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Fornost: Das Versteck des Sternenbundes

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Fine:
Als Halarîn verstummte blieb auch Kerry einige Augenblicke still. Ihr war nicht entgangen, welch starke Emotionen Halarîn ausgestrahlt hatte und sie spürte, dass es ihr gleichzeitig Freude und Leid bereitet hatte, über ihre ferne Heimat zu sprechen. Kerry stellte fest, dass Halarîn bereits auf sie abgefärbt hatte, weshalb sie wusste (oder glaubte zu wissen), dass sie ihr mit der Zeit mehr erzählen würde, doch dass dies vorerst genügen würde. Also legte sie einfach die Arme um Halarîn und drückte sie.
"Deine Großmutter klingt nach einer wirklich wunderbaren Person," sagte sie mit all dem Mitgefühl das sich in ihrem Herzen befand. "Ich weiß natürlich dass ich... sie nicht ersetzen kann, aber..." Sie stockte und hielt inne. Was hatte sie eigentlich sagen wollen? Sie löste sich von Halarîn und blickte in ihre silbern schimmernden Augen. Es war ein besonderer Moment; denn sie spürte deutlich, dass Halarîn ihr gerade Dinge anvertraut hatte, die sie nur den wenigsten verraten würde. Es war eine Art von Vertrauen, die Kerry bisher nur bei ihrer eigenen Mutter erlebt hatte.
"Ich kannte meine Großmutter nicht," war alles, was ihr einfiel, und sie stellte fest, dass sie das gerade laut gesagt und nicht nur gedacht hatte. Sie spürte, wie ihr die Röte heiß in die Wangen schoss, doch Halarîn lächelte ihr ermutigend zu, was Kerrys Gedanken wieder in Ordnung brachte.
"Das, was du über deinen Namen gesagt hast... und dass du mir eine Mutter sein möchtest... das ist wirklich sehr großzügig von dir, Amandís," sagte sie und überraschte sich selbst als sie den Namen tatsächlich behalten hatte. "Es wäre so schön wieder eine Familie zu haben... aber ich will niemandem zur Last fallen. Ich... wäre sehr gerne Morilië, Tochter von Amandís, aber... nur wenn..."
Sie unterbrach sich als sie Halarîns Blick sah.
"Morilië, sage nicht andauernd, dass du irgendjemanden zur Last fällst. Irgendwann redet man sich Dinge so lange ein, bis man sie selbst glaubt," sie nahm erneut Kerrys Hände in die Ihre, "Du fällst mir nicht zur Last und Mathan auch nicht, also denk nicht so einen Unsinn von dir. Du bist ein wunderbares Mädchen und deswegen habe ich mir etwas überlegt: Ich habe dir meinen Namen genannt, da du aber kein Hwenti sprichst, gebe ich dir jetzt einen, der für dich passt."
Sie tat so, als ob sie überlegen müsste, dabei war sie sich schon sicher, als sie auf dem Weg vom Tor zur Rüstkammer waren. Es war eine sehr einfach Wahl, aber die ersten Einfälle sind bekanntlich die Besten.
"Was würdest du sagen, wenn ich dich ...", sie blickte rasch zu Adrienne, die aber weiterhin tief und fest schlief, "Manien, nenne? Das bedeutet grob übersetzt "moralisch gut"." sie legte Kerry eine Hand auf dem Kopf und strich ihr übers Haar.
"Bei uns Elben ist es brauch, dass wir drei Namen haben, einen Erstnamen vom Vater, der Zweitname von der Mutter und der Dritte ist ein Spitzname. Also den Namen den ich dir gegeben habe, wirst du nur sehr engen Familienmitgliedern mitteilen, Manien."
Halarîn atmete zufrieden auf und dachte daran, was ihre Eltern sagen würden, wenn sie wüssten, dass sie ein junges Menschenmädchen adoptieren würde. Wahrscheinlich würden sie es nicht verstehen, aber sie war sich sicher, dass Ivyn es verstehen würde.

Halarîn lächelte und dachte noch immer an ihre Familie und ihre Großmutter, die zusammen mit einigen anderen Elben über das Meer gefahren ist. Plötzlich kam ihr eine Idee und sie zog ein kleines Kästchen aus ihrer Tasche, indem sie sonst ihre Medizin verstaute.
"Da du ja bald zur Familie gehört, solltest du auch den Rest von uns kennenlernen.", sagte sie und klappte das Kästchen auf. Darin lagen ein paar Briefe, ein gefaltetes Pergament, ein silbernes Amulett, ein goldener Armreif und ein matter, schwarzer Ring, in dessen Fassung ein kleiner Saphir eingelassen war. Die Elbe zog das Pergament hervor und faltete es auseinander. Darauf war die Zeichnung einer hochgewechsenen Elbe zu sehen, die in majestätischen Kleidern, einem Szepter und einer Krone dastand.
"Dies ist deine ältere Schwester, Faelivrin. Wie du erkennen kannst, gehört sie zum Adel, " sie kicherte kurz, räusperte sich und wurde wieder ernst, "Einige Avari haben sich ihr und dem größten Teil der Familie angeschlossen. Sie sind über das Meer gefahren, in die unbekannten Lande noch weiter östlich von Mittelerde. Dort haben sie ihr eigenes Reich gegründet und sie ist ihre Königin. Wie es der Zufall will, kam sie vor einigen Wochen nach langer Zeit wieder zurück und weilt nun in den Grauen Anfurten. Vielleicht lernst du sie ja irgendwann mal kennen. Sie hat sich immer eine kleine Schwester gewünscht.", sie zögerte kurz und strich sich gedankenverloren über den Bauch, irgendwas hat sich dort bewegt, schob es aber auf Rückwirkung der Heilung. Sie sagte nichts und lächelte stattdessen, "Und die wird sie in dir haben, da bin ich mir sicher."
"Manien," wiederholte Kerry und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Je mehr Zeit sie mit Halarîn verbrachte, desto einfacher schien es zu werden, sich die elbischen Namen und Worte zu merken. "Dann wäre ich also Manien Morilië und du bist Amandís Halarîn, richtig? Es tut mir Leid, dass ich mir deinen Namen nicht merken konnte. Das passiert mir leider ständig. Aber jetzt werde ich ihn nicht mehr vergessen."
Sie überlegte einen Augenblick und warf einen schnellen Blick zu Adrienne. Ihre Haare fielen ihr dabei über die Stirn und sie strich sie locker zur Seite. Kerrys Anspannung fiel mehr und mehr von ihr ab und sie begann, Halarîn nun wirklich als Mutter wahrzunehmen. Sie studierte neugierig und eingehend die Zeichnung von Faelivrin... ihrer älteren Schwester. "Ich habe noch nie eine Schwester gehabt," erzählte sie im vergnügten Ton. "In meinem Dorf lebten nur wenige Kinder, und die Mädchen, mit denen ich befreundet war, waren alle in meinem Alter. Eine ältere Schwester zu haben ist nur ein weiterer Traum, den du mir erfüllst," sagte sie und drückte Halarîns Hand voller Zuneigung. "Vielleicht könnten wir sie eines Tages besuchen gehen, wenn sie..." Kerry stockte und man konnte sehen, dass die Angst, abgelehnt zu werden, für einen kurzen Augenblick wieder aufflackerte. Doch Halarîns beruhigende Gegenwart gab ihr die Kraft, sich dagegen zu wehren. "Sie freut sich bestimmt auch so sehr wie ich," sagte sie entschlossen. "Ich möchte deine Sprache lernen," fuhr sie dann im Plauderton fort, "damit ich verstehe, was deine und meine Namen bedeuten. Wie möchtest du denn gerne von mir genannt werden?" fragte sie und suchte Halarîns Blick.
Halarîn lachte leise und streichelte Kerrys Hand. "Ich bin mir sicher, dass Faelivrin dich gerne um sich haben wird. Mathan und ich hatten so oder so vor sie zu besuchen bevor sie wieder davonfährt, da kannst du mit Sicherheit dabei sein."
Die Elbe dachte eine Weile nach und sah die Angst in Kerrys Augen. Die Unsicherheit abgelehnt zu werden blitzte immernoch hin und wieder auf.
"Manien, sorge dich nicht, dass du nicht aufgenommen wirst. Faelivrin wird überrascht aber glücklich sein und Mathan...", sie grinste und zuckte mit den Schultern, " er wird etwas brummig sein, aber bestimmt hat er schon mit dem Gedanken gespielt. Was Menschen angeht ist er immer etwas unsicher, aber zeigt es ungern. Wenn er alleine mit dir spricht merkst du aber, dass er sehr fürsorglich ist und alles für die Familie tut; umso mehr, wenn wir Zuwachs bekommen."
Es war verständlich, dass Kerry ihre Sprache lernen wollte. Dass sie ihre beiden Namen richtig ausgesprochen hatte, rang ihr Bewunderung ab. Immerhin waren Quenya-Namen für eine ungeübte Zunge nicht gerade einfach zu meistern.
"Wenn ich ehrlich sein darf: deine Schwäche mit Namen hat weniger mit einem schlechten Gedächtnis zu tun, sondern eher, dass dir ein Bild zu der Person fehlt die du mit dem Namen verbinden kannst. Ich gebe dir jetzt so etwas wie ein Bild, "sie klappte erneut das Kästchen auf und holte den schwarzen Ring mit dem Saphir hervor, "dies ist ein Saphirrring, den Mathan einst in seiner Ausbildung geschmiedet hatte, " sie lächelte versonnen und blickte träumend in Kerrys Augen, "er schmiedete ihn an dem Tag, als wir uns unser Versprechen gaben."
Für einen Moment war Halarîn wieder dreitausend Jahre in der Zeit zurückversetzt, als Mathan sie auf einem Hügel mit wundervollen Worten um die Ewigen Liebe erbat. Er hatte zwei Ringe geschmiedet, einen mit einem Saphir und einen anderen mit einem sehr kleinen Diamant. Die Elbe fasste sich unbewusst an den Hals, um den sie eine Kette mit dem Ring trug, der durch den Stoff der Kleidung verdeckt wurde. Sie drehte den Saphirring einen Augenblick lang in den Fingern, kurzerhand nahm sie die linke Hand des Mädchens und steckte ihr den Ring an. Zufrieden blickte sie auf das Schmuckstück und lächelte die Trägerin an.
"Das ist ein Nénharma-Ring. Faelivrin hat auch so einen, aber mit einem Rubin. In Mathans Familie ist es Tradition, Ringe an besonderen Tagen anzufertigen und diese dann später den Kindern zu schenken. Sie stehen für eine Familienbindung; zum Beispiel ist der Rubinring von Faelivrin an dem Tag gefertigt worden, als sie zur Welt kam."
Halarîn dachte eine Weile nach und schüttelte entschuldigend den Kopf: "Ich hatte ganz vergessen den Familiennamen zu übersetzen, wie dumm von mir. Nénharma bedeutet "Wanderer", da Mathan und ich sehr viel umherziehen. Der Ursprung des Namens liegt in Mathans Familie, aber das musst du ihn selbst fragen.", die Elbe öffnete ihren Haarknoten und ließ sich die Strähnen locker über die Schulter fallen, " das Quenya ist so etwas wie die Sprache der Gelehrten, wenn du Gandalf den Grauen kennst, dann weißt du, wer sie sonst noch benutzt. Amandis bedeutet in etwa: " die Reine", den hat meine Mutter gewählt, also kennen ihn nur meine Eltern, Mathan, Faelivrin und du. Halarîn habe ich mir selbst gegeben, so wie du wahrscheinlich bei Kerry, er hat aber keine weitere Bedeutung. Wichtig beim Quenya ist, dass du weitersprichst, selbst wenn du ein Fehler machst. Es ist für Menschen vergleichbar mit einem leichten Singsang, den man nicht unerbrechen darf, sonst geht die Harmonie verloren. Ein einfacher Satz wäre: "Ni am Morilië"; das bedeutet: "Ich bin Morilië. Anhand dessen weißt du, dass "Ich" in Quenya "Ni" bedeutet."
Die Elbe machte eine kurze Pause, damit Kerry nicht von Informationen überflutet wurde und sagte schließlich leiser als beabsichtigt:" Du kannst mich gerne mit Amil ansprechen, nurwenn du möchtest. Das bedeutet "Mutter".
Halarîn schenkte Kerry ein herzerwärmdes Lächeln und strich ihr über die Wange.

"Ni am Morilië," wiederholte Kerry erst leise und dann noch einmal, lauter und vergnügter. "Ni am Morilië! Das ist gar nicht so schwer zu merken. Danke, Amil!" rief sie und umarmte Halarîn ein weiteres Mal. "Moment, aber was heißt denn "Danke" auf Quenya? Es gibt so viele Worte, die ich lernen möchte. Eigentlich sogar alle!" Sie grinste fröhlich und hob die Hand, an der der Nénharma-Ring im Licht funkelte. "Der ist wirklich wunderschön! Ich werde gut auf ihn achtgeben, das verspreche ich dir. Ich will ihn nie mehr ablegen."

Sie machte eine Pause und erlaubte der frohen Stimmung jede Faser ihres Körpers zu erfüllen. Ihr wurde bewusst, dass die Schlacht von Fornost ein großer Wendepunkt in ihren Leben war. Sie hatte viel verloren, doch auch viel gewonnen. Viele Dinge hatten sich verändert.
"Bestimmt hast du Recht, Amil," sagte sie schließlich. "Ein Bild von den Leuten zu haben deren Namen ich mir merken soll wird mir helfen, mich daran zu erinnern. Bei einigen ist das ja auch schon so - Gandalfs Namen zum Beispiel konnte ich mir gleich merken als ich ihn in Alten Wald kennengelernt habe. Andere hingegen.... das ist schon schwieriger. Aber ich verspreche, mir mehr Mühe zu geben!" Sie ballte die Hand mit dem Ring entschlossen zur Faust. "Ich möchte nicht einfach nur beschenkt werden. Ich möchte dir etwas zurückgeben." Sie hielt einen Augenblick inne und überlegte. Dann zog sie das einfache Lederband ab, das ihren Zopf zusammenhielt, und ihre Haare fielen ihr frei  über die Schultern. Kerry hielt das Band ins Licht. Es war mit rohirrischen Stickmustern verziert und zeigte einen Reiter auf einem weißen Pferd, der in ein Horn stieß. "Hier, Amil. Dieses Band habe ich aus meiner ursprünglichen Heimat mitgebracht. Du könntest... du könntest es an deinem Arm tragen, wenn du möchtest." Eine gewisse Unsicherheit kam über sie, doch sie unterdrückte das Gefühl. "Es würde dich an mich erinnern, wenn ich... nicht mehr da bin." Ihre eigene Sterblichkeit fühlte sich in diesem Augenblick wie ein großer Makel an, doch in Halarîns sanftem Blick fand Kerry den Trost den sie brauchte. So brachte sie ein Lächeln zustande und hielt ihrer neuen Mutter das rohirrische Band hin.

Die Elbe zögerte einen Moment und strich nachdenklich über das Leder. Schließlich nahm sie es entgegen und band ihre Haare damit zu einem Zopf. Ihr bedeutete diese Geste viel, was man ganz deutlich an ihrem warmen Lächeln erkennen konnte.
"Der Ring ist kein Geschenk, es ist ein Versprechen: "Ich werde immer für dich da sein, mein Liebling.", sagte sie voller Zuneigung und legte ihre Hand an Kerrys Wange, "Danke für das Haarband, ich weiß, dass es einen großen Wert für dich hat. Ich werde es immer bei mir tragen, bis das Ende meiner Tage gekommen ist und ich in die Ewigen Lande übersetze." Sie machte eine Pause um ihre Worte zu verdeutlichen.

"Ich glaube Mathan sollte dir die gängigen Wörter des Quenya beibringen, ich habe eine sehr merkwürdige Aussprache und wenn du mit anderen Elben sprichst wird des besonders merkürdig klingen," sie grinste, fuhr Kerry durch die Haare und verpasste ihr eine kecke Frisur, "außerdem sind Elben es überhaupt nicht gewohnt, dass Menschen Quenya sprechen."

Die Tür schwang auf und ein erschöpft aussehender Mathan stand im Zimmer, der aber sofort Haltung annahm, als er Kerry erblickte. "Entschuldigt, störe ich?", fragte er und sein Blick fiel auf Adrienne, "Wie geht es ihr?"
Halarîn erhob sich, gab ihn einen Kuss auf die Wange und umarmte ihn. Sie lächelte glücklich, was ihn beruhigte.
"Ich fasse das als ein "gut" auf," sein Blick wanderte über Kerry, dann zu seiner Frau, "wie mir scheint bin ich gerade rechtzeitig erschienen. Dabei bin ich mit den Vorbereitungen noch gar nicht fertig.
Sein Blick wurde wärmer als er den Ring an Kerrys Hand entdeckte, er löste sich von Halarîn und setzte sich dem Mädchen gegenüber. Wortlos strich er über den Ring, dann den Finger und blickte ihr dann in die Augen.
"Ich war mir nie sicher ob ich jemals die Möglichkeit haben werde, den Ring an jemanden zu erblicken und zu denken, dass er wunderbar passt, " er erhob sich und küsste Kerry sanft auf die Stirn, "er steht dir ausgezeichnet."
Halarîn strahlte regelrecht und hielt eine Hand auf ihrem Bauch, wärend Mathan bereits wieder auf den Weg zur Tür war. "Ich werde den Rest noch vorbereiten, ich hole euch, sobald alle bereit sind."
Klackend fiel die Tür ins Schloss und die drei Frauen waren wieder alleine. Adrienne murmelte leise im Schlaf und rollte sich auf die unverletzte Seite.
Um Fragen vorzubeugen hielt Halarîn einen Finger an die Lippen und strich der Schlafenden das Haar aus dem Gesicht. "Mathan hat ein feines Gespür, er wusste, dass ich auf dich zugehen würde. Er ist ganz in seinem Element und plant etwas. Wahrscheinlich wird es das schönste Fest seit langem in dieser Stadt", sie zwinkerte verschwörerisch, "aber du weißt von nichts. Vertrau mir, es wird wundervoll."

Fine:
Kerry blieb noch einige Minuten bei Halarîn sitzen, doch schließlich erhob sie sich. Sie verspürte eine Energie in ihrem Inneren, die sie davon abhielt, weiter stillzusitzen. Kerry verstand es selbst nicht ganz, doch sie vermutete, es hatte mit der Freude über ihre neue Familie zu tun. "Ich hoffe, Adri erholt sich bald," sagte sie zu Halarîn, die sitzen geblieben war. "Amil, ich möchte mich nützlich machen und werde daher sehen, ob ich den Heilern in der Nähe behilflich sein kann. Wenn du micht brauchst, werde ich da sein - ich gehe nicht weit weg, keine Sorge." Sie umarmte Halarîn innig, welche ihr lächelnd zunickte. "Geh nur, Morilië. Ich werde hier sein," sagte sie. Kerry erwiderte das Lächeln, warf ihrer Adoptivmutter einen letzten liebevollen Blick zu und eilte dann aus dem Raum.

Der Teil des alten Gebäudes, in dem man das Lazarett eingerichtet hatte, lag an der Westseite der Rüsthalle, mit Fenstern die zum kleinen Innenhof hin lagen. Die Räume hier waren alle relativ klein, doch es gab auch eine größere Halle, in der der Großteil der leichter Verwundeten untergebracht war. Dort fand Kerry, was sie gesucht hatte. Irwyne stand an einem hölzernen Tisch und bereitete einen Wundumschlag vor, sehr konzentriert und in ihre Arbeit vertieft wirkend. Kerry stellte sich neben sie und tippte ihr sanft auf die Schulter. Anstatt jedoch zu erschrecken wandte Irwyne ihr nur den Kopf zu und lächelte, als sie Kerry erkannte.
"Déorwyn! Wie schön, dich hier zu sehen. Hast du gut geschlafen?"
"Hallo, Irwen," sagte Kerry, doch Irwyne unterbrach sie mit erhobenem Finger.
"Irwyne," verbesserte sie streng. "Geht das nicht in deinen Kopf hinein?" Sie versetzte Kerry einen spielerischen Schlag an die Stirn.
"Es wird einfacher werden," gab Kerry zurück. "Ich muss nur... das Bild der jeweiligen Person mit ihrem Namen richtig verbinden," sagte sie und erinnerte sich an Halarîns Worte. "Irwyne. Du bist... Irwyne. Ja."
Irwyne blickte sie einen Moment lang seltsam an, doch dann lächelte sie. "Du kannst mir behilflich sein, wenn du möchtest," sagte sie. "Ich habe viele Verletzte zu versorgen."
"Was ist mit deiner eigenen Verletzung?" fragte Kerry und blickte an Irwyne herunter. Das Kleid, das sie trug, verdeckte ihr Bein, doch sie winkte ab. "Es tut manchmal noch weh beim Auftreten, aber es geht schon. Andere hat es viel schlimmer erwischt als mich."
Kerry bewunderte Irwynes Tapferkeit und Hilfsbereitschaft, und wurde dadurch umso mehr angespornt, ihr Bestes zu geben um ihrer Freundin zu helfen. "Also gut," sagte sie. "Wie kann ich dir helfen?"
"Ich muss diesen Wundumschlag bei einem der Verletzten anwenden," erklärte Irwyne. "Nur leider ist er etwas empfindlich, und bewegt sich zu viel, was mir meine Arbeit sehr erschwert. Ich brauche jemanden, der seine Arme und Schultern festhält während ich den Verband wechsele. Kannst du das übernehmen?"
"Natürlich," meinte Kerry. "Das kriege ich schon hin."

Irwyne stellte den Wundumschlag fertig und führte Kerry in den hinteren Teil des großen Raumes, vorbei an vielen improvisierten Betten und Liegestätten, auf denen Verletzte schliefen oder von Heilern versorgt wurden. Ganz am Ende des Raumes lag ein großer Mann, der auf eine grobe Decke gebettet lag und ihnen den Rücken zugewandt hatte. Sein Oberkörper war nackt, doch von einem großen Verband bedeckt. Als die beiden Mädchen herankamen bewegte er sich, drehte sich jedoch nicht um.
"Ist es schon wieder Zeit?" fragte er. Kerry blieb wie angewurzelt stehen und blinzelte. Sie musste sich verhört haben. Die Stimme war ihr sehr bekannt vorgekommen, doch...
"Es ist Zeit," sagte Irwyne bekräftigend. "Wenn die Wunde heilen soll muss der Verband rechtzeitig gewechselt werden.Und diesmal würde ich es begrüßen, wenn Ihr etwas... entgegenkommender wärt."
Der Mann brummte etwas Unverständliches und rollte sich herum, sodass Kerry sein Gesicht sehen konnte. Sie erstarrte, wie vom Blitz getroffen.
"Oh, hallo Kerry," sagte er und lächelte schwach. "Schön, dich zu sehen."
Irwyne schien die Situation sofort zu erfassen. "Ihr beide kennt euch? Und du... wusstest offenbar nicht, dass er überlebt hat. Nun, das ist doch mal eine freudige Überraschung, Nicht wahr, Déorwyn?"
"D-Dúnadan?" brachte Kerry stotternd hervor.
"Ich dachte, er heißt Rilmir," wandte Irwyne ein.
"Ja... Rilmir..." wiederholte Kerry und fühlte sich, als würde sie aus einem Traum erwachen. "Ich sah, wie du getroffen wurdest... wie hast du...?"
"Wie ich überlebt habe? Durch pures Glück," erklärte Rilmir gut gelaunt. "Direkt unter der Mauer lag ein großer Stapel Decken und Heuballen, mit denen wir eigentlich einige der Steine für Hauptmann Mathans Katapult umwickeln wollten um sie in brand zu setzen. Kannst du dir vorstellen, wieviel mehr Schaden brennende Geschosse angerichtet hätten?" Er grinste, doch als er Kerrys Blick bemerkte wurde er wieder ernst. "Ich landete also weich, und es gelang mir, den Pfeil aus der Wunde zu ziehen. Doch dann muss ich wohl vom Blutverlust ohnmächtig geworden sein. Als ich wieder zu mir kam war ich bereits hier... in der fürsorglichen Behandlung dieser freundlichen jungen Dame."
"Pah!" machte Irwyne, die ganz genau verstanden hatte, weshalb Rilmir seine Worte äußerst spöttisch betont hatte.
"Ich dachte, ich hätte dich auch noch verloren," presste Kerry hervor und erneut stiegen ihr Tränen in die Augen. Doch es waren Tränen der Freude. Sie umarmte Rilmir, der vor Schmerzen ächzte.
"Du bist mir gerade etwas im Weg, Déorwyn," äußerte sich Irwyne, die den neuen Verband bereit hielt. "Du solltest doch seine Arme festhalten, damit er nicht so herumzappeln kann."
"Was? Das ist also eine Verschwörung gegen mich?" rief Rilmir mit gespielter Empörung. "Du verrätst mich, Kerry?"
Kerry wischte sich die Tränen ab und lachte laut und herzlich. "Sieht ganz so aus, Dúnadan!" Rasch griff sie unter seinen Schultern hindurch und hielt seine Arme fest. "Es ist nur zu deinem Besten," fügte sie hinzu.
"Oh, na schön, ich ergebe mich," gab Rilmir sich geschlagen. Kerry sah zu, wie Irwyne mit geübten Handgriffen den alten Verband abstreifte. Die Wunde, die darunter hervorkam, sah übel aus, doch Irwyne beruhigte sie als sie Kerrys aufgerissene Augen sah: "Der Pfeil ging direkt durch und hat keine inneren Organe verletzt. Dieser Waldläufer hat Glück gehabt."
"Oder der Schütze, der mir das alles eingebrockt hat, hat Pech gehabt," meinte Rilmir und verzog das Gesicht als Irwyne den neuen Verband anlegte. "Das brennt," stieß er hervor.
"Soll es auch," sagte Irwyne ungerührt. "Die Wunde wird durch die Kräuter gereinigt und heilt, ohne sich zu entzünden."

Kerry ließ Rilmir los und setzte sich neben ihn, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. "Ich bin froh, dass es dir gut geht," sagte sie.
"Das bin ich auch. Und du hast die Schlacht zum Glück auch überstanden," erwiderte Rilmir. "Was hast du dir nur dabei gedacht, an der Verteidigung des Turmes teilzunehmen? Du hättest getötet werden können, Kerry!"
Sie senkte den Kopf, doch da mischte sich Irwyne ein: "Wäre Déorwyn nicht gewesen wäre es um Mírwen und mich geschehen gewesen. Sie hat großen Mut bewiesen."
Rilmirs Blick wurde wieder sanfter. "Also gut. Aber versprich mir, dass du, wenn du wirklich kämpfen willst, wieder Unterricht bei Hauptmann Mathan nimmst."
Kerry nickte zustimmend. "Das mache ich." Sie hob die Hand und zeigte den beiden den Ring, der an ihrem Finger steckte. "Seht ihn euch an," sagte sie stolz. "Den habe ich von meiner Mutter bekommen! Ist er nicht wunderschön?"
"Deine Mutter?" fragte Rilmir zweifelnd. "Ich dachte, du wärst eine Waise?"
"Ich meine meine neue Mutter. A..." ihr fiel gerade noch ein, was ihr Halarîn über ihren "geheimen" Namen gesagt hatte. "Halarîn. Sie hat mich adoptiert und mir den Namen Morilië gegeben. Ich habe sogar schon gelernt, mich auf elblisch vorzustellen: Ni am Morilië," wiederholte sie die Worte, die Halarîn ihr beigebracht hatte.
"Ein elbischer Name, nur für dich?" fragte Irwyne mit einem seltsamen Klang in der Stimme. "Oronêl hat mir auch einen Ring gegeben... aber keinen Namen."
"Vielleicht dauert das bei ihm etwas länger," überlegte Kerry und versuchte, tröstlich zu klingen."
"Ich kenne ihn schon ziemlich lange," erwiderte Irwyne. doch dann hob sie die Schultern. "Wie dem auch sei. Komm, Déorwyn. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Es gibt noch mehr Verletzte, bei denen du mir helfen kannst."
"Das mache ich, ...Irwyne," antwortete Kerry und wurde mit einem freundschaftlichen Lächeln von Irwyne belohnt. Gemeinsam machten sich die beiden rohirrischen Mädchen an die Arbeit.

Eandril:
Oronêl von den Verteidigungsanlagen...

Oronêl betrat langsam den Raum, in dem das Lazarett eingerichtet worden war und ließ den Blick über die Verwundeten und die wenigen Heiler schweifen. Obwohl die Fenster nach Westen hinaus gingen fiel sanftes Tageslicht durch sie in die Halle, die den Hauptteil des Lazaretts bildete, und es fiel Oronêl nicht schwer Kerry und Irwyne auszumachen. Die blonden Haare der beiden hoben sich deutlich von den vornehmlich dunkelhaarigen Dúnedain um sie herum ab.
Er trat an die Mädchen heran, nachdem er sie für einen Augenblick bei der Arbeit beobachtet hatte. Irwyne säuberte gerade die Wunde eines Mannes, dessen Schwertarm in der Schlacht übel zugerichtet worden war, während Kerry ihr nach und nach die benötigten Sachen reichte und ihr aufmerksam zusah.
"Ich sehe schon, du lässt dich durch nichts von der Arbeit abhalten", sagte Oronêl, und legte Irwyne eine Hand auf die Schulter. Irwyne nickte zu seiner Überraschung nur stumm, nahm Kerry den dargebotenen Verband mit einer merkwürdig heftigen Geste aus der Hand, und begann die gesäuberte Wunde zu verbinden. Oronêl warf Kerry, die im Gegensatz zu Irwyne geradezu blendend gelaunt wirkte, einen verwirrten Blick zu.
Kerry lächelte ihn fröhlich an und sagte: "Ni am Morilië! Hallo Oronêl! Hast du schon gehört? Ich habe einen neuen Namen und eine neue Familie bekommen." Sie strahle über das ganze Gesicht.
Oronêl konnte nicht anders als zurücklächeln, und fragte: "Du hast eine neue Familie? Aber ich dachte..."
"Mathan und... Halarîn", erklärte Kerry munter. "Ich glaube, es war Halarîns Idee, aber Mathan scheint sich auch zu freuen", fügte sie verschwörerisch hinzu. Von Irwyne, die gerade den Verband verschloss, glaubte Oronêl ein kleines Schnauben zu hören, und allmählich dämmerte ihm das Problem.
"Dann haben sie dich als Tochter angenommen?", fragte er, wenn auch ein wenig abgelenkt. "Das freut mich für dich - und für sie."
"Danke!" Kerry strahlte noch immer. "Und Rilmir ist noch am Leben, obwohl ich dachte er wäre tot. Kannst du das..." Sie wurde unterbrochen, als Irwyne sich unsanft zwischen ihr und Oronêl hindurchdrängte. "Ist irgendetwas?", fragte Kerry, und wirkte verwirrt. "Das wüsste ich auch gerne", meinte Oronêl, und ergriff Irwynes Arm und hielt sie zurück.
"Lass mich los!", stieß Irwyne hervor und wehrte sich gegen seinen Griff, doch Oronêl ließ nicht locker.
"He, was ist denn mit dir los?", fragte er, und als Irwyne zu ihm herum fuhr sah er zu seinem Entsetzen Tränen über ihre Wangen laufen. Kerry war taktvoll zwei Schritte zurückgegangen, beobachtete die beiden aber mit besorgtem Blick.
"Was willst du von mir?", fragte sie, und ihre Stimme zitterte dabei leicht. "Ich scheine dir ja nicht besonders wichtig zu sein."
Oronêl nahm ihre beiden Hände in seine. "Wie kommst du darauf? Du weißt, dass ich dich wie eine Tochter liebe." Irwyne schniefte. "Und wieso hat Déorwyn dann schon jetzt einen neuen Namen bekommen und ich von dir nie? Ich will nicht neidisch sein aber..."
"Manchmal kann man nicht aus seiner Haut", sagte Oronêl. "Aber ich wusste nicht, dass du dir das wünscht."
"Ich ebenfalls nicht - bis heute. Aber... ich will doch nur eine Familie haben. Und ich wusste nicht, dass ein Name dazugehört." Oronêl zog Irwyne an sich, und zu seiner Erleichterung wehrte sie sich nicht gegen seine Umarmung. "Es ist keine Pflicht", erklärte er leise. "Und ich habe dich auch so als meine Tochter betrachtet. Aber wenn du möchtest, werde ich mir auch für dich einen Namen ausdenken und dir bald einen neuen geben."
"Warum nicht jetzt gleich?", fragte Irwyne gedämpft gegen seine Brust, und Oronêl musste lächeln. Er strich ihr sanft über den blonden Schopf als er antwortete: "Ein guter Name braucht Zeit. Und du möchtest doch nicht einfach irgendeinen beliebigen Namen bekommen, oder?" Irwyne nahm den Kopf von seiner Brust und lächelte ihm zu, was Oronêl unendlich erleichterte.
"Dann werde ich mich in Geduld üben... Vater." Ein Gefühl der Wärmel breitete sich bei diesen Worten in Oronêl aus, und er lächelte.
"Nun, da wir das geklärt haben, weißt du wo ich Mírwen finde?"
Irwyne zeigte auf die Tür, die zu einem der Nebenräume führte: "Sie ist dort drüben, es geht ihr heute schon deutlich besser." Und zu Kerry, die noch immer einige Schritte entfernt stand, fügte sie hinzu: "Na komm, Kerry-Déorwyn-Morilië. Es gibt noch immer viel zu tun."

Oronêl fand Mírwen schnell, denn das rote Haar der jungen Elbe hob sich deutlich von den weißen Laken ab. Oronêl setzte sich auf den Rand ihres Lagers, und nahm ihre rechte Hand in seine. "Wie fühlst du dich?"
"Als hätte mir ein wildes Tier die ganze Seite herausgerissen", erwiderte Mírwen mit einem schwachen Lächeln. "Aber es war schon schlimmer. Irwyne hat sich gut um mich gekümmert."
"Ja, es scheint ihre Berufung zu sein." Mírwens Anblick erinnerte Oronêl an den Moment, in dem er nach der Schlacht von Dol Amroth erwacht war, und Celebithiel das erste gewesen war, das gesehen hatte. Weniger als ein Jahr war das her, und dennoch erschien es ihm wie eine Ewigkeit. Er fragte sich, wie es seiner Freundin ergangen war, seit sie sich in Aldburg voneinander verabschiedet hatten. "Das ist gut", meinte Mírwen, und holte Oronêl damit wieder in die Gegenwart zurück. "Wir können in Zukunft vermutlich noch viele Heiler gebrauchen."
"Es... tut mir leid um Cúruon", sagte Oronêl zögerlich, und in Mírwens Augen trat ein trauriger Ausdruck.
"Es ist ein merkwürdiges Gefühl...", begann sie langsam. "Ein merkwürdiges Gefühl, dass er nie mehr da sein wird, wenn ich ihn brauche. Und dass ich ihn erst im Westen wiedersehen werde."
"Ich weiß", sagte Oronêl nur, und für einen Moment schwiegen sie. Er wusste nicht, was er sagen sollte, doch er hatte den Eindruck, dass Mírwen merkwürdig gefasst war. "Er hat sich vor der Schlacht von mir verabschiedet, weißt du?"
Oronêl schüttelte den Kopf. "Nein, das wusste ich nicht."
"Es war... als hätte er eine Vorahnung gehabt. Er wusste, was passieren würde." Jetzt glitzerte eine einzelne Träne in Mírwens Auge.
"Mírwen, es... tut mir Leid", sagte Oronêl. "Ich hätte euch nicht in diese Schlacht führen sollen." Die rothaarige Elbe zwang sich zu einem Lächeln und hielt sich die verletzte Seite.
"Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich dir dankbar dafür wäre. Aber alles was passiert ist, ist nicht deine Schuld, Oronêl. Es war unsere eigene Entscheidung und unsere Aufgabe, und wir haben sie erfüllt."
"Das haben wir", erwiderte Oronêl. Er beugte sich vor und küsste Mírwen sanft auf die Stirn. "Ruh dich aus und heile. Und heute Abend werden wir Cúruon, Faronwe und alle anderen Gefallenen ehren."

Curanthor:
Sobald er die Tür hinter sich schloss schlich sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen. Kerry war schon jetzt sehr an Halarîns Herz gewachsen und er mochte sie auch. Wahrscheinlich würde Mathan zwar noch ein bisschen brauchen um sie mit weitgeöffneten Armen aufzunehmen, aber er war sich sicher, dass Kerry das verstehen würde.
Seine Schritte führten ihn zum Lazarett, kurz davor lief ihm Acharnor in die Arme und bedrängte ihn, wie es seiner Schwester ginge. Der Elb gab die gute Nachricht weiter und sah, wie der Jugendliche deutlich aufatmete. "Es ist schön zu wissen, dass ich meine Familie noch eine ganze Weile behalten kann.", sagte er und humpelte an ihm vorbei, um zu Adrienne zu gehen. "Sie schläft gerade.", rief ihm Mathan hinterher, doch scheinbar hatte er ihn nicht gehört.
Er zuckte mit den Schultern und packte einen Waldläufer an der Schultern, der gerade vorbeilief. "Verzeiht, wo ist Ardóneth?", fragte er diesen höflich.
Der Mann, der einen Verband um den Kopf trug dachte eine Weile nach und schüttelte dann den Kopf. "Ich weiß es nicht", er deutete zum Verband, "Gehirnerschütterung."
Der Elb wünschte ihm eine gute Besserung und wandte sich ab. Sogleich begann er eigenhändig nach dem Inhaftierten zu suchen und machte sich auf in die Richtung der unteren Kammer. Auf dem Weg dorthin begegnete er Gandalf. Der Zauberer blickte ihn kurz an und runzelte die Brauen. "Ah, ihr seit es, Mathan.", er nickte ihm freundlich zu. "Mithrandir, schön zu sehen, dass Ihr die Schlacht heil überstanden habt,", grüßte Mathan ihn zurück und räusperte sich, "Wisst Ihr wo Ardóneth gefangen gehalten wird?"
Der Graue musterte ihn einen Moment, blickte zu den Schwertern und strich sich über den Bart. "Solange ihr nicht vorhabt ihm zu Schaden...", er zwinkerte ihm zu, "Er ist unten in den Verliesen. Warum wollt Ihr zum ihm, wenn ich fragen darf?"
Mathan zögerte und legte den Kopf schief. "Ich habe keinen Grund ihm zu schaden, keine Sorge. Ich bin nur neugierig." Der Zauberer hob eine Braue und kramte seine Pfeife aus der Tasche. "Das ist aber noch nicht alles oder?", er schmunzelte und säuberte sein Pfeife, "Schließlich hat sich schon herumgesprochen, dass es bald ein Fest geben wird. Ein willkommene Abwechslung wie ich finde, die Menschen müssen mal wieder das Gute in der Welt sehen."
Mathan fragte erst gar nicht, woher er das wusste. Der Zauberer galt bei den Elben als weitsichtig und weise. "Ihr habt Recht, Kerry wird bestimmt sehr glücklich sein und es würde mir viel daran liegen, wenn Ihr ebenfalls erscheinen würdet."
Der Graue Zauberer steckte die Pfeife wieder ein als er kein Tabak fand und strich sich erneut über den Bart. "Ich werde da sein, wer ist denn noch eingeladen?"
Mathan dachte kurz nach und zählte die Hälfte der Befehlshaber auf und einige andere. "Der Ort wird nachher bekannt gegeben, wir warten erst die Trauerversammlung und die Verhandlung von Ardóneth ab", er zwinkerte dem alten Mann zu, "Nicht nur ihr könnt rasch an Informationen gelangen."
Gandalf schmunzelte und tippte sich an seinen Hut. "Nun, ich muss weiter. Ihr findet den Eingang zu den Verliesen in der großen Halle, etwas weiter hinten versteckt."
Mathan bedankte sich und machte sich auf dem Weg.

In der leeren Halle angekommen, fand er auch schließlich die steile Treppe. Er stieg sie vorsichtig hinab und achtete darauf, sich nicht den Kopf zu stoßen. An der Tür zum Kerker stand ein Waldläufer Wache, von dem Mathan nur flüchtig seinen Namen gehört hatte. "Gílbard," er nickte ihm zum Gruß," wie geht es dem Gefangenen?"
Die Züge des Mannes erhellten sich, scheinbar war etwas Abwechslung doch nicht verkehrt. "Hauptmann, schön euch zu sehen.", er nickte ebenfalls und trat zur Seite, "Bisher nichts auffälliges, er hat sich auch nicht weiter zur Sache geäußert."
Mathan fragte sich, was man auch sonst dazu sagen sollte, immerhin war es nicht alltäglich gänzlich gegen seine Persönlichkeit zu handeln.
"Gut, ich werde allein mit ihm reden." Das Gesicht von Gílbard verdüsterte sich, doch er nickte nur knapp. Mathan betrat den Kerker, seine Elbenaugen erblickten Ardóneth sofort, der in einer Ecke der Zelle saß.
"Ich frage besser nicht, warum Ihr das getan habt. Wollt Ihr mir nicht einfach erzählen wie ihr euch dabei gefühlt habt?", fragte Mathan und zog einen wackeligen Hocker von der Wand vor das Zellengitter.

Nach einer kurzen Stille ertönte die matte, leise Stimme von Ardóneth: "Es ist merkwürdig, ständig höre ich Stimmen. Verschiedene Stimmen..." er verstummte und hob den Kopf, " Mathan?", fragte er und kniff die Augen zusammen.
Der Elb runzelte die Stirn und fragte sich, ob der Mann noch bei Sinnen war. "Ich bin hier vor dir, keine Stimme in deinem Kopf", er lachte leise und strich sich die Haare zurück, "Wir hatten nicht so viel miteinander zu tun gehabt. Es wäre nicht verwunderlich, wenn du mich vergessen hättest." er machte eine kurze Pause und fuhr dann behutsam fort: "War da vielleicht eine Stimme dabei, die dir fremd vorkam? Eine, die du nicht zuvor gehört hattest?"
Auf die Frage hin hob Ardóneth den Kopf und blickte Mathan in die Augen. Deutlich sah der Elb, wie der vernebelte Verstand des Mannes langsam klarer wurde. "Mathan...", sagte er und legte den Kopf schief, "Die Stimmen sind... fort." Er streckte sich aus der kauernden Haltung und setzte sich dem Elb gegenüber.
"Da war eine Stimme. Sie hatte einen dunklen klang, sie war sanft aber dennoch...", der Waldläufer machte ein gequältes Gesicht, "Sie redete mir ein, dass ich meinen Vetter- ... dass ich Belen töten sollte, damit das Gemetzel endete." Tränen glitzerten in den Augen Ardóneths und er vergrub sein Gesicht rasch in den Händen.
Mathan schwieg und wartete, bis er wieder den Kopf hob. In ihm regte sich ein Verdacht, den er aber vorerst für sich behielt. "Ardóneth, ich weiß, dass du das niemals aus freien Stücken getan hättest.", beruhigte er ihn und hockte sich nun vor das Gitter, "und ich glaube, dass dein Vetter genauso denken wird. Wenn nicht, dann trete ich für dich ein."
Der Waldläufer ließ die Hände sinken, seine Augen glitzerten noch. "Danke.", sagte er schlicht, aber aufrichtig. Der Elb schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln. "Wie geht es Halarîn? Hat sie überlebt?", fragte Ardóneth plötzlich und Sorge schwang in seiner Stimme.
"Keine Angst, sie ist wohlauf und versorgt die Verletzten. Sie hat sogar noch weniger Blessuren als ich", Mathan schmunzelte, "verständlich als Fernkämpferin." Er räusperte sich leise und wurde wieder ernst. "Warum fragst du? Ist etwas nicht in Ordnung?"
Ardóneth atmete erleichtert aus, wischte sich die Augen, schüttelte den Kopf und setzte sich gerader hin. "Nun, ich hatte einen Traum..." auf das Nicken des Elben erzählte er: "Ich wachte in der Stadt auf, überall hingen die Banner Sarumans. Während ich umherirrte fand ich meine Freunde und Kampfgefährten erschlagen und ermordet.", er schüttelte sich und verbannte die aufsteigenden Bilder aus seinem Kopf. "Belen, Elrádan, Kerry und viele andere. Später fand ich dich zusammen mit Halarîn mit den wohl letzten Verteidigern. Ihr wurdet von der dreifachen Übermacht überwältigt. Deine Frau wurde vor deinen Augen...", er sah zur Seite und hob kurz darauf wieder seinen Blick, "Du warst der Letzte, danach wachte ich aus diesem Albtraum auf."
Mathan wusste nicht, was er sagen sollte und entschied sich ihn zu beruhigen. "Es war nur ein Traum, Halarîn geht es gut. Belen ist griesgrämig wie eh und je und Kerry geht es sogar blendend. Deswegen bin ich eigentlich hergekommen, wegen Kerry."
Der Name rief erneut eine besorgten Gesichtsausdruck hervor. "Wie geht es ihr? Sie war vor einer Weile schonmal hier aber... nunja, viel konnte ich nicht mit ihr reden weil... du weißt schon.", druckste er herum und blickte den Elb erwartungsvoll in die grünen Augen. Dieser schmunzelte und setzte sich von der unbequemen hockenden Position zurück auf den Hocker. "Sie hat keine bedrohlichen Verletzungen und ist eigentlich ganz munter, keine Sorge. Der Grund warum ich über sie sprechen möchte ist eigentlich ein Besserer.", er blickte kurz zum Eingang, ob Gílbard womöglich zuhörte, "Halarîn und ich haben Kerry als unsere Tochter angenommen. Es ist bei den Elben im Osten Brauch, dass das Groß gefeiert wird. Deswegen bin ich hier." Mathan blickte ihm in die Augen, "Ich möchte, dass du an diesem besonderen Tag von Kerry dabei bist. Ich hörte, dass ihr Freunde seit und so wäre es nur gerecht, dass du anwesend bist." Er lächelte freundlich und reichte ihm ein kleines Ästchen mit einem einzelnen Ahornblatt. Darauf waren kleine elbische Schriftzeichen eingebrannt.
Dankend nahm Ardóneth das Blatt an sich und verstaute es in einer Schicht seiner Kleidung. Ein zaghaftes Lächeln erhellte sein Gesicht. "Ich freue mich für sie," so schnell das Lächeln erschien, genauso rasch verschwand es, "Wenn es mir möglich ist, werde ich dort sein."
Zufrieden erhob sich Mathan und deutete an die Stelle, wo der Waldläufer das Blatt verstaut hatte. "Verlier es nicht, es hat eine Bedeutung. Ich muss jetzt weiter, aber wir werden uns wiedersehen. Kopf hoch", ermunterte er ihn und ging aus dem Kerker.

Gílbard saß auf einem Stuhl und las in einigen alten Dokumenten, kurz sah er auf und fragte, ob Ardóneth etwas wichtiges gesagt hätte. Der Elb nickte, hob aber sogleich die Hand. "Ja, aber das wird erst bei der Verhandlung wichtig sein. Gedulde dich noch", sagte er und ging schließlich die Treppe hinauf. Oben in der Halle liefen vereinzelt Waldläufer ein und aus, eine hochgewachsene Gestalt stach deutlich hervor. Sie stand im Eingang und wartete, aber als sie ihn erblickte, beeilte sie sich zu ihm zu gelangen und in die Arme zu schließen. "Faelivrin?", fragte er verwundert und legte ihr ebenfalls die Arme um, so gut es ihre schwarze Rüstung erlaubte.
"Ontáro! Es ist schön zu sehen, dass du wohlauf bist.", sagte sie und löste sich mit einem strahlenden Lächeln. "Ich war so in Sorge. In Lindon hörten wir, dass es einen Angriff auf den Widerstand im Norden geben sollte. Wie es aussieht, habt ihr es geschafft, bevor wir angekommen sind."
Mathan kratzte sich um Kopf, sagte jedoch nicht, dass sie nur am Leben sind weil der Feind sich zurückgezogen hatte. "Wir? Wer ist denn noch mitbekommen?", fragte er verwundert. Seine Tochter band ihre dunkelblonden Haare zu einen strengen Zopf und blickte sich um. "Meine Leibgarde, aber sie verteilen gerade Essen an Kinder, die sie eben auf dem Weg hierher getroffen haben. Doch sag, wie geht es Amil?"
"Deiner Mutter geht es gut, sie hat vor einer Weile eine Schülerin von mir geheilt und braucht nur etwas Ruhe." Er lächelte und strich ihr über die Wange, wie sehr hatte er das Wiedersehen genossen, jetzt war ihre Familie endlich wieder vereint. "Du hast mir gefehlt, all die langen Jahre. Halarîn wird überglücklich sein, genau wie ich.", sagte er und musterte seine Tochter stolz.
Faelivrin hielt die Hand einen Moment an ihrer Wange und genoss es sie zu spüren, so wie sie es in ihrer Kindheit bereits getan hatte. Alles in ihr Drängte danach, ihre Mutter wiederzusehen. Schließlich bat sie ihren Vater zu ihr zu gehen. Nach kurzem Zögern nickte er und führte sie zu der Kammer. Auf dem Weg dorthin unterhielten sie sich über die Schlacht und über die Lage in Lindon.

Curanthor:
Auf dem Weg zu Halarîn ließen sie sich Zeit und redeten viel über die kürzlich geschehenen Dinge, die nachdem Treffen in Aldburg passiert sind.
Faelivrin berichtete über die Reise nach Mithlond und das die Waldelben dort bereits außerhalb der Stadt neue Baumhäuser bauten. Auch erwähnte sie den Zorn gegenüber den Waldlandreich, dass Thranduil einen Pakt mit Saruman hatte, obwohl sein Sohn diesen erst vor ein paar Jahren bekämpft hatte. Sie erzählte außerdem, dass sie den Schiffsbauer Círdan getroffen hatte, der ihnen Tipps gab, wie sie sicher über die Meere fahren konnten. Mathan horchte auf. "Círdan? Er hat sich doch schon lange nicht mehr in die Belange Anderer eingemischt.", warf er ein. Faelivrin nickte. "Ja, das hatte er auch selbst gesagt, denn seine Aufgabe sei es, einen sicheren Hafen zu hüten und den Seefahrern zu helfen", sie strich sich eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht, "Er war es, der mir von der Bedrohung von Fornost erzählte. Scheinbar bekommt der alte Elb mehr von Mittelerde mit, als vielen bewusst ist."
Mathan nickte und erinnerte sich an seinen Besuch in Mithlond, dort hatte er zwar nie Círdan gesehen, aber er wusste, dass er immer in der Stadt war. Ebenfalls war man dort immer bestens informiert, doch wunderte es ihn, dass sie keine Verstärkung erhalten haben.
"Ontáro, wie lief die Schlacht eigentlich? Uns sind nur ein paar versprengte Feinde über den Weg gelaufen, aber wo ist der Rest?", fragte seine Tochter plötzlich.
"Zurückgezogen", seufzte er und bemerkte, dass Faelivrin sich ebenfalls wie Halarîn öfters eine vorwitzige Strähne zurückstrich. Grinsend fuhr er fort, welches sich aber rasch von seinem Gesicht stahl: Sie haben einige Stellen wie das Südtor ohne unterlass angegriffen, an anderen Punkten aber nur vereinzelt. Wir hatten hohe Verluste, aber der Feind ebenfalls, trotz seiner Übermacht."
"Die Stärke der Mauern, drei von euch kamen einen einen von ihnen.", warf Faelivrin ein. Mathan nickte. "Die Kunst des Krieges, ja. Nach einem wahnwitzigen Ausfall zog sich die Armee zurück. Wir konnten sogar einen Befehlshaber gefangen nehmen."
Seine Tochter runzelte die Stirn und dachte eine Weile nach. "Ihr habt einen Ausfall gegen eine drei- bis vierfache Übermacht gemacht? Menschen... verrückt aber auch sehr mutig.", leichter Respekt schwang in ihrer Stimme. "Und wo warst du dabei? Nein, sag es nicht; du warst ganz vorne", mit gespielten Tadel hob sie ihren Finger und bewegte ihn hin und her, "vielleicht solltest du deinen Hitzkopf etwas zügeln."
Mathan lachte und lief fast in Adrienne, die gerade um die Ecke bog, zusammen mit Halarin, die sie stützte. "Huch, ich habe dich zuerst gar nicht erkannt!", rief das Mädchen und blickte zu Faelivrin. Für einen Moment wanderte ihr Blick zwischen den drei Elben hin und her, während Faelivrin gütig lächelte. Mathan bemerkte, dass seine Tochter sofort bei Adriennes Auftauchen eine strengere Haltung annahm und mehr Distanz ausstrahlte. "Faelivrin! Schön zu sehen, dass es dir gut geht.", sagte Halarîn und schloss sie in eine herzliche Umarmung. "Amil, tye malwa, ilqua teréva?", fragte Faelivrin besorgt und bemerkte, dass ihre Eltern schmunzelten. "Mana?" der verwirrte Gesichtsausdruck brachte Halarîn zum lachen. "Du sprichst Quenya ohne es zu merken", sagte Mathan grinsend und wurde wieder ernst, "Deine Mutter hat Adrienne geheilt, deswegen ist sie so blass", erklärte er und deutete auf das Mädchen.
Faelivrin trat vor und beugte sich etwas zu ihr herunter. "Hallo, mein Name ist Faelivrin. Ich hörte, du bist eine Schülerin meines Vaters?", fragte sie interessiert.
"Ja, ich kann deinen Eltern niemals dafür genug danken. Ich bin Adrienne, schön dich kennenzulernen.", sagte sie und deutete einen Knicks an, soweit es ihre fast verheilten Wunden erlaubten.
"Es ist schön zu sehen, dass jemand den Mut hat sich von meinem Vater ausbilden zu lassen", sagte sie mit einem Lächeln und beugte sich zu ihrem Ohr herab, "Er ist manchmal recht befehlshaberisch.", flüsterte sie ihr augenzwinkernd zu.
"Das habe ich gehört.", erklang die entrüstete Stimme Mathans hinter ihr, doch Faelivrin lachte nur herzlich.
"Es gibt bald eine Trauerfeier um die Toten zu ehren. Wirst du auch mitkommen?", fragte Halarîn an ihre Tochter gewandt. Die Elbe überlegte einen Moment und nickte schließlich. "Ja, ich werde etwas länger hierbleiben, da kann ich auch ein paar Eigenheiten der Menschen beobachten.", erklärte sie.
"Wirst du denn nicht woanders gebraucht?" Mathan dachte an das Königreich von dem sie ihm oft geschrieben hatte, doch sie schüttelte den Kopf. Sie erklärte, dass ihr Mann sie gut vertreten konnte und Hilfe bereits auf dem Weg sei.

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