Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Arnor
Fornost: Die Mauern und das umliegende Gebiet
Fine:
Neue Bogenschützen wurden nun auf dem Turm postiert und Tirithon, der Dúnadan unter dessen Befehl der Abschnitt der Mauer stand die an den Turm grenzte, übernahm das Kommando. Fürs Erste schien die Lage stabilisiert und der Wachtturm sicher zu sein. Die Schlacht jedoch tobte mit unverminderter Härte weiter. An Kerry ging allerdings das Meiste davon vorbei. Sie hatte Mírlinn zur Nordseite des Turmes geschleppt um ihre gefallene Freundin so weit wie möglich von den Kämpfen fernzuhalten. Im Tode wirkte ihr Gesicht beinahe friedlich. Kerry legte Mírlinn ihr Schwert auf den Oberkörper und führte die Hände der Waldläuferin an den Griff. Sie wollte nicht ihrer Seite weichen, doch sie merkte, dass es Mírlinns Opfer gegenüber nicht gerecht wäre, tatenlos herumzusitzen während die Schlacht weiterging. Also raffte sie sich auf und rannte die Treppen des Turms nach unten, um erneut neue Pfeile für die Bogenschützen zu holen und nach oben zu tragen.
Nachdem sie die dritte Fuhre abgeliefert hatte und Valandur ein dickes Bündel Pfeile gereicht hatte fiel ihr Mírlinns Bogen ins Auge, der dort liegen geblieben war wo die Dùnadan gefallen war. Kerry ging hinüber und hob die Waffe auf. Erstaunt stellte sie fest, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Langbogen handelte, den die Dúnedain normalerweise verwendeten. Der Schaft war nicht aus Holz, sondern bestand aus Metall.
"Ein echter númenorischer Stahlbogen," erklärte Gandalf. "Das ist eine todbringende Waffe, doch sie erfordert großes Geschick und viel Übung."
Kerry antwortete nicht darauf sondern blickte stumm auf Mírlinns Bogen, der sich so leicht in ihrer Hand anfühlte. Als sie jedoch versuchte, die Sehne zu spannen, musste sie feststellen, dass weder ihre Kraft ausreichte noch sie ihren Arm weit genug zurückziehen konnte. Sie ließ los und die Sehne sprang zitternd in die Ursprungsposition zurück.
"Mithrandir!" rief eine melodische Stimme, die Kerrys Stimmung auf der Stelle ein gutes Stück verbesserte. "Welche Neuigkeiten gibt es?"
"Ah, Halarîn," antwortete Gandalf. "Hier wurde vor Kurzem noch erbittert gekämpft. Aber der Turm ist erfolgreich verteidigt worden. Momentan ist in der Südostecke der Stadt alles ruhig."
"Halla!" stieß Kerry hervor und machte einen vorsichtigen Schritt auf die Elbin zu. Diese schien mit einem einzigen Blick zu erkennen, wie schwer Kerry durch Mírlinns Tod aus der Fassung geraten war, und eilte herüber.
"Ich bin froh, dass es dir gutgeht," sagte sie sanft und schloss Kerry in eine enge Umarmung.
"Míra... sie ist..." setzte Kerry an, und sie spürte, wie ihr erneut Tränen in die Augen schossen.
"Schsch," machte Halarîn beruhigend. "Was geschehen ist, ist geschehen, und wir können es jetzt nicht mehr ändern. Verlust wird immer schmerzen, doch mit der Zeit wird es einfacher werden, ihn zu akzeptieren. Deine Freundin hat tapfer gekämpft und ist jetzt an einem besseren Ort."
"Ich will aber nicht, dass sie dort ist," schniefte Kerry. "Ich will, dass sie wieder hier bei uns ist..."
"Das liegt nicht in unserer Hand," wandte Halarîn sanft ein.
Sie blieben mehrere Minuten in der tröstlichen Umarmung verbunden, bis sich Kerry schließlich von Halarîn löste und sich mit dem Ärmel das Gesicht abwischte.
"Was hast du da?" fragte Halarîn mit Blick auf den Bogen.
"Míras Bogen," sagte Kerry und hielt der Elbin die Waffe hin. "Gandalf sagt, es ist ein Stahlbogen, offenbar etwas ziemlich Besonderes..."
"Ein Stahlbogen aus Westernis," staunte Halarîn und zog probeweise die Sehne zurück, was ihr mühelos gelang. Ein kurzer Ausdruck der Begeisterung huschte über ihr Gesicht, und sie legte einen der Pfeile, die Kerry auf die Turmspitze gebracht hatte auf, zielte, und sandte den Pfeil in hohem Bogen in Richtung der Feinde südlich des Turmes zurück.
"Beeindruckend," kommentierte sie. "Diese Zugkraft... Kann ich den Bogen mitnehmen?"
Kerry nickte. "Ich kann damit nicht umgehen, Halla. Du kannst bestimmt damit mehr anfangen."
Sie blickte zu Boden. Es war offensichtlich, dass Halarîn gleich wieder aufbrechen würde. Dennoch versuchte Kerry, sie zum Bleiben zu bringen.
"Halla, wie wäre es, wenn du -" setzte sie an, doch Halarîn unterbrach sie.
"Ich muss zum Tor zurück," erklärte sie. "Mathan wartet auf mich. Eigentlich sollte ich nur überprüfen, wie die Lage hier bei euch ist."
"Oh. Ich verstehe," antwortete Kerry niedergeschlagen.
"Ich würde dich ja mitnehmen, aber ich glaube, das wäre zu gefährlich," sagte Halarîn. "Am Tor wird hart gekämpft, härter als hier. Jetzt, da der Turm so gut bemannt ist, wirst du hier in Sicherheit sein."
"Bitte gib auf dich Acht, Halla," bat Kerry als sich die Elbin zum Gehen wandte.
"Das werde ich. Wir sehen uns nach der Schlacht," antwortete Halarin zuversichtlich und zwinkerte Kerry zu. Den Stahlbogen in der Hand und mit frisch gefülltem Köcher eilte sie die Treppe hinunter und war verschwunden.
"Wie kommt es, dass so viele Mädchen wie du in diesen Krieg geraten sind?" sagte eine raue Stimme neben ihr. Sie wandte den Kopf dorthin und war überrascht, den Dúnadan Valandur neben sich vorzufinden.
"Was soll das denn heißen?" fragte sie verwundert.
"Auf dem Weg von Imladris hierher begleitete uns ein Mädchen, das dir recht ähnlich sah. Auch sie war keine Kämpferin," erklärte Valandur.
"'Uns'? Wen meinst du mit 'uns'?" wollte Kerry wissen.
"Oronêls Gemeinschaft," sagte Valandur. "Die Elben, die wir vorhin vor der Stadt haben kämpfen sehen. Ich trennte mich von ihnen als wir die Armee entdeckten, die Fornost gerade angreift. Ich fürchte, ich habe sie im Stich gelassen..."
Darauf hatte Kerry keine Antwort. Zuviel war schon gesehen, und die Geschichte, die der Waldläufer da erzählte, drang kaum bis über ihre Ohren hinaus, erreichte nur unterschwellig ihre Gedanken. Valandur schien dies schnell zu bemerken, denn er seufzte leise und widnmete sich dann wieder dem Beschuss der Orks unterhalb der Mauer östlich des Turmes.
Kerry blieb alleine zurück. Alle waren sie fortgegangen: Ardóneth und Mathan verteidigten das Tor, Halarîn war irgendwo dazwischen unterwegs und sogar Gandalf hatte sich von der Turmspitze zurückgezogen - wohin der Zauberer gegangen war, wusste sie nicht. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben der Mírlinn aufgebahrt war, zog die Knie nahe an ihren Oberkörper und schloss die Arme darum. Zwar fühlte sie sich auf dem Turm einigermaßen sicher, doch sie hoffte, dass die Schlacht endlich ein Ende finden und all die schrecklichen Erlebnisse dann vorbei sein würden...
Curanthor:
Halarîn fühlte sich nicht wohl Kerry dort oben alleine zu lassen, musste aber dennoch zurück auf ihren Posten. Im Laufschritt eilte sie über die Mauer und stellte mit leichtem Entsetzen fest, dass das feindliche Heer sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Ihre Elbenaugen machten auch einige Menschen unter ihnen aus, scheinbar Verstärkung. Ganz weit hinten konnte sie sogar große, unförmige Kegel erkennen, schob es aber auf ein paar Bäume. Sie wollte sich nicht durch irgendwelche Überlegungen verrückt machen. Nachdenklich strich sie über den Bogen aus Westernis, den sie überraschend bekommen hatte. Eigentlich fühlte sie sich nicht wohl dabei, so eine bedeutsame Waffe zu tragen, zumal sie von Kerrys Freundin war.Obwohl es Kerrys Wunsch war, dass sie den Bogen haben durfte.
Einer gerüsteter Schildträger rempelte sie fast an und unterbrach ihre Grübelei. Leitern wurden erneut gegen die Mauern gestellt. Die Elbe schalte sich selbst, dass sie der Belagerung keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte und sah sich sogleich ihrem ersten Gegner gegenüber. Ein Ork sprang auf die Mauer, der bereits auf der obersten Sprosse gewartet hatte, bis die Leiter nahe genug an der Mauer war. Ein kurzer Blick verriet ihr, dass es überall auf der Mauer so zuging. Sie zog die Sehne bis zum Ohr durch und ließ den Pfeil filegen. Das Geschoss drang den Ork in die Brust und riss ihn zwei Schritt nach hinten. Im Gehen versuchte sie den Pfeil aus der Leiche zu ziehen, doch dafür steckte er zu tief. Mehr und mehr Gegner kletterten auf die Mauer und bald sah die Elbe sich nicht mehr in der Lage ihren Bogen einzusetzen.
Halarîn tastete nach dem Schwert, das sie schon eine gefühlte Ewigkeit auf ihrem Rücken trug. Eigentlich bevorzugte den Speer, doch sie konnte keinen der Verteidiger einfach die Waffe abnehmen. Der erste Ork setzte zu einem ungestümen Schlag auf ihren Kopf an, den sie ohne viel Aufwand auswich. Ein Tritt ließ den Ork gegen die Zinne taumeln. Sirrend glitt die schlanke Elbenklinge aus der Scheide und leuchtete in einem kaum erkennbaren, matten Blau. Die Klinge bekam häßliche schwarze Flecken, als sie dem Ork in die Brust stach und dem nächsten Gegner die Hand abschlug. Mit einem Schulterstoß beförderte sie den darauffolgenden Ork über die Mauer. Sie hatte ganz vergessen, dass die Klinge blau leuchtete, wenn Orks in der Nähe waren. Ein Geschenk Mathans, als der fünfhunderste Tag kam, an dem sie einander kennenlernten hatten.
Mit sparsamen Bewegungen kämpfte sie sich durch die Gegner und stieß einige Leitern um. Einmal rettete sie einem Waldläufer das Leben, indem sie schnell genug einem Ork einen Stich in die Schulter versetzte. Der Mann sammelte seine Waffe auf und spaltete dem Scheusal den Schädel. "Habt Dank!", rief er ihr hinterher und ging sofort den nächsten Feind an.
Halarîn war bereits weiter und erreichte schließlich nach mehreren kurzen Kämpfen das Südtor. Keinen Augenblick zu spät, denn im selben Augenblick flog ein großer Steinblock über die Mauer. Sie hatte das Gefühl, dass es für einen kurzen Moment auf dem Schlachtfeld ruhiger wurde, bis das Geschoss mit einem satten Klatschen in den Reihen der Gegner landete. Der Stein färbte sich Schwarz und zog eine blutige Schneise in die anstürmenden Feinde. Herausfordernes Gebrüll antwortete von der Ebene, den die Verteidiger mit einem Johlen erwiderten.
"Der nächste Schuss! Etwa drei Schritt nach Westen!", brüllte Mathan und Adrienne wiederholte seine Anweisung. Mit einem Knirschen wurde der Seilzug gespannt, erneut rollte die Katapultmannschaft ein Geschoss in die Schale. Der Elb nickte zufrieden und peilte über den Daumen die Schussbahn. Sein Blick fixierte eine Gruppe Orks, die Holzstämme zusammentrugen, scheinbar wollten sie die Gräben umgehen.
Nicht mit mir, dachte er sich und ließ die Ausrichtung des Katapults nochmals korrigieren.
Die Mannschaft blickte zu ihm hoch, einige wirkten angespannt. Andere dagegen hatten ein Feuer in den Augen, das ser einige Tage zuvor nicht erwartet hätte.
Halarîns Ankunft lenkte ihn für einen Moment ab, sie wartete, bis er sich sicher war, ob die Peilung stimmte. Er hob den Arm. "Feuer!", brüllte Adrienne sogleich, die ihre Aufgabe sehr ernst nahm.
"Was gibt es", fragte er und drehte sich zu ihr.
Besorgt musterte er seine Gattin, die ihr blutverschmiertes Schwert in der Hand hielt.
Ein lautes Krachen ertönte von der anderen Seite und ein boshaftiges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Er wusste, dass sie die Holzhaufen getroffen hatten und die umherfliegenden Splitter ordentlichen Schaden angerichtet hatten,
"Guter Schuss...", murmelte Halarîn und legte den Kopf schief, "ich wusste gar nicht, dass du so gut Katapulte bedienen kannst."
"Kann ich auch nicht, aber bei der Masse trifft man immer Etwas. Doch sag, wie sieht es aus?", fragte er nun und gab den Männern am Katapult ein Zeichen zum nachladen.
"Der Turm im Osten ist gesichert, dort gab es einige Kämpfe. Orks versuchen mit den Leitern auf die Mauern zu gelangen", antwortete sie.
"Das taten sie auch vorher, wir müssen sie nur abwehren. Haben wir genug Bogenschützen und Pfeile?"
Sie nickte und Mathan stieß einen langen Seufzer aus, es war lange her, dass er das letzte Mal in einer Belagerung war. Er wusste auch wo es war. Viel weiter im Osten vor dem Dunklen Turm.
"Bereit!" rief Adrienne und Mathan peilte weiter nach Osten, wo die Orks dichter standen. Die Gondorerin gab schon die grobe Richtung an und Rainer schwenkte das Katapult mühselig mit den anderen Männern. Er beschwerte sich, dass sie das vor dem Laden hätten tun sollen, doch Adrienne duldete keine Beschwerden.
Halarîn zog ihren Bogen aus Westernis und begann die Leiterträger abzuschießen, die nun auch hier sich in Bewegung setzten.
"Sie kommen, haltet euch bereit!", erschallte der Ruf auf den Mauern.
Mathan gab die Richtung an Adrienne weiter und kurz darauf flog ein weiteres Geschoss über die Mauer. Es kam bedenklich nahe der Mauer, verfehlte sie jedoch um ein gutes Stück. Einige Beschwerden wurden gerufen und nötigten Mathan zum Katapult zu laufen. Wärend er lief ertönten dutzende orkische Schreie die plötzlich verstummten.
"Hoch, immer hoch zielen! Lieber verfehle ich das Ziel, als unsere Mauer zu beschädigen!", fuhr Mathan Rainer an, der betreten zu Boden blickte, "Für die nächsten Schüsse müssen wir weit treffen, zieht das Katapult weiter bis zum Beginn der Straße. Ich weiß, das braucht Zeit aber macht es, ich hab das so ein Gefühl."
Er murmelte den letzten Teil des Schlusses und zog seine Schwerter.
"Du", er nickte zu Adrienne, "komm mit."
Verwirrt blickte sie Mathan einen Moment an, bis sie schließlich begriff. Acharnor klopfte ihr auf die Schulter. "Zeig es ihnen.", ermunterte er sie und packte seinen Streithammer.
"Du willst nicht ernsthaft auch mitkommen?", rief sie entsetzt, was Mathan veranlasste sich sofort umzudrehen. Ein strenger Blick genügte und ihr Bruder verdrückte sich kleinlaut.
"Komm, zieh deine Waffe. Durch das Katapult werden sie uns jetzt hier verstärkt angreifen. Denke daran, weiche aus wenn immer du kannst."
Sie atmete tief ein und aus, bis sie sich soweit beruhigt hatte und folgte dem Elben die Stufen auf die Mauer rauf. Ihre erste große Schlacht. Adrienne zog die anorische Klinge und gesellte sich neben Halarîn, aus der Ferne sah sie Ardóneth kämpfen. Die Elbe nickte ihr zu, während Mathan bereits den ersten Feind fällte. Er rammte seinem Gegner beide Schwerter in den Oberkörper und warf die Leiche gegen eine Leiter, die gerade aufgerichtet wurde.
"Manchmal vergisst man, dass Elben bedeutend stärker als Menschen sind...", murmelte sie staunend und umklammerte ihre Waffe beidhändig.
Adrienne versuchte ruhig zu atmen, verkrampfte sich aber immer wieder. Schweiß lief ihr übers Gesicht und ihre Nervösitat nahm nicht ab.
Dann ging alles sehr schnell. Halarîn, die gerade noch einen Pfeil auf der Sehne hatte, zischte etwas in einer unbekannten Sprache. Sogleich richtete sich eine Leiter auf und Adrienne starrte in eine häßliche Fratze eines unrasierten, wilden Mannes. Der Pfeil der Elbe traf nicht richtig und hinterließ eine rote Furche auf dem kahlem Schädel. Das Mädchen war wie erstarrt, hatte nicht erwartet einen Menschen zu treffen. Der Mann hob seine Keule, wärend Adrienne instinktiv ihr eigenes Schwert hochriss. Er sprang sie an.
Sie stürzte, wurde aber sogleich von Händen aufgefangen. Jemand rollte den schweren Körper des Wilden weg und Acharnors Gesicht schob sich in ihr Blickfeld.
"Den hast du aber aufgespießt...", murmelte er und sie starrte auf das Blut an ihren Händen, "Ich konnte dich nicht-"
Ihr Bruder wurde von einem wütenden Brüllen unterbrochen, als ein weiterer wild aussehender Kerl auf die Mauer sprang. Acharnor versetzte den Wilden einen Hieb mit dem Hammer und traf den Kopf. Es knirschte widerlich.
"Sie haben ihre Seite gewählt, komm!", schrie er und ließ seinen Hammer auf den Kopf des nächsten Gegners auf der Leiter niedersausen. "Sie sind nicht besser als Orks, los! Kämpfe! Kämpfe! Steh immer wieder auf! Lass sie deinen Zorn spüren!"
Er brüllte so laut, dass ihn die anderen Verteidier ebenfalls hörten und nun härter auf ihre Gegner einprügelten. Mathan kämpfte nun Rücken an Rücken mit seiner Gattin. Adrienne staunte bei dem blutigen Tanz, den die beiden Elben vollzogen und ihre Gegner gnadenlos in den Tod schickten. Ihre Atmung beruhigte sich. Ruhig erinnerte sie sich an die stundenlangen Übungen.
Ihre Nervosität schwand und wich Zorn, all die Gefühle, die sie unterdrückt hatte brachen nun hervor. Sie stand auf und stach den ersten Gegner nieder, der auf die Mauer sprang. Acharnor wich ihr nicht von der Seite und gemeinsam kämpften sie gegen die Flut aus Gegnern, die sich über die Mauern ergoss.
Eandril:
Die Elben hatten Irwyne und Mírwen, der ihre Wunde zu schaffen machte, in die Mitte genommen, und den Waldrand noch vor ihren Verfolgern erreicht. Sie hatte allerdings erst ein kurzes Stück über das offene Gelände zwischen der Armee und dem Wald zurückgelegt, als hinter ihnen drei Wargreiter, gefolgt von einer großen Gruppe Orks aus dem Wald brachen.
"Wir müssen diese Warge loswerden", rief Faronwe im Laufen, und Glorwen antwortete: "Ich habe noch zwei Pfeile." "Und ich ein Messer", fügte Finelleth, die hinter Oronêl lief, hinzu. Glorwen nickte, legte ohne langsamer zu werden einen Pfeil auf die Sehne und fuhr gleichzeitig mit Finelleth herum. Zwei Pfeile zischten beinahe gleichzeitig davon, und Finelleth schleuderte ihr Wurfmesser mit großer Kraft und Präzision in Richtung ihrer Verfolger.
Alle drei Warge heulten auf, stolperten und fielen, und zwei der Reiter wurden unter den gefallenen Wölfen begraben und zerschmettert. "Das war mein vorletztes Messer", sagte Finelleth bedauernd. Oronêl fühlte, wie ihn Erleichterung durchströmte, denn die restlichen Orks blieben stehen, und würden sie trotz Irwyne und Mírwen nicht ohne weiteres einholen können. Ein Blick über die Schulter verriet ihm außerdem, dass die Reihen der feindlichen Armee zwischen ihnen und dem Südostturm der Stadt, auf dem ein schwarzes Banner mit einem einzelnen goldenen Stern darauf wehte und Pfeile in die Orks hinab fuhren. "Wir können direkt zu diesem Turm durchbrechen", rief er Cúruon zu. "Und dann vielleicht eine Leiter erobern und so in die Stadt gelangen." "Wir müssen allerdings schnell sein", antwortete der rothaarige Krieger, und deutete auf einige große, graue, ungeschlachtene Gestalten, die sich von den sie umgebenden Orks deutlich abhoben. "Wenn diese Trolle vor uns an den Mauern ankommen, werden wir es nicht schaffen."
"Ein guter Plan", sagte Faronwe, während Gelmir einen verirrten Ork niedermachte. Die Orkmeute, die sie verfolgt hatte, verharrte immer noch am Waldrand im Schatten der Bäume. Was haben sie vor? "An der Mauer sollte es auf jeden Fall genug L..."
Von links rief Finelleth: "Runter!", und Faronwe gab ein merkwürdiges, glucksendes Geräusch von sich, dass Oronêl schrecklich bekannt vorkam. Ein Schauer des Entsetzens durchfuhr ihn, und als er sich zu dem Elben aus Lindon umwandte, tastete dieser verwirrt nach dem schwarzen Pfeil, der seine Kehle durchbohrt hatte.
"NEIN!"
Der Schrei kam von Gelmir, und Oronêl fing Faronwe auf als dieser fiel und lies ihn sanft zu Boden gleiten. Faronwe öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, doch nur ein Schwall Blut quoll hervor, und dann erlosch das Licht in den Augen des Elben, gerade als Gelmir neben seinem Gefährten auf die Knie gefallen war. Gelmirs Lippen bewegten sich lautlos, und er schloss Faronwes Augen mit zitternder Hand. "Wir müssen weiter!", rief Cúruon, und schlug einen weiteren Pfeil mit einem Zucken seines Zweihänders direkt aus der Luft. Oronêl blickte auf und sah, dass ihre Verfolger sich erneut in Bewegung gesetzt hatten. Er zog Gelmir, dessen Blick noch immer auf das erstarrte Gesicht seiner Freundes gerichtet war, hoch, und sah in der Richtung, aus der der Pfeil gekommen war, eine einzelne ihm bekannte Gestalt am Waldrand stehen. Die Leere, die sich nach Faronwes Tod in ihm ausgebreitet hatte, wurde durch auflodernden Hass gefüllt, doch sie mussten weiter, zur Festung.
Sie liefen weiter, und Oronêl fühlte sich wie ein Verräter, der Faronwes Körper in den Händen seiner Feinde zurückließ, doch sie hatten keine Wahl. Gerade zwei, drei Schritte hatten sie zurückgelegt, als Oronêl das tödliche Zischen eines weiteren Pfeils hinter sich hörte, und Irwyne plötzlich vor Schmerz aufschrie. Das Mädchen stolperte und fiel, und sofort war Finelleth neben ihr. Ein zweiter von Laedors Pfeilen hatte getroffen, doch dieser hatte lediglich Irwynes rechte Wade durchbohrt und auf der anderen Seite wieder ausgetreten. Ohne ein Wort hob Finelleth, die selbst kaum größer als das Mädchen war, Irwyne auf ihren Rücken, und lief weiter, doch auf ihrem Gesicht malten sich gleichermaßen Wut, Hass und Entsetzen. Auch Oronêl fühlte eine Fassungslosigkeit in ihm aufsteigen, die er bislang nicht gekannt hatte. In jedem Krieg gab es Verletzte und Tote, doch Irwyne war keine Kriegerin. Sie war nur ein Mädchen das helfen wollte, und sie war durch seine Schuld hier - und durch seine Schuld verwundet worden, denn Laedor war sein Feind.
Sie liefen schweigend, bis Cúruon, der mit Oronêl die Nachhut bildete, stehen blieb. Die anderen liefen weiter, denn sie hatten nichts bemerkt, doch Oronêl hielt ebenfalls an. "Jemand muss sich um diese Trolle kümmern!", erklärte Cúruon, und deutete in die Richtung, von wo die grauen Gestalten große Steine auf die Stadt schleuderten. Im selben Moment traf ein ebenso großer Katapultstein einen der Trolle und zerschmetterte dessen Schädel. "Das wird bereits erledigt", meinte Oronêl. "Komm weiter!" Cúruon jedoch schüttelte den Kopf. "Sie werden es nicht rechtzeitig schaffen. Sieh!" Er zeigte auf den Turm, auf den sie zuhielten. Dessen Mauer hatte bereits mehrere Treffer abbekommen, und während Cúruon noch sprach schien der Turm zu erbeben. "Sie werden es nicht rechtzeitig schaffen." "Ich kommt mit dir", stieß Oronêl hervor, doch Cúruon verneinte entschieden. "Nein, du trägst den Ring. Du musst überleben."
Inzwischen waren ihre Verfolger beinahe herangekommen, dennoch zog Cúruon den Ring, den Arwen ihm gegeben hatte, vom Finger und gab ihn Oronêl. "Gib Irwyne unser Zeichen, denn sie gehört ebenso zu unserer Gemeinschaft wie alle anderen... Und sag Mírwen, dass ich sie liebe", sagte er ruhig, gelassen. Dann wandte er sich ab und stürmte nach Westen, auf die Flanke der Orks zu. Oronêl stieß einen Fluch aus, doch obwohl alles in ihm danach schrie wusste er, dass er Cúruon nicht folgen konnte. Nicht mit der Bürde, die er trug. Stattdessen rannte er weiter, immer auf die Stadt zu. Nach kurzer Zeit erreichte er den Rest der Gemeinschaft, die sein und Cúruons Fehlen bemerkt hatten und stehengeblieben waren. "Wo ist mein Vater?", fragte Mírwen, die totenbleich war, mit schmerzverzerrter Stimme. Auf Finelleths Rücken wimmerte Irwyne vor Schmerz, und Oronêl hatte das Gefühl, immer weiter zu fallen. Es war das selbe Gefühl wie in dem Moment auf der Dagorlad, als Amdír gefallen war und er nichts tun konnte, um seinen Freund zu retten.
"Er... will die Trolle aufhalten", antwortete Oronêl mit brechender Stimme, und über Mírwens Wange rollte eine einzelne Träne. Sie wusste, was das für ihren Vater bedeuten würde, aber dennoch... es wirkte beinahe so, als hätte sie damit gerechnet. "Er lässt dir ausrichten, dass er dich liebt."
In der Ferne waren zwei weitere Trolle gefallen, doch von Cúruon war keine Spur zu sehen. "Lasst uns weitergehen." Die Orks schienen ihre Verfolgung aufgegeben zu haben, ganz so als wüssten sie ebenso gut wie die Elben, dass sie es in ihrem Zustand vermutlich nicht lebendig in die Festung schaffen würden. Bevor sie weiterlaufen konnten flog ein großer Felsbrocken, wohl von einem der überlebenden Trolle geworfen, über die Köpfe der Gefährten hinweg, und schlug ein Loch in die Mauer des Turmes. Die Mauern schienen unter dem Schlag aufzustöhnen, dann erzitterte der Turm und mit einem Mal brach seine gesamte vordere Hälfte in sich zusammen. Das Sternenbanner der Verteidiger, das noch immer trotzig an der Spitze des Turmes geflattert hatte, wurde ebenso mit den Trümmern in die Tiefe gerissen wie sämtliche Verteidiger die sich auf dem vorderen Teil der Plattform in der Nähe der Brüstung aufgehalten hatten - vermutlich der Großteil der dort postierten Bogenschützen. Der hintere Teil des Turmes ragte noch wie ein abgebrochener Zahn in die Höhe, und dort waren noch einige wenige Gestalten zu sehen.
Die Erde selbst schien unter dem Einsturz des Turmes zu beben, in den Reihen der Orks stieg Triumphgeschrei auf, und eine Staubwolke legte sich wie ein Leichentuch über Oronêl, seine Gefährten, und alle Verteidiger die sich in der Nähe auf den Mauern befanden.
Fine:
Als der Lärm der Schlacht wieder zunahm schreckte Kerry aus ihrem Tagtraum auf. Sie warf einen letzten traurigen Blick auf Mírlinn und stolperte zum Südrand der Turmspitze, wo das große Banner des Sternenbundes im Wind flatterte, der etwas aufgefrischt hatte.
"Da kommen sie wieder!" riefen die Bogenschützen und erneuerten ihren Beschuss. Kerry beschloss, einen Blick auf das feindliche Heer zu werfen, in der Hoffnung, dass die Anzahl ihrer Feinde nach zwei abgewehrten Angriffswellen vielleicht endlich im Schwinden begriffen war, doch diese Hoffnung wurde bitter enttäuscht. Sie sah zu, wie schier endlose Massen von Orks, unterstützt von menschlichen Söldnern, ihren Angriff auf die Mauern fortsetzten. Doch nun kam ein neuer Schrecken dazu.
"W-was ist das dort hinten?" stieß Kerry angstvoll hervor als in der Ferne riesenhafte graue Gestalten auftauchten.
"Sie haben Berg-Trolle!" knurrte Valandur. "Wahrscheinlich haben sie die bis jetzt in Reserve gehalten. Das bedeutet, diesmal meinen sie es ernst. Das wird der entscheidende Angriff!" Der Dúnadan schoss einen Pfeil in Richtung der Trolle ab, doch diese waren noch zu weit entfernt.
Ein lautes Krachen aus westlicher Richtung ließ Kerry den Kopf dorthin drehen. Schon befürchtete sie, das Tor wäre zerstört worden, doch stattdessen sah sie, wie ein großer Felsen inmitten der Orks aufschlug und eine Schneise der Verwüstung hinterließ.
"Das muss das Katapult sein, dass Hauptmann Mathan bauen ließ!" rief Tirithon.
Ich hoffe, Halla ist sicher bei ihm angekommen, schoss es Kerry durch den Kopf als Mathans Name fiel. Es dauerte eine ganze Weile, doch dann folgte auf den ersten Schuss ein zweiter, der sogar noch besser gezielt war und noch mehr Feinde in den Tod riss.
"Ja! Schickt sie zurück in den Abgrund!" rief Valandur mit grimmiger Genugtuung.
"Gebt Acht!" erklang eine Warnung von weiter vorne, und der Boden unter ihren Füßen erbebte.
"Was war das?" rief Tirithon. "Was hat uns da getroffen?"
"Die Trolle!" antwortete einer der Bogenschützen mit Furcht in der Stimme. "Sie schleudern Felsen!"
"Nehmt sie ins Visier! Zielt auf ihre Köpfe!" befahl der Dúnadan-Kommandant. "Lasst sie nicht heran kommen!"
Die Schützen gehorchten und hoben ihre Bögen, um eine größere Reichweite zu erreichen. Doch die Trolle wurden durch den Beschuss kaum behindert, nur einer schien kritisch getroffen worden zu sein und regte sich nicht mehr. Die Bogenschützen legten neue Pfeile auf und versuchten es erneut.
Kerrys Aufmerksamkeit wurde jedoch erneut abgelenkt. Unten auf der Ebene waren weitere Gestalten aufgetaucht, die offenbar aus dem kleinen Wäldchen im Osten gekommen waren.
"Die Elben kehren zurück!" rief sie, doch dann sah sie, wie hinter den Fliehenden drei Warg-Reiter auftauchten. Ehe sie Valandur oder Tirithon darauf aufmerksam machen konnte, hatten die Elben sich jedoch bereits selbst darum gekümmert und die großen Wölfe stürzten jaulend zu Boden. Das Geräusch ließ Kerry einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. Angespannt sah sie weiter zu und beobachtete hilflos, wie einer der Elben leblos zurückgelassen wurde nachdem er von einem Pfeil getroffen worden war.
"Wo will der denn hin?" sagte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen Menschen an der Turmspitze, als sich einer aus der fliehenden Gruppe abwandte und in Richtung der Trolle davonstürmte. Sie verlor ihn bald wieder aus den Augen.
Als die Elben bereits so nah gekommen waren dass Kerry erkennen konnte, dass drei Frauen unter ihnen waren und eine von ihnen ein jugendliches Mädchen auf dem Rücken trug passierte es: Ein riesiger Felsen traf den Turm an einer kritischen Stelle und nach einem kurzen Augenblick des Schwankens begann er mit lautem Tosen und Krachen einzustürzen. Kerry konnt gerade noch die Arme schützend um ihren Kopf legen und sich zu einer Kugel zusammenrollen als der Boden unter ihr wegbrach und sie kopfüber zwischen fallenden Trümmerstücken abstürzte. Sie hörte ringsumher die Schreie derer, die ebenfalls fielen, und presste fest die Augen zusammen. Etwas traf sie hart in den Rücken und gleich darauf in die Magengrube, und sie verlor das Bewusstsein.
Ein scharfer Schlag auf die linke Wange brachte sie zurück in eine Welt, die nur aus verschwommenen Eindrücken und großen grauen Staubwolken zu bestehen schien. Sie hustete und wollte sich aufrichten, doch als sie Gewicht auf ihren linken Arm verlagerte schrie sie vor Schmerz auf und brach wieder zusammen.
"Lass mal sehen," sagte eine raue Stimme hinter ihr. Dort kniete Valandur, eine blutende Wunde an der Stirn, und tastete vorsichtig ihren Arm ab. "Ich bin kein Heiler, doch glaube ich, dass er nur verstaucht und nicht gebrochen ist. Komm, wir müssen hier weg ehe die Trolle herkommen!" Er ergriff ihren gesunden Arm und zog sie auf die Beine. Kerry tastete sich ab und stellte fest, dass es kaum Stellen an ihrem Körper gab, die nicht schmerzten, doch sie schien durch Glück oder Schicksal keine allzu ernsten Wunden davongetragen zu haben.
"Wohin?" fragte sie nur, mehr brachte sie in ihrem Zustand nicht hervor.
"Weg von hier, weg von den Mauern im Süden. Vielleicht können wir uns zum Osttor durchschlagen," meinte Valandur und hob sein Zweihandschwert auf, das gemeinsam mit ihm abgestürzt war. Kerry hatte ihr Schwert beim Sturz verloren. Als sie sich danach umsah fand sie nichts als die Leichen von mehreren Menschen, die gerade noch mit ihr an der Turmspitze gestanden hatten. Auch Tirithon war darunter, dessen Körper von einem großen Bruchstück zerquetscht worden war. Schaudernd wandte sie sich ab und eilte zurück zu Valandur, der sich auf sein Schwert stützte, das Blut von der Stirn wischte und hektisch nach Feinden Ausschau hielt.
"Dort kommt etwas!" stieß er leise hervor und deutete in den sich legenden Staub nach Süden. Aus dem Dunst trat eine Gestalt, erst undeutlich, dann immer klarer werdend: Ein in silberne Rüstung gehüllter Elbenkrieger. Zu beiden Seiten von ihm tauchten zwei weitere Elben auf, beide in waldelbischer Kleidung, die Langbögen in den Händen trugen.
"Gelmir! Hier drüben!" rief Valandur und machte die Elben auf sich aufmerksam. Der Rest der Gruppe tauchte auf: der grüngewandtete Elb, den Kerry schon zuvor gesehen hatte, die Elbin, die das Mädchen auf dem Rücken trug, und eine offenbar verwundete Elbin, die ebenfalls silberne Rüstung trug.
"Valandur! Du lebst!" rief der Elb in Grün, der so etwas wie der Anführer der Gruppe zu sein schien. Die Gruppe versammelte sich um Kerry und Valandur und schöpfte Atem. Verfolger schien es für den Augenblick nicht zu geben.
"Ich hatte Glück - Kerry und ich haben den Einsturz des Turmes halbwegs in einem Stück überstanden," erklärte der Waldläufer. Er ließ seinen Blick über die Gesichter der Elben schweifen und er senkte traurig den Kopf. "Faronwe und Cúruon... ich nehme an, sie sind..."
Der Grüne schüttelte den Kopf. Eine Pause trat ein, erfüllt von unbehaglichem Schweigen.
Eandril:
Valandur selbst war derjenige, der das Schweigen brach. "Ich habe euch im Stich gelassen", sagte er grimmig. "Ich bin nicht rechtzeitig hier gewesen um noch einen Unterschied zu machen, doch an eurer Seite..." Er ließ den Rest unausgesprochen, und Oronêl schüttelte, trotz der Leere und Trauer die ihn erfüllte, den Kopf. "Du hast getan was du für richtig hieltest, und ich glaube jeder hier hätte an deiner Stelle das gleiche getan." Der Dúnadan nickte mit noch immer ernster Miene, seine Erleichterung beschränkte sich auf seine Augen.
Im selben Moment brach Mírwen plötzlich ohne einen Laut in die Knie, und Oronêl sah, dass der Verband an ihrer Seite rot durchtränkt war. Bevor sie weiter fallen konnte, fing er sie auf und sagte zu niemand bestimmtem: "Wir brauchen Verbände, sonst wird sie verbluten."
"Ich habe... meine Tasche verloren", stieß Irwyne, die Finelleth in der Zwischenzeit vorsichtig abgesetzt hatte, hervor, tastete nach dem Pfeil der noch immer in ihrer Wade steckte, und stöhnte vor Schmerz. Finelleth berührte die blutige Pfeilspitze mit dem Finger und roch daran. Erleichterung malte sich auf ihrem Gesicht, als sie sagte: "Er ist nicht vergiftet, also nicht weiter schlimm."
"Gut...", sagte Irwyne leise, und zu Oronêls Verwunderung huschte ein winziges, verschmitztes Lächeln über ihr Gesicht. "Sonst würde ich mich wahrscheinlich genauso anstellen wie du."
Während sie sprach hielt Oronêl noch immer Mírwen in den Armen und lauschte auf ihren schwachen Atem. "Wir müssen das irgendwie verbinden, sonst wird sie ebenfalls sterben." Er selbst hörte die Verzweiflung in seiner Stimme, doch einen dritten Verlust in so kurzer Zeit würde er nicht ertragen können. Zumal Mírwen bei dem Versuch, ihn vor Laedor zu retten, verwundet worden war.
"Ich... habe hier vielleicht etwas, das.. helfen könnte," wandte eine neue Stimme ein. Die Elben fuhren herum. In all der Aufregung um Irwynes und Mírwens Wunden und der Wiedervereinigung mit Valandur hatte niemand richtig wahrgenommen, dass der Dúnadan nicht alleine gewesen war als sie zu ihm gestoßen waren. Ein blondes Mädchen in fester Lederbekleidung trat zu Mírwen, ein Bündel in den Händen. Sie sah Irwyne ein bisschen ähnlich, war jedoch einige Jahre älter. Noch etwas anderes an ihr kam Oronêl bekannt vor, doch er hatte jetzt keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
"Verbände? Woher hast du..." setzte Valandur an, doch das Mädchen unterbrach ihn. "Von einem der anderen, die den Sturz vom Turm nicht überstanden haben."
"Den Sternen sein Dank, Kerry," sagte Valandur erleichtert.
Oronêl nahm die Verbände dankbar entgegen, doch bevor er etwas tun konnte, hörte er Gelmir seinen Namen sagen. Er erkannte die Stimme des Elben kaum wieder, und lies Mírwens Oberkörper vorsichtig zu Boden gleiten, während Glorwen ihm wortlos die Verbände abnahm. Oronêl stand auf und eilte zu Gelmir, der am Rand der Trümmer stand und auf die feindliche Armee hinausblickte.
"Sie machen sich für einen weiteren Angriff bereit", sagte der Elb aus Lindon, die Hand auf den Schwertgriff gelegt. Oronêl hatte nicht gemerkt, dass die Orks ihren Ansturm nach dem Fall des Turmes eingestellt hatten, und ihm wurde klar, dass sie nur deswegen überhaupt noch am Leben waren. "Ich wollte versuchen, mich mit Kerry zum Osttor durchzuschlagen", meinte Valandur, der sich zu ihnen gesellt hatte. Der Waldläufter hatte eine blutige Platzwunde auf der Stirn, wirkte aber ansonsten unverletzt. "Aber mit den Verletzten schaffen wir das nicht, bevor die Orks wieder angreifen, und der Weg durch den Turm ist von den Trümmern versperrt."
"Dann müssen wir kämpfen", sagte Oronêl langsam und widerwillig, und auf Gelmirs Gesicht erschien ein Ausdruck finsterer Genugtuung. Anscheinend hatte er nach Faronwes Tod nur noch Rache an seinen Feinden im Sinn.
Oronêl wandte sich um, und stieg wieder über Trümmer und die Leiche eines Verteidiger hinweg zu der halbwegs trümmerfreien Stelle, an der die anderen sich aufhielten. In der Zwischenzeit hatte Glorwen Mírwens Seite erneut verbunden, und das Mädchen, Kerry, drückte kräftig dagegen um die Blutung zu stoppen. Irwyne saß noch immer an dem Ort, wo Finelleth sie abgesetzt hatte, und hatte die Augen geschlossen. Glücklicherweise verhinderte der noch immer in der Wunde steckende Pfeil, dass das Mädchen verbluten würde.
Oronêl kniete sich neben Kerry und Mírwen in das blut- und staubbefleckte Gras. Er zog seinen Dolch und hielt ihn dem Mädchen mit dem Griff, auf dessen Knauf ein weißes Pferd eingraviert war, zuerst hin. "Für den Notfall", sagte er, obwohl er hoffte, dass es nicht so weit kommen würde.
Sie ergriff die Waffe und nickte, eine gewisse Entschlossenheit im Gesicht. Doch in ihren grün schimmernden Augen konnte Oronêl noch etwas anderes erkennen: Angst.
"Also werden wir kämpfen," sagte sie, mehr zu sich selbst als an ihn gewandt. Oronêl nickte. "Ja", sagte er leise. "Wenn die Orks den Turm erobern, werden sie einen weiteren Weg auf die Mauern haben, und das können wir nicht zulassen." Er sagte nicht, was ein solcher Fall für sie selbst bedeuten würde, doch das musste er auch nicht.
Über die Trümmer hinweg kamen Glorwen und Orophin auf sie zu, und beide trugen zwei mit Pfeilen gefüllte Köcher. "Wenigstens können wir jetzt wieder zurückschießen", meinte Orophin mit einem schwachen Lächeln.
Das Mädchen blickte etwas hoffnungsvoller drein als sie die Pfeile sah, doch Oronêl kam sie dennoch nicht besonders kampfbereit vor. Er wusste nicht, ob sie ihnen im Gefecht behilfich sein könnte oder eher zur Last fallen würde, da sie beschützt werden musste.
Von Süden ertönten erneut die Hörner und das Kriegsgeschrei der Orks, und Finelleth, die bereits am Rand der Trümmer neben Gelmir und Valandur Stellung bezogen hatte, rief: "Sie greifen wieder an!" Oronêl legte Kerry die Hand auf die Schulter und sagte, zuversichtlicher als er sich eigentlich fühlte: "Wir werden den Turm halten."
Wir müssen. Dann wandte er sich ab, und bereitete sich auf den unvermeindlichen Aufprall der Orks gegen ihre Stellung vor.
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