Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Arnor
Fornost: Das Versteck des Sternenbundes
Fine:
In Kerrys Gedanken war großes Chaos ausgebrochen. Mein Vater ist nie zurückgekehrt, die beiden können ihn nicht getroffen haben. Es muss jemand anderes gewesen sein, jemand mit demselben Namen, der auch eine Tochter hatte, sagte eine Stimme. Es war die Stimme, die schon immer darauf bedacht gewesen war, Déorwyns Vergangenheit zu vergessen, hinter sich zu lassen, neu anzufangen. Es war die Stimme, die den Namen Kerevalline gewählt hatte, um mit dem gebrochenen Mädchen aus Rohan abzuschließen und eine freie Abenteurerin in Eriador zu sein. Es war die Stimme, die nie zurückblicken wollte.
Aber was wenn doch? wisperte eine zweite Stimme. Kerry horchte auf, denn es war eine Stimme, die schon lange nicht mehr an die Oberfläche gedrungen war. Es war die Stimme der sechzehnjährigen Déorwyn, die voller Stolz zugesehen hatte, wie ihr Vater auf seinem Ross Rynescead im Gefolge König Théodens zur Rettung von Mundburg aufbrach. Diese Stimme hatte immer auf seine Rückkehr gewartet, doch als die Orks nach Hochborn gekommen waren war diese Stimme von den Flammen und dem Tod zum Schweigen gebracht worden. Jetzt aber gewann diese Stimme in Kerry an Kraft, wuchs, und sie spürte, wie sie sich zu erinnern begann.
Von Halarîn hatte sie gelernt, den Schmerz zuzulassen, und sie versuchte es. Bilder zogen vor ihrem inneren Auge vorbei: Hochborn in Flammen stehend, der Anblick des Schreckens als sie ihre Mutter tot auf der Schwelle ihres Hauses gefunden hatte, die albtraumhafte Flucht nach Westen. Plötzlich stand sie wieder an den Furten des Isen und traf erneut die Reiter, die sie ein Stück mitnahmen, ihr sogar ein Pferd überließen und sie in nordwestlicher Richtung durch Dunland brachten. Eine heiße Welle des Schmerzes stieg in ihr auf, als die darauf folgende Erinnerung zum ersten Mal seit mehreren Jahren wieder an die Oberfläche kam, und sie den schrecklichen Überfall in Dunland erneut erlebte. Wie Pfeile aus dem Dickicht in die arglose Reisegruppe geschossen worden waren und die meisten Flüchtlinge bereits in den ersten Sekunden des Überfalls starben. Wie ihr Pferd, von einem Pfeil in die Flanke getroffen, sich voller Angst und Schmerz aufbäumte und Déorwyn abwarf, und sie den Hang links von der Straße hinuntergestürzt war, was ihr den Tod durch die Hand der Wegelagerer ersparte. Sie war ohnmächtig geworden und in einer kleinen Hütte wieder zu sich gekommen. Der Mann, der sie gefunden hatte, war zunächst freundlich gewesen, hatte ihre Wunden versorgt und ihr zu Essen gegeben. Doch als es Nacht wurde und er sie zu sich in sein Bett nehmen wollte und sie sich, verwirrt und entsetzt, verweigerte, war er zornig geworden. Wäre er nicht gestolpert, als er ihr wutendbrand nachgejagt war, wäre es ihr wohl übel ergangen. So entkam sie in die Finsternis, mit nichts als dem rotbraunen Kleid am Leibe, das sie am Tag des Untergangs von Rohan getragen hatte, und irrte tagelang ohne Orientierung durch die Wildnis Dunlands, bis Rilmir sie schließlich fand.
"Wen haben wir denn hier?" sagte der hochgewachsene Mann. Er hatte eine ganz andere Ausstrahlung als der Dunländer, vor dessen Zorn sie nur knapp entkommen war. Trotzdem wich sie zurück, verschreckt und voller Misstrauen.
"Hab keine Angst," sagte er und ließ sich auf ein Knie nieder. Seine Stimme war beruhigend, sein Tonfall freundlich. Zwar trug er ein Schwert an seiner Seite, doch seine Augen strahlten eine Wärme auf, die Déorwyn ein Gefühl von Sicherheit vermittelte, obwohl sie ihn nicht kannte."
"W-wer bist du?" stieß sie hervor, in angespannter Haltung.
"Mein Name ist Rilmir, Hádhrons Sohn, von den Dúnedain. Ich werde dir nichts antun, Mädchen. Wie lautet dein Name?"
"D..." sie stockte. "Ich bin... Kerevalline." Es war nicht ihr Name, sondern der eines Mädchens, das sich unter der Gruppe von Flüchtlingen befunden hatte, der sie sich an den Furten des Isen angeschlossen hatte. Déorwyn hatte sie in den wenigen Tagen, in denen sie sich kannten, Kerry genannt. Kerry und sie waren schnell Freundinnen geworden, doch eine lange Freundschaft war ihnen nicht vergönnt worden. Kerevalline starb im Pfeilhagel der Dunländer, als eine der ersten.
"Ein ungewöhnlicher Name," sagte Rilmir, doch es lag kein Spott in seiner Stimme.
"Du kannst... mich Kerry nennen," sagte sie. Ab diesem Moment gab es Déorwyn nicht mehr, und sie dachte nicht ein einziges Mal mehr an ihren Vater.
Der gedankliche Nebel um sie herum lichtete sich etwas und sie wurde gewahr, wie Oronêl und Finelleth sich leise unterhielten.
"Du warst auch in Aldburg?" fragte Oronêl gerade. "Zu schade, dass ich keine Zeit hatte, mich in Thranduils Lagerbereich umzusehen."
"Ich war nur zwei Tage dort," antwortete Finelleth. "Und Cyneric sah ich nur kurz, als er mit Faramir und Erkenbrand zu Thranduil kam, um den Feldzug zu planen. Danach entsandte mein Vater mich mit zwei Gefährten, um die Lage bei Dol Guldur auszukundschaften."
"Drei Elben alleine nach Dol Guldur?" wunderte sich Oronêl und nickte anerkennend. "Dein Vater scheint damals großes Vertrauen in dich gesetzt zu haben."
Finelleth sah zur Seite, offenbar peinlich berührt. "Er bat nicht. Es war ein Befehl, wie ihn ein König seinen Untergebenen gibt. Es wusste aber, dass ich Galanthir, Angvagor und ich am Besten für die Mission geeignet waren. Also waren wir es, die er entsandte."
Was, wenn sie ihn wirklich gesehen haben? Besteht vielleicht tatsächlich die Möglichkeit, dass mein Vater noch lebt? dachte Kerry während sie auf eine Gelegenheit, eine Frage zu stellen wartete.
Und wenn nicht? Kannst du dich der Enttäuschung stellen? erwiderte die erste Stimme, die zu der Kerevalline gehörte, die nichts mehr mit ihrer Vergangenheit zu tun haben wollte. Und selbst wenn er es war, wo mag er dann jetzt wohl sein? Wer garantiert dir, dass er immer noch am Leben ist?
Find mehr heraus, sagte die Stimme von Déorwyn, die nun mehr und mehr an Stärke gewann und schließlich Kerry ganz ausfüllte. Finde alles heraus, was die beiden wissen.
"Bitte erzählt mir alles," sagte sie, als eine Pause im Gespräch der Elben entstand. Oronêl nickte und berichtete ihr, wie er einen Gardisten namens Cyneric außerhalb der Ratshalle von Aldburg getroffen hatte, der ihm unter Anderem von seiner verschwundenen Tochter erzählt hatte.
"Ich überließ Irwyne, das Mädchen das du am Turm getroffen hast, für eine Weile seiner Obhut, da mich wichtige Angelegenheiten zum Aufbruch drängten und ich sie nicht mitnehmen konnte."
"Und als er zur Ebene von Celebrant kam ging Irwyne mit ihm," ergänzte Finelleth. "Dort traf ich ihn wieder, und wir zogen gemeinsam mit dem Heer Glorfindels nach Dol Guldur."
"Dol Guldur?" fragte Kerry. "Ihr zogt in die Schlacht?"
"Das taten wir," bestätigte Finelleth. Kerry stellte fest, dass auch Oronêl aufmerksam zuzuhören schien. Offenbar hatte er diesen Teil der Geschichte auch noch nicht gehört. "Sieben Tage dauerte es, bis die Festung fiel. Und dein Vater kämpfte äußerst tapfer, stand sogar der geflügelten Bestie des Ringgeists gegenüber."
"Wie könnt ihr wissen, dass er es war?" wollte Kerry wissen. Noch immer zweifelte sie, auch wenn ihre Hoffnung stetig größer wurde.
"Ich weiß nicht, ob dir das hilft, aber ich habe ihn im Getümmel immer an der grünen Hand auf seinem Schild erkannt. Er erzählte mir, dieser Abdruck stammte von seiner kleinen Tochter," sagte die Elbin zur Antwort und lächelte Kerry freundlich an.
Der Schild, wisperte Déorwyns Stimme in ihr. Der Schild! Du erinnerst dich, nicht wahr? Er ist es also wirklich gewesen. Vater ist am Leben!
"Hat er die Schlacht überstanden?" rief sie, nun voller Sorge, doch ihre Zweifel verflogen.
"Das hat er," gab Finelleth mit breitem Grinsen zurück. "Es geht ihm gut. Dein Vater ist jetzt in geheimer Mission in Rhûn unterwegs und schickte mich mit Irwyne nach Bruchtal, wo wir Oronêl trafen. Und jetzt finden wir dich hier, am anderen Ende der Welt, aber wohlbehalten und am Leben. Schon seltsam, welche Wege das Schicksal für uns bereithält."
Zum ersten Mal seit dem Ende der Schlacht um Fornost verspürte Kerry wieder positive Gefühle. Ihr Vater war am Leben! Es war ihr ganz egal, dass sie Oronêl und Finelleth erst seit heute kannte, und sie schloss beide nacheinander in eine feste Umarmung - eine Umarmung, die sie in diesem Moment gerne ihrem Vater gegeben hätte, doch fürs Erste würden die beiden Elben ausreichen. Oronêl schien etwas überrumpelt, doch er strich ihr sanft über den Rücken und sie spürte, wie er sich für sie freute.
Einen Augenblick später setzten sie sich zu dritt auf den Rand des Daches. Die Sonne war inzwischen hinter dem Horizont verschwunden, doch noch waren die Wolken im fernen Westen von einem rötlichen Schein erfüllt.
"Und dein Vater ist wirklich der König des Waldlandreiches?" fragte Kerry in Finelleths Richtung.
"Oh, das hast du gehört?" meinte die Elbin, die leicht beschämt zur Seite blickte. "Es stimmt, aber..."
"Dann bist du eine echte Prinzessin!" rief Kerry begeistert.
Oronêls Lachen erfüllte die Abendluft, und kurz darauf stimmte Finelleth mit ein. Und endlich gelang es auch Kerry, angesteckt davon, wieder ein Lächeln im Gesicht zu tragen.
Schließlich stand Finelleth auf. "Wir sollten sehen, dass wir etwas zu essen bekommen," sagte sie. "So eine Schlacht macht hungrig."
Kerry folgte ihr, hielt dann jedoch einen Augenblick inne. Wie immer ließ ihr Gedächtnis für Namen sie im Stich. Und wie immer versuchte, sie sich nichts anmerken zu lassen.
"Komm, Ron," sagte sie also in Oronêls Richtung. "Ich werde dir und der Prinzessin schon etwas beschaffen, was euren Hunger vertreibt."
Sie hörte, wie sie Elben einen winzigen Augenblick stockten als sie ihre neuen Spitznamen hörten, doch auch das konnte ihnen das Lächeln nicht vom Gesicht vertreiben. Zu dritt stiegen sie die Treppe in die Halle hinunter, wo es bereits nach Abendessen duftete.
Eandril:
Trotz des Sieges war die Stimmung in der Haupthalle eher gedämpft. Die anwesenden Verteidiger saßen beim Essen in kleineren Grüppchen zusammen, und sprachen leise miteinander. Einige saßen auch für sich alleine, ihre Mahlzeit kaum angerührt und der Blick leer - Kerry war offenbar nicht die einzige, die die Schlacht stark mitgenommen hatte.
Doch gerade Kerry hob sich nun deutlich von den bedrückten Gesichtern der anderen Menschen ab, denn die Nachricht vom Überleben ihres Vaters schien sie aufgerichtet und gestärkt zu haben. Sie wirkte aufgekratzt, und stellte den Elben eine Frage nach der anderen nach Cyneric, aber auch dem restlichen Geschehen draußen in der Welt - geradeso, als hätte wäre eine Barriere, mit der sie sich vor der Welt abgeschirmt hatte, eingerissen worden war. Und dennoch, hin und wieder verstummte sie kurz, und dann huschte ein Schatten der Traurigkeit über ihr Gesicht. Oronêl wusste, dass sie dabei nicht nur an ihre gefallenen Freunde dachte, sondern auch an Cyneric, der zwar lebte aber nach Finelleths Bericht in einem fernen, fremden und gefährlichen Land unterwegs war.
Während Finelleth dem Mädchen mehr von der Eroberung Dol Guldurs - und der Rolle, die ihr Vater dabei gespielt hatte - erzählte, hörte Oronêl nur mit halber Aufmerksamkeit zu. Er dachte darüber nach, wie seltsam das Schicksal doch spielte. Eigentlich hatte er nie vorgehabt, nach Fornost zu gehen, und dass er nun hier, eine Ewigkeit von Rohan und seinen eigentlichen Plänen entfernt, auf Cynerics totgeglaubte Tochter traf, war ein merkwürdiger Zufall. Wenn es denn nur ein Zufall gewesen war... Seine Gedanken wanderten weiter, zu Laedor und ihrem erneuten Zusammentreffen inmitten der Schlacht. Laedors Worte, die er ihm in Lórien entgegen geschleudert hatte, kamen ihm wieder in den Sinn: "Willst du wissen, was ich mit deiner Tochter..." -was?
Oronêl wurde aus seinen düsteren Gedanken gerissen, als Kerry ihn von der anderen Seite des Tisches ansprach. "He, Ron, träumst du?", fragte sie, und Oronêl freute sich, dass sie ihm und Finelleth gegenüber nun vollkommen offen wirkte. Dennoch verzog er leicht gequält das Gesicht, als er hörte sie wie ihn nannte, und sagte: "So schwer ist mein Name doch nun auch wieder nicht."
"Ach, ich finde ihn eigentlich auch ziemlich schwer, Ron", warf Finelleth lachend ein. Jetzt, wo sie einen Augenblick lang unbeschwert und fröhlich sein konnte, kam sie Oronêl wie eine jüngere Schwester von Calenwen vor. Seine Frau hätte ihn mit diesem Spitznamen ebenso aufgezogen wie Finelleth jetzt. Oronêl schob den Gedanken an Calenwen und den Schmerz, den er mit sich brachte, rasch wieder beiseite, zog sie Augenbrauen in die Höhe und erwiderte: "Du hast gut reden, Araniel."
Jetzt war es an Finelleth, das Gesicht zu verziehen. "Es wäre mir wirklich lieber, wenn ihr mich nicht..."
"Was heißt Araniel?", unterbracht Kerry sie, und Oronêl antwortete mit einem Lächeln: "Du hast sie doch Prinzessin genannt. Araniel bedeutet in unserer Sprache das gleiche."
"Wer ist eine Prinzessin?", hörte Oronêl Irwyne hinter sich fragen, und Finelleth stöhnte auf und verbarg das Gesicht in den Händen. Er rutschte auf der Bank ein Stück zur Seite um Platz für Irwyne zu machen, sodass sie nun Kerry direkt gegenüber saß und er Finelleth.
"Die äh... Prinzessin hier", erwiderte Kerry mit einem schelmischen Lächeln, das zu sehen Oronêl freute. Schließlich war Lächeln die beste Art und Weise, ein so schreckliches Erlebnis wie die Schlacht für ein paar Augenblicke zu vergessen. "Nein, Finelleth?", fagte Irwyne, und machte große Augen. "Das hast du mir nie erzählt", sagte sie dann vorwurfsvoll. Finelleth hatte inzwischen wieder die Hände vom Gesicht genommen, und meinte: "Ich wollte es ja eigentlich auch geheimhalten. Aber Ron", Oronêl ächzte, "hat mich erkannt, und diese junge Dame hier hat uns belauscht, als wir darüber sprachen." Sie stieß Kerry sanft die Faust gegen den Oberarm. "Das war unabsichtlich!", protestierte diese, und rieb sich die getroffene Stelle.
"Dann ist Thranduil dein Vater?", fragte Irwyne, und Finelleth blickte etwas verdutzt drein. "Er ist der einzige Elbenkönig, von dem ich weiß", erklärte das Mädchen. "Habe ich recht?"
"Du hast es erraten", mischte Oronêl sich wieder in das Gespräch ein, denn er hatte Finelleths Unbehagen bemerkt. Auch wenn sie unter Freunden war, wollte sie offenbar trotz des Gesprächs das sie über Thranduil geführt hatten, ihr Geheimnis lieber wahren. Er beugte sich leicht über den Tisch vor, in Richtung der beiden Mädchen aus Rohan, um das Gespräch von Finelleth abzulenken. "Und wo wir gerade bei Vätern sind, weißt du, wer Kerrys Vater ist?"
Einen Augenblick herrschte Stille, während Irwyne Kerry aufmerksam musterte. Dann fragte sie ungläubig: "Déorwyn?"
Kerry blickte einen Augenblick zu Boden; offenbar war es ihr noch immer etwas unangenehm, mit ihrem wahren Namen angesprochen zu werden. Doch dann nickte sie. "Du hast meinen Vater getroffen, Irwen, nicht wahr?" Irwyne blinzelte verwundert, sagte dann: "Irwen ist der Name meiner Mutter gewesen... bitte denk dir was Neues aus." Sie stockte einen Moment und Oronêl sah ihre Augen verdächtig glänzen. Sie fing sich jedoch sehr schnell wieder und erzählte Kerry und den Elben, wie sie Cyneric in Aldburg kennengelernt hatte und ihn im Dol-Guldur-Feldzug begleitet hatte.
"... er war immer sehr freundlich zu mir, und ich habe immer wieder bemerkt, dass er seine Tochter - also dich - sehr vermisst. Ich bin froh, dass du noch lebst", schloss Irwyne mit einem zaghaften Lächeln.
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als Valandur an ihren Tisch trat, mehrere Becher und einen vollen Bierkrug in der Hand. Für einen Moment glaubte Oronêl, den Waldläufer gar nicht wieder zu erkennen, denn ein solch breites Lächeln hatte er auf Valandurs Gesicht bislang noch nicht gesehen. "Kommt, meine Kampfgefährten", sagte der Dúnadan, und stellte seine Last so schwungvoll auf dem Tisch ab, dass Irwyne rasch vor dem überschwappenden Bier in zurückweichen musste.
"Trinkt etwas mit mir, und feiert unseren Sieg." Anscheinend waren sie nicht die ersten, mit denen Valandur den glücklichen Ausgang der Schlacht feiern wollte, doch Oronêl schüttelte bedauernd den Kopf. "Danke, für mich nicht. Ich brauche jetzt eher ein wenig frische Luft, und vielleicht einen Schluck klares Wasser - falls man in dieser Stadt so etwas findet."
Auch Kerry schüttelte den Kopf. "Danke, aber ich verspüre gerade kein Bedürfnis danach, ein Wiedersehen mit meinem Abendessen zu feiern." Der Ausdruck der Verwirrung auf Valandurs Gesicht war geradezu komisch, doch dann lachte er selbst und klopfte dem Mädchen auf die Schulter. "Das nenne ich mal eine gute Begründung. Aber Finelleth, große Elbenkriegerin, was ist mit dir?"
Finelleth gähnte nur zur Antwort. "Ich denke, ich muss mich zunächst ein wenig ausruhen bevor ich irgendetwas feiern kann." Auch Irwyne wirkte müde, und sagte: "Ich habe erst vor ein paar Stunden einen Pfeil durchs Bein bekommen, da werde ich mich jetzt sicherlich nicht betrinken sondern lieber versuchen, etwas Ruhe zu bekommen."
"Hrmpf", machte Valandur missmutig. "Ihr seid mir schöne Gefährten. Gelmir wollte ich lieber in Ruhe lassen, Orophin und Glorwen scheinen verschwunden zu sein... Da muss ich mir wohl jemand anders..." Er verstummte plötzlich, und als Oronêl in Richtung Eingang blickte, sah er die Waldläuferin, die mit ihnen am Turm gekämpft hatte in die Halle kommen.
"Heda, Súlien!", rief Valandur ihr entgegen, und schwenkte grüßend einen leeren Bierkrug. "Komm her und feiere ein wenig mit mir. Diese Herrschaften sind mir alle zu trübselig." Die Waldläuferin kam heran, wobei sie keck eine Haarsträhne nach hinten warf, und sagte: "Gerne doch. Aber bist du denn auch sicher, dass du mit mir mithalten kannst?"
Gemeinsam entfernten die beiden sich, und schlossen sich am anderen Ende der Halle einer weiteren Gruppe Dúnedain, die fröhlicher wirkte als der Rest der Anwesenden, an.
Auch Oronêl erhob sich und sagte, mit Blick auf seine Begleiterinnen, die sämtlich herzhaft gähnten: "Ihr solltet etwas Schlaf finden. Ich gehe mir noch ein wenig die Sterne ansehen."
Oronêl zur Mauer...
-Mirithil-:
Fis, Tom, Rick, Baril und Goril aus der Stadt
Am nächsten Morgen machten die fünf sich auf den Weg zur Waffenkammer, endlich würden sie ihr Ziel erreichen. Es war nicht mehr weit von dem Haus in dem Goril und Baril lebten zu den Quartieren des Sternenbundes, sie erreichten die Tore schon bevor die Sonne über die Hausdächer stieg. Vor dem Tor standen zwei Wachposten die argwöhnisch auf die Gruppe kleiner Gestalten herabblickten, einer der beiden schmunzelte: "Na wenn das kein einmaliger Anblick ist, drei Zwerge und zwei Hobbits hier in Fornost."
"Guten Morgen, wir möchten gerne mit den Anführer des Sternenbundes sprechen.", sagte Fis höflich.
"Und wer seid ihr?", fragte der andere Wächter, er stützte sich müde auf sein Schwert und wirkte nicht besonders glücklich über die Störung.
"Ich bin Fis, Fesais Sohn und das sind meine Begleiter, Rick und Tom aus Bree, sowie Goril und Baril aus den Ered Luin.", stellte Fis sich und seine Gefährten vor, "Wir möchten uns dem Sternenbund anschließen."
"Jawohl, wir sind extra hierher gekommen um mit eurem Anführer zu reden!", Baril stampfte mit dem Fuß auf den Boden, "Hier draußen ist es kalt, welcher Gastgeber lässt seine Gäste in der Kälte warten?"
"Hey Bartwicht, wir müssen euch nicht hineinlassen, von mir aus kannst du dir hier die Füße abfrieren.", der Wächter hatte sich jetzt aufgerichtet und blickte genervt zu Baril.
Goril schob seinen Bruder zur Seite: "Mein Bruder hat es nicht so gemeint, er hat nur schlecht geschlafen, wir würden gerne helfen."
"Na wenn das so ist. Tretet ein, ihr findet Belen, den Anführer, wahrscheinlich im hinteren Teil des Gewölbes.", sagte der nettere der beiden Wächter und schob die Türen für sie auf.
Durch Fenster in den Wänden drang das Licht des anbrechenden Tages in die Halle. Fis und seine Gefährten schritten die Reihen der Rüstungen und Waffen ab, die hier aufgereiht standen.
„Das sind aber ne menge Waffen an einem Ort.“, stellte Baril fest und fuhr mit den Fingern über ein altes, verstaubtes Schwert an einer der Wände.
„Alte Waffen und Rüstungen aus arnorischen Schmieden, sehr gute Arbeiten.“, stimmte Fis ihm zu.
„Ihr habt recht, meine Freunde, diese Waffen wurden vor dem Untergang Fornosts geschmiedet und hier versteckt für die Tage die kommen würden.“
Sie alle drehten sich zu dem Sprecher um, vor ihnen stand ein alter Mann mit einem langen, weißgrauen Bart und leuchtend hellblauen Augen, er trug einen grauen Mantel und hielt einen ebenso grauen Filzhut in der Hand.
„D..D..Du?“, Tom und Rick blickten den Mann fassungslos an.
„Ja, ich bin es, und doch nicht der den ihr gesehen habt.“, sagte der Fremde geheimnisvoll.
„Ihr kennt diesen Mann?“, fragte Fis etwas verdutzt.
„Ja, wir haben dir von ihm erzählt, er hat uns hierhin geschickt.“, erklärte Tom.
Der Alte lächelte: „Ich habe euch den Weg gewiesen, doch nicht mich habt ihr gesehen, es war ein Trugbild, ein einfacher Zauber, an diejenigen gerichtet, die auf der Suche sind.“, erklärte er langsam.
„Ein Zauberer? Hier in Fornost?“, fragte Goril ungläubig, „Wer bist du und was hat dich hierher verschlagen?“
„Mein Name ist Mithrandir, euch Zwergen aber ist Tharkun wahrscheinlich bekannter..“
„Oder einfach Gandalf.“, sagte ein groß gewachsener Mann, der gerade durch eine Seitentür in die Halle trat, er hatte lockere graue Kleidung angelegt und führte ein Schwert an seiner Seite. Sein Blick war auf die Hobbits gerichtet und seine aufmerksamen Augen musterten sie interessiert.
„Ich kenne euer Gesicht. Ihr wart auf dem Schlachtfeld vor den Toren, ist das richtig?“, fragte Tom, sein Blick wanderte von dem Gesicht des Mannes zu seinem Schwert und zurück.
„Das stimmt, ich war dort. Mein Name ist Belen, ich bin der Anführer des Sternenbundes.“
„Das trifft sich gut.“, sagte Goril, „Euch haben wir gesucht.“
„Er hat recht, wir sind hierher gekommen um uns dem Sternenbund an zu schließen.“, sagte Fis, „Wir würden gerne helfen.“
„Das freut mich, nach der Schlacht, brauchen wir jeden Mann und jede Frau, doch eure Namen wären mir wichtig.“, sagte er lächelnd und blickte sie erwartungsvoll an.
„Es tut mir leid, das war unhöflich. Mein Name ist Fis, Sohn Fesais und dies sind meine Gefährten Tom und Rick, die Hobbits aus Bree, sowie Goril und Baril aus den Ered Luin.“, als sie ihre Namen hörten verbeugten sich die Zwerge, „Steht's zu Diensten.“
In einem der Räume, der mehreren langen Tischen Platz bot, war bereits das Frühstück im Gange. Sie folgten Gandalf in den Speisesaal und nahmen an einem der freien Tischenden Platz. Fís erzählte Gandalf, wie er nach Bree gekommen war und dort den Tipp erhalten hatte, in Fornost nach dem Sternenbund zu suchen. Belen, der gegenüber saß, aß schweigend, hörte aber offenbar aufmerksam zu.
Einige Momente später wurde der noch freie Stuhl neben Fís geräuschvoll zurückgezogen und eine schlanke Gestalt nahm Platz. "Guten Morgen!" sagte das blonde Mädchen, das Fís nun wiedererkannte. Er hatte sie während der Schlacht bei den Elben am zerstörten Turm gesehen.
"Guten Morgen," sagte er. "Du bist Kerry, richtig?"
Sie nickte. "Und du... bist der Zwerg von gestern." Kerry senkte den Blick und ihre Wangen verdunkelten sich leicht. Offenbar war es ihr etwas peinlich, dass sie Fís' Namen nicht kannte oder vergessen hatte.
„Ich glaube ich habe mich dir noch gar nicht vorgestellt, mein Name ist Fis, Sohn Fesais“
Kerry schenkte ihm ein Lächeln. "Und was macht ein Zwerg hier in der Stadt? Ich glaube, ich habe bisher noch keinen einzigen Eures Volkes hier gesehen."
"Ich war auf 'Reisen' als ich in Bree vom Widerstand erfuhr. Auf dem Weg hierher traf ich dann auf die beiden Hobbits Tom und Rick die du ja auch schon kennst.", erzählte Fis und nahm sich etwas Brot aus den Schüsseln vor ihm, "Wir haben die Schlacht überlebt und sind gestern in der Stadt umhergeirrt. Am Abend sind wir dann auf Baril und Goril gestoßen, die uns bei sich aufgenommen haben, und jetzt sind wir hier.", schloss er seine Erzählung uns biss von seinem Brot ab.
"Mpf...m..wir sind hierher gekommen um uns dem Sternenbund anzuschließen, Tom und Rick haben keine Familie mehr und der Rest meiner Familie lebt weit im Osten in den Eisenbergen, wir brauchen ein neues Ziel und der Sternenbund war dafür die beste Gelegenheit."
"Ihr seid also auf der Suche nach Arbeit mitten in eine Schlacht hineingeraten, ihr hattet echt Glück es geschafft zu haben.", sagte Belen erstaunt, "Ich werde euch Zwerge wohl nie verstehen." Gandalf lachte, du hast Recht: "Zwerge zu verstehen ist eine Kunst für sich, die nicht einmal ein Zauberer richtig beherrscht." "Warum redet dieser Gandalf immer in Rätseln, kann er nicht normal sprechen?", Baril blickte zu Kerry, "Kannst du ihn verstehen?"
"In seinem Alter ist das nun einmal so," antwortete sie gleichgültig. Gandalf hingegen zog nur amüsiert eine Augenbraue nach oben. "Was habt ihr Zwerge jetzt vor?" fragte Kerry in Fís' Richtung. "Werdet ihr beim Wiederaufbau der Stadt helfen?"
"Das ist eine gute Idee, ein paar Stellen in der Mauer können leicht verstärkt werden.", sagte Goril, "Und der Turm muss unbedingt repariert werden. Das ist ein Fall für Zwergenhände."
"Belen, können wir helfen?", fragte Fis vorsichtig.
"Klar, wir können jede Hilfe gebrauchen, vielleicht werden wir wieder angegriffen, ein großer Teil der Feinde ist noch da draußen."
Als Goril den Turm erwähnte legte sich ein Schatten auf Kerrys Gesicht und sie blickte zur Seite. Das Mädchen blieb einen Augenblick still, dann schob sie ihren Teller beiseite. "Tut mir Leid," sagte sie leise. "Mir ist der Appetit vergangen." Mit einem Ruck stand sie auf und verließ den Speisesaal. Die Zwerge blickte ihr nach, doch Gandalf sagte: "Sie hat gute Freunde in der Schlacht verloren. Doch sorgt euch nicht um sie. Ich glaube, es wird ihr bald besser gehen."
„Belen, wir machen uns dann auf den Weg zur Mauer und schauen uns die Schäden an.“, sagte Fis und stand auf.
Text in Zusammenarbeit mit Fine und Melkor.
Verlinkung ergänzt
Curanthor:
Mathan, Halarîn und Acharnor von Fornost: Die Mauern und das umliegende Gebiet
Als sie die Rüsthalle betraten, war bereits eine Art Siegesfeier im Gange, doch die Drei marschierten direkt zu einem der abgelegenden Räume, in dem Adrienne lag. Acharnor vergewisserte sich, dass seine Schwester ruhig schlief, blickte sich gehetzt um und erfühlte ihren Puls. Erleichtert atmete er auf, als er den regelmäßigen Herzschlag seiner großen Schwester spürte. Die beiden Elben hielten sich erstmal im Hintergrund und beobachteten die Szene. Das Mädchen schien friedlich zu schlafen, abgesehen von der gigantischen Schnittwunde, die sich quer über ihren Oberkörper zog. Dank Halarîns schnellen Erstversorgung war das Schlimmste aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Mathan wusste dies und packte den jungen Krieger an den Schultern: "Komm, lass uns etwas essen und trinken gehen, der Tag war lang und du brauchst Etwas um zu Kräften zu kommen"
Er wartete einen Moment und rechnete fest mit Protest, doch Acharnor seufzte und ließ ein zustimmes Murmeln ertönen. Mathan nickte Halarîn zu, die nun ihre restliche Rüstung ablegte und ihre Ärmel hochkrempelte.
"Sie ist bei mir in guten Händen, ich werde mein Möglichstes tun.", versprach sie den beiden.
"Das weiß ich, nun konzentrier dich. Wir warten in der Halle auf dich." antwortete Mathan und half Acharnor auf den Flur. Er schloss die Tür, sodass Halarîn so gut es ging ungestört sein konnte und atmete einmal durch.
"Du hast so etwas oft erlebt oder Mathan?" fragte Acharnor, während sie langsam zur Halle gingen. Der Elb schob den leichten Ärger über die Direktheit beseite und nickte langsam. Er war nicht sonderlich scharf drauf, alle Kämpfe aus der Vergangenheit erneut vor dem inneren Auge zu haben. Doch sein Schüler ließ nicht locker.
"So wie ihr beide gekämpft habt, müsst ihr oft zusammen in der Schlacht gewesen sein...", er blickte ihn neugierig an und wartete auf Mathans Reaktion.
"Falls du mich ausfragen willst, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich bin mit meiner Gattin schon sehr lange zusammen, dennoch habe ich mehr Kämpfe hinter mir und dort sollten sie auch bleiben. Ich wäre dir äußerst verbunden, wenn du mich oder Halarîn nicht über diese Dinge fragst, zumindest nicht dieser Tage."
Der Elb verscheuchte die Bilder, die aus seinen Erinnerungen aufstiegen. Es gelang nicht, der Niedergang Eregions und das langsame zermürben der Verteidiger war wieder deutlich vor seinem geistigen Auge. Sauron selbst war damals anwesend, zumindest konnte jeder seine Präsenz deutlich spüren, doch niemand wusste, ob er wirklich dort gewesen war. Der Grund für all das Sterben seines Volkes waren diese Ringe gewesen und waren es noch immer. Hätte der Verführer, oder "Herr der Geschenke" damals schon alle Ringe bekommen, könnten die Elben schon wohl lange nicht mehr in Mittelerde weilen.
"Ich wollte keine bösen Erinnerungen wecken.", entschuldigte sich Acharnor und setze sich auf eine Bank in der Nähe der Halle wo gedämpft gefeiert wurde.
Seine Entschuldigung vertrieb aber nicht die Bilder, mit denen Mathan zu kämpfen hatte.
Tanzende Flammen malten unruhige Schatten weit in die Nacht. Himmelhoch brannte das alles verzehrende Feuer, das im Herzen Eregions wütete. Das Fauchen des Windes durch die Flammen und die Hitze war unerträglich, doch Mathan blieb auf einer Anhöhe vor der Stadt stehen. Die salzigen Tränen, die er um seine Heimat vergoss schienen beinahe sofort zu verdampfen. Der Wind riss an dem Stoff herum, den er sich um das Gesicht geschlungen hatte. Mit einem Ruck war das Tuch fort, ihm war es aber egal. Fassungslos starrte er auf das Inferno, das einmal sein zu Hause gewesen war. Er konnte sehen, wie Gebäude zusammenbrachen, Türme umkippten, die goldenen Verzierungen wie Wasser durch die Straßen liefen und Ost-In-Edhil für immer unkenntlich machen würde.
Jemand berührte ihn an der Schulter, verwirrt blickte er in Acharnors Gesicht. Mathan schüttelte sich und vertrieb die Bilder aus seinem Kopf. Auf Bitten des jungen Kriegers half er ihn an einen Platz und suchte ihm etwas zu essen. Noch immer halb abwesend trank er etwas Wasser und hörte Acharnor zu, wie er aus glücklichen Kindertagen erzählte.
Curanthor:
Kerry wanderte einige Zeit ziellos durch die weitläufigen Räume und Gänge der alten arnorischen Rüsthalle. Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, als Mablung dem Sternenbund dieses Gebäude gezeigt hatte und wie sehr sie damals über die große Anzahl von Waffen und Rüstungen gestaunt hatte. Niemals hätte Kerry sich damals vorstellen können, wie bitter die Bewohner Fornosts den Inhalt der Rüsthalle schon so bald nötig haben würden. Doch nun war eine große Schlacht geschlagen worden, und obwohl viele von einem Sieg sprachen fühlte es sich für Kerry nicht danach an, als hätten sie irgendetwas gewonnen. Der kurze Augenblick der Freude, als sie von Oronêl erfahren hatte, dass ihr Vater noch am Leben war, verblasste bereits unter der Schicht der Trauer, die sich seit den schrecklichen Ereignissen am Turm um Kerry gelegt hatte. Sie fühlte sich einsam.
Ihre Füße trugen sie in Richtung sanfter Stimmen, die aus einer Gruppe von abgelegenen Räumen kamen. Dort hatte man eine Art Lazarett eingerichtet. Obwohl es viel zu wenige von ihnen gab taten die Heiler alles was in ihrer Macht stand, um die vielen Verwundeten zu versorgen. Kerry wusste, dass auch Irwyne dazu gehörte. Als sie in einen der kleineren Räume schaute entdeckte sie zu ihrer Überraschung Halarîn, die sich um die schlafende Adrienne kümmerte. Kerry blieb einen Augenblick im Türrahmen stehen. Sie wollte nicht stören oder gar Halarîns Konzentration brechen. Schließlich jedoch überwand sie ihre Hemmungen und betrat den Raum. Vorsichtig setzte sie sich auf einen kleine Hocker, der neben Adriennes Bett stand, legte die Hände in den Schoß und schaute das verwundete Mädchen mit sorgenvollem Blick an.
Halarîn hörte zwar, dass die Tür aufging, aber sie konnte sich jetzt nicht ablenken lassen. Sie griff nach einer kleinen Flasche, die auf einen Beistelltisch zusammen mit andere Medizin stand. Ihr Blick fiel auf Kerry, die neben dem Bett saß, doch sie war zu sehr im Gedanken um jetzt mit ihr zu sprechen. Sie drückte dem Mädchen die Phiole in die Hand. Sorgsam zog sie die Decke zurück, die den entblößten Körper von Adrienne bedeckte. Halarîn nahm eine glitzernde Salbe und strich sie sehr vorsichtig auf den vernähten Schnitt. Das Gemisch aus heilenden Kristallstaub und anderen Dingen aus ihrer fernen Heimat waren die kostbarsten Dinge die sie mitgenommen hatte. Die Salbe färbte sich sofort rot vom Blut und schien sich langsam in die Wunde einzusickern. Sie wiederholte den Vorgang zweimal und begutachtete den Schnitt, der sich von der Brust, quer über den Torso und den unteren Bauch zog. Mit Bedauern bemerkte die Elbe, dass die weiblichen Züge von Adrienne noch die einer Jugendlichen waren und sie bereits eine große Narbe tragen würde. Zur ihrer Erleichterung begann die Salbe zu wirken und die Wundränder zogen sich leicht zusammen.
Von Kerry war nichts als ein scharfes Einatmen zu vernehmen, offensichtlich versuchte sie, so still wie möglich zu sein um Halarîn nicht zu stören. Ein schneller Blick zur Seite zeigte ihr, dass das blonde Mädchen die Augen mit staunendem Blick auf Adriennes Verletzungen gerichteter hatte und voller Ehrfurcht dabei zusah, wie die Heilung voranschritt.
Nun begann der schwierigste Teil und Halarîn nahm Kerry sanft die Flasche aus der Hand. Die Körperwärme des Mädchen hatte die erwünschte Wirkung: die silberne Medizin in der Flasche nahm einen goldigen Schimmer an.
"Danke Kerrime*.", murmelte sie geistesabwesend und entfernte den Korken.
Der Duft nach Honig erfüllte den Raum und Halarîn hob mit einer Hand den Kopf der Schlafenden an, mit der Anderen führte sie die Flasche an den Mund.
"Súce-, -yes indóme n- mára an tye. Súce, Adrienne.", flüsterte Halarîn.
Es geschah eine Weile lang nichts, bis Adriennes Augen flatterten. Sie stöhnte leise.
"Shhh, Lóre. Lóre", sprach die Elbe sanft und einfühlsam, bis Adrienne sich wieder beruhigte, " -yes na- okaime, sí súce."
Tatsächlich öffnete Adrienne noch immer schlafend die Lippen und Halarîn ließ die nun goldene Flüssigkeit in ihren Mund laufen. Artig schluckte sie die Medizin herunter ohne aufzuwachen oder sich zu verschlucken.
"Tye careyes ehtelë", sagte die Elbe erleichtert und strich Adrienne über den Kopf.
Sie stellte die halbvolle Flasche beiseite und streichelte der Verletzten mit der Rechten über den Kopf. Halarîn erinnerte sich an das, was ihre Großmutter immer wieder gesagt hatte, dass man immer etwas wartet, bis die Medizin im Magen war. Behutsam legte sie beide Hände auf die nackte Brust von Adrienne. Ihre Haut war kühl und geschmeidig, aber auch irgendwie vertraut. Halarîn runzelte die Stirn, schüttelte aber den Kopf und legte die rechte Hand auf den Kopf der Verletzten; ihre Linke, die Herzhand legte sie genau dort auf, wo Adriennes Herz schlug. Sie konzentrierte sich und schloss die Augen. Dann stieg die gewohnte Wärme in ihre Hände und sie hatte das Gefühl, dass irgendwo ein Meeresrauschen zu hören war. Halarîn blendete alles aus und nahm nur noch den schwachen Herzschlag der Verletzten war, doch ihre Gedanken waren erfüllt von Meeresrauschen. Es schwoll weiter an und füllte sie nun voll aus. Tief aus ihren Erinnerungen sprach sie alte Worte, die sie von ihrer Großmutter gelernt hatte:
Larmime óma, atsayes ve i kal
I lú ana lóre navamme sí
I turo elena natulime- tye
Ni am Amandis - ni've túl ana resta- tye. Lar- mime óma. Túl at- ana i kal.
Die Wärme in ihren Händen verblasste, als sie endete. Das Meeresrauschen ebbte ab und was blieb war der nun kräftigere Herzschlag von Adrienne. Halarîn öffnete die Augen, atmete schwer aus und rieb sich ihre kühlen Hände, eine Geste, die sie niemals tat. Die Haut Adriennes hingegen hatte nun seine gesunde, leicht rötliche Färbung zurück. Sie begutachtete die Wunden und stellte fest, dass die Wundränder nur durch die dünnen Elbenfäden sichtbar waren. Zufrieden deckte sie die Verletzte zu und gewährte ihr damit wieder ihre Privatsphäre. Die Elbe setzte sich gegenüber von Kerry und schöpfte wieder Kraft, sie hatte unterschätzt wie anstrengend ist solche Wunden zu versorgen. Sie blickte zu Adrienne, die nun mit einem deutlich zufriedeneren Ausdruck im Gesicht selig schlief und dann zu Kerry.
"Halla... du hast es geschafft!" hauchte diese mit großer Bewunderung in der Stimme. "Die Verletzungen sind ganz verblasst - so etwas habe ich noch nie gesehen. Wie... wie hast du das nur gemacht? Ist das eine Art von Elbenzauber?" Sie blickte Halarîn mit einer Mischung aus Neugierde, Ehrfurcht und Zuneigung an, die Kerry wohl selbst nicht recht verstand, und es war offensichtlich, dass das Mädchen viele Fragen im Sinn haben musste. Doch da biss sie sich auf die Unterlippe und blickte verlegen zur Seite. "Ich wollte dich nicht stören, Halla," brachte sie leise hervor. "Ich war einsam und habe nach jemandem zum Reden gesucht. Aber als ich hörte wie du in der Elbensprache gesprochen hast - das war doch elbisch gerade eben, oder? - da hat sich deine Stimme... anders angehört. Voller. Stärker. Irgendwie... richtiger. Ich.. habe das Gefühl, dir nur ständig mit meinen Problemen auf die Nerven zu fallen. Das möchte ich nicht Halla. Ich möchte... dir eine gute Freundin sein, wenn du mich haben willst." Kerry verstummte und hielt den Blick gesenkt. Sie hatte gesagt, was ihr auf dem Herzen lag und saß nun dort auf dem kleinen Hocker, die Hände im Schoß, verletzlich und einsam wirkend.
Eigentlich hatte Halarîn schon mit diesen Fagen gerechnet und musste lächeln.
"Was du gerade gesehen hast, war die Heilkunst, die unsere Ahnen beherrscht haben. Zumindest konnten sie die natürliche Heilung ein wenig beschleunigen," sie strich sich die Haare zurück und stupste Kerry auf die Nase, "aber die Dunkelheit in den Gedanken vermag selbst die beste Heilkunst nicht zu vertreiben."
Sie zog den Stuhl näher an das Mädchen heran und blickte ihr in die Augen, ehe sie weitersprach: "Denke nicht, dass du immer jeden auf die Nerven gehst. Du kannst jederzeit zu mir kommen und ich bin mir sicher, dass Mathan auch ein offenes Ohr für dich hat. Er wirkt zwar immer etwas abweisend, aber das ist nur eine Maske, die er gerne trägt. Eigentlich ist er recht einfühlsam, sonst hätte ich mit ihm keine Kinder haben wollen," sie kicherte kurz, blickte verlegen zur Seite und zögerte, "Du bist für mich mehr wie eine Tochter, als eine Freundin.", sagte sie leise.
Halarîn lächelte unsicher und wechselte schnell das Thema: "Das was du eben gehört hast... das war Avarin. Die Elben, die hier im Westen leben würden es herablassend "primitive Urpsrache" nennen, aber bei uns ist anders. Weißt du, im Osten weit hinter Mordor gibt es noch etwa fünf andere Elbenstämme. Meine eigentliche Heimat liegt dort."
Die Elbe blinzelte ein paar mal um die gemischten Gefühle herunterzukämpfen, die in ihr aufstiegen. Plötzlich kam ihr eine Idee und ein sanftes Lächeln erhellte ihr Gesicht.
"Morilië,", sagte sie und strich Kerry über die Wange, "So würdest du bei meinem Volk gerufen werden."
Ein bislang ungesehener Glanz trat in Kerrys Augen als sie den Namen leise wiederholte: "Morilië... das hört sich schön an...." Sie drückte Halarîns Hand und warf einen kurzen Blick auf die friedlich schlafende Adrienne bevor sie weitersprach. "Du bist wirklich etwas Besonderes, Halla," sagte sie und neigte den Kopf leicht in Richtung der elbischen Finger, die über ihre Wange strichen. "Adri hat großes Glück, dass du hier bist." Sie räusperte sich etwas verlegen. "...ich habe auch großes Glück, in dieser immer finsterer scheinenden Welt jemanden zu finden, der so liebevoll und einfühlsam wie du ist. Nach der Schlacht dachte ich, ich würde zerbrechen und nie wieder einen frohen Gedanken haben, doch irgendwie hast du es geschafft, dass ich noch ganz bin."
Sie schwieg einen Augenblick und ihre Augen fixierten Halarîns. "Wenn ich dir wirklich nicht auf die Nerven falle, würde ich dir gerne eine Tochter sein," sagte sie mit einem seltsamen Ton in der Stimme. Offenbar wusste sie selbst nicht genau, wie ernst sie den Satz gemeint hatte. "Möchtest du mir erzählen, wo du herkommst? Die Worte, die du in der Elbensprache gesprochen hast und der Name, den du mir gegeben hast... sie lassen in meinen Gedanken Bilder eines fernen, aber glücklichen Landes aufsteigen. Wie ist es dort? Vermisst du es, dort zu sein?"
Halarîn lächelte sanft und ein warmer, angenehmer Schauer rann ihren Rücken herab. Kerrys Blitzen in den Augen blieb ihr nicht verborgen. Ein freudiger Ausdruck schlich sich in das Gesicht der Elbe und sie nahm beide Hände von Kerry.
"Ich wäre gern wie eine Mutter für dich, denn alles in mir sagt, dass du eine warme, leitende Hand brauchst und jemanden, der sich um dich sorgt,", sie streichelte die Hände ein wenig und blickte Kerry in die Augen, "und dieser jemand würde ich sehr gerne sein."
Sie beugte sich nach vorn und schloss Kerry in ihre Arme, ein flüchtiger Kuss auf die Wange folgte und Halarîn lachte leise.
"Weiß du, bei uns ist es normal, dass wir die Namen vergeben, die nur die engste Familie kennt. Mein Name ist Amandis, das ist glaube ich weniger kompliziert als Halarin," sie hob gebieterisch den Zeigefinger, "nur du, Mathan und meine Eltern kennen ihn, also behandle ihn wie einen Schatz." sagte sie mit gespielter Strenge und blickte rasch zu Adrienne, die aber weiterhin schlief.
Die Elbe schwieg für einen Moment und dachte an ihre Heimat, über die sie eigentlich kaum sprach. Kerry schien ein gutes Gespür für solche Dinge zu haben. Nach einer längeren Pause begann sie zu erzählen: "Ich vermisse meine Heimat sehr, aber seitdem ich mit Mathan zusammen bin, habe ich kaum noch Heimweh. Natürlich fehlen mir die Strände vom Ostmeer, der Anblick des Mondes über der nächtlichen See und die Rufe der Möwen, "sie zögerte, schüttelte aber dann den Kopf," Verzeih, ich habe gar nicht gesagt wo es liegt. Meine Heimat heißt Gan Lurin und dort wohnt das Volk der Hwenti. Was genau das bedeutet kann ich gar nicht übersetzen. Alles begann damit, dass viel weiter nördlich von Gan Lurin die ersten Elben erwachten; viele von ihnen begannen eine große Wanderung nach Westen. Einige schlossen sich der Wanderung nicht an und blieben dort oder zogen weiter umher, diese Elben werden meist Avari genannt. Meine Großmutter ist sogar eine der Ersten der Avari.", sie machte eine Pause um die Gedanken zu ordnen. Es war lange her, dass sie jemanden die Geschichte erzählt hatte. "Nun, die Elben, die dort blieben hatten nie Kontakt mit dem Rest von Mittelerde, deswegen klingt mein Elbisch so anders, es ist eine Abwandlung des Ur-Elbisch. Wir nennen unserer Sprache Hwenti Aber ich möchte dich nicht mit alten Geschichte langweilen, " lachte Halarîn und kam direkt zum Punkt, " Dort ist es sehr warm, die Elben dort leben in mehreren großen Siedlungen, die aber weit verstreut liegen. Es gibt viele Einsiedler und ständige Wanderer. Ich bin an einem kleinen Dorf nahe der Küste aufgewachsen, um das Dorf herum gibt es riesige Wälder und wenige Menschen, sie trauen sich nicht soweit in den Osten, " sie seufzte leise und strich sie die Haare zurück, "damals bin ich oft mit meiner Großmutter am Strand gewesen, sie ist unglaublich weise und bildhübsch. Sie hat mir immer Ratschläge gegeben und mich auf meinen Weg gleitet. Sie ist es, die ich am meisten vermisse. Sie hat mir auch die Heilkünste beigebracht und sie war es, die mich am meisten positiv beeinflusst hat."
Eine einzelne Träne rollte an ihrer Wange herab und sie wischte sie schnell fort. Halarîn wusste, dass sie einige Dinge ausgelassen hatte, aber sie wollte Kerry nicht mit Informationen überfallen. Die schlechten Dinge ließ sie absichtlich weg und dachte an die beinahe weißen Strände, das dunkelblaue Meer und die blendende Sonne. Viele gute Erinnerungen, die sie ihre Heimat wieder vermissen ließ.
Übersetzungen: *Kerrime = Kerrys Name falsch bzw schlampig übersetzt ins Quenya mit Avari-Akzent.
*"Trink, es wird gut für dich sein. Trink, Adrienne"
*Shhh, schlaf. Schlaf. [...] Es ist (okay/gut), jetzt trink."
*Das machst du gut."
Höre meiner Stimme, fange sie wie das Licht
Die Zeit zu schlafen ist noch nicht jetzt
Die Kraft der Sterne leitet dich
Ich bin Amandis. Ich bin gekommen um dir zu helfen. Höre meine Stimme. Komm zurück ins Licht
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