Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Umbar

Auf den Straßen von Umbar

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Eandril:
Edrahil vom Hafen...
Valion und Valirë vom Anlegeplatz

Es dauerte nicht lange, bis Edrahil fand was er suchte. Als er schnellen Schrittes und schwer atmend aus einer Seitengasse auf die große Hauptstraße, die vom Hafen nach Norden führte, trat, sah er zwei gut gerüstete Gestalten, die sich einige Meter vor ihm mit größter Selbstverständlichkeit durch die Menge bewegten. Als ob sie es gewohnt waren, dass man ihnen Platz machte - was angesichts ihrer Waffen und Rüstungen auch meistens geschah. Die Tatsache, dass eine der beiden Personen zwei Kurzschwerter trug und die andere eine längere gebogene Klinge umgeschnallt hatte, rührte irgendetwas in seinem Gedächtnis, doch für den Moment kam er nicht darauf, was es war.
Er folgte den beiden in ausreichendem Abstand, erleichtert dass sie es tatsächlich nicht eilig zu haben schienen. So konnte er ein wenig durchatmen, und sein schmerzendes Knie etwas beruhigen. Während der ganzen Zeit behielt er die beiden aufmerksam im Auge, und wurde schließlich belohnt, als der Mann mit den zwei Kurzschwertern sich kurz umwandte um einen Lastenträger der ihn angerempelt hatte, zu beschimpfen.
"Oh nein", murmelte Edrahil vor sich hin, als er trotz der schwachen Beleuchtung Valion vom Ethir erkannte. "Der hat mir gerade noch gefehlt..."
Das neben Valion musste dann seine Schwester Valirë sein, die auch nicht viel besser als ihr Bruder war. Er erinnerte sich noch gut an die Streiche und Frechheiten der beiden, als sie Kinder gewesen waren, und nach allem was er wusste waren sie als Erwachsene nicht viel anders als damals. Er musste grinsen, als ihm ein Gedanke kam. Wie hofften diese beiden eigentlich, ihn, den Meister der Flüsterer in einer Stadt wie Umbar zu finden? Sie hatten Glück, dass er sie vorher gefunden hatte.
Das Grinsen verschwand auch nicht, als er beobachtete wie die Zwillinge eine Taverne am Straßenrand ansteuerten. Wenn er sie richtig einschätzte, würden sie es nicht mit ein paar Schlucken Wein gut sein lassen - und dann wären sie ihm hilflos ausgeliefert.

Verlinkung ergänzt

Fine:
Den ganzen Weg vom Hafen die große Hauptstraße hinunter verbrachte Valion damit, sich einen Weg durch die Massen zu bahnen. Bereits nach wenigen Minuten wünschte er sich die sauberen und geregelten Straßen Dol Amroths zurück.
"Hier sind einfach zu viele Leute unterwegs," beschwerte er sich nachdem ihn ein Lastenträger angerempelt hatte.
"Sonderbar, dass die Sache am Hafen nicht mehr Schaulustige angelockt hat," kommentierte seine Schwester. "Als wäre es normal, dass hier ab und zu ein Schiff in Flammen aufgeht."
"Kein Wunder in der Stadt der Korsaren," meinte Valion und schob einen Mann beiseite, der ihm im Weg stand. "Hier scheint wirklich nur das Recht des Stärkeren zu gelten."

Sie legten keine besondere Eile an den Tag. Die Überfahrt von der Insel steckte ihnen noch in den Knochen und Valion hatte keine Lust auf eine anstrengende Sucherei.
"Wo mag sich Edrahil wohl herumtreiben?" überlegte er laut.
"Wahrscheinlich steht er hinter dem Thron des Herrn von Umbar und flüstert ihm vergiftete Worte ins Ohr," sagte Valirë mit einem Lächeln. "Der alte Spion suchte sich schon immer gerne einen Platz aus, von dem er alles überblicken konnte. Erinnerst du dich an die Sache mit dem Festessen?"
Valion nickte. Natürlich erinnerte er sich. Ganz Tolfalas hatte noch über ein Jahr vom berüchtigten "Braten-Vorfall" geredet. Es war das Meisterstück der Zwillinge und Erchirions gewesen.
"Hätte Edrahil nicht diesen Posten auf dem Turm aufgestellt, wäre die ganze Sache niemals herausgekommen," murrte er.
"Ein Erfolg war es aber allemal," sagte Valirë. "Ich wünschte, Amrothos wäre hier, damit ich ihn daran erinnern könnte!"
Sie lachten und zogen weiter die Straße entlang.

"Du schlägst also vor, zum Palast zu gehen?" wollte Valion einige Meter weiter wissen. "Was soll das bringen?"
"Na, überleg doch mal, kleiner Bruder. Edrahil hat seine Augen und Ohren überall, davon können wir ausgehen. Vielleicht er ja auch schon vom Vorfall am Hafen gehört, dort konnten wir aber nicht bleiben ohne Bekanntschaft mit dem hiesigen Kerker zu machen. Den Palast hingegen wird Edrahil sicherlich ganz besonders überwachen. Wenn wir uns also in der Nähe sehen lassen, wird er wahrscheinlich auf uns aufmerksam werden."
"Sehr wahrscheinlich sogar," stimmte Valion zu. "Also gut. Statten wir dem Palast einen Besuch ab."

Sie schlenderten ein Stückchen weiter bis Valion unerwartet stehen blieb.
"Wohin geht es denn überhaut zum Palast? In welche Richtung müssen wir gehen?" stellte er die Fragen die ihm in die Gedanken gestiegen waren.
Valirë verharrte einen Augenblick in ihrer Bewegung, dann drehte sie sich zum ihm um. "Das... ist eine gute Frage," sagte sie dann.
Sie kannten sich in Umbar nicht aus. Da die Straße von hohen Stadthäusern gesäumt war konnten sie auch nicht nach einem Gebäude Ausschau halten, das Ähnlichkeiten mit einem Palast hatte.
Valion kratzte sich grüblerisch am Kinn. Denke wie Edrahil, schoss es ihm durch den Kopf.
"Wir müssen uns einen Überblick verschaffen," verkündete er. "Kannst du irgendwo einen Turm oder etwas Ähnliches sehen?"
"Nein, ich kann nicht über den Rand dieser Häuser hinwegsehen," gab seine Schwester zurück.
"Dann müssen wir uns diese Informationen woanders beschaffen," entschied Valion. "Wie wäre es mit der Taverne da drüben? Dort könnten wir anfangen."
"Gute Idee, Bruder," sagte Valirë. "Ich bin sowieso am Verdursten."

Sie betraten eine kleine Schenke am Straßenrand. Der Raum war von einigen wenigen Gestalten bevölkert die am Tresen lehnten. Alle Augen wandten sich den Zwillingen zu als Valirë die Tür aufstieß. Die Blicken galten vor allem ihren Waffen und ihrem Auftreten. Das Gerede senkte sich zu einem Getuschel herab, doch ganz still wurde es nicht. Als sie den Tresen erreichten, begann die Lautstärke bereits wieder zuzunehmen und hatte kurz darauf wieder ihr vorheriges Niveau erreicht.
Der Schankwirt sagte etwas in einer südländischen Sprache, die Valion nicht verstand.
"Sprich Westron, Wirt," knurrte er. "Und beschaff' uns etwas zu trinken. Na los!" Er schob dem Mann mehrere goldene Münzen zu und dieser beeilte sich, der Bitte nachzukommen. Wenig später kehrte er mit diversen alkoholischen Getränken wieder. Valion nickte zufrieden.
"Suchen wir uns ein Plätzchen, vielleicht dort hinten in der Ecke bei den Sitzkissen," schlug er Valirë vor.
"In Ordnung. Trinken wir ein wenig und hören uns dann nach Edrahil und dem Weg zum Palast um," sagte sie.

Eine Stunde und viele Krüge später hatten die Zwillinge zwar nicht den Weg zum Palast, dafür aber einen Haufen neue Freunde gefunden. Auf Valions Schoß saß ein dunkelhaariges, leicht bekleidetes Mädchen und hauchte ihm Worte in einer Sprache Harads ins Ohr. Er stieß mit seinem Sitznachbarn an, einem umbarischen Händler aus der Oberstadt, und reckte das Gefäß der Runde entgegen, was laute "Prost!"- Rufe und begeisterte Laute zur Folge hatte. Valirë saß auf den Schultern eines breit gebauten Korsaren und leerte ihr Weinglas, um es dann mit voller Wucht gegen eine Wand zu schleudern. Die Zwillinge waren bester Laune.
"Hier weiß man offenbar noch, wie man Spaß hat!" rief Valion und schenkte sich neu ein.
Einige ihrer neuen Freunde hatten ihnen bereits versprochen, sie zum Palast zu führten, doch Valion und Valirë hatten beschlossen, dass solch eintönige Angelegenheiten warten konnten bis sie ihre Ankunft in Umbar angemessen gefeiert hatten. Edrahil und Lothíriel zu finden würde anschließend ein Kinderspiel werden...

Eandril:
Als die Zwillinge die Taverne betreten hatten, schlenderte Edrahil langsam die Straße auf und ab, gab vor sich für die Waren verschiedener Händler zu interessieren, und behielt dabei immer die Schenkentür im Blick.
Wie erwartet ließen sich die beiden längere Zeit nicht blicken - allerdings wurden die Geräusche aus der Taverne immer lauter und fröhlicher. Offenbar waren die anwesenden trotz der frühen Stunde bereits in Feierlaune. Schließlich hatte er auch den letzten Stand besucht, und beschloss die Schenke nun selbst aufzusuchen. Inzwischen mussten die Zwillinge genug getrunken haben, dass er mit ihnen leichtes Spiel hätte.

Er trat ins Dämmerlicht der Taverne und schloss möglichst leise die Tür hinter sich. Valion und Valirë auszumachen fiel ihm nicht schwer, denn aus ihrer Ecke drang mit Abstand der meiste Lärm.
"Wein", sagte er zum Wirt auf der anderen Seite des fleckigen Tresens, und schob ihm eine Silbermünze zu.
Der Wein war sauer und geschmacklos, und obwohl Edrahil unwillkürlich das Gesicht verzog, beschwerte er sich nicht. Schließlich war er nicht zum Vergnügen hier. Er lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen und beobachtete die mit Sitzkissen ausgelegte Ecke, in der die Zwillinge vom Ethir sich anscheinend köstlich amüsierten.
Ein Weinglas, von Valirë geworfen, zerschellte klirrend an der Wand, und der Wirt hinter Edrahil murmelte etwas von "Die Wache rufen".
Bevor er jedoch zur Tat schreiten konnte, drehte Edrahil sich zu ihm um. "Die beiden gehören zu mir, und ich komme für den Schaden auf." Er legte ein paar Goldmünzen auf den Tresen, die der Wirt sofort einsammelte, und fügte hinzu: "Es gibt keinen Grund die Wache zu rufen, ich sorge dafür dass sie hier verschwinden." Jede einzelne Münze würde er sich von Valion zurückholen.
Der Wirt nickte mit griesgrämiger Miene, und antwortete: "Von mir aus, aber macht es sofort. Sonst muss ich doch die Wache rufen."

Edrahil stand auf, und ließ seinen Wein nahezu unberührt stehen. Er ging langsam entlang der Wand, doch seine Vorsicht war unbegründet, denn weder Valion noch Valirë schienen irgendetwas außerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung wahrzunehmen. Vermutlich hätten sie es nicht einmal bemerkt, wenn Edrahil auf einem weißen Ross unter Trompetenklängen in die Taverne geritten wäre, aber Vorsicht war nun einmal seine Art.
Leise kam er von hinten auf Valion zu, der dem nicht weniger betrunkenen Händler neben sich zuprostete und zog unauffällig mit der linken Hand seinen Dolch. Weder Valion, der von dem sehr leicht bekleideten Mädchen auf seinem Schoss abgelenkt wurde, noch Valirë, die versuchte den Korsaren, auf dessen Schultern sie saß, mit den Fersen zum Tanz anzutreiben, bemerkten ihn. Edrahil ging hinter Valion in die Hocke und legte ihm dann mit einer raschen Bewegung den Dolch an die Kehle.
"Willkommen in Umbar, Valion Cirgon", sagte er leise, und fügte dann laut genug, um die Feiernden zu übertönen: "Alle, die nicht Valion oder Valirë heißen: Sofort raus. Der Wirt hat die Wache gerufen", log er schamlos. "Sie sind bereits auf dem Weg hierher, und wenn ihr nicht die nächsten Tage in einer Zelle verbringen wollt, solltet ihr auf der Stelle hier verschwinden."

Fine:
Als er das kalte Metall an seinem Hals spürte erstarrte Valion mitten in der Bewegung. Wie ein Schleier fiel die Trunkenheit von ihm ab und er konnte ganz klar erkennen, in welcher Lage er sich befand. Die Korsaren stoben auseinander und in erstaunlich kurzer Zeit waren die Zwillinge mit Edrahil alleine in der Taverne.
"Edrahil! Wie ... schön!" murmelte Valirë, ein schiefes Lächeln im Gesicht.
"Nimm die Klinge da weg bevor noch jemand verletzt wird, alter Mann," stieß Valion angespannt hervor.
"Eins nach dem anderen, mein Junge", gab Edrahil zurück, und machte keine Anstalten die Klinge von Valions Hals zu nehmen. "Zuallererst möchte ich wissen, in wessen Auftrag ihr hier in Umbar seid. Und zwar leise, wenn ich bitten darf."
"Was ist los? Warum denn so ...feindselig?" stammelte Valirë und ließ sich auf einen Stuhl gegenüber von Edrahil fallen. "Imrahil... schickt uns."
"Ganz genau," ergänzte Valion durch zusammgebissene Zähne. "Wir sind wegen Lothíriel hier. Sie wurde entführt. Wusste der große Herr der Spione das etwa nicht?"
Edrahil nahm langsam das Messer von Valions Hals, ohne die Haut auch nur ein winziges bisschen einzuritzen. "Ich bin nicht feindselig, sondern vorsichtig", sagte er an Valirë gewandt. "Aber so etwas kennt ihr jungen Narren wahrscheinlich nicht..." Er verstummte, als Valions Worte langsam zu ihm vordrangen.
"Sie wurde... WAS?" Für einen Augenblick vergaß er selbst, leise zu sprechen, fing sich aber gleich wieder. "Ich bringe Amrodin um...", brachte er durch zusammengebissene Zähne hervor, und meinte damit seinen Stellvertreter als Herr der Spione in Dol Amroth.

"Ihr wusstet es tatsächlich nicht," sagte Valion abschätzig und stand langsam auf. Er ging zu seiner Schwester hinüber und zog ein Fläschchen aus seiner Tasche. "Trink, Valirë. Wird Zeit, dass du wieder geradeaus schauen kannst."
Sie leerte das Gefäß in einem Zug und verzog das Gesicht. Doch ihr Blick klärte sich einige Augenblicke später.
"Also gut, Edrahil," sagte Valion, der sich den Hals rieb. "Da Ihr uns nun gefunden habt eher wir Euch finden könnten ist es umso besser. Habt Ihr irgendetwas mitbekommen, was auf Lothíriels Ankunft in Umbar hindeuten könnte? Sie wurde vor einer Woche per Schiff aus Dol Amroth entführt."
"Noch nichts", antwortete Edrahil unwillig. "Aber das mag daran liegen, dass ich hier meine Haut riskiert habe und sogar bis in Hasaels Kerker gegangen bin, während ihr in Gondor auf der faulen Haut gelegen habt." Er atmete tief durch, und versuchte den Zorn zu beherrschen, der ihn bei Valions ersten Worten gepackt hatte. Die Zwillinge waren schon immer dreist gewesen, und dass sich über sich selbst ärgerte weil er nichts davon gewusst hatte, machte Valions Spitze noch schlimmer.
Mit einem bedeutungsvollen Blick auf den Wirt, der nun hinter seinem Tresen schmutzige Gläser auswischte, fügte er hinzu: "Wir sollten unter vier - Verzeihung, sechs - Augen weiterreden. Aber zuerst möchte ich wissen, wie der Fürst darauf gekommen ist, ausgerechnet euch auf die Suche nach seiner Tochter zu schicken."

Edrahilr steckte den Dolch, den er bislang in der Hand gehalten hatte, zurück in die Scheide. "Ich könnte zwar ein paar Kämpfer zur Unterstützung gebrauchen, aber mir wäre jemand lieber gewesen, der weiter als bis zum nächsten Glas Wein denken kann," sagte er.
Valion verschränkte die Arme, doch es war Valirë die antwortete: "Was soll das denn bitte bedeuten? Wir waren auf der Suche nach Informationen."
"Imrahil schickt uns, weil wir die beste Option für ihn waren. Wir haben die Anduin-Mündungen zurückerobert und sogar einen von Saurons geflügelten Schatten in die Flucht geschlagen. Ihr werdet Lothíriel aufspüren, wie Ihr es immer getan habt, und dann helfen wir Euch, sie zu befreien. Ein Schiff wartet außerhalb der Meerenge von Umbar auf mein Signal."
Valirë nickte. "Kennt Ihr denn einen Ort wir ungestört sind? Dann könnt Ihr uns dort in euren meisterhaften Plan einweihen."
Edrahil biss zornig die Zähne zusammen, als er Valion von der Rückeroberung Ethirs erzählt hatte. Der Junge versuchte tatsächlich sein unbedachtes Handeln, dass den brüchigen Waffenstillstand mit Mordor gehörig ins Wanken gebracht hatte, als eine gute Tat darzustellen. Edrahil fragte sich, ob Valion wirklich so naiv war, das zu glauben, oder ob er ihn bewusst anlog. Eigentlich war bei ihm beides zu erwarten.
Edrahil ging trotz seines Ärgers für den Moment darüber hinweg, und sagte: "Ich kenne tatsächlich einen Ort, wo wir ungestört sind, auch wenn ich fürchte dass er nicht mehr lange geheim sein wird, wenn ihr erst einmal dort gewesen seid..." Er seufzte, und ging zur Tür der Schenke. "Also los."
"Na komm, Valirë," sagte Valion und zog seine Schwester vom Stuhl hoch. Gemeinsam verließen sie die Taverne und folgten Edrahil zurück auf die Straße und durch das Gewirr der Stadt.


Edrahil, Valion und Valirë zu Edrahils Versteck

Fine:
Valion und Valirë aus Edrahils Versteck


Die Zwillinge betraten die Straße und blickten sich um. Es war voll, voller noch als vor einer Stunde als Edrahil sie hier entlang geführt hatte. Der Junge, der Edrahil alamiert hatte, zog an Valirës Arm. "Hier, hier!" rief er und lief in Richtung einer der Seitengassen los. Eilig folgten sie ihm, die Waffen griffbereit. Es ging um mehrere Ecken, und je näher sie kamen, desto lauter hörten sie den Aufruhr von mehreren aufgeregten Stimmen.

"Lasst mich in Frieden, ihr Hunde!" Das war Bayyins Stimme. Sie umrundeten im Laufschritt die letzte Ecke, die Schwerter gezogen. Da war der Schreiber, von fünf vermummten Gestalten an die Wand gedrängt und. Seine Peiniger hatten Dolche und Krummsäbel auf ihn gerichtet und waren offensichtlich drauf und dran, Bayyin ernsthaft zu verletzen. Valion erfasste die Lage mit einem schnellen Blick, nickte seiner Schwester unmerklich zu und handelte dann, ohne zu zögern. Seine linke Klinge verließ dank einer gut geübten Bewegung des Handgelenks seinen Griff, drehte sich in der Luft und durchbohrte den Kopf des vordersten Banditen. Ehe sich die anderen von ihrem Schock erholt hatten waren die Zwillinge schon heran. Valirë schwang Gilrist in einem geschwungenen Bogen nach oben und ein weiterer Mann brach tot zusammen, eine tiefrote Linie vertikal über seinen Körper. Valion parierte einen schlecht gezielten Schlag und verpasste dem Dritten einen heftigen Fausthieb, drehte sich um die eigene Achse und zog dabei sein zweites Schwert aus der Leiche seines ersten Opfers. Auch seine rechte Hand war nicht untätig geblieben und als er neben Bayyin zum Stehen kam fehlte dem dritten Banditen der Kopf.

Die letzten beiden Räuber nahmen Ausreiß.
"Sie haben meine Tasche! Da sind all meine wichtigsten Aufzeichnungen und Schriften drin!" rief Bayyin verzweifelt.
"Verfolge du diese Banditen weiter, kleiner Bruder," sagte Valirë. "Ich bringe unseren Freund hier in Sicherheit und beschütze ihn."
Valion nickte und nahm die Verfolgung auf. Erst einige Meter später fiel ihm Valirës Betonung auf, doch er hatte nun wirklich keine Zeit um umzukehren.
"Komm, Schreiber," hörte er die Stimme seiner Schwester hinter sich verklingen. "Finden wir einen Ort, an dem es sicher ist."

Valion sah die beiden übrigen Banditen vor sich am Ende der Gasse nach rechts abbiegen. Er griff seine Schwerter fester und sprintete hinterher. Die Jagd ging weiter durch Hinterhöfe, über Leitern und Dächer, und Valion holte anfangs beständig auf. Doch er kam nie nah genug an die Fliehenden heran, um sie zu erwischen. Er hatte zwar den Vorteil, jung und ausdauernd zu sein, doch seine Gegner kannten sich in der Stadt aus und waren ausgeruht, während Valion seit der Ankunft in Umbar nicht geschlafen hatte. Die Gassen der Stadt waren wie ein Labyrinth, doch er konnte sich gerade keine Gedanken darüber machen, wie er den Weg zurück finden würde. Valion unterdrückte den Schmerz, der sich in seinen Seiten auszzubreiten begann, und verdoppelte seine Anstrengungen.

Erneut erkletterten die Räuber vor ihm eine wackelige Leiter und wollten gerade über den Rand des Daches verschwinden, als die letzte Sprosse unter dem zweiten Kerl abbrach und er mit einem Schrei abstürzte. Mehrere Meter tief fiel er und kam krachend unten an, keine Regung mehr von sich gebend. Seine Hand erschlaffte und ließ den Griff von Bayyins Tasche los, die Valion aufhob. Schnell hängt er sie sich um und suchte nach einem anderen Weg nach oben. Zu seiner Linken fand er eine Treppe, die auf ein nahegelegenes Dach führte. Drei Stufen auf einmal nehmend sprintete er nach oben, nahm Anlauf und überquerte die tief unter ihm liegende Gasse mit einem beherzten Sprung. Sein letzter Gegner erwartete ihn bereits, einen teils überraschten, teils abschätzenden Blick im Gesicht.
"Na komm schon, du gondorischer Hund," spie er aus und zog seinen Krummsäbel.
"Du willst die Tasche? Dann hol sie dir, Südländer!" gab Valion zurück und ließ die kleinere seiner Klingen locker in der linken Hand kreisen.
Wie Raubtiere umkreisten sie einander vorsichtig auf dem breiten Dach unter den heißen Strahlen der Mittagssonne.
"Mein Name ist Mustqîm," prahlte der Bandit. "Meine Klinge wird heute dein Blut trinken!"
"Du irrst dich," konterte Valion, machte einen Ausfallschritt zur Seite und ließ beide Klingen auf Mustqîm zu schnellen. Doch dieser wich gewandt aus und nutze Valions Bewegung selbst zum Angriff. Valion konnte gerade noch den Arm hochreißen und den auf seinen Kopf gezielten Schlag parieren. Ohne innezuhalten presste er seine Klinge gegen die des Gegners und führte mit der zweiten einen niedrig gezielten Stich gegen die Beine des Banditen. Dieser sprang rückwärts, sammelte sich einen winzigen Augenblick und stürzte sich dann erneut auf Valion.

Valion kam der Zweikampf lange vor, doch in Wirklichkeit tauschten sie nur wenige Minuten lang Hiebe und Paraden aus. Beide mussten sie diverse kleinere Schnitte und Schürfwunden hinnehmen, doch schließlich gelang es Valion, Mustqîms Säbel mit seinem linken Schwert festzunageln und ihm mit der flachen Seite seiner zweiten Klinge einen heftigen Schlag auf den Unterarm zu versetzen, sodass dieser schmerzerfüllt aufschrie und reflexartig seine Waffe fallen ließ. Sofort richtete Valion beide Schwertspitzen auf Mustqîms Gesicht und drängte ihn rückwärts, bis zum Rand des Daches.
"Du bist geschlagen, Umbar-Abschaum," stieß er schwer atmend hervor.
"Ich sagte doch, mein Name ist Mustqîm, nordländischer Barbar," gab der Bandit ebenso angestrengt zurück.
"Rede! Was wollten deine Spießgesellen und du von Bayyin?"
"Einem Hund aus Gondor muss ich nicht antworten," sagte Mustqîm und spuckte aus.
"Das werden wir ja sehen," antwortete Valion, doch da machte der Bandit unvermittelt einen Schritt rückwärts - über den Rand des Daches hinweg. Als Valion eilig nach unten blickte, sah er wie Mustqîm auf dem von dickem Stoff überdeckten Dach eines der vielen Stände an der Straße landete, dieses mit sich riss und sich unten angekommen geschickt abrollte. Zu allem Unglück grenzte die Straße direkt an einen sehr belebten Marktplatz und der Bandit warf Valion ein gehässiges Nicken zu, eher er in der Menge verschwand.

Valion atmete schwer aus. Immerhin, die Tasche hatte er zurückerlangt und der Schreiber war gerettet worden. Doch er würde keine Antworten oder Gründe des Angriffs für Edrahil haben und konnte sich bereits gut vorstellen, dass der Herr der Spione darüber nicht allzu erfreut sein würde. Er sprang zurück auf das angrenzende Dach und nahm die Treppe nach unten in die Gassen. Mehrere Minuten irrte er dort umher und versuchte, sich an den Weg zu erinnern, den er während der Jagd genommen hatte, doch es war zwecklos. Gerade als er aufgeben und sich irgendwie einen Weg zum Hafen bahnen wollte fiel ihm ein bekanntes Gesicht am Straßenrand ins Auge. Es war der Junge, der sie zu Bayyin geführt hatte.
"He, du da!" rief er und ging zum dem Jungen, der an einer Wand lehnte, hinüber. "Weißt du, wo ich Bayyin und meine Schwester finde?"
"Ja, weiß ich," sagte der Junge, doch dann hielt er inne und blickte Valion erwartungsvoll an. Mehrere Augenblicke vergingen, doch erst als er die Hand ausstreckte verstand dieser und ließ eine Münze hineinfallen. Der Junge nickte und fuhr dann fort, als hätte es die kleine Pause nie gegeben. "Komm mit!" rief er und lief los, gefolgt von Valion.

Sie mussten nur um wenige Ecken biegen bis sie vor einer Tür standen. Der Junge warf Valion einen seltsamen Blick zu und verschwand wieder im Gewimmel der Straße. Verwundert trat Valion ein und fand im Inneren seine Schwester in einem weichen Sessel sitzend vor, in kaum mehr als eine Pelzdecke und mehrere Leinentücher gehüllt. Er verdrehte die Augen.
"Bei allen sieben Sternen, Valirë, was hast du dir dabei gedacht?"
Sie lachte zur Antwort. "Entspann' dich, kleiner Bruder. Alles ist gut."
"Wo ist Bayyin?" verlangte Valion zu wissen.
Valirë deutete auf die zweite Tür im Raum, die in einen weiteres Zimmer führte und offen stand. "Er schläft. Es geht ihm gut, den Umständen entsprechend. Keine Sorge: Edrahil wird nichts davon erfahren."
Valion seufzte. "Natürlich wird er davon erfahren. Komm schon, es ist Edrahil. Er findet es immer heraus."
Seine Schwester ließ die Schultern unmerklich ein wenig sinken. "Nun... vielleicht wird er das. Aber es ist mir egal."
Valion setzten sich zu ihr an den Tisch. "Hast du wenigstens bekommen, was du wolltest?," was seine Schwester mit einem Nicken beantwortete. "Also gut. Hier ist Bayyins Tasche. Wir warten, bis er sich erholt hat, und dann bringen wir ihn und seinen Besitz zurück zu Edrahil."
Er schloss für einen Moment die Augen und spürte nun die Schmerzen und Strapazen der Jagd, als das Adrenalin nachließ. Während Valirë seine Wunden verband dachte Valion über den Feind nach, den er heute kennengelernt hatte. Er fragte sich, ob er vielleicht eines Tages erneut die Klingen mit Mustqîm kreuzen würde....

Ungefähr eine halbe Stunde später erwachte Bayyin. Den ganzen Weg zurück zu Edrahils Versteck blieb sein Kopf hochrot und er vermied es, Valirë in die Augen zu sehen, die ein Lächeln im Gesicht trug. An ihrem Ziel angekommen öffnete der Schreiber die Tür mit dem geheimen Signal und sie traten ein.


Valion, Valirë und Bayyin zu Edrahils Versteck

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