Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Lothlorien

Caras Galadhon

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Eandril:
Die Sonne versank im Westen, und der silberne Mond erhob sich über den Wipfeln Lóriens, als Oronêl langsam die Haupttreppe von Caras Galadhon hinunter ging. Nachdem sie sich gemeinsam gestärkt hatten, hatte er sich von den anderen verabschiedet, denn er wollte Caras Galadhon zuerst allein wiederentdecken. Während er unter den hohen, uralten und ihm größtenteils gut bekannten Bäumen umherstreifte, spürte er unter seiner Freude, wieder zuhause zu sein, auch ein diffuses Gefühl der Sorge oder Angst. Er mochte nicht daran denken, dass die dunklen Machenschaften Sarumans diese Idylle stören oder sogar vernichten mochten, doch ganz verdrängen ließen sich diese Gedanken nicht.

Die Straßen der Stadt waren nahezu ausgestorben, doch hin und wieder begegnete er anderen Elben, von denen er nun sogar einige wiedererkannte. In ihren Gesichtern sah er Sorge und Furcht vor dem, was kommen mochte, als sie ihn sahen und erkannten, wurde sie von Überraschung und auch Freude überlagert. Einige Male blieb er stehen, um jemanden zu begrüßen, den er früher gut gekannt hatte, und erfuhr so einiges über das, was seit seinem Weggang in Lórien geschehen war: Die Herrschaft von Celeborn und Galadriel, die Ankunft der Ringgefährten, und die Schlacht um Lórien, in der der Hexenkönig von Angmar gefallen war. Auch er berichtete von seinen Erlebnissen in der Welt außerhalb Lóriens, doch vor allem sein Bericht über Amroths Tod schien niemanden mehr zu überraschen. Doch obwohl er fragte, woher die Elben Lóriens von Amroths Tod erfahren hatten, wo doch niemand sonst dabei gewesen war, gab ihm niemand eine Antwort.

Schließlich kam er in einen verlassenen Garten nahe dem Rand der Stadt. Dort setzte er sich mit dem Rücken an einen alten Mallorn, der schon hier gewachsen war, als Amdír König von Lórinand war. Es war einer der ersten im Land gewesen, dessen Samen von den Númenorern Gil-Galad zum Geschenk gemacht wurde, und von diesem nach Lórinand gelangt war, da er in seinem Reich keine Wurzeln schlug. Oronêl war dabei gewesen, als Amdír ihn zur Feier der Geburt seines Sohnes Amroth gepflanzt und gesegnet hatte, und hatte selbst einen Baum auf der Westseite der Stadt gepflanzt, um Mithrellas' Geburt zu feiern.
Während er mit dem Rücken am Baum lehnte und in den Himmel sah, an dem inzwischen die ersten Sterne erschienen waren, wurde ihm klar, dass der Wald immer noch derselbe wie vor über tausend Jahren war. Er selbst hatte sich verändert, wie auch das Volk von Lórien, und obwohl es noch immer seine Heimat war, obwohl er immer noch bekannte Gesichter hier sehen konnte, fühlte er sich nun ein wenig fremd. Doch bevor er erneut in Erinnerungen an seine Zeit versinken konnte, sah er aus den Augenwinkeln, wie sich jemand näherte, und obwohl er wusste, dass es innerhalb dieses Landes nichts Böses geben konnte, stand er rasch auf.

Vor ihm stand, in braun gekleidet und vergnügt lächelnd, Radagast, der braune Ista. Oronêl verneigte sich. "Mein Herr Radagast, ich freue mich, euch noch einmal zu treffen." "Nein nein", sagte Radagast fröhlich, "Du hast gar keinen Grund, dich vor mir zu verneigen. Ebenso könnte ich mich vor dir verneigen, Fae-Brûn, Alte Seele."
"Wieso nennt ihr mich so? Mein Name ist Oronêl Galion von Lórinand, oder besser Lothlórien, wie es nun heißt.", meinte Oronêl verwundert. Radagast zwinkerte ihm zu. "Nun, ich spüre, wie alt du bist. Du weilst bereits länger in Mittelerde als ich, und das will schon etwas heißen. Außerdem habe ich bemerkt, dass der Wald sich über deine Rückkehr freut. Du gehörst mehr hierher als ich es tue, und darum könnte ich mich auch vor dir verneigen. Und außerdem möchte ich dich bitten, mit mir ebenso vertraut zu sprechen, wie ich es tue. Es ist nichts Majestätisches oder besonders ehrfurchtgebietendes an mir, weswegen du mir übergroßen Respekt schuldig bist. Doch nun, lass es uns wieder ein wenig bequem machen." Mit diesen Worten setzte er sich an den Baum, und Oronêl tat es ihm gleich.

Als sie eine Zeitlang schweigend unter dem Baum gesessen hatten, griff Radagast in eine Tasche in seinem weiten braunen Gewand und holte in ein in grün gefärbtes Leder gebundenes Buch hervor. "Ich muss mich bei dir entschuldigen, Oronêl, für meine Verstellung. Ich wusste sehr wohl über dich und deine Geschichte in Lórinand Bescheid. Wirst du mir auch den Rest berichten?", sagte er. Oronêl sah ihn verwundert an und fragte: "Woher wusstet ihr-du", verbesserte er sich nach einem strengen Blick Radagasts, "davon? Wer kann dir davon erzählt haben?" Radagast lachte. "Frau Galadriel war es. Aber woher sie es wusste, kann ich dir nicht sagen. Sie weiß über viele Dinge Bescheid, von denen andere nichts wissen. Doch ich bitte dich, erzähle mir den Rest deiner Geschichte."
Und obwohl Oronêl noch immer verwundert war, erzählte er Radagast von seinen Erlebnissen, von der Reise mit Amroth und Nimrodel in den Süden, seinem Versteck in den Pinnath Gelin, der Belagerung von Dol Amroth und seiner Entdeckung, das die Fürsten dieser Stadt seine Nachfahren waren, und der Reise nach Norden. Nur vom Ring des Nazgûl erzählte er nichts, obwohl er das Gefühl hatte, das der Zauberer auch darüber Bescheid wusste, doch wenn dem so war, ließ Radagast sich nichts anmerken.

Als Oronêl geendet hatte sah er mit Erstaunen, das der Mond inzwischen wieder untergegangen war, doch die Sterne den Garten noch immer hell erleuchteten. Auf Radagasts Knie hatte sich inzwischen ein Eichhörnchen niedergelassen, und auf seiner Schulter saß ein Käuzchen, das Oronêl mit seinen großen Augen anstarrte. "Ich danke dir, dass du mir deine Geschichte erzählt hast, Oronêl, und zum Dank dafür gebe ich dir dieses Buch, das ich von Galadriel erhalten habe. Öffne es, und ließ!"
Obwohl er immer noch nicht ganz schlau aus Radagasts Verhalten wurde, nahm Oronêl das Buch, schlug es auf und begann zu lesen.

Anmerkung von Camhael, Schreiber Nolondíls, des Fürsten von Andúnie:
Diese Schrift kam im Jahr 891 des Zweiten Zeitalters der Sonne nach Númenor, in den Händen der Elbe Nellas von Doriath aus Tol Eressea. Sie kam gemeinsam mit ihrem Mann Ardir von den Falas und vielen anderen Elben Tol Eresseas am ersten Tag des Frühlings von Tol Eressea. Die Elben brachten Aldarion, dem damaligen Thronfolger und späterem König, viele Geschenke von hohem Wert und viele Bücher von großer Gelehrsamkeit, von denen hier nichts weiter gesagt werden soll, doch unter ihnen war auch dieses.
Im Jahr 1483 wünschte Nolondíl, der Fürst von Andúnie eine Abschrift dieses Buches, da er eine große Bibliothek, in der alles Wissen über die Geschichte der Eldar und Edain gesammelt werden sollte. Das ursprüngliche Buch ist in den Cirth von Doriath und auch in jenem alten Dialekt verfasst. Die Schriftart wurde von mir bei der Abschrift beibehalten, allerdings habe ich die Sprache zum besseren Verständnis in das heute gebräuchliche Sindarin übertragen.
Camhael, Schreiber von Andúnie, im Jahr 1484 des Zweiten Zeitalters der Sonne.

Anmerkung von Mithrellas, Enkelin der Nellas von Doriath:
Diese Abschrift kam auf verschlungenen Wegen von Númenor nach Lórien. Isildur, Sohn Elendils von Andúnie rettete es vor dem Untergang Númenors nach Mittelerde, und fügte es seiner Bibliothek in Minas Ithil hinzu. Bei der Eroberung der Stadt durch die Armeen Saurons war es eines der Bücher, die Isildurs Schreiber retten konnte. Auf diese Weise kam das Buch nach Arnor, wo es lange in der Bibliothek von Fornost aufbewahrt wurde, doch als der Fall Arthedain bevorstand, ließ König Arvedui einen großen Teil der Bücher, darunter auch dieses, in Imladris in Sicherheit bringen, um das darin enthaltene Wissen zu schützen. Celebrían, die Tochter von Galadriel und Celeborn und Elronds Gattin brachte es schließlich nach Lórien, und machte es mir zum Geschenk, da sie in Nellas meine Großmutter erkannt hatte.
Mithrellas Galion von Lórien, im Jahr 2506 des Dritten Zeitalters der Sonne.

Oronêl hörte auf zu lesen und hob den Kopf. Erst langsam begann er das eben gelesene zu verstehen. "Mithrellas... in Jahr 2506 des Dritten Zeitalters..." Er bemerkte, dass Radagast sich erhoben hatte. "Geh zum Cerin Amroth, dem Hügel auf dem Amroth einst wohnte.", sagte er, und die Worte trafen Oronêl wie Hammerschläge, "Dort wirst du finden, was du suchst. Ich werde dich bei deinen Gefährten entschuldigen. Aber geh schnell und komm bald zurück!" Damit war der Zauberer plötzlich verschwunden und Oronêl war wieder allein.
Langsam erhob er sich, steckte das Buch in den leeren Beutel, den er am Gürtel trug, und ging langsam auf das Tor zu, das sich in einiger Entfernung hinter den Bäumen befand. Er hatte noch nicht die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als er zu laufen begann.

Oronêl zum Cerin Amroth...

Thorondor the Eagle:
Während dem Mahl saßen alle beisammen, doch aßen und tranken sie ohne viele Worte dabei zu wechseln. Die erhoffte Erleichterung, die ihn normalerweise erfüllte, wenn er die Grenzen dieses Landes übertrat, setzte überraschenderweise nicht ein. Galadriel war nicht von ihren Gemächern herabgestiegen um die Ankömmlinge zu begrüßen. Vermutlich hatte sie dringenderes zu Erledigen in diesen bedrohlichen Tagen.

Der Elb errinnerte sich gut an die ereignislosen Tage der Vergangenheit, als die Zeit hier still stand und alles bewahrte, was gut und schön war. Doch dieser Schleier war verflogen, die Macht des Elbenreiches versiegte. Würde ein Angriff Sarumans erfolgen, mit welchen Truppen würden sie sich verteidigen?

So schweigend sie sich gegenüber gesessen haben, so still entfernten sich alle vom Tisch und hinterließen ein trostlos kühles Bild von Verlassenheit. Amrûn sah nur, wie Celebithiel eiligst den Weg in die Gemächer ihrer Großmutter suchte. Er und Irwyne jedoch machten sich auf die Suche um ein eigenes Quartier.

„Das hier ist ein merkwürdiger Ort?“, begann sie leise zu sprechen, so als ob sie ein Fremder belauschte.
„Ja, das ist er. Viele würden ihn wohl als magisch bezeichnen.“
„Wohl eher verwunschen“, höhnte das blonde Mädchen ein wenig „so Grabesstill wie es auf dem Tisch und auf den Straßen ist.“

Amrûn seufzte laut: „Du hättest Lorien kennen müssen, wie es früher war. Ehe der Hexenkönig und seine verfluchte Armee kamen und Saruman sich das Nebelgebirge zu Eigen machte. Lorien war voll von Wundern, wie Menschen es bezeichnen würden.“

Ein langes Schweigen setzt wiederum ein.

„Amrûn! Erzähl mir davon“, forderte sie ihn flehend an „Bitte.“
Geruhsam setzten sie sich auf ein Flet, das weit oben in einer der höchsten Mallorn war. Durch ein Loch im Blätterdach sah man über die Wipfel der Bäume weit hin bis zum Anduin.

Und es war den ganzen Abend so, als würde Amrûn von einem wunderschönen Traum erzählen. Von Licht und Schönheit in den glorreichen Tagen Lothloriens, als es das Herz allen Elbentums in Mittelerde war. Seit den Tagen Beleriands gab es keinen Ort mehr, wo Dunkel-, Grau- und Lichtelben so nah beieinander in Harmonie lebten, um das zu bewahren, was ihnen teuer ist.

Er wusste nicht genau, wann Irwyne die Augen zu fielen, doch nach stunden langem Redefluss sah Amrûn in das friedliche Gesicht des schlafenden Mädchens. Er legte sich ihre Hand um die Schulter und hob sie mit seinen beiden Armen hoch. Behutsam brachte er sie nach unten und legte sie zwischen zwei bemooste, alte Baumwurzeln. Ihr Kopf kippte zur Seite, dabei fiel ihr eine Strähne ihres goldenen Haares ins Gesicht.

„Hab schöne Träume, kleine Irwyne“, flüsterte er in ihr Ohr ohne sie dabei zu wecken. Der Elb jedoch stieg die Treppen wieder hinauf und lies sich vor dem Palast Galadriels an einem silbernen Stamm niedersinken. Er versuchte die Ruhe zu genießen, doch liesen ihn seine Gedanken über Celebithiel und Galadriel nicht los.

Vexor:
Keine Lichter tanzen durch Caras Galadhon…alles wirkt so…morbide. Als würde sich der Baum und dadurch der Wald zum Sterben bereit machen.
Celebithiel stieg behutsam die unzähligen Treppen hinauf, die vom Speisesaal hinauf in die königlichen Gemächer führt, vorbei an vielen Gemälden und kleineren Räumen, die die rothaarige Elbe noch nie wirklich erforscht hat. Doch plötzlich bleiben ihre Augen an einem Portrait hängen, welches in feinen Pastelltönen gezeichnet worden war und eine Frau mit weißgoldenem Haar zeigte. Am unteren Rand war in feinen Lettern “Sílanim“.
Das Herz der Elbe setzte einen kurzen Moment aus, als sie den Namen las und etwas brach in ihr auf, was sie schon lange als begraben geglaubt hatte.

„Macht Platz für die tapferen Krieger, die an der Seite Elronds und Glorfindels gegen den Hexenkönig von Angmar kämpften“, posaunten die Waldelben, die in graue Farbtöne gehüllt waren, und bildeten eine Gasse, um die Reiter auf ihren edlen Rössern durchzulassen.
„Komm Sílanim lass uns weiter nach vorne, um einen Blick auf unsere tapferen Krieger zu werfen. Schau nur, wie stark sie aussehen in ihren glänzenden Rüstungen. Oh! Das da vorne muss der tapfere Glorfindel sein. Sein Haar ist fast so weißgoldenen wie deins Sílanim“, flötete die andere Elbe und packte das schüchterne Mädchen an der Hand und zerrte es in die zweite Reihe, wo sie durch kleine Ritzen einen Blick auf die Streitkräfte Lóriens und Elronds werfen konnten. Ihre ozeanblauen Augen weiteten sich, als sie all die tapferen Männer sehen konnte, die in den Kampf gegen den furchtbaren Schatten gezogen waren, der Arnor fast vollkommen zerstört hatte.
„Oh schau…da ist Amroth“, flüsterte die Elbe schüchtern und zupfte ihrer Schwester ungeduldig am smaragdgrünen Rock.
„Ich grüße euch ihr tapferen Soldaten und unsere lieben Verwandten aus Imladris! Es freut mich sehr, dass uns nach diesen schweren Kämpfen hier in Lorínand besuchen kommt…“, begrüßte Amroth, der in einen purpurnen Pelz gehüllt war die Ankömmlinge, während er Elrond und Glorfindel freudig und herzlich umarmte.
„Komm lass uns schon einmal zum Festplatz gehen“, drängelte Sílanim, „ dann haben wir später einen besseren Blick auf die Hochelben!“
So machten sich die beiden Elben auf den Weg und hüpften freudig über den Weg, der sie zum Festplatz führen sollte, der reichlich geschmückt war. Mehrere Reihen von schweren Holztischen hatte Amroth hier aufstellen lassen auf denen sich Flaschen teuren Weins aus dem Düsterwald, sowie feiner Köstlichkeiten aus dem Umland finden ließen.
„Schau mal Glôriel, die Platten mit dem feinsten Schinken an“, säuselte Sílanim, der schon fast das Wasser im Mund zusammenlief.
„Ruhig Sílanim sonst entdeckt uns noch jemand“, keifte ihre Schwester und drückte ihren Kopf ein wenig tiefer, sodass sie niemand im Gebüsch erkennen konnte.
„Da sind sie…die tapfersten Krieger unter den Elben. Da vorne ist Herr Elrond, der Halbelb, aus Imladris und neben ihn ist Celebrían. Sie ist soo schön…“, träumte Sílanim, was ihr aber nur einen bösen Blick ihrer Schwester einbrachte.
„Na was ist denn so interessant, dass sich zwei vornehme und hübsche junge Damen, wie ihr im Gebüsch verstecken müsst?“, fragte sie eine tiefe, aber von Freundlichkeit und Wärme erfüllte Stimme.
Glôriel drehte sich um und jegliche Farbe war aus ihrem kantigen Gesicht gewichen, während Sílanim einen spitzen Schrei ausstieß.


„Galadriel? Seid ihr da, ich bin es Celebithiel“, klopfte die schlanke Elbe behutsam an die mit Ornamenten versehen Tür. Es kam keine Antwort, aber dennoch betätigte sie die Klinke und betrat den weitläufigen Raum, dessen Herz ein herzförmiges Himmelbett bildete. Die seidenen Vorhänge waren zugezogen, sodass Celebithiel nichts Genaues erkennen konnte. Jenes wäre ihr sowieso nicht so leicht gefallen, denn erstickende Düsternis erfüllte das Gemach der Herrin des Lichts. Alle Vorhänge aus schweren Stoff waren zugezogen, sodass nicht einmal das kalte Mondlicht einen Weg hierher finden konnte.
„Großmutter?“, ertönte ihre Stimme und Celebithiel hatte das Gefühl als hätte sie die Worte in voller Lautstärke geschrien so unpassend wirkten sie in dem Zimmer, welches einer Grabkammer glich. Behutsam schlich Celebithiel auf Zehenspitzen zu dem Bett und strich den Vorhang beiseite.
Doch was sie vor sich erblickte war nicht die Herrin des Lichts, sondern eine in Finsternis gekleidete Frau, die lethargisch, mit wehmütigen Blick, auf dem Bett lag. Ihr Körper zeigte keine Regung, aber ihre durchdringenden, blauen Augen fokussierten die Elbe, welche am Fußende stand.
Es folgte kein Wort, sondern nur eine stumm, klagende Geste sich zu ihr zu legen. Ohne zu zögern schlüpfte die rothaarige Elben aus ihren weißen Schuhen und schmiegte sich an eine der mächtigsten Lebewesen, die in Mittelerde existierten.

Auch wenn Celebithiel mit Galadriel nie darüber geredet hatte, war sie sich sicher, dass die Herrscherin über den goldenen Wald sich in dieser Nacht in den Schlaf schluchzte, ohne eine einzige Träne zu vergießen.

Thorondor the Eagle:
Der Morgen begann schon zu Dämmern, als Amrûn von einer lieblich hellen Stimme geweckt wurde.Ein junges Elbenmädchen schaute ihm in die Augen und lächelte dabei: „Guten morgen! Ihr seid Amrûn, nicht wahr?“
Der Elb nickte ihr nur zu.
„Mir wurde die Aufgabe zugetragen euch diesen zu übergeben“, sagte sie bestimmt und übergab ihm ein Kuvert.
Amrûn nahm ihn dankend an und musterte ihn genau. Das Pergament war aus elbischer Hand, ganz glatt und annähernd weiß. Die Vorderseite war mit silbernen Ornamenten verziert und auf der Rückseite war ein Wachssiegel in Form eines Sterns: „Er ist von Herrin Galadriel?“
„Ja. Sie hat mich vor einigen Tagen beauftragt ihn euch zu übergeben.“
„Warum gibt sie ihn mir nicht selbst?“, fragte er verwundert.
„Sie wird ihre Gründe dafür haben.“
„Wisst ihr was darin steht?“
„Nein, doch sagte sie, dass ihr euch zurückziehen sollt ehe ihr ihn öffnet.“

Etwas verwirrt steckte ihn Amrûn in seinen Mantel. Jetzt da er wusste, was Galadriel dazu gesagt hatte, wurde er etwas ängstlich. Was mochte wohl in dem Brief stehen?

Er kämpfte zunächst mit der Angst, wollte den Brief wieder vergessen oder verdrängen, doch die Neugier schlummerte in ihm und konnte sich nicht zurück halten. In eiligem Schritt lief Amrûn zu dem Flet zurück, aufdem er gestern mit Irwyne geplaudert hatte. Er stellte sich an das Ende und sah von dort aus über den gesamten östlichen Wald. Die Sonne schaute gerade über den Horizont und tauchte die Wolken in ein kräftiges Orange und Rot. Selten hatte er in der letzten Jahreszeit ein solches Spektakel erlebt. Behutsam fing er den Umschlag aus seiner Tasche und betrachtete ihn nochmals inständig. Der Elb rang lange mit sich selbst, mit seiner Furcht was darin stand. Das Siegel knackte laut, als es zersplitterte und vom Pergament rutschte. Darin befand sich ein zusammengefaltetes, einfaches Blatt. Er erkannte die feinen elbischen Buchstaben, die vermutlich Galadriel geschrieben hatte.


Mein lieber Amrûn, treuer Freund,

die Zeiten die wir erleben sind wohl die dunkelsten seit dem Untergang des fernen Beleriands. Ich erinnere mich an Sonnenuntergänge im fernen Westen an den Ufern des Meeres, an den süßen Duft des Frühlings in Doriath, an meine alten Freunde die ich stets im Herzen trage. Es ist schon viel zu lange her. Hätten wir gewusst, was wir jetzt erleben, hätten wir die Tage vermutlich besser genutzt.

Es tut mir Leid, dir in dieser dunklen Stunde eine noch dunklere Nachricht zu überbringen. Aratinnuíre, welche am Beginn die Sterne in Cuiviennen erblickte, verließ im Geiste diese Gefilde. Es war ihr ein Schwieriges deinen Abschied zu verabeiten und mit der Angst zu Leben dich vielleicht niemals wieder zu sehen.

Ihr Herz, so sagte mir Cirdan, hing sehr an Mittelerde, doch noch mehr hing es an dir. Ein batroullierendes Boot fand sie auf einer der steilen Küsten Harlonds unter einem weißen Baum. Sie brachten sie ohne zu zögern zu Cirdan der wohl als einziger in der Lage gewesen wäre sie zu heilen.

Doch all ihre Wärme war von Aratinnuíre gewichen. Sie hatte kaum noch genug Kraft um ihre Augen zu öffnen. Sie lag wochenlang in Cirdan’s Gemächern an ein Bett gefesselt. Der weiseste Heiler unter uns sah keine Hoffnung mehr und so verließ sie am 14. Februar des Jahres 3022 DZ diese Gefilde und ging mit dem Segen aller Elben in den Westen.

Diese Nachricht traf mich schwer. Es ist lange her, dass ich Aratinnuíre das letzte Mal sah, doch trage ich sie wie all meine Freunde immer in meinem Herzen, das sich nun schmerzhaft von einer weiteren Seele getrennt hat. Du sollst wissen, dass ich mit dir leide, aber ich mir nicht anmaßen möchte, wie schmerzhaft es für dich sein muss. Ich wünschte, ich hätte noch die Kraft dir all dies selber zu sagen, doch schon diese Feder zu halten und die Worte schwarz auf weiß niederzuschreiben erschöpft mich und lässt mich in Tränen ausbrechen.

Ich sehne mich nach den Sonnenuntergängen im fernen Westen…
In tiefer Trauer
Galadriel

Vexor:
Celebithiel hatte nicht geschlafen, sondern verharrte still und regungslos auf dem weichen Bett, während neben ihr die Herrin über das Waldlandreich einen unruhigen Schlaf ausfocht. Die Elbe war nicht in der Lage einzuschlafen, da ihre Gedanke immer wieder um das Gemälde kreisten, welches sie zuvor erblickt hatte.
Eine Elbe mit weißgoldenen Haar…ein Wort verschlossen und verbannt…belegt mit anderen Bildern…, geisterte es durch den Kopf der rotblonden Elbe.

„Kind glaubst du wirklich, dass er der richtige ist? Er ist einer der Noldor und kein Waldelb, so wie wir?“, zeterte Sílanims Mutter, während sie mit einem Kam aus milchigen Elfenbein durch die Haare der jugendlichen Elbe fuhr. „Ach meine Liebe, ich beneide dich um dein Haar. So weiß wie Schnee, erleuchtet es sogar die dunkelste Nacht!“
Sílanim schwieg derweil, so wie man es gelehrt hatte. Respekt und Tugend waren hohe Maßstäbe gewesen an denen Sílanim und ihre Schwester Glôriel bewertet wurden.
„Ich verstehe Fräulein Mutter“, fügte sie bescheiden hinzu und niedergeschlagen senkte sie ihre ozeanblauen Augen zu Boden. Die ältere Frau hingegen räusperte sich nur zufrieden, strich das Kleid der Elbe glatt und schickte sie nach draußen. Sie sollte dem Herren Amroth einen Strauß Blumen schenken.
„Ach dieses Kind….aber wenn man unseren König so ansieht“, sprach sie kopfschüttelnd zu sich selbst, „verliebt sich einfach in so ein Ding, dass hüpfend durch den Wald springt. Warum er keine anständige Waldelbe zur Frau nehmen wird?“
Ratlos verstaute sie den Kam in einer Schatulle, betrachtete sich im Spiegel und machte sich daran das Abendessen zuzubereiten, bevor ihre Töchter wieder nachhause kommen werden.
Sílanim ging artig mit gefalteten Händen über den kleinen Pflasterweg, der zu dem Flett führte, indem sie mit ihrer Familie lebt. Immer wieder drehte sie sich um, solange bis sie sich sicher war, dass ihre Mutter ihr nichtmehr hinterher blickte. Plötzlich verließ sie den vorgegebenen Pfad und schlug sich durch das wuchernde Walddickicht. Ihr Herz fing an zu rasen, als sie vorbei an unzähligen Bäumen, die zehn Mal so groß wie sie zu sein schienen, rannte; vorbei an Beerensträuchern, an denen sie sich die weißen Strümpfe aufriss; durch kleine Pfützen, die ihr aquamarinblaues Kleid besprenkelten. Die sorgfältig gekämmten Haare standen mittlerweile in alle Richtungen ab, dennoch kümmerte es die junge Waldelbe nicht. Seit ihr Vater gestorben war, übte ihre Mutter einen unheimlichen Druck auf ihre Töchter aus. Wollte sie am liebsten gar nicht mehr allein das Haus verlassen lassen. Glôria fügte sich diesem Schicksal. Sie würde deswegen auch einen reichen Kaufmann aus dem Düsterwald ehelichen, obwohl sie jenen noch nicht einmal gesehen hatte in ihren Leben.
Ihr Herz trug die junge Elbe durch die goldenen Wälder Lorínands, während sie die Freiheit in vollen, tiefen Zügen genoss. Erst als sie zum Stehen kam und erblickte, dass sie bei den Zelten der hohen Gäste aus Imladris angekommen war, machte ihr Herz einen Hüpfer.
Irgendwo hier musste er sein…der stattliche Elb, dem sie vor wenigen Tagen begegnet war…der sie und Glôria erwischt hatte, wie sie dem Festmahl lauschten…
Behutsam kein Geräusch zu machen umschlich sie das Zeltlager, welches zehn kleinere Zelte für die ordinären Soldaten, sowie Offiziere und zwei prunkvolle für Herr Elrond und Herr Glorfindel beherbergte.
Immer wieder lugte sie durch einen kleinen Spalt in die Zelte aus beigen Stoff hinein, aber nirgends konnte sie den Elben, der seit ihrer Begegnung ihre Gedanken und Träume bestimmte, entdecken. Erst beim letzten Zelt machte sie die kakaobraunen, gepflegten Haare des Elben aus, der sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.
Das Blut schoss ihr in die Wangen, als sie erkannte, dass der Elb gerade dabei war sich zu entkleiden und zu waschen, aber ihre Augen hingen wie Metall an dem magnetischen Körper. Sie bemerkte die feinen Konturen seines muskulösen Oberkörpers, die sich still hoben und senkten, während er ein und ausatmete. Sílanim zählte unzählige kleine und größere Narben auf Brust und Bauch. Doch als der Elb mit einem feuchten Tuch über seine Leistengegend strich, entfuhr der Elbe ein heiseres Stöhnen. Ruckartig drehte sich der Elb um und funkelte Sílanim feindsinnig an, die erschrocken zurückwich und wieder ins Dickicht stolperte.
Auf einmal kam sie sich schmutzig und beschämt vor, während sie ihre zerrissenen Strümpfe und ihr dreckiges Kleid begutachtete. Die Tränen flossen ihr über die femininen Wangen und so rannte sie zurück. Rannte den Weg entlang, aber kein Zauber lag mehr auf den Wald, die freudige Erregung war einem Gefühl aus bitteren Scham und Furcht gewichen.
Schluchzend hastete sie den gepflasterten Weg entlang und stürmte die Treppe hinauf, die zu dem Flett ihrer Familie führte, bevor sie sich unter ihren Bettlaken versteckte.

Die Sonnenstrahlen kitzelten Celebithiels Wangen und ihre Augen wanderten zu den Vorhängen durch die einem winzigen Spalt nach draußen zu sehen war. Sie musste wohl doch ein wenig eingedöst sein, denn Galadriel saß in einen Sessel neben dem Bett und beobachtete sie mit einem freundlichen Lächeln auf den schmalen, herben Lippen. Kein Anzeichen von der Schwäche zeichnete mehr ihr Gesicht, außer der leicht geröteten Nase und den verquollenen Augen.
„Gute Morgen mein Liebes“, flüsterte sie behutsam und Celebithiel war klar, dass sie sich soeben geeinigt hatten nie über die Ereignisse der letzten Nacht zu reden. Es kümmerte sie auch nicht, denn gerade brannte ihr eine ganz andere Frage auf der Zunge und unvermittelt entgegnete sie.
„Galadriel könnt Ihr mir von einer Elbe namens Sílanim erzählen?“
Sofort kam sie sich dumm vor, als die Frage gestellt hatte, aber Galadriel runzelte die Stirn, schürzte die Lippen, bevor sie zu Sprechen begann.
„Ich kann und ich werde…auch wenn es mich wundert, dass du mich gerade nach diesen Namen fragst…“

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