Hilgorn, Valion und Lóminîth aus der StadtEs vergingen einige ruhigere Tage, die Valion zum Großteil damit verbrachte, sich die Zeit mit Spaziergängen, Ertüchtigungsübungen und Nickerchen zu vertreiben, während Lóminîth im Zuge der Hochzeitsvorbereitungen zu Hochform auflief. Es schien, als hätte sie geradezu jeden freien Arbeiter in Dol Amroth unter Vertrag genommen, um die gewaltigste Feier zu organisieren, die der Fürstenpalast jemals gesehen hatte. Woher sie das benötigte Geld hatte, war eine Frage, die Valion sich immer mal wieder für kurze Zeit stellte, bis er jedes Mal Kopfschmerzen davon bekam und mit den Achseln zuckte, um resignierend aufzugeben. Sein persönliches Vermögen - der kleine Teil, der seit dem Fall des Ethirs noch übrig geblieben war - war jedenfalls unberührt geblieben. Seine Verlobte musste sich also wohl einer anderen Einnahmequelle bedient haben...
Ungefähr eine Woche nachdem er mit Areneth bei Hilgorn gewesen war - die Dúnadan hatte die Stadt inzwischen verlassen und sich auf die Suche nach ihrem Bruder gemacht, der mit den Waldläufern Ithiliens noch immer hinter feindlichen Linien in Lebennin agierte - war Valion gedankenverloren über einen der Märkte im unteren Teil der Stadt geschlendert, als ihn einer der Pagen des Fürstenhofes entdeckt hatte. Es war der junge Bergil, der Valion aufgefordert hatte, sich in aller Eile an Imrahils Hof einzufinden - anscheinend würden dort schon bald einige sehr wichtige Gäste eintreffen, und der Fürst hatte um Valions Anwesenheit gebeten. Unterwegs war ihnen Hilgorn begegnet, der einfache Kleidung und einen Kapuzenumhang getragen hatte. Bei ihm war Bergil zuvor schon gewesen, denn streng genommen stand der sich derzeit nicht im Dienst befindliche General unter Hausarrest, weshalb er nun von drei Soldaten der Stadtwache begleitet worden war.
So kam es, dass sie wenig später in der großen Halle der Schwanenfürsten standen, dessen Berater und Familie sich um den hohen Sitz jenseits der Marmorstufen versammelt hatten. Valion trug nun seine Rüstung sowie die Insignien seines Ranges als Lehnsfürst, während Hilgorn seine Bekleidung nicht gewechselt hatte - offiziell bekleidete er im Augenblick kein Amt, doch inoffiziell schien zumindest Imrahils Erbe Elphir zu wünschen, dass Hilgorn persönlich von den wichtigen Vorgängen am Hofe erfuhr.
Neben Imrahils Sitz war der Stuhl der Fürstin Silberglanz aufgestellt worden. Avórill trug ein tiefblaues Kleid mit silbernen Stickereien entlang der Ärmel und in ihrem Haar steckte eine weiße Blüte. Etwas mehr im Hintergrund standen Elphir, ebenfalls in Rüstung, sowie die Lehnsfürsten Golasgil, Amros und Ardamir, die jeder einen grünen Umhang trugen. Zur Linken des Thrones, ebenfalls im Hintergrund, hielten sich die Berater des Fürsten auf: der Herr der Spione, der Schatzmeister, der Hauptmann der Stadtwache und der Quartiermeister. Ihnen gegenüber standen die Hofdamen, in deren Mitte Valion Lothíriel, Mithrellas, sowie Lóminîth entdeckte.
Eigentlich war Valions Platz bei den anwesenden Lehensfürsten Gondors, doch man schien seine immer wiederkehrenden Verstöße gegen die strengen Etikette des Fürstenhofes mittlerweile stillschweigend mehr oder weniger zu akzeptieren. Daher hielt er sich etwas abseits, links neben der untersten Stufe, und tauschte sich dabei leise mit Hilgorn aus, der neben ihm stand.
"Ich frage mich, welches hohe Tier wohl heute erwartet wird," flüsterte er dem General zu.
Hilgorn warf ihm einen abwägenden Blick zu. "Nun, wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, dann handelt es sich um potenzielle neue Verbündete für Gondor."
Valion zog fragend die Brauen zusammen, doch ehe er nachbohren konnte, öffneten sich die großen Tore am jenseitigen Ende der Halle, und der fürstliche Herold marschierte herein, begleitet vom Klang von Posaunen. Exakt drei Schritte vor der untersten Stufe blieb der Mann stehen und machte eine tiefe Verbeugung, dann entrollte er eine Schriftrolle und verkündete: "Höret, Ihr Edlen Gondors, und Ihr, Truchsess des Südlichen Königreiches, Imrahil, Sohn des Adrahil: Hier ist Thorongil, Sohn des Hador, vom Hause der Turmherren und Herr von Tol Thelyn, der Weißen Insel des Trennenden Meeres, mitsamt seiner Frau Melíril vom Turme, und seinem Sohn und Erben, Túor vom Turme."
Nun erschien ein zweiter Herold, der ein Banner trug, das in Weiß und zartem Orange gehalten war und das Siegel von Tol Thelyn zeigte: Ein Schiffssegel, einen Turm, und eine weiße Blüte, übereinander gelegt. Er sprach nicht, sondern reichte das Banner, nachdem er es Imrahil präsentiert hatte, an einen der nahe der Treppen wartenden Soldaten weiter. Inzwischen waren die angekündigten Personen selbst in der Halle eingetroffen. Umgeben von einer kleinen Eskorte in den Farben Tol Thelyns marschierte der Herr des Turmes in Imrahils Halle, gehüllt in eine neu aussehende Rüstung mit einem weißen Umhang. Ehefrau und Sohn folgten ihm auf dem Fuße, bis die Familie mitsamt ihren Begleitern vor dem Thron stand. Als sie an Valion vorbei kamen, warf Melíril - die ja in Wahrheit Minûlîth hieß - Valion einen Blick zu und lächelte, ohne vorerst jedoch etwas zu sagen. Der kleine Túor trug ein Kettenhemd und einen Dolch am Gürtel und wirkte gleichzeitig aufgeregt und ein wenig eingeschüchtert, schien sich jedoch alle Mühe zu geben, eine ernste Miene zu bewahren.
Imrahil erhob sich von seinem Sitz und breitete die Arme leicht aus, die Hände leer und die Handflächen nach oben zeigend. "Willkommen, Thorongil, am Hofe von Dol Amroth. Ich hoffe, Eure Überfahrt verlief recht angenehm?"
Thorongil legte die Hände zusammen und nickte leicht, ohne sich jedoch zu verbeugen. "Habt Dank für Euren freundlichen Empfang, Fürst Imrahil. Unser Schiff hatte keinerlei Schwierigkeiten bei der Fahrt. Eure Stadt ist beeindruckend, muss ich schon sagen," meinte er anerkennend.
"Nun, das ist der Verdienst meiner Vorfahren," erwiderte Imrahil, ehe er sich an den ganzen Saal wandte und seine Stimme lauter werden ließ. "Menschen Gondors und Dol Amroths, der Herr des Turmes ist gekommen, um die Schwester seiner Frau, die Herrin Lómíril, mit dem Herrn des Ethirs, Valion, zu vermählen. Sollte jemand dagegen berechtigte Einwände erheben, so möge er nun sprechen."
Beinahe erwartete Valion, dass Rinheryn auftauchen würde, um tatsächlich zu protestieren. Doch Duinhirs Tochter lag noch immer in der Obhut der Heiler. Die Verletzung, die sie durch Hilgorn erlitten hatte, war anfänglich recht gut verheilt, doch dann hatte die Wunde überrascht zu schwären begonnen und hatte Rinya an ihr Bett gefesselt. Valion hatte sie seither zweimal besucht - beide Male hatte sie ihm ihr Leid geklagt, wie sehr sie es vermisste, zu reiten und frei herumzulaufen. Einer der Heiler hatte Valion anvertraut, dass Rinheryn immer wieder Albträume habe und dass selbst der obersten Heilerin inzwischen die Mittel ausgingen, sie wieder zur Ruhe zu bringen.
So sprach also nun niemand gegen Imrahils Ansinnen. "Es sei also," sagte der Fürst. "Die Hochzeit soll in zwei Wochen stattfinden. Doch wie ich höre, führt Euch noch ein weiteres Anliegen an meinen Hofe, Thorongil?"
"So ist es," bestätigte der Herr des Turmes. "Eine Vermählung hat im Hochadel oft den Zweck, ein Bündnis zu besiegeln. Es war Meister Edrahil, der Herr der Spione von Dol Amroth, der aus exakt diesem Grund jene Verlobung zwischen Valion und Lómíril einfädelte. Doch seitdem Umbar wieder an unsere Feinde gefallen ist, betrifft ein solches Bündnis lediglich Dol Amroth und Tol Thelyn. Ich bin hier, um offiziell eine Allianz mit Euch einzugehen. Ihr habt uns bereits beim Wiederaufbau der Insel unterstützt, doch ich möchte diese Verbindung nun legitimieren. Lasst die Hochzeit das Zeichen dafür sein, dass die Dúnedain des Südens nun wieder vereint gegen ihre Feinde stehen."
Imrahil nickte, doch da trat einer der Lehnsfürsten vor. Es war Ardamir, der Herr von Belfalas. Mit einem Zeichen gab der Fürst von Dol Amroth ihm die Erlaubnis, zu sprechen. "Mein Fürst, eine solche Allianz ist gewiss erstrebenswert, doch bedenkt, dass der Titel des Turmherren in Gondor niemals offiziell anerkannt worden ist. Der Einschätzung der Gelehrten zufolge entspräche er wohl ungefähr einem niederen Adelsrang, allenfalls dem eines geringeren Lehenstitels. Wenn wir eine Allianz mit Tol Thelyn schließen, muss sie im Rahmen eines Lehnseides geschehen."
"Allein der König von Gondor vermag es, ein gänzlich neues Außenlehen zu schaffen," mischte sich Golasgil von Anfalas ein. "Auch wäre es meiner Meinung nach unklug, einen so standhaften Verbündeten gleich zu einem Untergebenen zu machen."
"Tol Thelyn war niemals ein Teil von Gondor," stellte Melíril klar, als sie zum erste Mal das Wort nahm. "Selbst in den Tagen der Schiffskönige, als Gondors Macht ihren Höhepunkt erreicht hatte, erhielten die Turmherren ihre Selbstständigkeit aufrecht."
"Der Truchsess des Königs hat nahezu dieselben Hoheitsrechte," hielt Ardamir dagegen, ohne auf Melíril einzugehen. "Es steht ihm frei, bei der Führung des Königreiches nach eigenen Gutdünken zu handeln. Und kehrte der König wieder-"
"Genug," unterbrach Imrahil laut. "Thorongil und seine Familie sind nicht hergekommen, um das Knie vor mir zu beugen. Dies sollte ein freudiger Tag für ganz Gondor sein - dank den tapferen Menschen von Tol Thelyn steht uns eine nie geahnte Versorgungslinie nach Harad hinein offen. Unsere Flotte liegt vor Umbar und muss keinerlei schwarzen Segel mehr fürchten. Wann konnten Gondors Küsten zuletzt so frei aufatmen?" Er ließ sich wieder auf seinem Sitz nieder. "Thorongil, wie verläuft die Belagerung Umbars? Gibt es Neuigkeiten von der Erstürmung?"
"Schleppend verläuft sie," antwortete Thorongil, dessen Miene schwer zu deuten war. "Die Verteidiger scheinen gut vorbereitet zu sein. Ich habe mehrere Tage nichts mehr von Edrahil gehört, auch wenn ich mir sicher bin, dass er die Lage unter Kontrolle zu bringen versucht. Eure Flotte blockiert den Hafen - wenn Qúsay Geduld zeigt, wird er die Stadt eines Tages ausgehungert haben."
"Und wird er diese Geduld aufbringen können?"
"Nun... ich denke nicht, dass er ewig warten wird," meinte der Herr des Turmes. "Aber mit Sicherheit kann ich es nicht sagen."
"Ich verstehe," sagte Imrahil. "Vermutlich wäre es das Beste, wenn wir uns im Detail über die Lage im Süden unterhalten, doch ich bin kein unhöflicher Gastgeber. Ihr habt einen weiten Weg hinter Euch. Hier im Palast wurden Gemächer für Euch und Eure Familie bereitgestellt. Erholt Euch dort für diesen Tag - morgen würde ich mich freuen, wenn Ihr mich in meinem Solar aufsuchen würdet."
"Ich werde kommen, Imrahil, doch eine Frage habe ich noch. Ihr nennt Euch Truchsess des Reiches, der Stellvertreter des Königs, doch... was würdet ihr tun, käme es zu einer... Rückkehr des Königs?"
Imrahil blickte nachdenklich drein. "Dies scheint... unwahrscheinlich. Geradezu unmöglich. Der König Gondors liegt in Gefangenschaft des Dunklen Herrschers persönlich, und es ist nun an uns, die Verteidigung Gondors zu übernehmen."
"Unwahrscheinlich mag es sein, doch mir geht es um Eure Einstellung. Kehrte der König wieder, würdet Ihr zurücktreten?"
"Ich... würde mein Amt zur Verfügung stellen," meinte Imrahil langsam. "Im Falle einer Rückkehr des Königs wäre ich noch immer Fürst von Dol Amroth, doch es stünde ihm frei, einen neuen Truchsess zu ernennen."
"Danke," sagte Thorongil, der zufrieden wirkte. "Ich werde morgen zu Euch kommen, damit wir in Ruhe über alles sprechen können. Habt Dank für Eure Gastfreundschaft." Er nickte Imrahil zu und ging dann auf dem Weg, auf dem er gekommen war, gefolgt von seiner Familie. Als sie fort waren, begann der Hofstaat sich langsam zu zerstreuen.
Valion warf einen Blick zu Hilgorn hinüber, der mit nachdenklicher Miene das gesamte Spektakel verfolgt hatte. Er fragte sich, was der General wohl von der ganzen Angelegenheit halten mochte.
Valion und Hilgorn in die Stadt