Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Der Thron von Mittelerde

Gondor

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Saizo:
Minas Tirith (Gondor)

Sanya in der Weißen Festung

Sanya war Kiana wie sie es ihr befohlen hatte aus dem Thronsaal heraus gefolgt, noch immer in ihrem abgerissenen Kleid und den Dolch die ganze Zeit über in der Hand haltend. Sie hatte dem Streitgespräch zwischen Königin und Reichsmarschall nur mit halbem Ohr gelauscht, denn Sanya war unruhig und fürchtete, dass es jeden Moment ohne Vorwarnung zu einer weiteren Explosion kommen könnte, oder dass sich noch mehr Attentäter plötzlich auf sie stürzen könnten. Sie machte sich selbst schwere Vorwürfe, weil sie den Angriff auf den Thronsaal nicht kommen gesehen hatte. Dabei war es in ihrer Verantwortung gewesen, für die Sicherheit der Feiernden zu sorgen. Und nun waren viele verletzt, einige sogar schwer. Es hatte sogar ein paar Tote gegeben. Sanya wusste nicht, wie es nun mit ihr weitergehen würde. Sie erwartete, dass Kiana sie ihres Amtes entheben und aus der Armee werfen würde. Das hätte Sanya an ihrer Stelle getan, denn ein so großes Versagen war nicht einfach zu vergeben.
Kiana hingegen wirkte so undurchschaubar wie eh und je, als sie davon sprach, ein Bad zu nehmen und als sie dann Sanya anwies, sich im Anschluss daran im königlichen Gemach zu melden.

Sanya blieb eine Weile ratlos stehen, nachdem die Königin in Richtung der Bäder verschwunden war. So fand sie Mithrendan, der selbst ein wenig mit Ruß beschmiert war, und legte ihr sachte die Hand auf die Schulter.
"Alles in Ordnung?" wollte er mit seiner beruhigenden Art wissen.
"Ich... denke schon," murmelte Sanya, doch dann schüttelte sie den Kopf. "Nein. Nichts ist in Ordnung. Ich habe versagt..."
"Es war nicht allein deine Schuld. Die Ostlinge hatten den Saal zu bewachen, und sie haben zugelassen, dass unter ihren Füßen ein Sprengsatz hochging. Ich hatte Glück, dass ich in dem Moment gerade austreten war..."
Sanya drehte sich zu ihm um und tat etwas, das sie nur selten zeigte: Sie umarmte ihren alten Freund fest und legte ihren Kopf auf seine Schulter. "Ich bin froh, dass... dir nichts geschehen ist."
"Bis auf ein paar ziemlich unschöne Rußflecken..." scherzte er. "Aber wer wird denn da rührselig werden?"
"Ach..." Sanya ließ ihn los und winkte ab. "Sieh mich doch an. Ich bin mindestens so dreckig wie du, mein Kleid ist nur noch halb so lang wie es sein sollte, und ich blute. Meine Frisur ist natürlich ruiniert, genau wie meine Karriere. Glaubst du wirklich, es interessiert mich jetzt noch, was die Leute über mich denken könnten?"
"Also ich finde, das Gesamtbild, das du abgibst, strahlt eine gewisse wilde, kämpferische Entschlossenheit aus."
"Sehr witzig."
"Nein, im Ernst, Sanya. Das Wichtigste ist doch, dass die Königin in Sicherheit ist. Du hast den Anschlag verhindert."
Sanya schwieg einen Augenblick lang. So hatte sie die Sache noch nicht betrachtet. Die Angreifer hatten Kiana töten wollen, das stimmte. Und dieses Ziel hatten sie nicht erreicht. Aber war das wirklich Sanyas Verdienst?
"Ehrlich gesagt..." murmelte sie so leise dass es nur Mithrendan hören konnte, "...wirkte Kiana nicht so, als wäre sie wirklich in Gefahr... du hättest sehen sollen, was sie mit den Attentätern angestellt hat. Das war starke Magie, oder so etwas in der Art... und es sah so mühelos aus. Sie hat diese Leute einfach weggefegt."
"Erinnere mich, sie niemals zu verärgern," sagte Mithrendan sanft lächelnd.
Sanya schüttelte den Kopf und seufzte. "Das sieht dir ähnlich, in so einer Lage auch noch Witze zu machen."
"Tja, du kennst mich doch," sagte er und hob die Schultern. "Aber du solltest dich jetzt wieder einkriegen, Sanya, und mit mir kommen. Die Spuren sind noch frisch, und wenn wir die Drahtzieher dieses Angriffs erwischen wollen, dürfen wir nicht noch mehr Zeit vertrödeln."
"Gut," sagte Sanya und ihr Kopf ordnete sich wieder. "Packen wir es an."
Sie wollte schon losmarschieren, aber Mithrendan hielt sie sanft zurück. "Aber nicht in diesem Aufzug," sagte er und grinste.

Kurz darauf hatte Sanya wieder ihre Rüstung an; die Überreste des Kleids hatte sie den Schneiderinnen gegeben und sich mehrmals dafür entschuldigt, es ruiniert zu haben. Sie wollte keinesfalls die harte Arbeit der Bediensteten mit Füßen treten.
Mithrendan hatte sich im Hauptgang des Palastes umgesehen, der vom unteren Tor entlang einer breiten, großen Treppe direkt zu den Toren des Thronsales führte. Als Sanya dort eintraf, fiel ihr ein bekanntes Gesicht in der Gruppe von Menschen auf, die bei Mithrendan standen und von ihm befragt wurden.
"Sieh an, Lady Terelos ist hier, und noch dazu unversehrt. Wie froh ich bin," sagte Relon Deneril und lächelte warmherzig. "So wie Ihr ausseht, seid Ihr vermutlich ebenfalls hier, um die Hintergründe dieses verräterischen Angriffes auf die königlichen Feierlichkeiten aufzudecken?"
"So ist es," sagte Sanya schnell, ehe er weiterreden konnte. "Habt Ihr irgendetwas gesehen, was mir helfen könnte, die Mistkerle zu schnappen, die dafür verantwortlich sind?"
"Ich war zum Zeitpunkt der Explosion nicht im Saal," sagte der Händlerfürst nachdenklich.
"Sondern wo?" hakte Sanya sofort nach.
"Oh, nun... das ist mir etwas peinlich, aber ich hatte gerade eine der Damen aus Anórien auf einen der Balkone geführt und..."
"Schon gut, erspart mir die Details," schnitt Sanya ihm das Wort ab.
"Jedenfalls kamen drei der Angreifer zu uns auf den Balkon gestürmt, nachdem sie gegen die Türen des Sales geschleudert worden waren, die nach draußen zu uns führten. Ehe wir etwas tun konnten, hatten sie sich schon über das Geländer abgeseilt und waren außer Sicht. Aber die Seile sind, so vermute ich, noch dort!"
"Mithrendan!" rief Sanya und lief los, in den Wissen, dass ihr alter Freund ihr folgen würde. Sie sprintete in den Thronsaal und bog dann nach links ab, wo die Zugänge zu den Balkonen lagen. Dort fand sie eine der Türen offen stehend vor und trat hinaus. Deneril hatte Recht gehabt: Am Geländer aus weißem Marmor waren drei eiserne Kletterhaken eingehängt worden, an denen dicke Seile hingen.
"Hinterher," sagte Sanya und stieg über das Geländer, dann packte sie eines der Seile und rutschte geschwind daran herab, dabei verhinderten ihre Handschuhe, dass sie sich die Handinnenflächen aufrieb. Ein rascher Blick nach oben zeigte ihr, dass Mithrendan direkt hinter ihr war. Unten angekommen standen sie in den königlichen Gärten und fanden neue Spuren.
"Wenn das kein Blutfleck ist, dann hänge ich meinen Posten als Spurenleser an den Nagel," sagte Mithrendan und kniete sich neben der Stelle hin, an der die weißen, flachen Steine des Gartenwegs direkt unter dem Balkon weiter über ihnen mit einer dunkelroten, trockenen Flüssigkeit verschmiert waren.
"Hier ist noch mehr Blut," sagte Sanya und deutete den Weg entlang. "Folgen wir den Spuren!"
Sie mussten nicht weit gehen. Hinter einem großen, in rechteckige Form geschnittenen Busch fanden sie einen Mann, der in sich zusammengesunken an dem Gestrüpp hinter ihm lehnte. Er hatte bereits viel Blut verloren, das aus einer langen Schnittwunde am Bauch quoll. Es war unverkennbar einer der geflohenen Attentäter.
"Für wen arbeitest du?" wollte Sanya sofort wissen.
"Ich... hatte an die Sache... geglaubt," antwortete der Verletzte mühsam und hustete, dabei lief ihm Blut aus dem Mundwinkel. "Aber... sie haben mich einfach... abgestochen..."
"Wer?"
"Die... anderen, die... mit mir flohen..."
"Wohin sind sie geflüchtet? Was haben sie vor? Wer führt sie an?" Sanya ließ nicht locker mit den Fragen.
"Sanya, er verblutet! Ich hole einen Heiler," sagte Mithrendan und sprang auf.
"Es... ist zu spät... für mich," sagte der Attentäter und lächelte grimmig.
"Sag mir wer dahinter steckt!" wiederholte Sanya.
"Du... weißt es... bereits..." ächzte der Verletzte, dann keuchte er ein letztes Mal, und kippte vornüber.
"Verdammt!" machte Sanya ihrem Frust Luft.
"Er ist tot," stellte Mithrendan unnötigerweise fest. "Aber ganz fruchtlos war unsere Suche nicht. Nicht ehe wir ihn nicht durchsucht haben." Sofort machte er sich daran, die Leiche aufs Genauste zu filzen. Und tatsächlich fand er etwas. "Sieh mal einer an," sagte der Kundschafter und hielt Sanya ein kleines Stück Stoff hin, nicht größer als ein gewöhnliches Taschentuch.
Sanya nahm es und drehte es um. Es war hellblau, und im Zentrum war in Weiß ein Abzeichen eingestickt, das ihr vertraut vorkam: Ein weißer Schwan, die Flügel zum Flug ausgebreitet. Nein - nicht weiß. Die Stickerei war mit Fäden aus Silber vorgenommen worden...
"Dol Amroth," murmelte sie und ballte die Faust um das Stoffstück.
Mithrendan sagte nichts, sondern verschwand, um sich um die Entsorgung der Leiche zu kümmern. Sanya blieb nachdenklich allein zurück. Kiana würde schon auf sie warten, fiel ihr ein. Mit mehr Fragen als Antworten machte sie sich auf den Weg zu den königlichen Gemächern...

Darkayah:
Minas-Tirith, Weiße Festung (Gondor)
Kiana Vaneryen auf den Weg in die Bäder des Palastes von Minas-Tirith…

Kiana zögerte nicht lange um die Bäder zu betreten. Glücklicherweise waren die Wasserleitungen nicht durch die Explosion beschädigt worden, sodass sie ohne Probleme ein Bad nehmen konnte. Noch immer befand sich der Schrecken in ihren Knochen. Zwar hatten schon einige Männer versucht sie zu ermorden. Doch eine Explosion hatte sie noch nicht erlebt. Viele wussten davon und doch konnte niemand diese Katastrophe abwenden. Das erste mal seit langem fürchtete sie sich um ihr Leben. Natürlich hatte sie den Mordversuch ihrer Halbschwester nicht vergessen. Aber diesmal war es etwas anderes. Beinahe wäre es Verrätern gelungen die Königin zu töten. Nur was wär dann? Das Reich wäre in Chaos versunken und alles was Kiana für die Menschen erreicht hatte, wäre mit einem Schlag vernichtet worden. Zum Glück aber war sie unversehrt. Ihre Kräfte hatten sie gerettet.
Umso wohler fühlte sie sich, als sie ihre Kleidung endlich entfernte und rasch in das warme Wasser stieg. Dass ihre Wachen anwesend waren störte sie dabei recht wenig. Sie mussten ihre Königin ja beschützen. Seufzend setzte sie sich hinunter. Die junge Maia genoss den Moment der Ruhe. Auch wenn sie gerne Sanya in ihrer Nähe gehabt hätte, bevorzugte sie dennoch die Stille. Noch immer dröhnte der laute Knall der Explosion in ihrem Kopf. Hatte sie sich zu sehr von ihr ablenken lassen? Wurde sie durch ihre Oberkommandantin leichtsinnig ? 
Nein, daran liegt es nicht, dachte sie sich. Wenn ihr was passiert wäre, hätte ich mir das niemals verzeihen können!
Nach einiger sprang sie auf, trocknete sich mit einem Tuch ab und wickelte ihren Körper in eines ein. Zügig tapste sie in ihre Gemächer. Sie hoffte dass sich Sanya noch dazu entschied zu ihr zu kommen. Sie wollte in ihren Armen liegen  und den schlimmen Tag vergessen. Noch immer hörte sie die vielen Menschen die im Palast mit den Aufräumarbeiten beschäftigt waren und sich dort tummelten, während sie die Korridore entlang ging ,begleitet von ihren Ostlingwachen. Auf dem Weg begegnete sie Loki, der gerade etwas einen jungen Burschen in die Hand drückte, der sofort los lief, nachdem der Reichsmarschall etwas flüsterte.
"Was machst du da?", fragte Kiana direkt und misstrauisch. Loki lächelte ihr nur zu und legte seine Hand auf ihre Schulter. "Du hast mir doch den Befehl gegeben, die Armee Abmarschbereit zu machen! Hörig wie ich bin, lasse ich sofort den Befehl ausführen!", antwortete er ruhig und versuchte dabei möglichst unterwürfig zu wirken.
"Ah ja…", machte Kiana nur, während ihre Stimme ziemlich hoch klang. "...Warum kümmerst du dich nicht persönlich darum?".
"Ach Kiana… Du scheinst noch ganz verwirrt zu sein… Ich kann mir vorstellen dass das alles sehr viel für dich war: Die Explosion, die Toten und deine kräfteraubenden Mächte…", erwiderte er nur und klang dabei besorgt.
"Machst du dich etwa über nicht lustig?", fragte Kiana streitlustig.
"Was? Nein!", antwortete er sofort. "Ich hatte nur Angst um dich heute, Kiana… Ich will in deiner Nähe bleiben, damit ich weiß das du sicher bist! Deshalb hab ich einen jungen Kommandanten damit beauftragt…".
"So besorgt auf einmal?", provozierte sie ihn weiter, sodass er sein Gesicht verzog. Die Königin bemerkte seine Augen, die ihren Körper betrachteten, der nur in ein dünnes Tuch gewickelt war.
"Ich möchte dir so nah sein wie ich kann! Ich will selbst für deine Sicherheit sorgen… Das ist alles...", hauchte er ihr entgegen. Kiana war leicht verwundert. Sonst war er doch noch wütend, weil seine kleine Geliebte gestorben war. Vor kurzem noch, war er in einer Laune des Streites. Nun aber, wirkte er eher begierig darauf, in Kianas Nähe sein zu dürfen? Sie berührte Lokis Gesicht mit ihrer linken Hand und strich an seiner Wange entlang. Ihr vielen die vielen kleinen Verletzungen, die überwiegend schon versorgt worden waren, auf.
"Nein, heute nicht…", entgegnete sie nur mit halb geöffneten Augen und hochgezogenen Brauen. Bevor er etwas sagen konnte, legte sie ihren Zeigefinger auf seine Lippen. "Tschhh…", machte sie nur.
Sie umarmte ihn und flüsterte dabei: "Es ist gut, dass du dich wieder zu deiner Königin besinnt hast…". Mit einem siegessicheren Lächeln ließ sie von ihm ab. Loki sah leicht verwundert drein. "Du weißt, dass ich immer auf deiner Seite stand…".
"Aber sicher doch…", entgegnete sie grinsend. Sie stellte sich auf ihren
Zehenspitzen und gab ihrem Reichsmarschall einen Kuss auf die Wange. Dann zwinkerte sie ihm zu und ging in ihre Gemächer.

Dort angekommen sah sie sich erst einmal vorsichtig um. Einige der Zofen hatten wohl schon dafür gesorgt, dass sämtliche Lichtquellen entfacht worden waren. Auch war der ganze Raum warm. Kiana setzte sich auf einen Stuhl, der vor einem Tisch stand, auf dem sich ein Spiegel befand. Sie Griff nach einer Bürste und machte damit ihr silbernes Haar ordentlich, welches sie offen trug. Die junge Maia legte ihre ganze Haarpracht auf die linke Seite, während sie sich in diesem Spiegel betrachtete. Schnell stellte sie fest, dass sie keinen einzigen Kratzer hatte. Wenn sie sich dagegen die anderen vor Augen führte. Loki hatte noch Ruß im Gesicht, hatte einige Schnitte. Selbst Sanya blutete und war verletzt.
Die Arme Sanya…, dachte sie sich. Hoffentlich hat sich jemand um sie gekümmert!.
Als sie sich weiter im Spiegel ansah, konnte sie Loki verstehen, dass er irgendwie versuchte die Nacht bei ihr zu bleiben. Immerhin war sie äußerst hübsch. Das empfand sie ja sogar selbst über ihr eigenes Abbild.
Wahrscheinlich war es mit Octavia wirklich nur ein Ausrutscher…. Loki schien sein Interesse in Kiana kaum verloren zu haben oder wenigstens wiedererlangt. Zumindest machte er es ihr die letzten Tage mehr als deutlich. Das ganze Selbstvertrauen kam spätestens durch die ganzen Komplimente auf dem Fest zurück zu ihr. So viele Männer huldigten der jungen Maia
r, wie hübsch sie doch war. Sie genoss es sehr, im Mittelpunkt zu stehen. Es gab ihr ein Gefühl von Befriedigung.
Sie fixierte ihre eigenen violetten Augen und zwinkerte der Frau im Spiegel zu. Sie erhob sich schließlich und entfernte das Tuch, in welches sie sich nach dem Bad gewickelt hatte und schlüpfte in ein dünnes Nachthemd. Ihre langen silbernen Haare band sie zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen.
Die Königin setzte sich auf ihr Bett und überschlug ihre Beine, bevor sie die Schriftstücke in die Hand nahm, die auf dem Bett lagen. Als sie die Papiere durchsah, musste sie wieder -auch wenn sie nicht wusste warum- an das Symbol denken, mit welchem der Bote zurückkehrte. Das Symbol, das auch Octavia als Bemalung auf dem Gesicht trug. Kiana war überzeugt davon, dass die Taten ihrer Halbschwester sicher dafür sorgten, dass andere auf dumme Gedanken kamen und eine gewisse Inspiration darin sahen. Die einzige Frage die sie sich stellte war, warum ausgerechnet der Bote mit diesem Symbol zurückkehrte. Was hatte das zu bedeuten?
Die Königin legte die Schriftstücke wieder an die Seite und rieb sich erschöpft die Schläfen. Dann  vernahm sie ein vorsichtiges Klopfen an der Tür.
"Ja, was ist?", rief sie äußerst unfreundlich, weil sie eigentlich mit niemanden rechnete und niemanden sehen wollte. Als die Tür geöffnet wurde, betrat Sanya das Gemach und wirkte dabei mit gesenktem Kopf mehr als unterwürfig. Ihr Gesicht war noch voller Blut und wies Spuren des Kampfes auf. Sie war wieder in ihrer Rüstung gekleidet.
"Verzeih mir, wenn ich dich noch stören muss, Kiana…", fing Sanya vorsichtig an. Kianas ernster Gesichtsausdruck veränderte sich in einen sanften. "Ach Sanya! Du störst doch nicht! Niemals!", sagte sie mit einem Lächeln auf ihren zarten Lippen.
"...Wir haben einen der Angreifer gefunden… Er wurde leider von seinen eigenen Leuten erstochen, sodass er starb und wir keine Informationen mehr aus ihm herausbekommen haben… Aber er hatte das bei sich!", fuhr die Oberkommandantin fort.  Dabei hielt sie Kiana etwas hin, das die Königin neugierig in die Hand nahm. Es war ein Stofffetzen. Auf dem ersten Blick nicht interessant. Kiana betrachtete es argwöhnisch. Als sie es ausbreitete, geriet ihr Atem fast ins Stocken. Es zeigte einen Schwan, der seine Flügel ausgebreitete. Die Königin kannte das Symbol zu gut. Es war das Wappen von Dol-Amroth, welches auch König Imrahil führte.
"Das kann nicht sein…", sagte sie entsetzt vor sich hin. Für sie konnte es dafür nur eine Erklärung geben. Das Haus von Imrahil war ausgelöscht , bis auf eine Person: Sein Bruder Galador, der ihr Berater war und sie am Ende verriet. Als sie ihn gefangen nehmen ließ, befreite Thirak ihn und floh mit ihm wohin auch immer. Galador musste dahinterstecken.
"Der Bruder von Imrahil muss dahinter stecken!", behauptete Kiana hektisch. "Du wirst  sicher schon früher von ihm gehört haben… Galador war der ungeliebte Bruder Imrahil, von dem er sogar fast hingerichtet worden wäre, sodass er an meine Seite gelangte…".
Kiana machte eine kurze Pause und goss sich etwas Wasse ein und nahm einen kleinen Schluck. Mit dem Kelch in der Hand wandte sie sich wieder Sanya zu. "...Er entschied sich am Ende lieber dafür zu seiner Familie zu halten und verriet mich, obwohl ich ihm so viel gegeben hatte… Das lustige, wobei eher traurig, ist dass er kurz zuvor seinen Freund Saruman verraten hatte, der einen Komplott gegen mich geplant hatte…".
Sanya wirkte, als hörte sie der Königin gespannt zu. Kiana gefiel es. "...Allerdings ist es für mich sehr schwer vorstellbar… Warum sollte er in Gondor sein? Es wäre mehr als gefährlich… Irgendjemand hätte ihn sehen müssen…", ergänzte sie stutzig.
"Vielleicht ist er woanders und bezahlt von dort aus andere. Er muss ja nicht selbst agieren!", entgegnete Sanya.
"Vermutlich hast du recht…", erwiderte Kiana seufzend, "...Er ist ein gefährlicher Mann… Wenn er dahinter steckt, wirst du es herausfinden!".
Die Königin erkannte das schiefe Lächeln ihrer Oberkommandantin. Kiana stellte den Kelch auf einen kleinen Tisch und ging einige Schritte auf Sanya zu.
"Dir wurden deine Wunden nicht nicht versorgt?", fragte Kiana leicht verärgert, aber trotzdem noch liebevoll. "Was frage ich auch… So eifrig wie du bist, konntest du es wohl kaum abwarten, die Angreifer zu schnappen!".
"Ich habe versagt… Es wäre ihnen fast gelungen dich zu töten und das hätte ich mir niemals verzeihen können!".
Kianas Lippen lächelten ihr sanft zu. Sie nahm die Hände Sanyas in die ihrigen. "Aber es war nur fast! Ich kann zwar nicht mehr gut mit einem Schwert umgehen, aber ich habe noch immer meine Kräfte! Ich meine, ich bin eine Maia!".
"Ich hätte es trotzdem besser wissen müssen…".
"Lass dir dein Herz nicht von solchen Gedanken verdunkeln! Ich brauche es noch!", deutete Kiana ihre gestandene Liebe zu Sanya an. Sie spürte wieder das verlangen, sie küssen und spüren zu wollen. Gleichzeitig kannte sie Sanyas wahre Gefühle noch immer nicht, wagte sich aus Scham aber auch nicht nachzufragen. Deshalb hoffte sie einfach, dass sie die Worte Kianas vergessen hatte und fing ein anderes Thema an.
"Ich werde schon sehr bald nach Arnor aufbrechen müssen… Ich muss das Land wieder unter meiner Herrschaft haben und die bestrafen, die Schrecken und Terror verbreiten… Ich werde einen großen Teil meiner Armee mit mir führen… Aber es werden genug Soldaten hier sein, um die Ordnung zu halten…"., sagte Kiana um von ihren eigentlichen Gefühlen abzulenken.
"Wie hast du das denn vor?", wollte Sanya wissen.
"Die Menschen von Arnor haben ihr Schicksal selbst gewählt… Das Feuer wird das Land reinigen…", sagte Kiana.
"Was ist mit denen, die keine Wahl haben, die Unschuldigen?".
"Keiner ist unschuldig! Sie hätten die Rebellen nicht akzeptieren müssen… Wenn der Himmel über sie hereinbricht, werden sie wissen, wen sie das zu verdanken haben!", entgegnete die Königin entschlossen. "Du wirst hier bleiben… Ich kann es nicht riskieren, dass dir etwa zu stößt… Das heute war schon…".
Kiana setzte sich stöhnend auf ihr Bett, bevor sie weitersprach. "...Das heute war schon schlimm genug… Ich hatte Angst um dich…".
"Aber es ist doch meine Aufgabe dich zu beschützen! Dafür habe ich mein Eid geleistet!", sagte die Oberkommandantin rasch.
"Das schon… Wahrscheinlich bist du auch die einzige in diesen Zeiten, die ihren Eid wirklich ernst nimmt… Aber umso mehr Zeit ich mit dir verbringe, desto mehr Angst habe ich.. Angst, dass dir etwas zustößt… Angst dich zu verlieren… Angst vor dem, was noch passieren wird...", erklärte die Königin. Ehe Sanya antworten konnte, ergriff Kiana wieder das Wort, während sie sich die Stirn rieb. "Nein! Bitte sag nichts!".
Sie ließ sich rücklings auf das Bett fallen und rutschte hoch zu ihrem Kissen. Sie bedeckte ihre inzwischen ausgekühlten nackten Beine mit ihrer Decke und klopfte neben sich auf das Bett.
"Komm lieber her zu mir und Wärme deine Königin… Der Tag war anstrengend und ich will dich spüren, Sanya!".
Sanya schien nicht lange zu zögern, entfernte ihre Rüstung und hüpfte zu Kiana in das Bett. Die junge Maia bedeckte ihre Oberkommandantin ebenfalls mit ihrer Decke und schmiegte sich an ihr. Endlich verspürte sie wieder das warme Gefühl, dass in ihr aufstieg, wenn sie bei Sanya war. All die negativen Gedanken verschwanden aus ihrem Kopf und sie konnte entspannen. Sie streckte sich zu Sanya, um sie ein paar mal zu küssen und die Ereignisse des Tages ertragbar zu machen…

Kiana Vaneryen in ihrem Gemach…

Saizo:
Minas Tirith (Gondor)

Sanya in der Weißen Festung

Sanya lag noch eine ganze Weile wach, auch nachdem Kiana bereits eingeschlafen war. Nach den Dingen, die am vergangenen Tag geschehen waren, bekam sie so schnell kein Auge zu. Und außerdem hatte ihr das, was die Königin gesagt hatte, schon länger zu denken gegeben.
Sie spricht immer wieder von Liebe, dachte Sanya, Aber kann das wirklich die Wahrheit sein? Sie nahm sich vor, Kiana bei der nächsten Gelegenheit darauf anzusprechen. Es würde ein wichtiges Gespräch werden, da war Sanya sich sicher. Nur - wann würde diese Gelegenheit kommen? Das königliche Heer würde bald aufbrechen, und bis nach Arnor war es ein weiter Weg, selbst wenn man auf einem Drachen flog. Und Kiana hatte Sanya nicht gebeten, sie zu begleiten, woraus Sanya ableitete, dass die Königin von ihr erwartete, dass sie in Gondor blieb und den Machenschaften des Silbernen Schwans endlich ein Ende setze, so wie es die Pflicht verlangte.
Sanya kletterte vorsichtig aus dem Bett, um ihre Herrin nicht zu wecken, und setzte sich ans Fenster. Von draußen schien der Vollmond herein, der hoch über der Weißen Stadt stand und auf sie herab blickte. Die weißen Mauern und Türme spiegelten das Licht wider und verliehen der Stadt ein geheimnisvolles Funkeln. Irgendwo dort draußen treibt sich dieser Mistkerl herum, dachte Sanya. Das Gesicht ihres Feindes tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Wie bei ihrer letzten Begegung in Anórien lächelte er sie herzlich an, doch Sanya wusste, dass er sie damit nur täuschen wollte. Jemand, der vor Mord und Terror nicht zurückschreckte, konnte kein guter Mensch sein.
Ein kleiner Rest Zweifel blieb, tief in ihrem Gedanken vergraben, was den Silbernen Schwan anbelangte. Sanya seufzte und zog sich an. Sie wusste einfach noch nicht genug über den Anführer der Aufständischen, um ihn richtig einschätzen zu können und seine Pläne zu durchschauen. Als sie ihren Gurt umgelegt hatte, traf sie eine Entscheidung. Sie würde die Spur nicht länger kalt werden lassen. Auch wenn es ihr einen Stich ins Herz versetzte, spürte sie dennoch, dass es die richtige Entscheidung war. Sie warf einen Blick auf die schlafende Kiana, dann ging sie zum Schminktisch der Königin hinüber und begann, einen Brief zu schreiben.

Kiana,

Wenn du dies liest, bin ich mit Mithrendan bereits losgezogen, um dem Aufstand, der dich beinahe das Leben gekostet hätte, ein Ende zu bereiten. Ich habe zu lange gezögert und vielleicht ist die Spur bereits erloschen, aber ich muss es wenigstens versuchen, das bin ich dir und dem Reich schuldig. Ich weiß, dass du dir wünschst, dass ich die Verräter in Gewahrsam nehme und dass ich deshalb nicht mit dir nach Arnor ziehen soll. Ich bin mir sicher, dass du auch ohne meine Hilfe im Norden Erfolg haben wirst, aber ich bitte dich dennoch um Vorsicht. Unterschätze diese Rebellen nicht. Sie haben Fornost eingenommen und einen Legaten besiegt. Ich glaube, du wirst auf heftigen Widerstand stoßen, aber ihn mithilfe deiner treuen Soldaten überwinden können.

Ich habe unsere gemeinsame Zeit genossen, Kiana. Wenn wir einander wiedersehen, sollten wir uns in Ruhe darüber austauschen, wie wir zueinander stehen. Ich für meinen Teil kenne meine Aufgaben und werde sie im besten Interesse des Reiches und seiner Königin versuchen zu erfüllen. Ich werde alle Befehle befolgen die du für mich hast und dir treu dienen, das schwöre ich bei meiner Ehre.

Sanya Terelos
Unter ihren Namen setzte Sanya das Siegel ihres Hauses; eine uralte Elbenrune, die für die Buchstaben T-R-L-S stand. Dann warf sie sich ihren schwarzen Umhang um die Schultern und öffnete die Tür des königlichen Gemaches. In diesem Moment regte sich Kiana im Schlaf, und Sanya erstarrte, doch die Königin erwachte nicht. Sanya gab sich einen Ruck und trat hinaus auf den Gang, wo die beiden dort postierten Ostlinge sie ausdruckslos musterten, sie jedoch nicht aufhielten. Sie schenkte beiden ein knappes Nicken, dann schloss sie die Tür und machte sich auf die Suche nach Mithrendan.

Sie fand ihren alten Freund in den Häusern der Heilung, nachdem sie einige Soldaten nach Mithrendan gefragt hatte. Er hatte sich bereit erklärt, den Heilern bei der Verpflegung der vielen Verletzten des Anschlags ein wenig zur Hand zu gehen. Sanya war nicht überrascht, Mithrendan zu so später Stunde noch immer bei der Arbeit vorzufinden. Sie betrat den zentralen Gebäudekomplex der Heilhäuser und entdeckte Mithrendan dabei, wie er einen großen Stapel Verbände in Richtung des Lazaretts auf der Rückseite des Gebäudes schleppte. Kurzerhand nahm sie ihm die Hälfte des Stapels ab und half ihm bei der Lieferung, dann nahm Sanya ihn beiseite, damit sie ungestört reden konnten.
"Noch auf den Beinen zu so später Stunde?" wollte Mithrendan wissen.
"Ich habe schon genug geschlafen," entgegnete Sanya. "Es wird Zeit, dass wir uns wieder auf die Jagd nach dem Schwan machen."
"Oho! Hast du also genug von der geruhsamen Gesellschaft der Königin, hm?" Selbst im Zwielicht konnte Sanya Mithrendans belustigtes Lächeln sehen.
"Sehr witzig. Du weißt genau, dass die Spur kalt werden wird, wenn wir ihr nicht folgen."
"Das habe ich bereits, wenn du es wissen willst," sagte Mithrendan. "Als du in den Palast gegangen bist, habe ich mich in den Gärten genauer umgesehen und..."
"Nun spuck's schon aus, Mithrendan."
"Wusstest du, dass man aus den Gärten durch eine unscheinbare Hintertür direkt in die königlichen Ställe gelangen kann? Das haben unsere Attentäter getan, und sie haben zwei Meldereiter überfallen und bewusstlos geschlagen. Ich habe die beiden Burschen gefesselt und geknebelt hinter einem großen Heuhaufen im Keller der Ställe gefunden. Sie konnten mir die Angreifer beschreiben und haben sogar gesehen, welche Pferde die beiden mitgenommen haben."
Sanya war beeindruckt und schöpfte neue Hoffnung. "Also suchen wir nach zwei Verrätern, die sich als Meldereiter ausgeben? Weißt du zufällig auch, wohin sie geritten sind?"
"Nach Süden. Die Torwächter haben zwei Reiter passieren lassen, auf die die Beschreibung passt. Einer der beiden hat einen dicken, buschigen Bart, einen roten. Der andere ist unauffälliger, bis auf eine kleine Narbe auf der linken Wange. Wenn wir noch heute losreiten, können wir ihnen bestimmt folgen."
"Ich wette, sie sind auf dem Weg nach Dol Amroth," überlegte Sanya, während sie losmarschierte, gefolgt von Mithrendan. "Erinnerst du dich an den Stofffetzen, den wir gefunden haben?"
"Ja, aber der Schwan der darauf abgebildet war, war weiß und nicht silbern," sagte Mithrendan, als sie gerade die Häuser der Heilung verließen.
"Die Königin vermutet, dass Galador von Dol Amroth dahintersteckt..."
"Ist er nicht seit der Sache in Minas Tirith verschollen?"
"Ja... aber er scheint noch am Leben zu sein. Trotzdem..."
"Was ist, Sanya?"
"Ich habe den Mann gesehen, der in Anórien behauptet hat, der Silberne Schwan zu sein, und ich denke nicht, dass er gelogen hat. Aber das war nicht Galador. Er war deutlich jünger..."
"Villeicht ein Untergebener. Oder die Königin irrt sich in ihrem Verdacht," überlegte Mithrendan.
"Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen," beschloss Sanya. "Falls Galador wirklich dahinter steckt, sollte er besser ein Auge auf den Himmel über ihm haben. Die Königin wird bald nach Norden reiten..."
"Auf ihrem Drachen?"
"So ist es," bestätigte Sanya. "Falls Galador sich in Arnor versteckt, steht er vielleicht auch mit den dortigen Rebellen in Verbindung..."
"Also führt der Weg unserer Königin nach Norden, während wir uns nach Süden wenden," bemerkte Mithrendan. Mittlerweile waren sie vor den Stallungen angekommen und ließen sich zwei frische Pferde geben.
"Es ist nicht zu ändern," sagte Sanya leise.
Mithrendan kletterte in den Sattel und warf ihr einen verwunderten Blick zu. "Klingt ja fast, als ob dich das stören würde." Er grinste frech.
"Behalte deine Gedanken besser für dich," sagte Sanya drohend und stieg ebenfalls auf ihr Pferd. "Los jetzt! Die Nacht ist schon halb vorbei, und unsere Beute hat einen großen Vorsprung!"
Sie preschten los und ließen Minas Tirith bis auf Weiteres hinter sich, um der Straße in Richtung Dol Amroth zu folgen.

Darkayah:
Minas-Tirith, weiße Festung (Gondor)
Kiana im Palast der weißen Festung…

Die warmen Sonnenstrahlen kitzelte Kianas Nase und ließ sie so von ihrem langen erholsamen Schlaf erwachen.  Sie hatte tief und fest geschlafen. Ihre Träume waren ruhig. Gähnend streckte sie sich in ihrem Bett aus. Der Königin ging es an diesem Tag besonders gut. Gerade wollte sie seitlich greifen und Sanya davon erzählen, ihr sagen wie froh sie war die Frau an ihrer Seite zu haben, da stellte sie fest, dass Sanya gar nicht mehr neben ihr lag. Sie erhob ihren Oberkörper und sah sich in ihrem Gemach um, aber die Oberkommandantin war nirgends zu sehen. Enttäuscht verschränkte sie ihre Arme und lehnte sich an das Kopfende des Bettes. Die junge Maia seufzte. Wahrscheinlich war sie nur früh auf den Beinen und wollte sich vergewissern, dass auch keine Bedrohung mehr in der Nähe gewesen war.
Es klopfte an der Tür und riss Kiana kurzzeitig aus ihren Gedanken. Das muss Sanya sein!, machte sie sich selbst Hoffnungen. "Ja, tritt ein!". Dabei setzte sie sich auf.
Als die Tür sich öffnete, betrat nicht Sanya den Raum, sondern Loki mit gesenktem Kopf, der einige Briefe in seinen Händen hielt. Wieder enttäuscht ließ sie sich auf ihr Bett fallen.
"Du siehst nicht zufrieden aus, Kiana.", fing er besorgt an. "Hast du etwa jemanden anders erwartet?".
"Ja!", entgegnete sie energisch und kurz. Natürlich wollte sie, dass Sanya zurück in ihr Gemach kam.
"Auf wen wartest du denn dann?".
Zunächst zögerte sie. Kiana wusste genau, dass Loki es sich denken konnte.
"Wo ist Sanya?", fragte sie diesmal direkt.
"Ach Sanya… Sie ist schon in der Nacht abgereist, wie ich von den Wachen hörte…".
"Was du alles weißt…", erwiderte sie genervt und zog eine Augenbraue hoch.
"Ich muss ja bestens informiert sein, um dich zu beschützen!", sagte er grinsend. Sie beobachtete nur, wie sich Loki über ihren Schminktisch beugte. Neugierig versuchte sie zu sehen was er dort machte. Unter ihm lag nur ein Stück Papier.
"Vielleicht steht es ja hier…", sagte er plötzlich. Sofort sprang Kiana auf und eilte zu Loki. So schnell sie konnte schnappte sie sich das Schriftstück und las es sich durch. Es war wirklich ein Brief Sanyas. Sie sprach davon, dass sie Die Zeit mit der Königin sehr genossen hatte und den silbernen Schwan ein für alle mal erwischen wollte, damit Kiana endlich sicher war. Sie seufzte und ließ sich wieder auf das Bett sacken.
"Was ist?", fragte Loki. "Stimmt etwas nicht?".
Kiana schüttelte nur den Kopf. Eigentlich hoffte sie darauf, dass Sanya sie in den Norden begleitete. Sie wollte ihre Oberkommandantin in ihrer Nähe wissen. Doch nun war sie einfach verschwunden. Genau wie Thirak damals bei. Wieder presste sie einen deutlichen Seufzet hervor, denn sie war mehr als beunruhigt und unzufrieden. Vor allem ,aber, wusste sie nicht wie sie mit derartigen Gefühlen umgehen sollte.
Rede dir nichts ein,dachte sie sich. Sie sagt doch dass sie weg ist um den silbernen Schwan zu fangen! Also brauche ich mir keine Sorgen machen!
Sie sah zu Loki auf, der sie die ganze Zeit mit seinen Augen fixierte.
"Außerdem ist Legat Fenrist aus Mordor  hier…", fing Loki an zu erzählen, "...Es gibt wohl beunruhigende Nachrichten aus Mordor…".
Noch mehr schlechte Neuigkeiten? Waren die Rebellen im Norden und die Aufstände in Gondor nicht genug? Sie war all den Ärger Leid. Vor Zorn ballte sie ihre Faust und erhob sich. Die Königin zog ihr Nachthemd aus um schnell in ihr schwarzes Kleid zu hüpfen. Ihr war es klar, dass Loki sie dabei ganz genau beäugte.
"Sag dem Legaten…", sagte sie stöhnend, während sie ihre Kleidung anzog, "...Dass ich ihn gleich im Thronsaal erwarten werde…".
Als sie endlich ihr Kleid an hatte, bemerkte sie, dass Loki noch immer dort an der Tür stand und starrte.
"Was ist? Wird es bald?", befahl sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Nachdem sie diese Worte sagte, dauerte es nicht lange und Loki verschwand.
Kopfschüttelnd und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nahm sie noch einmal den Brief Sanyas in ihre Hände. Sorgfältig las sie ihn nochmal durch. Ihr fiel vor allem eine Zeile auf. Wenn wir einander wiedersehen, sollten wir uns in Ruhe darüber austauschen, wie wir zueinander stehen, las sie die Stelle in ihrem Kopf mehrere male durch. Was meinte sie damit? Wollte sie klar stellen, dass sie für Kiana nicht das gleiche fühlte? Oder wollte sie ihr doch auch ihre Liebe gestehen?
Beide Gedanken verursachten ihr Bauchschmerzen. Sie entschied sich aber in den Thronsaal zu gehen und endlich den Legaten von Mordor zu treffen. Ablenkung würde ihr sicher gut tun. Außerdem musste sie sich um die Belange ihres Volkes kümmern. Sie war immerhin die Königin.

Schnell lief sie in den Thronsaal. Dort warteten auch schon Legat Fenrist zusammen mit Loki. Der Theonsaal befand sich noch weiter in Reperatur, die streng von Soldaten bewacht wurde. Fenrist war anders als die übrigen Ostlinge der Armee. Er trug sein Haar nicht ganz kurz. Auch hatte er im Gegensatz zu den übrigen Ostlingen keine braunen sondern blaue Augen. Kiana stand vor dem deutlich größeren Mann und begrüßte ihn sanft auf Ostron, der die Begrüßung mit einer Verbeugung erwiderte.
"Ich hoffe ihr hattet eine angenehme Reise und einen ehrbaren Empfang, Legat Fenrist…", fing Kiana an. "...Ihr seid sicher nicht umsonst persönlich nach Minas-Tirith gekommen um mit mir zu sprechen…".
"Danke, meine Königin, alles verlief nach meiner besten Zufriedenheit! Auch stellt es mich zufrieden, euch wohlauf zu sehen, nachdem ich von der Barbarei hörte, die hier passierten… Wäre ich hier gewesen, hätte ich es verhindert! Umso mehr schäme ich mich, dass es meinen Brüdern nicht gelungen ist…", entgegnete Fenrist und senkte dabei sein Haupt.
"Da bin ich mir sicher!", sagte Kiana, "Aber meine liebste…Ähm…". Die Königin räusperte sich bevor sie fortfuhr. "...Eine meiner treuesten Kommandantinnen ist den Attentätern auf der Spur…".
"Nicht einer der Ostlinge?".
"Nein…", zog Kiana das Wort in Länge.
"Es sollte einer meiner Brüder sein… Am besten ich selbst…", sagte er sofort.
"Ich weiß euren Ehrgeiz zu schätzen, Fenrist! Ihr gehört zu meinen fähigsten Kämpfern… Habt Grauer Staub in der Schlacht von Carn-dûm gerettet, habt euch in der Schlacht von Minas-Tirith bewiesen!", erwiderte Kiana und schnappte sich seine Hände. "Ihr müsst für mich in Mordor sein, da ihr derjenige seid, der dafür gemacht ist es zu verwalten!".
"Was Mordor angeht…", schnaubte der deutlich größere Krieger, "...Die alten Meister aus Harad haben unsere Karawanen angegriffen…".
Kiana zuckte fast zusammen, als sie die Worte hörte. Lange hatte sie nichts mehr von den Meistern gehört, seit sie aus Umbar abgereist war.
"Die Meister aus Harad? Seid ihr euch da sicher?", bohrte sie nach. Der Legat nickte ihr zu. "Das kann nicht sein…", sagte sie leise vor sich hin.
Das muss daran liegen, dass Loki aus Umbar gegangen und einen Großteil der Armee hierher verschifft hat…, dachte sich die junge Maia verärgert. So gerne wollte sie ihm schimpfende Worte an den Kopf werfen. Doch sie versuchte ruhig zu bleiben. Sie wandte sich mit einem Lächeln an Fenrist.
"Seht ihr… Genau deshalb braucht Mordor euch! Ich werde dafür sorgen, dass ein Teil der Armee zur Unterstützung mit euch reisen wird… Außerdem werde ich dafür sorgen, dass ihr genug Mittel zu Bekämpfung der Aufständischen aus Harad habt!", sagte sie sofort. "Ich möchte dass ihr euch sofort darum kümmert… Die Meister müssen vernichtet werden…".
"Aber… Ich habe versagt…", wollte er gerade sagen, doch Kiana unterbrach an. "Tscht!", machte sie nur und stellte sich auf ihre Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. "Die Meister aus Harad sind unser Feind! Sie haben dich und deine Brüder versklavt und das einzige was zählt ist, dass sie bekämpft werden!", sagte sie energisch. "Du solltest dich am besten sofort auf dem Weg machen!".

Der Mann verneigte sich vor ihr und stampfte hinaus. Kiana sah ihm noch eine Weile hinterher, bis sie bemerkte, dass Loki von einem Boten einen Brief in die Hände gedrückt bekam. Skeptisch sah die Königin zu ihm rüber, denn Loki sah nicht besonders begeistert davon aus, was in diesem Brief stand. Rasch lief sie zu ihm.
"Was ist?", sagte sie äußerst grob.
"Ich weiß nicht ob du jetzt…", sagte Loki gerade, da versuchte Kiana ihm den Brief aus den Händen zu reißen, aber der Reichsmarschall wollte nicht locker lassen.
"Gibst du mir jetzt den Brief?", fauchte sie ihn an. "DAS IST EIN BEFEHL!".
Dabei wurde sie lauter, sodass ihre Stimme im ganzen Saal hallte. Seufzend überließ er ihr endlich das Schriftstück und hielt seine seine Hand vor dem Gesicht. Kiana beäugte ihn noch kopfschüttelnd. Als sie sich dem Brief zuwandte, konnte sie ihren Augen nicht trauen. Er trug das Siegel des Hauses Stark. Jene Familie, die damals vor der Herrschaft Kianas, Angmar beherrschten. Unterzeichnet war we von Lynn Stark. Schnell und aufgeregt las sie sich die Worte durch, die von einer Bedrohung für Angmar und demi gesamten Norden sprach. Es ging um ein Mädchen, die außergewöhnliche Kräfte besaß und damit ganze Armeen vernichtete. Sie sollte darauf aus sein zuerst die Krone Arnors, Angmars und dann des gesamten Reiches von Mittelerde zu bekommen. Kiana blieb die Spucke im Hals stecken. Octavia Sagitta, die Tochter Thurions versucht Schrecken im Norden zu verbreiten, hieß es an einer Stelle. Octavia ? Am leben? Doch wie kann das sein? Hatte sie den Sturz doch überlebt?
In Kianas Kopf waren so viele Fragen. Sie bekam ein drückende Gefühl in sich drinnen. Nicht nur weil es eine neue Gefahr für sie selbst war, sondern auch weil sie an ihre frühen Jahre denken musste. Die Jahre an denen ihre Kräfte zum Vorschein kamen und andere sie für ein Monster hielten ließ. In gewisser Weise bekam sie etwas Mitleid. Doch für sie stand das Reich im Vordergrund. Aber auch ohne eigene Macht, die dadurch gefährdet war.
Niemand außer ich darf solche Kräfte besitzen! Alle anderen würden sie nur für sich selbst missbrauchen!, dachte sie sich und schlug den Brief Loki vor die Brust, der schnaufend zusammen zuckte.
"Da hat deine kleine Freundin wohl doch überlebt…", sagte sie und klang dabei streitlustig. Deshalb antwortete Loki vermutlich nicht.
"Du hast wohl gelesen, was mit ihren Kräften ist… Ich hatte von Anfang an recht… Sie wird behaupten Anspruch auf den Thron zu haben und mich verdrängen wollen…".
"Kiana, das stimmt doch nicht… Sie ist nun mal deine Schwester…", entgegnete Loki besorgt.
"Es spielt keine Rolle, welche Kräfte sie besitzt, oder wer sie ist… Arnor soll in Flammen aufgehen…", machte sie erbost deutlich. "Sorg dafür, dass die Armee heute noch abmarschbereit ist…".
"Aber Kiana…".
Mit ihrem Blick verdeutlichte sie die Ernsthaftigkeit ihrer Entscheidung. Loki senkte nur den Kopf.
"Gut, ich werde mich dann auch…".
"Nein, du wirst hier bleiben!", befahl sie direkt. "Du bist der Reichsmarschall und musst mich vertreten… Auch wenn es mir fast widerstrebt…".
"Kiana du weißt, dass ich dich nicht enttäuschen würde…".
Die Königin zog ihre rechte Augenbraue hoch und sah ihn misstrauisch an. Eigentlich war sie sich sicher, dass sie Loki vertrauen konnte. Doch wenn es um Octavia ging, war sie sich skeptisch.
Erbost lief Kiana aus dem Thronsaal hinaus und hörte dabei die letzten Worte Lokis nicht mehr wirklich, der ihr noch hinterher rief, Sanya über den neuen Vorfall durch einen Boten zu informieren. Kiana war nur noch froh, wenn der Alptraum endlich ein Ende Hatte und das Reich im Frieden unter Kiana bestehen konnte.

Kiana im Palast von Minas-Tirith…

Saizo:
Dol Amroth (Gondor)

Sanya und Mithrendan erreichen Dol Amroth...

Sie waren der Fährte entlang der großen Straße von Minas Tirith durch den gesamten östlichen Teil von Gondor gefolgt, bis sie ihr Weg wieder zurück nach Dol Amroth geführt hatte - dort, wo der ganze Ärger mit dem Silbernen Schwan einst angefangen hatte. Unterwegs waren die beiden Männer, die Sanya und Mithrendan verfolgten, ihnen immer ungefähr einen halben Tagesritt voraus gewesen, doch zum Glück waren sie nicht ein einziges Mal von der Straße abgewichen und immer wieder fanden Sanya und Mithrendan Augenzeugen, die sich an die beiden Verdächtigen erinnerten und gesehen hatten, in welche Richtung sie sich davongemacht hatte.
"Tja, da wären wir also wieder," sagte Mithrendan als er aus dem Sattel stieg. Sie hatten das große Tor der mächtigen Stadt durchquert und waren direkt dahinter rechts abgebogen, um in einen großen Hof zu gelangen. Hier befanden sich die öffentlichen Stallungen. Sanya wusste, dass die berühmten Ritter von Dol Amroth weiter oben in der Stadt noch einige Ställe besaßen, doch sie war bislang nicht dort gewesen.
"Halt' die Augen offen," sagte sie und folgte gleich ihrem eigenen Rat, indem sie sich aufmerksam umschaute. "In einer so bevölkerten Stadt wird es nicht leicht sein, unsere zwei Verdächtigen aufzuspüren."
"Vielleicht sollten wir uns aufteilen," schlug ihr alter Freund vor. "Du könntest den hiesigen Legaten um Unterstützung bitten. Immerhin ist hier in Dol Amroth eine starke Garnison stationiert. Wenn die Jungs alle dabei helfen, die Augen offen zu halten, werden wir die Kerle bestimmt bald aufgespürt haben."
"Gute Idee," meinte Sanya nachdenklich. "Und was wirst du in der Zwischenzeit tun?"
"Das, was ich am besten kann," grinste Mithrendan und verschwand durch eine nahgelegene Türe. Als Sanya sich das Gebäude ansah, in das er gegangen war, verdrehte sie nur seufzend die Augen. Es handelte sich um eine Taverne.

Während Sanya die Straßen von Dol Amroth hinauf in Richtung des Fürstenpalastes ging, dachte sie über ihre aktuelle Lage nach. Mithrendan würde sich wie immer perfekt unter das einfache Volk mischen und so an seine Informationen kommen. Sie beneidete ihn gleich aus zwei Gründen deswegen: Einerseits wegen seiner Lockerheit und Fähigkeit, Menschen einfach so zu durchschauen und kennenzulernen, und andererseits, weil Sanya wenn sie ehrlich war, am liebsten mit ihm gegangen wäre. Die königlichen Legaten hatten etwas an sich, das sie nicht genau beschreiben konnte, das ihr aber immer wieder einen kalten Hauch den Rücken herunter laufen ließ.
Sie stapfte die Stufen zum großen Eingangsportal des Palastes hinauf und zeigte den Soldaten, die dort Wache hielten, ihr Rangabzeichen, damit man sie hindurch ließ. Wie bei ihrem letzte Besuch im Palast fand Sanya den Ostling-Legaten in seinem Arbeitszimmer vor, das hinter dem großen Schreibtisch durchs Fenster einen guten Blick auf die Bucht von Belfalas und das Meer bot.
"Was gibt es?" fragte der Ostling knapp und musterte Sanya abwartend.
"Ich benötige Eure Hilfe, Legat," stellte Sanya klar. "Wir sind auf der Suche nach zwei Verdächtigen, die an dem Anschlag auf unsere Königin beteiligt waren."
"Natürlich," sagte der Legat und verzog keine Miene.
Sanya gab ihm die Beschreibung der beiden Gesuchten und bat den Legaten, diese an seine Soldaten weiterzuleiten. Sie sollten den Befehl bekommen, die Verdächtigen lebend zu fassen und in den Kerker zu werfen.
"Wäre das dann alles?" wollte der Legat anschließend wissen, nachdem er den Befehl bestätigt hatte.
"Ja," sagte Sanya sofort. "Vielen Dank für die Unterstützung."
"Natürlich," wiederholte der Ostling erneut. Dann senkte er den Blick und konzentrierte sich wieder auf die Dinge, die auf seinem Schreibtisch ordentlich aufgestapelt waren. Sanya wusste, dass sie damit aus der Audienz entlassen war.

Als sie den Palast gerade verlassen wollte, kam ihr ein Mann entgegen.
"Lady Terelos? Das ist aber eine schöne Überraschung!"
Sanya musste sich sehr zusammenreißen um nicht frustriert zu klingen. "Meister... Deneril." presste sie hervor. "Was tut Ihr hier in Dol Amroth? Seid Ihr mir etwa gefolgt?"
"Mitnichten!" Deneril lachte auf nervtötende Weise. "Ich brach direkt nach der königlichen Feier zu den Häfen von Minas Tirith auf, wo ein Schiff auf mich wartete und mich hier in die Stadt der Schwäne brachte. Ihr wisst schon, Geschäfte, Geschäfte... das Leben eines Händlers steht niemals still! Ich bin gewiß vor Euch hier eingetroffen. Gerade wollte ich mit dem guten Legaten sprechen, ob er sich nicht überlegen könnte, die Zölle am Hafen unten ein wenig... zu senken. Wir alle hätten etwas davon! Diese Stadt befindet sich im wirtschaftlichen Aufschwung, und das wollen wir doch nicht bremsen, nicht wahr? Die Königin - möge sie lange und gerecht über uns herrschen - möchte doch, dass es den Menschen besser geht, und ich kann ihr helfen, dafür zu sorgen. Wenn ich meine Waren günstiger zu den Städten Gondors bringen kann, dann kann ich die Preise senken und mehr Menschen können sie sich leisten. Das versteht Ihr bestimmt, Lady Terelos, da Ihr so eine kluge Frau seid. Oh! Da fällt mir ein, wenn Ihr schon in Dol Amroth seid, besucht mich doch in meinem Handelskontor, unten am Hafen! Natürlich erst nach meiner Verhandlung mit dem Legaten, versteht sich. Ich könnte Euch ein paar wundervolle Dinge zeigen und Euch natürlich einen Freundschaftspreis dafür anbieten... das Kleid, das Ihr bei der königlichen Feier getragen habt war wundervoll, aber wenn Ihr erst die Gewänder gesehen habt, die ich dort unten bereitgestellt habe..." Er machte eine ausschweifende Geste mit der linken Hand und seufzte wohlig. "Ihr würdet atemberaubend darin aussehen, meine Gute. Versprecht mir, dass Ihr vorbei schauen werdet, ja? Es ist gar nicht schwer zu finden, fragt einfach einen der Hafenarbeiter - die meisten können Euch den Weg weisen. Viele arbeiten sogar für mich!"
"Ich, also," schaffte Sanya es zu sagen, doch schon fuhr Deneril mit seinem Redefluss fort.
"Wundervoll! Also sehen wir uns dort. Einfach fantastisch! Nun, dann werde ich mich jetzt mal dem Legaten stellen. Ein unheimlicher Geselle, wenn Ihr mich fragt... aber das sind diese Ostlinge ja alle." Deneril hatte seine Stimme um eine Wenigkeit gesenkt als er das sagte. Dann legte er Sanya seine Hand auf die Schulter. "Wünscht mir Glück, Lady Terelos! Ach - nein, das habt Ihr schon getan, indem Ihr mich mit dieser schönen Begegung beglückt habt. So, und los geht es! Auf bald, meine Liebe!"
Sanya blieb an Ort und Stelle stehen. Der Wortschwall des Händlers hatte sie wie immer überrumpelt. Sie fluchte leise, dann schüttelt sie den Kopf und verließ endlich den Palast.

Einige Zeit später stand Sanya auf dem Wehrgang der mächtigen Stadtmauern Dol Amroths und dachte nach. Unter ihr verlief eine der kleineren Straßen, die außerhalb der Stadt von einem Tor zum nächsten führten, und auch auf diesem Weg waren viele Menschen unterwegs. Dol Amroth platzte beinahe vor Geschäftigkeit. Sanya fragte sich, woran das wohl liegen konnte. Eine Sache, die der Händler Deneril gesagt hatte, wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Dol Amroth war die Stadt der Schwäne... und der Mann, den sie jagte, hatte sich als Silberner Schwan bezeichnet und trug das Wappen des Hauses von Dol Amroth bei sich, ein weißer Schwan auf hellblauem Feld. Und die Spur seiner Diener führte zurück hierher nach Dol Amroth. Die Königin verdächtigte Galador, den Bruder des einstigen Fürsten von Dol Amroth, der laut Kiana der letzte des uralten Adelshauses der Herren von Dol Amroth war. Aber... was wenn das nicht stimmte? Konnte noch jemand anders überlebt haben? Sanya wusste darauf im Augenblick keine Antwort.
Als sie an Kiana dachte, richteten sich ihre Gedanken auf andere Dinge. Einerseits war sie froh, für ein paar Tage oder Wochen nicht in der Nähe der Königin zu sein, denn alles was Kiana tat und was sie Sanya befahl, brachte Sanya so sehr durcheinander, dass sie sich vorkam als wäre sie zehn oder fünfzehn Jahre jünger und zum allerersten Mal verliebt. Aber andererseits hatte Sanya Kianas Gegenwart genossen und vor allem das Gefühl, geliebt oder gar begehrt zu werden hatte sich gut angefühlt. Mittlerweile hatte Sanya begonnen zu glauben, dass Kiana diese Sache tatsächlich ernst meinen könnte, und es nicht eine Art verdrehtes Spiel zur Unterhaltung der Königin war, die nur sehen wollte wie weit Sanya gehen würde und wie treu sie ihren Anweisungen Gehorsam schenken würde. Dennoch hoffte Sanya, dass ihre Herrscherin diese Sache, die sie miteinander hatten, auch eines Tages von einer rein körperlichen Ebene auf eine tiefer gehende Basis bringen würde, und sich ihr wirklich anvertrauen würde. Ihre innersten Gedanken mit Sanya teilen und nichts vor ihr verbergen würde. Sie hatten sehr wenig miteinander gesprochen, wenn sie alleine gewesen waren. Und gerade wenn sie auf ihren Missionen in Gefahr geriet oder harte Zeiten durchmachen musste, gab es einen kleinen, tief sitzenden Teil in Sanyas Herzen, der sich jemanden wünschte, der sie abends einfach in den Arm nahm und festhielt, bis sie wieder ihren Mut und ihre Kraft gefunden hatte, die sie brauchte um in dieser Welt zu überleben.
Seufzend sah Sanya einer Schwalbe dabei zu, wie sie in einigen Metern Entfernung vor der Mauer dahinsegelte. Frei zu sein wie ein Vogel, den kein Land oder Wasser halten konnte. Das wünschte sie sich in jenem Augenblick...

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