Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Eregion
Ost-in-Edhil
Curanthor:
Aus der Sicht Amarins
Erste Schneeflocken trudelten vom Himmel hinab und setzten sich auf die Gräser um ihn herum. Amarin blickte nachdenklich in den Norden. Eine tiefe Traurigkeit überkam ihn bei dem Anblick des Schnees. Er erinnerte ihn an seine Geliebte und wie weit fort sie war. Es war eine Zeit, in der sich das Wetter nicht entscheiden konnte ob es Späterbst, oder Anfang des Winters war. Dennoch war er dankbar, dass er nach so vielen Jahren nun endlich bei vollem Bewusstsein dem Schnee beim herunterrieseln beobachten konnte. Amarin streckte die rechte Hand aus, um einzelne Flocken zu fangen. Dabei versuchte er den ständigen Schmerz zu ignorieren. Nach all den Jahren hatte er sich noch immer nicht daran gewöhnt.
"Es wird niemals verheilen", erklang eine sanfte Stimme hinter ihm.
"Das brauchst du mir nicht zu sagen, Ivyn", antwortete er ohne sich umzudrehen, den Blick noch immer auf seine Hand gerichtet. er bemühte sich erst gar nicht freundlich zu klingen. "Weswegen kommst du so weit vor die Stadt? Hast du nicht eine kleine Schülerin, die deinen Lehren bedarf?"
"Darf ich denn nicht einem alten Freund gesellschaft leisten?", hielt sie ruhig dagegen.
Amarin anwortete nicht, sondern blickte hinauf auf die Gipfel des Nebelgebirges. Neben ihm raschelte es und Ivyn trat an seine Seite, seinem Blick folgend.
"Du kannst ihn auch manchmal sehen, nicht wahr?"
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Der alte Elb stieß schwer die Luft aus und wandte sich ihr zu. "Vor dir kann man auch gar nichts geheim halten, oder?"
Ivyn schmunzelte, als sie sich ebenfalls ihm zuwandte.
"Das hast du schon bei unser ersten Begegnung festgestellt. Es ist erfreulich zu sehen, wie sich dein Geist von der jahrelangen Folter erholt."
Er kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie sich ehrlich freute. Amarin gab sich geschlagen und nickte ihr auffordernd zu.
"Was ist es, dass du mir sagen möchtest? Solch freundliche Worte verwendest du doch nur, wenn du etwas gesehen hast, dass dir Sorgen bereitet."
Ein Schatten huschte über Ivyns Gesicht. Ihre altehrwürdige Ausstrahlung schwächelte ein wenig, doch hatte sie sich voll im Griff.
"Bin ich so einfach zu durchschauen?", murmelte sie leise, räusperte sich aber dann rasch. "Du überraschst mich. Scheinbar schreitet deine Heilung in den letzten Wochen gut voran."
Amarin hob scharf eine Braue.
"Ich bin nicht senil. Du hast große Gefahren gesehen. Ich spüre es auch. Es liegt in der Luft, die wir atmen, selbst in den Schneeflocken merkt man es."
"Ja", stimmte Ivyn leise zu, "Noch vor dem ersten großen Wintersturm wird uns ein anderer Sturm erreichen. Und er wird große Gefahren für unser Volk bringen."
Ein Knacken hinter ihnen, ließ das Gespräch verstummen. Amarin lauschte den vorsichtigen Schritten im Gras. Ein leichter Duft nach Minze wehte ihm um die Nase.
"Adrienne von Gondor, komm zu uns", sprach Ivyn über ihre Schulter.
Amarin sah dem Mädchen zu, wie sie etwas unbeholfen aus dem Gebüsch stolperte. Dabei machte sie ein ertapptes Gesicht, was ihn leise lachen ließ.
"Du musst noch viel lernen, wenn du dich an Elben heranschleichen möchtest", begrüßte er sie mit einem leichten Grinsen.
"Ich wollte nicht...", begann sie, ließ den Satz aber unvollendet und strich sich unbehaglich durch ihre braunen Haare. "Die Dunländer haben die Nordwacht fertig gestellt. Das sollte ich von Isanasca und Fanathr ausrichten."
Eilig machte sich Adrienne davon, ohne auf eine Antwort zu warten.
"Merkwürdiges Mädchen", befand Ivyn nachdenklich.
Amarin blickte zu seiner Freundin aus alten Zeiten, die versonnen dahinstarrte, wo Adrienne aus dem Gebüsch gestolpert war.
"Sie ist mutig, aber sehr melanchonisch, dennoch eine gute Schülerin. Eigentlich wollte mein Sohn sie unterweisen, da er aber schon seit einigen Wochen fort ist, habe ich mich ihrer angenommen."
"Gib gut auf sie Acht, wenn sie dir ans Herz gewachsen ist", warnte Ivyn düsterer als gewohnt und nickte zum Himmel, "Der Sturm ist nicht mehr fern."
Amarin seufzte und schüttelte den Kopf.
"Ihr Ersten sprecht immer in Rätseln. Das hast du damals auch schon gut gekonnt." Er machte eine kurze Pause und fuhr fort:" Wissen die anderen unserer Familien schon davon?"
Sie schüttelte langsam den Kopf.
"Die Zeit ist eine sehr sensible Sache. Wenn wir ihnen zu viel sagen, können Dinge geschehen, die nicht gedacht waren, doch genau das kann auch passieren, wenn wir etwas zu einem falschen Zeitpunkt enthüllen. Manchmal muss man die Dinge ihren Lauf lassen."
Amarin bemerkte anhand ihrer Stimmlage, dass sie nicht mehr von der drohenden Gefahr sprach.
"Ist es das, was du mir einst gesagt hattest? Dass unsere Schicksale einen merkwürdigen Lauf nehmen würden?"
"Das haben sie schon. Seit unseren Treffen vor so vielen tausenden Jahren, erinnerst du dich?"
Amarin wusste sofort wovon sie sprach und atmete tief durch, ehe er sagte: "Ich weiß wovon du redest. Deine Suche nach ihm hatte mich tief beeindruckt."
Seine alte Freundin nickte erleichtert und blickte verträumt in den verschneiten Himmel, während sich die Flocken in ihrem seidenen Haar sammelten.
"So wie deine Suche mich beindruckte und wir uns gegenseitig halfen. Erinnerst du dich an meine Worte von einst?"
Wie hätte er sie jemals vergessen können. Es war eine der bemerkenswertesten Reisen gewesen, die er jemals erlebt hatte. So viel hatte er gesehen, so viel gekämpft und auch die Verluste der Elben erlebt, die im ständigen Schatten gelebt hatten.
"Es wird eine Zeit kommen, in der wir uns wieder begegnen. Unsere Schicksale sind nun untrennbar miteinander verwoben. Wenn es soweit ist, wirst du erkennen", zitierte er die Worte, die sie ihm zu ihren Abschied gesagt hatte. Ivyn nickte bestätigend. Die unausgesprochene Frage ihrerseits beantwortete er mit einem leisen Lachen. Sie hob fragend eine Braue.
"Ich habe es schon erkannt, als ich in dem Dorf angekam, dass du mir damals beschrieben hattest. Du hast es selbst vorhin gesagt, auch wenn nun eines meiner Augen blind sein mag, ich sehe mehr als man es von mir erwartet. Ich wusste sofort, wer von ihnen deine Tochter war." Amarin blickte ihr in die silbernen Augen, welche ihn sofort an das Licht der Sterne erinnerte.
"Und ich danke dir aus tiefsten Herzen dafür, dass du auf sie Acht gegeben hast. Es war zwar nur für eine kurze Dauer, aber damit hast du den Weg geebnet, der nun vor uns liegt. Ohne dein Handeln, wäre mein Volk heute nicht hier, oder gar restlos vernichtet."
Zu seiner Überraschung verneigte sich Ivyn, ehe er sie davon abhalten konnte.
"Das ist wirklich nicht nötig, du bist eine Erste! Eigentlich sollte ich mich verneigen, um Respekt zu zollen", sagte er eilig, die Hände abwehrend erhoben.
Ein scharfer Wind kam auf und brachte den ersten Schnee dazu, noch heftiger herunterzufallen. Ivyn richtete sich wieder auf und blickte nach Norden.
"Er ist auf dem Weg", murmelte sie zufrieden und wandte sich wieder an ihn, "Das habe ich von einer gemeinsamen Freundin gehört."
Amarin grinste in sich hinein und legte seine Hand auf die Brust, dort wo sein größter Schatz hing. Auch er hatte es gespürt.
"Ich bin wirklich froh, dass wir uns damals kennengelernt haben, Ioristion", sagte seine Freundin dankbar und wandte sich ab, "Ich bin mir sicher, er hätte dich gemocht."
Amarin blieb noch eine Weile stehen, während die hochgewachsene Elbe im Schneetreiben nur nur ein unsteter Schemen war. Er blickte ihr nach und murmelte, wohl wissend, dass sie ihn noch immer hören konnte: "Und ich bin mir sicher, dass er dich noch immer so liebt, wie einst und auf dich wartet, Cúwen."
Ein trauriges: "Ja", war die Antwort, voller Gewissheit und unsagbaren Verlust. Es war der schmerzvollste Laut, den er in den letzten Jahren vernommen hatte, so sehr, dass sich sein Herz verkrampfte. Als Amarin blinzelte, war ihr Schemen verschwunden, während rings herum die Schneeflocken in einem eigentümlichen Tanz zu Boden sanken.
Fine:
Oronêl und Kerry aus Dunland
Kaum hatten die beiden Reiter den Fluss überquert, da traten ihnen bereits mehrere schwer gerüstete Wächter entgegen, die offenbar im Schatten einiger Bäume gewartet hatten.
"Wohin des Weges, Reisende?" wollte einer der Elben wissen. Er trug, wie seine Kumpane, einen langen Umhang mit Kapuze und war mit Bogen und Speer bewaffnet. Einige der Wächter hatten kleine Elbenlampen dabei, die ein bläuliches Licht spendeten.
"Wir wollen nach Ost-in-Edhil," sagte Oronêl. "Wir haben eine dringende Botschaft an eure Königin."
"Die Tore der Stadt sind um diese Tageszeit bereits geschlossen," antwortete der Grenzwächter. "Ihr werdet Ost-in-Edhil heute nicht betreten können."
"Es ist wirklich wichtig, dass wir so schnell wie möglich mit Faelivrin reden," mischte Kerry sich ein.
Der Elb warf ihr einen kühlen Blick voller Missgunst zu, ehe er sich kommentarlos wieder an Oronêl wandte. "Sucht euch ein Quartier für die Nacht. Die Tore werden sich für euch nicht öffnen."
Oronêl warf Kerry einen beruhigenden Blick zu. Dann sagte er: "Danke für die Warnung. Gibt es denn einen Ort, wo wir uns für die Nacht einrichten können?"
"Ein gutes Stück entlang der Straße nach Osten gibt es eine Wegstation für Botenreiter," antwortete man ihm. "Dort werdet ihr Unterschlupf finden."
Kerry warf dem Wächter einen bösen Blick zu, ehe sie sich wieder in Bewegung setzten und die Straße entlang ritten. Kurze Zeit später fanden sie die Wegstation, die aus einem hölzernen Unterstand für mehrere Pferde sowie einer kleinen, angrenzenden Hütte bestand. Zwei Elben saßen am Eingang der Hütte. Als Oronêl und Kerry aus ihren Sätteln stiegen und einige Grußworte riefen, standen die Elben auf und verschwanden wortlos hinter dem Haus.
"Wie unhöflich," sagte Kerry.
"Vermutlich kommen nur wenige Fremde in diesen Tagen hier entlang," überlegte Oronêl. "Eregion war all die Jahrtausende verlassen. Dass hier nun wieder gutes Volk lebt, hat sich sicherlich noch nicht herumgesprochen."
"Dass es hier nur selten Besuch für die Manarîn gibt, entschuldigt noch lange nicht dieses unfreundliche Verhalten," beschwerte sich Kerry.
"Ich... glaube nicht, dass diese Elben zu Faelivrins Volk gehören," meinte Oronêl nachdenklich. "Mathan hat einmal nebenbei davon gesprochen, er sagte, es wären noch andere Elben nach Eregion gekommen. Irgendetwas sagt mir, dass es sich dabei um Avari gehandelt hat."
"Avari?" wiederholte Kerry fragend.
"Elben aus dem Landen jenseits von Rhûn," erklärte Oronêl.
"Hm," machte Kerry, die sich darunter nichts vorstellen konnte. "Ich wünschte, Farelyë wäre noch hier. Sie würde ihnen bestimmt Manieren beibringen."
Oronêl schmunzelte. "Du solltest versuchen, ein wenig zu schlafen. Ich bin mir sicher, morgen steht uns ein weiterer langer Tag bevor."
"Glaubst du... wir werden es noch bereuen?" fragte Kerry, während sie sich ihr Nachtlager im Inneren der kleinen Hütte einrichtete.
"Was meinst du?"
"Dass wir nicht heute noch bis nach Ost-in-Edhil geritten sind," sagte Kerry. "Du weißt doch, was wir in Gwŷras Heimat erfahren haben. Eregion ist in Gefahr. Vielleicht sollten wir..."
"Und du hast gesehen, wie wachsam die Elben an den Furten waren," antwortete Oronêl. "Ich weiß, dass unsere Warnung an die Manarîn entscheidend sein könnte. Aber ich vertraue auch darauf, dass ihre Wachsamkeit sie noch einen Tag länger schützen wird. Wenn wir noch heute weiterreiten und vor verschlossenen Toren stehen, wirst du dir noch wünschen, hier geblieben zu sein, wo du wenigstens ein Dach über dem Kopf hast und vor dem Wind geschützt bist."
Kerry sah ein, dass der Waldelb recht hatte. Zwar hatte der Schneesturm längst nachgelassen, doch noch immer lag ein kalter Wind über dem Land und Kerry war froh, dem Wetter für einige Zeit entronnen zu sein. Mitten in der Kälte vor den Mauern von Ost-in-Edhil zu lagern wirkte auf sie nicht gerade wie eine lohnende Alternative.
"Also gut," murmelte sie und gähnte. "Aber du musst mir versprechen, mich morgen bei Sonnenaufgang zu wecken."
Oronêls Antwort hörte sie kaum noch, als ihr schon die Augen zufielen. "Versprochen, Kerry."
Oronêl hielt Wort. Als er Kerry sanft wachrüttelte und sie müde die Augen öffnete, musste sie blinzeln. Schwaches, rötliches Sonnenlicht fiel durch die Tür der kleinen Hütte.
"Guten Morgen," sagte sie undeutlich und richtete sich auf. "Gut geschlafen?"
Der Waldelb schüttelte den Kopf. "Ich habe mich ein wenig in der Umgebung umgesehen," antwortete er. Immer noch wunderte Kerry sich darüber, wie wenig Schlaf Oronêl brauchte. "Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell die Besiedelung Eregions vorangeschritten ist, seitdem wir letztes Jahr hier gewesen sind."
"Wie meinst du das?" wollte Kerry wissen, während sie sich reisefertig machte.
"Ich habe im Westen die Silhouette eines Turmes gesehen, der letztes Jahr noch nicht dort gewesen ist," antwortete Oronêl. "Und im Norden sah ich dünne Rauchschwaden, wie sie von den rauchenden Schornsteinen eines Dorfes stammen könnten."
"Mhm," machte Kerry. "Und was hältst du davon?"
"Wir werden sehen," meinte Oronêl. "Es ist gut, dass die Elben sich hier eine neue Heimat erschaffen. Ich hoffe nur, sie erweisen sich der Bedrohung, die im Gebirge wächst, als gewachsen."
"Machen wir uns auf den Weg," schlug Kerry vor. "Ich will nicht noch einen Tag verlieren, um Faelivrin zu warnen."
Am Mittag kam das Ziel ihrer Reise in Sicht. Als Oronêl und Kerry zuletzt hier gewesen war, hatte Ost-in-Edhil aus nicht mehr als einer riesigen Ansammlung von Ruinen bestanden. Nun war die alte noldorische Stadtmauer vollständig instand gesetzt worden und die Dächer, die dahinter zu sehen waren, wiesen allesamt neue, mit roten Ziegeln gedeckte Dächer auf, auf denen nur wenig Schnee lag. Auf den Turmspitzen flatterten die Banner der Manarîn und die Stadt wirkte, als hätte man ihr ein ganz neues Leben eingehaucht.
Doch als Kerry und Oronêl vor den Toren Ost-in-Edhils angekommen waren, erwartete sie die nächste Enttäuschung. Die schweren Torflügel aus mit Eisen beschlagenem Holz waren fest verschlossen. Davor stand eine ganze Kompanie schwer bewaffneter Elben mit gezogenen Schwertern und Langschilden, die den beiden Reitern den Weg versperrten.
"Die Stadt ist auf Befehl der Königin abgeriegelt," sagte der Anführer der Torgarde. "Wir haben die Anweisung, niemanden hineinzulassen der keiner von uns ist."
Oronêl trat vor. "Wir haben eine wichtige Botschaft an eure Herrscherin," begann er. "Wir sind weit geritten, um ihr eine dringende Warnung zu überbringen."
"Sprecht ihr von den Orks, die sich im Gebirge sammeln?" fragte der Gardist. "Darüber weiß sie seit Kurzem Bescheid. Um genau zu sein ist dies auch der Grund, warum sie den Befehl zur Abriegelung gegeben hat. Es gab in letzer Zeit einige... Missverständnisse mit den Avari." Er hielt inne, als hätte er zu viel gesagt.
"Die Königin ist meine Schwester," wagte Kerry zu sagen. "Ihr solltet uns besser durchlassen, wenn ihr nicht wollt, dass sie euch allesamt aus ihrer Garde schmeißt."
Ungläubige Blicke antworteten ihr. "Du bist ein Menschenmädchen. Und eine dreiste Lügnerin," sagte der Anführer schließlich.
Kerry hatte erwartet, dass Oronêl ihre Behauptung bestätigen würde, doch der Waldelb zögerte. "Es ist wahr!" rief sie trotzig.
"Es spielt keine Rolle was du für die Wahrheit hältst," erwiderte der Gardist. "Wir kennen unsere Befehle, und sie sind eindeutig. Keine Fremden dürfen Ost-in-Edhil betreten. Die Stadt wird gegen einen Angriff befestigt, weshalb wir es uns nicht erlauben können, Spione hinter unsere Mauern schlüpfen zu lassen."
"Wir sind keine Spione!" stellte Kerry wütend klar.
"Lass es gut sein," sagte Oronêl leise. "Ich glaube, wir werden hier keinen Erfolg haben." Er führte Kerry einige Schritte vom Tor weg, außer Hörweite der Wächter.
"Ich glaube es einfach nicht," ärgerte Kerry sich.
"Mach den Soldaten keinen Vorwurf," meinte Oronêl beschwichtigend. "Sie befolgen nur ihre Befehle." Abschätzend betrachtete er die Mauern, die von außen glatt und unüberwindbar wirkten. "Außerdem scheinen sie über die Bedrohung aus dem Gebirge bereits Bescheid zu wissen. Vielleicht ist unsere Warnung gar nicht mehr notwendig."
Kerry stemmte die Hände in die Hüften. "Heißt das, wir sollen also einfach wieder umkehren? Ist es das, was du vorschlägst?"
Oronêl sah sie einen Augenblick lang an. Dann beugte er sich vor und sagte mit gedämpfter Stimme: "Ich habe immer noch das Ding bei mir, das du auf der Lichtung an der Geisterklippe gefunden hast. Ich denke, ich sollte es wirklich nach Imladris bringen."
Kerry biss sich unschlüssig auf die Lippen. "Ja, aber..."
Oronêl wirkte nun entschlossener. "Wenn Ost-in-Edhil uns im Augenblick verschlossen bleibt, und die Elben bereits von dem drohenden Angriff wissen, ändert das für mich unsere Prioritäten. Je eher ich diese Kugel in sichere Hände loswerden kann, desto besser."
"Heißt das, du willst nach Bruchtal reiten?"
"Ich denke schon," antwortete Oronêl.
Gerade als Kerry antworten wollte, erregte ein lautes Geräusch ihrer beider Aufmerksamkeit. Die Tore der Stadt öffneten sich mit einem Donnern und ein einzelner Reiter preschte heraus. Kaum war das Pferd zwischen den Torflügeln hindurch galoppiert, schloss sich das Tor bereits wieder.
"Ein berittener Bote," bemerkte Oronêl. "Sieht ganz so aus, als würde er nach Dunland reiten. Vielleicht bitten die Manarîn Aéd um Hilfe?"
Kerry wurde nachdenklich. Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Aéd wiederzusehen wirkte gleichzeitig aufregend und besorgniserregend auf sie. "Sie... scheinen wirklich alles mehr oder weniger im Griff zu haben," murmelte sie und meinte die Elben Eregions, die durchaus auf einen Angriff vorbereitet wirkten und nun sogar ihre Verbündeten alarmieren wollten.
"Komm, Kerry. Gehen wir eines nach dem Anderen an," schlug Oronêl vor. "Wir können immer noch zurückkehren, wenn wir den Palantír - wenn es denn einer ist - in Meister Elronds Obhut übergeben haben."
Kerry gab sich geschlagen. Bisher hatte Oronêls Rat sich oft genug als weise erwiesen. Sie beschloss, ihm auch dieses Mal zu vertrauen, auch wenn sie gerne all jene Elben wiedergesehen hätte, die sie auf der Reise von Mithlond nach Eregion kennengelernt hatte; von Halarîn ganz zu schweigen. Als sie an ihre Adoptivmutter dachte, merkte Kerry, wie sehr sie Halarîn in diesem Augenblick vermisste. Wären nur dieses blöden Mauern und Tore nicht im Weg, dachte sie.
Unverrichteter Dinge machten sie kehrt und nahmen die Straße nach Norden, die hier vom Hauptweg zu den Furten des Sirannon abzweigte. Schon bald lag die abgeriegelte Stadt hinter ihnen. Kerry Sorgen hingegen ließen sich nicht so leicht zurücklassen...
Oronêl und Kerry in Richtung Imladris
Fine:
Elea, Finjas, Arwen, Pippin und Kerry vom nördlichen Eregion
Wo bist du nur, Oronêl?
Viel zu oft hatte Kerry sich diese Frage nun schon gestellt, ohne dass sie eine Antwort erhalten hatte. Pippin, der vor ihr im Sattel saß, schien ihre Sorgen zu spüren.
"Er wird schon wieder auftauchen, spätestens wenn wir diese befestige Elbenstadt erreicht haben, von der du gesprochen hast."
"Ost-in-Edhil," antwortete Kerry wie automatisch, doch ihr Tonfall blieb von Kummer durchzogen.
"Genau die meinte ich," sagte Pippin. "Du hast doch Freunde dort, nicht wahr?"
"Familie, um genau zu sein," erwiderte sie leise. Und tatsächlich linderte das ihre Sorgen ein wenig. Die Manarîn würden wissen, was zu tun war. Und vielleicht hatte Pippin ja recht, und Oronêl würde am Hofe der Königin bereits auf sie warten.
"Ach ja, richtig... du hattest davon erzählt," fuhr Pippin fort. "Ich bin wirklich gespannt wie es dort so aussehen wird. Als ich... zuletzt hier war, gab es in diesem Land nichts als Ruinen."
"Das ist genau der Grund warum wir uns beeilen müssen," sagte Kerry mit fester Stimme. "Wir müssen verhindern, dass Eregion wieder zu einem Trümmerhaufen wird."
Sie musste daran denken, was Elea am Morgen zu ihr gesagt hatte. Ganz besonders hatte ihr aber die Umarmung der Dúnadan gutgetan und sie soweit beruhigt, dass sie sich dem Entschluss gefügt hatte, nicht länger nach Oronêl zu suchen.
"Und genau das werden wir auch tun, Kerry," sagte Pippin einigermaßen gelassen. "Wir haben seitdem wir die Grenze Eregions überschritten haben, noch nichts von irgendwelchen Orks gesehen. Also Kopf hoch! Wir werden rechtzeitig dort sein."
Pippin sollte recht behalten. Einige Stunden später, am späten Nachmittag, erreichten sie eine kleine Anhöhe inmitten der Ebenen. Von dort hatten sie einen guten Blick auf die alte Hauptstadt Eregions, die sich nun südlich von ihnen ausbreitete. Die Mauern wiesen nun bereits viel weniger Lücken auf, wie Kerry bemerkte, und sie sah die Helme der Wächter auf den Wehrgängen im Licht der sinkenden Sonne blinken.
"Ost-in-Edhil," sagte Arwen leise. "Viele Male habe ich seine Ruinen gesehen, wenn mich mein Weg vom Heim meines Vaters zu den Wäldern meiner Mutter führte. Doch niemals war so viel Leben in der alten Stätte wie heute."
Von Weitem konnte sie sehen, dass rings um die Stadt ein reges Treiben herrschte. Zu ihrer Überraschung schienen mehr Leute die Stadt zu verlassen anstatt Schutz hinter ihren Mauern zu suchen.
Finjas brummte. "Kommt mir so vor als würden sie die Frauen und Kinder schon evakuieren."
"Gut nöglich," sagte Elea, die direkt neben ihm ritt.
"Wir müssen schnell herausfinden, was da vor sicht geht!" sagte Kerry aufgeregt und wollte schon losreiten, doch Pippin hielt sie zurück. "Wenn, dann gehen wir alle zusammen."
"Er hat recht," sagte Arwen. "Wir wissen nicht, wie die Manarîn auf unsere Ankunft reagieren werden. Wir haben gehört, dass es Uneinigkeit unter ihnen gibt, insbesondere bei jenen, die aus dem Osten gekommen sind."
Kerry blickte Elea an, die sich mittlerweile für sie zu einer echten Bezugsperson entwickelt hatte. Als die Dúnadan langsam nickte, tat es Kerry ihr gleich.
Vorsichtig ritten sie bis an das Stadttor, das ihnen am nächsten gelegen war. Kerry spürte Anspannung in sich aufsteigen. Das letzte Mal, als sie mit Oronêl hier gewesen war, hatte man sie nicht eingelassen. Ob es diesmal anders werden würde?
Scharen von Elben kamen ihnen aus dem Inneren der Stadt entgegen und Finjas sah seine Vermutung bestätigt. Sie schnappten mehrfach auf, dass diese Elben an einen Ort namens Lissailin eavukiert werden sollten. Dennoch bedeutete das nicht, dass die Wachen unachtsam waren. Kaum war die Gruppe heran, wurde sie schon von mit Speeren bewaffneten Kriegern umringt, die aus einer Tür in der Seite des Torbogens hervorströmten.
"Fremden ist der Zutritt nicht gestattet," sagte der Anführer der Wächter. Sein Gesicht war bis auf die Augen von einem weißen Tuch bedeckt, darüber ruhte ein enger, silberner Helm.
Arwen ließ ihr Pferd ein wenig vortreten. "Ich bin Arwen Undómiel, von Imladris. Bei mir sind Ténawen Morilyë Nénharma und drei unserer Gefährten. Wir bitten darum, mit eurer Königin sprechen zu dürfen."
Der Wächter zögerte, dann jedoch nahm der Soldat neben ihm seinen Helm ab und zog das Tuch vor seinem Mund beiseite. "Na wenn das mal nicht die kleine Kerry ist!" sagte er und grinste.
"Ich kenn dich doch," sagte Kerry, dann fiel ihr der Name des Elben ein. "Fanael, richtig?"
Der Angesprochene nickte und deutete eine gespielte Verbeugung an. "Sieh an, du erinnerst dich also. Es war ein langer Weg von Fornost durch die Eiswüste bis nach Lindon, nicht wahr?"
"Das war es..." sagte Kerry. Hier war einer der drei Gardisten Faelivrins, die ihre Königin von Fornost bis zu den Schiffen der grauen Anfurten begleitet hatten. "Was für ein Glück dass du hier bist! Ich hatte schon befürchtete, sie würden uns wieder nicht einlassen."
"Wieder?" fragte Fanael.
Kerrys Miene verdüsterte sich. "Vor drei Wochen hat man Oronêl und mich fortgeschickt."
Fanael war bestürzt. "So weit ist es also schon gekommen... kommt, ich bringe euch bis zum Palast. Lasst sie durch, Kameraden! Sie sind vertrauenswürdig."
"Du bürgst für sie, Fanael," sagte der Wachhauptmann streng. "Und für all ihre Vergehen."
Fanael nickte, dann führte er die Gruppe durch das Tor hindurch, über den anschließenden Platz jenseits der Mauern und in eine breite Seitengasse. "So... am besten stellt ihr die Pferde hier erst einmal ab, ich lasse sie später zu den königlichen Stallungen bringen," versprach er. "Welch ein Zufall, dass du gerade heute ankommst, Kerry," sagte er dann und rieb sich nachdenklich das Kinn.
"Wie meinst du das?" wollte sie wissen.
"Nun... Farelyë bat mich, heute am Nordtor Wache zu halten. Sie sagte, es gäbe dort heute etwas zu sehen. Und sie hatte recht!"
"Ja, das habe ich für gewöhnlich, mein lieber Fanael," ertönte Farelyës Stimme hinter ihnen. Dort stand die geheimnisvolle Elbin, und zu Kerrys Überraschung trug sie eine Rüstung aus Leder, unter der ein Kettenhemd hervorlugte, und ein langes Schwert an der Seite. Kaum etwas erinnerte nun noch an das kleine Elbenmädchen, das Kerry einst in den Verliesen unter Carn Dûm kennengelernt hatte.
"Farelyë! Du bist hier!" rief Kerry strahlend und umarmte ihre Freundin.
Arwen blieb stehen und musterte Farelyë lange. Dann senkte sie sachte das Haupt. "Erste," grüßte sie respektvoll und schlicht.
Elea trat neben Kerry und fragte: "Diese Dame ist deine Freundin, Kerry?"
"Sie ist wie eine Schwester für mich," erklärte Kerry. "Jetzt, wo sie hier ist, wird alles gut werden. Farelyë, die sind Elea, Finjas, Arwen und Pippin, wir sind aus Bruchtal gekommen, um-"
"Es bedarf keiner weiteren Warnung, Morilyë," sagte Farelyë ruhig. "Das Land befindet sich bereits im Aufruhr. Ihr habt ja gesehen, dass all jene aus der Stadt gebracht werden, die nicht kämpfen wollen oder können."
"Auch meine Amil?"
"Halarîn ist noch hier, keine Sorge. Aber bevor wir dich zu ihr oder zur Königin bringen können, brauche ich etwas von dir."
"Von mir?" fragte Kerry erstaunt.
"Ich brauche jenes, was Mathan dir einst in Fornost Erain gab, und dich bat, darauf achtzugeben."
Kerry brauchte einen langen Augenblick ehe sie verstand, wovon Farelyë da sprach, bis ihr endlich ein Licht aufging. Den ganzen langen Weg von Fornost bis hierher hatte sie es quer durch Mittelerde getragen, verborgen im hintersten Winkel ihrer Tasche. Sie tastete danach, und zog es vorsichtig hervor."
"Eine... Nuss?" wunderte sich Pippin, der als erster erkannte, worum es sich dabei handelte.
"Die Frucht des Hulstbaumes," sagte Arwen.
"Aber woher kommt sie?" wollte Elea wissen.
Farelyë nahm Kerry die Nuss sachte aus der Hand und ging los. "Kommt mit. Im Zentrum der Stadt gibt es einen Garten, wo ein alter Hulst steht, der die Verwüstung von einst überdauert hat. Mathan empfing die Nuss einst von jenem Baum, und nun müssen wir sie ihm zurückbringen."
"Warum?" wollte Pippin prompt wissen.
"Ivyn warnte mich vor solchen Fragen," seufzte Farelyë, dann lachte sie. "Dies alles zu erklären würde viel Zeit beanspruchen - Zeit, die wir jetzt nicht haben," sagte Farelyë und bog um eine Ecke herum. "Die Pferde lasst hier! Fanael und Angatar werden sich um sie kümmern."
Es dauerte beinahe eine halbe Stunde, bis sie in einen stillen Garten kamen, der nur von kleinen, niedrigen Gebüschen bewachsen war, bis auf einen mächtigen Hulstbaum, der sich inmitten eines Rasenstückes erhob. Der Garten sah aus, als wäre er frisch gepflegt worden, doch als die Gruppe dort ankam, war er vollkommen verlassen. Farelyë zupfte sanft ein Blatt von einem der niedrigen Äste des Baumes, wickelte die Nuss darin ein und kniete sich dann in ungefähr fünf Schritt Entfernung vom Baumstamm auf den Rasen. Als Kerry neugierig neben sie trat, sah sie, dass jemand dort ein ungefähr faustgroßes Loch gegraben und dieses mit Wasser gefüllt hatte. Farelyë murmelte Worte in einer fremden Sprache, dann legte sie die Nuss in das Loch und verschloss es mit der losen Erde, die daneben lag.
"Mögest du gemeinsam mit den Manarîn stark werden und dieses Land zieren," sschloss sie auf Quenya. Dann erhob sie sich. "Ihr müsst erschöpft sein von eurer Reise. Ihr könnt später mit der Königin sprechen, ich sorge dafür dass ein Treffen arrangiert wird. Bis dahin schlage ich vor, dass wir uns in meine Unterkunft zurückziehen, und uns stärken. Keine Sorge, es wird genug für alle geben, und du Kerry, wirst deine Familie bald sehen."
Erstaunlicherweise war es Finjas, der sagte: "Etwas zwischen die Zähne zu bekommen klingt gut."
Alle stimmten ihm zu und verließen den Garten.
Thorondor the Eagle:
Wer ist diese geheimnisvolle Elbe? Was hat es mit der Hulstenfrucht auf sich? Wer ist diese Halarîn? Und viele weitere Fragen schossen Elea durch den Kopf als sie dieses spontane Ritual beobachtete. Ein Schauer überkam die Dúnadan, als die silbernen Augen Farelyë’s sie bei ihrer ersten Begegnung musterten und doch war sie auf unerklärliche Weise angetan von der Elbe.
Als sie den stillen Garten, der zweifellos ein Heiligtum der Stadt darstellte, verließen wurde Elea ihre Umgebung so richtig bewusst. Wo einst nur Ruinen standen, war nun wieder eine Stadt erwacht. Das Erscheinungsbild war ungewöhnlich und wirkte fremd. Die Gebäude bestanden zwar wie in Gondor überwiegend aus hellem Gestein, aber waren viel detailreicher in ihrer Ausführung. Durch die zahlreichen Rundsäulen, Terrassen, Rundungen und Torbögen wirkte alles weniger wuchtig als in Minas Tirith. Es verlieh Ost-in-Edhil eine Ausstrahlung von angenehmer Leichtigkeit. Eigentlich würde sie sich wohl fühlen, wäre da nicht dieses mulmige Gefühl in ihrer Magengrube.
Farelyë führte die Gruppe vor die Tore des Palastviertel. Bereits nach dem dritten Mal abbiegen in den engen Gassen der Stadt verlor Elea den Überblick über den Weg und folgte nur noch den anderen. Südwestlich des Palastes war eine kleine Anhöhe, auf der eine zweigeschossiges Haus stand. Ein Bogengang schlang sich um das gesamte Erdgeschoss, gegen Westen hin verlängerte sich dieser um eine ausgedehnte Terrasse.
„Es ist alles für euch vorbereitet“, sagte schließlich die silberäugige Elbe „Faelivrin konnte es kaum erwarten, dass du wieder hier sein würdest, Morilië.“
Kerry grinste leicht verlegen. Elea war froh, dass das Wiedersehen mit ihrer Familie, so wie sie sie nannte, die Sorge um das Verschwinden von Oronêl überlagerte.
Alle gemeinsam betraten sie das Haus und gingen in einen großen Speiseraum im südlichen Teil des Hauses. Es war bereits einiges aufgetischt, sodass sie sich ohne Umschweife an den Tisch setzten und reichlich zulangten. Elea beobachtete verstohlen die anderen. Es war schön mitanzusehen, wie Finjas mit großen Happen seinen Hunger stillte, Arwen die mit feiner Anmut ihren Teller befüllte, Kerry die vor lauter Getuschel mit der fremden Elbe auf das Essen vergaß und schließlich Pippin, der sogar mehr vor sich auf dem Tisch hatte als der ausgewachsene Finjas.
„Nun bin ich aber gespannt, wie ihr euch kennen gelernt habt“, fragte Elea ihre blonde Gefährtin und Farelyë.
„Oh das ist schon lange her, Farelyë war damals noch ein Kind“, scherzte Kerry und sah dabei lächelnd zu der Elbe die sofort miteinstimmte. Ihre Backen färbten sich rot.
„Junges Mädchen“, hob Elea tadelnd aber im Scherz den Finger „Also, wenn ich Arwen so ansehe die tausend Jahre älter ist und Jahrzehnte jünger aussieht, möchte ich meinen, dass es mindestens ein Menschenleben lang dauert ehe ein neugeborener Elb überhaupt sein erste Wort von sich gibt“, antwortete Elea „Du kannst sie also nicht als Kind kennen gelernt haben.“
„Und du meinst ihr Menschen habt es schneller heraußen?“, konterte ihre elbische Freundin.
„Was bleibt uns denn anderes übrig“, warf Finjas trocken dazwischen.
Alle am Tisch begannen zu lachen.
Danach fing Farelyë die Geschichte an „Morilië habe ich meine Freiheit zu verdanken. Sie war es, die mich nicht in den Verliesen des Nordens zurückgelassen hat. Sie war es, die mir in der Dunkelheit Hoffnung gab und mir eine Freundin war.“ Bei diesen Worten begannen die Augen der Elbe auf geheimnisvolle Art zu leuchten. Es mussten die Erinnerungen sein, die diese Reaktion hervorriefen.
„Hör schon auf“, tat die Rohirrim es ab und starrte verlegen in ihren Teller.
„Mutig ist sie, da gebe ich euch recht“, unterstützte sie Elea.
Anschließend versiegte das Gespräch und es trat ein betretenes Schweigen ein. Und so sehr sie diesen Moment genossen haben, so verflog er doch und der Grund ihrer Reise nahm wieder seinen angestammten Platz ein.
„Was geschieht hier?“, fragte schließlich Finjas die ansässige Elbe.
„Ost-in-Edhil wird geräumt. Faelivrin hat angeordnet, dass alle Bewohner die nicht in der Lage sind zu kämpfen die Stadt Richtung Westen verlassen“, antwortete die Elbe neutral „Die letzten Monate war es sehr ruhig im Gebirge. Es gab kaum Angriffe von den Orks, aber dies macht die Situation nicht angenehmer. Wir sind dankbar für die Zeit, denn jeder Tag der vergeht, ist ein Tag an dem unsere Verteidigungsanlagen stärker werden. Aber im Endeffekt fehlt es uns an Arbeitern und Soldaten.“
„Bruchtal schickt Verstärkung“, warf nun Arwen dazwischen.
„Das wissen wir und es ist auch notwendig, aber sonst haben wir niemanden auf den wir zurückgreifen können.“
„Was ist mit den Dunländern?“, fragte Kerry irritiert „Habt ihr Ae“, sie stockte, warf einen verstohlenen Blick zu Elea und setzte dann fort „Habt ihr den Wolfskönig benachrichtigt?“
Farelyë nickte: „Die Dunländer unterstützen uns mit ihren helfenden Händen, aber sie scheuen sich vor einem Bündnis. Die Angst eines Angriffes auf das Dunland ist zu groß.“
„Und die Dunedain?“, fragte Elea.
„Nachricht von den Menschen des Nordens haben wir nicht erhalten.“
Elea sah besorgt zu Finjas, er erwiderte ihren Blick und streckte ihr dann unter dem Tisch die Hand entgegen um ihre zu ergreifen. Sie fragte sich, ob Fornost selbst gerade bedroht wurde.
„Entsendet Boten nach Fornost!“, forderte Finjas sie auf.
„Dies sind Angelegenheiten die ihr mit der Königin besprechen müsst, nicht mit mir. Ich denke, dass sie euch bald empfangen wird, vor allem dich Kerry.“
Das blonde Mädchen presste die Lippen zu einem aufgelegten Lächeln zusammen. Elea erkannte wieder die Sorge über Oronêls Verbleiben in ihrem Gesicht.
„Farelyë“, sprach Elea sie nun an „eure Späher, haben Sie im Norden von hier etwas entdeckt? Gab es Angriffe von Orks in letzter Zeit oder sonst etwas ungewöhnliches?“
Erwartungsvoll sah Kerry nun zu ihrer Freundin.
„Nein, wie gesagt, es war sehr ruhig.“
„Hast du was von Oronêl gehört? Oder hast du ihn wahrgenommen?“, platzte es aus Kerry unweigerlich heraus.
„Von Oronêl? Nein“, die Elbe wirkte überrascht „Nein, Kerry“, sagte sie einfühlsam „Ich wusste, dass ihr kommen würde, aber von Oronêl wie ich nichts.“
Arwen klärte sie nun mit ihrer sanften Art über die Geschehnisse der letzten Nacht auf. Farelyë streichelte ihr danach tröstend über den Rücken und sprach ihr leise einige Worte zu.
Elea versuchte noch einige Bissen zu sich zu nehmen, aber es war ihr nicht ganz wohl. Sie ging hinaus auf die Terrasse und schaute über die Stadt. Zum Glück war der Schnee mittlerweile geschmolzen und die Sonne warf ein paar wärmende Strahlen auf sie.
Erst jetzt wurde ihr bewusst was sie fühlte. Genau dieses mulmige Gefühl hatte sie damals in Minas Tirith. Nie wollte sie in den Krieg ziehen, aber sie konnte nicht verhindern, dass er zu ihr kam. Ich muss wir weg. Wir müssen hier weg. So schnell wie möglich. Ost-in-Edhil ist nicht mein Ziel.
Fine:
Als Kerry sah, wie Elea mit einem unwohlen Gesichtsausdruck nach draußen ging, blickte sie ihr eine ganze Weile nachdenklich hinterher. Ein kurzer Blick zu Finjas, dem schweigsamen Waldläufer, ließ sie ahnen, dass er sich ebenfalls um Elea Gedanken machte. Doch nachdem er noch einige Minuten vor sich hin gegrübelt hatte, stand Finjas auf und entschuldigte sich, weil er nach den Pferden sehen wollte. Kerry erwartete zwar, dass Angatar und Fanael die Tiere mittlerweile zu Farelyës Haus gebracht hatten, aber sie stimmte dem Waldläufer darin zu, dass es sicherlich nicht schaden konnte, das Ganze zu überprüfen.
Arwen und Farelyë sprachen leise auf Quenya miteinander, und Pippin hatte sich nach dem reichhaltigen Essen bereits zu Bett begeben; der harte Ritt von Imladris nach Ost-in-Edhil hatte dem Hobbit wohl mehr Kraft gekostet als er selbst geahnt hatte. Kerry beschloss, später nach ihm zu sehen, dann stand sie leise auf und ließ die beiden Elbinnen im Gespräch zurück, um Elea auf den Balkon zu folgen.
Die Sonne ging unter und tauchte die Stadt in ein feuriges Rot, als Kerry hinaus trat. Eleas Silhouette zeichnete sich gegen den Sonneruntergang ab. Beinahe hätte Kerry sie lieber in Frieden gelassen, aber dann fasste sie sich ein Herz und trat neben die Dúnadan. Sie folgte Eleas Blick über die Dächer hinweg, dann schaute sie der Frau ins Gesicht. "Elea?" fragte sie zaghaft.
"Hm? Oh, du bist es, Kerry," sagte Elea etwas überrascht, als wäre sie tief in Gedanken versunken gewesen.
"Ist alles... in Ordnung?"
Elea seufzte und antwortete zunächst nicht, stattdessen ließ sie ihren Blick wieder in die Ferne schweifen. Da nahm Kerry Eleas Hand zwischen ihre beiden Hände. "Du kannst es mir erzählen," sagte sie mitfühlend.
Elea wandte ihr den Blick wieder zu. "Oh... liebes Mädchen, ich,..." stammelte sie gerührt, und legte ihre freie Hand auf Kerrys Hände, sodass sie einander nun nahe beieinander gegenüber standen. "Es ist nur so, dass ich... mich hier in der Stadt nicht wohl fühle, es ruft ungute Erinnerungen wach, und... am liebsten würde ich sofort wieder losziehen, oder sogar rennen, nur um von hier fortzukommen..."
Kerry konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen. "Aber... wir sind hier in Sicherheit, und meine Familie und meine Freunde sind hier," sagte sie.
"Und auch sie sind alle in Gefahr," erwiderte Elea und schaute ihr genau in die Augen. "Es zieht Krieg herauf, und ich will nicht hier festsitzen, wenn der Feind diese Mauern hier erreicht, so stark sie auch sein mögen..."
Jetzt verstand Kerry sie besser. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie mit Gandalf auf den Wällen von Fornost gestanden hatte und den Angriff aus Angmar abgewartet hatte. Sie hatte das Gefühl der Machtlosigkeit gehasst, das damals ihr Herz ergriffen hatte. "Ich... ich verstehe was du sagst," murmelte sie, und ließ Eleas Hände nicht los. "Bestimmt hast du von der Belagerung von Fornost gehört?"
"In Bree erzählte man sich davon," bestätigte Elea leise.
"Ich war dabei," sagte Kerry. "Deswegen glaube ich, dass ich weiß, was du fühlst, liebe Elea. Und ich verstehe, dass du Angst hast. Aber dies ist nicht Fornost, dort hatten wir nur sehr wenige kampffähige Leute. Hier, in Ost-in-Edhil, ist die ganze Stadt voller gut ausgebildeter Wächter, und es sind Elben... Elben die dafür kämpfen, ihre neue Heimat zu verteidigen. Die Manarîn werden nicht scheitern... das weiß ich."
"Du machst mir Mut, kleine Kerry," sagte Elea und ein ferner Glanz trat in ihre Augen, "Aber dennoch werde ich das ungute Gefühl nicht los..."
"Wenn... wenn es dadurch leichter für dich würde..." schlug Kerry etwas stockend vor, "Dann... könnten wir doch gemeinsam zu dem sicheren Ort gehen, Lissailin haben sie es genannt, an den gerade alle die nicht kämpfen können evakuiert werden? Wie wäre das? Ich will zuvor mit der Königin sprechen und meine Mutter wiedersehen... aber danach würde ich mit dir gehen, Elea."
"Das würdest du tun?" fragte Elea und wirkte erneut gerührt.
Kerry nickte und umarmte die Dúnadan voller Zuneigung.
"Ich... werde es mir überlegen, mein liebes Mädchen," sagte Elea, die die Umarmung erwiderte. "Aber es ist spät, und wir alle sind müde. Am besten legst du dich für heute hin, wenn du morgen so viel vorhast."
"Ist gut," sagte Kerry, die diesen Vorschlag für eine exzellente Idee hielt. Sie verließ den Balkon und legte sich in Farelyës Zimmer schlafen.
"Normalerweise schläft Ivyn dort," sagte Farelyë noch, ehe sie sich ebenfalls hinlegte und meinte damit das Bett, das Kerry nun beansprucht hatte. "Aber sie verbringt momentan die meiste Zeit im Palast, an der Seite der Königin."
"Morgen spreche ich mit ihr," murmelte Kerry müde, dann machte sie die Augen zu und es dauerte gar nicht lange, bis sie in den Schlaf gedriftet war.
Im Traum ging sie durch einen Wald mit goldenen Blättern. Sie war nie zuvor in ihrem Leben an einem solchen Ort gewesen und wusste auch nicht, wo in Mittelerde es ihn geben könnte. Doch das kümmerte sie nicht. Staunend sah sie sich um und entdeckte zu ihrer Rechten einen breiten Bach mit silbrigem Wasser darin. Sie näherte sich dem Gewässer und beugte sich darüber, denn das Wasser war so klar, dass sie sich darin spiegelte. Verwundert musste sie feststellen, dass sie eine Fremde anblickte. Das Haar war braun, die Ohren liefen spitz zu - eine Elbin, kein Zweifel. Die Gesichtszüge kamen Kerry nur vage vertraut vor. Sie hob die linke Hand an ihre Wange und ihr Spiegelbild tat es ihr gleich.
Ein fernes Grollen ließ sie aufschrecken. Zu ihrem Entsetzen war der friedliche Wald wie verwandelt - dicke Rauchschwaden krochen über den Waldboden, und zwischen den Baumstämmen war ein unheilvolles, rötliches Glühen zu sehen. Der Wald stand in Flammen! Kerry sprang auf, drehte sich vom Fluss weg, der auf einmal blutrot geworden war, und wäre beinahe über eine Leiche gestolpert. Sie schrie vor Angst auf und stellte fest, dass sie sich auf einem Schlachtfeld zwischen den Bäumen befand, das von reglosen Körpern von Elben und Orks übersät war. In der Entfernung sah sie eine Gestalt knien, einen dunkelhaarigen Krieger mit einem langen, gebogenen Schwert, das ihm gerade aus den Händen glitt. Als Kerry einen Schritt in seine Richtung machte, sackte der Fremde hinüber und blieb leblos liegen.
Das war der Moment, in dem Kerry gnädigerweise aufwachte. Zum Fenster herein schien helles Mondlicht, was sie beruhigte. Im Bett gegenüber saß Farelyë, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, und rührte sich nicht - eine Art des Elbenschlafes, die Kerry bereits ein- oder zweimal bei Oronêl gesehen hatte. Sie beschloss, ihre Freundin nicht zu stören und am besten einfach weiterzuschlafen. Da hörte sie, wie die Tür zum Gang hin leicht knarzte und fuhr zusammen. Eine Gestalt schlüfte herein, dann flammte das bläuliche, sanfte Licht einer Elbenlampe auf und Kerry erkannte ein vertrautes Gesicht.
"Amil!" entfuhr es ihr überrascht und erleichtert, und sie sprang aus dem Bett, um Halarîn zu umarmen.
"Vorsichtig, vorsichtig," warnte Halarîn sie und deutete auf ihren Bauch. Ihr Bauch! durchzuckte Kerry ein Gedanke und sie riss vor Staunen die Augen auf. Halarîn war hochschwanger. Sie schien bei guter Gesundheit zu sein, wirkte aber sehr mitgenommen. Ob daran allein die Schwangerschaft schuld war, konnte Kerry nicht erkennen.
"Tut mir Leid..." entschuldigte sie sich sofort.
"Ich habe mich auch gefreut, dich wiederzusehen, meine Kleine," sagte Halarîn sanft. "Farelyë hat mir einen Boten gesandt, dass du hier bist. Bringst du Nachricht von Mathan?"
Kerry hielt inne und dachte nach. "Er ging mit uns bis zum Düsterwald," erzählte sie. "Dann hat er sich nach Norden gewandt, um nach der Heimat seiner Mutter zu suchen, glaube ich..."
"Mach dir keine Sorgen, es geht ihm gut. Wenn ihm etwas zugestoßen wäre, wüsste ich es," beruhigte Halarîn sie. "Ich hoffe nur, er beeilt sich... lange kann das Kind nicht mehr warten, fürchte ich."
"Er wird kommen," beteuerte Kerry sogleich. "Das hat er dir versprochen."
Leise saßen sie gemeinsam auf dem Bett und tauschten sich über die lange Zeit aus, die sie einander nicht gesehen hatten. Kerry sprach von der langen Reise, die sie hinter sich hatte, seitdem sie Eregion mit Oronêl und Mathan verlassen hatte. Der Pfad hatte sie über Imladris und den Hohen Pass durchs Tal des Anduin bis zum Reich der Waldelben und bis zum Einsamen Berg geführt, und von dort auf einem langen Umweg über Rohan, Dunland und Enedwaith wieder zurück zu ihrer Adoptivmutter. Halarîn stellte viele Zwischenfragen, hörte aber auch sehr aufmerksam zu, und Kerry vergaß beim Erzählen ihre Müdigkeit, so froh war sie, Halarîn wiederzusehen. Diese schien sich vor allem für das Schicksal der Elben des Waldlandreiches zu interessieren. "Ich habe auf unserer gemeinsamen Reise ein paar Mal mit Finelleth sprechen können, und bin froh, dass sie sich dazu entschieden hat, die Bürde ihres Vaters auf sich zu nehmen," merkte sie dazu an. Doch ihr Interesse galt auch dem Wiedersehen mit Kerrys Vater und ihrer Zeit mit Aéd. Tatsächlich war das am Ende das Thema, über das die beiden am meisten sprachen, und je später es wurde, desto mehr sprach Kerry sowohl von Aéd, als auch von Helluin, bis Halarîn schließlich glockenhell lachte und sie umarmte. "Nein, meine kleine Morilië, ich kann dir nicht raten, für wen du dich entscheiden sollst, das ist eine Wahl, die nur du treffen kannst. Aber ich bin mir sicher, wenn du tief in dein Herz hinein horchst und deine Gefühle ein wenig erforschst, wirst du die Antwort finden, die du suchst."
"Das ist nicht sehr hilfreich, Amil," sagte Kerry etwas pampig und entschuldigte sich daraufhin gleich wieder dafür.
"Nun, so ist das im Leben nun einmal. Du wirst erwachsen und musst lernen, eigene Entscheidungen zu treffen, Morilië. Wenn dein Geschwisterchen auf der Welt ist, wirst du seine große Schwester sein, und große Schwestern sind für gewöhnlich vernünftig, nicht wahr?"
Kerry schmollte ein wenig, musste aber zugeben, dass Halarîn auf ihre Weise Recht hatte. Es gab niemanden, der ihr die Entscheidung abnehmen konnte, die ihr bevorstand, wenn sie Aéd wiedersehen würde. Sie seufzte tief.
"Lass dir das Herz nicht zu schwer werden," sagte Halarîn. "Du solltest noch ein wenig schlafen. Morgen musst du mit Faelivrin sprechen, sie erwartet dich. Und dann werden wir zusehen, dass wir diese neue Heimat verteidigen gegen diejenigen, die sie uns wegnehmen wollen..."
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