Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Eregion

Ost-in-Edhil

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Curanthor:
Aus der Sicht Adriennes

Es waren Wochen vergangen, seitdem Mathan und seine Gefährten aufgebrochen waren und in all der Zeit war ihr nie wirklich bewusst geworden, wie sehr sie Gesellschaft schätzte. Die Manarîn waren distanziert, ausgenommen die königliche Familie, die sie nur äußerst selten zu Gesicht bekam. Adrienne war die meiste Zeit damit beschäftigt gewesen, unter Amarin im Schwertkampf unterwiesen zu werden. Der alte Elbenmeister war unbarmherzig und gönnte ihr keinen einzigen Fehler. Er verlangte Perfektion. Jetzt war ihr auch klar, warum Mathan ein Meister mit dem Schwert war. Sein Vater war ein regelrechter Sklaventreiber - oder es kam ihr nur so vor, da sie sich ständig als zu schwach empfand. Dieses Gefühl der Unzulänglichkeit nagte durchgehend an ihr. Nachts fand sie deswegen kaum Schlaf.

Es war wieder so ein Tag wie jeder andere, Adrienne folgte Amarin durch das Nordtor der Stadt. Wie jedes Mal, warf sie einen Blick auf die mächtige Mauer, die für sie in sagenumwobener Rekordzeit wieder aufgerichtet wurde. In regelmäßigen Abständen hatten die Elben Türme errichtet, die die mehr als drei Schritt breite Mauer in Abschnitte unterteilte. Dutzende Steinmetze arbeiteten in Schichtarbeit daran, die letzten Zinnen aufzurichten. Der durchgehende Klang von Meißeln auf Stein erfüllte die Torburg, als sie das Tor durchquerten. Sie blickte wieder zu Amarin, der sich die Arbeiten abschätzend ansah, ohne dabei langsamer zu werden. Einzelne Elben nickten dem alten Meister knapp zum Gruß, die meisten waren jedoch mit ihrer Arbeit beschäftigt. Keiner nahm Notiz von ihr. Sie passierten den großen Exerzierplatz, der vor dem Tor lag. Elbische Befehle wurden gebrüllt. Adrienne erblickte eine Kompanie schwer gepanzerter Elben in silber-blauen Rüstungen auf dem Platz. Sie alle trugen himmelblaue Mäntel, messerscharfe Speere funkelten im Sonnenlicht. Aufgereiht wie die Schnur einer Perle, bildeten sie einen Schildwall. Das Mädchen kniff die Augen zusammen, um nicht geblendet zu werden. Ein weiterer Befehl wurde gebrüllt, die Linie bewegte sich wie ein Mann und bildete einen schützenden Kreis. Sie musterte die Mäntel genauer, an deren Rändern verschlungene, goldene Runen gestickt waren. Adrienne erkannte es. Hier übte die königliche Garde mit all ihren zweihundert besten Kriegern. Weiter hinten erblickte sie Isanasca, die die Übung mit verschränkten Armen beaufsichtigte.
"Komm, wir haben noch viel zu tun, Núlwen", sagte Amarin ohne sich umzudrehen, oder den Elbenkriegern zuzusehen.
In dem Moment gab die Prinzessin einen scharfen Laut von sich und die Garde ließ die Lanzen fallen, um die Schwerter zu ziehen.
"Adrienne", forderte der alte Elbe sie mit Nachdruck auf, sagte dann aber sanfter: "Ah, ich habe vergessen, dass du deinen Spitznamen gar nicht so sehr magst. Mein Fehler."
"Weil mir niemand sagen möchte, was er bedeutet", brummte sie unzufrieden und stapfte dem alten Elb hinterher, zu dem Hügel, unter dem sich die Schmiede Eregions verbarg. Amarin antwortete nicht, sondern führte sie zu dem verborgenen Eingang. Kurz nachdem Mathan abgereist und die übrigen Avari angekommen waren, hatte Faelivrin veranlasst, die Schmiede wieder zu verstecken. Adrienne war einer der wenigen, die wussten, wo in etwa der Eingang war. Sie vermutete aber, dass die hohe Herrin Ivyn eine Art Elbenzauber gewirkt hatte, denn selbst Adrienne konnte ohne Hilfe die verborgene Spalte im Fels nicht finden, obwohl sie die Schmiede schon mehrfach betreten und verlassen hatte.

Unten angekommen passierten sie die übrigen Schmiedeplätze, an denen die talentiertesten Schmiede unter Amarins Aufsicht und nach dessen Anleitung unablässig Schwerter, Rüstungsteile und anderes Kriegsmaterial schmiedeten. Das Hämmern der Schmiedehämmer und die dämmrige Licht, das von dem heißen Öfen flackernd in den Raum geworfen wurden, ließen Adrienne ahnen, wie es in den Hallen der Zwerge wohl aussehen würde. Wie immer stand zuerst ein Kontrollgang an, denn Amarin achtete sehr genau auf die Qualität und setzte seine eigenen Maßstäbe an - nämlich die eines uralten Elben der Noldor. So hatte ihr es Faelivrin eines Abends erklärt, als sie mehr über ihren Lehrmeister erfahren wollte. Doch auch die Königin der Manarîn wusste nicht allzu viel über ihn. Immer wieder fragte sie sich, was dem alten Elb zugestoßen war, das ihn so entstellt hatte. Während Adrienne darüber sinnierte, trottete sie dem Elben hinterher und stieß fast mit ihm zusammen, als er an das übliche Tagewerk ging. Amarin schmiedete schon seit geraumer Zeit ein Paar Schwerter in seiner eigenen Schmiede, wo sie ihn damals gefunden hatten. Irgendwie kam ihr das vor, als ob es schon Jahre zurücklag. Geistesabwesend ging sie wie üblich zur Hand und erledigte kleine Aufgaben, machte Handreichungen, suchte Werkzeug und holte Material. Die meiste Zeit stand sie jedoch daneben und sah dabei zu, wie Amarin den glühenden Stahl mit dem Hammer bearbeitete und das stundenlang. Ihr kam es so vor, als ob der Stahl sich aller Macht wehrte, hatte sie beim Sternenbund doch schon viele Schmiede bei ihrer Arbeit beobachtet. Es war kaum eine grobe Form zu erkennen, jedoch konnte sie schon von der Menge des Materials abschätzen, dass es Langschwerter wurden. Auf die Frage, warum er zwei Schwerter parallel herstellte, winkte Amarin nur ungeduldig ab. Er hasste es dabei gestört zu werden, also fragte sie, ob er noch Hilfe brauchte. Es dauerte, bis er antwortete, hin und wieder brummte er etwas auf elbisch und wirkte ziemlich unzufrieden. Auf ein knappes Kopfschütteln hin, verließ sie wieder die Schmiede.

Nach ein paar Stunden in dem düsteren Licht der Schmiede, erschien ihr das Tageslicht ungewöhnlich grell. Adrienne kniff die Augen zusammen und ging den Weg entlang, der zwischen Exerzierplatz und Bogenstand hindurch in die Stadt führte. Am Tor wurde sie kurz angehalten. Adrienne atmete erschöpft aus und stemmte die Hände in die Hüften.
"Wer begehrt... ah, ihr seid es, Núlwen", sagte die Wache und machte Platz, "Freunde der Königin sind stets willkommen." Es klang nicht so, als ob der Elb froh war, sie einzulassen. Die übrigen Wachmänner warfen ihr merkwürdige Blicke zu, während sie zur Seite traten. Plötzlich kam sie sich ziemlich sonderbar vor. So, als ob sie eine mögliche Gefahr sei... oder wie eine Aussätzige. Ihre Hand berührte den kühlen Stahl ihres Schwertgriffs, obwohl keine Gefahr drohte. Ich bin viel zu übermüdet, murmelte sie zu sich selbst und nahm den verschlungenen Weg durch die verwinkelten Gassen zum Palastviertel. Sie mied die Hauptstraße, da dort zu viel Betrieb war. Erst vor einigen Tagen hatte die Königin den Befehl gegen, die Stadt kampfbereit zu machen. Das hieß, dass Nichtkämpfer nach Westen in die neue Stadt Lissailin gebracht wurden. Viele Elben blieben jedoch, denn sie wurden gebraucht um eventuelle Feuer durch Beschuss zu löschen, Pfeile zu den Kämpfenden zu bringen, Verletzte zu versorgen und auch zu borgen. Adrienne kannte nicht die Stärke der Manarîn, doch zusammen mit den übrigen Avari mussten es einige tausend sein. Geistesabwesend stolperte sie vor dem Palast und fiel fast auf die breite Treppe, die zum Bau hinaufführte. Ein gewaltiger Vorbau aus Rundsäulen, die einen Balkon trugen reckten sich dem großen gepflasterten Platz entgegen, der vor dem Palast lag. Hier würde wohl die Königin zu ihrem Volk sprechen. Ein riesiges, kuppelartiges Gebaude dahinter, was wohl die Eingangshalle war - mehr war noch nicht gebaut, bis auf den großen Westflügel. Die großen Tore waren geschlossen. Die gerüstete Palastgarde mit schwarzen Mänteln blickte regungslos zu ihr hinab. Adrienne straffte sich und erklomm die etwas steilen Stufen- hier waren eindeutig elbische Maße genommen worden. Vor dem Tor blickte sie die Palastgarde an, der Wächter, dessen Gesicht von einem schwarzen Tuch verdeckt wurde nickte kaum merklich.
"Herrin Ivyn erwartet Euch, Núlwen." Mit dem Worten offnete sich das über drei Schritt große, doppelflügelige Tor.
"Sicherlich tut sie das", murmelte sie und trat in die große Eingangshalle, die von Rundsäulen getragten wurden. Während sie die Halle durchschritt, blickte sie nach oben zur Kuppel.
"Augen nach vorn", sagte eine bekannte Stimme amüsiert.
Adrienne stoppte und wäre fast in Ivyn reingelaufen. Die mysteriöse Elbe blickte sie lange an. Irgendwie kam es ihr so vor, als ob sie durch die silbernen Augen geblendet wurde. Ein paar Mal blinzeln und ihre Augen hatten sich daran gewöhnt.
Die Elbe neigte sich ein wenig herab und sagte: "Nicht jedem werden die Tore des Palastes so weit geöffnet, es ist eine große Ehre. Eine, die man sich verdienen muss."
"Das habe ich", entgegnete Adrienne fest und dachte dabei an die Schlacht um Fornost und die Reise mit Mathan, bis sie hier in Eregion angekommen waren, um die Ringe zu vernichten.
Ivyn antwortete nicht, sondern zog nur eine Braue für einen Fingerbreit nach oben. Der Augenblick war jedoch nur sehr kurz, die Elbe wandte sich halb ab und ging langsam zum Thronsaal. "Amarin kommentierte deinen Fortschritt auf dem Weg des Schwerts als äußerst beeindruckend."
Überrascht von dem unerwarteten Lob beeilte Adrienne sich aufzuholen.
"Es ist selten, dass ein Mensch seinem Training standhalten kann. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es der richtige Pfad ist."
Adrienne schnaubte unbewusst. "Klar, weil meine Art der Euren unterlegen ist."
"Das wollte ich damit nicht sagen. Ich denke sogar, dass Menschen und Elben gar nicht so verschieden sind. Auch wir empfinden alle Emotionen, dir Ihr verspürt. Trauer, Wut und auch das Gefühl nirgendwo hinzugehören. Ich kenne sie alle."
Ehe Adrienne etwas sagen konnte, stieß die Palastgarde die Tore zum Thronsaal auf. Ivyn ging voraus. Vor ihnen tummelten sich Elben, von denen sich einige zu ihnen umdrehten. In der Mitte stand ein großer Kartentisch, weiter hinten, am Ende des Raums war ein kleines Podest zu dem sieben Stufen hochführten. Auf dem schlichten Thron aus kunstvoll geschnitzten Holz und silber-goldenen Verzierungen saß die Herrin der Manarîn. Faelivrin beobachtete aufmerksam den Raum, während sie sich mit ihrer Tochter Isanasca unterhielt, die neben dem Thron stand. Kurz streifte der Blick der Königin sie und Adrienne hoffte, dass sie nichts sagte. Falsch gehofft. Faelivrin hob knapp eine Hand. Sofort kehrte Stille ein.
"Adrienne" Die Stimme Faelivrins durchdrang den Raum, obwohl sie sehr leise sprach. Die Angesprochene beeilte sich vor den Thron zu treten und verneigte sich. "Lange Wochen weilst du nun unter uns und viel hast du meinem Volk geholfen. Du bist wahrlich eine Freundin der Manarîn. Und dennoch gibt es viele Stimmen, die eine Fremde in diesen Zeiten innerhalb ihrer Mauern nicht dulden. Ich selbst habe eine lange Reise mit dir durchgestanden und für mich bist du keine Fremde, sondern eine Freundin - ich hoffe, dass du dies ebenfalls so siehst. Und dennoch: Dies hier ist nicht dein Kampf und es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können, sollte dir etwas in den kommenden Sturm zustoßen."
Adrienne bemerkte, dass der Blick der Königin für einen winzigen Augenblick zu Ivyn huschte. In dem Thronsaal war es auf einmal sehr still. Dutzende Augenpaare waren auf sie gerichtet und Adrienne dämmerte es, dass alle auf eine Antwort von ihr warteten. Sie räusperte sich unbeholfen und stammelte: "Ich...Herrin ... ähm..." Hilfesuchend blickte sie zu Faelivrin und Isanasca, dann zu Ivyn, doch sie war auf sich allein gestellt. Enttäuschung flackerte in ihr auf, als sie allein nach einer Antwort rang.
Schließlich erbarmte sich Anastorias und trat neben sie, legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. Sie wusste nicht, ob sie gerade rausgeworfen wurde, oder für einen Krieg rekrutiert. Ihr Körper war wie erstarrt. Eigentlich hatte sie nur auf Mathan und ihren Bruder warten wollen. Sie wusste gar nicht, was sie selbst wollte.
"Herrin, ich glaube Núlwen-", Anastorias stoppte, als sie sich bei dem Namen unbewusst versteifte und korrigierte: "Adrienne muss diese Entscheidung mit ihrem Lehrmeister, dem Ahnenherrn besprechen."
Ein Schmunzeln umspielte Faelivrins Lippen und sie nickte knapp. Anastorias zog sie sanft an der Schulter und geleitete Adrienne aus dem Thronsaal.
"Was sollte das denn?", fragte er dabei flüsternd und mit Besorgnis in der Stimme.
"Was soll dieser blöder Name?", zischte Adrienne ungehalten zurück. Die Tore zum Thronsaal schlossen sich hinter ihnen und sie schüttelte seine Hand von der Schulter. Noch immer fühlte sie sich wie vor dem Kopf gestoßen. Warum hatte Faelivrin sie vor dem gesamten Hof bloßgestellt? Stechende Kopfschmerzen gesellten sich zu den bohrenden Fragen dazu. Ihr Blick verschwamm leicht. Anastorias wollte sie mit besorgtem Blick um sie kümmern, doch sie schob ihn von sich.
"Ich brauche keine Hilfe", zischte sie und stapfte erbost davon.
"Es ist ein Name, damit du dich nicht so alleine fühlst!", rief ihr der junge Elb entschuldigend hinterher, "Immerhin bist du..."
Adrienne stoppte und warf ihm einen enttäuschten Blick zu.
"Nur ein bemitleidenswerter Mensch, ich weiß. Und ich verdiene es nicht, einen Elbennamen zu tragen, denn ich bringe jedem in meine Nähe nur Tod und Unglück. Vielleicht sollte ich diese Stadt tatsächlich verlassen - oder gar das Land."
Mit den Worten ließ sie den Elben einfach stehen und stapfte aus dem Palast hinaus. Ein Teil von ihr bereute ihre harschen Worte, doch hatten ihre Gefühle sie überwältigt. der Großteil von ihr verspürte nur Wut und Enttäuschung. Zu lange hatte sie alles nur verdrängt. Während sie durch die Straßen stolperte blitzen immer wieder Bilder von der Schlacht bei Fornost vor ihrem inneren Auge auf. Hin und wieder stolperte sie und stieß dabei gegen Elben, die sich murrend darüber beschwerten. Die Sorgen um ihre Blutfehde kamen wieder und der Kampf gegen Dôlguthôr, falls das überhaupt sein echter Name gewesen war. Erinnerungsfetzen aus den Verließen Minas Thirits mischten sich darunter. Eine Stimme in ihrem Kopf begann zu wispern. Adrienne war schwindelig. taumelnd lehnte sie sich an eine Hauswand. Schließlich konnte sie die Stimme besser wahrnehmen. "Komm; komm zu mir", sagte sie nur immer wieder.
Sie atmete ein und versuchte ihr rasendes Herz beruhigen. Ohne genau zu wissen wohin, ging sie los. Ihre Füße trugen sie irgendwohin, während sich vor ihrem inneren Auge Bilder in rascher Reihenfolge abwechselten und dutzende eindrücke auf sie einprügelten. Ein Tropfen Blut, alles verzehrendes Feuer und Tod. Pfeilspitzen in Holzschilden. Der scharfe Schmerz von Klingen, die ihre Haut zerrissen und tief in ihr Fleisch eindrangen. Der Geruch von verbranntem Fleisch. Schmerzensschreie. Das Betteln um den Tod. Lebendig gewordener Schatten. Ein irres Lachen. Schließlich stolperte sie erneut. Ein hoher Schrei, der nichts Menschliches mehr hatte. Adrienne presste beide Hände auf die Ohren. Tausende Speere in der Morgenröte. Blutüberströmte Steinzinnen. Sie schrie, bis sie heiser wurde und versuchte alles auszublenden. Schließlich stieß sie mit dem Kopf voran gegen etwas Weiches. Ein sonderbares Licht fiel auf sie hinab. Es umfing sie. Wärme breitete sich in ihr aus. Ihr war, als ob ihr der Atem vor dem Mund gefror.
"Schh... es ist vorbei", erklang die Stimme von Farelyë, dann verlor sie das Bewusstsein. Sie fiel in die Dunkelheit, umgeben von Licht.


Ein Tuscheln weckte sie. Eine Tür knirschte leise, dann war es wieder still. Adrienne lag auf etwas Weichem. Es roch nach getrockneten Beeren und eine Spur nach frischem Holz. Ihr Herz schlug ruhig und regelmäßig. Der warme Lichtschein einer Kerze auf einem Nachttisch zog ihren Blick an. Sie schluckte, doch ihr Hals schmerzte nicht, obwohl sie sich sicher war, geschrieben zu haben, bis sie heiser war. Sie versuchte sich zu bewegen, woraufhin ein regelmäßiges Geräusch verstummte. Dann erkannte sie, dass es Atem war.
"Du bist wach", stellte die freundliche Stimme Farelyë erfreut fest, "Das ist gut."
"Wo..."
"In meinem Haus. In Sicherheit. Hier lauern keine Schatten und nichts, das dir Schaden kann."
"Diese Stimme..."
"Ja, das war ich. Und gerade noch rechtzeitig." Neben dem Nachttisch erhob sich Farelyë, die sie mit ernstem Blick ansah. Sie hatte kaum noch etwas von dem kleinen Elbenmädchen an sich. "Ich glaube, dass deine Zeit unter uns begrenzt ist."
Adrienne nickte schwach, auch sie hatte mittlerweile eingesehen, dass irgendwas nicht stimmte.
"So hatte ich das nicht gemeint", berichtete die junge Elbe und ihre Augen glommen einen kurzen Moment silbern auf, "Deine Reise führt dich schlicht auf andere Pfade. Und das sehr bald. Schmerzhafte Pfade."
"Und das eben? Was war das?"
Ein Schatten huschte über das edle Antlitz und Farelyë blieb ihr eine Antwort schuldig.
Adrienne beschloss das Thema zu wechseln: "Wie lange habe ich... geschlafen?"
Nun lächelte die Elbe wieder und deutete zu einem dunklen Fenster, das ihr erst gar nicht aufgefallen war. Es war mitten in der Nacht. Adrienne erhob sich mühsam und setzte sich auf die Bettkante. Betreten blickte sie zu Boden.
"Danke... auch wenn du keinen Grund dazu hattest."
Farelyë hob mit ihren eleganten Fingern ihr Kinn an und schaute Adrienne ins Gesicht, die noch immer den Blick mied. "Du bist dabei gewesen, als ihr mich aus diesem Verließ befreit habt. Ich verdanke meine Rettung also auch dir."
"Wenn du meinst...", antwortete sie mit wenig Überzeugung in der Stimme. Sie hatte kaum zu irgendwas beigetragen. Eigentlich war sie immer nur auf andere angewiesen gewesen. Sie seufzte kaum hörbar.
"Nun, ich glaube es wird dich aufmuntern zu wissen, dass eine deiner Freunde zurückkehrte während du schliefst", sagte Farelyë freundlich, "Sie erholt aber gerade von der anstrengenden Reise."
Gedämpfte Freude kam in ihr auf. Adrienne lächelte gequält. "Gut, dass sie mich nicht so gesehen haben... Ich denke sie schlafen um diese Zeit?"
Die Elbe nickte knapp – die überflüssige Frage trotzdem beantwortend und trat in das Licht der Kerze. Sie trug eine volle Rüstung und war mit einem Schwert bewaffnet. "Erhole dich in meinen vier Wänden und fühle dich wie zu Hause. Ich werde nun woanders gebraucht."
Farelyë nickte ihr noch einmal knapp zu und verließ vorsichtig den Raum. Adrienne massierte sich die schmerzenden Schläfen. Erneut fragte sie sich, was bei allen Sternen vorhin geschehen war. Warum sie im Thronsaal ihre Fassung verloren hatte und wieso sie die letzten Tage sich so ausgeschlossen fühlte. Die bohrenden Gedanken verschwanden nach und nach. Neugierde trat an deren Stelle und sie erhob sich von ihrem Bett. Ihr Weg führte sie ins Erdgeschoss, wo ein Tisch mit Leckereien und Kleinigkeiten gedeckt auf sie wartete. Dabei stand ein kleines Fass Wein und Drei Becher. Probehalber inspizierte sie den Wein. Das Fass war bereits angeschlagen. Mit einem Finger probierte sie einen Tropfen. Süße breitete sich auf ihrer Zunge auf. Eine kleine Stimme im ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass dies eine schlechte Idee war. Ihr Hunger siegte und Adrienne machte sich über das Essen her. Was genau so alles auf dem Tisch war, nahm sie kaum war. Sie nahm etwas Brot und mischte es im Mund mit etwas Wein, der vorzüglich schmeckte.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Der Wein war zu einem guten Stück geschwunden und ihr Bauch war voller als je zuvor. Adrienne lehnte sich zurück und dachte an die Zeit mit ihren Gefährten. Waren es Freunde? Sie wusste es nicht genau. Vielleicht einfach nur Kameraden? Was war Freundschaft? Ihr Blick verschwamm hin und wieder. Ihr Kopf schmerzte, aber diesmal nicht so stechend wie zuvor. Irgendwo in ihrem Hinterkopf sagte ihr die Stimme erneut, dass sie wohl betrunken war. Tapsig schnallte sie ihr Schwert vom Gürtel, das mit einem leichten Klappern zu Boden fiel. Vielleicht waren Freunde es Wert, all das durchzustehen, ging es ihr durch den Kopf. Doch hatte sie Freunde? Adrienne war sich nicht sicher. War ihr Name überhaupt Adrienne? Sie erinnerte sich... ihr Vater, Adanhad. War er überhaupt ihr Vater? Sein Gesicht vor ihrem inneren Auge verschwamm mit einer anderen Gestalt. Jemand, der ihr bekannt, aber auch unbekannt vorkam. Ein Namen hallte in ihrem verworrenen Gedächtnis umher, bekam ihn aber nicht zu fassen. Dann fiel ihr schummriger Blick auf ihre Waffe am Boden. Adrienne runzelte die Stirn und beugte sich nach ihrem Schwert. Plötzlich erschien es mit dem Heft voran unter ihrer Nase. "Ooooh mein Schwert... hehe, es kann fliegen! Weeee~"
"Adri?" Die überraschte Stimme von Kerry riss sie aus ihren merkwürdigen Gedankengängen. Sie blickte auf und musste sich dabei am Tisch festhalten, um nicht nach hinten zu kippen.
"Ist das dein Ernst?", entfuhr es Kerry verwundert und schockiert zu gleich.
Adrienne setzte sich aufrecht hin und packte sich mühsam die Waffe. "Nein", gab sie wieder und knallte es neben sich auf die Bank, "Kein Zauberschwert."
Kerrys sorgenvolles Gesicht schob sich in ihr Blickfeld, ihre blonden Haare wirkten ein wenig zerzaust. So als sie gerade aufgestanden war. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie tatsächlich hier war, in diesem Raum.
"Oh, hey Tén.. Tena... Kerry. Hab ich dich geweckt? Das tut mir leid", begrüßte Adrienne ihre Weggefährtin schwerfällig und wollte schon aufstehen um sie zum Umarmen.
"Nein, nicht direkt", Ihre Hände drückten auf Adriennes Schultern, "Und du solltest sitzen bleiben."
Sie tat was Kerry sagte und starrte sie lange an. "Weißt du, eigentlich habe ich nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen", sagte diese schließlich.
"Du meinst wohl, mich so zu sehen", berichtigte Adrienne, deren Kopf sich ein wenig klarer anfühlte.
Kerry schien nicht so recht zu wissen, was sie darauf sage sollte. Sie setzte sich neben Adrienne.
"Tja... bis auf meinem verschwundenen Bruder sind alle aus meiner Familie nicht mehr da und Freunde...? Was ist das? Habe ich überhaupt welche?"
"Aber ja, wir sind deine Freunde. Ich bin deine Freundin", entgegnete Kerry sofort und griff nach einer Glaskaraffe, die mit klarem Wasser gefüllt war, "Hier, trink, das sollte etwas helfen.
Adrienne wollte ebenfalls nach der Karaffe greifen, doch Kerry tauschte den Becher in ihrer Hand und schenkte ihr ein. Offenbar traute sie Adrienne ihr nicht zu mit Glas umzugehen, was sie grinsen ließ. "Das erinnert mich an unsere Zeit auf dem Schiff. Da war ich sowas wie die Erwachsene und jetzt schau dich an. Große Abenteurerin. Auf großer Fahrt mit dem großen Oronêl, dem Herr von und zu Grießgram." Dabei machte sie eine ausladende Geste, als ob sie die Welt umfassen wollte.
"Ha, ha, sehr witzig", murmelte Kerry, die wohl an etwas dachte, dass ihr peinlich war, auch wenn sie über ihre Bemerkung schmunzelte.
"Du... hast nicht nur an deine Reise gedacht", stellte Adrienne überflüssigerweise fest.
Kerry schwieg und goss ihr noch etwas Wasser ein. "Achja, das Schiff. In der Kajütte."
Eine betretene Stille trat ein. Adrienne war sich nicht sicher, ob Kerry die erzwungene Intimität peinlich war, oder der unglückliche Zwischenfall mit dem Ring. Sie selbst musste zugeben, dass beides möglich war. Sie hatte Kerry und die anderen mehr beobachtet als mit ihnen gesprochen und konnte sie schlecht einschätzen. Die junge Frau war zur sprunghaft. Und das hatte sie gleich gesehen. Ihre alten Vorwürfe kehrten wieder zurück, dass sie Kerry nicht auf das Kästchen angesprochen hatte.
"Ich wäre eine schlechte Freundin", sagte Adrienne leise, "Kann noch nicht einmal auf jemanden aufpassen, der direkt im Bett nebenan schläft. Ich ziehe das Unglück nur so an, was wieder der passende Beweis dafür ist."
Ehe Kerry erwidern konnte, legte sie ihr einen Finger auf die Lippen und brachte sie zum Schweigen. Sie waren erstaunlich weich und sanft, musste sie überrascht feststellen. Adrienne schüttelte sanft den Kopf.
"Nein, du versuchst immer andere aufzumuntern. Manche haben es einfach nicht verdient. Du bist zu gut zu mir, aber ich habe diese Güte nie annehmen dürfen. Der Tod folgt mir auf dem Fuße. Ich kam in Minas Tirith an, der Tod folgte. Ich kam in Fornost an, der Tod folgte. Ich ging mit Mathan und dir, der Tod folgte. Du wärst fast gestorben. Herr Grießgram sagte zwar, es sei seine Schuld, aber war er es wirklich? Wir gingen nach Dunland und der Tod folgte, selbst in die Schmiede folgte der Tod. Und nun sind wir hier und der Tod steht vor den Toren. Die Stunde der Wölfe ist nah. Nein Kerry, ich bin keine Freundin, nur ein Schatten eines Mädchens, das seine Seele verloren hat. Und das schon lange. Die Welt ist grausam und ich bin daran zerbrochen."
Als sie mit ihrem Monolog abgeschlossen hatte, bemerkte sie erst jetzt, dass sie die ganze Zeit zwei Finger auf Kerrys Lippen verharren lassen hatte. Langsam ließ sie sie heruntergleiten und fuhr dabei über Kinn und ihren Hals. 
Kerry saß einfach vor ihr und sagte gar nichts. Adrienne blinzelte, von sich selbst überrascht. Ihr Gegenüber war offenbar vollkommen überrumpelt, unfähig ein Wort herauszubringen. War da eine Spur von Tränen in den türkis schimmernden Augen? Adrienne neigte sich fasziniert von der Augenfarbe nach vorn. Schließlich riss sie sich zusammen und lächelte gütig, so wie es die Elben immer taten. "Ich danke dir, dass du trotz alledem versucht hast eine Freundin zu sein. Allerdings befürchte ich, dass sich unsere Pfade bald trennen. Ich habe deine erlauchte Gesellschaft genossen, denn du bist eine Königin der Herzen, Kerry. Niyôzi zîr kiyad, trage sie weiter und liebe an meiner Stelle, ârî zîrân."
Adrienne erhob sich und stützte sich dabei auf Kerrys Schultern. Ihr Blick fiel wieder auf ihre Lippen, die sie wohl gerade öffnen wollte, um etwas zu sagen. Kurzentschlossen beugte sie sich hinab und küsste sie sanft, aber flüchtig. Es war ein Ausdruck tiefster Dankbarkeit, aber auch ein Abschied.  Ohne sich noch einmal umzudrehen wandte sich Adrienne ab, packte ihr Schwert und taumelte zur Tür. Kurz verharrte sie, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden und murmelte noch ein "Namárië", dann eilte sie in den anbrechenden Morgen hinaus. Die kühle Morgenluft ließ ihren angetrunkenen Verstand weiter aufklaren. Adrienne wurde sich mit jedem Schritt sicherer, dass sie das Richtige tat. Oder war es doch der Wein? Kurz vor dem Nordtor wurde sie langsamer. Ob sie wohl an ein Pferd aus den Stallungen gelangen könnte? Wohl eher nicht, immerhin wusste sie, dass die Manarîn nur wenige hatten und sie dringen selbst brauchten. Trotzdem Adrienne nicht herzlich behandelt wurde, hegte sie keinen Groll. Sie straffte sich und eilte im Laufschritt hinaus aus der Stadt. Wohin sie ihre Füße trugen, wusste sie selbst nicht.

Fine:
Kerry blieb wie vom Donner gerührt stehen und starrte regungslos auf die Stelle, an der Adrienne gerade noch gestanden hatte. Viele lange Minuten verharrte sie so, bis sie endlich zu sich kam und die Schultern sinken ließ.
"Was...?"
Ein einzelnes Wort kam über ihre Lippen. Sie hob die Hand an den Mund und konnte es noch immer nicht glauben. Warum hatte Adrienne das getan? Sie geküsst? Und nicht auf die Wange, wie Kerry es zuvor bei einigen anderen Frauen gesehen hatten, die einander nahe standen. Sondern genau auf die Lippen. Es war nur eine kurze, aber intensive, sanfte Berührung gewesen, die Kerrys Gedankenwelt komplett aus den Fugen gebracht hatte. Sie wusste nicht einmal im Ansatz, was das zu bedeuten hatte, und gleichzeitig war sie sich auf eine Weise, die sie selbst nicht verstand, erschreckend sicher, dass sie ganz genau wusste, was dahinter steckte. Es war kein Gefühl, das sie in Worte fassen konnte, auch später konnte sie nie beschreiben, was sie in diesem speziellen Moment tatsächlich empfunden hatte.

Sie kam endlich in Bewegung. Eigentlich war sie erst seit kurzer Zeit wach, denn sie hatte in Farelyës Zimmer geschlafen und war kurz nach dem Aufwachen nur für wenige Minuten im Badezimmer gewesen, um sich frisch zu machen. Als sie zurückgekehrt war, und sich im Esszimmer nach einem Frühstück umgesehen hatte, war Adrienne auf einmal dort gewesen, und hatte... viel gesagt. Zu viel, um es alles auf einmal verarbeiten zu können. Doch ein Satz von ihr hallte noch immer sehr deutlich in Kerrys Kopf wider: Der Tod folgt mir auf dem Fuß. Was das wohl zu bedeuten hatte? Sicherlich, in Fornost waren Menschen gestorben, und auch in Eregion, aber war das wirklich Adriennes Schuld? Kerry war sich da nicht sicher, nein sie hielt die Aussage sogar für ziemlichen Unsinn, wenn sie es sich recht überlegte. Sie beschloss, jemanden zu finden, der Adrienne zur Vernunft bringen konnte.

Elea und Finjas schliefen noch, die beiden wollte Kerry nicht wecken. Arwen und Farelyë waren nicht aufzufinden, vermutlich waren sie entweder gemeinsam oder jede auf eigene Faust unterwegs. Und Halarîn war in der vergangenen Nacht an Kerrys Seite geblieben, bis Kerry eingeschlafen war, doch am Morgen fehlte von ihr jede Spur. Kerry atmete tief durch und beschloss dann, den Palast der Königin - ihrer Adoptivschwester - zu besuchen. Vielleicht war Halarîn ja dort, und falls nicht hatte womöglich Faelivrin einen Rat für sie.
Sie zog sich erneut um, immerhin besaß sie unter den Manarîn einen gewissen Status, dem sie - aus einem Grund, den sie nicht ganz verstand - auch gerne gerecht werden wollte. Also kramte sie aus ihren Taschen eines der beiden Kleider heraus, die Nivim in Lindon für sie geschneidert hatte. Es war aus eisblauem Stoff mit silbernen Verzierungen und langen, weit ausgestellten Ärmeln. Es fühlte sich gut an, nach so langer Zeit wieder etwas so Hübsches zu tragen; die letzte Gelegenheit dazu hatte Kerry in den Hallen des Waldlandreiches gehabt, wenn sie sich recht entsinne konnte. Dazu legte sich ihren Reiseumhang um, der mit seinem Grau recht gut zu dem Kleid passte. So gerüstet verließ sie Farelyës Haus und machte sich auf zum Palast.

Sie musste eine der überall anzutreffenden Wachen nach dem Weg fragen und geriet dabei anfangs in Schwierigkeiten, da der Wächter - seine Rüstung war silbern und das Halstuch und der Mantel himmelfarben - sie in einem elbischen Dialekt anredete, den sie kein bisschen verstand. Vermutlich gehörte er zu den Hwenti, die aus dem Osten nach Eregion gekommen waren. Als Kerry ihm auf Quenya erklärte, dass sie nach der Königin suchte, bot er ihr schließlich den Arm an, um sie persönlich zum Palast zu bringen, auch wenn Kerry sich nicht sicher war, ob damit alle Missverständnisse nun ausgeräumt waren.
Kurz darauf standen sie vor einem imposanten Gebäude, das von einer großen Kuppel auf dem Dach dominiert wurde. Hier hingen sowohl die Banner der Manarîn als auch die der Hwenti in der Form von unglaublich langen, fein gewebten Wandteppichen links und rechts des Eingangsportals herunter, und Wächter in stählerner Rüstung mit schwarzen Umhängen hielten scharf Wache. Der Hauptmann der Garde, ein grimmig dreinblickender Elb mit einer Augenklappe aus Silber trat vor und Kerry befürchtete bereits, abgewiesen zu werden, als sich der Krieger überraschend vor ihr auf ein Knie herabließ. "Ihr werdet erwartet, Heryn Ténawen, redete er sie respektvoll an, und die Reihe der schildtragenden Wächter gab den Weg zum Portal frei. Kerry war etwas mulmig zumute, als sie eintrat. Niemand folgte ihr. Sie kam zunächst in einen Bogengang, der von weißen Marmorsäulen gesäumt war, und dann stand sie vor einer weiteren Tür, die ganz aus Silber zu bestehen schien. Als sie beinahe heran war, öffneten sich die schweren Türflügel nach innen, doch Kerry sah keine Wachen, die sie aufgestoßen haben konnten. Dahinter lag ein heller Thronsaal, der Kerry sogleich an die Halle Finelleths im Waldlandreich erinnerte. Dieser Saal war etwas kürzer, dafür aber deutlich höher, und wies am Ende eine Treppe auf, die sieben Stufen besaß. Die unterste Stufe nahm die gesamte Breite der Rückwand des Saales ein, und jede darauf folgende Stufe wurde immer etwas schmaler, bis die letzte und oberste nur mehr drei Meter in der Breite maß. Dort standen drei Sitze. Im Zentrum war ein Thron, der auf Kerry wirkte, als wäre er aus purem Metall gegossen worden, und das Licht der vielen Elbenlampen spiegelte sich darin. Daneben standen links und rechts zwei hölzerne Sessel, die mit Schnitzereien reich verziert waren. Die Halle selbst war lichtdurchflutet, denn vielerlei Lampen hingen von der Decke herunter, und über ihnen, am unteren Rand der großen Kuppel, waren große Fenster eingelassen worden, durch die das Sonnenlicht hereinfiel.
Der Thronsaal war offenbar leer, bis auf einige wenige Ausnahmen. Als Kerry sich staunend umdrehte, entdeckte sie zwei gepanzerte Wächter, die regungslos in kleinen Erkern links und rechts des Eingangs verharrten, Speer und Schild in den Händen. Drei Elben standen auf der untersten Stufe etwas nach links versetzt, und auf dem linken Stuhl neben den Thron saß eine hochgewachsene Gestalt mit silbernen Augen, wie Kerry erkennen konnte, als sie näher gekommen war. Ivyn zwinkerte ihr amüsiert zu, als sie Kerry bemerkte. Neben ihr auf dem Thron saß Faelivrin in voller königlicher Aufmachung - ihre Krone ruhte auf ihrem Haupt und in der Hand hielt sie ein Szepter, an ihrer Seite hing ein langes Schwert.
Die drei Elben auf der unteren Stufe stellten sich als Halarîn und Farelyë heraus, die Kerry beide herzlich begrüßten, sowie eine dritte, Kerry unbekannte Frau mit nussbraunem Haar, die Kerry mit Interesse anblickte.
"Willkommen, nésa," begrüßte Faelivrin sie, dann erhob sie sich und ein Teil ihrer königlichen Strenge fiel von ihr ab als sie liebevoll lächelte. Kerry hob den Saum ihres Kleides an, um beim Ersteigen der Stufen nicht zu stolpern und erklomm die Treppe, um die Königin der Manarîn zu umarmen. "Es ist schön, dass du wieder zuhause bist, kleine Schwester," sagte Faelivrin leise an Kerrys Ohr.
"Ich freu' mich auch dich zu sehen," erwiderte Kerry, dann blickte sie in die Runde. Ivyn und Halarîn lächelten wissend, Farelyë hingegen schaute etwas ernster drein und ihr Blick ging nach Norden, als könnte sie durch die dicken Wände des Palastes hindurchsehen. Die Kerry unbekannte Frau hingegen hielt sich etwas zaghaft wirkend im Hintergrund.
"Ich... ich muss euch etwas erzählen, es geht um Adrienne..." begann Kerry, ehe ihr Blick auf die braunhaarige Fremde fiel. "Oh... verzeiht, störe ich gerade bei irgendetwas Wichtigem?"
Als Kerry den Namen ihrer Freundin erwähnte, zog ein Schatten über Ivyns Gesicht und die große Elbin schwieg.
"Nun, es ist nicht so als hätten wir unbegrenzt Zeit, denn es gibt noch immer viel für die Verteidigung der Stadt zu tun," sagte Faelivrin ernst. "Aber einen Augenblick werde ich entbehren können, allein schon um zu wertschätzen, dass du wieder bei uns bist." Erneut durchbrach ein kleines Lächeln ihre erhabene Miene.
"Dies ist Amante," sagte Ivyn und deutete auf die Braunhaarige. "Sie..."
"Wenn es um eine Familienangelegenheit geht, möchte ich nicht im Wege stehen," beteuerte Amante sofort und wirkte, als wolle sie sich gleich zurückziehen.
"Nein, nein, du musst nicht extra deswegen gehen," sagte Kerry hastig. "Ist schon in Ordnung..."
Amante blieb stehen und blickte erst Ivyn, dann Kerry an. Schließlich legte sie die Hände zusammen und nickte langsam.
"Also, was ist nun mit Adrienne?" wollte Halarîn neugierig wissen. Noch immer sah sie recht mitgenommen aus und Kerry wurde klar, dass dahinter der Stress der bald endenden Schwangerschaft sowie die Sorgen um Mathan stecken mussten.
"Sie ist fort," antwortete Farelyë an Kerrys Stelle. Noch immer blickte sie nachdenklich nach Norden. "Sie ging, weil sie glaubt dass sie es muss. Aber ich fürchte, die Dunkelheit trübt ihre Sicht. Sie versucht, ihren ganz eigenen Pfad zu gehen, wie auch immer dieser aussehen mag."
Bis auf Ivyn schien niemand recht zu verstehen, was Farelyë damit meinte. Kerry starrte sie einen Moment lang an, doch dann schüttelte sie nur den Kopf. Bei Farelyë wunderte sie schon länger kaum noch etwas, dass sie also bereits wusste dass Adrienne gegangen war, war da nichts Besonderes mehr. "Ja, sie ist fortgegangen," bestätigte Kerry daher. "Es klang... endgültig. Sie hat sich von mir verabschiedet, und dann... d-dann hat sie... ähm, naja..." Sie spürte, wie sie rot wurde und ihr die Worte ausgingen.
"Was, meine Kleine?" fragte Halarîn sanft und legte Kerry von hinten die Hände auf die Schultern, dabei berührte ihr Bauch Kerrys Rücken.
"Sie hat mich geküsst," murmelte Kerry undeutlich, aber sie hatte vergessen, dass all ihre Zuhörer Elbenohren besaßen. Es gab einige erstaunte Ahs und Ohs, und Ivyn gestattete sich sogar ein kleines Lachen.
"Sieh mal einer an," sagte Faelivrin. "Ich hoffe du hast nichts zu ihr gesagt, das ihr das Herz gebrochen hat, Schwesterchen."
"Was? Nein, das würde ich niemals tun!" beteuerte Kerry. "Ich weiß ja noch nichteinmal, was dieser Kuss zu bedeuten hat, vielleicht hat es gar nichts mit Verliebtheit zu tun?"
"Das kann dir nur Adrienne selbst beantworten," mutmaßte Halarîn. "Wie lange ist sie schon weg?"
"Ähm... vielleicht zwei Stunden," überlegte Kerry. "Aber... da ist noch mehr, sie sprach davon dass der Tod sie verfolgt..."
Halarîn blickte besorgt drein, Ivyn ebenfalls. "Das arme Kind," sagte die Erste leise.
"Ich werde einen Reiter aussenden," beschloss Faelivrin. "So viel können wir entbehren. Oh, und... vermutlich sollte der Ahne informiert werden dass seine Schülerin uns verlassen hat."
"Das werde ich übernehmen," sagte Amante leise. "Ich glaube... ich kenne ihm am Längsten."

Faelivrin nickte daraufhin zufrieden, dann ließ sie sich von Kerry eine Kurzversion ihrer Erlebnisse auf der Reise in den Düsterwald und darüber hinaus geben. Sie schien sich ebenso wie Halarîn sehr für die neue Herrin des Düsterwaldes zu interessieren, aber auch für die militärische Lage auf der jenseitigen Seite des Nebelgebirges, über die ihr Kerry zu ihrem Leidwesen nur vage Angaben machen konnte. Nach einer knappen Stunde bat Faelivrin jedoch Kerry wieder zu gehen, so freundlich es einer Königin und Schwester eben möglich war, denn dringende Beratungen riefen nach ihr. Ivyn blieb als wichtigste Ratgeberin bei ihr, während Kerry, Halarîn und Farelyë beschlossen, zurück zu Farelyës Haus zu gehen und sich um ein Mittagessen zu kümmern. Kerry hoffte, dass Elea mittlerweile wieder wach war, denn das Gespräch vom Abend zuvor kam ihr wieder in den Sinn. Sie nahm sich vor, mit der Dúnadan in einem ruhigen Moment erneut darüber zu sprechen...

Curanthor:
Mathan aus dem nördlichen Eregion/ Tan Hollinór

Seine Beine trugen ihn so schnell wie nur möglich gen Süden. Mathan folgte einem breiten Pfad, der wohl von seinem Volk in letzter Zeit ziemlich oft benutzt wurde. Fast konnte man es sogar schon als Straße bezeichnen. Da er alleine unterwegs war, konnte er auch schneller als jeder Mensch reisen. Damit war er zwar noch immer langsamer als zu Pferde, aber die Reichweite schmolz nur so dahin und die altbekannten Abkürzungen halfen ihm noch mehr Zeit zu sparen. Die ganze Zeit ratterte es in seinem Kopf, wie es in der Zeit seiner Familie ergangen. Sein Gefühl sagte ihm, dass bisher nichts besorgniserregendes Geschehen war, aber die düstere Ahnung, die ihm seit seiner Ankunft am Gebirge begleitete ließ einfach nicht locker. Der Schatten kroch immer näher und sein Instink schrie immer lauter, je mehr Stunden ins Land zogen.

Die Muskeln in seinen Beinen brannten, doch er gönnte sich keine Pause und nach einem langen Tag, ließ er das bergige Gelände hinter sich. Das Land flachte merklich ab und er beschloss die Straße zu verlassen, als er in der Ferne einen Reiter erblickte. Mathan schätzte zu dem Zeitpunkt, dass er nahe der Hauptstadt sein musste. Tatsächlich passierte er mehrere vertraute Wegpunkte, wie einen krumm gewachsenen Baum, die Ruine eines alten Wachturms und einen kleine Bach. Eine zarte Schneeschicht bedeckte die Grashalme und bildete ein unberührter Teppich. Vor ihm lag auf einer kleinen Erhöhung Ost-in-Edhil. Mächtige Stadtmauern beschützten die Nordseite, von der er kam. Er war noch zu weit entfernt, um das Nordtor zu erkennen, aber er stellte sich vor, wie dort zahllose Elben ein- und ausgingen - wie zu alten Zeiten. Einen kurzen Moment verharrte er auf einer Anhöhe und genoss den Ausblick. Hinter den Stadtmauern, die von Wehrtürmen in regelmäßigen Abständen gespickt war, konnte er vereinzelte, filigrane Türmchen erkennen und den Rauch von einigen Feuern. Ob sie schon Kamine gebaut hatten? Sicherlich, immerhin war der Winter da.  Nachdenklich strich er die weiße Strähne aus seiner Stirn und winkelte sie um zwei Finger. Er schüttelte den Kopf und versuchte die aufkommende Nostalgie zu unterdrücken, doch klappte es nicht. Er freute sich auf das Wiedersehen mit seinem Vater und seiner geliebten Halarîn. Mathan fragte sich dabei, ob inzwischen auch Kerry wieder daheim war. Vielleicht mit einen seiner Freunde? Eigentlich rechnete er fest damit einen seiner Freunde dort zu treffen, Oronêl, oder vielleicht auch Finelleth. Neugierde packte ihn, die aber von der düsteren Entdeckung des brennenden Elbendorfs wieder gedämpft wurde. Immerhin hatte Ost-in-Edhil nicht das gleiche Schicksal ereilt. Und er würde alles dafür geben, dass es nie wieder brennen würde.

Aus der Ferne hatte die Stadt eine friedliche und beruhigende Ausstrahlung gehabt. Wie ein Fels in einem Blumenfeld. Doch als er sich ihr näherte, verspürte mehr und mehr Unruhe. Vielleicht trübte der Schein und sie wurde schon angegriffen? Schließlich war Mathan so nah heran, dass er einen Schießstand erkennen konnte und das geschlossene Nordtor. Auf dem großen Exerzierplatz, gegenüber des Schießstandes war der Schnee von dutzenden Fußabdrücken gezeichnet und der Weg zwischen beiden militärischen Anlagen war nur noch matschiger Sand. Offenbar trainierten die Manarîn unablässig und mehrfach am Tag. Offenbar wurde seine Ankunft bemerkt, als Mathan sich dem Tor nährte. Sechs Wachen strömten aus einem simplen Wachhaus, das wohl aus einfachem Holz gezimmert, etwa vier Schritt vor der Mauer gebaut wurde. Sie trugen alle silbern funkelnde Rüstungen und wallende, hellblaue Mäntel. Ihre Gesichter wurden von weißen Mundtüchern bedeckt. Sie stellten sich in einer Reihe vor das Tor und reckten ihm ihre Speere entgegen.
"Diese Stadt empfängt zurzeit keine Besucher!", rief einer der Männer barsch, "Bitte kehrt wieder um."
Etwas überrascht blieb Mathan stehen und legte den Kopf schief.
"Ich bin kein Besucher, dies ist meine Heimat", rief er voller Stolz, "Und meine Tochter erwartet mich - nein, meine Familie sehnt sich danach, mich wieder in ihre Arme zu schließen."
Die Wachen blickten sich unsicher an und schienen sich kurz zu beraten.
"Wie ist Euer Name?", fragte einer der Wachen schließlich neugierig.
"Mathan Nénharma."
Erneut steckten die Wachen die Köpfe zusammen und Mathan glaube ein "Ich hab's euch doch gesagt" zu hören. Schließlich ließen sie ihre Speere sinken und traten zur Seite. Offenbar war der Hauptmann der Wache gerade nicht da, doch scheinbar war dies kein Problem, denn eine Wache sagte steif: "Willkommen zu Hause, Ahnherr."
Mathans Mundwinkel zuckten. Er musste an sich halten, um keine Grimasse zu ziehen und bedankte sich stattdessen knapp. Nach einem lauten Pochen hörte Mathan wie drei schwere Holzbalken von dem Tor entfernt wurden, Ketten rasselten, dann öffnete sich einer der Flügel des Tores. Vor ihm öffnete sich ein kleiner Tunnel der Torburg. Ein hochgezogenes Fallgatter aus Eisen schwebte scheinbar über seinen Kopf. In der gerundeten Decke erblickte er einige Löcher die mit Holz gestopft waren. Einer der Wächter trat neben ihn und pochte laut an das zweite Tor. Erneut rasselten Ketten. Er machte sicherheitshalber einen Schritt zurück. Zu Mathans Überraschung bewegte sich der Flügel des Tores einfach nach rechts und schien in der Wand zu verschwinden. Zu seinen Füßen erblickte er so etwas wie eine steinerne Führungsschiene.
"Beeindruckend", murmelte er und ahnte, dass dies das Werk entweder von seinem Vater oder von Luscora war. Der Wachmann nickte knapp und bot ihn an, ihn bis zum Palast zu begleiten, da es sein Stand so erforderte, doch Mathan lehnte höflich ab. Er bevorzugte es, seine Heimat ganz allein wieder zu betreten und die Eindrücke der wiedererweckten Elbenstadt ungestört in sich aufzunehmen. Es war wie das Eintauchen in eine längst vergangene Zeit. Eine breite Straße lag vor ihm, die von einigen Häusern gesäumt wurde. Einzelne Elben waren unterwegs, einige mit einem Karren beladen mit Baumaterialien oder Metallen, Waffen oder anderen Dingen, andere unterhielten sich in kleinen Grüppchen, doch die meisten eilten von einem Ort zu dem anderen. Ein Truppe Wachen mit hellblauen Mänteln marschierte an ihm vorbei und warfen ihm fragende Blicke zu. Mathan beschloss der breiten Hauptstraße zu folgen, die nach einer Weile einen langgezogene Kurve machte und schließlich auf einem großen Platz endete. Der Eingang zum Platz wurde von einem kleineren Tor kontrolliert, das aber weit offen stand. Mathan bemerkte, dass viele Häuer so etwas wie Balkone hatten, die von Rundsäulen gestützt wurden. Die Bauweise war nicht so filigran, wie die der übrigen Eldar, aber deutlich ästhetischer als die der Menschen. Er vermutete, dass die Manarîn sich beeilt haben und ihr eigentliches Können noch höher war, doch war es bereits jetzt schon beindruckend. Es war, als ob Ost-in-Edhil ein neues Gewand trug, aber darunter noch einige Kleidungsstücke der alten Stadt versteckt hielt. Die Straßenführung kam ihn noch immer vertraut vor. Man hatte bekannte Strukturen benutzt und die alten Fundamente als Basis genommen. Als er den Platz überquerte, bemerkte er, dass mehrfach heimlich auf ihn gezeigt wurde. Mathan bezweifelte aber, dass man ihn erkannte. Immerhin hatte er nichts Besonderes für die Manarîn geleistet, weshalb er ihren Respekt ihm gegenüber nicht so ganz nachvollziehen konnte.
Auf der Mitte des Platzes stand ein gewaltiger Sockel, aus dem offenbar Wasser sprudeln sollte. Einen Brunnen davor gab es noch nicht. Nachdenklich blieb er vor dem Sockel stehen und fragte sich, was dort eines Tages thronen sollte. Es würde eine gewaltigen Maßstab haben und über die gesamte Stadt blicken. Er bemerkte, dass die Rückseite des Sockels auf eine noch breitere Straße deutete, die vom Platz wegführte. In seinem inneren Auge tummelten sich dutzende Elben auf dem Platz, trieben Handel mit Besuchern und strömten schließlich die breite Straße entlang, die er auch nun folgte und landete auf einem etwas kleinerem Platz. Vor ihm erhob sich ein beeindruckender Palast, dessen Vorbau von mannsbreiten Rundsäulen getragen wurde. Hier wurde deutlich, was die Manarîn wirklich konnten. Auch wenn der Palast unfertig war und nur eine Rundkuppel, sowie den linken Flügel erkennbar war, konnte er sich schon mit den Werken der großen Baumeistern messen. Seine Elbenaugen erkannten filigrane Stuckarbeiten, die die Geschichte der Manarîn erzählten. Auf dem Vorbau hatte man eine große Terrasse gebaut. Hier würde seine Tochter wohl sein ihrem Volk sprechen. Mahtan riss schließlich von dem Anblick los und stieg bedächtig die breiten Stufen zu Faelivrins Herrschaftssitz hinauf.

Die Palastgarde trug schwarze Mäntel und ebenso schwarze Mundtücher. Ihre Körper waren in die typischen silberglänzenden Stahlrüstungen gehüllt. Offenbar erkannte sie ihn, denn niemand trat ihm in den Weg. Der Hauptmann der Garde trat vor. Es war ein grimmig dreinblickender Elb mit einer silbernen Augenklappe. Kurz musterten sie einander, bis der Hauptmann und seine Garde auf ein Knie sanken.
"Willkommen daheim, Vater der Königin", begrüßte er ihn höflich und trat zur Seite, "Die Herrin tagt im Thronsaal."
Mathan bedankte sich knapp und betrat durch das weit geöffnete Tor die Vorhalle. Er straffte sich und versuchte seine Vorfreude zu dämpfen, wieder zu Hause zu sein, bei seiner Familie. Es klappte nicht ganz und sein Herz wallte auf vor Freude, endlich seine Lieben in die Arme zu schließen zu können.

Curanthor:
In der großen Vorhalle verlangsamten sich wieder seine Schritte. Mathan blickte an die Decke, wo dutzende, lange Banner herunterhingen. Sie waren sicherlich mehrere Schritte lang und in den unterschiedlichsten Farben getaucht. Manche waren mit simplen Mustern bestickt, andere waren aufwändig verziert. Besonders fiel ihm das orange Banner auf, dass er erst auf dem zweiten Blick erkannte. Es waren die Banner der Avari und orange war die Farbe der Hwenti, wie er es in dem niedergebrannten Elbendorf gefunden hatte. Sein Blick suchte die übrigen Banner ab. Über der Pforte zum Thronsaal hing zentral das Banner der Manarîn, rechts daneben das der Hwenti, links ein für ihn Unbekanntes. Es hatte einen mitternachtsblauen Hintergrund, goldgelbe Stickereien die sich umeinander wanden bildeten ein Netz aus Strahlen, in der Mitte prangte ein roter Stern.
"Mathan", sprach ihn eine bekannte Stimme von der Seite an.
Er wandte überrascht den kopf und erblickte Amante. Sie hatte ihre brünetten Haare zu einem simplen Zopf gebunden und ihn sich über die Schulter gelegt. Ihr schlanker Körper steckte in einem unauffälligen, weißen Kleid, das ihren Körper schmeichelte. Ihre rehbraunen Augen musterten ihn abschätzend, dann hoben sich ihre Lippen zu einem sanften lächeln.
"Willkommen zu Hause", sagte sie schließlich und legte sich eine Hand aufs Herz,"Ich war mir sicher, dass du unversehrt hier ankommen würdest."
Mathan verneigte sich ganz knapp und murmelte einen Dank. In Amantes Augen funkelte der Schalk, doch sie schwieg. Eine unangenehme Stille trat ein, zumindest für ihn. Er wusste nie, wie er ihr begegnen sollte. Sie kannten sich seit seiner Kindheit und er hatte sie nie durchschauen können. Immer wieder war sie bei ihnen zu Hause gewesen und hatte ausführlich mit seinen Eltern gesprochen. Er erinnerte sich, dass er dabei nie zuhören durfte. Sie war eine der ältesten Elben, die er kannte. Zwar hatte er noch nie ihr wahres Alter erfahren, doch konnte er anhand der Art, wie sein Vater mit ihr sprach ahnen, dass sie nicht so jung war, wie sie gern vorgab.
"Danke dir", antwortete er schließlich nach einer Weile und schaute sich um, "Eigentlich hatte ich mit..."
"Mit einer anderen Art von Willkommen gerechnet", unterbrach ihn Amante und nickte, "Ich weiß, allerdings ist die Situation auch eine Andere."
"Das hatte ich erwartet. Ich nehme an, meine Tochter ist in einer Besprechung?"
Amante nickte knapp und sagte, dass er erwartet wurde. Natürlich wurde er das, mit zwei Ersten in Eregion war es beinahe unmöglich, dass etwas Unerwartet geschehen konnte. Zumindest war es sein Wunschdenken, geboren aus der Furcht heraus, dass seiner Familie und seinen Freunden etwas zustoßen konnte. Die Zeit bei seiner Mutter hatte ihn gelehrt, wie wichtig ihm seine Freunde waren und hatte seine Wertschätzung der Familie verändert. Ihm waren einige Dinge klar geworden, von denen er bisher nur dachte, er hätte sie verstanden, oder sich nur selbst eingeredet, dass es so war. Mathan ballte eine Hand zur Faust. Amante hob kaum merklich eine Braue, dann breitete sich ein zufriedener Ausdruck auf ihrem Gesicht aus.
"Ich sehe, du hast nicht nur diese Reise überstanden. Du bist mit einem entschlossenen Herzen zurückgekehrt. In ihm brennt ein Feuer, das uns noch allen den Weg weisen wird."
"Du sprichst fast schon wie Ivyn", gab er nur schmunzelnd zurück.
Amante zuckte mit den Schultern. "Das kann sein. Manchmal rutscht das einfach so heraus." Sie zwinkerte ihm zu. "Außerdem, ganz Unrecht habe ich ja auch nicht, oder?"
Mathan blieb ihr eine Antwort schuldig. Ihn beschlich eine Sorge.
"Was ist der Grund, dass du mich hier abfängst?"
Die Elbe mied für einen Augenblick es ihm ins Gesicht zu blicken. "Deine Schülerin ist fortgegangen."
Sein Blick verfinsterte sich. "Gegangen? Hat sie einen Grund genannt?"
Amante schien nicht so ganz zu wissen, wie sie antworten sollte. Sie erzählte ihm schließlich, was sie aus Kerrys Bericht mitbekommen hatte.
"Hmm", machte Mathan besorgt und wollte sich umdrehen, um nach ihr zu suchen, "Der Tod verfolgt sie...", murmelte er nachdenklich und stoppte, als er merkte, dass Amante ihm am Ärmel festhielt.
"Ich weiß, du sorgst dich um sie, aber die Königin hat bereits einen Reiter ihr hinterhergeschickt. Habe etwas vertrauen in unser Volk. Du hast andere Verpflichtungen."
"Unser Volk?"
Amante lächelte erneut und nickte. "Natürlich, Avari sind wie wir. Elben. Durch unseren und ihren Adern fließt das gleiche Blut. Wir alle sind einst im Antlitz der Sterne erwacht und ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle in den Westen gehen, wenn unsere Zeit hier gekommen ist. Das Einzige, was uns von einander trennt, ist die unterschiedliche Entwicklung in allen Winkeln Mittelerdes."
"Du redest wirklich wie Ivyn", murmelte Mathan leiser und setzte nach, "Aber du hast Recht. Ich denke ebenfalls so. Mich hat es nur überrascht das gerade von dir zu hören."
Amante lachte kurz und schüttelte nur den Kopf. "Als ob das jetzt so ungewöhnlich war. Doch genug davon, wir sollten sie nicht länger warten lassen."
Mit den Worten trat sie an das Tor zu Thronsaal, das sich nach einem kurzen Augenblick öffnete. Mathan fragte sich erneut, wer außer seiner Tochter dort auf ihn wartete. Die beiden Flügel des Tores gaben den Blick frei auf einen Saal, der von Elben gefüllt war. Die meisten trugen Waffen, meistens Schwerter, Speere und Bögen. Am Ende des Raumes stand auf sieben Stufen der Thron Faelivrins, der von zwei hölzernen Stühlen flankiert wurde. Alle drei waren leer. Das Getuschel verstummte, einige machten Platz, sodass er einen Großen Kartentisch in der Mitte des Saals erblicken konnte, um den sich die Versammlung gedrängt hatte.
"Willkommen zu Hause, ehrenwerter Großvater", durchdrang Isanascas Stimme das Gemurmel, "Bitte, tritt zu uns."
Seine Enkelin trat aus dem Kreis Elben. Sie trug eine prunkvoll verzierte Rüstung, deren gerundeten Schulterpanzer das Licht brachen. Von ihren Schultern wallte ein purpurroter Mantel und auf ihren dunkelblonden Haaren ruhte ein schmaler, goldener Haarreif in dem ein funkelnder Bernstein eingelassen wurde. Sie machte einen respektvollen Knicks, den er mit einer knappen Verneigung erwiderte. Mathan erkannte zwei Schwerter an ihrer linken Hüfte. Ein weiterer Griff ragte quer hinter ihrem unteren Rücken zur Seite. Ihre schmalen Lippen lächelten herzlich und sie machte eine einladende Geste. "Kommt, meine ehrenwerte Königin  Mutter wird gleich zu uns stoßen. Wir waren gerade dabei, ein wenig die übrigen Avari kennenzulernen, die sich in unseren Landen niedergelassen haben."
Mathan seufzte innerlich. Die Atmosphäre in dem Thronsaal war angespannt. Scheinbar liefen die Verhandlungen nicht gut. Er konnte sich denken, dass die Manarîn für den kommenden Kampf jedes Schwert auf ihrer Seite haben wollten. Er setzte sich langsam in Bewegung und trat an den Tisch. Aus dem Augenwinkel bemerkte er ein paar unfreundliche Blicke. Ein paar von ihnen blieben an seiner weißen Haarsträhne hängen.
"Wenn ich vorstellen darf: Fanathr, Tirumar, Maris und Baranthea von den Hwenti, Calûnor und Sarante von den Kinn-Lai, Adrator von den Cuind und Merolon von den Kindi."
"Ich bin Mathan Nénharma von Eregion", antwortete er nur knapp.
Calûnor drehte sich zu ihm und hieß ihn in seiner Heimat willkommen. Er war ein großer Krieger, der einen Schild auf dem Rücken trug und ein Schwert an der Seite. Sein Gesicht war von einer Narbe an der rechten Wange gezeichnet. Mathan bedankte sich knapp, Sarante, die etwas zierlicher, aber nicht weniger kriegerisch wirkte, nickte ihm so knapp wir nur irgend möglich zu. Die übrigen Hwenti taten so, als ob es sie nicht interessierte. Fanathr warf ihm unauffällig einen Blick des Wiedererkennens zu. Adrator und Merolon hatten beide die Arme verschränkt. Letzterer sagte mit für Elben unüblich tiefer Stimme: "Ich bleibe dabei, meine Leute sind nur ein paar hundert. Wir können uns nicht einmischen. Jedes Leben, das wir verlieren fehlt uns in den Siedlungen." 
Adrator, der einen Helm trug, der dessen ganzes Gesicht verbarg nickte zustimmend. "Auch wenn ich ungern mit einem Kindi der gleichen Meinung bin, sieht es für mich und meine Leute genauso aus. Wir können uns noch immer verstecken, sollte es zum äußersten kommen."
Calûnor schnaubte zur Antwort und deutete auf beide. "Wie erwartet von euch Feiglingen. Die einen verstecken sich feige im Wald und die anderen im Moor, darauf bibbernd, dass der Feind sich doch nicht entdecken möge." Der Krieger wandte sich Prinzessin Isanasca zu. "Und doch werden auch die Kinn-Lai für die Sarante und ich sprechen, sich nicht an diesem Kampf beteiligen. Wir haben von den Manarîn nur Erzählungen gehört. Dass ein paar tausend hinausgezogen sind über das große Meer, aber nichts von glorreichen Schlachten, oder großen Kriegern. Solange wir keine Taten sehen, werden wir uns nicht beteiligen."
"Barbaren", murmelte nun Tirumar und schnaubte abfällig, "Ihr seid vielleicht zweihundert Kämpfer und damit weniger als alle andere und glaubt, dass ihr so hohe Ansprüche stellen könnt, dass sich ein ganzes Volk Euch beweisen muss."
Sarante bleckte die Zähne und zog ihr Schwert ein Stück aus der Scheide. "Und doch kämpft ein Kinn-Lai wie zwei Hwenti, was ich Euch gern beweisen würde. Wir ziehen nur in einen Krieg, wenn unsere Verbündeten es uns wert sind. Sie müssen sich beweisen."
Mathan schüttelte kaum merklich den Kopf. Die Spannung der Avari war so offensichtlich und doch merkten sie alle nicht, dass sie der aufkommenden Dunkelheit so entzweit nichts entgegenzusetzen hatten.

Ein lautes Pochen unterbrach die Zänkerei. Isanasca hatte selbst ihr Schwert gezogen und mit den Knauf gegen den Tisch geklopft. Es war eine leicht geschwungene Klinge, gefertigt aus bestem Stahl.
"Das ziehen einer Waffe im Thronsaal kommt eine Kriegserklärung gegen die Königsfamilie gleich. Ich hoffe, ihr alle wisst, was das bedeutet." Sie hatte kaum die Stimme erhoben, doch ihr Blick sprach Bände. Mathan erkannte das erste Mal, dass seine Enkelin genau die gleiche Ausstrahlung wie Faelivrin besaß, wenn sie es denn wollte. Ein kleiner Schauer rauschte ihm den Rücken hinab. Kalt wie Eis blickte sie die übrigen Avari an und verstaute mit einer einzigen, fließenden Bewegung ihr Schwert. Es ging so schnell, wie Mathan es selbst noch nie gesehen hatte, schneller als ein Blinzeln. Die Präzision und Geschwindigkeit verrieten ihm, dass seine Enkelin vielleicht doch mehr von ihm hatte, als es ihm lieb war. Er konnte sehen, wie ein einziger Gedanke jedem Elben im Raum durch den Kopf ging: Isanasca war eine tödliche Kämpferin mit einem geradezu furchteinflößenden Talent. Eine einzige Bewegung hatte dafür ausgereicht, dies zu verdeutlichen.
Ein leises Klicken ließ sie alle die Köpfe wenden. In einem Seiteneingang neben der Treppe zum Thron stand Ivyn, die mit bedächtigen Schritten sich zu ihnen gesellte. Sie hatte die Augen geschlossen und deutete nur knapp zum Thron, auf dem von allen unbemerkt Faelivrin saß. Mathan schmunzelte. Seine Tochter hatte eine Begabung dafür, ungesehen umherzuwandeln und scheinbar hatte sie dies nicht über die Zeit verlernt. Faelivrin blickte die übrigen Elben mit einer Mischung aus Enttäuschung und bestätigter Erwartung an.
"Isanasca", sagte sie schließlich ruhig, "Wir sind hier nicht unter Feinden."
Die Prinzessin nickte und löste jeden Finger einzeln von dem Griff ihres Schwerts, so als ob sie nur widerwillig zustimmte. Schließlich machte sie auf dem Absatz kehrt und nahm links neben Faelivrins Thron Platz, während sie selbst die Stufen hinabstieg. Mathan bemerkte, dass seine Tochter auch nicht sagte, dass sie unter Freunden seien.
"Ich verstehe eure Sorgen", sagte diese verständnisvoll und nickte zum Kartentisch, "Und doch solltet ihr in Erwägung ziehen, dass es mein Volk nicht ganz Eregion verteidigen kann. Ich, kann dieses Land nicht alleine beschützen, das Land meiner Ahnen und das meiner Kinder."
Die Avari blickten sich verstohlen an und schienen unschlüssig zu sein. Ivyns Stimme wisperte in Mathans Gedanken und ermunterte ihn, von seiner Reise zu erzählen. Er sah zu ihr. Sie hatte noch immer die Augen geschlossen und die Hände aneinander gelegt. Dann warf er seiner Tochter einen Blick zu, die gerade Fanathr in Grund und Boden starrte. Offenbar hatte sie auch mit Ivyn gesprochen, denn sie nickte ihm plötzlich unmerklich zu. Er wusste, was sie meinte.
Mathan trat an den Kartentisch, die meisten Augenpaare richteten sich dabei auf ihn, da er sich die ganze Zeit herausgehalten hatte.
"Ob es Euch gefällt oder nicht, der Feind macht keinen Unterschied ob Manarîn, Hwenti oder Kinn-Lai." Sagte er bestimmt. Sein Finger fuhr über die Karte Eregions, auf der einige Siedlungen eingezeichnet waren. Schließlich stoppte er an den westlichen Hängen des Nebelgebirges. Stumm hob er den Blick zu den Hwenti. Maris, eine hochgewachsene Elbe mit schwarzen Haaren und graublauen Augen wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Fanathr trat neben sie und stützte die taumelnde Elbe.
"Es ist, wie Ihr befürchtet", sagte Mathan leise und blickte zur Seite, "Es gab nichts mehr, was ich tun konnte. Es tut mir leid."
Ein Moment der Stille folgte. Schließlich trat Faelivrin ebenfalls an den Tisch und deutete auf einen Turm im Osten Eregions, direkt vor Moria.
"Rómen Tirion wurde erst vor Kurzem fertig gestellt. Unsere Wacht im Osten steht seitdem unter ständigen Angriffen. Isanasca, ich möchte, dass du und Sanas dort das Kommando übernehmen und unsere Stellung festigt. Wir können uns es nicht leisten sie zu verlieren. Ich möchte, dass ihr euch noch heute auf dem Weg macht."
Isanasca, die sich bereits von ihrem Stuhl erhoben hatte, nickte. "Wir Ihr wünscht, Königin Mutter."
Die Prinzessin eilte mit großen Schritten und wehenden Umhang aus dem Thronsaal. Ivyn trat zu Faelivrin und flüsterte etwas in ihr Ohr. Seine Tochter blickte ihn daraufhin an.
"Uns erreichte heute Morgen eine weitere Nachricht von einer zerstörten Siedlung. Ebenfalls im Norden des Landes."
Fanathr und Maris wechselten einen alarmierten Blick, doch Faelivrin schüttelte den Kopf und blickte zu Merolon. Dieser stieß überraschenderweise einen Fluch auf Avarin aus, in seinem eigenen Dialekt, den niemand verstand. Calûnor zischte und wandte sich ab, als ob das alles nichts mehr anginge. "Die machen uns nach und nach fertig", sprach Sarante besorgt das aus, was wohl die übrigen Avari dachten.
"Deswegen ist es besser, dass wir alle zusammenstehen", schaltete sich Ivyn leise ein und öffnete die Augen, "Oder wir werden alle den Preis zahlen."
Maris schüttelte den Kopf. "Verzeiht mir, ehrenwerte Erste, aber ich kann unsere Siedlungen nicht im Stich lassen."
Adrator nickte und fügte hinzu: "Vielleicht können wir sie schon auf den Weg zu den Siedlungen abfangen. Wir sollten den Kampf zu ihnen tragen."
Die übrigen Avari nickten zustimmend, bis auf die beiden Kinn-Lai, doch auch sie widersprachen nicht.
Ivyns Augen funkelten für einen Moment silbern auf, als sie sagte: "Das ist ein Fehler. Ich wollte es nicht machen, aber ich warne euch alle. Jeden einzelnen in diesem Raum. Dies wird uns auf einen dunklen Pfad führen, der an Schmerzen kaum zu überbieten ist."
Die Macht in Ivyns Stimme und ihre Worte ließ Mathan erzittern und er war nicht der einzige. Faelivrin blickte ihre Großmutter entsetzt an. Nur für einen winzigen Augenblick, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Die Erste machte abrupt kehrt und verließ den Thronsaal.

Die übrigen Avari mieden es Faelivrin oder Mathan anzublicken. Sie hatten ihre Entscheidung gefällt, auch wenn sie damit offenbar dank Ivyns Worte haderten.
Seine Tochter seufzte indessen und winkte mit der Hand. "Sei es, wie es sei. Ich denke, mehr werden wir heute nicht erreichen können." Das Treffen war damit aufgehoben. Als erstes verabschiedeten sich die beiden Kinn-Lai, dann Adrator und Merolon, die zu ihren Siedlungen eilten wollten. Die übrig geblieben Hwenti schwiegen, noch immer beschämt und aufgewühlt durch die Worte ihrer ehemaligen Anführerin. Doch die Furcht in ihren Herzen hatte sie blind werden lassen. Nach und nach verließen auch sie den Thronsaal. Faelivrin schickte kurz darauf den restlichen Hofstaat hinaus, sodass nur noch sie, Mathan und Amante übrig waren. Letztere warf ihm einen unergründlichen Blick zu und schlüpfte ebenfalls zur Seitentüre hinaus. Nun waren nur noch er und seine Tochter im Thronsaal.
"Vater?", fragte sie leise.
"Hmm?", machte er und drehte sich zu ihr um.
Sie stützte sich auf den Kartentisch, hatte die Lippen wütend zusammenkniffen und ihr Szepter fest umklammert, dass die Knöchel weiß wurden. Ihr Zopf hatte sich gelöst und ihre dunkelblonden Haare hingen ihr vor dem Gesicht.
"Wirst du mit uns kämpfen?"
Er machte einen Schritt auf sie zu und legte ihr eine Hand auf den bebenden Rücken. "Dies ist meine Heimat und du mein eigen Fleisch und Blut. Natürlich werde ich an deiner Seite stehen."
Sie wandte ihm den Kopf zu. Ein feuchter Schimmer lag auf ihren geröteten Augen.
"Ivyns Warnung... bei der Dritten wird etwas Schlimmes geschehen. Lass nicht zu, dass es dazu kommt. Ich brauche deine Kraft, mein Volk braucht es. Deine Familie braucht dich."
Mathan fragte sich, was seiner Tochter solch eine Angst einjagen konnte, doch er packte sie an beiden Schultern und schwor ihr, immer für sie da zu sein. Faelivrin lächelte schwach und nickte dankbar. "Du solltest nach Mutter sehen", schlug sie vor, als sie sich beruhigt hatte, "Sie ist im westlichen Flügel und fühlt sich nicht wohl."
Er verstand, dass sie gern alleine sein wollte und ging zu einem der Seitenausgänge "Dann werden ich das tun. Du kommst ja jetzt erstmal ohne mich zurecht."
Er zog die Türe auf und ging hindurch, als er noch einmal Faelivrin hörte: "Vater?“. Mathan steckte den Kopf durch den Türspalt. "Ja?"
Sie hatte sich wieder aufgerichtet und ihre Haare geordnet. Faelivrins Gesicht wurde weich und ihre Lippen hoben sich.
"Es ist schön, dass du wieder daheim bist. Wir haben dich vermisst."
Das ging runter wie Öl. Mathan strahlte sie an und nickte. "Ja, ich euch auch."
"Du hast dir sicher eine andere Art von Willkommen vorgestellt."
Er schüttelte sanft den Kopf. "Das ist egal, wenn ich am Ende des Tages bei meiner Familie bin."
"Das stimmt."

Curanthor:
Mit einem Lächeln auf dem Lippen schloss Mathan die Tür zum Thronsaal. Er stand in einem unscheinbaren Gang. Sein Lächeln verging, als er über die vergangene Besprechung nachdachte. Die Avari waren uneins, selbst fern ihrer alten Heimat, das wurde mehr als deutlich. Halarîn hatte ihm schon viel über das Verhältnis der Stämme untereinander erzählt. Eigentlich hatte er es in seinem Kopf immer so zusammengefasst, dass es sehr kompliziert war. Ein Stamm hatte eine Abneigung gegen einen anderen, aufgrund deren Art zu leben, oder Streitigkeiten aus der Vergangenheit. Dann gab es noch Abweichler in den Stämmen selbst. Er schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht die Zeit darüber nachzudenken. Mathan blickte nach rechts den Gang hinab, doch bis auf eine weitere Tür war dort nichts. Er vermutete, dass es dort in den unfertigen Teil des Gebäudes ging. Also wandte er sich nach links. Sein Orientierungssinn sagte ihm, dass es es nach Süden ging. Er kam an einer Kreuzung an, wo zu seiner Erleichterung gerade eine Magd ebenfalls ankam. Die junge Elbendame blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn einen Augenblick lang an. Er konnte in ihren Augen sehen, dass sie angestrengt nachdachte, wer da vor ihr stand.
"Ich möchte in den Westflügel, zu Halarîn", erklärte er schlicht.
Die Elbe schien sofort zu verstehen, verneigte sich knapp und bedeutete ihm zu folgen. Sie sprach kein Wort und führte ihn durch einige engen Gänge in einen langen Korridor, der grozügig Platz bot und eine ziemlich hohe Decke hatte. Mehrere Türen führten wohl zu angrenzenden Räumlichkeiten. Er vermutete, dass er in dem zentralen Teil des Westflügels war. Die Elbe führte ihn in den hinteren Teil, zu einer unscheinbar wirkenden Holztüre. Sie verneigte sich noch einmal und eilte davon. Mathan hatte gar nicht die Chance sich zu bedanken.

Seine Hand zitterte ein wenig, als er sie auf den Knauf legte. Halarîn und er trennten sich nur äußerst selten für längere Zeit und wenn, dann nie mehr als ein paar Wochen. Er atmete tief aus, um sein klopfendes Herz zu beruhigen. Dann drehte er den Türknauf. Vor ihm lag ein geräumiges Zimmer, das mit flauschigen Teppichen und ein paar kunstvoll gewobenen Wandteppichen ausgestattet war. Ein großes Doppelbett unter einem der drei großen Rundfenster zog sofort seinen Blick an. Unter zwei Decken und einem pelzigen Mantel erkannte er eine bekannte Gestalt. Halarîn drehte den Kopf, eine ihrer bronzenenfarbenden Haarsträhnen fiel ihr über das Gesicht. Mathan erkannte ein halb beschriebenes Pergament auf ihrem Nachttisch, daneben eine gefüllte Karaffe mit Wasser und einen leeren Teller mit ein paar Krümeln darauf. Er schloss sanft die Tür. Ihre Lippen hoben sich schwach. Mathan lächelte. Keiner sagte ein Wort, sie starrten sich einfach nur an. Es war nicht nötig etwas zu sagen. Ihre braunen Augen schimmerten vor Freude, glitzerten jedoch etwas feucht. Halarîn war es, die mit einem erleichterten Lachen die Stille durchbrach. Ein, zwei Tränen stahlen sich bei ihr davon, als sie ihn an ihr Bett winkte. Mathan setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und ergriff ihre erhobene Hand, die sogleich sanft über seine Wangen streichelte. Sie waren unglaublich warm.  "Hmmm", machte er und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, dann auf ihre weiche Lippen. Sie schloss die Augen und erwiderte ihn sehnsüchtig. Ihre zwei Herzen waren wieder vereint. Es war, als ob die Zeit stehen geblieben war. Doch alles Wunderbare endete irgendwann, und Mathan zog sich widerwillig zurück. Als sie sich voneinander lösten, wollte Halarîn sich aufrichten, überlegte es sich jedoch anders. Mathan wusste, dass ihr die Schwangerschaft gerade viel abverlangte. Sein Blick wanderte weiter runter, zu ihrem kugeligem Bauch. Ihre Hände fanden sich.
"Es ist bald soweit", sagte seine Geliebte schließlich mit etwas schwacher Stimme.
"Ich bin froh, dass euch beiden nichts gesehen ist."
Eine Furche schien auf ihrer Stirn, als sie ihn mit einem Funkeln in den Augen anblickte.
"Was soll uns denn hier passieren? Ich glaube in Eregion gibt es gerade keinen sicherern Ort als diesen. Die Manarîn sind unglaublich diszpliniert und ihre argwöhnische Ader ist bei drohender Gefahr sogar ziemlich nützlich."
"Ja, aber ich befürchte, dass das auf Dauer zu Problemen führen könnte", murmelte er nachdenklich, als ihm dabei die Besprechung im Thronsaal einfiel.
"Hm", machte Halarîn zustimmend und drückte seine Hand, "Genug davon, wie ist es dir ergangen?"
Er wusste, dass sie aus Sorge um ihn fragte, nicht weil sie neugierig war. Er drückte ihre Hand. "Aufschlussreich. Ringelendis ist ... anders, als ich es in Erinnerung hatte."
"Manchmal verblassen die ältesten Erinnerungen, je länger man lebt. Meine Mutter und Ivyn haben beides selbst erlebt. Es hilft, wenn man sich einige Tage Zeit nimmt, und diese sich wieder ins Gedächtnis ruft."
Mathan nickte nachdenklich. Ihm fiel wieder auf, dass Halarîn fast eintausend Jahre älter war als er. Ihr etwas kindliches Gemüt täuschten ihn immer wieder und das liebte er so an ihr. Unbeschwert, rücksichtsvoll und lebhaft. Er gab ihr einen überraschenden Kuss. Sie blinzelte, grinste aber dann. Scheinbar hatte sie einen ähnlichen Gedanken gehabt, denn sie murmelte etwas wie, dass sie sich gerade furchtbar alt fühlte. Ihm ging aber nicht ein Gedanke aus dem Kopf und bisher hatte er vermieden danach zu fragen. Mathan spürte, wie Halarîn sanft seine Hand drückte. Als er sie anblickte, nickte sie und lächelte sanft. Sie kannte ihn einfach zu gut. Er schloss kurz die Augen, dann fragte er so vorsichtig wie möglich: "Warum erzählst du so wenig von deiner Mutter?"
Seine Frau drehte etwas den Kopf und schaute zur Decke. Es war offensichtlich, dass sie nicht gern darüber redete, doch hielt sie seine Hand noch immer fest und legte sie sich quer über die Brust.
"Telperiel. Das ist ihr eigentlicher Quenya-Name", sagte sie leise nach einer Weile, den Blick noch immer an die Decke geheftet, "Du hast viel mit ihr gemeinsam. Sie war stets rastlos, immer auf der Suche. Ich habe nie nachgefragt, wohin sie ging, wenn sie anfangs ein paar Tage, später Monate oder Jahre verschwand." Halarîn schloss die Augen, wohl um sich die Erinnerungen besser ins Gedächtnis zu rufen. Dann lächelte sie wieder etwas. "Sie hatte mehr von ihrem Vater, als von Ivyn - weniger weise, aber dafür tatkräftig und mutig. Vielleicht ein klein wenig draufgängerisch und beeindruckt von dem Potential der Menschen."
"Ivyn ist nicht so?"
Halarîn schüttelte sacht den Kopf.
"Nein, sie ist eher besorgt über das leicht zu beeinflussende Herz der Menschen. Großmutter geht Konfrontationen eher aus dem Weg, Mutter suchte sie. Die beiden haben sich sehr oft nicht gut verstanden. Und ich hatte es nicht leicht, da Ivyn für mich sorgte, wenn Mutter wieder für eine Zeit lang verschwand."
Er strich ihr verständnisvoll über den Kopf, woraufhin ihre ernste Miene sich etwas erhellte.
"Und warum ist Telperiel mit deinem Vater in den Westen gefahren, wenn sie schon so selten für dich da war?"
Sie bewegte sich etwas unwohl im Bett und drehte sich wieder auf die Seite, sodass sie ihn anblickte - und ihr Bauch nicht schmerzte. Ihre Augen wirkten traurig, als sie antwortete: "Mein Vater hatte sich an bestimmte Dinge erinnert. Sowas kommt wohl ganz selten mal vor, das sollte aber eigentlich nicht sein. Er sagte nie was es war, aber es raubte ihm den Seelenfrieden. Sein Quenya-Name war Aikanár. Er war immer für mich da, wenn ich ihn brauchte - streng und stolz, aber mit einem weichen Herz. Mein Vater war ein viel beschäftigter Mann, ihre rechte Hand zur Zeiten von Ivyn Führung und unserer Oberster Wächter der Pfade - sowas wie ein Grenzwächter. Er war sehr oft unterwegs und in Abwehrgefechten verwickelt, meistens waren es die Menschen, die versuchten in die Wälder zu gelangen. Später führte er selbst die Hwenti an, da er sich deren Respekt verdiente und Großmutter der Last des Anführens müde wurde."
"Klingt nach einem großen Krieger."
Halarîn nickte versonnen und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
"Das war er. Manchmal glaube ich, dass er enttäuscht war, dass ich nicht wie meine Eltern eine große Kriegerin geworden bin."
"Du kämpfst eben mit deinem Herzen", befand er stolz und strich ihr über die Stirn, "Und heilst die Wunden, die geschlagen werden, ganz gleich welche es sind."
Seine Geliebte lächelte dankbar und drückte erneut seine Hand.
"Meinen Vater quälte es, an was auch immer er sich erinnerte. Mit seinem wachsenden Unmut und Verdruss, wurde er dieser Welt müde. Es zog ihn nach Westen, wo es nach den alten Geschichten hieß, dass dort Elben in Frieden und ohne weltliche Lasten leben könnten. Und meine Mutter... wurde von ihren ganz eigenen Problemen zerfressen." Halarîn wirkte noch trauriger als zuvor, ihre Augen schimmerten sogar etwas feucht, "Sie war was ihre Gefühle anging unglaublich verschlossen. Du weißt, dass ich zwei Geschwister habe, aber sie hat mir nie erzählt wer sie sind. Sie hat mir sogar verboten nach ihnen zu suchen und mein Vater hatte ihren Wunsch berücksichtigt."
"Klingt als hätte Telperiel ganz eigene Probleme gehabt, mit denen sie dich nicht unnötig belasten wollte", befand Mathan, der wusste, dass alles andere Halarîn nur weiter aufwühlen würde. Er drückte ihre Hand wieder fest und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
"Sie sagte mir nie, wenn sie etwas belastete. Ihre Entscheidung Mittelerde zu verlassen kam ganz plötzlich, nachdem sie schwer verwundet von einer jahrelanger Reise zurückkehrte. Da sie das Einzige war, das Aikanár in dieser Welt hielt - da ich schon erwachsen war, ging er mit ihr. Selbst Ivyn versuchte nicht es ihnen auszureden."
Mathan antwortete nicht, sondern drückte ihre Hand ganz fest, die schon etwas schmerzte, da Halarîn sie mittlerweile fest umklammerte. Er vermutete, dass ihre Mutter das, was sie suchte irgendwann fand und ihr nicht gefiel, was es war. Das war weit hergeholt, aber das war das einzige, was er aus der Erzählung an Rückschlüssen ziehen konnte. Halarîn schniefte indessen und wischte sich über die Augen, dann lächelte sie schwach: "Ach, diese Schwangerschaft macht mich fertig - und ziemlich emotional."
Er lächelte zurück und legte eine Hand auf den Bauch. "Bald ist es geschafft."

Nach einer kurzen Stille bat sie ihn zu erzählen, was er alles erlebt hatte. So verging der ganze Nachmittag, indem er ihr die Reise von Eregion, bis zum Düsterwald beschrieb. Er konnte sehen, wie ihre Augen vor Ehrfurcht flackerten, als er von seiner Begegnung mit Ringelendis auf dem Hohen Pass beschrieb, dann machte sie ein nachdenkliches Gesicht, als er von seinem Abschied im Düsterwald erzählte.
"Ob es Finelleth wohl gut geht?", murmelte Halarîn nachdenklich. Sie bemerkte seinen fragenden Blick und setzte nach: "Immerhin schien dort Saruman die Kontrolle zu haben. Neuigkeiten von ihr sind bei mir noch nicht angekommen."
"Oder es wollte dich einfach niemand unnötig belasten", befand Mathan und streichelte wieder ihren kugelrunden Bauch, "Ich bin mir sicher, ihr geht es gut."
Als sie nickte, fuhr er fort und erzählte rasch, wie er zu seiner Mutter gefunden hatte und wie es dort aussah. Die Erfahrung in den Tiefen unter dem Eis ließ er im Anbetracht ihres Zustandes aus. Die unsagbare Dunkelheit, die er dort unten gesehen und erlebt hatte, würde nur zusätzlich auf ihr Gemüt drücken. Und zur Zeit brachte er es einfach nicht über das Herz ihre aufhellende Laune mit so düsteren Dingen zu belasten. Halarîns Augen funkelten vor Staunen, als er von dem prächtigen Bauten aus Eis erzählte und die wahre Herkunft seiner Mutter. Mathan schmunzelte, da er dieses neugierige Glitzern in ihren Augen kannte. Ihr brannten tausende Fragen auf der Zunge, aber sie beherrschte sich und wartete auf einen besseren Zeitpunkt. Er ließ einige Dinge in der Erzählung aus, darunter die stundenlangen Gespräche mit seiner Mutter. Als Mathan schließlich bei seinem Rückweg nach Eregion ankam stockte er und überlegte, ob er ihr von dem niedergebrannten Dorf erzählen sollte. Halarîns Blick verriet ihm jedoch, dass sie schon etwas Unschönes ahnte. 
"Es hat also schon begonnen", murmelte sie nur betrübt und blickte ihm ernst in die Augen, "Deine Tochter und deine Enkel werden dich brauchen."
"Wir brauchen einander", berichtigte er und küsste sie sanft, "Keine Sorge, ich werde Faelivrin und ihre Kinder – unsere Enkel, mit aller Kraft unterstützen."
Seine Frau wirkte wieder ziemlich nachdenklich und legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel.
"Du solltest bei Gelegenheit auch mit Ténawen sprechen, sie ist ebenfalls erst vor Kurzem von ihrer Reise zurückgekehrt und das Gespräch mit Adrienne hat sie doch ziemlich aufgewühlt. Und ich bin in letzter Zeit keine gute Zuhörerin."
Mathan horchte auf. "Welches Gespräch?" Seine Mundwinkel hoben sich dennoch, erleichtert darüber, dass seine Adoptivtochter wohlbehalten nach Hause gekommen war.
"Nun, offenbar hat deine Schülerin Gefühle für sie. Ich hörte sogar von einem Kuss."
Er fasste sich an den Kopf. In was war er da schon wieder reingeraten.
"Bist du sicher, dass es nicht einfach freundschaftlich war? Oder als Abschied?"
Halarîn hob eine Braue leicht an und gab nachdenklich zu: "Das könnte auch sein. Kerry erwähnte, dass es ziemlich endgültig klang."
Mathan seufzte schwer. Ihm war schon vorher die Dunkelheit in Adriennes Herzen aufgefallen. Einsamkeit und Verlust waren ihr ein ständiger Begleiter. Kerry musste ihr da wie ein leuchtendes Beispiel sein.
"Ich hätte hier sein sollen", befand er schließlich bitter, "Immerhin habe ich sie als Schülerin angenommen, damit sie sich nicht selbst verliert. Als wir sie das erste Mal in Fornost trafen, hatte ich ein Gefühl, dass ich nicht ganz erklären konnte. Ich kann es immer noch nicht richtig in einen Satz zusammenfassen."
"Es hatte mich schon etwas gewundert, als du die beiden als Schüler akzeptiertest. Vielleicht hattest du so eine Art Vorsehung? Manche Elben erleben sie auf verschiedene Art und Weise." Halarîn dachte angestrengt nach, "Ich selbst habe diese Gabe zwar auch, aber ich komme damit nicht zurecht, also tue ich so, als ob sie gar nicht da ist. Vielleicht hilft dir es, wenn du an deinen ersten Eindruck von ihr denkst?"
Mathan schloss die Augen. Es wurde still in dem Raum, nur das leise Geräusch ihres Atems zu hören. Es dauerte auch nicht lange, bis er eine Antwort hatte: "Großes Potential."
"Und war es ein gutes, oder ein schlechtes Gefühl?"
Er öffnete die Augen.
"Beides."
Halarîn machte ein ernstes Gesicht und nickte nur. Er konnte sehen, wie sie grübelte, aber immer wieder den Faden verlor, denn sie kaute unzufrieden auf ihren Lippen herum.
"Lass es gut sein", befand er schließlich und atmete tief ein, "Du solltest dich nicht überanstrengen. "
Seine Frau blies für einen Moment beleidigt die Wangen auf, gab aber dann klein bei. Wenn auch nur kurz. Neugierde blitzte in ihren Augen auf, als sie ihn darum bat zu erzählen, was in der Besprechung vorhin entschieden wurde. Auf seine Frage, woher sie von der Besprechung wusste, antwortete sie, dass Faelivrin kurz vorher bei ihr war. Jetzt wusste er auch, warum seine Tochter nicht in dem Thronsaal gewesen war, als er dort angekommen war. Offenbar kümmerte sie sich selbst um Halarîn, was diese ihm auch prompt belustigt berichtete. "Stell dir vor, sie hat diese Raum mit als erstes von dem ganzen Palast einrichten lassen, nur damit mir warm genug ist", schloss sie die Erzählung, wie ihre Tochter sie umsorgte. Mathan grinste nur verständnisvoll. Er hätte wahrscheinlich ebenso gehandelt. Schwangerschaften unter Elben waren relativ selten, auch unter den Avari, die sich sonst ziemlich von den Edain unterschieden. Dennoch war ihm aufgefallen, dass Avari-Pärchen öfters das Bett teilten, was damals, als er die ersten Jahre mit Halarîn zusammen gewesen war, eine große Überraschung gewesen. Wie unerfahren damals gewesen war. Mathan spürte, wie ihm ein wenig die das Blut in die Wangen schoss. Halarîn bemerkte es sofort und fragte verschwörerisch zwinkernd, woran er wieder gedacht hatte.
"Nichts besonderes", winkte er sofort ab und drehte den Kopf, um ihr griemeln nicht sehen zu müssen, "Soll ich jetzt von der Besprechug erzählen oder nicht?"
Seine Frau lachte nur herzlich und sagte immernoch kichernd: "Mach nur, mach nur."
Er verschränkte mit gespielten Ärger die Arme vor der Brust und schwieg. Er spürte, wie sie mit zwei Fingern sein Bein hinauftippelte, nur um ihn dann heftig in die Seite zu pieksen. Mathan unterdrückte ein Grinsen und packte Halarîn an den Schultern. Mit einem überraschten Ausruf ihrerseits drückte er sie vorsichtig zurück auf das Bett. Ihre Gesichter verharrten kurz ganz nahe beinander. Er konnte ihren Atem auf seinen Lippen spüren. Ihre haselnussbraunen Augen funkelten sehnsüchtig. Sie öffnete ihre Lippen ein Stück für einen Kuss. Mathan unterdrückte ein Schmunzeln und biss ihr ganz sanft in die Unterlippe. Halarîn ließ ein unzufriedenes Grummeln von sich und drehte den Kopf weg, als er sich von ihr löste. "Wie gemein", murmelte sie mit gespielter Beleidgung in der Stimme.
Mathan setzt sich zurück auf die Bettkante und grinste nur. Sie legte sich wieder auf die Seite und schüttelte tadelnd den Kopf, dann wurde ihr Gesichtsausdruck wieder ernst. Er atmete noch einmal durch, dann begann er von dem Treffen zu erzählen. Offenbar war es nichts Neues für sie, denn Halarîn wirkte nicht groß überrascht. Die Spannungen zwischen den Stämmen war sie wohl mehr oder weniger gewöhnt. Umso erstaunter war sie über seinen Eindruck von Isanasca.
"Ist sie wirklich so begabt?", hakte sie nach, als er mit der Erzählung endete.
Er nickte knapp. "Ich denke, sie kann mich übertreffen, falls sie es nicht schon getan hat. Und offenbar steht sie was Charisma und Ausstrahlung angeht absichtlich im Schatten ihrer Mutter."
"Und das kannst du alles von einer einzigen Bewegung ablesen?"
"Du hättest es auch gesehen. Die Geschwindigkeit war selbst für uns Elben wirklich hoch. Zumindest ist sie was das angeht, auf jeden Fall schneller als ich. Präzision hat sie ebenfalls auf gleicher Stufe."
Halarîn wollte sich interessiert aufsetzen, doch sie hielt in der Bewegung inne und stützte ihren Bauch. Mathan half ihr kurzerhand und schob ihr eines ihrer Kopfkissen hinter den Rücken. Sie lächelte dankbar und sagte schelmig: "Interessant, dass du freiwillig zugibts, dass jemand besser ist in deinem Spezialgebiet, Schwertmeister."
Er zog unwillkührlich eine Grimasse. "Sehr witzig. War klar, dass dir das gefällt."
"Es ist beruhigend", antwortete sie wieder ernst und nickte zu seinen Schwertern, "Du kannst nicht alles alleine machen, mehr Klingen auf unserer Seite und vor allem, wenn sie so viel Können besitzen wie du, ist ein Segen, den wir unbedingt in diesen Zeiten brauchen."
Mathan verstand, was sie damit sagen wollte. "Meinst du nicht, dass ich damit Faelivrins Authorität untergrabe?"
"Nein... glaube ich zumindest. Ich habe da ein ganz schlechtes Gefühl, was den östlichen großen Wachturm angeht", sie zuckte mit den Schultern, "Nenn es weibliche Intuition, oder einfach die unberechenbare Laune einer Schwangeren. Geh' und beschütze unsere Enkelin, das ist alles worum ich dich bitten möchte." Sie seufzte und trank etwas Wasser aus ihrem Glas. "Ich hoffe, dass mein Gefühl mich täuscht und du dort einfach deine Enkelin besser kennenlernen kannst und nicht einen Kampf ausfechten musst. Ich bin mir sicher, dass Faelivrin das versteht."
Er sah in ihrem Blick, dass sie sich auf keine Diskussion einlassen würde. Auf seine Frage hin, warum sie sich so stark auf ihr Gefühl verließ, antwortete sie nur, dass sie in den letzten Wochen Isanasca besser kennenlernen konnte und sie nicht wollte, dass ihr etwas zustieß. Mathan seufzte geschlagen. Es war keine Frage ob er ging, nur war ihm nicht wohl dabei, seine hochschwangere Frau wieder alleine zu lassen, doch sie legte ihm ermunternd eine Hand auf den Arm.
"Es ist doch nur für ein paar Tage. Keine Sorge, ich bin mir ziemlich sicher, dass du rechtzeitig zurück bist."
"Noch so eine Intuition?"
Halarîn zwinkerte ihm verschwörerisch zu, "Nein, aber meine Großmutter ist eine großartige Heilerin."
Natürlich konnte eine Erste in etwa abschätzen, wann es soweit war. Er nickte beruhigt. Seine Hände tasteten an seinen Schwertgurt. Die Silmacil wollte er eigentlich nicht mitnehmen, da er sich nicht mehr voll auf sie verlassen konnte. Besser gesagt, er konnte sie kaum noch führen. Halarîn, der er davon erzählt hatte, bemerkte, wie er unschlüssig an dem Gurt nestelte.
"Warum nimmst du nicht mein Schwert?", schlug sie nach einer Weile vor, "Ich kann es zur Zeit sowieso nicht benutzen."
Mathan schaute zu der Klinge, die in der Scheide steckte, die er ihr einst geschenkt hatte. Halarîn hatte die Waffe auf der freien Seite des Doppelbettes gelegt, wo er schlafen würde. Er musterte den reich verzierten Griff. Die noldorische Klinge leuchtete blau, wenn Orks in der Nähe waren, sie würde definitiv eine Hilfe sein im kommenden Kampf.
"Schwert und Schild", murmelte er leise, "Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich damit gekämpft habe."
Seine Geliebte lächelte mitfühlend. "Seit den Schlachten um Eregion, ja. Vielleicht ist es ja Schicksal?"
"Du meinst, um zu verhinden, dass sich die Ereignisse wiederholen?" Er nahm vorsichtig die Waffen entgegen, die sie ihm mit dem Griff voran entgegenstrecke. "Der Gedanke gefällt mir."
Kurzentschlossen legte er den Gürtel ab, an denen seine beiden eisigen Schwerter hingen. Seine Frau beobachtete ihn dabei gebannt. Mit einem raschen Handgriff gürtete er sich Halarîns Schwert um. Es war leichter als seine alten Waffen. Er legte seine Hand auf den Knauf an seiner rechten Hüfte und rückte den Gürtel mit dem Bastardschwert gerade. Einen Schild würde er sich aus Faelivrins Waffenkammer holen. Halarîn verriet ihm, wo diese im Palast versteckt war, während sie die Silmacil neben sich auf das Bett legte.
"Also, am besten machst du dich gleich auf den Weg", schlug sie erstaunlich energisch vor und murmelte: "Dann kann ich endlich wieder etwas schlafen."
Er grinste und verneigte sich knapp. "Wie die Dame wünscht."
Halarîns Kichern begleitete ihn, als er zur Tür ging und sie aufzog.
"Marillindo."
Er drehte sich noch einmal um. Sie lächelte warmherzig, "Ich liebe dich."
Mathan zwinkerte ihr zu. "Ich weiß" Er ging durch die Tür, verharrte dann kurz und setzte dann nach: "Ich dich auch, Amandis."
Sie schloss die Augen und legte sich zurück auf die Seite, noch immer mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Mathan brannte sich das Bild in sein Gedächtnis und schloss ganz langsam die Tür. Auf dem Korridor atmete er mehrmals tief durch, um nicht erneut durch diese Tür zu gehen und bei Halarîn zu bleiben, bis das Kind da war. Abschiede konnten grausam sein. Nach einem Moment des Sammelns wandte er sich von der Tür ab. Stattdessen blickte er den Gang hinab und setzte sich in Bewegung, zur Waffenkammer.

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