Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Eregion

Ost-in-Edhil

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Eandril:
Oronêl und Haleth aus dem Tal des Sirannon...

Wo sich vor nicht allzu langer Zeit noch von Gras und Gestrüpp überwucherte und beinahe verschwundene Ruinen befunden hatten, breitete sich jetzt eine Stadt aus. Oronêl war der Anblick des wiedererrichteten Ost-in-Edhil nicht neu, seit er und Kerry vor einiger Zeit auf ihrem Weg von Dunland hier abgewiesen worden waren, doch Haleth schnappte hörbar nach Luft, als sie die Stadt vor sich in der Abendsonne vor sich liegen sah.
"Ich hätte nicht erwartet, dass sie so schnell sind", sagte sie. "Ich habe eigentlich nur eine behelfsmäßige Mauer und ein paar Zelte erwartet, nicht... das."
"Die Manarîn sind erfahrene Baumeister", meinte Oronêl. "Soweit ich weiß hatten sie große Städte in den neuen Landen gebaut, bevor sie von dort fliehen mussten. Und sie sind zur Eile gezwungen, denn weder Sauron noch Saruman können zulassen, dass in diesen Landen ein neues Elbenreich ersteht."
Sie erreichten das östliche Tor noch bevor die Sonne den westlichen Horizont berührte. Weiter vom Gebirge entfernt war die Luft um einiges wärmer, und der Abend war beinahe frühlingshaft lau obwohl noch eine dünne Schneeschicht den Boden bedeckte. An den Mauern waren Elben in großer Zahl geschäftig dabei, die Verteidigungsanlagen der Stadt zu verstärken. Vor der Mauer wurde ein tiefer Graben ausgehoben, während die Mauerkrone von Ballisten verstärkt wurde. Oronêl betrachtete das Werk der Manarîn zufrieden. "Wenn sie gut verteidigt werden, werden die Orks große Schwierigkeiten haben, Ost-in-Edhil zu erobern." Er blickte zu den Bannern über den Toren hinauf, die sanft im Nordwind flatterten. "Und Faelivrin wird dafür sorgen, dass sie im Notfall gut verteidigt werden."
Am Torbogen wurden sie von zwei Elbenkriegern in silbernen Rüstungen angehalten. "Wer seid ihr, und was führ euch nach Ost-in-Edhil?", fragte einer der beiden Krieger, und warf einen misstrauischen Blick auf die Pferde. "Und wie kommt ihr an zwei unserer Rösser?"
"Mein Name ist Oronêl Galion, und meine Gefährtin ist Haleth, eine Waldläuferin aus dem Norden", erklärte Oronêl. "Was eure anderen Fragen angeht... Wir suchen den Rat der Ersten Ivyn und Farelyë und bringen Nachrichten über Geschehnisse an eurer Ostgrenze. Die Pferde sind eine Leihgabe von Prinzessin Isanasca, die sie uns zur Verfügung gestellt hat um so schnell wie möglich hier her zu gelangen. Genügt euch das?"
Der Wächter der ihn angesprochen hatte wirkte ein wenig überwältigt, und sein Partner beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm etwas in der Sprache der Manarîn zu. Oronêl glaubte die Worte Königin und Freund zu verstehen. Schließlich nickte er erste der Wächter und sagte: "Ihr dürft passieren, und seid willkommen in Ost-in-Edhil. Wenn ihr wünscht, könnt ihr die Pferde in den Stallungen beim nördlichen Tor unterbringen."
Ohne weitere Zwischenfälle passierten Oronêl und Haleth das Tor, und folgten der Straße entlang der Mauer in Richtung Norden. Zum ersten Mal hatte Oronêl Zeit, die Gebäude der Stadt näher zu betrachten. Die Häuser waren nicht so pracht- und kunstvoll wie die, die er in Imladris oder Mithlond gesehen hatte, doch soweit Oronêl es beurteilen konnte waren sie äußerst solide gebaut und ihre Bauweise sprach von einigem Geschick. Wenn dieses junge Reich überlebte, würde das wiederaufgebaute Ost-in-Edhil spätestens in einigen Jahrzehnten nicht weniger prachtvoll sein als die alte Stadt.
"Es ist eine offene Provokation gegenüber Mordor", sagte er leise vor sich hin. "Hier wurden die großen Ringe geschmiedet, und dafür machte Sauron die Stadt dem Erdboden gleich und vernichtete die Reiche von Eregion. Kein Wunde, dass er seinen Zorn nun gegen die Manarîn richtet." Er blickte auf zu den starken Mauern und den stolzen Bannern, und spürte seine eigene Entschlossenheit, dieses Reich und sein Volk zu verteidigen.
Während Oronêl an den Ställen die Pferde an einen der dort arbeitenden Elben übergab, sah sich Haleth auf dem belebten Platz vor dem Nordtor um. Plötzlich stieß sie ihn mit dem Ellbogen an und deutete mit dem Finger auf einen Punkt auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. "Sieh mal", sagte sie. "Ist das nicht..."
Oronêl folgte ihrem Blick, und blieb sofort an drei weiblichen Gestalten hängen, die gerade in eine der Straßen davon eilten - eine, die kleinste mit einem geflochtenen, blonden Zopf und die beiden anderen mit offenen, dunklen Haaren. Er griff Haleth am Arm und sagte: "Komm mit."
Sie folgten den dreien in einigem Abstand bis zu einem etwas einzeln stehenden Haus, das von zwei gerüsteten Kriegern bewacht wurde. Oronêl hielt Haleth zurück. "Warte", sagte er, und blieb ein wenig entfernt auf der anderen Straßenseite stehen, beobachtend und abwartend. Nach einem Augenblick ging eine der Frauen hinein - Elea, vermutete Oronêl, da sie eindeutig menschlich war und dunkle Haare besaß - während die anderen beiden draußen warteten. Oronêl fragte sich kurz, was es damit auf sich hatte, und wandte sich dann an Haleth. "Komm, aber leise." Er lächelte. "Vielleicht können wir sie überraschen."
Mit leisen Schritten näherten sie sich dem Haus, doch nicht vollkommen unbemerkt. Die etwas größere der Frauen wandte sich zu ihnen um, und Oronêl erkannte Farelyë. Sie lächelte, und ihre Augen wanderten kurz von Oronêl zu Kerry, die von einem Fuß auf den anderen trat und sich mit den Händen über die Arme fuhr, als ob sie fror. Schließlich schien sie es nicht länger aushalten zu können, und sie trat mit einem Fuß auf die Schwelle des Hauses. Im gleichen Augenblick drang eine männliche Stimme aus dem Haus, die Oronêl sehr bekannt vorkam, und er stockte für einen Augenblick.
"Ich hoffe, ich höre nicht was ich denke", sagte er, und Kerry fuhr so sehr zusammen, dass sie beinahe gestolpert wäre.
Sie drehte sich auf der Stelle, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich eine derartige Bandbreite von Gefühlen, dass Oronêl gar nicht erst versuchte, sie zu deuten. Ihm genügte es, dass Überrschung und Freude überwogen.
"Du... das...", brachte Kerry nur hervor, bevor sie ihn so heftig umarmte dass Oronêl fürchtete, sie würde ihm die Rippen brechen. "Wo um alles in der Welt hast du gesteckt?", fragte sie dumpf, das Gesicht gegen sein Brust gepresst.
"Das ist... eine lange Geschichte", antwortete Oronêl, und löste sich sanft aus der Umarmung. Erst jetzt ließ er zu, dass ihn Erleichterung und Erschöpfung gleichermaßen durchströmten. Kerry musterte ihn von oben bis unten. "Du siehst jedenfalls furchtbar aus." Ihr Blick fiel auf Haleth, die ein wenig abseits stand. "Und Haleth! Wie kommst du hierher?"
Haleth lächelte erschöpft. "Hallo Kerry. Wie Oronêl sagt: Das ist eine lange Geschichte."
"Wir hatten beide einen Zusammenstoß mit einer Gruppe Orks, und sind erst in den Minen von Moria entkommen", fasste Oronêl knapp zusammen, bevor Kerry vor Neugierde und Sorge zu platzen drohte. "Genaueres würde ich gerne berichten, wenn alle dabei sind für die unsere Geschichte bedeutend ist - Faelivrin, Ivyn und Farelyë." Beim letzten Wort blickte er Farelyë an, die ihn aufmerksam aus ihren unergründlichen silbernen Augen musterte. Er hatte den Eindruck, dass sie bereits das ein oder andere ahnte, doch ihm war nicht klar, woher.
"Kerry... ist das Helluin, den ich dort drin höre?", fragte Haleth, und Kerry errötete leicht. "Es scheint jedenfalls so, nicht wahr?"
"Er hätte nicht hierher kommen sollen", sagte Oronêl leise. "Oder hat er sein Gedächtnis verloren?"
"Ich weiß nicht", gab Kerry zurück. Ihre Stimme klang mit einem Mal geradezu angriffslustig. "Aber du offenbar. Oder hast du vergessen, dass du ohne Helluin tot wärst?"
Oronêl spürte seinen Wangenmuskel zucken. "Ich habe nichts vergessen. Nichts." Er wandte sich ab und sagte halb an Kerry vorbei: "Es... ich freue mich, dass du sicher hier angekommen bist." An Farelyë gerichtet fügte er hinzu: "Es gibt viel bedrohliches und seltsames zu besprechen. Wir sollten zu Faelivrin gehen."
Farelyë nickte zustimmend, doch er glaubte in ihren Augen einen leichten Vorwurf zu sehen. "Ich werde dich zu meinem Haus führen", erwiderte sie. "Bevor du die Königin und Ivyn triffst, solltest du dich ein wenig... erfrischen."
Oronêl nickte nur stumm und wandte sich um, ohne Kerry anzusehen. Haleth blickte ein wenig verwirrt zwischen ihm und Kerry hin und her, sagte aber nichts. Ohne darauf zu achten ob sie mit ihm kam, folgte Oronêl Farelyë die Straße entlang.

Eandril:
Nachdem er das kleine Tor, unter dem die Straße zum Palast hindurchführte, passiert hatte, blieb Oronêl für einen Augenblick stehen und ließ seinen Blick über den großen Vorplatz und den noch unfertigen, aber bereits beeindruckenden Herrschaftssitz mit der großen Rundkuppel schweifen.
"Die Manarîn waren wirklich nicht untätig", bemerkte er, und Farelyë sprach aus, was er bei der Ankunft in Ost-in-Edhil gedacht hatte: "Sie haben nicht viel Zeit und umso mehr tätige Hände und Geschick." Sie lächelte beinahe ein wenig schüchtern, und Oronêl war überrascht, wie sehr es ihr Gesicht veränderte. Einen Augenblick erinnerte sie ihn mehr an das Mädchen, dass sie in Carn Dûm gefunden hatten als an die Ehrfurcht gebietenden Elbenfrau, zu der sie zu plötzlich geworden war. "Nicht, dass ich viel von der Baukunst verstehen würde."
"Das tue ich selbst nicht. Aber ich kann Schönheit und Geschick erkennen, wenn ich sie sehe." Er strich ein wenig gedankenverloren über den fein gewebten Stoff der Kleidung, die Farelyë für ihn aufgetrieben hatte. Sie entsprach nicht ganz dem, was er normalerweise zu tragen bevorzugte. Normalerweise kleidete er sich lieber in Grün- und Brauntöne, doch hier dominierten helles grau und blau. Seine Kleidung die er aus Bruchtal mitgebracht hatte war jedoch in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht angemessen um eine Königin zu treffen, also würde er sich nicht beschweren.
Langsam stieg Oronêl hinter Farelyë die breiten, flachen Stufen zum Palast hinauf. Oben angekommen neigte der Anführer der Wache, ein grimmig wirkender Elb mit einer silbernen Augenklappe respektvoll den Kopf vor Farelyë und sagte etwas im Dialekt der Manarîn.
"Mein Begleiter ist Oronêl Galion aus dem Waldlandreich, ein Freund der Königin", erwiderte Farelyë im Sindarin Mittelerdes. "Er bringt dringliche Nachrichten aus dem Osten."
Der Wächter trat zur Seite und gab den Weg durch die Tür frei. "Die Königin befindet sich mit eurer Meisterin im Thronsaal", sagte er, nun ebenfalls im Sindarin, und fügte an Oronêl gerichtet hinzu: "Ihr dürft den Palast betreten."
Oronêl folgte Farelyë in die große Vorhalle, von deren Säulen dutzende mächtiger Banner in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Wappen hinab hingen. Er erkannte das Banner der Manarîn, doch auch noch andere die vermutlich die verschiedenen Stämme der Avari in Eregion symbolisierten. Es erinnerte ihn ein wenig an die königliche Halle von Aldburg, doch ungleich erhabener.
Farelyë führte ihn durch die Halle hindurch bis zu der großen Tür hinter der Oronêl den Thronsaal vermutete. Sie legte die flache Hand gegen einen der Türflügel, der scheinbar mühelos und ohne ein Geräusch aufschwang. Der Thronsaal war beinahe vollkommen leer. Am gegenüberliegenden Ende stand erhöht auf einem Podest mit sieben Stufen ein kunstvoller, von zwei hölzernen Sitzen flankierter, Thron, doch alle drei waren unbesetzt. In der Mitte des Saales befand sich ein großer, langgezogener Tisch, auf dem eine große Karte Eregions und der umliegenden Gebiete ausgebreitet lag. Als Oronêl und Farelyë näher traten, hob Faelivrin, die bislang, beide Hände auf den Tisch gestützt, auf die Karte gestarrt hatte, den Kopf.
"Oronêl!", sagte sie, und in ihrer Stimme mischten sich Überraschung und Erleichterung. "Wir hatten von deinem Verschwinden gehört - Morilië hat sich große Sorgen gemacht."
Oronêl verneigte sich, und antwortete: "Ich habe sie bereits auf dem Weg hierher getroffen, Herrin."
Faelivrin machte eine ungeduldige Handbewegung. "Ich erinnere mich, dir das Privileg verliehen zu haben, auf solche Förmlichkeiten zu verzichten. Davon nicht Gebrauch zu machen ist... unhöflich." Oronêl erkannte den Schalk, der bei den letzten Worten kurz in ihren Augen aufblitzte, und erwiderte: "Dann werde ich mir die Förmlichkeiten für offizielle Anlässe aufsparen."
Er wurde wieder ernst, als er an die Nachrichten dachte, die ihn herführten, und ließ kurz einen Blick über die übrigen Anwesenden schweifen. Faelivrin gegenüber stand ihr Enkel Anastorias, in voller Rüstung, und am Kopfende des Tisches stand die hochgewachsene Gestalt Ivyns, die Spitzen ihrer langen Finger leicht auf die Tischplatte gelegt. Es war auch Ivyn, die als nächste das Wort ergriff: "Ich fürchte, du bringst keine guten Nachrichten." Die eisblauen Augen der Ersten schienen ihn geradezu in ihrem Blick gefangen zu halten und vollständig zu durchschauen.
Oronêl schüttelte den Kopf. "Nein, ich fürchte es sind keine guten Nachrichten. Aber... wenn jetzt keine gute Gelegenheit ist, können sie warten." Er blickte kurz zu Anastorias, dessen Gespräch mit seiner Großmutter Oronêls und Farelyës Ankunft offenbar unterbrochen hatte, doch der junge Elb winkte ab. Faelivrin blickte langsam von Ivyn zu Farelyë und schließlich zu Oronêl. "Ich habe das Gefühl, dass deine Neuigkeiten nicht warten können", sagte sie schließlich.
Also begann Oronêl so kurz wie möglich zu erzählen, wie er in Gefangenschaft geraten und nach Moria gelangt war. Als er das eisige Gefängnis in der tiefsten Halle beschrieb, zog Farelyë neben ihm scharf die Luft ein und richtete den Blick mit einer heftigen Bewegung an die Decke weit über ihnen. Sie sah aus, als wäre ihr übel.
"Du bekommst deine Antworten", sagte Ivyn ernst und gleichermaßen rätselhaft, und bedeutete Oronêl mit einer Geste, fortzufahren.
Also berichtete er über das Ritual, dass die Orks durchgeführt hatten, und als er beschrieb wie das Wesen aus dem Eis gebrochen war, hatte Farelyë die Hände vor den Mund geschlagen.
"Ich... erinnere mich", stieß sie leise hervor. Ihr Gesicht hatte eine ungesunde Blässe angenommen, und sie atmete schnell und flach, wie unter Schock. "Das Eis, ich... Farel..." Sie holte zitternd Atem. "Ich... weiß nicht was dieses Wesen ist. Aber ich glaube ich bin ihm begegnet."
"Es hat keinen Namen", brach Ivyns Stimme das Schweigen, dass sich nach Farelyës letzten Worten über den Thronsaal gelegt hatte. "In den ersten Tagen nach dem Erwachen streiften viele merkwürdige Wesen durch die Welt. Einige waren freundlich, andere beachteten uns nicht, und einige... einige jagten uns. Ich kenne dieses Wesen, dass du beschreibst, Oronêl. Vor vielen tausend Jahren bin ich selbst ihm oder einem seiner Art begegnet, und um ihn Haar hätte mich das gleiche Schicksal ereilt wie Farelyë. Es gab viel Geflüster in den frühen Lagern der Quendi über Schatten aus Kälte und Eis, doch sie haben nie einen Namen erhalten. Wir nannten sie nur die namenlosen Schatten."
"Wie es heißt ist doch eigentlich bedeutungslos", meldete sich Anastorias zu Wort. "Wichtiger ist die Frage - wie besiegen wir es?"
"Viel dringlicher ist noch, welche Gefahr es für unsere Krieger in Rómen Tirion darstellt. Für Isanasca." Faelivrins Hände umklammerten die Tischkante so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, und zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine besorgte Spalte gebildet.
Oronêl strich gedankenverloren mit der Hand über das glatte Holz des Tisches, den Blick auf das kleine Symbol am Oberlauf des Sirannon, das Rómen Tirion darstellte, gerichtet. "Auf die zweite Frage kann ich vielleicht Antwort geben", sagte er. "Ich bin in meiner Erzählung nicht so weit gekommen, doch wir sind durch das Westtor von Moria geflohen. Ich habe die Anwesenheit des Schattens in der Nähe der Tore nicht gespürt und... ich glaube, dass wir es mit verschiedenen Parteien zu tun haben. Die Orks, die Eregion in diesem Moment angreifen sind Diener Sarumans, doch jene die den Schatten befreit haben, führten das Zeichen der Weißen Hand nicht. Ich denke, sie folgen Mordor."
"Also haben wir noch Zeit, bis dieser Schatten aus dem Gebirge kommt", meinte Anastorias zuversichtlich. Faelivrin hatte sich hingegen durch Oronêls Worte kaum entspannt. "Zeit, in der wir den Angriff Sarumans abwehren müssen. Ich glaube nicht, dass Saurons Diener uns danach viel Zeit zur Erholung lassen werden."
"Und dennoch hat Calanto recht", warf Ivyn ruhig ein. "Diese Tatsache verschafft uns wertvolle Zeit, Pläne zu schmieden. Vielleicht gibt es einen Weg..." Sie blickte zu Farelyë, die noch immer kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen schien. Mit einem Mal wurde Oronêl bewusst, dass Farelyë zwar ebenso alt war wie Ivyn selbst, doch nur die Erfahrgungen aus wenigen Lebensjahren besaß. In dieser Hinsicht war sie trotz ihres erwachsenen Aussehens noch immer beinahe ein Kind.
Ivyn kam mit leisen Schritten um den Tisch herum und legte Farelyë eine Hand auf die zitternde Schulter. "Komm mit mir. Ich weiß einen Ort, an dem du dich erholen kannst..."

Als Ivyn und Farelyë den Thronsaal verlassen hatten, atmete Faelivrin tief durch und Oronêl konnte die unsichtbare Bürde auf ihren Schultern geradezu sehen. Schließlich sagte sie: "Oronêl, wenn du Moria durch das Westtor verlassen hast musst du durch das Tal des Sirannon gekommen sein. Hast du..."
"Wir sind deiner Tochter in Rómen Tirion begegnet. Sie hatten mit Orkangriffen zu tun und die Brücke zur Feste wurde weggeschwemmt als die Orks den See freigesetzt haben, doch sie schienen sich gut zu halten - ich glaube, dass Mathan mit seiner Truppe rechtzeitig dort eintreffen wird um den Turm zu halten."
Faelivrin nickte ein wenig abwesend, und starrte ebenfalls auf das kleine Turmsymbol auf der Karte. "Wie... wie ging es Isanasca? War sie verwundet, oder...?"
"Unverletzt, soweit ich es sehen konnte", antwortete Oronêl. Er bemerkte, dass auch Anastorias ihm aufmerksam zuhörte - natürlich, schließlich war Isanasca seine Mutter. "Ich glaube nicht, dass du dich um sie sorgen musst. Sie scheint eine fähige Kriegerin und Kommandantin zu sein."
"Das weiß ich, aber..." Faelivrin lächelte ein wenig traurig. "Sie ist ein unserer Besten, ich bin nicht blind für ihre Fähigkeiten. Aber sie ist auch meine Tochter, und ich werde mich immer um sie sorgen, wenn sie in Gefahr ist."
"Ich verstehe", meinte Oronêl leise, und es war nicht gelogen. Tatsächlich dachte er seit ihrem Treffen in Lórien oft daran wie es Mithrellas ging, und meistens waren diese Gedanken mit Sorge vermischt.
"Also...", brach Anastorias schließlich das lange Schweigen. "Diese Nachrichten über Banditen, Unruhestifter auf den Hängen im Nordosten. Was werden wir unternehmen?"
Bei seinen Worten straffte Faelivrin sich sichtlich, und richtete sich wieder zu ihrer vollen Größe auf. "Wir können uns es in der derzeitigen Situation nicht leisten, nicht zu reagieren. Du wirst fünfzig Kämpfer nehmen und herausfinden, was dort vor sich geht." Anastorias nickte knapp, und Faelivrin fügte hinzu: "Doch sei vorsichtig - deine Mission ist es nicht, einen offenen Kampf zu wagen, sondern zunächst nur herauszufinden, was dort vor sich geht. Nicht mehr."
Anastorias wirkte beinahe ein wenig enttäuscht, erwiderte aber: "Natürlich, ich habe verstanden. Ich werde eine Truppe zusammenstellen." Er wandte sich zum Gehen, doch Oronêl hielt ihn zurück.
"Ich werde mitkommen, wenn du erlaubst", sagte er kurzentschlossen. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, die Stadt so schnell wieder zu verlassen, doch die Tatsache, dass sich Helluin in Ost-in-Edhil befand, hatte seine Meinung umschlagen lassen.
"Es würde mich freuen", erwiderte Anastorias etwas überrascht. "Aber ich würde es verstehen, wenn du einige Tage der Ruhe vorziehen würdest." Oronêl war sich nur allzu bewusst, wie er aussehen musste - er hatte sich in Farelyës Haus Staub und getrocknetes Blut abgewaschen, doch dadurch waren seine zahlreichen Schrammen, Kratzer und Schnitte natürlich noch nicht geheilt. Dennoch winkte er ab. "Es sind keine ernstlichen Verwundungen, und sie werden unterwegs genauso schnell heilen wie hier. Wann brichst du auf?"
"Bei Sonnenaufgang." Anastorias warf Faelivrin einen fragenden Blick zu, und sie nickte. Oronêl tat es ihr gleich. "Also gut. Morgen bei Sonnenaufgang."
Sobald Anastorias den Raum verlassen hatte, löste Faelivrin ihren Blick von der Karte. "Gibt es einen Grund für deinen überstürzten Aufbruch?", fragte sie, und Oronêl schüttelte den Kopf. "Es ist nichts. Ich... sollte mich wohl ebenfalls ein wenig ausruhen."
Als erfahrene Diplomatin erkannte Faelivrin, wann es keinen Sinn hatte, weiter nachzubohren. "Ich bin sicher, es wird sich irgendwo im Palast ein Ort für dich finden lassen." Sie sah sich im Thronsaal um, als ob sie erst jetzt bemerken würde, dass er bis auf sie und Oronêl verlassen war. "Offenbar muss ich mich selbst darum kümmern. In der Zwischenzeit würde sich meine Mutter sicher freuen, dich zu sehen..."

Thorondor the Eagle:
Im Arrest bei Helluin:

Aus Sicht von Elea

Hunderte gar tausende Male hat sich Elea ausgemalt wie das Treffen mit Helluin sein würde nachdem sie ihn nach all den Jahren wiedersehen würde. Sie träumte davon, dass sie ihn in die Arme schließen und seine Wange an ihrem Gesicht fühlen würde. Sie wollte ihm behutsam über den Hinterkopf und den Rücken streichen und ihm die Geborgenheit geben, die ihm während den Jahren der Ausbildung entbehrt blieb. Und sie wünschte sich, dass seine kindliche Art sie wieder erheitern würde. Doch all diese Vorstellungen waren zerplatzt im letzten Jahr bei der Ratsversammlung in Aldburg. Ihr Herz blieb damals stehen, als sie in diese unterkühlten, seelenlosen Augen sah – in die Augen ihres Sohnes den sie nicht mehr kannte.
Ihre Erwartungen an ein weiteres Treffen waren nicht mehr sehr groß gewesen, aber Hoffnung hatte sie immer. Die Hoffnung, dass ihr Sohn oder sie selbst eines Tages aus diesem Albtraum aufwachen würden und die kleine Kerry, mit ihrem unschuldigen, tollpatschigen aber zutiefst ehrlichen Wesen hatte diese noch befeuert. Die Hände der Mutter zitterten, was sie versuchte zu unterdrücken. Ihr Herz hämmerte unentwegt gegen die Brust. Es schrie nahezu vor Aufregung als sie in die zwar erfahreneren, aber gleich verschmitzten blauen Augen von Helluin blickte.

„Mama“, entgegnete er überrascht und richtete sich auf seiner Pritsche sitzend auf.
Ihr fehlten die Worte und blieb still. Sie wollte auf ihn losstürmen, aber etwas hielt sie zurück.
„Was machst Du hier?“, fragte er verunsichert.
Ihre Lippen bewegten sich, aber erst nach kurzer Zeit stotterte sie: „Bist du es?“
Er starrte sie an, während seine Augen wässrig wurden. Ehe Tränen über seine Wangen kullerten sah er beschämt auf den Boden. Ohne jedwedes Zögern ging sie auf ihn zu und schloss ihn in den Arm.

Aus Sicht von Helluin

Mit Müh und Not konnte Helluin ein Schluchzen unterdrücken. Er saß noch immer auf seiner Schlafstelle, als ihn seine Mutter in den Arm schloss. Sein Gesicht drückte sie sanft gegen ihren Oberkörper, mit den Händen streichelte über sein Haupt. „Mein Schatz“, hörte er sie flüstern.

Er schämte sich so für alles was er getan hatte für jeden der Dunedain den er betrogen hatte und vor allem für die eiskalten Worte die er mit ihr zuletzt gewechselt hatte. Auch wenn er unter Sarumans Bann stand, so konnte er sich gut daran erinnern. „Es tut mir leid“, sagte er leise und kämpfte mit weiteren Tränen. „Schon gut. Alles ist gut.“ Für einen Moment verharrten sie so, dann setzte sie sich neben ihn. Längst hatte er Elea an Körpergröße eingeholt.
„Wie ist es dir ergangen?“, fragte sie los „Wie bist du hierhergekommen? Was ist passiert?“
„Ich… ich…“, er wusste nicht was er sagen sollte. Seine Vergangenheit als Verräter konnte er nicht erwähnen, dazu war er noch nicht bereit „Über Edoras und Aldburg kam ich von den Waldelben des Düsterwaldes. Es war eine lange Reise.“
„Und eine beschwerliche“, ergänzte sie ihn.
„Ja, das Glück war dankenswerter Weise meist auf meiner Seite und ich bin auf die Richtigen getroffen. Ein paar Elben und Menschen konnte ich zumindest überzeugen, dass ich nicht mehr so“, er stockte kurz „so bin wie früher.“
„Und dafür bin ich unendlich dankbar“, entgegnete sie.
„Zuletzt war es Aragorn der mir die Freiheit bescherte.“
„Aragorn?“, fragte sie ungläubig.
„Ja, dein Vetter.“
„Er lebt?“, die Überraschung dieser Nachricht überlagerte wohl die Freude die sie empfinden sollte „Du meine Güte, Arwen! Wir müssen es ihr sagen.“
„Sie war bereits bei mir“, entgegnete Helluin „Aber ich war so überrascht von ihrem Besuch.“
„Weißt du welche Last du von ihren Schultern nimmst, wenn du ihr davon berichtest?“, er nickte nur „Und wie ist er? Wie geht es ihm?“
„Aragorn hat sich verändert. Auch wenn ich nicht so genaue Erinnerungen an ihn habe, so ist sein Geist nun düsterer als noch in der Vergangenheit und die Jahre der Gefangenschaft haben ihn geprägt. Aber“
„Aber?“, unterbrach sie ihn.
„Er weiß um seine Aufgabe und um sein Schicksal und er kämpft weiter unerbittlich dafür.“
Sie lächelte ein wenig: „Das Blut von Numenor fließt in seinen Adern, so wie auch in deinen.“
Diese Worte verunsicherte den jungen Mann wiederum. Er war es nicht mal Wert im Schatten von Aragorn zu stehen, geschweige denn in einem Satz mit ihm erwähnt zu werden.
„Was ist los?“, fragte Elea ihn besorgt.
„Aragorn ist so stark und unbeugsam, selbst mir hat er vergeben und sich sogar auf meine Stufe gestellt. Niemals hätte ich seinen Platz einnehmen können, niemals hätte ich nur annähernd so großzügig und gerecht sein können wie er es ist. Denkst du sie werden mir irgendwann vergeben?“
„Wer?“
„Unser Volk.“

Aus Sicht von Elea

Diese Frage hatte die Frau immer sehr gequält. Was würde passieren, wenn die Dunedain – der Sternenbund – Helluin in die Finger bekommen würde. Würden sie ihn gerecht behandeln? Was wäre in ihren Augen gerecht für ihn. Aber sie unterdrückte ihre Zweifel und ihre Sorgen für diesen Moment sprach ihm gut zu: „Natürlich werden sie. Wenn sie erkennen, dass du wieder du bist, dann werden sie dir vergeben so wie auch Aragorn und ich dir verziehen haben.“
„Wer weiß schon, ob ich jemals wieder ich sein kann.“
„Das bist du mein Liebling. Eine Mutter spürt so etwas.“
Er lächelte ihr zuversichtlich und dankbar zu.
Elea konnte noch immer nicht fassen, dass sie Helluin endlich wieder vor sich hatte. So wie er war, so wie er sein sollte. Mit legte ihre Hand auf seine Schulter und strich dann langsam seinen Arm herab. Sie fühlte seinen Muskeltonus und ihr wurde klar, dass er mittlerweile erwachsen geworden war. Nicht nur körperlich, sondern auch im Geist, durch das was ihm alles widerfahren war.

„Kannst du Arwen etwas übergeben?“, fragte Helluin sie plötzlich.
„Arwen?“ wiederholte die Mutter.
„Ja. Aragorn hat mir etwas mitgegeben, eine Botschaft für seine Geliebte.“
„Ich denke, dass solltest du ihr selbst überreichen. Ich werde sie dir zu dir schicken. Wieso war sie bei dir?“
„Die Dunländer haben die fremden Elben beauftragt, Bruchtal über meine Ankunft zu unterrichten.“
„Und sie hat mir kein Wort gesagt“, antwortete Elea etwas ärgerlich.
„Sie nicht? Woher weißt du es dann?“
„Nun, von…“, sie unterbrach abrupt und erinnerte sich an die Vergangenheit von Kerry und Helluin „Nun das wirst du schon noch erfahren.“
Doch ehe er nachfragen konnten stand bereits die blonde Rohirrim in der Tür.

Aus Sicht von Helluin

„Kerry“, stieß es ihm überrascht heraus und sprang auf. Helle Freude überkam ihn als er in das vertraute, hübsche Gesicht sah.
„Mir ist es herausgerutscht“, antwortete sie verlegen.
„Das überrascht mich gar nicht“, entgegnete er lächelnd.
Plötzlich räusperte sich Elea.
„Entschuldige Mutter“, sagte er etwas förmlicher in Kerry’s Anwesenheit.
„In Aufrichtigkeit hat dir Kerry aber noch einiges voraus mein Lieber“, tadelte sie ihn mit schönen Worten „Aber ich weiß wann ich überflüssig bin und hier kannst du mir auch nicht mehr so leicht entwischen. Ich lasse euch ein paar Minuten alleine und komme dann nochmal zu dir.“
Er nickte ihr dankend zu und ließ sich von Elea auf die Wange küssen. Der Dúnadan lauschte noch den leiser werdenden Schritten auf dem Gang, als sie verstummt waren wandte er sich der jungen Frau zu.

„Endlich Kerry, endlich habe ich dich gefunden.“ Er war ganz aufgeregt.
Verlegen setzte sie ein zaghaftes Grinsen auf: „Wieso?“
„Weil du es warst die mir geholfen hat.“
„Ich habe dir geholfen?“
„Ja. Du warst es Kerry. Du hast mich von Saruman befreit.“
Ungläubig starrte sie ihn an: „Nein, du irrst dich.“
Er ging auf sie zu und packte sie sanft auf den Oberarmen: „Doch, mit dir hat alles begonnen Kerry. Wärst du nicht gewesen, hätte ich mich niemals von Saruman abgewandt und mich von ihm befreit.“
Er sah die Gänsehaut auf ihren Unterarmen aufgehen.
„Noch immer versucht er mich zu greifen, aber bisher konnte ich ihm entgehen.“
„Saruman versucht dich wieder auf seine Seite zu ziehen?“, entgegnete sie „Lass das ja nicht zu!“ Ihre Fäuste ballten sich dabei.
„Nein, nicht wenn du bei mir bist. Dann hat er keine Chance.“
„Einem Zauberer habe ich nichts entgegenzusetzen. Ich weiß nicht was du dir von mir erhoffst.“
„In dir steckt viel mehr als du glaubst.“ Erst jetzt bemerkte Helluin wie leicht er sich in Kerry’s Gegenwart fühlte und wie fröhlich er war „Das hat mir jeder auf meiner Reise bestätigt. Du bist etwas ganz Besonderes.“
„Ach was“, tat sie es ab.
Er zog sie zu sich und umarmte Kerry innig: „Danke Kerry. Danke für alles was du für mich getan hast. Und das du an mich geglaubt hast.“
Die Rohirrim antwortete nichts. Er spürte wie sich auch ihre Arme um ihn schlossen.
„Woher wusstest du, dass ich hier inhaftiert bin?“, fragte er als sie sich lösten.
„Arwen hat mir den Brief übergeben“, antwortete sie locker. Dann schnappte sie plötzlich nach Luft und vergrub ihren Mund in ihrer Hand.
„Den Brief von Aed?“, fragte er irritiert „Wieso sollte sie ihn dir geben?“
„Ich kenne die Elben hier gut“, stotterte sie nervös herum.
Was soll das? Ich meine, ich weiß Kerry hat einen besonderen Bezug zu den Elben, das hat sie damals schon gesagt und ihre Freundschaft mit diesem Oronel… Aber Arwen und der Bote von Bruchtal… Sie kennen hier auch alle. Etwas stimmt hier nicht.
„Was ist denn los?“, bohrte er nach.
„Es ist nichts.“
„Ein bisschen kenne ich dich aber schon.“
Sie seufzte: „Ach du findest es früher oder später ja doch heraus: Der Brief, er war für mich.“
Falten bildeten sich auf Helluin’s Stirn: „Für dich?“
Sie nickte.
„Du bist?“
„Irgendwie schon“, stotterte sie daher. Unbeabsichtigt zuckte Helluin ein wenig zurück.
„Es, es tut“, Kerry schien nicht so recht zu wissen was sie sagen soll.
„Alles ist gut“, beschwichtigte er sie „Du freust dich sicherlich, wenn er in ein paar Tagen hier ankommt.“
„Ich bin aber auch froh dich zu sehen.“
„Ja, natürlich“, sagte er. Er wurde traurig „Danke, dass du meiner Mutter Bescheid gegeben hast. Ich bin doch froh sie gesehen und mit ihr geredet zu haben.“
Sichtlich schuldig sah sie ihn an: „Ich werde meine Familie bitten die freizulassen und sie von deiner Befreiung von Saruman überzeugen.“
Es war eine merkwürdige Verabschiedung mit bitterem Beigeschmack.

Fine:
Ehe Kerry den Raum, in dem Helluin gefangen gehalten wurde verließ, dreht sie sich noch einmal um, und schloss ihn fest in die Arme. "Ich bin... einfach so froh, dass du hier bist," sagte sie leise, alle Gedanken für einen Moment aus ihrem Kopf verbannend. "Ich weiß, dass wir uns am Rande des Düsterwalds nicht gerade unter den besten Umständen verabschiedet haben... aber seitdem hatte ich, naja... sehr viel Zeit zum Nachdenken. Und... was du da vorhin gesagt hast, dass du dich wegen mir von Sarumans Kontrolle befreien konntest... ich verstehe noch nicht genau wieso, aber... es hilft mir, das Chaos in meinem Kopf ein wenig zu beruhigen." Kerry spürte, wie sie rot wurde. Wie lange hatte diese Umarmung jetzt schon gedauert? Aber sie wollte ihn noch nicht loslassen. Am liebsten überhaupt nicht mehr. Mit einem Mal konnte sie Elea sehr, sehr gut verstehen. Und obwohl Helluin noch kein Wort gesagt hatte, spürte oder ahnte Kerry doch, dass auch er die Berührung nicht unangenehm zu finden schien. Kerry wurde ruhiger. Das Durcheinander, das der Brief von Aéd und der Wirbel um Adrienne - und deren Kuss - in ihr ausgelöst hatte, legte sich so langsam. Sie hörte, wie Helluin den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch anstelle seiner Stimme war es die Stimme einer Frau, die an Kerrys Ohren drang:
"Es sieht ganz so aus, als hätte mich meine Intuition nicht getäuscht."
"E-Elea!" stammelte Kerry erschrocken und ließ Helluin los, machte einen hastigen Schritt von ihm weg.
Auch Helluin blickte etwas unbehaglich drein, doch er hielt dem Blick seiner Mutter stand. Elea war soeben in den Raum zurückgekehrt - oder war sie etwa schon eine Weile in der Türe gestanden? Kerry wusste es nicht. Sie selbst war in das improvisierte Verlies erst hinabgestiegen, als sie es trotz Haleths Gesellschaft draußen auf der Straße nicht mehr ausgehalten hatte.
"Ihr braucht gar nicht so verlegen drein zu blicken, ihr beiden," sagte Elea sanft. "Ich sagte doch, dass ich euch nur ein paar Minuten alleine lassen werde, um euch auszutauschen... da dachte ich mir schon, dass sich mein Verdacht bestätigt."
Kerry wusste nicht, was sie der Dúnadan darauf antworten sollte. Da ihr nichts Besseres einfiel, drängt sie sich mit hochrotem Kopf zum Ausgang durch und sagte: "D-dann werde ich jetzt dasselbe tun, und euch Zeit für einander geben! Und ich werde gehen, und mich bei meiner Schwester dafür einsetzen, dass du freigelassen wirst, Helluin, ich versprech's dir!"
"Pass dort draußen auf dich auf, Kerry," bat Helluin sie noch, dann nickte sie und ging.

Draußen fand sie noch immer Haleth vor. Die Waldläuferin blickte relativ nachdenklich drein. "Elea war gerade bei mir," sagte sie und schaut Kerry in die Augen. "Also stimmt es. Helluin hat seine Irrfahrt in den Osten überlebt und ist jetzt hier... Ich hoffe, du fällst nicht auf seine Täuschungsmanöver herein, Kerry."
"Wie meinst du das?" fragte Kerry erschrocken. "Er steht nicht länger im Banne Sarumans... das hat er mir selbst gesagt."
"Hat er das?" Haleth schüttelte mit einem mitleidvollen Lächeln den Kopf. "Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe. Zu was dieser junge Mann im Stande war. Kerry, er ist Schuld am Fall des Goldenen Waldes! Oronêls eigene Heimat, ist dir das klar?"
"Aber das war nicht ... nicht wirklich Helluin!" beteuerte Kerry. "Er wollte niemals dass es so weit kommt..."
"Wie kannst du das so sicher sagen?" verlangte Haleth zu wissen und stemmte die Hände in die Hüften. "Wer sagt, dass du nicht gerade einer gewaltigen Täuschung zum Opfer fällst?"
Kerry nahm Haleths Hände und schaute ihrer Freundin ins Gesicht. "Bitte, lass uns darüber jetzt nicht streiten," begann sie etwas zaghaft, aber mit Nachdruck in der Stimme. "Du bist verletzt, es ist kalt hier draußen und wir beide sind erschöpft, das kann ich sehen. Lass mich dich zu meiner Unterkunft bringen und mir deine Wunden ansehen... ich glaube, ein wenig ist von Irwynes Lektionen noch hängen geblieben. Was Helluin angeht, machst du dir am besten selbst ein Bild, oder sprichst mit seiner Mutter, wie sie es sieht... bis auf Weiteres halten die Manarîn ihn gefangen, und sollte er wirklich ein Betrüger sein... geht von ihm derzeit keine Gefahr aus."
Haleth hielt Kerrys Hände fest, ihr Blick zeugte von Überraschung, aber auch dass sie beeindruckt war. "Meine liebe Kerry," sagte sie dann, im vollkommen veränderten Ton, sanft und bewundernd. "Du bist gewachsen, Kleine. Stünden wir jetzt in Fornost, bin ich mir sicher, dass du mich auf Knien angefleht hättest, Helluin blind zu vertrauen. Aber irgendetwas muss dir auf deinen Reisen geschehen sein. Ich glaube, ich werde deinen Rat annehmen... den weisen Rat, einer Freundin. Du hast Recht - wir sollten nichts überstürzen, und... mein Bein tut verdammt weh. Etwas Warmes für den Magen wäre jetzt genau das Richtige, und danach... möchte ich schlafen, einfach nur schlafen... Ich verstehe nicht, wie Oronêl das macht. Er ist schon wieder losgerannt, und will sich ins nächste Abenteuer stürzen, kaum dass wir den Schrecken der Tiefen Morias entronnen sind."
"Naja, er ist eben Oronêl," erwiderte Kerry. "Und er ist ein Elb. Aber nun komm... wir sollten los." Für sich behielt sie, dass sie die dumpfe Ahnung hatte, dass Helluin der Grund war aus dem Oronêl so schnell wieder fortgehen wollte, und sie nahm sich vor, ihn zur Rede zu stellen, ehe er die Stadt verlassen konnte. Sie hatte ok hin das Bedürfnis, mit ihm über seine Erlebnisse seit ihrer Trennung im Norden  Eregions zu sprechen, und sie hatte ihn vermisst und wollte wissen ob es ihm gut ging.

In Farelyës Haus angekommen teilte ihnen die dort verweilende Arwen mit, dass Oronêl mit Farelyë vor einiger Zeit zum Palast gegangen war. Kerry war froh, Elronds Tochter zu sehen, denn Arwen war selbst eine ausgezeichnete Heilerin, und würde Haleths Verletzungen deutlich professioneller behandeln können, als es Kerry selbst möglich gewesen wäre. Dennoch half sie tatkräftig mit, als sich Arwen die Waldläuferin ansah, und bereitete ihr im Anschluss eine einfache, aber heiße Suppe zu. Haleth sprach nur wenig, und schließlich übermannte sie die Müdigkeit, nachdem sie ihre Suppe ausgelöffelt hatte. Mit etwas Mühe legten Arwen und Kerry Haleth in eines der Betten. Kerry war selbst ziemlich erschöpft, dabei hatte sie doch eigentlich noch so viel vor. Sie wollte unbedingt noch nach Adrienne sehen, und nach Halarîn... und dann war da natürlich noch Oronêl. 
"Du bist bei Helluin gewesen," stellte Arwen fest. Ihrem Blick blieb wohl nur wenig verborgen.
Kerry nickte. "Elea ist noch immer bei ihm. Ich hoffe, die Manarîn lassen ihn bald frei..."
"Ich nehme an, du hast vor, ihnen genau dies vorzuschlagen?"
"Ja..." bestätigte Kerry. "Aber zuerst gibt es Wichtigeres zu tun. Ich muss Oronêl finden, ich weiß dass er wieder in der Stadt ist... und ich mache mir Sorgen um ihn. Ich weiß nicht, was er durchgemacht hat, seitdem wir voneinander getrennt wurden. Und... naja, es ist so, ich...weiß, dass es anmaßend klingen mag, aber... mittlerweile kenne ich ihn ein bisschen, und... ich glaube, dass es etwas gibt, dass ich ihm sagen sollte. Sagen muss."
Arwen warf ihr einen Blick zu, der für Kerry vielerlei Dinge bedeuten konnte. "Dann musst du gehen, und zwar gleich. Du kannst ihm bei dieser Gelegenheit seinen Bogen bringen, den haben wir aus Imladris die ganze Zeit mit uns geführt und nun, da Oronêl wieder da ist, sollte er ihn zurückerhalten. Suche deinen Freund beim königlichen Palast, sprich mit ihm und händige ihm seine Waffe aus.“

Mittlerweile kannte Kerry den Weg zu Faelivrins Palast gut genug, um sich nicht zu verlaufen, und die Wachen kannten nun ihr Gesicht sowie das hellblaue Kleid nach Art der Manarîn, das sie noch immer trug. Man ließ sie ungehindert passieren, und der Hauptmann der Garde nickte ihr mit einem irgendwie aufmunternden Lächeln zu, als er respektvoll sagte: "Hírilya Morilië." Kerry blieb erstaunt stehen. Dieser Krieger, dessen Namen sie nicht einmal kannte, schaffte es, sie mit dem lockeren Klang seiner Stimme und seiner Miene so sehr aufzubauen, dass sie glauben musste, dass er über ihre gesamten Gedanken und Erlebnisse Bescheid wusste. Natürlich war dem nicht so - woher hätte er es auch wissen sollen? Dennoch nahm sie sich vor, in einer ruhigen Minute mit dem Gardekommandanten zu sprechen, und ihn kennenzulernen.
Doch dafür blieb nun keine Zeit. Sie musste Oronêl finden. Auch wenn sie nicht genau wusste wieso, gab es da ein Gefühl in Kerrys Herzen, das sie zur Eile drängte.
Im Inneren des Palastes herrschte eine gespenstische Leere. Doch dann hörte Kerry Schritte zu ihrer Linken. Einen langen, säulengerahmten Gang entlang fiel ihr Blick, und sie sah gerade noch, wie eine ferne Gestalt, die Oronêl hätte sein können, dort um die Ecke bog. Sie eilte los, so gut ihr Kleid es eben zuließ, und verfluchte sich dafür, dass sie sich nicht vorher umgezogen hatte. An der Ecke angekommen kam sie auf dem glatten Marmorboden schlitternd zum Stehen. Um die Biegung herum führte ihr Weg sie in einen weiteren, langen Gang. In großer Entfernung entdeckte sie Oronêl und Faelivrin, die eine der vielen Türen öffnete. Dann nickte Oronêl der Königin zu und betrat den Raum, noch während Kerry loslief. Faelivrin selbst bog in ein nahes Treppenhaus ein und verschwand. Beide waren noch immer so weit weg, dass Kerry fünf lange Minuten brauchte, bis sie endlich vor der Tür stand, hinter der Oronêl sich befinden musste. Sie keuchte und schwitzte, und gab vermutlich einen fürchterlichen Anblick ab, also hielt sie schwer atmend inne, und begann, ihren Zopf zu lösen und neu zu flechten, diesmal nicht nach der für sie so typischen Art der Rohirrim, sondern stattdessen nach Elbenart, wie sie es von Halarîn gelernt hatte. Das gab ihr Zeit, sich zu beruhigen, und als sie fertig war, klopfte sie fünfmal sachte, aber hörbar an die Tür.

"Herein," kam Oronêls Stimme undeutlich zu Kerry durch, und sie schob die schwere, hölzerne und verzierte Türe auf. In dem kleinen Zimmer, was wohl für Gäste eingerichtet worden war, stand Oronêl und blickte über die Schulter zur Tür. Er hatte wohl gerade seine Habseligkeiten vor sich ausbreiten wollen. Als er Kerry sah, hörte sie, wie er tief einatmete. Dennoch wirkte er nicht abweisend. "Du bist also hier," stellte er ruhig fest.
"Ja, Oronêl, ich bin hier," sagte Kerry, betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. "Gut, dass ich dich hier treffe.“
„Mir scheint das kein Zufall zu sein, Kerry,“ erwiderte er ruhig.
„Wir hatten keine Zeit zu sprechen vorhin,“ begann Kerry vorsichtig. „Dabei hatte ich dich für vermisst gehalten und nun bist du wieder da. Was ist dir nur passiert?“
Oronêl musterte sie einen Augenblick lang. „Haleth und ich sind ein paar Orks in die Hände gefallen,“ erklärte er knapp. Er klang distanziert und relativ kühl, sodass bei Kerry alle Alarmglocken zu läuten begannen.
„Und ihr seid diesen Orks entkommen? Geht es dir gut, bist du verletzt?“ fragte sie besorgt.
„Es geht mir gut. Ich bin mir sicher, Haleth erzählt dir gerne die ganze Geschichte... ich habe das Gefühl, dass du noch aus einem anderen Grund hier bist.“
Erwischt, dachte Kerry. „Ich... hatte gehofft, dich noch zu erwischen, bevor du..."
"Bevor ich was, Kerry?"
"Bevor du wieder fortgehst," sagte sie leise. Sie konnte ihn nicht ansehen. "Ich verstehe es nicht, Oronêl. Du bist endlich wieder bei uns, in Sicherheit, und nun... willst du wieder gehen, nur... wegen Helluin?" Sie hielt es nicht mehr aus, sie musste ihren Verdacht einfach äußern.
Oronêls Blick war durchdringend, doch er bliebt ruhig, und weiterhin kühl. „Ich möchte ihn nicht sehen. Was er getan hat ist unverzeihlich," sagte Oronêl leise.
„Aber...“ begann Kerry.
„Dass er mir vielleicht das Leben gerettet hat macht seine bösen Taten nicht ungeschehen,“ stellte Oronêl klar.
"Erinnerst du dich an Tharbad?" fragte Kerry, die einen Einfall gehabt hatte. "An meinen... Streit mit Aéd, als es um die Feindschaft zwischen unseren Völkern ging?"
"Ich erinnere mich," sagte Oronêl langsam und hob die linke Augenbraue, dann verschränkte er die Hände vor der Brust, als er sich zu Kerry ganz umdrehte.
"Du warst es, der mich überzeugt hat, Aéd und den Dunländern eine zweite Chance zu geben. Du hast damals sogar von den Dúnedain gesprochen und von deiner Heimat. Und dass du nicht einem Einzelnen die Schuld daran geben wür-"
Oronêl brachte sie mit einem scharfen Blick zum Schweigen. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug um zu sehen, dass es in dem Waldelb so langsam zu brodeln begonnen hatte, und die kühle Distanziertheit begann zu bröckeln. "Eine zweite Chance?" antwortete er leise und etwas heiser klingend. "Nur weil er glaubt, dass Sarumans Zauber nun nicht mehr auf ihm liegt?"
"Genau das ist es," hielt sich Kerry tapfer auf ihrem Posten. "Ich fordere dich auf, Helluin eine zweite Chance zu geben... genau wie ich Aéd und den Dunländern eine zweite Chance gegeben habe."
Oronêl musterte Kerry und sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie würde nicht mit ihm streiten, nicht schon wieder. Aber sie würde ihm klar machen, dass er im Bezug auf Helluin falsch lag.
Sie hoffte nur, es würde ihr auch gelingen...

Eandril:
Oronêl atmete tief durch und versuchte den Zorn, der in ihm aufzusteigen drohte, unter Kontrolle zu halten. Er setzte sich auf die Kante des Bettes und deutete mit einer einladenden Geste auf den einzigen Stuhl in dem kleinen Raum.
"Kerry... ich möchte nicht mit dir streiten", sagte er leise, während sie sich zögerlich setzte, ohne ihn aus den Augen zu lassen. "Ganz besonders nicht wegen Helluin, denn das ist es nicht wert."
"Aber die Dunländer waren es", stellte Kerry fest, und Oronêl zögerte einen Augenblick, bevor er weiter sprach. Er fühlte sich ein wenig in die Ecke gedrängt.
"Du musst verstehen... es gibt einen Unterschied zwischen Aéd und den Dunländern und Helluin und seinen Verrätern. Helluins Verrat hat dazu beigetragen, meine Heimat zu zerstören. Seinetwegen sind Freunde und Verwandte von mir gestorben. Ich kann nicht..."
Kerry hatte den Blick abgewandt und starrte aus dem kleinen Fenster hinaus nach Süden. "Wo ist der Unterschied?", fragte sie, die Stimme in wenig erstickt. "Die Dunländer sind auf Sarumans Befehl in Rohan eingefallen. Sie hatten ebenso großen Anteil an der Zerstörung Rohans wie die Dúnedain am Untergang Lóriens - wenn nicht mehr. Trotzdem hast du mich überzeugt, ihnen eine zweite Chance zu geben, also... also bist du nicht bereit, Helluin diese Chance zu geben? Ist deine Heimat mehr wert als meine?"
Oronêl schüttelte den Kopf und sah zu Boden. "Nein, ich... das wollte ich damit nicht sagen." Als Kerry nichts erwiderte, sondern weiter aus dem Fenster blickte, sagte er: "Die Dunländer hatten eine zweite Chance verdient, weil sie ihre Ketten von selbst abgeworfen haben. Sie zeigten Reue für ihre Taten, und sie haben seitdem alles getan um ihre früheren Taten gutzumachen."
"Genauso sehe ich es bei Helluin", gab Kerry zurück, und Oronêl erwiderte schnell: "Bist du dir sicher, dass das alles ist? Und das nicht andere... Gefühle deine Urteilskraft trügen?"
Sofort bereute er, was er gesagt hatte, denn Kerry war aufgesprungen und hatte dabei den Stuhl umgeworfen. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, wandte sich sofort wieder ab und machte Anstalten, aus dem Raum zu stürmen. Oronêl sprang selbst auf die Füße, und packte sie am Arm um sie zurückzuhalten. "Kerry, warte. Es tut mir leid, das war... nicht in Ordnung."
Kerry blieb stehen, und blickte ihm direkt ins Gesicht. In ihren grünen Augen spiegelten sich Zorn, Verletztheit und auch eine kaum merkbare Portion Verlegenheit. "Nein", sagte sie schlicht. "Das war es nicht." Nachdem Oronêl ihren Arm losgelassen hatte, bückte sie sich um den Stuhl wieder aufzustellen und setzte sich dann. Oronêl ließ sich erneut ihr gegenüber auf der Bettkante nieder.
"Ich hatte nicht vor, fortzugehen", sagte er leise. "Jedenfalls nicht auf Dauer. Ich werde mit Anastorias an die Grenze im Nordosten gehen, einigen verdächtigen Nachrichten nachspüren." Er widerstand dem Impuls, Kerry Blick auszuweichen, und fügte hinzu: "Aber du hast Recht, es ist Helluins wegen."
"Ach, Oronêl... warum?" Endlich fand Kerry die richtigen Worte. "Warum bist du in der Lage, allen eine zweite Chance zu geben, nur Helluin nicht? Warum hasst du ihn so sehr, dass du ihn nicht einmal ansehen kannst?"
Oronêl richtete den Blick auf den Boden zwischen ihnen, und rieb seine verschränkten Hände aneinander. "Ich hasse ihn nicht", sagte er schließlich langsam. Er musste sich zwingen, diese Worte auszusprechen, obwohl es die reine Wahrheit war. "Wie könnte ich, ich kenne ihn nicht. Ich hasse was er getan hat, aber Helluin selbst..." Er schüttelte den Kopf, und hob den Blick wieder zu Kerry. "Nein."
"Aber wieso...", begann Kerry verständnislos, und Oronêl lächelte. Es war kein besonders fröhliches Lächeln. "Was Helluin getan hat, geht noch tiefer als du denkst. Ich hatte nie viel für Menschen übrig, bis ich in Dol Amroth an ihrer Seite gekämpft habe. Bis ich Amrothos fand, und wenig später Irwynes und Amrûns Freundschaft erlebte. Der Verrat der Dúnedain... er hätte beinahe alles wieder zunichte gemacht, wenn Irwyne, dein Vater - Cyneric, meine ich - und die Dunländer, Forath und Aéd nicht gewesen wären. Helluin hat sich von Saruman bei dem Versuch benutzen lassen, das letzte Vertrauen zwischen Elben und Menschen zu zerstören, und vielleicht ist es das, was ich nicht verzeihen kann."
Einen langen Augenblick herrschte Stille in dem kleinen Zimmer, bis Kerry das Schweigen schließlich brach. "Ich... verstehe, glaube ich", sagte sie tonlos. "Aber... ich erinnere mich an etwas, was du in Fornost gesagt hast, bei Ardans Verhandlung. Du hast versucht, Belen und die anderen davon zu überzeugen, die Dúnedain unter Sarumans Befehl wieder zu sich zu holen und ihnen zu vergeben. Weil... wenn sie sich gegenseitig bekämpfen nur Sauron gewinnt, und wenn sie sich gegenseitig bekämpfen, wir alle verlieren."
Oronêl musste wider Willen lächeln, und dieses Mal war sein Lächeln nicht bitter. "Du hast ein gutes Gedächtnis... und du vermagst deine Worte gut einzusetzen." Er erinnerte sich an diesen Tag, und er glaubte an das, was er damals gesagt hatte - nur nicht, wenn es um Helluin ging, und in diesem Moment erkannte Oronêl, dass er vielleicht einen Fehler machte.
"Ich werde keine Versprechen machen", fügte er schließlich hinzu. "Ein Teil von mir glaubt, all die zu verraten, die Heimat oder Leben in Lórien verloren haben, wenn ich Helluin nicht mit aller Macht weiterhin ablehne und verachte. Aber... vielleicht werde ich mit Helluin sprechen. Nicht jetzt gleich, aber... irgendwann."
Mit einem Mal fühlte er die Erschöpfung der letzten Tage vollständig über sich hineinbrechen. Kerry löste ihre Hände von den Armlehnen, die sie fest umklammert hatte, und ergriff seine Rechte. "Ich verstehe, dass es nicht einfach ist", sagte sie leise. "Und ich verstehe jetzt auch, warum. Aber falls es etwas bedeutet: Ich glaube wirklich, dass Helluin frei von Saruman ist, und dass er seine Taten bereut. Und das hat nichts mit irgendwelchen... Gefühlen zu tun."
Oronêl sah ihr in die Augen. "Tatsächlich bedeutet dein Urteil mir viel, Kerry. Du hast ein gutes Herz, und ein gutes Gespür dafür, wie es in anderen aussieht. Und was deine Gefühle angeht... nunja, vielleicht wäre das gerade ein Zeichen dafür, Helluin zu trauen." Als er sah, wie Kerry errötete, musste er leise lachen.
"Ich werde dich nicht mit Fragen danach quälen, das ist allein deine Angelegenheit. Aber du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, wenn dir danach ist."
Kerry nickte langsam, bevor sie aufstand und sich neben ihm auf die Bettkante setzte.
"Oronêl..."
"Hm?"
"Ich bin froh, dass du wieder da bist... auch wenn du furchtbar unausstehlich sein kannst."
"Ich fürchte, da kann ich kaum widersprechen", erwiderte Oronêl. Eine Weile saßen sie in einträchtigem Schweigen da, bis Kerry sagte: "Jetzt möchte ich endlich wissen, was mit dir und Haleth passiert ist. Sie hat irgendetwas von Moria gesagt, aber..."
Oronêl warf ihr einen Seitenblick zu. "Es ist keine Geschichte, die ich gerne ein zweites Mal erzähle, aber... du hast es dir verdient zu erfahren, was passiert ist."

Als er seine Erzählung beendet hatte, glänzten Kerrys Augen verdächtig. "Ich weiß noch, wie Valandur nach Fornost kam. Und in der Schlacht stand er mit mir oben auf dem Turm, und... was wird Súlien sagen?"
Oronêls Herz zog sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen. "Ich weiß nicht", erwiderte er leise.
"Und dieses Wesen... es hat irgendetwas mit Farelyë zu tun, glaubst du nicht?"
"Ich fürchte schon. Aber ich weiß nicht, wie uns dieses Wissen helfen kann, es zu besiegen, wenn es das Gebirge verlässt." Oronêl blickte Kerry an, und sie schüttelte den Kopf. "Oh nein. Schlag es gar nicht erst vor."
"Was? Ich wollte nur..."
"Du wollte vorschlagen, dass ich Eregion verlasse, und mich irgendwo in Sicherheit bringe - in Bruchtal oder Lindon vielleicht. Aber meine Familie ist hier, und die meisten meiner Freunde auch. Also gehe ich nirgendwohin."
Oronêl hob die Hände, und musste trotz allem lachen. "Schon gut, ich werde es gar nicht erst aussprechen. "Vielleicht ist es ohnehin besser wenn du in der Nähe bist, Kerry, denn du bist immer für irgendeine unerwartete Wendung gut..."

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