Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Der Düsterwald

Waldrand, nahe Dol Guldur

<< < (3/3)

--Cirdan--:
„Wir werden in Kürze aufbrechen“, informierte der düstere Waldläufer Helluin. Eddy wusste, er würde nicht mehr viel Zeit haben. Er nickte Helluin verstehend zu, packte seinen großen Beutel und verließ den Dunadan um weitere Vorkehrungen zu treffen. Ed würde nicht zurück in das Orklager gehen. Niemals. Wenn der Rohirrim Cyneric recht behielt, dann war Saruman genauso der Feind, wie die Orks in der Festung Dol  Guldur.

Eddy befand sich grade außer Sichtweite der Dunedain, als eine alte Frau mit langem schwarzem Haar auf ihn zu kam. Er konnte es sich eigentlich nicht leisten aufgehalten zu werden, aber die Frau packte seine Hand und sprach ihn an. Sie stellte sich als Elea vor und wollte über Helluin reden. Eddy versuchte auszuweichen: „Ich kenne ihn kaum. Ich kann nicht helfen.“ Aber die Frau wirklich sichtlich verzweifelt und obwohl Ed selbst viele Probleme hatte, konnte er sie nicht einfach stehen lassen.
„Du wirst doch mit ihm ins andere Lager reiten“, sprach Elea, „bitte passe auf Helluin auf. Ich sehe, dass ihr keiner dieser von Saruman verzauberten Krieger seid. Behaltet meinen Sohn im Auge.“
Das ist jetzt wirklich der schlechteste Zeitpunkt überhaupt, ärgerte sich Eddy und ließ dabei unbeabsichtigt seinen Beutel zu Boden fallen. Er öffnete sich und Elea sah eine Vielzahl an Lebensmittelvorräte, die sich Eddy den ganzen Morgen zusammengesammelt hatte. Die Frau blickte Eddy scharf an: „Ihr werdet nicht ins Orklager gehen, nicht wahr? Ihr werdet fliehen!“ Erschreckt packte Eddy den Beutel und wandte sich ab.
Natürlich hatte sie recht. Er wollte fliehen, entkommen aus dieser gespenstigen Region voller Krieg und Verrat, Ork und Zauberern.
„Wartet!“, rief Elea ihm nach, „nehmt mich mit. Hier kann ich nichts mehr für meinen Sohn tun. Ich muss ihn auf anderen Wegen retten. Und sagt mir nicht, ihr wollt euch ganz alleine in eure Heimat zurückschlagen. Wisst ihr überhaupt, in welche Richtung ihr gehen müsst. Habt ihr Erfahrung in der Wildnis? Ihr könntet meine Hilfe durchaus gebrauchen.“ Eddy wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Natürlich war sein Fluchtplan nicht besonders ausgefeilt, schließlich hatte er ihn erst heute Morgen gefasst, nachdem er noch einmal über Sarumans Lügen und den anstehenden Kampf zwischen Fronten, die er nicht verstand, nachgedacht hatte. Eddy war sich unsicher, ob Elea wirklich eine Unterstützung wäre, schließlich war sie alt und wirkte schwach. Schließlich entschloss er es dennoch zu versuchen. Beide sammelten weitere Vorräte und Ausrüstungen zusammen und versuchten dabei den Dunedain und Saruman aus dem Wege zu gehen. Als letztes entführten die Beiden zwei Pferde der Diener Sarumans und verließen das Lager der vereinten Krieger aus Elben und Menschen in südwestlicher Richtung.


Eddy und Elea Richtung Ebene des Celebrant

Fine:
Am zweiten Tag nach dem nächtlichen Überfall war das Heer noch immer nicht weitergezogen. Cyneric vermutete, dass bei den Heerführern noch keine Nachrichten von Saruman eingetroffen waren. Vielleicht gibt es im Lager der Weißen Hand irgendwelche Probleme, überlegte er. Er traf am Treffpunkt in der Mitte des Lagers ein, wo Irwyne und ihr elbischer Freund Antien bereits auf ihn warteten. Es gab heißen Eintopf, der erstaunlich gut schmeckte.
"Hast du das gekocht, Antien?" fragte Irwyne mit vollem Mund.
"Ich habe es gewürzt," gab dieser schmunzelnd zurück.
"Ihr versteht offensichtlich etwas davon," lobte Cyneric. In seinem Bauch breitete sich ein warmes, wohliges Gefühl, das ihn die Strapazen des Feldzugs vergessen ließ. Den Soldaten in der Nähe schien es ähnlich zu gehen, stellte er fest als er sich umblickte. Gutes Essen hebt wahrlich die Kampfesmoral, dachte er. Rings um sie herum wurde gescherzt und gelacht und sowohl Rohirrim als auch Elben erholten sich vom Schrecken des Düsterwalds und der vergangenen Gefechte. Die zu schwer Verwundeten waren am Morgen zurück nach Aldburg aufgebrochen und von einem Trupp der schnellsten Reiter begleitet worden, die so bald wie möglich zurückkehren und auf dem Weg die Lage erkunden sollten. "Sonst mag es passieren, dass sich ein Feind in unseren Rücken begibt und uns hinterrücks überfällt," hatte Glorfindel dazu gesagt. Cyneric hatte inzwischen großen Respekt vor dem Elbenherrn, der zeigte dass er ein erfahrener Heerführer war.

Gegen Ende des Mittagsessens brach die Sonne schließlich durch die Wolkendecke und ließ sie spüren, dass es Hochsommer war. Selbst hier, an der Grenze zum Norden Mittelerdes wurde es nun warm. Aufgeheitert durch das gute Essen entstand eine durchweg positive Stimmung im Lager. Wohin er auch blickte konnte Cyneric zufriedene Gesichter erblicken als er Irwyne zurück zu den Heilern begleitete - doch es gab auch einige, deren Stimmung nicht umgeschlagen hatte. Es waren jene, die seit dem Beginn des Feldzugs Freunde und Verwandte im Kampf verloren hatten. Cyneric kannte das Gefühl des Verlusts nur allzu gut. Es lässt einen alles durch einen Schleier der Hoffnungslosigkeit sehen und macht die Welt ein Stück grauer, farbloser, trauriger. Er überließ Irwyne ihren Aufgaben und machte sich auf den Weg zu den provisorischen Ställen, um nach Rynescéad zu sehen.
Der Hengst schnaubte freudig als er Cyneric sah. "Für dich gibt es hier nur wenig zu tun, mein Freund. Komm, lass' mir dir ein wenig Bewegung verschaffen," sagte er. Der Hengst schlug mit dem Schweif und sagte nichts. Kurz darauf ritt Cyneric los.

Er ließ Rynescéad seinen eigenen Weg suchen, der ihn einige Zeit lang nach Süden und schließlich in einem Bogen nach Osten wieder zurück zum Heerlager trug. Das Land zwischen Düsterwald, Anduin und den Braunen Landen war leer und still. Ihm kam es vor als läge eine wachsame Stille darüber. Ich weiß nicht, ob wir Erfolg haben werden, dachte er. All diese mächtigen Helden des Westens haben sich versammelt und der Weiße Zauberer sucht den Schatten mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Und dennoch... Er ordnete seine Gedanken und stellte fest, dass er noch nicht wirklich an einen Sieg in diesem Feldzug glauben konnte. Die Festung Saurons kam ihm zu stark und ihr Feind ihm zu übermächtig vor. Doch gerade Saruman - Saruman, dem nur wenige im Heer der freien Völkern wirklich trauten - war es, der ihn von der Verzweiflung abhielt. Der Weiße Zauberer ist listenreich, hat es immer geheißen. Wer weiß, womit er unsere Feind überraschen wird. Ich hoffe, es wird kein böses Erwachen für uns geben, sollte Dol Guldur in seine Hände fallen.

Er kehrte zum Lager zurück und ließ Rynescéad an den Unterständen der Reittiere zurück. Er war heute zur Nachtwache eingeteilt, doch noch hatte es nicht begonnen zu dämmern. Cyneric vertrieb sich die Zeit bis zum Abendessen damit, seine Waffen instand zu halten. Das Schwert schliff er und den Schild beulte er dort aus, wo eine Ork-Keule einen Abdruck hinterlassen hatte. Später beim Abendessen sah er weder Irwyne noch Eddy. Wahrscheinlich haben sie mit ihren eigenen Aufgaben zu tun, dachte er. Das Brot das ausgeteilt wurde begann bereits so langsam trocken zu werden, den verbesserten Lagerungsmethoden der Elben zum Trotz. Bald würde ihre Wegzehrung weniger abwechslungsreich werden. Und nicht nur deswegen wird die Moral der Krieger wieder sinken, befürchtete er.

Die Nachtwache begann. Er saß an einem der Wachfeuer am Rand des Waldes und leistete zwei Elben und einem Mann aus Rohan Gesellschaft. Ihre Namen waren Calachír aus Imladris, Angvagor aus dem Waldlandreich und Cúthred aus der Westfold. Calachír erkannte er als den Elbenkrieger wieder an dessen Seite er während dem nächtlichen Überfall der Orks einige Zeit lang gekämpft hatte. "Der Zauber Sarumans war gut," sagte dieser gerade, denn sie sprachen über das vergangene Gefecht. "Die Täuschung unserer Feinde wurde augenblicklich aufgehoben und er selbst schleuderte einige der Orks fort. Es ist gut, ihn wieder auf unserer Seite zu haben."
"Saruman kann man nicht trauen," warf Cúthred ein, der einer der wenigen Reiter des Heeres war. Sein Ross stand in der Nähe des Lagerfeuers und blickte ab und zu zu ihnen herüber. "Er hat die Eorlingas schon einmal getäuscht. Wir lassen nicht zu, dass sich das wiederholt! Wir sollten vorsichtig mit ihm und seinen Absichten umgehen. Dieser Angriff auf die feindliche Festung dient nur seinen eigenen Zwecken."
"Ihr liegt falsch, mein Freund," sagte Angvagor ruhig, dessen dunkelgrüne Kapuze einen Schatten über den oberen Teil seines Gesichts warf. "Saruman hilft uns Elben des Waldlandreichs beim Kampf um den Grünwald. Würdet ihr Rohirrim nicht auch jede Gelegenheit ergreifen, die sich bietet, wenn eure Heimat von Feinden besetzt wäre?"
Cyneric errinerte sich. Gerade einmal ein Jahr war es her, dass Rohan vom Schatten Mordors befreit worden war. Er konnte gut verstehen, wie sich die Elben des Waldlandreiches beim Betreten des Düsterwalds gefühlt haben mussten.

Das Gespräch ging noch einige Zeit weiter ohne dass Cyneric sich groß beteiligte. Er hoffte, dass die Nacht schnell und ohne besondere Vorkommnisse vergehen würde.

Fine:
"Cyneric," sagte eine Stimme dicht neben seinem Ohr und er fuhr hoch. Verdammt, schoss es ihm durch den Kopf. Ich muss wohl eingenickt sein. Soviel zu einer aufmerksamen Wachschicht! Es schien kurz vor Sonnenaufgang zu sein.
Eine Hand packte ihn an der Schulter und zog daran. Rasch blickte er sich um. Seine Kameraden, die am Feuer gesessen hatten, waren verschwunden. Er drehte den Kopf und blickte in ein hübsches Gesicht, das von sandblonden Haarsträhnen eingerahmt war. Die Elbin trug eine ähnliche Kapuze wie der Düsterwaldkrieger Anvagor. Und sie schien keine Zeit verschwenden zu wollen.
"Komm mit mir, Cyneric. Mach schnell!" sagte sie und erhob sich aus der Hocke, ihn mit sich ziehend. Sie war überraschend stark. Die Elbin ergriff seinen Arm und bewegte sich auf den nahen Waldrand zu. Seine Müdigkeit abschüttelnd folgte er ihr.

Tausend Fragen stiegen in ihm auf. Wer sie war, was sie von ihm wollte. Woher sie meinen Namen kennt. Er machte den Mund auf, doch die Schwärze der Nacht schien seine Stimme zu verschlucken. Es war sehr finster unter den Bäumen, die einer nach dem anderen an ihnen vorbeizogen. Jetzt versteh' ich, wieso er Düsterwald genannt wird, dachte er. Er konnte kaum die Hand vor Augen erkennen und die Silhouette der Elbin vor ihm begann in der Finsternis zu verblassen. Ich bin zu alt für das hier, seufzte er innerlich und beschleunigte seine Schritte.

Weiter und weiter ging es, ohne dass ein Wort gesprochen wurde. Baumstamm um Baumstamm ließen sie hinter sich, tiefer und tiefer in den Düsterwald hinein. Nur ein einziges Mal hielt die Elbin an um sich hastig umzublicken. "Was ist lo..." setzte er an, doch sie legte ihm flink einen Finger auf den Mund. "Schsch," machte sie und deutete nach vorne. Cyneric kniff die Augen zusammen und blickte in die Richtung, die sie angegeben hatte. Er bildete sich ein, von dort einen leichten Lichtschein durch die Schatten schimmern zu sehen. Die Elbin setzte sich wieder in Bewegung und er folgte ihr. Als sie näher kamen wurde sie langsamer und begann, sich vorsichtiger und vor allem leiser zu bewegen. Cyneric erkannte nun, dass da tatsächlich ein Licht vor ihnen war, das heller wurde je näher sie kamen. Immer mehr konnte er seine Umgebung erkennen und begann, nur an die Stellen zu treten, an die die Elbin vor ihm getreten war. So bewegten sie sich nahezu geräuschlos auf ihr Ziel zu.

Vor ihnen kam eine Lichtung in Sicht. Die Elbin hob eine zur Faust geballte Hand und sie hielten an. Im Schatten der Bäume verborgen blicken sie auf das Licht, das von mehreren Fackeln stammte. Cyneric blinzelte. Nach der langen Zeit der Dunkelheit war selbst dieses geringe Licht schmerzhaft für seine Augen. Wie lange sind wir unterwegs gewesen? Er konnte es nicht sagen.
Endlich konnte er mehr erkennen. In der Mitte der Lichtung knieten mehrere, in schmutzige Lumpen und zerrissene Gewänder gekleidete Menschen. Es waren ungefähr ein Dutzend Männer und Frauen unterschiedlichen Alters. Sein Herz gefror zu Eis als er Irwyne unter ihnen erkannte.
Die Menschen waren von einer großen Horde Orks umgeben, die gut sichtbar das Zeichen Dol Guldurs trugen: Die dunkle Silhouette der Festung vor rotem Himmel, auf schwarzem Grund. Die Orks trugen Fackeln und Waffen aller Art. Peitschen schienen besonders beliebt zu sein, die sie hin und wieder wahllos gegen ihre Gefangenen einsetzten.

Einer trat vor; es musste wohl der Anführer sein. "Eure Flucht endet hier, ihr Maden!" rief er und ließ die Peitsche knallen. "Lasst sie leiden für das, was sie getan haben, Jungs!" fügte er hinzu und die Orks begannen, ihren Opfern Schläge und Schnitte zu versetzen. Alles in Cyneric drängte ihn dazu, aufzuspringen und sich mit gezogener Klinge auf die Orks zu stürzen als er sah, wie Irwyne von einem Fausthieb getroffen zu Boden ging. Er griff an seine Seite - und ins Leere. In der Eile hatte er sein Schwert nicht mitgenommen. Die Elbin hielt ihn wieder fest. "Warte!" zischte sie. Doch er war wild entschlossen, Irwyne zu retten. Er richtete sich hinter dem Baum auf, der ihn verborgen hatte und warf einen letzten Blick zur Mitte. Da sah er, dass die Orks aufgehört hatten, die Gefangenen zu foltern. Eine Stille legte sich über die Lichtung und Cyneric sank zurück in die Schatten des Waldes. Was ist los? Warum halten sie inne?

Seine Fragen wurden beantwortet, als ein Mann in schwarz schimmernder Rüstung und dunklen Umhang gehüllt zu den Orks trat. Cyneric erkannte, dass dies einer ihrer obersten Herren sein musste, denn sie senkten beinahe ehrerbietig die Köpfe und versammelten sich hinter ihrem orkischen Anführer, der auf ein Knie herabgesunken war. "Gebieter," sprach er demütig. "Wir haben Euch hier nicht erwartet."
Der Mensch fixierte ihn einen Moment mit einem scharfen Blick, sah dann zu den Gefangen hinüber und schien die Situation sofort zu erfassen.
"Dies sind die entflohenen Arbeitssklaven?" fragte er mit ruhiger Stimme in der eine Eiseskälte mitschwang.
"Ja, Meister. Wir haben sie hier erwischt, dazu zwei weitere Menschlinge, die im Wald herumstreiften und Grünzeug sammelten." antwortete der Ork.
Der Mann begann, den Orkanführer mit langsamen, bedächtigen Schritten zum umrunden. Der Ork blieb wie erstarrt stehen und blickte stur geradeaus.
"Ihr habt sie eingeholt. Und sie nicht augenblicklich zurück gebracht," stellte sein Meister kühl fest.
"Eine Warnung, Gebieter. Damit sie nicht nochmal auf dumme Gedanken kommen."
"Nein. Nein," kam die scharfe Antwort. "So nicht. So werden sie es nicht lernen. Zuerst muss man sie warnen. Bevor sie sich widersetzen. Tun sie das - dann bestraft man sie. Bestraft man sie zuerst, haben sie nichts mehr zu verlieren. Dann werden sie erst recht aufsässig. Dann wollen sie Rache."
Der Ork nickte. "Ja, Meister. Ihr seid weise, Meister."
"Hat der Rest von euch das verstanden?" wollte der finstere Mann an den Rest der Orks gewandt wissen. Zustimmende Laute und Gesten antworteten ihm.
"Gut. Merkt es euch." sagte der Mensch und kam wieder vor dem Ork-Anführer zum Stehen.
In einer blitzschnellen Bewegung fuhr seine Klinge quer durch den Hals des Anführers und dessen Kopf rollte zu Boden.
"Und vergesst es nicht wieder," fügte er hinzu, so ruhig und gelassen wie zu Beginn. "Das war eure Warnung."
Absolute Stille herrschte. Cyneric konnte die Elbin nicht mehr sehen. Was geschieht jetzt? Ich muss Irwyne befreien!
"Lasst die Gefangenen eine kurze Weile ausruhen bis sie aufbruchbereit sind. Dann schafft sie zurück in die Verliese. Sie werden dank ihrer Verletzungen einige Zeit nicht arbeiten können. Ihr alle werdet euren Teil dafür leisten, diese fehlende Arbeitskraft wieder auszugleichen!" verkündete der Mensch. Er drehte sich um und verschwand auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung im Wald, von wo er gekommen war. Einige der Orks folgten ihm. Der Rest - ungefähr ein Dutzend - blieb unschlüssig in der Nähe der Gefangenen stehen. Leise unterhielten sie sich miteinander in ihrer Sprache.

Mehrere lange Minuten vergingen, in denen Cyneric kaum zu atmen wagte. Mit einem Mal jedoch sah er wie sich die Elbin neben ihm aufrichtete. Drei flinke Handbewegungen machte sie, denen er kaum folgen konnte, und die drei Orks die ihnen am nächsten waren brachten tot zusammen. Aus ihren Leibern ragten gut gezielte Wurfmesser. Die übrigen Orks kamen nicht viel weiter - drei weitere fielen durch die Messerwürfe der Elbin, die nun auf die Lichtung hinaustrat. Eilig folgte Cyneric ihr und sah, wie drei weitere Elben ins Licht kamen. Er erkannte Angvagor und Calachír, die ihre Langschwerter gezogen hatten und die Orks an der Flucht hinderten. Der dritte Elb schoss seinen Bogen in schneller Abfolge ab und nach nur wenigen Momenten lagen alle Orks tot am Boden.

"Cyneric!" rief Irwyne, rannte auf ihn zu und umarmte ihn. Erleichtert stellte er fest, dass sie nur wenig verletzt war. "Wir - wir waren in den frühen Morgenstunden unterwegs um Heilkräuter zu suchen," erklärte Irwyne stockend, der die Tränen nun über das Gesicht strömten. "Du bist jetzt in Sicherheit," versuchte Cyneric das Mädchen zu beruhigen.
Mehrere Minuten standen sie dort im Herzen der Lichtung, während über ihnen das Licht des Morgens langsam heller wurde. Schließlich traten die Elben hinzu. Irwyne löste sich von ihm und blickte ihre Retter dankbar an.
"Finelleth!" sagte sie mit einem freudigen Lächeln, das ihrem tränenbedeckten Gesicht widersprach. Die Elbin - Finelleth - zog ein Tuch hervor und wischte Irwynes Gesicht sanft ab. "Es ist gut, dich wohlbehalten wiederzusehen, Irwyne," antwortete sie.
Sie kennt wirklich viele Elben, dachte Cyneric, der froh war, dass noch einmal alles gut gegangen war. Gemeinsam mit den entflohenen Sklaven Dol Guldurs verließen sie schließlich die Lichtung.

Auf dem Rückweg zum Lager redete Irwyne wild drauflos, wie um sich selbst von den schrecklichen Erlebnissen der Nacht abzulenken. Sie erzählte ihm, dass sie Finelleth bereits in Lothlórien kennengelernt hatte. "Sie kommt aus dem Waldlandreich und ist sehr mutig. Eigentlich heißt sie Faerwen, weißt du? Aber sie macht sich immer so große Sorgen um ihre Frisur, dass ihre Kameraden ihr einen Spitznamen verpasst haben. Fin-elleth, verstehst du?"
"Es bedeutet Haar-Mädchen und es ist ein sehr passender Name," sagte der blonde Bogenschütze mit einem verschmitzten Lächeln. Die Elbin selbst sagte nichts dazu, lächelte aber ebenfalls.
So, als hätten sie nicht gerade mehr als die dreifache Zahl an Orks scheinbar mühelos niedergemacht, dachte Cyneric. Sie müssen zu Thranduils Elitekämpfern gehören.

Am Waldrand angekommen blieben die Elben einen Moment stehen. "Das muss der feindliche Kommandant, Varakhôr der Mornadan gewesen sein," sagte Angvagor. "Es ist bekannt, dass er weniger grausam als sein Vorgänger ist." "Dennoch nicht weniger böse," warf Calachír ein. "Er ist ein Diener des Feindes. Hätten wir ihn erwischen können ohne das Leben der Gefangenen zu riskieren, wäre sein Tod unserem Erfolg in Dol Guldur sehr dienlich gewesen." "Recht hast du, Noldo, antwortete Finelleth, "doch auch so werden wir am Ende siegreich sein und unsere Heimat zurückerobern."
Diese Zuversicht, dachte Cyneric bewundern während der Irwyne gemeinsam mit der Elbin zu ihrem Schlafplatz brachte. Ich hoffe wirklich, dass sie Recht behalten wird.


Cyneric verschlief den folgenden Vormittag. Später erfuhr er, dass in dieser Zeit Boten Sarumans bei den Heerführern gewesen waren und Nachrichten aus dem Lager der Weißen Hand gebracht hatten. Saruman hatte ausrichten lassen, dass Glorfindels Heer nun auf die feindliche Festung vorrücken sollte, denn die Orks der Nordarmee wären jetzt bereit, dasselbe tun. Die Heerführer hatten sogleich begonnen, die nötigen Vorbereitungen zu treffen und Befehle an ihre Truppenverbände verteilt.

Als Cyneric erwachte war das Lager bereits zum größten Teil in Auflösung begriffen. Eilig packte er seine Sachen zusammen und half beim Abbau des Zeltes, welches anschließend auf einen der Versorgungskarren geladen wurde. Es dauerte noch ungefähr eine Stunde bis das Heer schließlich marschbereit war. Cyneric fand sich bei Erkenbrands Gruppe am vorderen Ende des sich formierenden Heereszuges ein. So würde nun also der letzte Abschnitt des Weges nach Dol Guldur beginnen - und sich dem Feind stellen.

Berittene Kundschafter hatten etwas weiter östlich einen Waldstrich ausgemacht, in dem die Bäume etwas weniger eng nebeneinander standen. Dort angekommen formierte Erkenbrand seine Leute in einen Keil und bildete selbst die Spitze, sodass die Männer dem Rest des Heeres einen Weg durch den Düsterwald bahnten. Die nachrückenden Truppen verbreiterten die entstehende Lücke und traten das Unterholz flach, damit die Wagen besser darüber rollen konnten. Sie kamen trotzdem nur relativ langsam voran. Bald schon begann das von den Bäume ohnehin schon verdunkelte Tageslicht zu schwinden und die Rohirrim und Elben entzündeten ihre Fackeln, um die Finsternis des Düsterwalds fernzuhalten. Schließlich, nach ungefähr drei Stunden des Marschierens, kam das Hornsignal zum Halten und die Kolonne stoppte. Erkenbrands Vorhut blieb ebenfalls stehen und mehrere von Thranduils Waldläufern gingen nun voraus, um den sichersten Weg zur feindlichen Festung auszumachen und auf feindliche Hinterhalte oder Fallen zu überprüfen.

Sie warteten ungefähr eine weitere Stunde während der sich die übrigen Heerführer bei Erkenbrand (und somit in Cynerics Hörreichweite) einfanden. Leise unterhielten sie sich über den bevorstehnden Angriff auf die feindliche Festung und beschlossen, keinen Angriff zu wagen bevor nicht die Verstärkung durch Sarumans Truppen eingetroffen war. Kurz darauf kehrten die Waldläufer zurück und erstatteten einen schnellen Bericht. "Der Weg ist nun frei. Folgt unseren Schritten. Wir führen euch." Und so brachen sie wieder auf.


Glorfindel, Thranduil, Erkenbrand, Elfhelm, Antien, Cyneric, die Elbenkundschafter, Fred und Irwyne mit dem großen Heer zum Amon Lanc

Eru:
Eddy und Aivari als Gefangene der Dúnedain von der Ebene von Celebrant


Die geschundene, von Striemen aufgeschürfte Haut am Handgelenk bewegte sich langsam, aber rhythmisch am Rücken entlang und sorgte dabei für noch mehr Reibung und Schrammen.
Die Wunden brannten schmerzlich, die Gedanken fanden keinen Halt, schossen von einem zum anderen ohne Ruhe. Was war geschehen? Vor wenigen Stunden die wohlige Wärme des Lagerfeuers, die Hoffnung bald einen weiteren Schritt auf dem Weg zu seinem Ziel hinter sich zu bringen. Wie davon geblasen. In seinem Beutel, der ihm in die Seite drückte, spürte er die leicht gezackte zwergische Insignie, die vor Tagen im Schlamm am Celebrant gefunden wurde. Hatte sein Ehrgefühl nun den endgültigen Schicksalsschlag verschuldet?
Sollte das Verlangen dem verzweifelten Breeländer zu helfen ihnen beiden zu ihrem vorzeitigen Ende verhelfen?

Wenn es so sein sollte, dann war es ihm gleichgültig. Genug Schmerz hatte er in seinen einhundertzweiundzwanzig Lebensjahren in Mittelerde erfahren, um diese Sorglosigkeit wie einen Schild zu tragen. Wieder vereint mit Fjóla, Balvari und all den anderen, die ihn so früh hatten verlassen müssen – das war ein tröstlicher Gedanke... doch nein, da war diese eine Sache, auf die er nicht bis ans Ende aller Tage warten wollte. Für die es sich lohnte immer weiter und weiter zu machen, auch wenn die größte Kraft längst aus den Gliedern gefahren war.

»Haltet dort drüben. Dort drüben! Ruhig, ruhig.«, die Stimme des Menschen, der vor ihm auf dem Pferd saß, riss Aivari abrupt aus seinen Gedanken. Er sprach offenbar zu den anderen Reitern. Wie nach dem Wiederauftauchen nach einem Tauchgang im Rotwasser, baute sich die Realität wieder um den Zwerg auf, Geräusche drangen wieder zu ihm durch, die zuvor nur entferntes, dumpfes Stimmengewirr waren.
Der Blick war noch immer verhüllt durch den Leinensack auf dem Kopf, doch Gerüche und Geräusche erreichten nun seine Sinne. So plötzlich wie ein Schlag in die Magengrube. Nach über einem Jahrhundert in dieser Welt konnte er die Sinneseindrücke, die er nun wieder bewusst wahrnahm, schnell eindeutig zuordnen: Orks. Und nicht zu wenige von ihnen. Das widerliche Lachen, die schleimige Aussprache, die rauen Stimmen, die abstoßende schwarze Sprache. Wut, Verwirrung und Benommenheit wurden in Aivaris Geist zu einer unheilvollen Mischung. Was geht hier vor sich? Wer sind diese verdammten Menschen bloß? Auf was habe ich mich hier eingelassen?
Wild suchten seine Augen unter dem Sack nach irgendeiner Antwort auf diese Fragen.
»Was geht hier vor? Lasst mich herunter. Wo habt ihr uns hingebracht?«
Seine hektische Stimme drang in seine eigenen Ohren, als käme sie aus etlichen Metern Entfernung, wie durch mehrere dünne Wände gesiebt.
Als er die Ausweglosigkeit erkannte und der Mensch, der gerade vor ihm vom Pferd gestiegen war, seine Fragen ignorierte, überkam ihn der Schwindel so sehr, dass er sich nicht mehr aufrecht halten konnte und vom Pferd glitt. Dunkelheit überkam ihn.

Die geschundene von Striemen aufgeschürfte Haut am Handgelenk bewegte sich langsam, aber rhythmisch an einem unbarmherzig harten, unbequemen Holzpfahl entlang, der Hände und Rücken trennte. Die Umgebung war verschwommen, der Kopf wollte nicht stillhalten, sondern drehte und drehte sich, als Aivari sein Bewusstsein wieder erlangte.
Schließlich ließ er den Hinterkopf gegen den Pfahl gleiten und schloss einige weitere Minuten die Augen, ehe er es erneut versuchte. Nun ergaben die Eindrücke seiner Umwelt schon mehr Sinn.
Ein kleines Zelt, vielleicht drei Dutzend Fuß breit, nur von einigen wenigen Fackeln erhellt. Schatten tanzten an der Innenseite der Zeltwände im Rhythmus der flackernden Flammen entlang und deuteten darauf hin, dass außerhalb bereits die Nacht hereingebrochen war.
Leises Stimmengemurmel war zu vernehmen, hier und da ein gequältes Stöhnen, Husten... Weinen.

Ein Blick nach rechts und links zeigte mehrere andere Menschen, die genau wie der Zwerg rücklings an einen Pfahl gefesselt halbsitzend auf dem Boden hockten. Neben sich erkannte er die einzige vertraute Gestalt, den Kopf auf der Brust hängend, die Haare ins Gesicht fallend. Eddy Weingarten – der Mann, der dem Zwerg das hier eingebrockt hatte - nein, Aivari hatte freiwillig gehandelt – fahrlässig... dumm. Es war seine eigene Schuld.

»Eddy...«, brachte Aivari etwas stockend heraus. Seine Stimme fühlte sich strapaziert an, wie aufgerieben, er musste sich mehrmals räuspern, bis er ein ganzes Wort herausbrachte. Das letzte Mal, dass er Wasser getrunken hatte, schien eine halbe Ewigkeit her zu sein.

Der schwarze Schopf des Breeländers fuhr mit einem Mal nach oben und das raue Gesicht des Jungen kam zum Vorschein.
»Es tut mir wirklich leid, Herr Zwerg.«, erwiderte er sofort mit ähnlich angestrengter Stimmlage, als hatte er nur darauf gewartet, dass der Zwerg wieder zu Sinnen komme. »Ich wollte nicht, dass Ihr wegen mir in diese Lage geratet.«
Aivari schaute ihn durch seine müden Augen an und nickte nur.
»Das sagtest du bereits und ich nehme deine Entschuldigung an.«, meinte der Zwerg nur und lehnte seinen Kopf wieder an den Pfahl an. »Es war jedoch meine eigene Entscheidung.«
Sein Blick war starr in die Ferne gerichtet, was in diesem Fall der zugezogene Eingang des Zeltes war. »Und nenn' mich Aivari, sonst komm' ich mir noch vor wie ein Zwergenfürst. Und ein solcher hätte sich bestimmt nicht in diese Situation gebracht.«
Ein erschöpftes Lächeln konnte er dem Breeländer entlocken.
»Also gut, Aivari.«
»Ich glaube du bist mir die ein oder andere Erklärung schuldig.«, meinte der Zwerg nun und sprach etwas leiser, während er seinen Kopf wieder zum Breeländer neigte. »Was geht hier vor sich? Wer sind diese Menschen und was für ein dunkler Zauber steckt hinter der Zusammenarbeit mit diesem Ork Abschaum? Wo hast du mich hier hereingezogen?«
So gut es der Breeländer eben selber wusste, versuchte er Aivari die Lage zu erklären, was die letzten Monate geschehen war und wie er selbst in diese Misere hineingeraten war. Hin und wieder folgte ein Kommentar von einem der anderen Gefesselten, die ebenso tragische Schicksale erlitten hatten. Die Welt war ein wahrlich finsterer Ort geworden.

Nachdem sie so etwa eine Stunde unwissend und ohne Orientierung im Zelt ausharrten, riss ohne Vorankündigung plötzlich ein Mensch - der ebenso wie alle zuvor, die Aivari gesehen hatte, in einen grauen Mantel gehüllt war - die Plane auf, die über dem Eingang hing, und eine andere Gestalt betrat das Zelt. Alle sechs am Boden gefesselten Anwesenden rückten sich instinktiv auf, egal wie schläfrig sie zuvor gewesen waren, und wurden alleine durch die Präsenz des Eintretenden an die Pfähle hinter ihnen gepresst.
Ein Mann mit grauweißem Bart, langem glattem Haar und einem fürstlichen, glanzvollen weißen Gewand stand vor ihnen.
Die buschigen Augenbrauen und die große Nase schafften es nicht die lichtlosen, dunklen Augen zu verbergen, die aus den Schatten seines Gesichtes lugten und jeden, der ihnen standhalten musste, wie Eisenketten an Ort und Stelle hielten.
Eine unheimliche, aber nicht direkt bösartige Erscheinung. Der lange Bart bebte, als seine Stimme die Luft zu zerreißen drohte. Bis auf die lange nachklingende, tiefe Stimme des alten Mannes war nichts zu hören. Wie ein stürmischer Wind schienen die Worte auf die Umgebung einzupreschen und ließen ihr Echo in den Köpfen widerhallen.

»Lasst uns alleine.« Ebenso rasch wie der Mensch, das Zelt geöffnet hatte, zog er den Eingang wieder zu und verschwand wortlos.
Natürlich wusste Aivari wen er da vor sich hatte. Nie hatte er ihn persönlich getroffen, doch die Legenden hatten genug enthüllt, um ihn unter allen anderen Wesen Mittelerdes eindeutig zu erkennen. Saruman der Weiße, Mächtigster der Zauberer. Und jemand, der es für richtig hielt Orks und anderes Getier zu befehligen.

»Ein jeder der hier Anwesenden hat töricht gehandelt... äußerst töricht.«
Die Stimme mal so schwer wie Eisen und mal so leicht wie ein Blatt im Wind. Jeder eigene Gedanke wurde wie mit einem scharfen Messer in dem Moment durchtrennt, in dem er gedacht wurde und sämtliche Aufmerksamkeit zog sich nur auf die bebenden Worte des Zauberers. Seine Stimme klang als werfe sie ihr Echo in einer der stattlichsten Hallen in den Tiefen Morias. Der Boden schien unter den Tiefen zu zittern, die Höhen trieben durch scheinbar luftleeren Raum. Ein jeder Anwesende starrte die aufrechte Gestalt Sarumans mit Ehrfurcht an.

Aivari erkannte erst jetzt bewusst den langen, weißen Stab, den Saruman in seiner linken Hand hielt. Nicht etwa um sich darauf abzustützen – nein. Der Stab selbst schien ihm zu huldigen. Saruman brauchte keine Stütze – er war die Stütze selbst.
An der Spitze des Stabes thronte eine fürstliche, beinahe mosaikartige Verästelung, von einer Beschaffenheit wie von einer anderen Welt. Wenig dergleichen hatte Aivari je zu Gesicht bekommen. Das Muster erinnerte an die Regentschaftszeichen der alten Geschlechter der Menschen, wirkte zugleich erhaben und prunkvoll. Wie eine Insignie der Macht, Herrschaftssymbol eines wahren Weltenlenkers.

Der Stab war von einem reinen Weiß wie der hellste Stern am Himmel, ein Weiß wie es nur in der Sonne selbst lodern konnte.
Keine Sekunde länger konnte Aivari einen Gedanken an diesen Stab verlieren, denn es geschah nichts sonst, wenn Saruman das Wort ergriff.

»Eure Verbündeten habt ihr betrogen. Verrat an der eigenen Sache begangen. Andere Leben aufs Spiel gesetzt, damit ihr in eurem eigenen Elend weiterleben könnt.«
Jedes Wort bohrte sich in die Schädel der Zuhörer hinein, jedes Wort traf sein Ziel wie ein gut vorbereiteter Messerstich.
Saruman stand dort wie aus Stein gemeißelt, ein Monument der alten Baumeister dieser Welt. Er schaute auf sie herab wie die großen Götter von einst es auf ihre Schöpfung getan haben mussten.
»Und doch wird euch eure Einfältigkeit verziehen. Genauso leichtgläubig wie ihr gehandelt habt, werden wir euch leichtgläubig vergeben.«
Seine Stimme wurde überraschend sanfter, der Sturm war binnen Sekunden zu einer leichten Brise geworden. Die Anwesenden atmeten hörbar auf, Erleichterung war in den Gesichtern zu sehen. Nicht wegen dem was Saruman gerade gesagt hatte, sondern wegen dem wie er es gesagt hatte. Alleine das war Absolution, Begnadigung.
»Doch brennt euch eines in euren Verstand ein.«
Genauso schnell wie der Sturm zur Brise geworden war, schien es wieder so, als zuckten Blitze über den Himmel und bahnten sich ihren Weg zu ihren jämmerlich an Holzpfählen kauernden Opfern.
»Sollte es je wieder jemand wagen sich gegen die Befehle Sarumans des Vielfarbigen zu stellen, dann sei euch bewusst, dass meine Barmherzigkeit hier und heute ihr Ende findet. Und eines wollt ihr nicht heraufbeschwören: Meinen Zorn.«
Das letzte Wort sprach der Zauberer mit einer solchen Macht aus, dass Aivari schauderte. Und auch die anderen fuhren unter dem Beben der Stimme zusammen. Bevor irgendjemand reagieren konnte, schlug Saruman mit seinem Stab auf den harten Boden. Ein dumpfer Knall, just in diesem Moment brachen die Ketten, die sie alle an den Holzpfählen hielten, entzwei und gaben ihre geschundenen Hände und Gelenke frei.
Aivari begutachtete einen Augenblick seine von Striemen und Wunden übersäten Handgelenke und als er wieder aufschaute, war von Saruman nichts mehr zu sehen. Es hätte natürlich ohnehin keinen Widerspruch gegeben. Eine Gruppe Menschen, strömte herein, packte jeden einzelnen von ihnen und trieb sie hinaus ins Lager.
Erst jetzt konnte Aivari das Ausmaß des Lagers erkennen, obwohl sie sich scheinbar gerade einmal in den Randausläufern befanden.
Orks, Uruk-Hai und Aivari glaubte sogar einige Trolle in der Ferne entdecken zu können. Es stank nach totem Fleisch, es wurde gebrüllt und geflucht, doch über allem schien eine gewisse Disziplin zu liegen. So wie Aivari Orks kannte nutzten sie jede Gelegenheit sich gegenseitig aufzuspießen, wenn sie nicht von einem mächtigen Gebieter zusammen gehalten wurden. Saruman schien ganze Arbeit geleistet zu haben.

»Du wirst dich Glorfindels Einheit anschließen, Zwerg. Wir werden dich zu seinem Lager bringen.«
Der Mensch, der Aivari gepackt hatte und ihn vor sich her schob, sprach nicht mit Missgunst, aber auch nicht mit Freundlichkeit. Er sprach wie zu einem zweckmäßigen Verbündeten, mit dem er nach dem Kampf ohnehin kein Wort mehr wechseln musste.
Aivari sagte nichts. Er wagte es nicht. Die Worte Sarumans hallten immer noch nach in seinem Inneren, wie ein sich immer wieder neu aufbauendes Echo, das sich zwischen Tälern und Bergen ausbreitet und scheinbar nie ganz verhallt. Er wusste nicht was mit Eddy und den anderen war und es war ihm im Moment auch gleich, solange er dieses fürchterliche Lager verlassen, und Saruman aus dem Weg gehen konnte. Der Zauberer schien nicht gewusst zu haben, dass Aivari kein Deserteur war, oder – was viel wahrscheinlicher war – es hatte ihn schlichtweg nicht interessiert. Es wäre wohl ohnehin auf das selbe Ergebnis hinausgelaufen. Er hatte nichts mit diesem Krieg am Hut und war auch kein Deserteur und doch war er sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob er sich den Reihen der freien Völker nicht womöglich wieder anschließen würde. Nach dem was Eddy erzählt hatte war die Sache für die sie kämpften eine Gute, wenngleich ihre Mittel zum Zweck Zweifel hervorriefen, wie es auch bei Eddy der Fall gewesen war. Eventuell befanden sich andere Zwerge in Glorfindels Reihen... vielleicht befanden sich sogar die Zwerge nach denen er suchte dort. Immerhin hatte ihre Spur ihn letztlich in diese Richtung geführt. Ein Spross der Hoffnung war in ihm aufgekeimt und doch überkam ihn auch die Befürchtung, dass er sich wieder Tod und Zerstörung hingeben musste, um sein letztes Kapitel abschließen zu können...

Link eingefügt

--Cirdan--:
Es war kein Vergnügen vor den Zauberer Saruman gezerrt zu werden und sich für seine Flucht verantworten zu müssen. Wenig Trost fand er auch darin, dass er nicht der einzige Fahnenflüchtige war. Offenbar hatten noch weitere in den letzten Tagen versucht nach Westen oder Süden zu entkommen. Gemeinsam saßen die wiedereingefangenen Flüchtlinge in einem Zelt und warteten auf die Entscheidung ihres Herren.
Eddys Aufgabenbereich Baumeister/Belagerungsmeister und seine Dienstnummer 1-7-3 wurden aufgenommen und eine dicke Notiz unter seinen Namen gesetzt. Seine Tagesration wurde für die nächsten Wochen halbiert. Er bekam unbeliebte Aufgaben wie das Ausheben der Latrinen, aber letzten Endes verzieh Saruman dem jungen Breeländer.
„Aber warte noch bevor du gehst“, sprach der Zauberer zu Eddy, „du sollst sehen was passiert, wenn du mir nicht mehr nützlich bist oder mir nicht gehorchst.“ Daraufhin ließ Saruman einen dürren, zitternden Mann aufstehen und nach draußen führen. Eddy musste folgen. Vor dem Zelt wartete ein Ork, der auf einem großem Wolf, einem Warg, saß. Der Breeländer kannte die Geschichten dieser wilden Bestien. Der dürre Mann flehte, viel vor Saruman auf die Knie und schrie furchterregend, als der Warg über ihn herfiel und mit seinen großen Reiszähnen den Mann zerfleischte. Eddy hatte sich abgewandt, schon gleich zu Beginn, denn er wollte es nicht mit ansehen.
„Mache dich nützlich Baumeister, wenn du nicht als Futter enden willst“, befahl Saruman zu Ed, „gehe zu deinem Trupp und helfe die Zelte abzubauen. Wir brechen noch heute auf in den Wald.“ Den letzten Satz sprach Saruman mit einer Vorfreude, die keiner der Umstehenden zu teilen schien. Ein Dunadan gab Ed sein Schwert und seinen Beutel zurück und führte ihn durch das Orklager der Krieger Sarumans, das etwas weiter nördlich als das Lager der Elben und Menschen lag. „Irgendwann enden wir alle als Futter der Orks und Warge“, sprach Ed zu dem bärtigen Waldläufer, der daraufhin nur grimmig guckte. Nach einer Pause des Schweigens antwortete der Dunadan dann doch: „Irgendwann wird unser Volk in die wiedererrichteten Städte unserer Vorfahren zurückkehren und in Frieden leben.“
 
Der freundliche, alte Lucianus, der Anführer der Belagerungsmeister, trat vor Ed und fragte, wie die Gespräche im Lager der Elben und Menschen abgelaufen waren und wie der Schlachtplan aussah. Eddy war sprachlos. Er wusste nicht, was er auf diese Frage antworten sollte. Weis Lucianus denn nichts von meiner Flucht? Eddy überlegte. Im anderen Lager hatte er kaum etwas wegen der Belagerung von Dol Guldur besprochen. Schlagartig erinnerte er sich, dass er nur deshalb ins andere Lager geritten war und man jetzt einen Schlachtplan von ihm erwartete. Im Menschen- und Elbenlager hatte er so vieles erfahren und erlebt, an das er jetzt denken musste. Nicht zuletzt an die Worte des Rohirrim Cyneric über Saruman und seine wahren Machenschaften. Dass sie alle nur Sklaven seines Willens waren, die dachten für eine gerechte Sache zu kämpfen und letztendlich keine Ahnung hatten was wirklich vor sich ging.
„Eddy?“, fragte Lucianus überrascht nach, denn Ed hatte noch immer kein einziges Wort gesagt. „Packt zusammen“, antwortete Eddy langsam, „wir brechen noch heute auf. Den Schlachtplan erkläre ich später.“
Ed konnte nicht glauben, was er grade gesagt hatte. Jetzt ging es wirklich in die Schlacht. In einen Krieg der Giganten. Sauron und Saruman um die Herrschaft in Mittelerde. Eddy wusste nicht, wie er sich die Schlacht vorzustellen hatte. Er hatte noch keine Belagerung erlebt und wollte es auch nie. Ed stellte sich eine dunkle Festung im nahen Düsterwald vor: Auf dem Dammweg vor dem Tor den Sauron kämpfend gegen den angreifenden Saruman, umringt von Orks, Elben, Menschen und einigen Zwergen, die auf den verschiedenen Seiten kämpften. Und nicht zu vergessen, den jungen Breeländer Ed, der planlos ein selbstgebautes Katapult zwischen kämpfenden Orks in die Schlacht schiebt.
Eddy wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er kam sich so erbärmlich klein und fehl am Platz vor und dennoch gab es jetzt Männer, die auf ihn zählten, die dachten er hätte einen Plan zur Belagerung der Festung. Enttäuschen werde ich sie alle, dachte Eddy.
 
Es dauerte noch einige Stunden, aber dann brachen sie tatsächlich in den großen Düsterwald auf, der seinen Namen völlig zu Recht trug, wie Ed schnell erkannte. Zuerst hatte er sich gefragt, wie er mit seinen Katapulten überhaupt durch dieses Gestrüpp hindurchkommen sollte, aber nachdem zwei der riesigen, zotteligen, einem Troll am ehesten nahekommenden Wesen und Heerscharen von Sarumans Orks durch den Wald marschiert waren, fanden Eddy und seine Begleiter eine breite Schneise vor. Eine ganze Zeit lang folgten sie Katapulte schiebend oder ziehend den Spuren des Heeres, bis sie in ein provisorisches Lager der Orks auf einer Lichtung des Düsterwaldes trafen. Es dauerte nicht mehr lange und dann sah Eddy die wahrhaft dunkle und schreckliche Festung des gemeinsamen Feindes auf einem Hügel vor ihnen.
Es schauerte ihm, bei diesem Anblick und dem Gedanken auf das Kommende. 


Saruman, Helluin, Eddy, Aivari und Lucianus mit dem gesamten Heer Sarumans nach Dol GuldurLink angepasst

Navigation

[0] Themen-Index

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln