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Fornost: Das Versteck des Sternenbundes

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Curanthor:
Halarîn lächelte sanft und strich Kerry erneut über die Wange.
"Selbst wenn ich unsterblich bin, so arrogant um mich nicht um die Probleme der Leute um mich herum zu scheren bin ich nicht", sie zog den Beutel mit Medizin, den sie trug nach vorn und während sie darin suchte erzählte sie weiter:"Du kannst jederzeit zu mir kommen oder meinen Mann nach mir fragen, wenn ich nicht in der Nähe bin. Jeder braucht jemanden und mich macht es glücklich, dass ich diese Person für dich sein darf."
Schritte drangen an ihr Ohr und sie wandte den Kopf zu Kerry.
"Dort kommt jemand, mit dem du vielleicht ein paar Dinge gemeinsam hast", schmunzelte Halarîn und zog eine kleine Phiole aus der Tasche, "Wenn du dich nicht wohl fühlst, oder dein Körper sich wiedermal meldet, so wie heute."
Halarîn legte ihr die Medizin in die Hand und schärfte ihr ein, dass sie nur ein paar Tropfen im Wasser vermischen musste.
Adrienne verharrte am Eingang und blickte sich um, es dauerte eine Weile, bis sie die beiden Frauen am Boden sitzend erblickte. Langsam kam sie näher und räusperte sich verhalten. "Darf ich?", fragte sie und deutete auf ein nahestehendes Bett. Halarîn nickte und die Braunhaarige setzte sich hin, war aber so klug und hielt sich zurück.
"Das ist Adrienne, sie ist aus Gondor und in unserer Einheit", stellte Halarîn sie vor und die Jugendliche verneigte sich leicht.
"Es ist schön jemanden in seinem Alter zu treffen", lächelte Adrienne freundlich und kicherte,"auch wenn ich wahrscheinlich immernoch die Jüngste unter den Verteidigern bin."
Kerry blicke Halarîn mit tiefer Dankbarkeit einen langen Moment an, wandte dann den Blick zu dem Neuankömmling hinüber.
"Ich bin Kerry," stellte sie sich mit leiser Stimme vor. "Du kommst aus Gondor? Dann hast du ja einen weiten Weg hinter dir." Sie verstummte wieder und musterte Adrienne einen Augenblick, als würde sie überlegen, ob sie die junge Frau schon einmal irgendwo gesehen hatte. "In eurer Einheit... bedeutet das, du wirst in der bevorstehenden Schlacht kämpfen?" Sie blickte wieder zu Halarîn hinüber. "Ihr zwingt doch niemanden zu kämpfen oder? Ich... ich kann nicht sehr gut kämpfen... doch vielleicht, wenn ich noch etwas öfter mit deinem Mann üben würde..." ihre Stimme verhallte und sie blickte zu Boden. Ihr Selbstvertrauen schien zu schwinden.
"Ich bewundere dich," sagte sie in Adriennes Richtung. "Du siehst aus wie eine Kämpferin... " Kerry zupfte an einer Haarsträhne herum als sie zu überlegen schien, was sie als nächstes sagen sollte. "Was meintest du, als du sagtest dass wir ein paar Dinge gemeinsam hätten, Halla?" fragte sie und nahm Halarîns Hand, ließ die Finger spielerisch durch die Handfläche ihrer Trösterin gleiten. Neugierde blitze in ihren Augen auf als sie den Blick erneut auf Adrienne richtete.
Halarîn und Adrienne blickten sich kurz verwundert an. "Es wird niemand gezwungen zu kämpfen, Kerry, es ist meine Entscheidung und ich könnte mir nichts anderes vorstellen", sagte Adrienne kämpferisch und machte eine angeberische Pose," Ja, ich werde in den vorderen Reihen stehen und das Gesindel dahintreten, wo es herkam."
Halarîn lachte leise und sie kehrten wieder zur Ernsthaftigkeit zurück.
"Adrienne ist zusammen mit ihrem Bruder in der Lehre bei meinem Mann, ich denke nicht, dass er es zulassen würde, dass ihr an vorderster Front steht.", gab die Elbe zu bedenken und legte etwas Strenge in ihre Stimme. "Aber ich denke, dass er eure Fähigkeiten testen wird.", setzte sie augenzwinkernd nach.
Halarîn stand auf und klopfte sich die Kleidung sauber, ihr Gefühl sagte ihr, dass sie bald wieder zum Lager zurückkehren sollten. Adrienne dagegen hatte offensichtlich jemanden getroffen, mit dem sie reden konnte und so strich die Elbe im Raum umher und überließ es Kerry die Antwort selbst herauszufinden.
"Ich würde gern eine gute Kämpferin sein, weißt du? Angefangen hat das in Gondor, mein Vater war dort Chronist, meine Mutter dagegen eine einfache Schneiderin. Mein Vater hat mit uns Kindern immer mit alten Holzschwertern gespielt, die er geschnitzt hatte, wenn er mit meiner Mutter gestritten hatte," sie lachte leise," später war es eine beachtliche Sammlung, denn sie stritten gern."
Adriennes Gesicht verfinsterte sich und Halarîn ahnte, dass jetzt der Punkt erreicht war, an dem sie sonst immer gescheitert war.
"Damals... als der Schatten kam... Danach war sie nicht mehr da zum streiten. Mein Vater griff sich meinen kleinen Bruder und ich rannte vor ihnen her. Die Stadt brannte und als die Hörner der Rohirrim erklangen gewannen die Menschen die Schlacht, doch wir hatten das verloren, was unsere kleine Familie zusammengehalten hatte. Mein Vater wurde wahnsinnig und wir rannten quer durch die umkämpfte Stadt, bis wir mitten in ein Gefecht reinliefen.", sie stockte und schüttelte sich,"Ein Mann starb direkt vor mir, sein Schwert schlitterte direkt gegen meine Füße. Mein Vater wehrte verzweifelt einen Ork ab, mit meinen kleinen Bruder auf dem Arm. Er rief mir zu, dass ich weglaufen sollte, aber ich war wie erstarrt. Ich wollte ihm helfen, also hob ich das blutverschmierte Schwert des getöteten Soldaten auf und konnte kaum damit laufen. Irgendwie taumelte ich so lange umher, bis die Waffe in dem Rücken des häßlichen Orks landete, der meinen Vater bereits verwundet hatte..."
Halarîn lauschte der Jugendlichen aufmerksam und merkte, dass sie wohl zum ersten mal mit einer Gleichaltrigen über diese Dinge sprach.
Kerry lauschte Adriennes Erzählung mit weit aufgerissenen Augen und aneinander gepressten Händen, und als Adrienne ihre Geschichte unterbrach, sagte sie: "Und dann? Was ist dann passiert? Geht es deinem Vater gut?"
Sie atmete tief ein und dachte anscheinend über das nach, was Adrienne ihr erzählt hatte. "D-deine Mutter hat es also nicht geschafft? ... Das tut mir sehr leid... meine Mutter ist auch im Krieg gestorben, ermordet von den Orks, die Rohan überfielen nachdem unser König in den Osten gezogen war und unter anderem in der Schlacht kämpfte die du beschreibst. Mein Vater ging mit ihm, doch auch er kehrte niemals heim. Du hingegen... solltest froh darüber sein, dass dein Bruder und dein Vater noch leben..."
Sie verstummte einen Augenblick, doch Halarîn legte ihr aufmunternd die Hand auf den Rücken.
"Ich verstehe nun, was Halla damit meinte, dass wir etwas gemeinsam haben," setzte sie erneut an. "Wir beide haben Menschen verloren, die uns sehr wichtig waren... doch du hast noch die Kraft, trotzdem gegen den Schatten zu kämpfen. Das bewundere ich an dir. Du bist wirklich eine Kämpferin..."
Sie straffte sich und setzte sich neben Adrienne auf das Bett.
"Das war unhöflich von mir," sagte Kerry entschuldigend. "Ich habe dich in deiner Geschichte unterbrochen. Bitte, erzähle sie zu Ende! Und dann... sollten wir vielleicht zurück an die Arbeit gehen. Es gibt bestimmt genug zu tun in dieser Stadt, nun da uns eine Schlacht bevorsteht. Außerdem gibt es am Südtor jemanden, mit dem ich reden muss... doch erst will ich den Rest der Geschichte hören!" Sie warf Halarîn einen kurzen Blick zu, wie als würde sie auf ihre Zustimmung zu warten. Doch dann blickte sie Adrienne wieder erwartungsvoll an.
Halarîn merkte an, dass sie weitersprechen könnten, während sie zum Südtor gingen. Da keiner etwas dagegen hatte, setzten die drei Frauen sich in bewegung und verließen die Rüsthalle. Dabei erzählte Adrienne weiter: "Du hast mich nicht unterbrochen Kerry, es ist nur sehr schwer. Ja, ich bin froh meinen Bruder und meinen Vater zu haben. Er wurde nur leicht verletzt, da aber die Orks oft unreine Waffen haben, hatte er eine Vergiftung. Dadurch hat er jetzt Probleme mit der Atmung."
Sie bogen auf die lange Hauptstraße ab, die zum Markt führte. Überall herrschte rege Betriebsamkeit, was ein starker Unterschied wie vor paar Tagen war.
"Es tut mir leid zu hören, dass du ebenfalls Verluste hattest Kerry. Ich trauere noch immer um meine Mutter, denn sie war das Herz der Familie. Trotzdem habe ich die Kraft zu kämpfen, denn ich will nicht, dass diese Trauer über mich siegt. Das hätte meine Mutter nicht gewollt und ich will, dass meine Kinder in Sicherheit aufwachsen können.", erklärte Adrienne, während sie weiter zum Südtor gingen.
Schon vom Weitem konnte man das hölzerne Gestell sehen, dass die Männer und Frauen in kurzer Zeit unter Mathans Anleitung gebaut haben. Als sie den Platz vor dem Tor betraten, der voll mit Holzspänen war, erkannten sie Mathan und Ardóneth. Die beiden Männer inspizierten den Seilzug, der gerade zum ersten mal gespannt wurde.
"Ich habe die tapfere Späherin direkt mitgebracht", erklärte Halarîn freundlich und legte Kerry eine Hand auf die Schulter.
Adrienne hingegen hielt sich im Hintergrund und spielte mit den Knauf ihres Schwerts, vertieft sich aber dann in einem Gespräch mit einem der Holzfäller.


Halarîn, Adrienne und Kerry zum Südtor Fornosts

Melkor.:
Ardóneth vom Südtor Fornosts


Dunkelheit umfing Ardóneth. Er schlief unruhig, näherte sich dem Erwachen. Je mehr sein Bewusstsein an die Oberfläche driftete, umso mehr spürte er, dass etwas nicht stimmte. Klarer und klarer wurde der Eindruck und mit einem scharfen Keuchen schlug er die Augen auf. Kopfschmerzen plagten ihn, doch auch seine Schulter strahlte starken Schmerz aus. Er blickte sich um, versuchte sich zu orientieren. Er stellte fest, dass drei tote Orks neben ihm lagen, ihre Waffen blutverschmiert.

Was ist hier geschehen? Bin ich im Kampf ohnmächtig geworden? Er konnte sich an nichts erinnern. Der Geruch von Rauch stieg ihm in die Nase. In der Nähe mussten Feuer brennen. Ein Griff an die Stirn zeigte ihm, dass er eine Platzwunde am Kopf hatte, die leicht blutete. Mühsam rappelte er sich auf und ergriff sein Schwert, das neben ihm lag.

An den Mauern ringusm wehten die Banner Sarumans, dennoch war noch ein einzelnes Banner des Sternenbundes am großen Turm im Südosten der Stadt befestigt. Doch plötzlich begann der Turm zu beben, einzelne Steine brachen aus dem Mauerwerk heraus und er fiel mit einen lauten Krachen in sich zusammen. Eine dichte Staubwolke entstand und Ardóneth konnte erkennen wie das große Banner des Sternenbundes vom Wind verweht wurde.

Er versuchte sich einen Weg durch die zerfallenen Häuser Richtung West-Tor zu bannen. Dort angekommen konnte er nichts als einige Leichen entdecken. Er suchte die Position nach Überlebenden ab, konnte jedoch außer einen großen Haufen Orks, und einiger getöteter Flüchtlinge keine finden. Als er seine Suche schon aufgeben wollte fiel ihm das große Breitschwert von Elrádan ins Auge. Die Klinge war blutverschmiert und lag in einer frischen, roten Blutlache, doch von Elrádan gab es keine Spur. Zu seinem Glück entdeckte Ardóneth eine Blutspur, die Richtung Palast führte und ohne zu zögern folgte er ihr.

Auf dem Weg zum Palast gelang ers ihm, eine Gruppe in Pelzrüstung gehüllte Menschen zu beobachten, die durch die Straßen patroullierten. Ardóneth schaute der feindlichen Streife einige wenige Augenblicke zu und versuchte dann möglichst schnell zum Palast zu gelangen. Auf halbem Wege jedoch sank er auf die Knie, seine Atmung fiel ihm schwerer und ein stechender Schmerz strahlte nun auch vom Bauchraum verstärkt durch die Schulterverletzung in den ganzen Körper aus. Er drückte seine linke Hand gegen seinen Bauch und versuchte sich erneut aufzurappeln. Nachdem er wieder (wenn auch etwas wacklig) auf den Beinen stand, eilte er, so gut es ging zum Palast.

Dort angekommen schleppte Ardóneth sich angestrengt die Stufen zum Eingang hinauf. Ächzend stieß er die schweren Türflügel auf und trat in die Halle, aus der das Lachen von mehreren Menschen erklang. Das Erste, was er drinnen sah waren die Leichen, die von der Decke hingen, erstickt an den Schlaufen um ihre Hälse. Man hatte sie bei lebendigem Leib aufgehängt bis sie gestorben waren. Ein tiefer Schmerz schnitt in Ardóneths Seele als er Belen und Elrádan unter den toten Waldläufern erkannte. Das Bedürfnis nach Rache erfüllte ihn und er wandte sich den lachenden Dunländern zu, die ihn bereits entdeckt hatten und siegessicher heran kamen. Doch trotz seiner Verletzungen verfiel Ardóneth in einen Kampfrausch und streckte seine Feinde mit mächtigen Hieben nieder, auch wenn er dabei mehrere tiefe Schnitte hinnehmen musste.

Als der letzte Dunländer unter Ardóneths Klinge fiel knickte er entkräftet ein und stützte sich schwer auf sein Schwert. Aus mehreren Wunden blutend verharrte er mehrere lange Augenblicke, dann raffte er sich wieder auf. Irgendjemand muss einfach überlebt haben, sagte er sich, und dieser Gedanke trieb ihn an. Er irrte eine Zeitlang durch die dunklen Hallen das Palastes, eine Fackel in der Hand, doch fand er nichts als Gefallene - Freunde, Feinde, und Unbekannte. Schließlich bog er um eine Ecke in einen der kleineren Räume - und hielt inne, als er ein leises Keuchen von der gegenüberliegenden Seite des Raumes vernahm. Er hob die Fackel und ihr flackerndes Licht erhellte den geschundenen Körper eines blonden Mädchens. "Kerry!" entfuhr es ihm und er eilte an ihre Seite. Sie lehnte zusammengesunken an der Wand, in einer Lache aus Blut. Ein orkischer Speer ragte aus ihrer Brust. Als Ardóneth ihr sanft über die Wange strich öffnete sie matt die Augen. "Ardan..." brachte sie hervor, doch das Wort verklang in einem Husten, und ein Rinnsal von Blut lief aus ihrem Mundwinkel. "Du hättest... uns retten... können..." ihre Stimme verklang. "Kerry? Nein! Hörst du mich? Kerry!" rief Ardóneth, doch sie war fort. Sie trug noch immer die Ohrringe, die er ihr einst geschenkt hatte...

Doch es blieb ihm keine Zeit über den Verlust seiner Freunde zu trauern, denn ein weitere Patrouille betrat den Palast. Obwohl er immer noch auf Rache aus war, floh er das erste Mal in seinem Leben vor einem Kampf. Die Wunden forderten langsam ihren Tribut, er wurde schwächer, nur vom Willen getrieben, jene zu retten die noch am Leben waren. Er versuchte Kämpfe zu vermeiden und  seine verbliebene Kräfte für die Suche nach Überlebenden einzusetzen.

Nachdem er einige Augenblicke orientierungslos durch einige dunklen Gassen geirrt war, hörte er einige Wortfetzen, von einem Lager östlich des Südtores kommend. Er folgte der Stimme, und umso näher er kam desto lauter und deutlicher wurde sie. "Zieht euch zurück! Bildet eine Reihe!" schrie Mathan. Er, Halarîn und seine kleine Gruppe hatten bisher nur wenige Verluste zu beklagen und versuchten mit allen Mitteln ihre Position zu halten. Ardóneth versuchte über das Geröll zu den scheinbar letzten Verteidigern zu klettern. Fast dort angekommen sah er wie die restlichen Verteidiger gegen beinahe die dreifache Anzahl ankämpften, doch als er ihnen gerade zu Hilfe eilen wollte rannten ihn zwei Orks um, indem sie ihre Schilde benutzen und ihn zu Boden stießen. Mit einem Schmerzensschrei schlug er asuf dem steinigen Boden auf und blieb liegen. Einer der Orks nahm sein Schwert und holte weit aus. Gerade noch gelang es Ardóneth, sich beiseite zu rollen und die Orks mit seinem Dolch niederzustechen, doch während er kämpfte, wurden fast alle Verteidiger erschlagen.

Wütende Gedanken erfüllten nun sein Herz mit Hass, seine Trauer wurde verdrängt und er spürte wie er wieder stärker wurde. Er nahm einen Speer der neben ihm lag und durchstach den Hals eines Orks mit einem lauten hasserfüllten Schrei. "Ihr werdet mich nicht töten!" rief er laut, rappelte sich auf und nahm sein Schwert in die Hand. Ein weiteren Ork griff ihn nun mit schnellen Schlägen an. Ardóneth parierte zwei Hiebe und holte weit aus, woraufhin sein Feind kopflos zu Boden sank.  Ardóneth schaute sich nach Mathan und Halarîn um. Diese versuchten inzwischen vergebens Orks und Dunländer aufzuhalten. Halarînb stellte sich schützend vor Adrienne, diese war blutverschmiert lag regungslos am Boden. Einer der Dunländer konnte der Elbin eine Waffe aus der Hand schlagen und zwei hielten sie fest, Halarîn wurde vor den Augen ihres Gatten brutal hingerichtet. Dieser konnte sich vor Wut nicht mehr halten. Er stieß einen Mmrkerschütternden Schrei aus, sodass einige Feinde einige Schritte zurück wichen. Halarîns Tod ließ Mathan in Raserei fallen. Wie ein Tier kämpfte er nun gegen die Heerschar, während Ardóneth wie gefesselt stehen blieb. Obwohl er Mathan helfen wollte, konnte er sich nicht rühren, er bliebt wie angewurzelt stehen und konnte nur zusehen, wie Mathan einen Ork nach dem anderen fällte. Dieser achtete nun mehr auf keine Verluste. Die Orks griffen ihn in Scharen an und einer konnte einen Speer durch Mathans Brust stoßen. Er wurde kurzzeitig zurückgedrängt und ein Rinnsal Blut floss ihm aus dem Mund. Dennoch gelang es ihm noch vier weitere Orks niederzustechen, bevor es fast eine dutzend anderer gelang, ihn nieder zu ringen. Ardóneth konnte sich immer noch nicht rühren, erneut drohten ihn Trauer und Schock zu überwältigen. Die Orks entledigten sich nun noch Mathans überlebenden Schützlingen, den letzten Verteidigern Fornosts.

Mit einem lauten Schrei wachte Ardóneth auf. Sein Laken waren schweißgebadet. Ein Traum, das war alles nur ein Traum! dachte er. Dennoch konnte er nicht weiterschlafen. Er verließ sein Gemach und vertrieb sich die Zeit damit, über den Traum nachzudenken und darüber, was geschehen würde, wenn der Sternenbund bei der Verteidigung Fornosts scheitern würde..."

Fine:
Rilmir, Haleth, Mírlinn, Elrádan und Kerry aus der Stadt


Die kleine Gruppe erreichte die Rüsthalle spät am Abend, aber nicht spät genug um sich rechtzeitig für einen ausgedehnten Schlaf zurückzuziehen. Bis auf die Wachen, die Belen an den Stadttoren, auf den Mauern und auf wichtigen Gebäuden wie dem Hauptquartier und dem Palast postiert hatte, folgten alle Mitglieder des Sternenbunds dem Rat, in den nächsten Tagen so viel Schlaf zu bekommen wie möglich.
"Wenn es zur Schlacht kommt werden wir alle unsere Kräfte brauchen. Seht also zu, dass ihr früh zu Bett geht!" hatte Belen angeordnet. Und Kerry hatte vor, sich daran zu halten. Viel war an diesem Tag bereits geschehen und sie hoffte, dass sie daher schnell einschlafen würde. Und glücklicherweise gelang ihr das auch.

Der folgende Morgen war erneut bestimmt von viel Betrieb und Vorbereitungen, die in der Stadt getroffen wurden. Die Rüsthalle war erfüllt von Menschen, die unermüdlich Waffen und Munition zu den Befestigungsanlagen transportieren. Insbesondere Pfeile und Wurfspeere wurden Fuhre um Fuhre durch die Halle und nach draußen getragen. Bisher waren die Vorräte in den Kellern unterhalb der Waffenkammern noch nicht erschöpft worden; dennoch wurden von fleißigen Händen auch zusätzliche Pfeile angefertigt.

Kerry verbrachte den Vormittag damit, einfache Mahlzeiten zuzubereiten und diese an die in der Rüsthalle arbeitenden Dúnedain zu verteilen. Es war eine Aufgabe, die ihr Freude bereitete und sie genoss es, Anderen etwas Gutes zu tun. Nachdem sie am späten Vormittag schließlich selbst auch etwas gegessen hatte beschloss sie, die warmen Sonnenstrahlen zu nutzen und stieg zum Dach der Rüsthalle hinauf, wo sie seit ihrer Ankunft in Fornost viel Zeit verbracht hatte. Von dort oben bot sich ihr ein deutlich veränderter Anblick über die Stadt als noch vor wenigen Wochen, als ihr die Unterdrückung durch Saruman wie ein dunklen Schleier vorgekommen war, der über den Dächern gehangen hatte. Überall sah sie Zeichen von Aktivität und Vorbereitung. Sie beobachtete, wie eine weitere Wagenladung mit Vorräten die Straße zum Südtor entlanggezogen wurde. Ihr Blick hob sich und Kerry freute sich, als sie die Banner des Sternenbundes an mehreren Türmen hängen und sanft im leichten Wind flattern sah.

Sie schloss einen Moment die Augen und ließ sich von den Sonnenstrahlen das Gesicht erwärmen. Doch noch ehe sie die Augen wieder öffnete verschwand das Wärmegefühl. Eine Wolke hatte sich vor die Sonne gelegt. Kerry wandte den Blick nach Norden, von wo der Wind nun etwas stärker wehte, und sah eine Wand aus dichtem Nebel, der sich über die Stadt zu legen begann. Noch während sie zusah erklang ein Rauschen und der Schlag mächtiger Flügel. Anmutig landete ein großer Adler auf dem Dach, und Kerry erkannte ihn wieder.
"Welche Nachrichten bringst du?" fragte sie und trat ihm entgegen.
"Keine guten, befürchte ich," erklang Gandalfs Stimme vom Treppenaufgang. Der Zauberer betrat das Dach und nickte dem Adler respektvoll zu. "Sei gegrüßt, Ròvallír, Vasall des Windfürsten."
"Mithrandir," sprach Róvallír, "Der Feind vor dem ich warnte ist über euch gekommen. Dieser Nebel verbirgt sie selbst vor meinen Augen, doch die Spur, die sie hinterlassen, ist eindeutig."
"Also greift Saruman nun erneut nach Fornost," murmelte Gandalf. "Und schneller, als ich es erwartet hatte."
"Wir müssen die anderen warnen!" rief Kerry.
"Das müssen wir. Der Sternenbund und alle, die kämpfen können und wollen müssen sich nun kampfbereit machen," stellte Gandalf klar. "Erneut schulde ich dir meinen Dank, Róvallír."
Der Adler senkte leicht den Kopf. "Die Orks scheinen die Stadt im Osten zu passieren. Offenbar wollen sie das flachere Gelände im Süden zum Angriff nutzen," fügte der Adler hinzu.
"Dann müssen wir dort Stellung beziehen," sagte Gandalf. Er drehte sich um und eilte die Treppe hinab, gefolgt von Kerry.

Es dauerte nicht lange, bis sie Belen, Ardóneth und den Rest des Sternenbundes alamiert hatten und der Befehl gegeben wurde, alle kampffähigen Menschen zu den südlichen Verteidigungsanlagen zu entsenden. Rüstungen und Waffen wurden angelegt und als alles bereit war brachen sie zum Südtor auf.


Gandalf, Belen, Rilmir, Ardóneth und Kerry mit dem Rest des Sternenbundes zu den südlichen Verteidigungsanlagen

Fine:
Gilbard und Kerry vom Südtor Fornosts


Niemand stand am Eingang der Rüsthalle Wache. Der Sternenbund hatte niemanden entbehren können - alle Dúnedain waren zur Verteidigung der Mauern einberufen worden und hatten Blut und Schweiß vergossen um die Stadt zu halten, doch wie durch ein Wunder war sie gehalten worden. Kerry jedoch hatte keine Zeit, sich darüber zu freuen, auch wenn sie wusste, dass sie großes Glück gehabt hatte, die Schlacht unbeschadet zu überleben. Andere hatten dieses Glück nicht gehabt.

Gílbard führte sie ins Innere und sie stiegen eine steile Treppe im hinteren Teil der Halle hinab, die zu den Verliesen führte. Hier unten gab es nur drei kleine Zellen, die aus Kammern mit drei Wänden bestanden. Die vierte Wand bestand jeweils aus Gitterstäben, sodass die andere Hälfte des Kellergeschosses einen Gang bildete, in dem man an den Zellen vorbeigehen konnte und in alle drei auf voller Breite hineinsehen konnte. Sie eilten den Gang entlang und ihre Schritte hallten laut in der Stille des Kerkers wider. Die ersten beiden Zellen waren leer. In der letzten Zelle entdeckte Kerry Ardóneth, der in einer der hinteren Ecken in sich zusammengesunken kauerte.
"Ardan!" rief sie und packte die Gitterstäbe mit ihren Händen, die von Kratzern und Schürfwunden übersät waren.
"...'Ardan'?" wunderte sich Gílbard, doch da regte sich Ardóneth und stand langsam auf.
"Kerry!" flüsterte er. "Du... du lebst... Als der Turm fiel, dachte ich, du wärest..."
"Nein, ich habe überlebt," antwortete sie leise. "Was ist mir dir geschehen?"
Ehe er antworten konnte packte Gílbards große Hand Kerry und zog sie mehrere Schritte rückwärts. "Geh weg vom Gitter, Mädchen! Wir müssen vorsichtig sein!"
"Gílbard, ich... bin mir meiner Taten bewusst," versuchte Ardóneth zu erklären. "Doch der Wahn ist vergangen. Ich dachte... wenn ich Belen beseitige, endet all dies... all der Tod und die Verwüstung."
"Wir haben gesiegt, Ardóneth, deinem Verrat zum Trotz," gab Gilbard grimmig zurück. "Dein Vetter wird schon bald über dich richten."
Ardóneth blickte betroffen zu Boden. "Ich verstehe," sagte er. "Ich bin mir meiner Schuld bewusst und bereue meine Taten. Dennoch bin ich erleichtert, dass die Schlacht vorbei ist und Fornost noch steht. Ich... werde versuchen, Belen zu erklären, was passiert ist, wenn es zur Verhandlung kommt."
"Das wird es," bestätigte Gílbard.
"Was bedeutet das?" fragte Kerry besorgt. "Was werden sie mit Ardan tun?"
"Wenn sich seine Schuld als erwiesen herausstellt, wird er eine gerechte Strafe erhalten. Sein Rang und Kommando werden ihm bis zur Entscheidung über sein weiteres Schicksal entzogen.
"Aber... es war doch bestimmt nicht seine Schuld?" wollte Kerry wissen. "Was ist denn passiert?"
"Er hat versucht, Belen zu töten," erklärte Gílbard grimmig. "Wir konnten ihn gerade noch rechtzeitig aufhalten."
"Versteh' doch, Gílbard, es war genau wie in meinem Traum! Als der Turm einstürzte muss eine Art Zauber über mich gekommen sein... ich hatte nur noch diesen einen Gedanken: Wenn Belen beseitigt wird, hört das alles auf und alles wird wieder wie vorher. Ich weiß jetzt, dass das eine Illusion war, doch in diesem Augenblick kam es mir wahrer als alles andere vor..."
"Das ändert nichts daran, dass du versucht hast, den Erben Isildurs zu ermorden!" donnerte Gílbard.
Ardóneth blickte zu Boden. offenbar fiel ihm darauf keine Antwort mehr ein.

Kerrys Kopf schwirrte voller neuer Gedanken. Ardan sollte ein Verräter sein? Er kam ihr vor wie immer, nur etwas verzweifelter. Und als er von einem Zauber gesprochen hatte war ihr erneut in den Sinn gekommen, was Gandalf auf dem Turm zu ihr gesagt hatte: Sarumans Arm reichte weit genug, um sie hier in Fornost zu erreichen, und Gandalf war durch den Kampf auf der Turmspitze geschwächt gewesen. Vielleicht war hier tatsächlich mehr am Wirken gewesen, als das bloße Augen sehen konnte...
"Wir sind hier fertig," knurrte Gílbard. "Er wird bald gründlich verhört werden und Belen wird sein Urteil über ihn fällen. Komm, Mädchen, dies ist kein Ort für dich."
"Kerry! Geh nicht..." stieß Ardóneth hervor.
"Ardan!" rief sie, doch Gílbards kräftiger Arm legte sich um ihre Taille und zog sie davon, ohne dass ihr Widerstand jegliche Wirkung zeigte.

Nachdem Gílbard sie in der Haupthalle freigelassen hatte stapfte sie mit einer Mischung aus Gefühlen die Treppe hinauf zum Dach. Sie setzte sich auf den Rand, wo sie in den letzten Wochen so oft gesessen war, und ließ die Beine baumeln. Die Ereignisse des Tages zogen erneut an ihr vorbei, jedesmal begleitet von den dazugehörigen Emotionen. Sie erinnerte sich, wie oft sie hier gesessen hatte und Scherze darüber gemacht hatte, wie klein die Menschen auf den Straßen unter ihr aussachen. Jetzt jedoch waren keine Menschen dort zu sehen. Alle waren entweder am Tor oder in Verstecken und warteten voller Sorgen auf Neuigkeiten über den Ausgang der Schlacht, die sich nur langsam in der Stadt verbreiteten. Kerry legte die Arme in den Schoß und weinte stumm um ihre gefallenen Freunde, bis sie nicht mehr weinen konnte und ihre Augen vom auffrischenden Wind getrocknet wurden. Einen Augenblick überlegte sie, sich zurück in die Verliese zu schleichen und mit Ardóneth zu reden, doch sie wusste, dass Gílbard am Eingang zum Kerker Wache stand und sie nicht hineinlassen würde. Sie hob den Blick zum Himmel, der sich im Westen gerade rötlich zu färben begann als die Abenddämmerung einsetzte. Ihre Gedanken blieben bei Rilmir hängen.
"Wo auch immer du jetzt bist, Dúnadan..." hauchte sie sie mit kaum hörbarer Stimme, "ich hoffe, du bist an einem besseren Ort als diesem. Es... tut mir Leid, so sehr leid, was mit dir passiert ist..."
Tiefer Kummer ließ sie den Kopf wieder senken und sie sah, wie sich nun ein Strom von Menschen auf die Rüsthalle zubewegte. Offenbar waren die wichtigsten Angelegenheiten am Tor erledigt worden. Sie machte sich Sorgen um Ardóneth, doch wusste sie nicht, wie sie ihm gerade helfen konnte. Also blieb sie vorerst sitzen, den Blick in die Ferne schweifen lassend, und wartete darauf, dass die Sonne im Westen über dem Abendrotsee versank.

Eandril:
Oronêl und Finelleth vom Tor...


Ihr Weg führte Oronêl und Finelleth zu einem großen Gebäude im Nordosten der Stadt, bei dem es sich anscheinend um eine Art Waffenkammer oder Rüsthalle handelte. Auch hier eilten inzwischen viele Menschen hin und her, doch niemand schien Wache zu stehen, und so gelangte die Elben ohne Schwierigkeiten hinein. Drinnen deutete Finelleth auf eine Treppe, die an der Seite der Halle nach oben führte, und sagte: "Dort geht es vermutlich zum Dach, und ich glaube nicht, dass wir einen ruhigeren Ort finden."

Das Dach der Rüsthalle wurde von der untergehenden Sonne in rötliches Licht getaucht, und ein frischer Wind wehte aus dem Westen. Oronêl setzte sich an den östlichen Rand des Daches und ließ die Beine über den Rand hängen, während Finelleth ihre Beine anzog und die Arme um die Knie schlang. "Du bist leicht zu durchschauen, weißt du das?", fragte sie, und Oronêl musste unwillkürlich lächeln. Er hätte wissen es wissen müssen, nachdem sie Irwynes Absichten zuvor so mühelos durchschaut hatte. "Anstatt dich auf die Westseite in die Sonne zu setzen, wählst du den Blick nach Osten", fuhr sie fort, ohne ihn anzusehen. "Nach Osten, wo mein Vater ist." Oronêl schwieg. Sie hatte natürlich Recht, mit dem Blick nach Osten hatte er ihre Gedanken zu Thranduil lenken wollen. Finelleth seufzte, und sagte: "Ich bin wütend auf ihn, aber das ist nichts neues. Seit der Geburt meines Bruders war es, als wäre ich unsichtbar für ihn. Ich habe mich daran gewöhnt, ich habe ein Leben abseits seines Hofes als einfache Kriegerin geführt."
Das erklärte, warum Oronêl nie etwas von ihr gehört hatte. "Als mein Vater Lórien und Mittelerde verließ, war ich noch jung," sagte er. "Ich habe seine Beweggründe nicht verstanden, und ich dachte, er würde mich im Stich lassen. Ich war wütend auf ihn und meine Mutter, und eine Weile glaubte ich sogar sie zu hassen. Doch mit der Zeit merkte ich, dass das nicht stimmte."
"Das ist ja das Schlimme", antwortete Finelleth leise, und Oronêl glaubte zu seinem Erstaunen, ihre Stimme zittern zu hören. "Ich hasse ihn nicht, sondern ich glaube... ich glaube, dass ich ihn noch immer als meinen Vater liebe."
Einen Moment lang waren nur der Wind und die Geräusche der Menschen von unten zu hören, während beide Elben schwiegen. Dann sprach Finelleth weiter: "Und jetzt mache ich mir Sorgen um ihn, bei allem Zorn den ich ihm gegenüber empfinde. Ich glaube, er ist einer Dunkelheit anheim gefallen, die er selbst mit seinem Stolz in sein Herz gelassen hat. Ich fürchte..." Sie verstummte, und als Oronêl eine Träne über ihre Wange laufen sah, legte er ihr einen Arm um die Schultern.
"Thranduils Bündnis mit Saruman ist besorgniserregend", sagte er. "Aber ich kann seine Beweggründe verstehen, denn Sauron hat ihm sein Reich genommen, und Saruman hat ihm versprochen, es für ihn zurück zu gewinnen."
"Aber Saruman hat sich mit dem Angriff auf Lothlórien gegen uns gewandt!", warf Finelleth ein. "Wie kann er sich mit dem Zauberer verbünden, der ein Land der Elben überfällt und niederbrennt, und der ein Heer von Orks anführt?" Tränen und jedes Anzeichen von Verletzlichkeit waren aus ihrem Gesicht verschwunden, und Oronêl sah wieder die Kriegerin Finelleth, die in der Schlacht an seiner Seite gekämpft hatte, neben sich.
"Es ist seine einzige Möglichkeit - oder zumindest glaubt er das. Und ohne sein Reich ist er nichts, also muss er es zurückgewinnen." Finelleth wollte offensichtlich widersprechen, doch er ließ sie nicht dazu kommen. "Du weißt, was mit Amroth passiert ist. Er dachte, er könnte ohne Nimrodel nicht leben, und so ließ er sein Reich und seine Freunde hinter sich, um mit ihr zusammen zu sein. Dein Vater kann ohne sein Heimat nicht leben." Bei diesen Worten musste Oronêl an Lórien denken, und sein Herz schien sich schmerzhaft zusammen zu krampfen. "Ich verstehe, dass er alles tun würde, um sie zurück zu bekommen."
"Würdest du dich für Lórien mit Sauron verbünden?", fragte Finelleth, bis sich dann aber in Erwartung einer heftigen Reaktion auf die Lippe. Doch Oronêl schüttelte nur traurig den Kopf, denn er hatte die Frage erwartet - und sie sich selbst gestellt. "Nein. Aber Sauron hat mir vorher zu viel genommen, und im Gegensatz zu Saruman bedroht er auch die Freunde die mir geblieben sind und die ich inzwischen gefunden habe - wie dich, nethel1." Er lächelte, als Finelleth leicht errötete, und sagte: "Vergib deinem Vater, wenn du kannst. Du hast recht, dich um ihn zu sorgen, aber denk immer daran, dass er aus dem Haus Lenwes ist - und wir fallen nicht so leicht unter den Schatten."
Er stand auf, und streckte Finelleth die Hand entgegen, die sie ergriff und sich von ihm auf die Füße ziehen ließ. "Und nach dem heutigen Tag weiß ich mit Sicherheit, welche Seite du gewählt hast... und ich freue mich, auf der gleichen Seite zu stehen." Der erleichterte Ausdruck auf Finelleths Gesicht verriet ihm, dass sie sich tatsächlich davor gefürchtet hätte, er könnte ihr die Entscheidung ihres Vaters zum Vorwurf machen.
"Jetzt bin ich doch froh, dass ich mit dir über meinen Vater gesprochen habe", sagte sie mit einem kleinen Lächeln. "Danke, gwador2."

Gemeinsam blickten sie nach Westen, wo vor der untergehenden Sonne eine schmale, einsame Gestalt, die auf dem gegenüberliegenden Rand des Daches saß, zu sehen war.
"Wie es aussieht sind wir nicht als einzige auf die Idee mit dem Dach gekommen", meinte Oronêl, doch Finelleth lachte nicht. "Nach einer solchen Schlacht gibt es viele, die sich schämen überlebt zu haben, während ihre Freunde gestorben sind." Oronêl wusste, wovon sie sprach. Nach seiner Rückkehr von der Dagorlad hatte er Amroth nicht in die Augen schauen können, denn Amdír war gefallen und er hatte überlebt.
"Ich sollte mit ihr sprechen", sagte er, denn auch von hinten war die Person eindeutig als junge Frau zu erkennen. Er trat bis auf wenige Schritte an die Gestalt heran und sagte dann, wobei er vom Sindarin in die Gemeinsame Sprache wechselte: "Seid gegrüßt. Ich hoffe, ich störe euch nicht?"
Die junge Frau reagierte nicht, schien ihn gar nicht gehört zu haben, und so ging Oronêl bis an sie heran an den Rand des Daches. Als er sich neben sie setzte, erkannte er Kerry. "Kerry", sagte er, und obwohl sie ihm den Kopf zuwandte, schien sie geradewegs durch ihn hindurchzublicken. Anscheinend hatten die Erlebnisse während der Schlacht sie noch härter getroffen, als Oronêl angenommen hatte, doch hinter seinem Mitleid regte sich plötzlich ein Funken des Wiedererkennens. Es war nicht nur die oberflächliche Ähnlichkeit zu Irwyne, sondern irgendetwas tieferes, irgendjemand, an den Kerry ihn erinnerte... Er sah, dass Finelleth sich auf Kerrys anderer Seite niederließ, und das Mädchen aufmerksam betrachtete.
Oronêl legte Kerry eine Hand auf die Schulter, und erst bei seiner Berührung wurde ihr Blick klarer, und sie schien ihn erst jetzt wahrzunehmen.
"Oh, du bist das." Oronêl sah, dass sie Calenwens Medaillon um den Hals trug. "Oronêl", sagte er, denn er hatte Kerry seinen Namen in der Aufregung der Schlacht nicht genannt, und deutete mit einem Nicken zu Finelleth. "Und das ist Finelleth, wie du vielleicht schon in der... also, wie du vielleicht schon weißt." Vermutlich war es nicht besonders klug, Kerry in einem Moment wie diesem an die Schlacht zu erinnern.
"Ich bin Kerry," antwortete sie wie automatisch. "Nein... das wusstest du schon." Sie seufzte tief.  "Ist alles in Ordnung?", fragte Oronêl besorgt, denn er kannte diesen leeren Gesichtsausdruck. "Ich frage mich einfach, wieso ich überlebt habe," sagte Kerry leise. "Andere, die viel tapferer waren als ich, hatten nicht so viel Glück."
"Glück und Tapferkeit sind zwei verschiedene Dinge", wandte Finelleth ein, und musterte Kerry noch ein wenig genauer, als das Mädchen sich ihr zuwandte. "Und nur weil jemand tapfer ist, kann er trotzdem fallen." "Aber nur weil du überlebt hast, heißt es nicht, dass du nicht tapfer und mutig gewesen bist", fügte Oronêl hinzu, denn er fürchtete, dass Kerry Finelleth falsch verstehen könnte. "Und weil du überlebt hast, bist du nicht weniger wert als diejenigen, die ihr Leben zur Verteidigung dieser Stadt gegeben haben."
Kerry blickte niedergeschlagen zu Boden. "Zwei meiner Freunde sind gestorben," stieß sie tieftraurig hervor. Ihr Unterlippe bebte. "W-wie soll ich nur ohne sie weitermachen? Ich... " ihre Stimme versagte.
"Ihretwegen musst du weitermachen", erwiderte Oronêl, während die Sonne ihre letzten Strahlen auf ihre Gesichter warf und der Abendrotsee seinem Namen alle Ehre machte. "Sie sind gestorben, als sie Fornost und all seine Bewohner - und damit auch dich - verteidigt haben. Denk an sie, aber ehre ihr Opfer indem du dein Leben weiterlebst."
"Woher kommst du, Kerry?", fragte Finelleth, und überraschte Oronêl mit diesem plötzlichen Themenwechsel.
Das Mädchen ließ den Blick in die Ferne schweifen und schwieg einen langen Augenblick, während die letzten Sonnenstrahlen ihr Gesicht rot färbten. "Aus Rohan", sagte sie schließlich, so leise dass es die elbischen Ohren Oronêls und Finelleths nur gerade so vernehmen konnten. "Aus dem Hargtal", fügte Kerry hinzu und ließ ihren Blick sinken.
Das hatte Oronêl bereits vermutet, doch es von Kerry selbst zu hören, ließ plötzlich das Bild eines dunkelhaarigen Gardisten vor seinem Geist aufblitzen. "Ich war vor gar nicht langer Zeit in Rohan", sagte Finelleth. "Und da habe ich einen Mann getroffen, der einst eine Tochter hatte."
Bei ihren Worten verwandelte sich Oronêls Vermutung in Gewissheit, und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Wie merkwürdig die Welt doch war...
"Cyneric", sagte er, und beobachtete gespannt Kerrys Gesicht.
Dort spiegelten sich drei Emotionen: Überraschung, Unglaube, und darunter, tief in den grünen Augen: ein kleiner Funken Hoffnung. "Das kann nicht sein," flüsterte sie. "Er ist fort. Er ritt in den Krieg und kehrte nicht mehr zurück..."


1 Sindarin "Schwester"
2 Sindarin "Bruder"

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