Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Der Düsterwald
Waldrand, nahe Dol Guldur
Fine:
Im Lager ging seit kurzem das Gerücht um, dass Saruman aus dem Norden eingetroffen sei. Cyneric war nicht allzu glücklich darüber, er hatte gehofft, dass der Zauberer nach den Vorbereitungen auf der Ebene von Celebrant die Armee Glorfindels ihren eigenen Weg gehen lassen würde. Doch anscheinend wollte Saruman eine engere Zusammenarbeit der beiden Heere, als es den meisten Elben und Menschen lieb war. Er will, dass alles exakt nach seinen Vorstellungen abläuft, dachte Cyneric. Ich hab' kein gutes Gefühl bei der Sache.
Nach dem Ende seiner Wachschicht, die er vor Erkenbrands Zelt verbracht hatte, verbrachte er einige Zeit mit Irwyne, die den Heilern dabei half, Zelte und Unterstände für die Verletzten aufzubauen. Das Mädchen hatte inzwischen ihre frühere Zurückhaltung abgelegt und schien voller Energie für ihre neue Aufgabe zu sein. Cyneric war froh, dass es ihr gut ging. Zumindest für den Moment. Irwynes Fröhlichkeit trug einiges dazu bei, die düstere Stimmung die sich ihm seit der Überquerung des Anduins aufdrängte, in die Schranken zu weisen.
Auf dem Rückweg zu seiner Unterkunft traf er auf Fred, den breeländischen Belagerungsgehilfen, den er vor kurzem kennengelernt hatte. Freundlich begrüßten sie sich und tauschten einige Neuigkeiten aus, bis Fred ihn schließlich einlud, gemeinsam mit seinen Gefährten an ihrem Feuer das Abendessen zu sich zu nehmen, was Cyneric nach kurzem Zögern gerne annahm. Dort angekommen stellte er fest, dass sich die Gruppe um ein weiteres Mitglied vergrößert hatte, denn ein junger Mann mit dunklem Haar und kräftiger Statur war zu ihnen gestoßen seitdem Cyneric die Belagerungsmeister zuletzt gesehen hatte. Fred stellte den Neuankömmling als Eddy aus Archet vor und erklärte, dass er am vorherigen Tag als einer der Begleiter Sarumans eingetroffen war. Dabei sieht er auf den ersten Blick gar nicht aus wie ein treuer Diener der Weißen Hand, überlegte Cyneric. Er erinnert mich mehr an einen der jungen Burschen, die damals dem Ruf des Königs zum Ritt nach Gondor anschlossen.
Er wandte sich Eddy zu, und stellte sich vor. "Mein Name ist Cyneric, Cynegars Sohn. Ich bin ein Gardist der Königin Rohans und in Erkenbrands Diensten hier, des Herrn von Westfold und Isengard."
"Ich bin Ed", antwortete der Mann kurz und völlig überflüssigerweise.
"Haele, Ed," grüßte er in der Sprache der Mark. Einen Moment hielt er inne, dann brachte er zur Sprache, was er gerade dachte: "Verzeiht die Offenheit, doch auf mich wirken Ihr und Eure Gefährten nicht gerade wie... nun, sagen wir, Ihr habt nicht viel mit den Orks Sarumans gemein, oder nicht? Wie kommt es, dass Ihr dem Verr... dem Zauberer dennoch dient?"
"Mit den Orks?", wiederholte der junge Breeländer erschrocken, "nichts habe ich mit denen zu tun. Ich hasse sie." "Und trotzdem folgt ihr Saruman?", fragte Cyneric und schaute den Mann abschätzend an. "Saruman ist der Zauberer? Dann diente ich ihm bislang nicht bewusst. Ich kannte ihn bis vorhin überhaut nicht. Kennt Ihr den Zauberer besser?", antwortete Eddy sichtlich verunsichert.
"Oh, ich kenne ihn nur zu gut, Junge," gab Cyneric resigniert zurück. "Er ist ein Zauberer, das stimmt. Aber keiner von der freundlichen Sorte. Als ich noch jung war, bezeichnete er sich noch als Freund Rohans, doch vor einigen Jahren fing er an, offenen Krieg gegen die Riddermark zu führen," erzählte er Eddy, der ihm aufmerksam zuzuhören schien. "Seine Orks töteten den Sohn des Königs und brannten die Westfold nieder. In der Schlacht um Helms Klamm trugen wir schließlich den Sieg davon, und auch Isengard selbst wurde erstürmt. Doch Saruman der Verräter entkam."
Ohne es recht zu merken wechselte er zur vertraulichen Anrede, während er Eddy weiter berichtete. "Du hast doch bestimmt das Elbenreich Lothlórien gesehen, nicht wahr?" Eddy nickte zustimmend. "Dies ist Sarumans neuste Schandtat. Er vertrieb die Einwohner und machte den Goldenen Wald, Dwimordéne, zu einem Ort des Krieges. Und nun zieht er uns alle in seinen Krieg gegen Dol Guldur hinein."
"Ich kenne mich in deinen Landen des Südens kaum aus. Ich weiß nichts über die Städte und das Volk, aber in Lothlórien war ich tatsächlich", schloss Eddy und Cyneric sah ihm an, dass er über Saruman nachdachte.
Nach einer kurzen Pause fuhr Eddy fort: "Ich bin hier nur so reingestolpert, mir nichts dir nichts."
Cyneric blickte ihn verwundert an. "Heißt das, du bist nicht freiwillig hier?", überlegte er. "Passen würde es zu Saruman, mit List und Täuschung Menschen für seine Zwecke einzusetzen."
Ein Blick in die Gesichter der anderen Männer, die sich nahebei weiterhin über die bevorstehende Belagerung unterhielten zeigte ihm jedoch, dass anscheinend nicht jeder der Menschen unfreiwillig in der Armee des Zauberers diente.
In seinem Kopf verfestigte sich allmählich ein Gedanke und schließlich sagte er mit leiser Stimme zu Eddy: "Bist du auf deinem Weg nach Lothlórien auch durch das Dunland gereist? Stehen die Menschen dort weiterhin in Sarumans Diensten? Du musst wissen, sie sind alte Feinde meines Volkes, und hegen wenig Zuneigung für die Eorlingas."
Der Breeländer überlegte und antwortete schließlich: "Nein, durch Dunland bin ich glaube ich nicht gekommen. Aber ich kenne jemand von dort. Lugaid, ich traf ihn auf meiner Reise hierher. Er war freundlich zu mir und die Menschen aus Dunland sind doch auf unserer Seite und bekämpfen den gemeinsamen Feind. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie sich unserem Bündnis abschwören und euer Land angreifen in diesen schweren Zeiten."
Cyneric schloss für einen Moment die Augen. Er hatte dem Neuen wohl noch so einiges zu erzählen.
--Cirdan--:
Eddy zitterte obwohl er nahe am Lagerfeuer saß. Es war auch weniger die Kühle der wolkenlosen Nacht, die ihn zusammengekauert dasitzen ließ, sondern vielmehr die Berichte des mysteriösen Rohirrim Cyneric. Ed ließ seinen Kopf in den Nacken fallen und verfolgte mit seinem Blick den Rauch des Feuers, der dem sternenklaren Himmel in Richtung des düsteren Waldes entgegen zog.
Wenn Ed den Worten Cynerics glauben konnte, dann war vieles, an das er geglaubt hatte und für das er aus seiner Heimat Archet aufgebrochen war eine riesige Lüge und Täuschung.
Noch vor einem Tag war er so voller Tatendrang, so kampfbereit gewesen und wäre an Seite des großen Heeres von Saruman blind in eine Schlacht gerannt, mit dem festen Ziel etwas richtiges und gutes für die Menschheit zu tun.
Jetzt zögerte er. Eddy hatte noch immer nicht alles verstanden, was Cyneric ihm erzählt hatte und er wusste überhaupt nicht mehr, woran er glauben sollte. Er war verloren, Meilen um Meilen fort von seiner Heimat, die er nun am liebsten nie verlassen hätte. Er fühlte sich alleine, alleine im Blick des Feindes in seiner Festung im Düsterwald und eingequetscht zwischen zwei belagernden Kriegsheeren, die einander wesentlich weniger verstanden, als er geglaubt hatte.
"Ich will dich nicht erschrecken," sagte Cyneric plötzlich, und riss Eddy damit aus seinen Gedanken. "Es fühlt sich nur einfach... seltsam an, mit Menschen in den Krieg zu ziehen, von denen man weiß, dass sie mein Volk hassen." Er hielt einen Moment inne, wie um sich zu sammeln, und fuhr dann fort: "Das ist Sarumans Werk. Nun hat er sogar die Elben dazu gebracht, seinen Zwecken zu dienen, obwohl er erst wenige Monate zuvor einen Angriff auf ihre Heimat geführt hat. Ich weiß nicht, ob dies nicht alles Teil einer noch größeren Täuschung ist. Dies sind schwierige Zeiten."
"Schwere Zeiten", stimmte Eddy zu, "ich verstehe die Welt nicht mehr. Saruman scheint so viele Lügen in meiner Heimat verbreitet zu haben, dass ich überhaupt nicht mehr weiß, was noch wahr ist."
Ed dachte an sein kleines, gemütliches Dorf Archet. Seine Bewohner haben einen völlig verdrehten Blick auf die Welt. Die Menschen dort folgen den Schergen Sarumans um die "Verteidiger" ihres Landes zu unterstützen. Sie wissen nicht, wenn sie helfen oder welches Unheil sie verursachen. Sie sind nur froh, dass der Krieg fern ihrer Grenzen ist.
Cyneric blieb einen Moment still. Schließlich sagte er: "Erzähle mir von deiner Heimat, Eddy. Was leben dort für Leute? Stimmt es, dass sich dort auch viele Menschen aus Rohan und Gondor aufhalten, die vor dem Krieg geflüchtet sind?"
"In Archet hat kurz vor meinem Aufbruch eine Flüchtlingsfamilie aus einem Land namens Anórien ein leerstehendes Haus bezogen", erinnerte sich Eddy. "Die meisten Flüchtlinge werden jedoch abgewiesen", erkläre er traurig weiter, "Bree hat seine Grenzen komplett geschlossen und was nicht gut für Bree ist, dass ist auch nicht gut für uns, wurde immer gesagt. Schon möglich, dass auch viele aus Gondor und Rohan kamen, aber wohin sie gingen, nachdem wir sie abgewiesen haben, weiß ich nicht."
Ed hatte nie so recht über die Flüchtlinge nachgedacht; woher sie kamen und welche Qualen sie durchlebten. Jetzt, wo er darüber nachdachte, fragte er sich, ob er nicht hätte helfen können. Die Schergen des Zauberers Saruman hatten den Menschen im Breeland immer wieder erzählt, wie krank die Fremden waren und dass sie nicht hierher gehörten. Wie blind ich gewesen bin!
"Viele sind nach Norden gezogen, damals als die Horden Mordors die Riddermark überrannten," antwortete Cyneric. "Aber die Menschen Rohans haben sich gesammelt, und unsere Anführer haben uns zu neuem Widerstand ermutigt. Das ist der Grund, weshalb Rohan und Isengard nun wieder frei von den Dienern des Schattens sind. Doch nun haben wir dieses... Bündnis mit Saruman." Der Gardist verzog das Gesicht, und Eddy konnte deutlich sehen, wie sehr ihm die Angelegenheit missfiel.
"Warum habt Ihr denn ein Bündnis mit Saruman?", fragte Ed, denn er konnte sich nicht nach Cynerics Berichten vorstellen, warum sie sich mit ihrem damaligen Feind nun verbündet hatten.
"Das ist eine schwierige Frage, Eddy," antwortete sein Gegenüber und seufzte. "Nach dem Fall von Lórien hielten die Anführer der Elben, Menschen und Zwerge Rat in Aldburg, der Hauptstadt der Riddermark. Schließlich kam Saruman dazu, ein ungebetener Gast, dem aber dennoch Gehör geschenkt wurde - trotz all seiner Schandtaten. Im Krieg muss ein Heerführer manchmal Entscheidungen treffen, die nicht leicht sind, und ich schätze, diese ganze Angelegenheit ist eine davon."
"Und wie soll das Ganze weitergehen?", fragte Eddy nach. "Wird dieses Bündnis in Zukunft aufgehoben und sich wieder bekriegt?", fügte er noch fragend hinzu und überlegte zugleich, ob die Welt nicht irgendwann einmal genug vom Krieg haben wird.
Cyneric antwortete nicht sofort, sondern bedachte Eddy mit einem Blick, den der junge Breeländer nicht genau zu deuten wusste. Hab' ich was Falsches gesagt?
Doch da blickte der Gardist zur Seite und sagte leise: "Ich weiß es nicht, Ed. Ich bin nur ein einfacher Mann, der seine Familie vor Jahren schon verloren hat. Und mit ihr verlor ich fast alles, was mich ausmachte. Meine Fröhlichkeit. Meinen Mut. Meinen Charakter." Er machte eine Pause, und schaute Eddy genau in die Augen. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit leuchteten darin auf. "Der Krieg ist alles, was mir geblieben ist," fügte Cyneric leise hinzu.
Eddy wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Zum Glück verabschiedeten sich in diesem Moment viele der Männer zum Schlafengehen von der anderen Seite des Lagerfeuers. Fred und weitere Männer schlossen sich an, bis Eddy und Cyneric alleine waren. Einer der Belagerungsmeister rief ihnen noch zu: "Macht nicht mehr so lange! Vielleicht ziehen wir schon morgen gegen Dol Guldur!" Danach war es totenstill in dunkler Nacht, die nur durch das inzwischen weit herunter gebrannte Feuer erleuchtet wurde.
Eddy überlegte, was er zu diesem Mann sagen könnte. Für ihn war der Krieg etwas komplett Neues, aber für Cyneric schien es etwas allgegenwärtiges zu sein. Etwas, dass ihm eine Aufgabe gab, eine Daseinsberechtigung.
"Cyneric", begann Eddy zögerlich, "kann es nicht sein, dass auch deine Familie, deine Tochter, aus deiner Heimat geflohen ist? Vielleicht hat sie sich nach Norden, vielleicht sogar ins Breeland, durchgeschlagen?"
"Ich fand keine Spur von ihr, als ich aus dem Krieg in Gondor zurückkehrte," erklärte der Gardist. "Ich... ich habe mir nie wirklich gestattet, daran zu glauben, dass sie es vielleicht nach Norden geschafft hat. Aber... also... sollte sie wirklich in Eriador sein, würde sie auffallen. Sie hatte eine... nun, sagen wir einzigartige Persönlichkeit," fügte er mit einem Gesichtsausdruck hinzu, der schon fast einem Schmunzeln nahe kam. "Dir ist nicht zufällig ein recht aufgewecktes blondes Mädchen mit Vorliebe für schlechte Witze begegnet, als du noch in Eriador warst?"
Eddy überlegte kurz und verneinte dann. Es tat ihm zwar leid, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er seine Tochter gesehen haben könnte war ja ohnehin gering.
"Ich hatte es auch nicht erwartet," sagte Cyneric. "Nach all den Jahren..." Er verstummte und richtete seinen Blick zum nahen Waldrand. "Bist du bereit für das, was kommen wird? Bist du bereit für den echten Krieg?"
Ed schluckte. "Wie könnte ich?", antwortete Eddy schließlich. Vielleicht wäre er bereit gewesen, aber jetzt, jetzt wo er all diese schrecklichen Dinge über seinen Anführer den Zauberer gehört hatte, war er keinesfalls bereit. Er wollte nicht in diesen Krieg ziehen, wollte er ohnehin nie. Aber ihm war inzwischen klar, dass er hier nicht mehr so einfach wieder herauskommen würde. "Was erwartet mich in diesem düsterem Wald?", fragte Eddy den Rohirrim.
"Das kann niemand mit Sicherheit sagen," antwortete dieser. "Der Düsterwald ist ein übler Ort, so viel steht fest. Doch einst haben Elben dort gewohnt, und Saruman hat ihrem König versprochen, nach dem Sieg bei Dol Guldur ihnen den Wald zurückzugeben."
Ed gähnte, nicht bewusst, aber auch nicht sonderlich unauffällig. Cyneric schien es sofort aufzufallen, denn der Mann stand auf und streckte sich. "Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, schlafen zu gehen. Morgen wird bestimmt kein einfacher Tag werden..."
Da stoppte Eddy aber in seinen Bewegungen, denn ihm viel auf, dass er gar nicht wusste, wo er schlafen konnte. Die Dúnedain hatte er nicht mehr wiedergesehen und auch sonst kannte er niemanden der ihm helfen könnte. Cyneric war aufmerksam und wusste gut über die Zustände im Lager bescheid. Der Rohirrim führte Ed zu den Zelten der Feldmediziner, wo noch einige Feldbetten frei waren, da es zum Glück derzeit noch nicht viele Verwundete gab.
Ed dankte Cyneric und wünschte ihm eine gute Nacht, danach legte er sich in das Bett. Noch lange lag er mit offenen Augen dar und dachte nach, bis ihn schließlich die Müdigkeit übermannte.
Fine:
Auf dem Rückweg von den Zelten der Heiler (und nachdem er nach Irwyne gesehen hatte, die bereits fest schlief) begegneten Cyneric nur noch wenige Menschen und Elben, denn es war spät geworden. Das Lager war gut bewacht, wie er festgestellt hatte. Es war mit aufmerksamen Posten umgeben, die sich aus berittenen Rohirrim die in unregelmäßigen Abständen um die Zelte patroullierten, und scharfsichtigen Düsterwald-Elben zusammensetzten, die auch nachts sehr gut sehen konnten. Cynerics Gedanken waren jedoch bei den Ereignissen des vergangenen Abends. Dieser Eddy scheint eigentlich ein freundlicher junger Mensch zu sein, dachte er. Und dennoch hat es Saruman geschafft, ihn für seine eigenen Zwecke zu benutzen. Wir müssen mehr darüber herausfinden wie er das geschafft hat, wenn wir den Verräter eines Tages aufhalten wollen. Er war sich sicher, dass das Bündnis Sarumans mit den Freien Völkern nicht ewig halten würde, auch wenn der Elbenkönig Thranduil anderer Meinung zu sein schien. Und wenn dieser Tag kommen würde mussten sie bereit sein.
In seinem Zelt angekommen legte er sich hin und fiel er ziemlich schnell in einen tiefen Schlaf.
Im Traum fand er sich in seinem alten Haus im Dorf Hochborn wieder, das von der sinkenden Sonne des frühen Abends in rötliches Licht getaucht wurde. Über dem Hargtal schien eine wachsame Stille zu liegen, was Cyneric ein Gefühl tiefer Ruhe vermittelte. Er hörte seine Frau und seine Tochter im Raum nebenan reden und ging hinüber, um sie in die Arme zu schließen. Eine schiere Ewigkeit verging - oder war es nur eine Minute gewesen? Er konnte es nicht sagen. Schließlich rührte sich seine Tochter - Déorwyn - und sagte: "Es riecht hier irgendwie verbrannt." Cyneric blickte auf und erschrak. Das gesamte Haus stand mit einem Mal in Flammen, die grelles, rotes Flackerlicht über die Wände tanzen ließen. Bevor er reagieren konnte stürzte ein Teil des Daches ein und trennte ihn von seiner Familie, die nun hinter hölzernen Trümmern gefangen waren. Verzweifelt versuchte er, sie zu befreien, doch das Feuer kam immer näher und schloss ihn ein...
Er fuhr hoch und fand einen Teil seines Traumes wahr geworden vor. Flammen leckten über die hintere Seite seines Zeltes und ein fackeltragender Ork machte sich gerade daran, das nächste Zelt in der Reihe neben seinem in Brand zu stecken. Schnell griff sich Cyneric sein Schwert welches neben ihm am Boden lag, um den Feind von hinten zu erstechen, als dieser mit einem Mal stürzte. Aus seinem Kopf ragte ein grün gefiederter Elbenpfeil, von einem der Wachposten abgefeuert. Während Cyneric eilig seine Rüstung und seinen Schild anlegte erklangen mehrere elbische und rohirrische Hörner, die einen feindlichen Überfall meldeten. Er rüttelte seinen Kameraden wach, mit dem er das Zelt teilte und löschte mit einer schweren Decke den kleinen Brand den der Ork gelegt hatte. Ein Blick hinüber zum Waldrand im Norden zeigte ihm, dass dort noch viele weitere Orks unterwegs waren die in Kämpfe mit den Nachtwachen verwickelt waren, und der Lärm wurde immer lauter. Gemeinsam mit einigen weiteren Rohirrim eilte er darauf zu und stürzte sich in die Schlacht.
Ein johlender Ork in dunkler Rüstung sprang ihm entgegen. Cyneric machte einen Schritt zur Seite und stieß seinem Gegner die Klinge in den ungeschützten Hals. Schwarzes Orkblut spritzte aus der Wunde hervor als der Ork fiel. Schnell zog er das Schwert heraus und parierte den Axthieb seines nächsten Feindes. Einer der Reiter fegte den Ork mit seiner Lanze im Vorbeiritt zu Boden und Cyneric musste ihm nur noch den Todesstoß versetzen. Im darauffolgenden Gefecht legte er sich mit drei Gegnern gleichzeitig an und bezahlte seine Kühnheit mit einem tiefen Schnitt am rechten Arm, wodurch er sein Schwert verlor. Schritt um Schritt wurde er zurückgedrängt, die Hiebe der Orks mit seinem Schild abwehrend, bis zwei Feinde durch elbische Bogenschützen getötet wurden. Dem dritten rammte er den Schild ins Gesicht und entriss ihm die rostige Waffe, um sie dem Ork durch den Oberkörper zu stoßen. Mit schwerem Atem blieb er einen Moment stehen.
Weiter vorne kämpfte ein hochelbischer Krieger in silberner Rüstung gegen zwei weitere Orks, die seiner meisterlich geführten Klinge wenig entgegenzusetzen hatten. Als Cyneric den Elben erreicht hatte, schlug dieser gerade seinem letzten Gegner in einer geschwungenen Bewegung den Kopf ab. Der Ork ließ das Banner fallen, doch sein Bezwinger fing es auf und hielt es ins Licht. Einer der Reiter war zu ihnen getreten und trug eine Helligkeit spendende Fackel, die nun das Banner erhellte. Als sie sahen, was auf dessen schwarzen Stoff aufgemalt war, blieben sie alle einen Moment still. "Wir hätten es wissen müssen," sagte der Reiter schließlich. "Seine Worte führten uns erneut in die Irre," fügte der Elbenkrieger hinzu. Cyneric wusste nicht, was er dazu sagen sollte, denn eine Mischung aus Wut und Verzweiflung überkam ihn.
Inmitten des Banners prangte die Weiße Hand von Isengard. Saruman hat uns erneut verraten, dachte er verbittert, als er sich wieder dem Kampf zuwandte...
--Cirdan--:
„Schützt die Verwundeten!“, rief eine panische Stimme, die Eddy aus dem Schlaf riss. Die Plane des Zelteinganges wurde zurückgeworfen und ein leuchtend hellroter Lichtschein fiel in das Zelt.
„Ich bin nicht verletzt“, rief Eddy zur Antwort, der nur aus Platzgründen in den Betten für Verwundete geschlafen hatte, „ ich kann alleine aufstehen. Was ist denn los?“
Eine Antwort erhielt Eddy nicht. Er schwang sich aus dem Bett, zog sich das Nötigste über und verließ mit seinem Schwert die Unterkunft. Lange konnte Ed nicht geschlafen haben. Es war noch immer mitten in der Nacht, doch das Lager wurde hell erleuchtet. Das nahebeistehende Zelt brannte lichterloh und auch in einiger Entfernung sah der Breeländer größere Feuerscheine.
„Helft die Feuer zu löschen“, rief ihm ein Mädchen zu, das nur ein paar Jahre jünger als er sein konnte. Viele der bereits Erwachten hatten schon angefangen mit Wasser aus Eimern das Feuer zu bekämpften oder mit langen Holzbrettern die brennenden Zelte zu Boden zu reißen, damit sich das Feuer nicht weiter ausbreiten konnte.
„Was ist hier überhaupt los?“, fragte Eddy. Eine Antwort erhielt er erst, als er an einer annähernden Wasserstelle einen Eimer befüllte. „Das sind Orks Sarumans! Sie greifen uns an!“, rief ein Rohirrim auf seinem Pferd. Und tatsächlich näherte sich in dieser Sekunde eine ganze Gruppe Orks der Wasserstelle. Nicht wenige der düsteren Geschöpfe trugen Fackeln mit sich, mit denen sie wohl auch die Feuer gelegt hatten.
„Das sind nicht meine Orks“, warnte eine tiefe Stimme. Saruman und einige begleitende Dunedain betraten den Platz und stellten sich schützend vor Eddy und die Männer und Frauen, die noch immer eimerweise Wasser holten. „Lasst euch nicht täuschen von den Verkleidungen der Orks! Sie sind aus Dol Guldur, von Sauron geschickt. Glaubt mir; sie tragen die Banner und Zeichen der Weißen Hand nur um Zwietracht zwischen uns zu treiben.“ Mit diesen Worten trat der dunkle Istar den Orks noch einige Schritte entgegen. Seinen Stab ausrichtend und Worte der Macht murmelnd, wischte Saruman die Weiße Hand auf den Rüstungen der Orks davon und ließ die Banner in Asche zerfallen. Mit einem Schwenk des Stabes wurden die ersten drei Orks von den Beinen gerissen und alle Fackeln gelöscht.
Die Dunedain zögerten nicht lange und erschlugen viele der Orks. Die restlichen zogen sich schnell zurück.
„Verbreitet die Nachricht, dass die Orks nicht von Saruman sondern von Sauron aus Dol Guldur geschickt wurden“, sprach der Zauberer zu dem Reiter aus Rohan, der sogleich davon ritt. Die Dunedain und Saruman nahmen die Verfolgung der Orkgruppe auf.
Ed half weiter bei den Löscharbeiten, während er überlegte was überhaupt passiert war: Nach den Worten Sarumans, denen man wie Cyneric sagte sowieso nicht glauben durfte, hatte Sauron den Orks aus Dol Guldur befohlen einen nächtlichen Ausfall zu starten und im Lager der Menschen und Elben Feuer zu legen. Dadurch, dass die Orks das Zeichen der Weißen Hand trugen, sollten die Menschen und Elben glauben, dass Saruman für den Angriff verantwortlich sei und somit ihr Bündnis verriet.
Fine:
Cyneric zog das Schwert aus der Kehle des Orks, mit dem er gerade gekämpft hatte, und sein Gegner brach tot vor ihm zusammen. Noch immer tobte das Gefecht um ihn herum, doch inzwischen begannen die verbliebenen Streitkräfte Dol Guldurs den Rückzug in den Schutz der dunklen Bäume anzutreten, wo ihnen die flinken Reiter Rohans weniger gut folgen konnten.
"Der Angriff ist zurückgeschlagen!" rief der Elbenkrieger, der einige Zeit an seiner Seite gekämpft hatte und reckte siegessicher eine Faust zum Himmel. Rings um sie herum kamen die Kämpfe zum Erliegen und eine letzte Pfeilsalve rauschte ihnen um die Ohren als sie einige der fliehenden Orks fällte. Schließlich erklang ein lauter Hornstoß von der Mitte des Heerlagers her. Erkenbrands Horn, dachte Cyneric und eilte so schnell er konnte darauf zu.
Die Heerführer die aus Aldburg gekommen waren hatten sich an Erkenbrands Zelt eingefunden, doch als Cyneric eintraf schienen sie noch nicht miteinander gesprochen zu haben. Er sah viele betretene Gesichtsausdrücke bei den Männern und Frauen in dr Nähe. "Wie schlimm ist es?" fragte Elfhelm schließlich. "Nicht so schlimm, wie der Feind gehofft hatte, doch schlimmer als wir es uns leisten können," antwortete Glorfindel niedergeschlagen. "Sie haben uns gründlich überrascht und wie Kinder sind wir auf ihre List hereingefallen. Sicherlich steckt der feindliche Heerführer, der Mornadan Varakhôr dahinter."
"Das denke ich ebenfalls," sagte Saruman, der gerade hinzu getreten war. "Sein Plan war gut - denn nur wenig Vertrauen bestand hier im Lager zu dem Bündnis mit meinen Orks. Ich musste selbst eingreifen, um den Schaden in Grenzen zu halten und die Täuschung aufzuheben."
Cyneric hatte auf dem Weg zu Erkenbrands Zelt das Gerede gehört. Die Männer hatten gesehen, wie Saruman den feindlichen Täuschungszauber gebrochen hatte und mit seiner Macht gegen die feindlichen Orks vorgegangen war. Die Stimme des Zaubereres hatte ihre Wirkung nicht verfehlt.
"Wir müssen nun umso vorsichtiger vorgehen, jetzt da wir wissen, wie gefährlich der feindliche Kommandant ist," sagte Erkenbrand. "Die Wachen müssten aufmerksamer sein. Außerdem sollte ihre Zahl verdoppelt werden," schlug Thranduil vor. "Einen weiteren nächtlichen Überfall können wir uns nicht leisten."
"Lasst äußerste Vorsicht walten," fügte Saruman hinzu. "Bewacht das Lager und geht nicht weiter in den Wald hinein. Ich werde einige Vorkehrungen treffen, die unseren Marsch auf die Festung Saurons vereinfachen werden. Wartet auf mein Zeichen zum Aufbruch." Mit diesen Worten drehte sich der Zauberer um und verschwand mitsamt seinen Dúnedain-Begleitern in Richtung Norden.
Die Heerführer beratschlagten sich noch eine Weile über den Zustand des Lagers und die Verwundeteten, die es in dieser Nacht gegeben hatte. Schließlich wurde beschlossen, dass jene, bei deinen keine Hoffnung auf allzu baldige Heilung bestand, mit einer kleinen Gruppe nach Aldburg zurück geschickt werden sollten, da sie nicht alle in Zelten unterbringen konnten. Zu viel Schaden hatten die Fackeln der Orks angerichtet, und Platz wurde knapp im Lager. An einen baldigen Aufbruch des Heeres war vorerst nicht zu denken.
Cyneric blieb wach, denn die Sonne ging bereits auf. Er fand Irwyne bei den Zelten der Heiler, wo sie gemeinsam mit vielen anderen Helfern beim Wiederaufbau eines eingestürzten hölzernen Unterstandes half. Kaum hatte das Mädchen ihn erblickt rannte sie mit einem teils besorgten, teils erleichterten Gesichtsausdruck auf ihn zu und schlang die Arme um ihn. "Cyneric! Du bist verletzt," sagte sie mit Blick auf den Schnitt an seinem Arm. "Nur ein Kratzer," antwortete er leichthin, ließ jedoch zu, dass sie die Wunde reinigte und verband. "Du solltest mal den anderen sehen. Der hat seinen Kopf verloren!"
Irwyne schien nicht zu Scherzen aufgelegt zu sein. "Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich hörte, dass wir angegriffen werden," erklärte sie. "Hast du gut gekämpft und viele Orks erschlagen?" "Ein paar habe ich erwischt." Irwyne nickte zufrieden. "Je weniger es von ihnen gibt, umso besser."
Sie verbrachten den Vormittag bei den Heilern und halfen, wo sie konnte. Langsam erholte sich das Heerlager vom nächtlichen Überfall, und es kehrte wieder eine Art von Routine ein. Cyneric sah Eddy nicht wieder, doch Irwyne erzählte ihm, dass der junge Breeländer den nächtlichen Angriff unbeschadet überstanden hatte. Das ist gut, dachte er. Er war ein interessanter Gesprächspartner. Auf eine Art freute er sich, sich vielleicht bald wieder mit Eddy zu unterhalten.
Schließlich kam der Mittag und er machte sich auf den Weg, für sich und Irwyne etwas zu Essen zu suchen.
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