Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Der Thron von Mittelerde
Gondor
Saizo:
Lebennin (Gondor)
Sanya und Mithrendan auf der Straße von Pelargir nach Norden
Am Morgen nach ihrer Ankunft in Pelargir ritt die kleine Gruppe um Sanya los, nachdem sie die Nacht in einer ungemütlichen Kaserne nahe des Hafens verbracht hatten. Das Wetter war besser als am Vortag und bescherte ihnen gute Sicht bei klarem Sonnenschein. Das Land, das sie durchquerten, Lebennin, war größtenteils flach und nur hier und dort von kleinen Baumgruppen bewachsen. Zu ihrer Rechten fiel es sehr sanft zum Ufer des großen Anduinflusses ab, während sich in der Ferne zur Linken das Weiße Gebirge auftürmte. Sie kamen auf der neu ausgebauten Straße gut voran, auch wenn ihnen hin und wieder andere Reiter oder Wagen begegneten. Der vorderste Reiter in Sanyas Gruppe führte ihr Banner mit sich, rot auf schwarzem Grund wie es sich für königliche Soldaten gehörte, und sie als Mitglieder der Armee auswies. So hielt sie auch niemand an oder stellte in Frage, wohin sie ritten.
Am späten Vormittag rasteten sie in einem kleinen Dorf etwas abseits der Straße. Mensch und Tier stillten ihren Durst an Brunnen und Tränke, während Sanya und Mithrendan im Schatten eines der Häuser auf einer Bank saßen und etwas Proviant verzehrten. Es dauerte gar nicht lange, da hatten sie eine kleine Gruppe Kinder angelockt, die sich um die beiden versammelten und sie bestaunten. Wahrscheinlich kam es selten vor, dass Reiter durch dieses Dorf kamen, was sie natürlich zu einer gewissen Attraktion machte.
Mithrendan lächelte und wandte sich an eines der Kinder, ein ungefähr sechsjähriges Mädchen, das so etwas wie die Anführerin der Gruppe zu sein schien. "Wie ist dein Name, Kleine?"
"Fána," sagte das Mädchen stolz. "Seid ihr echte Soldaten der Königin Kiana?"
"Sind wir," bestätigte Mithrendan schmunzelnd, dann beugte er sich verschwörerisch vor. "Und wir sind in streng geheimer Mission unterwegs!"
Die Kinder tuschelten, dann schauten sie den Kundschafter gebannt an, ehe sie ihn mit allerlei Fragen bestürmten. Sanya hörte nur mit einem halben Ohr zu, denn sie war in Gedanken bereits bei der Planung der kommenden Tage. Sie würden Lossarnach noch am selben Abend erreichen und sich dort gründlich umhören, die größeren Ansiedlungen durchkämmen, um...
Sanya schreckte hoch. Etwas hatte sie gegen das Knie gestupst. Sie fand die kleine Fána vor sich stehend vor, die sich aus der Kindergruppe rings um Mithrendan gelöst hatte. Sanya sah, wie das Kind sie prüfend anstarrte.
"Was ist?" wollte sie etwas unwirsch wissen.
"Du bist bei der Armee," sagte Fána und ihre Miene wechselte zu Bewunderung. "Obwohl du ein Mädchen bist."
Sanya wollte sie schon korrigieren, dass sie etwas zu alt sei um noch als Mädchen bezeichnet zu werden, doch dann wurde ihr klar, worauf das Kind hinauswollte. Die allermeisten Soldaten waren Männer - erst seit der Umstrukturierung des Heeres durch die Königin war es Frauen gestattet, in den Rängen aufzusteigen. "Ja... das bin ich," antwortete sie daher, sanfter als zuvor.
"Wenn ich groß bin, möchte ich auch Soldatin werden," sagte Fána. "So wie du. Und für die Königin kämpfen!"
"Für Frieden und Ordnung," fügte Sanya rasch hinzu. "Das ist es, was wir hier tun. Wir hindern böse Menschen daran, den Frieden zu stören."
Fána nickte zufrieden, dann ließ sie Sanyas Knie los und gesellte sich wieder zu den anderen Kindern. Sanya blieb nachdenklich sitzen. Sie wusste nicht recht, was sie denken sollte. Dass ein Kind sie so aus ihren Gedanken hätte reißen können, hatte sie nicht erwartet. In ihrem Inneren hatte es schon lange keinen Platz mehr für Staunen gegeben, da war nur der ständige Druck, sich zu beweisen und ihren Auftrag zu erfüllen. Sie hatte sich dahingeschleppt, innerlich die Zähne zusammengebissen, in der Hoffnung eines Tages so viel erreicht zu haben, dass ihr niemand mehr ihren Rang und Status würde wegnehmen können. Doch dieser kleine Austausch mit Fána hatte die wachsende Wand der Depression durchbrochen, einfach so. Sanya hinterfragte zum ersten Mal, wozu sie sich eigentlich so sehr verkrampfte. Und, ohne dass sie es verhindern konnte, tauchte da auf einmal ein ganz neuer Wunsch tief in ihr auf, den sie in ihrem Leben noch nie verspürt hatte:
Eines Tages... möchte ich ein Kind bekommen.
Sie wurde rot, als ihr die Tragweite dieses Wunsches klar wurde. Zwar war sie keine Jungfrau mehr, aber es gab niemandem, mit dem sie sich die Gründung einer Familie hätte vorstellen können, und Zeit hatte sie dafür schon gar nicht. Sie rieb sich die Schläfen, schlug einmal die Fäuste gegeneinander und stand dann mit einem Ruck auf.
"Wir reiten weiter," beschloss sie und rief ihre Soldaten zu sich.
Als es Nachmittag geworden war, kamen sie an einen der vielen Flussübergänge in Lebennin. Eine steinerne Brücke führte über den kleinen Fluss hinweg, der die Straße kreuzte. Ringsum, zu beiden Flussufern, standen Bäume, denn die Brücke lag inmitten eines Wäldchens. Zu ihrer Überraschung fanden Sanya und Mithrendan die Brücke versperrt vor, denn auf der gegenüberliegenden Seite hatte sich eine große Gruppe Menschen versammelt, Bauern und einfache Leute nach ihrem Aussehen.
"Was hat das zu bedeuten?" verlangte Sanya zu wissen und ritt vor, auf die Brücke hinaus. "Gebt den Weg frei, wir sind im dringenden Auftrag der Königin unterwegs!"
"Im Auftrag der Königin?" wiederholte einer der Bauern und schaute Sanya grimmig an. "Dann wird Ihre Majestät aber enttäuscht sein, wenn sie hört, dass ihre hübsche Botin in eine Falle gelaufen ist!"
Die vermeintlichen Bauern warfen ihre schmutzigen Umhänge zurück und darunter kamen Waffen und einfache Rüstungen zum Vorschein. Sanya riss ihr Schwert aus der Scheide. Offene Rebellion, so nahe an der Hauptstadt? dachte sie sich noch, ehe sich die ersten Angreifer auf sie stürzten. Glücklicherweise gelang es ihr, ihr Pferd unter Kontrolle zu halten und damit etwas Distanz zwischen sich und die heranstürmenden Aufständischen zu bringen und zu ihrer Eskorte aufzuschließen. In diesem Moment ertönte jedoch Gebrüll von hinter ihr, und sie sah, wie aus dem Wald südlich der Brücke noch weitere Angreifer stürmten.
"Eine Falle! Sie müssen gewusst haben, dass wir kommen!" rief Mithrendan, der aus dem Sattel gesprungen war und mit seinem Speer mehrere Aufständige davon abhielt, die Brücke weiter zu überqueren. Auch die übrigen königlichen Soldaten saßen nun rasch ab und formierten sich diszipliniert. Dennoch waren sie zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen. Sanya riss ihren Schild von der Satteltasche und reihte sich neben ihren Kameraden ein, kurz bevor der Ansturm gegen den hastig errichteten Schildwall begann. Die Feinde besaßen Wut und waren dank ihrer Überzahl motiviert, aber sie besaßen weder die Kampferfahrung der Friedenshüter noch waren ihre Waffen von brauchbarer Qualität. So gelang es den Soldaten, den Schildwall aufrecht zu erhalten, zumindest für einige lange Minuten voller heftiger Kämpfe. Die ersten vermeintlichen Bauern fielen, niedergestreckt von gezielten Angriffen Sanyas und ihrer Verbündeten. Doch dann begannen zu allem Überfluss Pfeile auf die kleine Verteidigungslinie herabzuregnen. Hier und da fanden sie ihr Ziel, und drei Soldaten gingen zu Boden, was große Lücken in den Schildwall riss.
Sanya packte ihr Schwert so fest, dass die Knöchel ihrer Schwerthand weiß hervortraten. Das war's also, dachte sie sich und machte sich auf das Ende gefasst. Sie schwor sich, so viele dieser Mistkerle wie möglich noch mitzunehmen...
Ein mächtiges Brüllen zerriss den Lärm des Kampfes und ließ sie alle für einen kurzen Augenblick erstarren. Dann rauschte ein gewaltiger Schatten hoch über den Baumkronen über sie hinweg, und als Sanya einen Blick nach oben riskierte, sah sie eine schwarze, geflügelte Gestalt, die ein erneutes Brüllen ausstieß und nach Süden hin über den Flussübergang flog. Es war erst das zweite Mal, dass Sanya den Drachen der Königin mit eigenen Augen sah, und dieses Mal war er ihr viel näher gekommen als beim ersten Mal, als sie die Kreatur nur von großer Ferne über Minas Tirith hatte kreisen sehen.
Die Aufständischen brachen in heillose Panik aus, ließen ihre Waffen fallen und flohen in alle Richtungen, jedoch hauptsächlich nach Norden. Keiner von Sanyas Leuten war unverletzt geblieben, sie selbst hatte einen langen Schnitt am Hals erhalten, als die rostige Klinge eines Rebellen sie beinahe enthauptet hatte. So war niemand in der Lage, die Angreifer zu verfolgen, denn die Pferde waren im Chaos der Schlacht vor Angst durchgegangen oder von den Fliehenden gestohlen worden. Sanya ließ die Verwundeten notdürftig verbinden und ordnete eine zweistündige Rast an, danach plante sie, sich mit den Überlebenden ins nächste Dorf zu schleppen und dort Meldung zu machen.
Zu ihrem Glück traf ungefähr eine Stunde später eine Kompanie berittener Kundschafter ein, die von Minas Tirith ausgesandt worden waren, um dem Flug des Drachen so gut es ging zu folgen, allerdings war dieser so schnell geflogen dass sie ihn schon frühzeitig aus den Augen verloren hatten. Sanya ließ für Mithrendan und sich jeweils ein Pferd bereitstellen und befahl den Kundschaftern, die Suche nach dem Drachen vorerst abzubrechen und stattdessen die verwundeten Friedenshüter in Sicherheit zu eskortieren. Sie selbst biss trotz ihrer Verletzung die Zähne zusammen und ritt so rasch sie konnte nach Norden. Sie musste Lossarnach noch an diesem Tag erreichen, da war sie sich sicher, selbst wenn sie nun nur noch Mithrendan - der nahezu unverletzt geblieben war - an ihrer Seite hatte. Sie hatte die Befürchtung, dass der Angriff auf offener Straße nur der Anfang gewesen war, und sie war sich sicher, dass der geheimnisvolle Silberne Schwan dahinter steckte. Von Lossarnach war es nur noch ein Katzensprung bis nach Minas Tirith, und dort angekommen würde Sanya Verstärkung anfordern - genügend Soldaten, um ganz Gondor auf den Kopf zu stellen. Sie schwor sich, dass sie den Silbernen Schwan finden und den Aufstand aufhalten würde, koste es was es wolle, doch dafür brauchte sie mehr Männer - Männer, die sie in der Hauptstadt finden würde.
Sanya und Mithrendan weiter nach Norden entlang der Straße nach Minas Tirith
Darkayah:
Minas-Tirith, Weiße Festung (Gondor)
Octavia im Palast der Weißen Festung…
Während sie in den großen Thronsaal gebracht wurde und auf den Thron mit langsamen Schritten zu ging, fühlte sie nur eine unfassbare Leere. Dann wurde ihr bewusst, dass sie endlich dort stand, wo sie lange hin wollte. Sie stand vor der Königin, die sie ermorden wollte. Sie war wirklich äußerst hübsch und ihre Violetten Augen fixierten die Siegerin des Turniers neugierig. Es musste sich nur die richtige Gelegenheit ergeben um sie zu töten und all der Schrecken war vorbei. Zum Glück bemerkte keiner, dass sie sich die Spitze einer abgebrochenen Lanze aus der Arena in ihren Stiefel geschoben hatte.
"Ihr befindet euch in Anwesenheit von Kiana Vaneryen, erste ihres Namens, Hohe Königin von Mittelerde, Beschützerin des Reiches, und Befreierin der Menschheit...", sagte Loki, der sich auch im Saal befand, trocken.
Noch immer verspürte sie die Erschöpfung und die Schmerzen des Kampfes. Ihre Bemalung im Gesicht war verwischt und noch kaum erkennbar.
"Ihr habt tapfer gekämpft…", erhob die Königin ihre Stimme, "...Und da Ihr eine Frau seid, macht es mich umso glücklicher!".
Octavia schwieg zunächst. Was sollte sie auch dazu sagen. Gut fühlte sie sich nicht dadurch, dass die Königin angeblich stolz auf sie war.
"Ich könnte mehr schlagkräftige Frauen gebrauchen… Bis jetzt habe ich nur eine Kommandantin, die für Frieden und Ruhe hier in Gondor sorgt!", fuhr Kiana nachdenklich fort. "Ich persönlich spreche das allgemeine Ostron, Ihr aber, scheint einen Dialekt zu sprechen… Wo habt Ihr ihn erlernt?".
Die junge Rebellin hatte kein interesse daran, mit der Frau zu sprechen ,die sie über alles auf der Welt verabscheute. Aber sie musste warten. Sie konnte ja nicht vor allen Wachen und vor allem vor Loki an ihren Hals springen und sie töten.
"Ein Mann den ich über alles liebte brachte es mir bei..", erwiderte sie mit kratziger Stimme.
"Den Ihr über alles liebtet?", bohrte die Königin nach und betonte die das letzte Wort. "Männer können grausam sein, wenn es um die Liebe geht… Ich verstehe das!".
Octavia atmete tief ein. "Er wurde ermordet…".
"Das tut mir leid…", entgegnete Kiana nur. "Wollt ihr deshalb Gerechtigkeit? Gerechtigkeit für den Tod eures Liebhabers?".
Die Rebellin sah zu Loki. Als ihre Blicke sich kurz kreuzten, senkte Loki wieder seinen Kopf zum Boden. Dann schaute sie zu Kiana. "Verzeiht mir… Eure Hoheit…", presste sie quälend hervor, "...Vielleicht versteht Ihr, dass ich nicht… Vor gewissen Personen darüber sprechen möchte!". Es fiel ihr nicht leicht, die höfliche Sprechform beizubehalten.
Sie hoffte, dass Kiana Vaneryen die Ausrede schluckte und sich darauf einließ. Sie nickte daraufhin Loki zu, der noch zum Sprechen ansetzte, dann aber stoppte. Dann befahl sie auf Ostron ihren Wachen den Saal zu verlassen, was diese auch sofort taten. Die Türen fielen in das schwere Schloss und das war das Zeichen, dass sie sich nun nur noch zu zweit im Saal befanden.
"Hat ein Mann aus meiner Armee etwas damit zu tun?", fragte Kiana direkt mit einem Unterton, als würde sie auf etwas anspielen wollen.
Octavia kam den Stufen, die sich unterhalb des Thrones befanden, näher und leckte sich über die trockenen Lippen. "Ich will gerechtigkeit für all die Menschen, die während der Eroberung von Minas-Tirith ermordet worden sind, Gerechtigkeit für alle, die unter Eurer Herrschaft leiden müssen… Ich will Freiheit!".
Die Rebellin konnte das unerwartete Schlucken der Königin fast schon hören. Wahrscheinlich rechnete sie nicht mit dieser Antwort.
"Das ist auch was ich will…", erwiderte sie vorsichtig und leicht zittriger Stimme.
"Warum entsendest… du] … dann noch immer Soldaten in den Norden und sitzt auf dem Thron?", fauchte Octavia und vergaß dabei jegliche Höflichkeitsformen.
"Die Rebellen töten die Soldaten… Das sind alles Männer die selbst Familien haben… Männer die das Reich und auch Euch beschützen!", redete sich die Königin heraus.
"Ich bin auch eine der Rebellen!", sagte Octavia, "Und deine Soldaten beschützen keinen von uns… Eher im Gegenteil!".
"Es muss einen Grund haben warum Ihr als Rebellin hier seid. Sonst wärt Ihr niemals von so weit hergekommen, außer um absurde Forderungen zu stellen…", dabei wirkte die Königin äußerst überzeugt. "Ich nehme an, Ihr seid hier um das Knie vor der rechtmäßigen Königin zu beugen?".
Sie muss ja sehr von sich überzeugt sein, dachte Octavia, als sie die Worte hörte. Sie machte der Königin schwere Vorwürfe und Kiana hatte nichts besseres zu tun als zu glauben, sie würde sich trotzdem Kiana unterwerfen.
"Nein...", hauchte Octavia kopfschüttelnd. "Das macht keinen Sinn…".
"Ihr seid noch jung, Ihr versteht noch nicht viel von den Dingen in der Welt… Im Krieg müssen Menschen sterben und die in Minas-Tirith wählten ihr Schicksal selbst! Sie haben freiwillig einen Tyrannen gedient!", entgegnete Kiana und spielte das Geschehene damit herab. Die junge Rebellin sah all die Bilder wieder vor sich. Die brennenden Straßen und schreienden Menschen, die durch die Stadt um ihr Leben rannten. "Ihr seid eine gute Kämpferin und deshalb frage ich Euch noch einmal: Beugt das Knie vor mir und schließt Euch der wahren Königin an. Jeder Rebell, der seinen Fehler eingesteht, garantiere ich eine Begnadigung. Lehnt ab und… Stirbt!".
Octavia dachte sie hört nicht richtig, weshalb sie den kurzen Lacher nicht unterdrücken konnte. War die Königin wirklich so überheblich und sich keiner Schuld bewusst? Sie konnte kaum glauben, dass jemand eine solche verzerrte Wahrnehmung haben konnte.Und diese Frau regierte das ganze Reich!
"Mit jemanden der Eure Fähigkeiten besitzt können wir für Frieden im ganzen Reich sorgen! Zusammen können wir dieses Reich von denen Befreien, die es zerstören wollen!", sagte die Königin weiter.
"Wir waren vorher hier, vor dir... Schon bevor du Königin wurdest..", entgegnete Octavia ruhig, dennoch entschlossen. "Es gibt keine andere Wahl für uns!".
"Aber das ändert doch nichts daran, dass ich die rechtmäßige Königin bin und dass ich diese Welt zu einem besseren Ort mache! Ihr Armes Ding seht das nur noch nicht!", sagte Kiana Vaneryen mit einem mütterlichen Unterton. Dabei stand sie von ihrem Thron auf und stieg die Stufen hinunter zu Octavia.
"Du hast all diese Menschen in Minas-Tirith sterben lassen, riskierst es, dass weitere sterben!", schimpfte Octavia.
"Es war notwendig… Anders hätten sie es nicht bemerkt, von Tyrannen kontrolliert zu werden!", erklärte und verteidigte Kiana weiter ihre Taten.
"Da liegst du falsch!", sagte sie, "Thirak hatte recht... Du bist verrückt!".
Octavia bemerkte, dass diese Worte Kiana gekränkt haben mussten. Sie zog ihr Gesicht zusammen, als würde sie einen Schmerz verspüren. Ihre sonst so kühlen Violetten Augen wirkten auf einmal glasig und verletzbar.
"Ach, er lebt noch? Ich dachte er sei inzwischen tot?", entgegnete die Königin herablassend. "Was auch immer er gesagt haben mag… Es ist unbedeutend… Er ist nur ein Schwindler und ein Verräter…".
"Für mich bist du die größte Schwindlerin und Verräterin des Reiches!", fauchte Octavia, "Du heuchelst allen eine bessere Welt vor… Eine Welt die du bestimmst und niemand anders! Alle anderen sind zum Tode verurteilt!".
"Weil ich weiß was richtig für alle ist… Oh, mein armes verwirrtes Mädchen…Was haben die Wilden im Norden nur mit dir gemacht...", sagte die Königin fast schon besorgt. Sie stand direkt vor Octavia, und nahm plötzlich das Gesicht der Rebellin in ihre Hände. "Ich bin die rechtmäßige und einzige Königin von Mittelerde, ich muss wissen, was gut für mein Volk ist. Dafür wurde ich geboren!".
"Es muss einfach unmöglich sein, das Gleiche Blut mit dir zu teilen…", rutschte es Octavia plötzlich abwertend heraus. Sie wollte nicht mit jemandem Verrücktes Verwandt sein. Kiana ließ daraufhin ihre Gesicht los und sah sie erschrocken an."Was meint Ihr damit?".
Erst seufzte sie im Ärger über sich selbst. Ansprechen wollte sie das nicht, mit Kiana verwandt zu sein. Egal...Ich töte sie ja sowieso…, dachte sie sich.
"Wir beide teilen das selbe Blut… Wir haben den gleichen Vater! Und legitimiert das mich jetzt für alle Menschen zu bestimmen? Was richtig und falsch ist?", wollte Octavia wissen, hoffte dass sie lieber auf ihre Frage einging, obwohl sie keine vernünftige erwartete.
Kiana ging zwei Schritte rückwärts und sah sie misstrauisch an. "Das kann nicht sein…", flüsterte sie und musterte Octavia vom Kopf bis zu den Füßen.
"Ich hoffte auch ,dass das nicht wahr ist… Mit der Frau das gleiche Blut zu teilen, die ich mir jeden Tag tot wünsche, war nicht mein größter Traum!", scherzte die junge Rebellin sarkastisch. "Als Thurion...Dein Vater… Unser Vater… Von meiner Geburt erfuhr, wollte er den Krieg beenden…".
"Das kann nicht sein!", wiederholte Kiana sofort und sicher, "Er tat es weil er von mir erfuhr und liebte nie wieder eine Frau nach meiner Mutter Anarya!".
"Es war ein irrtum… Von dir wusste er noch nicht einmal… Er und meine Mutter liebten sich…", erzählte Octavia weiter. Kiana sah sie nur ungläubig an und schüttelte den Kopf. "Das kann nicht sein…", entgegnete sie zum dritten mal, diesmal langsam.
"Eldarion erzählte es mir und meine Mutter starb für dieses Geheimnis in den Flammen deines Ungeheuers… Und wenn du ehrlich bist spürst du es doch selbst dass es stimmt… Ich tue es auch. Leider...", entgegnete Octavia niedergeschlagen. Als sie die Königin beobachtete, schien sie genauso zu fühlen. Zumindest wirkte es so. Plötzlich hatte sie ein sanftes und breites Lächeln auf den Lippen. "Wenn das so ist, haben wir doch keinen Grund uns zu hassen! Dann sollten wir zusammen bleiben, gemeinsam die Welt zu einem besseren Ort machen, mit mir als Königin und du als meine Nachfolgerin, falls mir etwas zustoßen sollte!".
Octavia schüttelte den Kopf. war Kiana Vaneryen wirklich so naiv? Langsam empfand sie das nur noch als lächerlich.
"Ich kann verstehen, dass du verwirrt bist, mein armes kleines Mädchen… Meine Schwester! Auch ich fühlte mich einsam und irrte alleine durch die Welt! Das mächtige Blut, welches wir in unseren Adern tragen, ist eine schwere Bürde!", versuchte Kiana sie weiter zu überzeugen. "Alleine wird es in dir nur die Gier nach Blut antreiben und deine Seele Stück für Stück zerstören!".
Die junge Rebellin verstand nicht worauf sie hinaus wollte. Die einzige, die eine zerstörte Seele besaß und sich von der Gier zerfressen lassen hatte war Kiana selbst! Sie war diejenige, die besessen von ihrem Anspruch und ihrer Macht war.
"Wir sollten als Familie zusammenhalten und nur du kannst die fehlgeleiteten Seelen im Norden zu ihrer Erleuchtung führen, indem sie sich unserem Blut unterwerfen! Das Blut ihres Schicksals liegt in deinen Händen!", redete Kiana weiter auf sie ein. "Reich mir deine Hand, gemeinsam wird diese Welt in Flammen aufgehen und alle Zweifel, jede Angst wird in den Flammen untergehen!". Dabei hielt sie Octavia an den Armen fest und schüttelte sie, als wollte sie, dass die Rebellin endlich aus ihrem Schlaf erwachte.
Hat sie nun vollständig den Verstand verloren? Was um alles in der Welt redet sie da?, fragte sie sich entsetzt. Octavia zog nur ihre augenbrauen absprechend hoch. Niemals wollte sie mit der Königin gemeinsame Sache machen. Auch nicht, wenn sie ihre Halbschwester war. In gewisser Weise machte ihr die plötzliche manische Art der Königin Angst.
Inzwischen streichelte Kiana Octavias Wange liebevoll entlang und sah sie fürsorglich an an. Für einen kurzen Moment glaubte sie, in den Violetten Augen der Königin ein Fünkchen Liebe zu finden.
Allerdings ließ sie sich weder von den Versuchen der jungen Königin sie zu überzeugen, noch von der Tatsache, dass sie Halbschwestern waren, davon abhalten ihren eigentlichen Plan umzusetzen: Kiana Vaneryen musste sterben!
Tief aus dem Bauch heraus seufzend nahm sie die Hände Kianas in ihre und nickte ihr mit einem schiefen Mund zu. Die Miene der Königin blieb sanft und sie schien schon siegessicher zu sein.
"Du hast mich gefragt, warum ich den weiten Weg hierher gemacht habe…", fing Octavia an, "Meine wahre Familie ist im Norden… Mein Bruder Kael, Phelan, Indro und sogar Thirak… Ich will sie beschützen und du bist die größte Bedrohung für sie alle!".
Mit den Worten wurde ihr Griff um die Handfesseln Kianas fester. "Du musst sterben, damit die Tyrannei aufhört!".
Sie drückte die etwas kleinere Frau hinunter auf die Stufen und versuchte mit der anderen Hand das Stück der Lanze aus ihrem Stiefel zu bekommen. Dies erwies sich als schwieriger als gedacht, da die junge Königin sich vehement gegen den Angriff wehrte. Kiana Vaneryen rief nach ihren Wachen und die Rebellin wurde hastig und versuchte den Mund ihrer Halbschwester zu zu halten. Sie konnte ihre improvisierte Waffe einfach nicht erreichen.
Verdammt!, ärgerte sie sich. Plötzlich spürte sie nur eine Druckwelle, die sie ein Stück nach hinten, weg von der Königin, schob. Sie konnte sich nicht erklären, was das war. Die silberhaarige Frau hielt ihre Hände in Octavias richtung, was sie vermuten ließ, dass sie etwas damit zu tun hatte. Schnell nahm sie die Spitze der Lanze aus ihrem Stiefel. Noch einmal setzte sie zum Angriff an und sprang auf Kiana zu, die rückwärts zu Boden über die Stufen stürzte. Dabei fiel die schwarze Krone der Königin herunter und setzte auf jede Stufe lautstark auf.
Octavias Herz schlug schnell. Sie wusste, dass sie die Kiana nicht mehr töten konnte. Allmählich breitete sich doch die Angst in ihr aus, ihr Leben zu verlieren und die anderen nie wieder zu sehen.
"Das nächste mal wenn ich dich sehe, töte ich dich!", beschwor Octavia mit Tränen in den Augen, bevor sie flüchtete. Im gleichen Moment öffneten sich die Türen zum Saal und etliche Wachen stürmten den großen Raum.
Octavia rannte so schnell sie konnte durch den Palast und hoffte auf keine Wachen zu treffen. Eine Zeitlang hatte sie das Gefühl im Kreis zu laufen, bis sie aber ein Fenster erblickte. Als sie hindurch sah, bemerkte sie, dass der Boden nicht weit weg war. Rasch sprang sie herunter und befand sich auf der obersten Ebene der weißen Festung.
"Komm schnell, hier entlang!", hörte sie eine männliche Stimme hinter sich. Es war Loki, der sie zu sich winkte. Eigentlich wollte sie ihm nicht vertrauen, doch was blieb ihr anderes übrig. Sie folgte ihm zu einer Seitentreppe, die von der obersten Ebene hinunter führte. Er zog ihr seinen Mantel über und hielt die Kapuze über ihren Kopf. Sie merkte nur, dass er sie fest an sich drückte und mit schnellen Schritten lief. Wenn es ihr möglich war einen Blick zu erhaschen, sah sie, dass er sie weit am Rand der Festung führte. Viele Glocken schlugen alarm und sie hörte viele Schritte und viel geklimper der Rüstungen der Soldaten, an denen sie vorbeikamen.
Endlich unten angekommen, huschten sie durch das Tor der Weißen Festung bis zu der äußerste östlichen Mauer der Stadt. Dort warf er ein Seil über die Mauer. "Los, schnell klettere hinunter! Unten wartet ein Pferd auf dich, rasch!".
Obwohl sie ihn noch verabschieden wollte, kletterte sie ohne Worte das Seil hinunter. Das erste mal seit langem hatte sie wieder Angst um ihr eigenes Leben und hoffte nur zu entkommen...
Octavia flieht aus Minas-Tirith in unbekannte Richtung...
Darkayah:
Minas-Tirith, weiße Festung (Gondor)
Kiana Vaneryen im Thronsaal von Minas-Tirith…
Die junge Königin ließ ihre schwarzen Ostlinge und deren Anführer Grauer Staub die ganze Festung und die gesamte Stadt durchsuchen, um die Flüchtige noch zu schnappen und gefangen zu nehmen. Jede Ecke und jeder Winkel wurden auf den Kopf gestellt um sie zu finden. Doch erfolglos.
Mittlerweile kehrte wieder Ruhe in Minas-Tirith ein. Die Alarm schlagenden Glocken waren verstummt und nur noch einzelne Soldatengrüppchen suchten nach Verdächtigen Personen, oder befragten mögliche Zeugen der Flucht. Kiana war noch immer über den Vorfall schockiert. Nicht nur, dass jemand sie ermorden wollte, nein… Es war ihre eigene Halbschwester… Ihr eigenes Fleisch und Blut!
"Soll ich ausreiten und mich auf dem Weg nach Arnor machen? Vielleicht finde ich auf sie dem Weg, weil sie dorthin flieht?", fragte Loki ganz ruhig. "Sie kann noch nicht weit sein!".
Kiana verschloss entnervt ihre Augen. "Damit du wieder über sie herfällst, wie du das in Arnor gemacht hast?", fauchte Kiana ihn erbost an. "Du kanntest sie… Ich habe eure Blicke gesehen! Du hättest sie erkennen müssen! Du hättest deine Königin beschützen müssen! Du bist der Reichsmarschall!".
Ihre Stimme hallte durch den ganze Thronsaal. Innerlich kochte sie vor Wut. Sie hatte das Gefühl zu platzen.
"Dann lass es mich wieder gut machen!", sagte er noch immer ruhig, "Ich bringe sie zu dir…".
"Du wirst gar nichts machen...", zischte sie. "...Du bist unfähig... Seitdem du aus Umbar weg bist, bist du nutzlos! Ich werde Grauer Staub mit der Suche beauftragen…".
Dabei sah sie ihn abwertend von der Seite an. In gewisser Weise war sie von ihm angeekelt. Durch ihm gelang es fast einer Aufständigen die wahre Königin töten. Auch vertraute sie ihm nicht mehr wirklich. Sie wusste ja nicht, ob er der Verräterin zur Flucht verhalf, wenn er schon eine Liebelei mit ihr in Arnor anfing, obwohl beide Feinde waren. Wer weiß, vielleicht brachte er sie erst nach Minas-Tirith und sogar auf die Idee.
Sie goss sich etwas Wein in einen Kelch ein und nahm einige große Schlücke. Dann atmete sie tief durch, um sich zu beruhigen und sah zu Loki, der sie schon besorgt anstarrte.
"Grauer Staub wird hier benötigt… Wenn du der Meinung bist, dass ich dich nicht beschützen kann, soll er es tun! Ich will nicht dass dir etwas zustößt, Kiana!", versuchte er ihr klarzumachen. "Für mich war es heute auch mehr als beängstigend!".
"Pf...", machte Kiana nur. Sie war sich sicher, dass er flunkerte.
Er ging auf sie zu und wollte sie in die Arme nehmen, doch Kiana wollte nicht angefasst werden. Besonders nicht von ihm. Sie zog ihre Arme weg und entfernte sich von dem Mann. Sie seufzte und erwiderte: "Gut... Lass nach der Kommandantin der Friedenshüter schicken… Sie soll nach der Verräterin suchen! Sie soll vom Legaten aus Dol-Amroth nach Lossarnach entsandt worden sein…".
Sie goss sich erneut einen Schluck in ihren Becher, den die junge Maia auch sofort austrank.
"Und du… Du wirst die Stadt die nächsten Tage nicht mehr verlassen und an meiner Seite bleiben!".
Loki verbeugte sich -wenn auch leicht erzwungen- vor ihr und wollte sich auf dem Weg machen, um den Auftrag auszuführen. Kiana brachte ihn zum stoppen: "Sie erinnert mich an mich, als ich in ihrem Alter war… Noch so naiv und Willensstark!".
"Du bist auch stark, Kiana, sonst könntest du wohl kaum als gute Königin über das Reich herrschen!", erwiderte er schmeichelnd, aber mit einen bedrückten Unterton in seiner Stimme.
"Ich kann verstehen, dass du dich auf sie eingelassen hast…", sagte Kiana selbstsicher und ließ sich ihre Eifersucht nicht anmerken, "...Sie ist sehr hübsch, teilt das gleiche Blut wie ich… Sie wirkt ungezähmt….".
Loki wollte gerade etwas sagen und sich verteidigen, doch Kiana winkte ab und befahl weiter in einer arroganten Tonlage: "Nein, nein, nein... Sag nichts… Führe einfach den Auftrag aus!".
Kiana setzte sich erschöpft auf ihren Thron und lehnte sich zurück, während sie Loki mit ihren Violetten Augen verfolgte, der den Saal verließ. Der letzte Mordversuch war schon Jahre her und wurde von Imrahil in Auftrag gegeben.
Sie dachte wieder an die Grünen Augen Octavias, die sie voller leere und hass anblickten. Fast gelang es der Verräterin die einzig wahre und rechtmäßige Königin zu ermorden. Kiana fragte sich, was sie damit bezwecken wollte. Sie selbst war die Heilsbringerin dieser Welt. Wenn Kiana starb, verfiel das Reich wieder in Chaos und die Tyrannei der alten Ordnung würde wieder in das Land ziehen. Und dazu war sie ihre Halbschwester… Daran musste es liegen. Sie wollte bestimmt die Krone für sich. Genau wie der Verräter Thirak! Das muss der Grund dafür sein!, redete sie sich immer wieder ein.
Nicht nur, dass die junge Frau Kianas Liebhaber stahl, sie versuchte ihr scheinbar auch noch die Krone streitig zu machen. Ihr Kopf brummte, weshalb sie sich die Stirn rieb. Sie sah ihre Halbschwester noch immer vor sich stehen. So hübsch wie sie war. Es war eher ein Alptraum zu wissen, dass nun noch jemand mit ihrem Blut im Land war. Noch eine mit dem Blut eines Maiar. Zuerst war es Thirak. Nun Octavia. Und beide sind Verräter. Sie musste gefunden werden…
Kiana kamen die Worte des von Ancalagon verbrannten Istari Saruman in dem Sinn, der sie auch nur verraten wollte, nachdem Galador, ihr ehemaliger Berater, ihm von Thiraks wahrer Geschichte erzählte. Saruman erklärte ihr, dass sie wahrscheinlich niemals Kinder bekommen konnte, weil sie eine Maia war. Anfangs kränkte sie der Gedanke. Nun dachte sie anders.
Ist besser so, ich kann nicht mehr von meinem Blut gebrauchen die kurz oder lang meine Krone begehren!, spann sie herum.
Am Abend trat Grauer Staub in den Thronsaal. Er wirkte wütend und bedrückt.
"Meine Königin, wir haben jeden Winkel der Stadt durchsucht, sind in jedes Haus gegangen… Ich habe versagt..", sagte er bestürzt.
Kiana seufzte tief und lächelte ihn sanft an. "Es ist nicht deine Schuld... Keiner konnte Ahnen, dass sich eine Mörderin im Turnier untermischt… Sie nutzte die Freuden des Volkes aus, um die Königin zu töten…", sprach sie auf Ostron. Zu Loki, der inzwischen wieder an ihrer Seite war und auf die Befehle seiner Königin hörte, warf sie einen vorwurfsvollen Blick.
"Ich werde dafür sorgen, dass jeden Tag und jede Nacht Wachen bei euch sind und euch niemals verlassen!", schwor Grauer Staub.
Dankend nickte sie ihm zu. Er war der einzige, auf den sie sich immer verlassen konnte. Er und die schwarzen Ostlinge waren die einzigen, die dankbar für die Freiheit, die die Königin ihnen gab, waren. Sonst konnte sie auf niemanden zählen. Ihre scheinbare Familie nicht. Auf die Menschen aus Mittelerde nicht und am wenigsten auf Loki.
Immer und immer wieder sah sie die Ereignisse vor sich und hörte die Worte Octavias, die sie als Mörderin betitelte.
Wie kann sie es wagen…
Dabei war Kiana es, die für Frieden und das Wohlergehen der Bevölkerung sorgte. Ohne sie als Königin, würden noch immer Fürsten die Armen ausbeuten und dadurch noch Reicher werden und die Armen verhungern. Sie war es, die Stabilität und Ordnung in das Land brachte. Nach all den Jahren der Tyrannei. Sie hatte das Gefühl, jemand schnürte ihr die Kehle ab. Seit dem Vorfall hatte sie das Gefühl keine Luft zu bekommen.
Das einzige was ihr übrig blieb war, darauf zu hoffen, dass die Nachricht schnell an die Friedenshüter überreicht wurde und diese bald eintrafen. Die Kommandantin war eine Frau und würde sich wohl kaum auf die Flüchtige einlassen. Zumindest war dies ein Vorteil Frauen in der Armee zu haben.
Sie nahm die Krone von ihrem Kopf und musterte das Stück Metall. Obwohl die Krone die Stufen des Thrones hinunter fiel, hatte sie keinen Kratzer, keinen Makel. Kiana legte die Krone auf ihren Schoß um ihren Kopf etwas zu entlasten. Er dröhnte nur vor Schmerz und ließ sie erschöpft stöhnen.
Ich sollte mich ausruhen, sagte sie sich selbst. Ich muss ausgeruht sein, wenn ich das Land beschützen will!. Die junge Maia erhob sich und stieg die Stufen, die vom Thron aus herab führten, hinunter. Langsam machte sie sich auf den Weg in ihre Gemächer, ohne sich auch nur an ihren Reichsmarschall zu wenden, der sonst die Nacht bei ihr verbrachte. Diesmal konnte sie darauf getrost verzichten.
Sofort standen ihr schwarze Ostlinge an der Seite, zehn Mann an der Zahl, die sie begleiteten.
Während sie zu den Gemächern eskortiert wurde, dachte sie über ihre Kräfte nach. Denn sie konnte sie inzwischen einigermaßen beherrschen, doch als sie Octavia von sich stoßen wollte, versagte die Kraft in ihr. Erklären konnte sie es sich nicht. Sie beäugte argwöhnisch ihre Handflächen.
Wahrscheinlich war ich einfach überrumpelt….
An ihrem Gemach angekommen, betraten die Wachen zuerst den Raum und durchsuchten ihn. Danach traten sie an die Seite, damit die Königin eintreten konnte. Schnell verschloss sie auch die Tür hinter sich, warf ihre krone auf das Bett und ließ sich ebenfalls auf dieses fallen.
Sie wollte den Tag nur noch vergessen. Aber das war unmöglich. Der Schlaf würde wenigstens helfen, alles zu erleichtern. Deshalb dauerte es auch nicht lange, bis die junge Königin schließlich einschlief...
Kiana im Palast der weißen Festung…
Saizo:
Minas Tirith, Weiße Festung
Sanya und Mithrendan von Süden aus Lebennin ans Tor von Minas Tirith
Die Mauern der königlichen Hauptstadt erhoben sich vor ihnen und Sanya und Mithrendan zügelten ihre Pferde. Sie waren ohne Rast geritten, seitdem der Bote der Königin sie erreicht und ihnen den Befehl des königlichen Reichmarschalls überbracht hatte, so schnell wie möglich in der Weißen Festung zu erscheinen. Es war nur eine Nacht seit dem Hinterhalt an der Brücke vergangen. Eine Königin ließ man nicht warten, und eine so mächtige wie diese schon gar nicht.
Die Stadt war nach dem versuchten Anschlag auf die Königin abgeriegelt worden. Überall waren schwer gerüstete Soldaten unterwegs und hatten Straßensperren errichtet. Alle Tore wurden besonders scharf bewacht, und hätte Sanya nicht ihre Insignien bei sich gehabt, hätte man sie wahrscheinlich gar nicht erst nach Minas Tirith hineingelassen. Dass ein Attentäter seinen Weg bis in den Thronsaal gefunden hatte, kam Sanya ungeheuerlich vor. Es stimmte zwar, dass es viele Menschen gab, die mit der Herrschaft Kianas unzufrieden waren, und die Rebellen in Arnor sowie der Aufstand des Silbernen Schwans bewiesen, dass einige sogar zu den Waffen greifen würden, aber dass es jemand geschafft hatte, die Königin beinahe zu ermorden verlieh der Krise eine ganz neue Dimension, wie Sanya fand.
Unterwegs zum königlichen Palast ließen Sanya und Mithrendan sich über die Details der Geschehnisse während des Turniers von einigen Soldaten, die sie nach oben eskortieren in Kenntnis setzen.
"Eine Frau hat das Kampfturnier gewonnen?" sagte Mithrendan und staunte nicht schlecht. "Das hätte ich zu gerne gesehen. Muss einigen Leuten ziemlich ihre Wetten versaut haben."
Sanya verdrehte die Augen. Wie konnte er in einer solchen Situation noch Witze darüber machen? "Ist das etwa Bewunderung die ich da für die Frau höre, die beinahe unsere Königin getötet hätte?"
Mithrendan hob abwehrend die Hände* "Aber, aber! Du verletzt mich, Sanya. Ich würde niemals..."
"Kommandantin," erinnerte sie ihn. "Wir sind hier nicht unter uns..."
Ihr bester Freund schüttelte amüsiert den Kopf. "Du bist immer so strikt."
"Das muss ich sein, weil du viel zu unbekümmert bist! Du weißt genau, wie wichtig dieses Amt für mich ist, und-"
Jemand räusperte sich und die beiden fuhren herum. Es war der Anführer ihrer Eskorte. "Wir sind da," sagte er und deutete auf das große Tor, vor dem sie stehen geblieben waren.
Vor lauter Gezanke hatten Sanya und Mithrendan gar nicht gemerkt, dass sie den Vorhof des Königsssaals bereits erreicht hatte. Sanya blickte etwas betreten drein, während Mithrendan leise lachte. Eines Tages wird er Vernunft annehmen, dachte sie sich kopfschüttelnd, dann stieß Sanya die schweren Torflügel auf und betrat den Thronsaal.
Drinnen war es dunkler als Sanya erwartet hatte. Als sie zuletzt hier gewesen war, war sie noch ein Mädchen von zehn Jahren gewesen, und der Thron hatte einem anderen Herrscher gehört. Von der Decke hingen große Kronleuchter herab, die ein Licht von trübem, orangenen Feuer spendeten. Der Thron selbst war in helleres, gelberes Licht getaucht. Schwarzrote Banner hingen von der Rückseite des Saals beinahe bis zum Boden herab. Zu beiden Seiten des zentralen Ganges, zwischen den Säulen, reiten sich die verschiedensten Würdenträger auf, spaliert von einer schwer gerüsteten Reihe von Ostlingssoldaten, die selbst hier im innersten Zentrum der Macht mit Speer und Schild bewaffnet waren.
Sanya war etwas unwohl zumute, doch sie wusste, dass sie jetzt nicht die geringste Schwäche zeigen durfte. Sie war die Kommandantin der Friedenshüter und man durfte ihre Unsicherheit auf keinen Fall anmerken. Sie verbannte jegliche Zweifel an den dunkelsten Winkel ihres Herzens und marschierte mit festen Schritten los, bis sie nur noch zehn Meter von der untersten der Stufen entfernt war, die zum königlichen Thron hinauf führten. Auf dem Weg dorthin hatte sie einen Blick auf ihre Herrscherin werfen können, die von ihren engsten Berater flankiert wurde: Dem Reichsmarschall und dem Lordkommandanten der Ostlingkrieger. Das silbrig schimmernde Haar stand im Kontrast zu dem schwarzen Kleid, das Königin Kiana trug, und Sanya war zum wiederholten Mal erstaunt, wie jung ihre Herrin war. Kein Zeichen des Alters war auf ihrem makellosen Gesicht zu sehen und die violetten Augen schimmerten geheimnisvoll. Doch die Miene bestand aus einer nur gerade so verhüllten Maske der Wut.
Sanya blieb stehen und ließ sich auf ihr linkes Knie nieder, das Haupt gebeugt. Sie trug ihre Paraderüstung; eine Spezialanfertigung für ihren schlanken Körperbau. Umhang und Wappenrock waren weiß, im Gegensatz zu dem üblichen Schwarz der Drachenkönigin, doch der rote Drache auf ihrer Brust ließ keinen Zweifel daran, wem Sanya diente. Neben ihr tat es Mithrendan ihr gleich, auch er zeigte der Königin den Respekt, den sie verdiente.
Der Reichsmarschall, ein windig aussehender Kerl mit langem schwarzen Haar verkündete die Titel seiner Königin, so wie es Sitte war. Dann nahm die Herrscherin selbst das Wort.
"Erhebt Euch, Lady Terelos." Ihre Stimme war ruhig, gar freundlich. Sie passte überhaupt nicht zu der nur schwer beherrschten Miene, die Sanya zuvor bei ihr gesehen hatte. Als sie aufstand, sah sie, dass Königin Kiana nun gelassener drein blickte. Ob das etwas mit mir zu tun hat? fragte sie sich.
"Wie ich höre seid Ihr im Westen einer wichtigen Spur auf den Fersen," begann die Königin. "Und ich danke Euch für Eure treuen Dienste. Aber ich habe Euch rufen lassen, weil ich jemanden brauche, auf den ich mich absolut verlassen kann. Sicherlich wisst Ihr, was hier geschehen ist?"
"Ja, Euer Gnaden," sagte Sanya und begegnete dem Blick der Königin. "Eure Feinde haben versucht, Euch zu ermorden und sind gescheitert."
"Es war eine dreiste Verräterin," korrigierte Kiana sie. "Ein Mädchen namens Octavia. Die Siegerin meines Turniers war es, die die Audienz mit mir nutzte, um einen hinterlistigen Anschlag auszuführen. Ich will, dass Ihr sie findet und zu mir bringt - am besten unversehrt."
"Natürlich, Euer Gnaden," antwortete Sanya; etwas anderes blieb ihr kaum übrig. Einen direkten Befehl ihrer Herrin infrage zu stellen war ein Fehler, den sie nicht begehen würde. "Wie sieht das Mädchen denn aus?"
"Etwas mager, aber kräftig genug um ein Schwert zu schwingen," beschrieb Kiana die Gesuchte. "Ein hübsches Gesicht mit grünen Augen und dunklem Haar. Aber wenn Ihr eine genauere Beschreibung wünscht, solltet Ihr vielleicht den Reichsmarschall fragen... er hat diese Verräterin eine ganze Weile aus nächster Nähe erlebt."
"Wie darf ich das verstehen, Euer Gnaden?" fragte Sanya verwundert. Deutete Kiana damit etwa an, dass der Reichsmarschall - Loki war sein Name, soweit Sanya wusste - ebenfalls ein Verräter war? Aber weshalb war er dann hier und nicht eingekerkert worden?
"Kümmert Euch nicht weiter darum. Jede Sekunde die wir hier miteinander sprechen vergrößert den Vorsprung der Verräterin. Ich will, dass sie gefunden wird!" Die unterdrückte Wut der Königin rückte mit diesen Worten weiter in den Vordergrund. "Jeder, der ihr hilft, ist ein Hochverräter, und hiermit erteile ich Euch als Kommandantin der Friedenshüter die Vollmacht, jegliche Komplizen dieser Verräterin auf der Stelle zu exekutieren!"
Sanya konnte nicht verhindern, dass ich ihre Augen etwas weiteten, als sie das hörte. Rasch verbarg sie ihre Überraschung. Mithrendan, der bislang geschwiegen hatte, ergriff das Wort. "Eine Frage, wenn Ihr gestattet, Euer Hoheit."
"Sprich schnell, Kundschafter."
"Wie Ihr wisst jagen San... jagen die Kommandantin und ich einen gefährlichen Aufwiegler, der sich selbst der "Silberne Schwan" nennt. Wenn Ihr uns von der Jagd abzieht, dann..."
"Diese Verräterin ist wichtiger!" schnitt ihm Kiana das Wort ab. "Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, der mit Verstand an die Sache geht und der nicht so primitiv denkt und sich sofort in dieses Mädchen verliebt! Da wäre die einzige Frau von Rang und Namen im Heer wohl die passendste Wahl, nicht wahr?" Sie warf einen strafenden Blick auf ihren Reichsmarschall, der angestrengt zu Boden starrte.
Das also ist der Grund warum sie mich ausgewählt hat, dachte Sanya. Dieses Mädchen, diese Octavia muss ja außergewöhnliche Verführungskünste aufweisen. Aber da ist sie bei mir an der falschen Adresse. "Euer Gnaden, wir machen uns sofort auf den Weg."
"Seht ihr? Sie stellt keine Fragen, sie packt die Sache an!" lobte Kiana und blickte in die Runde ihrer Berater. "Geht, Lady Terelos. Die Verräterin ist aus dem Palast verschwunden, aber wir haben mittlerweile herausgefunden, dass sie mit einem Seil die Stadtmauer herab geklettert ist. Ihre Spur führt nach Norden. Der Stallmeister soll euch seine schnellsten Pferde zur Verfügung stellen, damit ihr sie einholen könnt. Und vergesst nicht, ich will diese Verräterin lebend!"
Sie verließen den Palast in aller Eile. Die Königin gab Sanya eine frische Eskorte von ausdauernden Reiter mit und an den königlichen Stallungen ließen sie sich frische Pferde geben. Sanya hoffte, diese Jagd so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, denn ihr war klar, dass in der Zwischenzeit die Spur des Silbernen Schwans erkalten würde. Dennoch war sie auch dankbar für diesen Spezialauftrag ihrer Königin. Ein wenig fühlte sie sich noch immer geschmeichelt, dass Kiana gerade sie ausgewählt hatte, auch wenn sie den wahren Grund dafür ja mittlerweile kannte.
"Also gut," sagte Sanya und stieg in den Sattel. "Finden wir diese Octavia!"
Sanya und Mithrendan mit Eskorte nach Anórien
Darkayah:
Anorien (Gondor)
Octavia aus Minas-Tirith in den Westen Gondors…
Octavia ritt so schnell sie nur konnte von Minas-Tirith in Richtung Arnor. Sie war mehr als froh, dass Loki ihr doch half, obwohl er wieder an der Seite der Königin war. Vielleicht war er dann nicht ganz so unehrlich zu ihr gewesen. Immerhin sagte er Kiana auch nichts von ihrer wahren Herkunft oder verriet sie, während sie vor der Königin stand. Sie dachte an die anderen Rebellen, die ihn ohne Octavia wahrscheinlich getötet hätten.
Der Ärger über sich selbst war groß, denn ihr gelang es nicht die Frau zu töten, die so viele andere Leben auf dem Gewissen hatte. Vor allem hätte sie ihr niemals die Wahrheit über ihre Verbindung verraten. Es war klar, dass das Wissen darüber noch große Konsequenzen mit sich zog. Besonders bei einer Verrückten wie Kiana.
Octavia musste wieder an die Worte der Königin denken, die mit jedem Mittel versuchte sie auf ihre Seite zu ziehen.
Sie muss sehr verzweifelt sein, dachte sich die junge Rebellin.
Natürlich hatte Octavia nicht die besten Menschenkenntnisse, doch sie wusste, dass jemand wie Kiana eine gefährliche Person war. Vor allem wenn sie auf dem Thron saß und die Verantwortung über so viele Leben hatte. So labil wie sie ihr vorkam, konnte die Stimmung Kianas jederzeit Kippen und erneut unschuldige Menschenleben gefährden.
Sie konnte und wollte aber nicht weiter darüber nachdenken. Der Frust über ihr versagen war schon so groß genug. Die Schmerzen ihres Körpers und die Erschöpfung hatten ihren Leib inzwischen fest im Griff.
Octavia wusste nicht wie lange sie schon auf dem Rücken des Pferdes war oder wo sie sich befand. Generell bekam sie von ihrem Fluchtweg eher wenig mit. Sie hatte die letzten Tage kaum geschlafen. Dann noch das Turnier und ihre Flucht. Allmählich waren ihre Kräfte aufgebraucht. Mit allen Mitteln versuchte sie sich noch auf ihrem Pferd zu halten, doch es war vergeblich. Die Müdigkeit übermannte sie, sodass sie sogar vom Rücken des Reittiers fiel.
Sie landete auf ihrer Flanke und im Gras. Verzweifelt versuchte sie sich aufzurichten, doch ihr Körper weigerte sich. Die junge Frau wusste genau, dass Kiana nach ihr suchen ließ und es so nur eine Frage der Zeit war, bis man sie fand. Aber sie konnte nicht mehr.
Nur einen kurzen Moment ausruhen… Danach geht es weiter, sagte sie sich selbst. Es war nicht die gemütlichste Stelle auf der sie lag. Doch es war gut genug um wenigstens kurz die Augen zu verschließen. Sie schob ihre Arme unter dem Kopf und lag sich in die richtige Position. Es dauerte auch nicht lange, da schlief sie ein und landete im Land der Träume.
Stöhnend wachte Octavia auf, als sie etwas feuchtes an ihrer rechten Wange verspürte. Es war das Pferd, das ihr nicht von der Seite wich. Mehrmals schlug sie mit der einen Hand danach um es zu vertreiben, denn aufstehen wollte sie noch immer nicht. Dann hörte sie Schritte im Gras und dazu noch Stimmen. Waren es etwa die Soldaten Kianas, die sie nun gefunden hatten? Sie schrak auf und sprang auf ihre Beine. Aus dem Reflex heraus griff sie nach ihrem Schwert, welches sie aber nicht fand.
Verdammt… Es ist noch vor Minas-Tirith vergraben… , dachte sie sich. Was sollte sie nun machen? Sich einfach ergeben und von der Königin töten lassen? Sie hielt ihren Arm schützend vor ihre Augen, um trotz der Sonneneinstrahlung erkennen zu können, wer auf sie zu kam.
Es war ein bärtiger, nicht unbedingt kräftiger, Mann und ein kleines Mädchen, welches er an seiner Hand hielt. Bedrohlich wirkten beide zum Glück nicht, denn er trug einfache Kleidung und keine Waffen bei sich.
"Ist bei Euch alles in Ordnung? Ich hab ein gesatteltes Pferd ohne Reiter und Euch im Gras liegen sehen!", fing er an.
"Ja, es ist alles gut…", entgegnete Octavia mit kratziger Stimme. Ihre Kehle war ausgetrocknet und sie hatte nichts dabei, womit sie sie befeuchten konnte.
"Ihr seht müde aus… Habt wohl eine lange Reise hinter euch…", stellte der Mann fest. Er entfernte den Stöpfel seiner Trinkflasche und reichte sie Octavia. Zögernd nahm sie diese schließlich an. Zunächst nahm sie einen kleinen Schluck, der wohltuend für ihren Hals war. Dann nahm sie noch einen und noch einen, bis sie die Trinkflasche auf einmal austrank. Das Wasser lief ihr schon am gesamten Mund runter.
"Du hast aber durst!", sagte das Mädchen. "Ja…",entgegnete Octavia nur kurz und atmete dabei schnell. Sie gab die Flasche dem Mann zurück und bedankte sich bei ihm.
"Wenn ihr wollt bringe ich Euch in unser Dorf… Dort haben wir mehr Wasser und etwas zu Essen können wir sicher auch entbehren!", schlug er ihr vor.
Die junge Rebellin sah zu ihrem Pferd. Sie hatte kein Essen an den Satteltaschen, kein Wasser, nichts. Gut, Loki musste sich wahrscheinlich auch beeilen das Pferd bereit zu machen, aber wenigstens eine Kleinigkeit hätte er ihr doch auf dem Weg geben können. Sehr gerne wollte sie der Einladung des Mannes folgen, aber es war noch immer gefährlich und sie hatte die Grenze zu Arnor noch nicht überquert.
"Ich muss echt weiter…", entgegnete sie frustriert und ablehnend. Sie wusste ja auch nicht, in welche Gefahr sie andere brachte, wenn Kianas Truppen von der Hilfe erfuhren.
"Ach kommt schon, Ihr seid bestimmt nicht auf der Flucht!", scherzte er, "Meine Tochter freut sich über jeden Besuch, der in unserem Dorf eintrifft!".
Octavia seufzte und ihr Magen knurrte. Sie musste etwas zwischen die Zähne bekommen. Ansonsten würde sie wieder nicht weit kommen. Auch wenn es ihr nicht leicht fiel, stimmte sie dem Mann zu.
"Das freut mich!", entgegnete dieser daraufhin, "Wartet, ich nehme Euer Pferd".
Octavia folgte dann dem Mann, der die Zügel des Pferdes nahm und voran ging. Das kleine Mädchen reihte sich neben Octavia ein und hielt mit ihr Schritt. "Ich bin Eiriên und wie heißt du?".
"Ich bin Octavia…", antwortete sie der kleinen freundlich.
Während dem ganzen Weg blieb das kleine Mädchen bei Octavia und nahm ihre Hand. Sie wirkte auf die Rebellin so unbeschwert. Sie kannte das echte Leben ja noch nicht und war viel zu jung. Wie gerne hätte sie auch lieber so ein Leben gehabt. Ohne Geheimnisse über ihren Vater, ohne ein Leben in ständiger Unsicherheit und Angst.
Schließlich erreichten sie ein kleines Dorf. Es bestand nur aus wenigen kleinen Häusern aus Holz und Strohgedeckten Dächern, die sich auf einen Hügel ansiedelten. Überwiegend Menschen in bäuerlicher Kleidung tummelten sich in diesem Dorf. Einige von ihnen arbeiteten Zäunen, während andere das Vieh versorgten. Octavia sah sich genau um, als sie durch die Dorfmitte ging, um Soldaten der Krone zu entdecken. Aber scheinbar waren nicht einmal Wachen an diesem Ort.
Der Mann führte Octavia zu einem Haus, das sich mittig befand. Er bot ihr an, sich auf einem der Stühle zu setzen, die auf der Veranda des Hauses aufgestellt wurden.
"Ich denke bei diesem wunderschönen Wetter bietet es sich an draußen zu bleiben!", sagte der Mann während er noch Hinter sein Haus gehen wollte, "Ich bringe Euer Pferd noch auf die Weide! Eiriên, sei doch so nett und bringe unserem Gast etwas zu Essen".
Das kleine Mädchen stürmte in das Haus. Octavia blickte sich erneut um. Das Wetter war wahrlich mild und keine einzige Wolke bedeckte den Himmel. Vorsichtig setzte sie sich auf einen der Stühle. Ob sie auch jemals so ein ruhiges Leben haben würde? Fragte sie sich. In Arnor war sie noch weit davon entfernt. Das Land war noch immer in der Hand Kianas und selbst wenn die Rebellen Erfolgt hätten, wusste sie nicht, wie es danach weiterging. Es war ja nicht so, dass sich alle Rebellen ausgezeichnet untereinander verstanden. Eher im Gegenteil. Auch war die Bedrohung nicht aus der Welt geschafft. Kiana lebte, leider, noch immer und konnte ihr Unwesen treiben. Vielleicht war es auch einfach ihr Schicksal, niemals zur Ruhe zu kommen und auf ewig kämpfen zu müssen. Auf Dauer hielt sie es ja sowieso nicht aus, an einem Ort zu ruhen und nicht mehr kämpfen zu können. Ohne ein Schwert in der Hand.
Eiriên kam wieder aus dem Haus und übergab ihr eine Schale und Brot. In der Schale lag viel Gemüse. Dann verschwand das Mädchen wieder in dem Haus. Octavia biss die ersten Stücke von dem Brot zaghaft ab und schlang den Rest gierig herunter. Durch das mangelnde Kauen spürte sie, wie das Brot ihren Hals nur langsam herunter rutschte.
Der Mann, der sie einlud, kam hinter dem Haus hervor und ließ sich seufzend auf den anderen Stuhl fallen.
"Ich bin übrigens Maenas…".
"Octavia!", erwiderte die junge Rebellin mit vollem Mund."Eiriên, setz doch bitte den Eintopf auf und bring uns etwas zu trinken!", rief der Mann namens Maenas.
Noch mehr Essen? Octavia hatte nicht eine so große Gastfreundschaft erwartet. Noch immer fragte sie sich wo sie war. Geritten war sie gefühlt eine Ewigkeit. Das einzige was sie erkannte war das weiße Gebirge.
"Was ist das hier für ein Ort?", fragte Octavia zurückhaltend.
"Das ist Anorien.. Aber unser Dorf befindet sich an der Grenze zu Rohan…", sagte der Mann, "...Gleich dort drüben im Westen ist die Ostfold!".
Octavia war leicht sprachlos. Sehr weit war sie also doch nicht gekommen. Dann hatte sie Glück gehabt, dass Maenas und seine Tochter sie gefunden hatten. Es hätte auch ganz anders ausgehen können und Soldaten der Krone ganz dicht an ihr dran können. Es war ja nur noch eine Frage der Zeit, bis die Nachricht das ganze Reich erreichte.
Eiriên kam heraus und gab Octavia eine weitere Schale, in der sich der warme gut riechende Eintopf befand. Schnell löffelte sie die Schale aus Holz leer unter beobachtung Maenas, der sie erstaunt anstarrte.
"Ihr scheint hungrig zu sein…", stellte der Mann lächelnd fest. "Wohin führt denn Euer Weg?". Octavia wusste nicht ob sie ihm antworten sollte. Sie kannte ihn nicht und vielleicht war er der Königin treuer, als sie annahm.
"Nach Arnor…", antwortete sie nur knapp.
"Was wollt Ihr denn dort? Die Rebellen sind gefährlich und man hört Gerüchte, dass es nicht mehr lange dauert bis sie den Legaten stürzen…".
"Ich komme von dort…", antwortete sie nur.
"Herrje..", machte er nur. "Wenn ihr schon aus der Hauptstadt kommt, warum bleibt ihr nicht dort?".
"Meine Familie ist im Norden… Und die Hauptstadt gefällt mir nicht…", behauptete die junge Frau.
Maenas lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rückte sich zurecht. "Ich kann das verstehen… Direkt unter den Augen der Königin zu sein würde mir auch nicht gefallen..".
Octavia horchte auf, nachdem er das sagte. Was meinte er damit? Sie legte ihren Kopf schief und sah ihn fragend von der Seite an. Er sah in die Dorfmitte, mit verschränkten Armen hinter seinem Kopf. Scheinbar bemerkte er ihren fragenden Blick.
"Die Königin hat für die Bevölkerung viel getan, keine Frage… Aber das meiste Gold geht in die Armee.. Und die Armee ist widerwärtig… Die Hauptmänner und Kommandanten denken sie haben mehr Rechte als alle anderen…", sagte er. Octavia verstand noch immer nicht auf was er anspielen wollte. Wollte e sie nur aus der Reserve locken, damit sie sprach?
"Nicht nur bei Euch in Arnor gibt es widerstand… Auch hier in Gondor… Und ich bin froh, dass diese Menschen, uns vor der Willkür der Königin beschützen…", erzählte er weiter.
"Warum sagt ihr sowas?", wollte Octavia wissen. Maenas nahm einen großen Schluck aus seinem Becher. "Ich weiß, dass ihr nicht einfach auf der Durchreise seid… Niemand würde sonst Erschöpft im Gras liegen und sich ängstlich nach Wachen im Dorf umsehen, wenn er nicht Dreck am stecken hätte!".
Octavia fühlte sich erwischt. Hatte sie sich etwa so leicht verraten? Sie sagte nichts.
"Keine Sorge, Ihr seid hier sicher… Ihr werdet hier kaum einen Bewohner finden, der die Königin unterstützt… Lediglich unsere Steuern, die wir ihr pflichtig sind, zahlen wir…".
Die junge Frau war sprachlos. Sie dachte, die einzigen die sich gegen die Herrschaft Kianas wehrte, waren die Nordmänner. Von denen, die so nah an der Hauptstadt war, erwartete sie schon fast, dass sie der Krone folgten.
"Ich war in der Hauptstadt, um am Turnier teilzunehmen…", fing sie schließlich an zu erzählen. Wirkte dabei aber nachdenklich. Immerhin dachte sie wieder an die Ereignisse.
"Ich hörte von diesem Turnier… Und das war ein Verbrechen?"; fragte der Mann ungläubig.
"Nunja, ich hab es gewonnen und versucht die Königin zu töten!", entgegnete Kiana trocken.
Der Mann warf seinen Kopf in den Nacken und fing an zu lachen. Er warf die Schalen und Becher um, die zwischen ihnen auf einen kleinen Tisch standen.
Octavia war überhaupt nicht zum Lachen zu mute und wusste nicht was daran überhaupt lustig sein sollte. Sie beäugte den Mann nur irritiert und wartete, bis er sich wieder beruhigte.
Maenas hörte auf zu lachen und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Octavias Miene blieb ernst.
"Ach, das war kein Scherz?", stellte er schließlich fest und setzte ein ernstes Gesicht auf. Octavia nickte ihm zu.
"Wie hast du es überhaupt lebendig aus der Stadt geschafft?".
Die junge Frau zog ihre Schultern hoch. Natürlich wollte sie nichts von Loki, der ihr half, erzählen. "Du bist echt verrückt!", sagte der Mann, "Ich glaube das wagt sich sonst keiner… Umso trauriger ist es, dass es scheinbar noch lebtt…".
Octavia biss sich auf die Unterlippe herum und zog ihre Augenbrauen hoch, während sie nickte. Maenas erhob sich und streckte seine Arme aus um die alten Glieder zu entspannen.
"Keine Sorge… Du bist hier sicher… Wenn du willst kannst du hier auch gerne Rast machen und schlafen bevor du aufbrichst…", bot er an.
Obwohl sie eigentlich nicht wollte und so schnell wie möglich aufbrechen wollte, entschied sie sich dort zu bleiben. Die Sonne ging ohnehin schon unter. Auch war es wahrscheinlich sicherer in diesem unauffälligen Dorf zu bleiben nicht bei Nacht zu reiten. Hier vermuteten die Truppen Kianas sie wahrscheinlich am wenigsten.
Als sie im Haus von Maenas und Eiriên war, bekam sie von dem Mädchen eine Decke. Der Mann bot ihr an in dem Bett zu schlafen, was sie dankend annahm. Er schlief währenddessen auf dem Boden. Sie nahm sich vor direkt in der Morgenröte aufzubrechen. Dann konnte sie den Meisten Soldaten aus dem Weg gehen und schnell in Arnor sein.
Bevor sie einschlief, spürte sie nur, wie jemand unter ihre Decke krabbelte. Es war Eiriên.
"Ich hab Angst… Darf ich hier bei dir bleiben?", flüsterte das kleine Mädchen.
Octavia lächelte sie an und erwiderte: "Natürlich darfst du das.". Dabei legte sie ihren Arm schützend um das Mädchen, welches ihr das Gefühl von einem zu Hause gab. Wenn auch nur für einen kurzen Moment. Denn sie erinnerte sich an die Zeiten mit Kael zurück, der sie auch immer in der Nacht beschützte, als sie noch Kinder waren.
Schließlich schlief sie tief und fest ein…
Octavia in einem Dorf in Anorien...
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