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Geschichtsthread
Der Dunkle König:
Für mich klingt deine These jedenfalls ganz plausibel, Raschi; wesentlich mehr kann ich dazu auch nicht sagen. Das ist auf jeden Fall ein interessantes Thema, und als mir persönlich das erste mal aufgefallen ist, dass die Engländer ihre Majestäten genauso anreden wie den "Pöbel", war mein erster Gedanke, glaube ich: Die haben aber wenig Respekt vor ihren Adligen. Vom Fehlen des Siezens ganz zu schweigen... Zu der Frage, was die Briten denken, damit zu sagen: Denen wird das wohl kaum auffallen, es ist ja ganz normal für sie. Mir kommt es aber eher so vor, als würden sie jeden Duzen. Grammatikalisch mag das "You" ja ein Majestätsplural sein, von der Verwendung her, denke ich, ist aber einfach ein "Du".
Was das angeht, das Tolkien Deutsch so gern gehabt hätte, das habe ich auch schon gehört, habe allerdings auch keine Quellen. Er hat ja Margaret Carroux auch bei der deutschen Übersetzung selbst beraten. Bei dem Thema fällt mir wieder die Sache ein mit dem "Auenland", das auf Englisch "Shire" heißt, also einfach "Grafschaft" - ich glaube, in den Anhängen zu Herr der Ringe ist da irgendwo eine Fußnote von Carroux, wo steht, dass die beste wörtliche Übersetzung der deutsche "Gau" wäre, der aber heutzutage ja negativ konnotiert ist. Oder, dass - wie ich glaube, gelesen zu haben - Tolkien die Entversammlung lieber "Entthing" statt "Entmoot" genannt hätte, nach dem germanischen Thing, das aber im englischen nicht möglich war - vielleicht, weil es wie "Ding" klingt. Im Deutschen heißt es ja "Entthing".
(Palland)Raschi:
Interessant finde ich aber dann doch, dass die Engländer im "Vater Unser" auf das "Du" zurückgreifen. Und hier stellt sich mir dann die Frage: Ist das wohl aus Tradition so, weil man im Zeitpunkt der Christianisierung der britischen Inseln sich noch geduzt hat, oder gibt es offenbar doch irgendeine Abstufung der Qualität einer Nähebeziehung. Denn meines Wissens nach duzt ein Brite niemand anderen als den lieben Gott, zu dem er ja ein geradezu intimes Verhältnis haben muss, wenn er seine Ehefrau oder seine Kinder ihrzt.
Ich persönlich würde die Frage mit einer Synthese aus beidem beantworten.
Nur ergibt sich dann bei dem ganzen eine interessante Folgefrage:
Jede mir näher bekannte moderne europäische Sprache kennt ein höfliches "Sie", ein eher informelles "Du" und ein respektvolles "Ihr".
Welche Besonderheit gab es wohl in der britischen Geschichte, die dazu geführt hat, dass sich in der modernen Sprache nur letzteres erhalten hat.
Denn eigentlich kamen die Angelsachsen ja weniger gut mit ihren normannischen Herren zurecht. Wer die Geschichte von "Robin Hood" kennt, wird praktisch direkt auf diesen Konflikt gestoßen, den Normannen und Angelsachsen gegeneinander ausfochten.
Aber wenn man sich so gar nicht ausstehen kann, wieso übernimmt man dann ein Wort des anderen und ersetzt ein eigenes sehr persönliches Personalpronomen ?
Oder gab es eine Art Sprachzwang unter der normannischen Herrschaft ?
Tolkien benutzt ja in seinen Werken selbst das Englische "Du". Hier ist natürlich fraglich warum er das tut. Ob man es einfach bei der Erklärung belassen kann, dass er sich an eine altertümliche Sprache anlehnen wollte, um das Werk "mythischer" wirken zu lassen ?
kolibri8:
Das ist doch ein alter Hut Raschi :P.
Steht sogar schon bei Wikipedia.
you oder ye ist allerdings schlicht 2. Pers. Pl. und leitet sich vom AE ġē ab, das genau wie ye als ji gesprochen wird (im übrigen holländisch jij oder gij). Kommt also nicht aus dem Französischen.
Das altenglische ġē leitet sich wiederum vom Proto-Germanischen *jīz ab, aus dem sich in der deutschen Linie schließlich das altdeutsche ir (z zu r und j fällt weg) und das Neuhochdeutsche ihr entwickelt.
--- Code: ---
*jūz
(Proto-Germanisch)
____|____________
| |
jūs *jīz
(Gotisch) (Nord- und West-
Germanisch)
_________________________|___________________________________________________________
| | | | | |
ġē jī gī gī ir ér/þér
(AE) (Altfrisisch) (AS) (ANL) (AHD) (AN)
| __________|__________ | | | __________|______________________
| | | | | | | | | | |
ȝe, ye jie jim, jimme gī gi, ghi ir þér tær īr I dere/de
(ME) (Saterland- (Westfris.) (MND) (MNL) (MHD) (Isl.) (Fär.) (ASW) (Dän.) (Nor.)
_____|___ friesisch) | | | | (Bokmål/Nynorsk)
| | | | | |
ȝe, ye ye, you ji, jie jij, gij, jullie ihr ni, I
(Scots) (Engl.) (ND) (NL) (NHD) (Sw.)
|
|
jy, julle
(Afrikaans)
--- Ende Code ---
Ein Pluralis Majestatis ist es im übrigen nur, wenn Aussagen über die eigene Person gemacht werden, aber nicht in einer Anrede. z. B.: Wir, Friedrich II. Von Gottes Gnaden König in Preußen, erlassen dies und das..
Eine Unterscheidung zwischen formeller und informeller Sprache gibt es, wie du richtig sagst in den meisten Sprachen. Im Englischen nennt man das übrigens T–V distinction. In den meisten mir bekannten Sprachen wird dabei standartmäßig die Pluralform verwendet. Zum Teil mit dem Effekt, dass die Pluralformen die Singularformen auch im Informellen ersetzen und neue Pluralformen gebildet werden (wie im Niederländischen, jej verdrängt du [sprich dü/dy], und wird im Plural von jullie [jej+lui Ihr Leute] ersetzt, oder in einigen amerikanischen Dialekten mit yinz oder y'all).
(Palland)Raschi:
Danke erst mal an den fleißigen Geschichtsstudenten, der mir kurz eine detaillierte Herleitung des "you" aufzeigt. Es zeigt sich mal wieder, dass die offensichtliche Lösung, in der Sprachwissenschaft nicht immer die korrekte ist.
Pluralis Majestatis war in dem Kontext tatsächlich nicht der richtige Begriff, aber gemeint war eben die höfische Anrede.
Warum allerdings die Briten im 17. Jahrhundert, wie es der Wikipedia Artikel schreibt, den Wechsel auf "you" so umfangreich vollzogen haben, dass sie heute praktisch kein grammatikalisches "Du" mehr haben, konnte ich noch nicht erkennen.
Es muss also auf der Insel irgendwas anders gewesen sein, als in den übrigen europäischen Ländern, wo in der modernen Sprachform sich alle Anreden erhalten haben.
Yoruba:
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_englischen_Sprache#thou_und_ye
Wenn dich das interessiert, kannst du dir mal das Oxford English Dictionary oder The Cambridge History of the English Language anschauen, da wird auf so was ausführlich eingegangen.
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