Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Imladris
Elronds Haus
Eandril:
Oronêl stützte die Hände auf das Balkongeländer, und blickte hinaus über das dunkle Tal. Er ließ sich Zeit mit der Antwort auf Elronds Frage, auch wenn er neben sich Kerrys Ungeduld spürte. Schließlich wandte er sich wieder Elrond, dessen Gesicht nichts verriet, zu.
"Welche Wahl habe ich nun schon noch?", fragte er. "Denn ihr habt recht, ich habe sie bereits getroffen - zwei Mal, um genau zu sein, und am gleichen Ort." Er legte eine Hand auf Kerrys Schulter, ein wenig Halt suchend. "Ich habe mich in Dol Amroth dazu entschieden, wieder in den Kampf gegen den Schatten einzutreten, und mein selbstgewähltes Exil zu verlassen. Und ich habe mich dort dazu entschieden, diesem Kampf nicht erneut den Rücken zu kehren, sondern ihn bis zum Ende zu führen. Wenn nun also all diese Leute meine Führung suchen, so närrisch das auch sein mag... wie könnte ich mich weigern?"
"Das eine schließt das andere nicht aus", begann Elrond, und im gleichen Augenblick sagte Kerry, ein wenig empört: "Ich glaube nicht, dass es närrisch ist, dir als Anführer zu folgen." Sie warf Elrond einen etwas unsicheren Blick zu, doch dieser lächelte leicht und bedeutete ihr mit einer Geste, fortzufahren. "Ihr seid damals nach Fornost aufgebrochen, um Mathan zu finden, nicht wahr? Das habt ihr getan, und nebenbei habt ihr geholfen die Stadt zu verteidigen und auch noch mir das Leben gerettet."
"Nicht ohne dafür einen hohen Preis zu zahlen", erwiderte Oronêl leise.
Elrond blickte ihm direkt ins Gesicht, und sagte: "Nichts in dieser Welt wird gewonnen, ohne einen Preis dafür zu zahlen. Manchmal erscheint der Preis hoch, zu hoch vielleicht. Und doch... vielleicht wäre Mathan auf den Mauern von Fornost gefallen, wenn ihr nicht in den Kampf eingegriffen hättet. Dann wäre es beinahe unmöglich gewesen, die Schmieden Eregions zu finden, und den Ring, den du einem der Neun abgenommen hast, zu vernichten, und er hätte früher oder später den Weg zurück zu seinem Meister gefunden."
Für einen Augenblick wirkte Elrond sehr nachdenklich, wie in Erinnerungen versunken. "Zweifel schützen uns davor, uns Hals über Kopf ins mögliche Verderben zu stürzen. Doch Zweifel können uns auch lähmen."
Bevor Oronêl antworten konnte, trat eine hochgewachsene Gestalt in dunklem Mantel und Kapuze auf den Balkon, und warf die Kapuze ab. Darunter kamen helles Haar und ein Gesicht, dass Oronêl sofort erkannte, zum Vorschein.
"Gelmir?", fragte er verwundert, und der Elb aus Lindon lächelte. Er verneigte sich leicht vor Elrond und sagte dann: "Ich bringe Botschaft aus Lindon, von Frau Galadriel."
"Dann sei erneut willkommen in Bruchtal, Gelmir von Lindon", erwiderte Elrond. "Welche Nachricht bringst du?"
Gelmir zog ein Bündel versiegelter Schriftrollen aus seinem Mantel hervor. Drei davon reichte er an Elrond weiter, mit den Worten: "Für euch, Frau Arwen, und Celebithiel. Und eine für dich, Oronêl." Oronêl nahm die letzte Rolle ein wenig zögerlich entgegen, brach das Siegel und begann zu lesen.
Oronêl Galion,
der Schatten erhebt sich ein letztes Mal im Osten. Lange haben die Völker Mittelerdes alleine gekämpft, doch jetzt wird Mordor triumphieren, wenn wir nicht gemeinsam stehen.
Dies ist deine Aufgabe. Du hast Freunde in ganz Mittelerde. Führe sie zusammen. Vereinige sie. Denn sonst wird Mittelerde und ganz Arda unter den Schatten fallen.
Oronêls Herz sank, als er diese Worte las, doch der Brief war noch nicht zu Ende.
Es betrübt mich, diese Aufgabe anderen aufzubürden, doch wisse dies. Aus Dunkelheit und Schatten kann Licht hervorgehen, selbst jenes, das lange verloren war. Niemand trägt das Schicksal Mittelerdes alleine auf seinen Schultern, und Hoffnung gibt es immer.
Möge das Licht der Sterne deinen Pfad bescheinen.
Oronêl blickte auf. Elrond und Gelmir waren ein Stück zurück ins Haus gegangen und sprachen leise miteinander, doch Kerry stand noch immer neben ihm auf dem Balkon. Sie sagte nichts, doch ihre Neugierde war geradezu spürbar.
Oronêl lehnte sich neben ihr auf das Geländer, und gemeinsam blickten sie in die Dunkelheit hinaus. Schließlich fragte er: "Meintest du, was du gesagt hast? Dass du es nicht für närrisch hältst, mir zu folgen?" Nach einem Augenblick fügte er hinzu: "Würdest du mir folgen, Kerry?"
"Manchmal... bist du sehr schwer von Begriff", erwiderte sie, und verdrehte ein wenig theatralisch die Augen. "Was habe ich den Großteil der letzten paar Monate gemacht, hm?"
Oronêl atmete tief durch, bevor er nickte und sich zu Elrond und Gelmir umwandte, die ihr Gespräch sofort unterbrachen.
"Wir werden Proviant und Ausrüstung brauchen." Er blickte kurz an sich hinunter. "Nach Eregion zu gehen heißt in den Krieg zu ziehen. Ein wenig mehr Schutz wäre also von Vorteil."
Er blickte Elrond, der kaum merkbar lächelte, direkt ins Gesicht, und fuhr fort: "Außerdem können wir auf dieser Reise jedes Schwert brauchen. Nur Glorfindel, Celebithiel und ich allein..." "Und ich", fügte Kerry leise hinzu. "... werden kaum genug sein, um den Manarîn zur Hilfe zu kommen."
"Viel von der Kraft Bruchtals ist bereits im Süden versammelt", erwiderte Elrond. "Doch es gibt noch einige, die mit dir ziehen können."
"Ich werde auch mitkommen", sagte Gelmir mit einem Lächeln, die Hand auf den Schwertgriff gelegt, und schüttelte das blonde Haar aus dem Gesicht. "Ich bin dir einmal direkt in die Schlacht von Fornost gefolgt, was ist da ein zweites Mal?"
Oronêl setzte einen Fuß nach vorne, blieb aber doch stehen und sagte nur: "Ich... danke, Gelmir."
Gelmirs Bereitschaft, ihm nach Eregion zu folgen, hatte für einen Augenblick seine Zweifel weggespült. Für einen Augenblick hatte Oronêl das Gefühl, der Aufgabe wirklich gewachsen zu sein, und dass ihre Reise nach Eregion tatsächlich ein gutes Ende nehmen könnte.
Thorondor the Eagle:
Irritiert blieb Elea auf dem Fenstersims sitzen. Ihre Lippen hatten noch die Form eines Kussmundes, ihre Gedanken spielten verrückt. Sie fühlte sich in ihre Jugendjahre zurückversetzt, als einem das Herz noch bis zum Hals schlug und dass nur wegen eines einzigen Kusses.
Mit einem Satz sprang sie hoch und ließ dabei das Buch achtlos zu Boden fallen. Sie lief zur Tür hinaus und die Treppe hinab. Im Freien angelangt holte sie Finjas ein. Sie huschte an ihm vorbei und stellte sich ihm dann in den Weg.
„Kannst du mir“, begann sie, unterbrach aber „Was?“, sie stotterte erneut dahin „Wie soll ich das?“.
Ohne einen ganzen Satz herauszubringen, schaute sie in seine eingeschüchterten Augen, seine Wangen waren errötet. Sie erkannte wie peinlich ihm diese Situation war und ihr wurde klar, dass sie jetzt wohl kein einziges Wort aus ihm herausbringen würde.
Mit einem Winken ihrer rechten Hand tat sie ein weiteres Gespräch ab: „Ist nicht wichtig.“
Sie war gerade dabei sich zurück in die Bibliothek zu machen, als sie seine Hand auf ihrer Hüfte spürte, wie sie sie sanft aber bestimmt zu ihm führte. Finjas schloss Elea in seine Arme und hielt sie einfach fest.
Die Dunadan spürte ihr Herz heftig gegen die Brust schlagen, so wie sie es schon seit langer Zeit nicht mehr fühlte. Ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Körper breit, aber sie fühlte sich so geborgen, dass es ihr keine Angst machte. Sein Bart streifte über ihre Schläfe, er kratze ein wenig. So verweilten sie für einen langen Moment, bis sie sich wieder lösten. Elea grinste ihn mit leichter Benommenheit an.
Sie gingen gemeinsam den Weg zurück zum Haupthaus mit der Halle des Feuers. Mittlerweile war die frühe Nacht hereingebrochen und die Sterne leuchteten am Firmament. In der Ferne erblickten sie einige Elben unmittelbar neben dem Eingangstor. Kerry war auch unter ihnen, sie stand etwas abseits neben dem Balkongeländer. Finjas und Elea beobachteten sie eine Weile. Der sorgenvolle Blick Elronds verriet der Dunadan, dass sie über ernste Angelegenheiten sprachen, so wie sie es in den letzten Jahren immer taten.
Als Kerry die beiden in der Dunkelheit erspähte, dauerte es keine Sekunde bis sie heftig mit der Hand deutete zu ihnen zu kommen. Sie kamen dem unverzüglich nach.
„Elea, du kommst genau im richtigen Moment“, sagte sie leise um Rücksicht auf die großen Elben zu nehmen.
„Elea?“, fragte ein dunkelhaariger Elb und drehte sich dabei zu ihnen um.
„Oronêl wurde gerade zu unserem Anführer erklärt“, sagte das Mädchen stolz.
„Erklärt?“ er schaute erstaunt zu Kerry und hob dabei eine Augenbraue.
„Er hat sich dazu entschlossen diese Aufgabe zu übernehmen“, verbesserte sie sich und sagte etwas leise hinterher, dass wie „hat sich überreden lassen“ geklungen hatte. Danach verhielt sie sich sehr zurückhaltend.
„Elea, Finjas“, ergriff nun Elrond das Wort „dies ist Oronêl Galion aus dem Hause Lenwes. Wie Kerry bereits richtig erwähnt hat, wird er die Gemeinschaft anführen die nach Eregion gehen wird. Oronêl dies sind Erelieva und Finjas von den Dúnedain.“
„Die Mutter von Helluin“, fügte Oronêl hinzu. Elea glaubt einen Anflug von Abneigung in seinem Tonfall wahrzunehmen.
„Es wäre uns ein großes Anliegen euch als Teil eurer Gemeinschaft zu begleiten“, begrüßte ihn Finjas.
„Wie ich höre, ist der Zweck eurer Reise die Suche nach Helluin.“
„Er weiß es von mir“, warf Kerry schuldbewusst dazwischen.
„Das ist richtig“, antwortete Elea leicht verunsichert.
„Ihr wisst, dass wir auf dem Weg nach Eregion sind und die Schergen Morias vielleicht dort schon auf uns warten oder uns bereits am Weg dorthin angreifen werden?“
Beide nickten.
„Dann hoffe ich, dass ihr mit Schwert und Bogen umgehen könnt.“
Finjas nickte voll Selbstvertrauen, Elea zögerlich.
„Es wird weder meine noch die Aufgabe der anderen sein euch auf dieser Reise zu beschützen“, legte er nochmal nach und schaute dabei gezielt auf Elea.
„Ich kann mich verteidigen“, entgegnete die Dúnadan.
„Oronêl?“, begann nun Kerry dazwischen zu sprechen „Warum bist du denn so forsch zu den beiden?“
„Es ist wichtig, dass sie wissen worauf sie sich einlassen und dass in einer Gemeinschaft auch Disziplin herrscht.“
„Aber man ist auch für einander da“, entgegnete die junge Rohirrim.
„Elea und Finjas werden eine Bereicherung für eure Gemeinschaft sein und auch in Eregion, dessen bin ich mir sicher“, mischte sich schließlich Elrond ein um die Situation zu entschärfen „dringlicher zu klären ist nun, wann eure Reise denn losgehen soll.“
Kerry stellte sich nun neben die Dúnadan und zupfte an ihrem Ärmel. Elea konzentrierte sich auf die Kleine und hörte ihrem Flüstern zu: „Ich glaube das kam alles zu schnell und überraschend für ihn. So kenne ich Oronêl gar nicht.“
„Dass ich Helluin’s Mutter bin und wir auf der Suche nach ihm sind, macht es sicher nicht einfacher“, flüsterte die Frau zurück: „Aber du hast Recht, man ist gemeinsam füreinander da.“
Elea hatte ein ungutes Gefühl nach diesem ersten Zusammentreffen, tief waren offensichtlich die Wunden die ihr Sohn zugefügt hatte. Allerdings gab ihr etwas Hoffnung, auch bei Finjas hatte sie am Anfang ein Unbehagen und nun hat sich alles zum Guten gewendet. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit fühlte sie sich glücklich. Vielleicht lag es auch ein wenig an Bruchtal, wo die Sorgen der Welt immer ein Stück weiter wegrückten.
Ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder zu den Elben und Finjas.
„…sodass wir übermorgen die letzten Vorbereitungen abschließen und tags darauf aufbrechen können“, sagte Oronêl.
„Je früher umso besser“, sagte Elrond zustimmend „In den Rüstkammern findet ihr ausreichend Ausrüstung, sollte jemandem etwas fehlen.“
„Gleich morgen früh, werde ich allen Bescheid geben“, antwortete der Anführer „Und gegen Mittag werden wir uns bezüglich der Reiseroute beraten. Celebithiel und Glorfindel sollten auch kommen.“
„Ich würde mich ebenfalls gerne anschließen“, bat Finjas und Elrond nickte ihm zu.
Elea suchte einen passenden Moment um das Gespräch zu unterbrechen. Zögerlich begann sie „Herr Elrond?“
Finjas und der andere Elb wichen ein Stück zur Seite, sodass Elrond sie sah.
„Habt ihr für mich auch eine Rüstung und ein Schwert?“
Überrascht sahen sie die Dúnadan an.
„Natürlich“, antwortete er „Komm morgen in die Rüstkammer, dann wird dich Oronêl mit dem notwendigsten ausstatten.“
Ob es Verwunderung im Gesicht des Elben war, konnte Elea nicht sagen, aber er war jedenfalls überrascht. Nach Beendigung des Gespräches beschlossen sie zu Bett zu gehen. Nach den letzten Ereignissen war Elea endlich müde geworden und fand einen guten Schlaf in den Armen von Finjas.
Fine:
Kerry, die in einem Einzelzimmer übernachtet hatte, wachte mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Es war ungewohnt für sie, nach so langer Zeit in der sie sich ständig das Nachtlager mit zumindest Oronêl geteilt hatte, aufzuwachen und niemanden um sich herum zu haben. Das Zimmer besaß nur ein kleines Fenster, durch das lautes Vogelgezwitscher zu hören war. Rasch zog sie sich an - man hatte ihr frische Kleidung ausgelegt, ein kurzärmliges dunkelrotes Kleid nach Elbenart - und machte sich auf den Weg, um nach ihren Gefährten zu suchen.
Auf einer der Brücken, die die unzähligen kleinen Bäche nahe der Gärten Bruchtals überquerten, stieß Kerry überrascht auf Arwen, die offenbar gerade einen Morgenspaziergang machte.
"Du siehst aus, als hättest du recht gut geschlafen, Kerevalline," begrüßte die Tochter Elronds sie mit einem Lächeln.
"Ach... wie man's nimmt," meinte Kerry etwas verlegen und stellte sich neben Arwen an das verzierte Geländer der Brücke. "Es hat schon seine Vorteile, in einem richtigen Bett zu schlafen. Zuletzt habe ich diesen Luxus... in Rohan genießen können."
"Rohan," wiederholte Arwen nachdenklich. "So viele unserer Krieger weilen an den Grenzen jenes Landes."
Als Arwen das sagte, hatte Kerry das starke Gefühl, dass die Hochelbin eigentlich an etwas anderes dachte, ohne es jedoch auszusprechen. Es war nur ein Verdacht, aber ehe Kerry es sich versehen hatte, hatte sie ihre Gedanken schon laut ausgesprochen.
"Du hoffst, in Rohan ...Aragorn zu treffen, nicht wahr?"
Erschrocken schlug sich Kerry beide Hände auf den Mund. Sie wurde bleich, dann rot, und starrte Arwen schuldbewusst an
Auch Arwen blickte zunächst etwas erschrocken drein, wenn auch im geringeren Maße als Kerry. Dann legte sich wieder ein trauriges Lächeln auf ihr Gesicht, und sie sagte beruhigend: "Es ist gut, meine Liebe. Mache dir nicht den Vorwurf der Unhöflichkeit. Du musst wohl gehört haben, wie mein Vater davon sprach."
"Ähm... j-ja, er sagte zu Oronêl, dass... du deswegen mitkommen willst. Weil du..."
"Ich hatte einen Traum, Kerevalline." Arwen drehte sich zu ihr und ließ das Geländer der Brücke los. "Die Eldar schlafen nicht, wenn sie es nicht wünschen. Des Nachts spaziere ich gerne durch diese Gärten, so wie auch heute. Dabei öffne ich meinen Verstand und lasse Gedanken und Erlebnissen freien Raum, um sich zu entfalten. Und vor... einigen Tagen, kurz bevor Glorfindels Rückkehr nach Imladris, da war es mir, als vernähme ich einen Ruf von ferne. Eine Stimme, nach der ich mich schon lange sehne. Ich richtete meine Aufmerksamkeit darauf und versuchte, mehr wahrzunehmen. Mein Vater beherrscht diese Kunst der Weitsicht wie kein Anderer, aber auch ich vermag es, in die Ferne zu blicken - wenngleich im viel geringeren Maße als er."
"Was... was hast du gesehen?" fragte Kerry wie gebannt und schaute zu Arwen hoch, die sie um einen Kopf überragte.
"Ich sah das Land der Schatten," antwortete Arwen leise. "Und ich sah, wie sich dunkle Wolken darüber auftürmten, wie eine gewaltige drohende Präsenz. Wie mein Vater zuvor nahm ich wahr, dass der Dunkle Herrscher mittlerweile genügend Kraft gesammelt hat, um eine körperliche Gestalt anzunehmen."
"Wie schrecklich," flüsterte Kerry.
"Doch noch etwas Anderes konnte ich sehen," fuhr Arwen fort. "Das Schattengebirge, das unter den dunklen Wolken lag, schien sich zu teilen, einem Pass gleich. Den Pfad entlang, den ich wie aus großer Höhe sehen konnte, floh ein goldenes Licht gen Westen. Ich spürte eine vertraute Gegenwart, als ich dieses Licht näher betrachtete - seine Gegenwart."
Kerry staunte. Sie hatte einiges gesehen auf ihren Reisen, und hatte mehrere Zauberer in Aktion beobachtet. Doch dies kam ihr wie komplexe Elbenmagie vor, die sich ihrem Verständnis sogar noch mehr entzog als das sichtbare Wirken der Zauberer. "Und du glaubst, dass... dieses Licht bedeutet, dass..."
"Mein Vater hält es für Wunschdenken," meinte Arwen. "Und ich selbst bin mir nicht sicher, aber ich kann nicht länger hier im verborgenen Tal sitzen und darauf warten, dass die Wogen des Krieges es umschließen. Ich werde mir gestatten, zu hoffen, wie ich es seit Jahren nicht gewagt habe."
Kerry kam einen winzigen Schritt näher, sodass sie fast direkt vor Arwen stand. "Wie fühlt ...es sich an, so... jemanden so sehr zu lieben?" flüsterte sie ehrfürchtig.
Arwen betrachtete sie mit einem Blick der zur Hälfte aus Verwunderung und zur Hälfte aus schwermütigem Schmunzeln zu bestehen schien. "Ein schwächeres Herz wäre vermutlich zerbrochen. Ich kann dir nicht beschreiben, wie es sich anfühlt, du musst es selbst erfahren. Und ich weiß, dass diese Hoffnung, die mir der Traum gab, durchaus trügerisch sein kann."
"Wieso?" wollte Kerry leise wissen.
"Aragorn ist ein Gefangener des Dunklen Herrschers. Welchen Sinn ergäbe es für Sauron, ihn gehen zu lassen?"
"Ähm... na ja, vielleicht... braucht er ihn nicht mehr, wenn er doch, wie du sagst... körperliche Gestalt annehmen kann?" mutmaßte Kerry, die sich gar nicht vorstellen wollte, wie besagte körperliche Gestalt wohl aussehen mochte.
"Selbst wenn dem so wäre, würde unser Feind jemanden wie den obersten Heerführer der Freien Völker niemals gehen lassen. Also bleibt nur eine Möglichkeit übrig: jemand ist es gelungen, meinen Geliebten zu befreien."
Selbst Kerry hatte genügend Geschichten über Mordor gehört um zu verstehen, wie unwahrscheinlich eine Befreiung eines so wichtigen Charakters sein musste. Und dennoch verstand sie mittlerweile, oder hatte das Gefühl zu verstehen, weshalb Arwen nach Rohan gehen wollte. Also nickte sie langsam. "Ich... hoffe, du hast Recht. Ich wünsche es dir, von ganzem Herzen."
Arwen musterte Kerry einen langen Augenblick. Dann nickte sie sachte und sagte leise: "Ich danke dir, Kerevalline... ich kann sehen, dass du es ernst meinst. Du hast ein mitfühlendes Herz... bewahre dir diese Eigenschaft, lass' nicht zu, dass die Bitterkeit dieser Welt sie dir wegnimmt."
"Werde ich nicht, ich versprech's dir!" beteuerte Kerry und nickte bekräftigend.
"Du solltest gehen," sagte Arwen dann. "Sonst verpasst du noch das Frühstück." Die Hochelbin lächelte, doch Kerry hörte einen gewissen belegten Ton aus Arwens Stimme heraus. Sie beschloss, dass sie sich jetzt genug in Belange eingemischt hatte, die sie eigentlich nichts angingen, und trat den Rückzug an.
Ehe sie den großen Speisesaal in Elronds Haus erreichte, kam Kerry an den Stallungen nahe des Haupteingangs des großen Gebäudekomplexes im Herzen von Bruchtal vorbei. Dabei wäre sie beinahe mit einem Pony zusammengestoßen, das in den kleinen Innenhof getrabt kam.
"Verzeihung!" rief der Reiter, der darauf saß. "Ich hab' Euch gar nicht gesehen, und..." Seine Stimme brach ab, als er zu Kerry hinab schaute. "Moment mal. Dich kenn' ich doch. Kerry? Bist du das?"
Kerry brauchte einen langen Moment, in dem sie den Sprecher einfach nur anstarrte. Es war ein Hobbit in einem langen schwarzen Reisemantel. Darunter trug er ein schwarzsilbernes Wams mit Kettenhemd, auf dem der weiße Baum Gondors prangte. Die Haare waren unordentlich wie von einem langen Ritt, doch auf dem Gesicht lag ein schiefes Lächeln. "P...Pippin?" entfuhr es Kerry endlich.
"Bist du jetzt unter die Elben gegangen?" wollte Pippin - denn er war es wirklich - mit einem amüsierten Blick auf Kerrys Kleid wissen. "Hat es dir in Bruchtal so gut gefallen, dass du Herrn Elrond um Aufnahme in sein Gefolge gebeten hast?"
"Was? Nein, Unsinn," sagte Kerry mit gerunzelter Stirn. "Wirklich, Pippin, wo denkst du hin? Aber... wir haben uns ja seit beinahe einem Jahr nicht gesehen! Wie steht es um das Auenland?"
Der Hobbit kletterte aus dem Sattel. "Ach, recht gut. Merry ist dort geblieben, er ordnet das Durcheinander dort mit der Hilfe des Thains und ein paar Waldläufern."
"Und was machst du nun hier?"
"Dasselbe könnte ich dich fragen. Wie wäre es, wenn wir beim zweiten Frühstück darüber reden?" schlug Pippin vor und bot Kerry überraschend galant den Arm an.
"Für mich ist es das erste Frühstück," sagte Kerry kopfschüttelnd, doch dann musste sie lachen. Sie musste sich etwas verbiegen, um sich bei Pippin unterzuhaken, doch der Hobbit kannte eine Abkürzung zur Speisehalle, was Kerry nicht sonderlich überraschte.
Eandril:
Der erste blasse Schimmer der Sonne ließ sich gerade erst über den östlichen Bergen erahnen, als Oronêl die Rüstkammer von Imladris betrat. Er hatte in der Nacht kaum Schlaf oder auch nur Ruhe gefunden, denn die bevorstehende Reise beschäftigte seine Gedanken, auch jetzt noch.
Die Rüstkammer war ein langgestreckter Raum mit schmalen, nach Osten herausgehenden Fenstern etwas über Kopfhöhe. Die hohe Decke wurde von schlanken Säulen getragen, deren Holz mit allerlei kunstvollen Schnitzereien verziert war. Jemand musste bereits vor Oronêl hier gewesen sein, denn die an den Säulen befestigten Lampen glühten in weißem Licht.
Oronêl ignorierte die schweren Rüstungen und großen Waffen wie Lanzen und Streitäxte, die an den vorderen Wänden aufgereiht waren. Nichts davon war für ihn oder irgendjemanden aus ihrer Gemeinschaft geeignet, dies war Ausrüstung für schwer gerüstete Krieger, die in die Schlacht zogen. Im Augenblick war ohnehin nicht mehr allzu viel davon vorhanden, denn die meisten Krieger hatten Imladris bereits verlassen.
Ungefähr in der Mitte des Raumes fand Oronêl schließlich eine Rüstung, die genau seinen Geschmack traf. Sie bestand aus einem federleichten Kettenhemd, dessen feine Maschen hervorragend gearbeitet waren, einem ledernen Brustpanzer mit Schulterschutz sowie ebenfalls ledernen Unterarm- und Beinschienen, in die zu Oronêls Überraschung jeweils eine sehr schmale Metallscheibe eingearbeitet war. Sie würde nicht allzu viel abhalten, verlieh den Schienen jedoch ein wenig zusätzliche Festigkeit. Zu dem Kettenhemd gehörten auch ein dunkelgrüner Waffenrock aus feinem Stoff, der unter dem ledernen Brustpanzer getragen wurde.
Oronêl legte seine alte Kleidung bis auf die Unterkleidung ab, und zog sich zunächst das Kettenhemd über den Kopf. Es trug sich so leicht wie er gehofft hatte, wenn auch nicht so leicht wie das sagenumwobene Mithril, und machte erfreulich wenig Lärm wenn er sich bewegte. Rasch legte er auch den Waffenrock und den ledernen Brustpanzer an. Er zog gerade die Riemen der Armschienen fest, als er hörte, wie sich die Tür der Rüstkammer leise öffnete, und sich leise Schritte näherten. Ohne aufzusehen und ohne Hast legte Oronêl noch die Beinschienen an und zog die Riemen fest, als Eleas Stimme zögerlich fragte: "Oronêl?"
Er beachtete sie nicht, während er als letztes seinen Mantel aus Lothlórien anlegte, und ihn vor der Brust verschloss. Gedankenverloren strich seine Hand über den vertrauten Stoff, bevor er sich zu Elea umwandte.
"Nun?" Die kaum verhüllte Feindseligkeit konnte nicht einmal einem Menschen entgehen, und Elea wich offenbar unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie senkte ihren Blick jedoch nicht, und antwortete: "Ich bin gekommen, wie Herr Elrond mich angewiesen hat, um mich für die Reise auszurüsten."
Oronêl betrachtete sie schweigend. Sie sah nicht unbedingt wie eine Kriegerin aus, doch sie hielt sich gerade, und ihre blau-grauen Augen wichen Oronêls Blick nicht aus. Er spürte, dass sie die gleiche Kraft in sich trug, die alle Dúnedain, denen er begegnet war, auszeichnete und von anderen Menschen abhob.
"Ihr habt keine Kampferfahrung", stellte Oronêl fest. Elea nickte. "Nicht besonders viel. Aber ich kann gut mit dem Bogen umgehen, und mich verbergen, wenn ich nicht gesehen werden will."
"Eure beste Chance, diese Torheit zu überleben, besteht also darin, euch gar nicht erst in den Kampf einzumischen." Weiter kam Oronêl nicht.
"Was meint ihr mit Torheit?", fragte Elea. Sie strich sich mit einer abwesenden Geste eine schwarze Locke zur Seite.
Oronêl griff mit einer heftigen Bewegung nach seinem Waffengurt, den er über einen leeren Rüstungsständer gehängt hatte, und schlang ihn sich um die Hüfte. "Euer Sohn mag sich von Sarumans Bann - wenn es denn einer war - befreit haben, doch zuvor hat er Taten begangen, die... die... unverzeihlich sind", schloss er so leise, dass es beinahe ein Flüstern war.
Erst jetzt wandte Elea den Blick ab. "Ich verstehe", erwiderte sie ebenso leise. Als sie Oronêl erneut anblickte, glänzten ihre Augen ein wenig. "Aber er ist mein Sohn. Egal was geschehen ist. Egal, was er getan haben mag."
Jetzt wich Oronêl ihrem Blick aus, als er mit einem Ruck seinen Gürtel fest zog.
"Was hast du vor, Oronêl?", fragte Elea weiter, wobei Oronêl kaum auffiel, dass sie zur vertraulicheren Anrede und gleichzeitig von der gemeinsamen Sprache ins Sindarin gewechselt war. "Wenn Helluin tatsächlich unseren Weg kreuzt, muss ich mitansehen, wie du meinen Sohn tötest? Alles, was wir von seinem Vater geblieben ist? Und Kerry... du kannst nicht blind dafür sein, wie das Mädchen fühlt, wenn selbst ich es sehen kann."
Oronêl biss die Zähne zusammen. "Ich werde Helluin nicht töten. Ich kann nicht, denn... am Rande des Waldlandreichs hat er mir das Leben gerettet. Aber sag mir, Elea, wie kann ich ihm verzeihen? Selbst wenn er unter Sarumans Zauber stand... er und jene die ihm gefolgt sind hatten großen Anteil daran den Ort zu vernichten, der für Jahrtausende meine Heimat gewesen ist. Den... den einzigen Ort, an dem ich mit meiner Frau und meiner Tochter glücklich gewesen bin. Den einzigen Ort in Mittelerde, an dem ich sorglos gewesen bin, und frei von Trauer. Wie, Elea?"
Elea schwieg lange. "Ich weiß es nicht, Oronêl", erwiderte sie schließlich. "Es tut mir leid um Lothlórien. Was Saruman getan hat, war furchtbar, doch es war Saruman." Sie atmete tief durch. "Niemand, der Saruman gefolgt ist, ist frei von Schuld. Auch nicht Helluin. Ich kann nicht anders, als ihm zu verzeihen, doch du... ich kann dich nur bitten, es zu versuchen. Ihn Buße tun zu lassen. Und welche besser Buße gäbe es, als für jene zu kämpfen, denen er zuvor solchen Schaden zugefügt hat."
Oronêl strich mit der Linken sanft über den Griff von Amrûns Schwert, bevor er antwortete: "Deine Worte sind... weiser, als ich es von einem Menschen erwartet hätte. Obwohl ich es inzwischen eigentlich erwarten müsste." Wider Erwarten spürte er sich lächeln. "Ich werde deine Worte nicht vergessen. Und ich begreife auch, dass eine Mutter nicht verantwortlich für die Taten ihres Sohnes ist."
Kurzentschlossen löste er die Schwertscheide von seinem Gürtel, und betrachtete sie einen Augenblick lang. Ein Teil von ihm fürchtete, das Geschenk, dass das Schwert gewesen war, zu missachten, doch es fühlte sich richtig an.
"Dieses Schwert gehörte meinem Freund Amrûn", erklärte er. "Er... fiel in der Schlacht von Lórien, und es wurde mir gegeben, als Andenken und als Erinnerung daran, was wichtig ist. Doch auf dieser Reise solltest du es führen. Es wird dich beschützen, wenn es nötig ist." Elea öffnete den Mund um zu widersprechen, doch Oronêl schüttelte sanft den Kopf. "Nimm es, als Zeichen des Friedens und als Erinnerung daran, was an jenem Tag verloren ging."
Elea nahm das Schwert entgegen, offensichtlich ein wenig überrascht, dass es leichter war als erwartet, und strich mit zwei Fingern über die Scheide. "Ich werde es dir zurückgeben, sobald ich kann. Mit dem Bogen bin ich ohnehin besser."
Eine Ahnung sagte Oronêl, dass das Schicksal des Schwertes ein anderes sein würde, doch er behielt diesen Gedanken für sich. Stattdessen sagte er: "Nun, dann wollen wir versuchen, dir eine passende Ausrüstung herauszusuchen."
Ohne größere Schwierigkeiten gelang es ihm, eine leichte Rüstung ausfindig zu machen, die Elea gut passte, sowie einen gut gefertigen Bogen nach Art der Elben aus Lindon. Als sie die Rüstkammer verließen, wirkte Elea ein wenig erleichtert und angespannt zugleich, ein Widerspruch an Gefühlen, den Oronêl nur zu gut nachempfinden konnte.
Fine:
Es stellte sich heraus, dass Kerry Pippin deutlich mehr zu erzählen hatte, als der Hobbit ihr im Gegenzug von sich berichten konnte. Im Auenland war eine Art vorsichtiger Frieden angebrochen - die Schergen Sarumans waren zwar vertrieben worden, doch östlich des von Hobbits bewohnten Gebietes herrschte noch immer die Weiße Hand, zumindest dem Namen nach. Merry war vom Thain zum Anführer der Grenzer ernannt worden (dem Oberehrwürdigsten Grenzer, wie laut Pippin der amtliche Titel lautete) und sorgte dafür, dass die Zugänge ins Auenland hinein scharf bewacht waren, während Pippins Vater, der Thain, gemeinsam mit einigen anderen wichtigen Familienoberhäuptern dafür sorgte, dass sich nach und nach wieder Normalität im Alltag der Hobbits einstellte. Auf Merrys Rat hin war eine Korrespondenz mit den Elben der Anfurten westlich des Auenlandes in die Wege geleitet worden, und man hatte den Handel wieder aufgenommen, zumindest in westlicher Richtung entlang der Straßen gen Lindon und Ered Luin. Dennoch blieben die Hobbits - vorsichtig geworden durch die Unterdrückung durch Sarumans Leute - skeptisch und wollten dem Frieden noch nicht recht trauen.
"Wir werden sehen wie es weitergeht," sagte Pippin, der alles in allem relativ zufrieden (vor allem mit sich selbst) zu sein schien.
"Mich würde immer noch interessieren, was dich nach Bruchtal führt," hakte Kerry nach, als Pippin geendet hatte.
"Das ist ganz einfach," erwiderte der Hobbit. "Ich bin auf dem Weg nach Rohan. Die Königin hatte Merry und mich damals, ehe wir dich getroffen haben, ausgesandt, um im Auenland nach dem Rechten zu sehen. Ich bin ein offizieller Botschafter unseres Volkes und überbringe den Anführern in Aldburg die Nachricht von der Befreiung des Auenlandes, und außerdem soll ich die Hobbits dort im Rat vertreten. Schließlich braucht man bei all den wichtigen Besprechungen auch jemanden, der eine gute Portion gesunden Hobbitverstand mitbringt."
Kerry musterte Pippin zweifelnd. Sie war sich nicht ganz sicher, ob er ein Paradebespiel für gesunden Hobbitverstand darstellte, aber sie stellte die Entscheidung der Hobbits nicht in Frage.
"Ach, nun schau nicht so kleingläubig, Kerry," sagte Pippin und lächelte, als er ihren Blick bemerkt hatte. "Selbst Meister Elrond hat mich schon unterschätzt. Du wirst sehen, bald bin ich ein unverzichtliches Mitglied im Kriegsrat der Freien Völker."
"Oh, ist das so," machte Kerry wenig überzeugt, doch dann musste sie leise lachen.
Als er die Geschichte von Kerrys Abenteuern seit ihrem Aufbruch aus dem Auenland - die sie für Pippin so gut es ging zusammengefasst hatte - gehört hatte, nickte Pippin anerkennend. "Sieh mal einer an. Du bist ganz schön 'rumgekommen, Kerry! Und wie es mir scheint, hast du dich wirklich gemacht, so als Abenteurerin. Alle Achtung!"
"Wirklich?" wollte Kerry, erstaunt über das Lob, wissen.
"Du bist dreien der fünf Zauberer über den Weg gelaufen, hast mit mindestens drei Königinnen gesprochen und zwei große Schlachten überlebt. Es fehlt eigentlich nur noch, dass du einen Schatz findest, und dann die Welt rettest..."
Kerry musste erneut grinsen. "Nun, ich ... habe tatsächlich etwas gefunden. Herr Elrond hat es in seine Verwahrung genommen."
Pippin schaute von seinem Teller auf, den er gerade zum dritten Mal gefüllt hatte. "Wirklich? Den Teil hast du aber in deiner Geschichte ausgelassen."
"Ich erzählte dir doch vorhin von Gwyra, und der Geisterküste... Von dort brachten wir einen... Stein mit. Saruman hatte ihn, und er half ihm dabei, Dinge zu beeinflussen, die in weiter Ferne liegen-"
Pippin hatte seine Gabel fallen gelassen und das Klirren schnitt Kerry das Wort ab. Der Hobbit sprang auf. "Du hast eines von diesen Unheilsdingern? Kerry, sag mir, hast du hineingesehen? Hast du Ihn gesehen?" Pippin war bleich geworden, sein Gesicht glich beinahe einer Maske des Schreckens.
"N-nein, nicht, nicht direkt," stammelte Kerry erschrocken. "Ich sagte doch... Meister Elrond hat ihn an sich genommen."
Das schien Pippin einigermaßen zu beruhigen. "Gut," sagte er und sank zurück in seinen Stuhl.
"Was hast du denn auf einmal?" wollte Kerry besorgt wissen. "Kennst du das Ding etwa?"
"Ich... habe einen der Steine einst berührt, und hineingesehen," antwortete Pippin leise. Seine Stimme hatte all die gewohnte Unbeschwertheit verloren. "Der... Dunkle Herrscher erschien mir und sprach direkt zu mir, von der Zerstörung der freien Welt. Es... es tat weh. Ich wünschte, ich hätte dieses Ding niemals berührt. Es sollte nicht hier sein... Ich fürchte, es könnte unfreundliche Augen auf Bruchtal lenken."
Kerry gab ein erschrockenes Geräusch von sich. Hatte sie etwa in falscher Sorglosigkeit gelebt? Hätte sie Bruchtal längst wieder verlassen sollen? Mit einem Mal kam es ihr so vor, als hätte sie die Tage, die sie im Komfort unter den Elben verbracht hatte, vergeudet, und hätte längst wieder auf dem Weg nach Eregion sein müssen.
"Das Auge unseres Feindes ist bereits auf Imladris gerichtet, Meister Peregrin," erklang Elronds Stimme aus einiger Entfernung. Der Herr von Imladris hatte den Speisesaal betreten und kam in Begleitung seines Beraters Erestor heran. "Willkommen an meiner Tafel," sagte Elrond, als er näher gekommen war. "Deine Ankunft ist bereits erwartet worden."
"Meister Elrond! Ihr dürft dieses Ding hier nicht aufbewahren, Ihr solltet es zerstören!" sagte Pippin und stand auf.
"Ich glaube, deine junge Freundin hat es versäumt, dir klar zu machen, dass es sich bei dem Stein, den sie in Enedwaith fand, nicht um einen der Sieben Palantíri Féanors handelt," erwiderte Elrond und blieb am Ende der Tafel stehen. "Ich habe das Fundstück einige Zeit studiert und bin mir mittlerweile sicher, dass es sich um eine von Saruman angefertigte Nachahmung des Orthanc-Steines handelt, welche jedoch nicht dasselbe Potenzial wie das Original besitzt. Darüber hinaus ist es frei vom Einfluss des Dunklen Herrschers, welcher den Ithil-Stein besitzt. Sarumans Kreation scheint nur in eine Richtung zu funktionieren; dieser Stein stellt eine Art... Empfänger dar. Man kann mit ihm nicht in die Ferne sehen, sondern nur einen Eindruck, oder eine Vision aus der Ferne erhalten, die von Saruman selbst ausgeht - ich vermute, er macht sich dafür den Stab, den er Gandalf gestohlen hat, zunutze."
"A-also kann Saruman uns hier in Bruchtal nachspionieren?" wollte Kerry erschrocken wissen.
"Nun, das könnte er," meinte Elrond mit einem kleinen Lächeln. "Doch in diesem Tal gibt es noch immer gewisse Kräfte, die einem solchen Eindringen... Widerstand leisten würden. Sei' unbesorgt. Du bist hier unter den Meinen in Sicherheit."
"Da bin ich froh," sagte Kerry und atmete sichtlich aus. "Es wäre nicht gut, wenn Saruman von unserem Plan, ihm in Eregion einen Strich durch die Rechnung zu machen, wüsste!"
"Ihr wollt nach Eregion gehen?" hakte Pippin neugierig nach.
Kerry hatte bei dieser Frage einen Einfall. "Ja, wie wäre es, wenn du mit uns gehst? Eregion liegt auf dem Weg nach Rohan... und alleine zu reisen ist in diesen Tagen sowieso nicht zu empfehlen. Also, was sagst du?"
Pippin grinste. "Ich habe eigentlich schon seitdem wir uns im Hof begegnet sind, nur darauf gewartet, dich dasselbe fragen zu können."
"Noch ein Mitglied für die Gemeinschaft des Oronêl," meinte Erestor, ehe er seinem Meister folgte, welcher sich mit einem Schmunzeln von der Tafel entfernt hatte.
"Oronêl? Etwa der, der andauernd in deiner Geschichte aufgetaucht ist, seit der Schlacht von Fornost?" wollte Pippin wissen.
"Genau der," erwiderte Kerry und konnte nicht verhindern, dass sich ein liebevolles Lächeln auf ihr Gesicht legte. "Ich weiß nicht wieso, aber... irgendwie scheint uns das Schicksal immer wieder zusammenzuführen, Oronêl und mich. Ich werde mit ihm nach Eregion gehen, und... was danach geschieht, weiß ich noch nicht."
"Ich bin wirklich gespannt darauf, ihn kennenzulernen. Er scheint ja ein ziemlich anständiger und gar heldenhafter Elbenherr zu sein," sagte Pippin.
Kerry sah sich prüfend um, doch von Oronêl war in der Speisehalle keine Spur zu entdecken. "Ich bin mir sicher, er ist irgendwo in den Gärten. Wir könnten ihn suchen gehen, und..."
"Langsam, Kerry, langsam - oder, wie ein Freund stets zu sagen pflegte: Nicht so hastig. Buarum." Pippin machte ein seltsames Geräusch, dann musste er grinsen. "Mein Teller ist noch nicht leer."
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln