer über seine Brust hing eine rote Schärpe, auf die ein stilisierter schwarzer Múmak gestickt war. Valion erschauerte als er sich daran erinnerte, wie jene Kriegsbestien in der Schlacht auf den Pelennor-Feldern gegen die Heere Rohans und Gondors gewütet hatten. Gatisens Haar und Augen waren dunkel und sein Hautton ähnelte dem der südlicheren Haradrimstämme. Valion war sich nicht ganz sicher, wo das Königreich von Kerma genau lag, doch er vermutete es jenseits der großen Wüsten hinter Umbar, wenn nicht sogar noch weiter entfernt.
Der Prinz hatte zwei Begleiter: einen Diplomaten, der eine Truhe mit sich führte, und eine junge Frau, quasi noch ein Mädchen, mit glänzendem schwarzen Haar, das ein dünnes weißes Kleid und einen wallenden, hellroten Umhang trug, der ihr zu beiden Seiten über Schultern und Arme fiel, sodass ihre Hände und ihr Oberkörper nahezu verborgen waren.
"Ich danke Euch für Eure Zeit, Fürst Imrahil," sagte Gatisen. Er sprach Westron gut, mit einem hörbaren südländischen Akzent, jedoch fließend und ohne zu stocken. "Ich überbringe Euch die freundschaftlichen Grüße meines Onkels, dem Qore Músab, und ein Geschenk Seiner Majestät - Adiq, bitte..."
Der Diplomat kniete nieder und öffnete langsam die Truhe. Darin lag ein edles Schwert nach Art der Haradrim, über und über mit Gold verziert.
Imrahil gab Valion mit einer kaum wahrnehmbaren Kopfbewegung zu verstehen, die Waffe entgegenzunehmen. Also ging Valion die Stufen hinab und entnahm das kermische Schwert vorsichtig aus der Truhe. Es lag leicht in seiner Hand, trotz des Goldes. Gerne hätte er es ein wenig ausprobiert, doch dies war weder die Zeit noch der Ort dafür. Gemessenen Schrittes kehrte er an Imrahils Seite zurück und reichte das Geschenk König Músabs an den Fürsten von Dol Amroth weiter, welcher es mit Interesse in Augenschein nahm.
"Dies scheint mir eine Gabe von hohem Wert zu sein," meinte Imrahil. "Sagt mir, Prinz Gatisen... was bezweckt König Músab mit diesem Geschenk? Gewiß ist es nicht aus reiner Herzensgüte in meine Hand gelangt."
"Ihr seid weise, mein Fürst," erwiderte Gatisen mit einem Nicken. "Mein Qore erhofft sich die Freundschaft der Herren von Dol Amroth und Gondor und die Aufnahme von freundlichen Beziehungen. Handel ließe sich zwischen unseren Reichen treiben und der Austausch von Wissen wäre sicherlich von Nutzen für unsere Völker."
"Nun, ich bin einem solchen Angebot nicht abgeneigt, das gebe ich zu," sagte Imrahil mit Bedacht. "Doch Ihr müsst verstehen, dass der Múmak von Kerma hier in Gondor nicht viele Freunde hat. Viele von uns haben auf dem Pelennor mit eigenen Augen gesehen, was diese Tiere anrichten können. Und entspricht es nicht der Wahrheit, dass die Múmakîl, die auf Befehl des Dunklen Herrschers Gondor verheerten, zum Großteil aus Kerma stammten?"
Valion beobachtete Gatisen aufmerksam, doch der Prinz verzog keine Miene.
"Darüber hinaus," fuhr Imrahil fort, "ist es mir zu Ohren gekommen, dass Kerma eines der Reiche ist, das dem aufstrebenen Malik der Haradrim, Qúsay bin Nazir, die Treue geschworen hat und sich seinem Malikat angeschlossen hat. Wir stehen im Bunde mit Qúsay und seinem Reich. Weshalb schickt König Músab also nun einen eigenen Unterhändler an meinen Hof, anstatt sich von Qúsay oder dessen Untergebenen vertreten zu lassen?"
Ein Schatten zog über Prinz Gatisens Gesicht. "Mein Onkel hat sich mit Qúsay überworfen. Er wünscht, dass Kerma unabhängige Verbündete findet. Unser Land hat gerade erst einen blutigen Krieg überstanden und braucht neue Handelspartner."
"Ihr versteht sicherlich, dass ich keine Truppen entbehren kann, um sie bis nach Weit-Harad zu entsenden," stellte Imrahil klar. "Auch werde ich mein Bündnis zu Qúsay nicht leichtfertig aufkündigen. Doch über Handel lässt sich ohne Bedenken sprechen, wie ich meine. Ich bin mir sicher, dass Waren aus Kerma in den Häfen Gondors eifrige Käufer finden würden, wenn sie auch nur annährend die Qualität jenes Schwertes haben, dass König Músab mir sandte."
Prinz Gatisen nickte verstehend. "Gewiß, mein Fürst. Ich werde meinen Untergebenen mit Eurem Quartiermeister sprechen lassen, um die Details im Bezug auf den Handel zu klären, und danke Euch erneut für Eure Zeit." Er verbeugte sich galant, ehe er sich umdrehte und ging, gefolgt von dem jungen Mädchen. Der kermische Diplomat blieb, bis Imrahil den Quartiermeister rufen ließ.
"Ich habe über vieles nachzudenken, Valion", sagte Imrahil und stand auf. "Du solltest dich derweil mit deiner Verlobten im Haus vom Schwarzsegel treffen. Wir werden uns morgen wegen deiner Taten unterhalten..."

Nachdem er Rinheryn in den Heilhallen einen Besucht abgestattet hatte und die verwundete junge Frau schlafend, aber einigermaßen wohlauf vorgefunden hatte, verließ Valion mit gemischten Gefühlen  den Fürstenpalast und machte sich auf die Suche nach Lóminîth, die inzwischen mit dem Schiff aus Linhir eingetroffen sein musste...

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