Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dol Amroth

In der Stadt

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Eandril:
Hilgorn und Faniel vom Palast des Fürsten

Hilgorn erwachte davon, dass jemand gegen die Tür des Hauses hämmerte, das Tírneth Faniel und ihren Kindern für die Zeit ihres Aufenthalts in Dol Amroth zur Verfügung gestellt hatte. Das kleine Haus lag ein wenig östlich des Fürstenpalasts in der Nähe des Hafens und besaß einen winzigen Garten dahinter. Hilgorn verbrachte einen großen Teil seiner freien Zeit hier, und in der Stadt war es vermutlich ein offenes Geheimnis geworden, dass er und Faniel eine Beziehung führten. Doch es kümmerte ihn nicht länger, ob es bekannt war - der Fürst hatte sich offenbar entschlossen, es als Tatsache zu akzeptieren und Hilgorn nicht dafür zu bestrafen, und die Meinung anderer kümmerte Hilgorn nicht.
"General Hilgorn?", ertönte jetzt von der Tür her eine männliche Stimme. "Seid ihr da?" Hilgorn ächzte und setzte sich auf. Sein Blick wanderte zur Seite, wo Faniels Kopf und nackte Schulter unter der dünnen Bettdecke hervorschauten. Er küsste ihre Schulter, doch Faniel murmelte nur etwas schläfriges und drehte sich auf die andere Weise, wobei sich ihr Körper unter der Decke auf sehr anregende Weise bewegte. Hilgorn grinste, straffte sich dann aber und stand wiederwillig auf. Er zog sich rasch ein dünnes Hemd und eine Hose über, bevor er leise Faniels Schlafzimmer verließ, die schmale Treppe ins Erdgeschoss hinuntereilte und die Tür öffnete.
Draußen erwartete ihn einer seiner Gardisten, der gleichermaßen ungeduldig und verlegen wirkte. "General Hilgorn, verzeiht, aber... ihr wolltet Bescheid bekommen, sobald etwas geschieht."
"Balvorn", sagte Hilgorn, und hob beruhigend die Hand. "Mach dir keine Sorgen, sag mir lieber, was passiert ist."
Balvorn entspannte sich sichtlich, als er antwortete: "Es ist ein Schiff gesichtet worden, dass auf den Hafen zuhält. Es segelt unter der Flagge von Dol Amroth, und hat blaue Segel."
"Die Súlrohír?", fragte Hilgorn, und war sofort hellwach, obwohl im Osten gerade erst langsam die Sonne aufging. "Nun, wie dem auch sei, ich muss zum Hafen. Ist der Fürst bereits benachrichtigt?" Balvorn nickte. "Ja, Herr."
"Gut. Schickt dreißig Mann zum Hafen und sperrt den Landeplatz ab - Wenn sich das herumspricht, haben wir dort bevor wir es versehen einen Massenauflauf."
Balvorn salutierte und machte sich auf den Weg, seine Befehle auszuführen, während Hilgorn sich umwandte und die Tür hinter sich schloss. Gerade kam Faniel die Treppe hinunter, mit nichts als einem dünnen Nachtgewand bekleidet, und gähnte.
"Was ist denn passiert?", fragte sie, und Hilgorn antwortete: "Die Súlrohír kehrt aus Umbar zurück, wenn die Berichte stimmen."
"Oh, den Valar sei dank. Ich freue mich für Fürst Imrahil, dass seine Tochter nach Hause kommt."
Hilgorn zog sie in seine Arme und genoss ihre Nähe, als er antwortete: "Wir wissen noch nicht ob die Zwillinge vom Ethir ihren Auftrag wirklich ausgeführt haben. Bei ihrem Ruf könnte ich mir auch vorstellen, dass sie ihre Zeit in Umbar mit Zügen durch die Tavernen und Bordelle verbracht haben."
"Dieser Valion sieht ziemlich gut aus, findest du nicht?", fragte Faniel in unschuldigem Tonfall, und als sie Hilgorns Gesichtsausdruck sah, lachte sie und küsste ihn. Hilgorn erwiderte den Kuss sanft, und vergub dann das Gesicht in ihren duftenden, vom Schlaf noch immer zerzausten Haaren. "In meinen Augen allerdings nicht so gut wie du", flüsterte sie ihm ins Ohr, und als sie sich voneinander lösten, leuchteten ihre Augen. "Nun los, du solltest zu Hafen. Ich werde die Kinder wecken und dann nachkommen."

Nur wenige Minuten später trat Hilgorn vollständig in seine Rüstung als General von Dol Amroth gekleidet, das Schwert an der Seite, auf die Straße, und schlug den Weg in Richtung Hafen ein.

Hilgorn zum Hafen...

Eandril:
Hilgorn aus dem Palast des Fürsten

Trotz Valions spöttischer Verabschiedung hatte Hilgorn den Palast verlassen und den Weg zu Faniels Haus eingeschlagen. Er musste ihr sagen, dass er wieder in den Krieg zog, und wollte das nicht erst am Tag des Aufbruchs tun.
Auf den Straßen war um diese Uhrzeit nur noch relativ wenig Betrieb, und in der kleinen Gasse, in der das Haus lag, war kein Mensch zu sehen als Hilgorn an die Tür klopfte. Kurze Zeit später schwang sie nach innen auf, und Hilgorn trat in den dunklen Eingangsbereich. Faniel war bereits für die Nacht gekleidet, mit einem dünnen, knielangen Nachthemd das außer zwei schmalen Trägern die Schultern komplett freiließ, und war barfuß. Hilgorn zog sie an sich, während er die Tür mit einer Fußbewegung hinter sich ins Schloss fallen ließ, und küsste sie zur Begrüßung. Als er die Lippen schließlich von ihren löste, sagte Faniel: "Und ich dachte, du würdest heute im Palast bleiben... ist etwas passiert?"
Die Erinnerung, die er für einen kurzen Augenblick verdrängt hatte, kehrte zurück, und Hilgorn spürte, wie sein Lächeln wie weggewischt verschwand. "Ich muss in den Krieg ziehen", sagte er langsam. "Mordor wird das Gebirge angreifen, und wir können es uns nicht leisten, die Verbindung zu Rohan zu verlieren." In der Dunkelheit wirkte Faniels Gesicht blass, als sie nach einem Moment des Schweigens fragte: "Und... wann wirst du aufbrechen?"
"Morgen", erwiderte Hilgorn, und das Wort zu sagen fiel ihm schwer. "Es ist Eile von Nöten." Noch bevor er den Palast verlassen hatte, hatte er Befehle an seine Offiziere weitergegeben, das Heer am Vormittag des nächsten Tages vor der Stadt zu versammeln, sodass sie spätestens am Mittag nach Morthond aufbrechen konnten. Auch wenn das Heer von Mordor in den Bergen sicherlich nur langsam voran kam und nicht wusste, dass ihr Plan bereits bekannt geworden war, hatten sie keine Zeit zu verlieren.
Faniel schwieg erneut einen Augenblick und nahm Hilgorns Hände in ihre. Ihre waren schmal und kühl, während Hilgorns eigene Hände die eines Soldaten waren, groß und rau von den langen Stunden, die er ein Schwert oder die Zügel eines Pferdes gehalten hatte. "Morgen schon...", sagte sie schließlich leise, und machte rückwärts einen Schritt auf die unterste Treppenstufe, ohne Hilgorns Hände loszulassen. "Lass uns nach oben gehen. Dort spricht es sich besser und außerdem..." Im Dunkeln glaubte Hilgorn ein kleines schelmisches Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, dass er gut kannte, und folgte ihr bereitwillig die Treppe hinauf und in ihr Zimmer. Im oberen Stockwerk gab es außer dem Flur und Treppenhaus nur zwei weitere Räume: Faniels Zimmer, und den Raum, den Iorweth und Belegorn bewohnten. Bevor Hilgorn Faniels Zimmer betrat, lauschte er einen Moment an der anderen Tür, durch die er leise die sanften Atemzüge der Kinder zu hören glaubte. Auch wenn sie die Kinder seines Bruders waren, hatte er doch allmählich begonnen, sie als seine eigenen anzusehen - und gerade Iorweth machte es ihm dabei sehr leicht, denn sie behandelte ihn ohne zu überlegen wie einen Vater. Belegorn machte es ihm schwerer, denn er war älter als seine Schwester und mit seinem leiblichen Vater offenbar auch besser ausgekommen. Doch auch er schien sich allmählich daran zu gewöhnen, dass Hilgorn die Rolle seines Vaters übernommen hatte, und der Gedanke machte Hilgorn glücklich.
Hinter Faniel betrat er ihr Zimmer, und während sie sich auf der Kante ihres Bettes niederließ, blieb er vor dem offenen Fenster stehen und blickte auf den mondbeschienenen kleinen Garten hinaus.
"Also, was ist los?", fragte Faniel schließlich. "Warum musst du wieder in den Krieg?"
Hilgorn seufzte, und stützte sich mit den Ellbogen auf den Fensterrahmen. "Ladion ist aus dem Osten zurückgekehrt." Er hörte Faniel hinter sich scharf und plötzlich einatmen, und war sich sicher, dass sie an Imradon dachte. "Er hat Imradon bis nach Osgiliath verfolgt, und dort den Plan belauscht, dass Mordor das Weiße Gebirge besetzen und uns von Rohan abschneiden will", fuhr er fort, und wandte sich dann abrupt zu ihr um. "Imradon wird bei der Armee sein, und selbst wenn Imrahil mir nicht befohlen hätte, unsere Truppen anzuführen..."
"Willst du ihn töten?", fragte Faniel langsam, und dieses eine Mal konnte Hilgorn nicht erkennen, was sie dabei dachte: Ob sie sich über diese Aussicht freute, oder ob sie sie erschreckte. "Könntest du das tun?"
Hilgorn zögerte, und setzte sich dann neben sie. "Ich weiß es nicht. Ich... glaube nicht. Ich würde ihn gefangennehmen, und den Fürsten über ihn urteilen lassen. Das wäre gerecht, denn trotz allem... ist er mein Bruder, auch wenn ich ihn nie geliebt habe."
"Und mein Ehemann", sagte Faniel mit einem traurigen Lächeln, und Hilgorn schüttelte den Kopf. "Nein. Nicht wenn es nach mir geht. Du gehörst zu mir - und ich zu dir." Er küsste sie, während er mit der einen Hand ihr Nachthemd langsam die Oberschenkel hinaufschob und mit der anderen den einen Träger von ihrer Schulter schob. Als er sich am anderen Träger zu schaffen machte, spürte er sie erschauern und hörte, wie ihr Atem schneller und heftiger zu gehen begann. Faniel hob bereitwillig die Arme, wodurch Hilgorn die Träger leichter abstreifen konnte und das Nachthemd bis auf den Bauch hinunterrutschte. Als Hilgorn seine Hände sanft über ihre Brust wandern ließ, stöhnte sie dumpf auf, und er legte ihr einen Finger auf die geöffneten Lippen.
"Schsch... Leise, du willst doch die Kinder nicht aufwecken, oder?", fragte er mit einem Augenzwinkern, ohne mit der anderen Hand sein Tun zu unterbrechen. Zur Antwort packte Faniel den Saum seines Hemdes und sagte: "Wenn, dann bist du daran Schuld... und jetzt solltest du diese viele Kleidung loswerden."

Später saßen sie nebeneinander auf der Kante des Bettes und blickten durch das Fenster hinaus auf den nächtlichen Himmel. Der Mond war inzwischen untergegangen, und die Sterne waren deutlich zu sehen. Sie hatten eine Decke über ihren Beinen ausgebreitet und Faniel hatte sie sich sogar um den nackten Oberkörper gewickelt, denn auch wenn es noch immer Sommer war, brachten die Nächte in Dol Amroth oft einen kühlen Wind vom Meer her.
"Wohin genau werdet ihr eigentlich gehen?", fragte sie, und schien sich in Gedanken eine Karte Gondors vor Augen zu rufen. "Nach Lamedon, oder Ethring?"
Hilgorn musste grinsen, und warf ihr einen schiefen Blick zu. "Du hast ein Talent für romantische Gesprächsthemen, wirklich." Faniel stieß ihm den Ellbogen in die Seite, wobei die Decke ein wenig herunterrutschte - sehr zu Hilgorns Freude. Er hatte das Gefühl sich niemals an ihr satt sehen zu können. "Ansonsten würde ich nie auf die Idee kommen, einen so ernsthaften Kerl wie dich heiraten zu wollen", gab sie halb im Scherz zurück, und stieß erneut mit dem Ellbogen zu. Hilgorn rutschte ein Stück zur Seite, denn der Ellbogen war spitz und traf zielsicher die Stellen, an denen es wehtat, und fragte als ob er sich verhört hätte: "Hast du gerade tatsächlich gesagt, du würdest mich... heiraten?" Er hatte sie nie gefragt, denn solange Imradon lebte und nach Recht und Gesetz mit ihr verheiratet war, war es ihm nicht richtig vorgekommen.
"Mhm", machte Faniel nur, und blickte demonstrativ weiter aus dem Fenster in die Nacht hinaus. "Wenn der Fürst es erlauben würde, würde ich es noch heute tun... bevor du gehen musst."
"Das würde mir gefallen", erwiderte Hilgorn, und spürte, wie heiser seine eigene Stimme dabei klang. Faniel hatte es gesagt, als ob es keine große Sache gewesen wäre, doch auch wenn Hilgorn bereits gewusst hatte, wie sie zueinander standen, bedeutete es ihm viel. Er räusperte sich, und sagte: "Nun ja... Wir werden ins Morthond-Tal ziehen, nach Erech. In Lamedon oder Ethring würden wir womöglich zu früh auf Mordors Truppen treffen, und Erech wird ohnehin ihr Ziel sein. Dort haben wir genug Zeit uns aufzustellen und den Angriff zu erwarten, wenn wir morgen aufbrechen."
"Auch wenn ich nicht viel vom Krieg verstehe, klingt das vernünftig", meinte Faniel nachdenklich, und fügte ein wenig besorgt hinzu: "Denkst du... du wirst zurechtkommen. Mit den... Orks, meine ich?"
Hilgorn schwieg einige Zeit, bevor er antwortete. Er hatte Faniel erzählt, welche Furcht vor diesen Wesen sich in seinem Herzen eingenistet hatte, und jetzt, wo sie es erwähnte, flammte die Furcht einen kurzen Augenblick erneut auf. Natürlich würde die Streitmacht Mordors aus Orks bestehen, doch er musste sich ihnen entgegenstellen. Ansonsten wäre er es nicht wert und nicht geeignet, ein General Dol Amroths zu sein. "Ja", sagte er schließlich. "Es wird schwer, aber ich weiß, dass ich es schaffen kann. Und außerdem...", fügte er hinzu, und rang sich ein schwaches Lächeln ab. "Valion vom Ethir wird das Heer begleiten. Und ich werde mir vor diesem Jungen sicherlich keine Blöße geben."
"Dieser Junge ist nicht viel jünger als du", erwiderte Faniel mit leichtem Vorwurf in der Stimme. "Und er hat es geschafft, Lóthiriel aus Umbar zu befreien und nach Hause zu bringen, und zuvor ist es ihm gelungen, den Ethir zurück zu erobern."
Hilgorn seufzte. Sie hatte ja recht, doch er hatte trotzdem Schwierigkeiten mit Valions lockerer Art und zumindest oberflächlichen Verantwortungslosigkeit. Und auch wenn Valion Hilgorns Beziehung zu Faniel nicht zu verurteilen schien - das wäre an seiner Stelle auch reichlich heuchlerisch gewesen - wäre es Hilgorn lieber gewesen, der Herr vom Ethir hätte wie der übrige Adel Dol Amroths darüber hinweggesehen und gar nichts dazu gesagt. "Eigentlich will ich gar nicht über Valion vom Ethir reden", sagte er, und zog Faniel mit einem Ruck die Decke vom Oberkörper. "Sondern..."
Sie erwiderte den Kuss mit Leidenschaft, und murmelte, während sie sich rücklings auf das Bett sinken ließ: "Du bist wirklich unmöglich, weißt du das?"
Hilgorn küsste spielerisch ihren Hals, und erwiderte: "Ich weiß... aber wer weiß schon, wie lange ich weg bin?" Dann wanderte er tiefer, Faniel schob die Hände in seine Haare und sagte atemlos: "Hoffentlich nicht allzu lange. Und jetzt... hör auf zu reden."

Am nächsten Morgen erwachte Hilgorn kurz nach Sonnenaufgang davon, dass jemand energisch an die Tür von Faniels Schlafzimmer pochte. Nachdem er sich rasch angekleidet hatte, öffnete er und sah sich Iorweth gegenüber, die bei seinem Anblick zu strahlen begann. "Oh, ich dachte du wärst im Palast!"
Hilgorn ging vor ihr in die Hocke, sodass das Mädchen ihn zur Begrüßung umarmen konnte, und antwortete lächelnd: "Ich habe es mir doch noch anders überlegt... schließlich bist du ja hier."
Iorweth kicherte, und sagte: "Mutter hat uns gesagt, dass wir heute mit Alphros und Tírneth ein Picknick machen würden... kommst du auch mit?" Als er ihre strahlenden hoffnungsvollen Augen sah, spürte Hilgorn wie sich in ihm etwas schmerzhaft zusammenzog. Er schüttelte den Kopf, und erwiderte: "Ich würde gerne... aber ich kann nicht. Ich muss... etwas erledigen, außerhalb der Stadt."
Iorweth verzog auf reizende Weise enttäuscht das Gesicht. "Aber das nächste Mal kommst du mit?" Hilgorn richtete sich auf, und fuhr ihr mit der Hand zärtlich durch den schwarzen Haarschopf. "Sobald ich wieder da bin, machen wir das. Ich versprech's."
Iorweth strahlte erneut, und hinter Hilgorn öffnete sich die Tür zu Faniels Zimmer. Faniel kam heraus, wieder in ihr Nachthemd gekleidet, mit zerzausten Haaren, und rieb sich gähnend die Augen. "Was tust du denn schon hier, meine Kleine?", fragte sie verschlafen, und Iorweth zog die Nase kraus. "Du hast gesagt, dass wir zu Alphros in den Palast gehen und dann ein Picknick machen." Sie verschränkte die Arme, und sah äußerst entschlossen aus. Faniel schien inzwischen ein wenig wacher zu sein, warf einen Blick über die Schulter aus dem Fenster und sagte: "Aber doch noch nicht jetzt. Du musst noch ein klein wenig Geduld haben."
"Ist dein Bruder schon wach?", fragte Hilgorn, und Iorweth rümpfte die Nase, als sie antwortete: "Nein... und ich will auch gar nicht, dass er mitkommt. Deshalb war ich ganz leise." Hilgorn und Faniel tauschten einen wissenden Blick. In letzter Zeit kamen die beiden Geschwister nicht allzu gut miteinander aus, und es gab oft Streit.
"Nun, bestell ihm trotzdem Grüße von mir", sagte Hilgorn mit einem Augenzwinkern, und musste über Iorweths finstere Miene lachen. Dann küsste er Faniel auf die Wange und sagte: "Ich muss los, fürchte ich. Der Krieg wartet auf niemanden - wir sehen uns bald."
"Das hoffe ich sehr", erwiderte Faniel, und küsste ihn trotz Iorweths Anwesenheit kurz auf den Mund. "Ich auch!", forderte das Mädchen. Hilgorn hob sie hoch, und ließ sich von ihr auf die Wange küssen. "Du kratzt!", protestierte sie, und fügte dann etwas leiser hinzu: "Ich hoffe auch, dass du bald wieder da bist." Nachdem Hilgorn sie widerwillig abgesetzt hatte, verließ er das Haus und eilte durch die erwachenden Straßen der Stadt zurück zum Palast, wo er seine Waffen und Rüstung gelassen hatte.

Hilgorn zum Platz der tausend Schwanenfedern

Melkor.:
Hilgorn, Valion, Cynewulf und Ladion mit dem Heer Dol Amroths aus Lamedon

Das Heer Gondors war in Dol Amroth eingetroffen. Als die Kundschafter, denen sich Cynewulf wieder angeschlossen hatte, in den Stallungen Dol Amroths bereits ihre Sättel von ihren Pferden hievten, öffnete sich gerade das große Tor der Stadt, um den Hauptteil der Armee einzulassen. Die Kundschafter waren bereits wenige Augenblicke vor dem Heer in Dol Amroth eingetroffen. Während die Kundschafter sich nun zu Fuß dem Heer wieder anschlossen, blieb Cynewulf weiterhin im Stall. Der Rohir hatte seinen Hengst in eine freie Box gebracht, die Satteltasche über den Zaun gelegt und strich nun das teilweise zerzauste Fell mit der Bürste wieder glatt. Nebenbei reichte er Schildbrecher immer mal wieder einen der dutzenden kleinen, grün-gelben Äpfel, die er am Wegesrand in Lamedon gesammelt hatte.

Nachdem Cynewulf sein Pferd gestriegelt hatte, verließ schließlich auch er den Stall. Er beobachtete, wie die letzten Männer des Heeres das Tor passierten und sich zur Kaserne begaben. Obwohl Cynewulf nur einen kleinen Teil Dol Amroths gesehen hatte, war er bereits jetzt schon fasziniert von de gondorischen Architektur. Die Stadt war deutlich größer als er sie sich vorgestellt hatte, zudem war sie mit Aldburg oder Edoras nicht vergleichbar. Cynewulf versuchte, sich in der Stadt zurecht zu finden und folgte einer Straße zum Markt. Als er den Markt schließlich fast erreichte hatte, sah er, wie die zwei Kommandanten die er in der Schlacht um Morthond kennen gelernt hatte, sich unterhielten. Er erinnerte sich nur noch vage an beide Namen.
Es interessierte ihn schließlich nicht mehr weiter worüber sie sprachen, und er begab sich zum Markt von Dol Amroth; in der Hoffnung, dort vielleicht Informationen über seine Nichte herauszufinden. Der Markt war deutlich größer und edler als jener in Edoras. Hier gibt es wirklich alles, was das Herz begehrt, dachte Cynewulf als er sich das große Angebot der Händler anschaute.
Der Rohir ging kurz darauf auf einen recht unscheinbaren Händler zu, der gerade neue Kleider auf seinen Stand legte.
"Werter Herr?" fragte er höflich. "Ich suche nach einem Mädchen - sie müsste etwa neunzehn Jahre alt sein, und ist so wie ich eine der Rohirrim."
Der Händler, der die ganze Zeit über gebückt gewesen war, stellte sich nun gerade hin. Cynewulf ging einen Schritt zurück als er die dunkelblauen Augen im markanten Gesicht des mindestens ein Kopf grösseren Mannes sah. "Wieso sucht ihr nach dem jungen Mädel?" fragte dieser schroff.
"Ich suche eine Freundin, die seit einigen Jahren verschwunden ist..." gab Cynewulf preis. Er versuchte, nicht zu viele Informationen darüber preiszugeben, wen er genau suchte. Schließlich geht das niemanden etwas an, dachte er.
"Nun, solche Informationen besitze ich nicht; und nun schert euch davon, ihr haltet meine Kunden auf."
Cynewulf war sichtlich verwundert über die agressive Reaktion des Händlers. Schlechten Tag gehabt, was? dachte er.

Er spazierte noch eine längere Zeit durch den Markt und sah sich die verschiedenen, für ihn teilweise unbekannten Waren, der Händler an, bis sein Bauch sich bemerkbar machte. Zudem stieg ihm der Feine Geruch von frischen Fleisch in die Nase. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er bereits seit längerem nichts mehr gegessen hatte. Er folgte dem Geruch in ein großes Gasthaus und öffnte die Tür. Vorne am Tresen setzte er sich auf einen der Hocker. "Ein Bier und etwas von dem gutriechendem Fleisch." bat Cynewulf den Schankwirt. Obwohl es gerade erst Nachmittag war, war im Gasthaus bereits voller Betrieb. Cynewulf erinnerte sich an seine erste Schlacht seit vielen Monaten zurück. Nachdem er von einem Troll verwundet wurde, musste er ein Jahr in den Heilhäusern Lothloriens verbringen und war deshalb an der Befreiung Rohans kaum mehr beteiligt. In der Zwischenzeit hatte der Schankwirt die Bestellung auf vor Cynewulf gestellt. "Brauchst du noch etwas?" fragte dieser schließlich. Cynewulf schaute sich um, sein Blick blieb bei einer jungen, hübschen Frau hängen. "Ja, ein Zimmer für zwei." sagte er abschließend.

Fine:
Fürst Imrahil erwartete die Kommandanten des siegreichen Heeres bereits auf dem großen Platz, der direkt hinter dem Haupttor Dol Amroths lag. Valion und Hilgorn saßen ab und ließen ihre Pferde von Stallburschen fortbringen. Der Fürst wurde von seinen Beratern Ardamir und Amrodin sowie seinem Sohn Elphir begleitet.
"Ihr kehrt siegreich zurück," stellte er lobend fest.
"Mein Fürst, wir taten nichts mehr als unsere Pflicht im Dienste Gondors und Dol Amroths," gab Hilgorn bescheiden zurück.
"Erneut hast du deinen Wert bewiesen, mein Freund," sagte Elphir freundschaftlich und klopfte dem General auf die Schulter. "Gut gemacht."
"Dieser Sieg ist nicht allein mein Verdienst. All jene, denen Ihr in Eurer Weisheit Teile des Kommandos übertragen habt, haben ihren Teil dazu beigetragen, dass Erech und Calembel noch stehen und die Pfade der Toten weiterhin in unserer Hand sind," fuhr Hilgorn fort.
"Dessen bin ich mir sicher," sagte Imrahil mit einem Seitenblick auf Valion, der selbstsicher lächelte. Ich habe mir das Vertrauen des Fürsten erneut verdient, dachte er. Er mag vielleicht meine Art nicht schätzen, aber er weiß, dass ich Ergebnisse liefere.

Sie waren dem Heereszug weiter durch die Straßen Dol Amroths bis zu den Kasernen gefolgt. In einem der Besprechungsräume dort lieferte Hauptmann Berion einen detaillierten Schlachtbericht, den Imrahil von seinem Schreiber aufzeichnen ließ. Imrahil stellte immer wieder Zwischenfragen und schien vor allem daran interessiert zu sein, was die Soldaten an Gerüchten über den erneuten Kriegsausbruch gehört hatten.
"Auch wir haben einige beunruhigende Nachrichten erhalten," sagte der Fürst und Truchsess nachdem Berion seinen Bericht beendet hatte. "Amrodin?"
"Meine Leute in Linhir und an der Gilrain-Grenze haben erfahren, dass bei Minas Tirith und Osgiliath Truppen zusammengezogen werden und die Orks neue Verstärkung aus Mordor erhalten haben. Außerdem geht das Gerücht um, dass der Kommandant, der für den Angriff auf Morthond verantwortlich war, gestürzt und hingerichtet wurde. Sein Nachfolger scheint eine andere Strategie zu verfolgen. Ich habe bereits Spione nach Ost-Gondor entsandt, aber es wird noch einige Tage dauern, bis wir wirklich belegbare Informationen aus den besetzten Gebieten erhalten werden."
"Das deckt sich mit dem, was unsere Soldaten gehört haben," überlegte Valion. "Unser Feind hat irgendetwas vor. Wir müssen wachsam sein und unsere Grenzen scharf bewachen."
"Das tun wir, junger Herr," erwiderte Amrodin scharf.
"Da bin ich ja beruhigt," gab Valion mit einem Augenzwinkern zurück.
"Die Garnison in Linhir wird schon bald gewarnt werden," sagte Imrahil. "Ich habe heute morgen Meldereiter zu Túrin, ihrem Kommandanten, entsandt. Doch ich denke, es kann nicht schaden, mehr Soldaten an die Grenze zu entsenden."
"Jene, die in Morthond gefochten und geblutet haben, sollten eine Ruhepause gewährt bekommen," meinte Hilgorn. "Lasst stattdessen jene Soldaten nach Osten gehen, die in unserer Abwesenheit die Schwanenstadt bewacht haben."
"Ein guter Vorschlag," stimmte Elphir zu. "Doch heute feiern wir deinen Sieg, Hilgorn. Heute Abend wird es ein Gelage geben."
"Das ist wirklich nicht notwendig..." wehrte Hilgorn ab.
"Faniel und die Kinder sind natürlich auch eingeladen," fügte Elphir lächelnd hinzu.
"Also gut," gab sich Hilgorn geschlagen.

Die Beratung über die Schlacht und die weiteren Pläne neigte sich dem Ende zu, als eine junge Bedienstete herbeigeeilt kam und sich schüchtern neben Valion stellte.
"Herr Valion? Ich... mein Name ist Váneth, zu Euren Diensten..." brachte sie hervor, ehe ihre Stimme unhörbar wurde.
Valion musterte sie aufmerksam und zog die linke Augenbraue hoch. Sie hatte ein hübsches Gesicht, schulterlange hellbraune Haare und trug ein Kleid nach der Tracht Dol Amroths: blau, silbern, und mit weiten Ärmeln. Sie konnte nicht älter als zwanzig sein, schätzte Valion. "Was gibt es, junge Dame?" fragte er freundlich und führte sie behutsam von den übrigen Kommandanten weg, bis sie in einem der Gänge innerhalb der Kaserne standen und allein waren. Als er einen zweiten Blick auf sie warf, fiel ihm ihre Halskette auf, an deren Ende ein kunstvoller Anhänger aus ihrem Ausschnitt hervorlugte, der die Form eines schlanken Schiffes mit vollen Segeln hatte. Da wusste Valion, wer das Mädchen geschickt hatte.
"Ich... bringe eine Nachricht von..." versuchte sie es erneut.
"Von meiner lieblichen Verlobten, ich weiß," ergänzte Valion. "Sie möchte sich mit mir treffen, nicht wahr? Und nicht im Palast, so wie es aussieht. Ansonsten würde sie ja einfach dort auf mich warten. Also dann: geh voraus, kleine Váneth."
"Wie habt Ihr das nur erraten, Herr?" Váneth kam aus dem Staunen kaum mehr heraus. Sie ist wirklich noch sehr jung, dachte Valion.
"Ich habe eine Gabe dafür, verborgene Dinge schneller als Andere zu erkennen," behauptete er.
Váneth hatte sich in Bewegung gesetzt und führte ihn rasch von der Kaserne weg, durch die Straßen in Richtung Westen, bis sie in die großen Gärten kamen, die die Fürsten von Haus Dol Amroth dort angelegt hatten. Und dort saß Lóminith, gehüllt in einen unscheinbaren grauen Umhang, auf einer Bank, die auf einem erhöhten Plateau stand. Von dort hatte man einen exzellenten Blick über die Bucht von Belfalas und den Ozean im Süden.
Váneth eilte zu ihrer Herrin und machte einen anmutigen Knicks. Doch Lóminîth entließ das Mädchen mit einer Handbewegung, ohne sie anzusehen. Valion glaubte, Erleichterung in Váneths Gesicht zu sehen, als sie sich rasch entfernte.
"Du bist also wieder zurück," stellte Lóminîth fest.
Valion umrundete die Bank und stellte sich neben seine Verlobte. "Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?" neckte er.
Lóminîth zog die Kapuze ihres Umhangs vom Kopf. Sie trug ein tiefrotes Kleid mit goldenen Stickereien an Ärmeln und Ausschnitt, und auf ihrer Brust prangte dasselbe Medaillon, das auch Váneth getragen hatte. Ihr Blick blieb mehrere Sekunden gleichgültig, bis er schließlich doch erweichte. Sie stand auf und legte die Arme um Valion. "Ich bin froh, dass du wohlbehalten zu mir zurückkehrst," sagte sie leise.
"Ich sehe, du hast dir bereits ein feines Netz aus Gehilfinnen zusammengesponnen," meinte Valion. "Ich hatte mich schon gefragt, weshalb eine der Soldatinnen aus Dol Amroth während der Schlacht seltsamerweise ständig in meiner Nähe war."
Seine Verlobte legte den Kopf leicht schief. "Ich habe eine... Beschäftigung gesucht, und gefunden," antwortete sie schlicht. "Meine Mädchen fügen niemandem Schaden zu. Ich hole sie von der Straße und geben ihnen frische Kleidung, genug zu Essen, und ein Dach über dem Kopf. Und im Gegenzug..."
"...spionieren sie für dich," beendete Valion ihren Satz.
"Sie versorgen mich mit Informationen, und leisten mir Gesellschaft, wenn mein Verlobter weit fort ist," korrigierte Lóminîth. "Selbst die Prinzessin ist heutzutage vielbeschäftigt. Ihre Rolle als Herrin von Tolfalas hat sie in den letzten Tage sehr in Beschlag genommen."
"Ist sie etwa zur Insel aufgebrochen? Die Gewässer zwischen Dol Amroth und Tolfalas sind noch nicht endgültig sicher. Ich will sie nicht ein zweites Mal aus Umbar retten müssen..."
"Nein, Lothíriel ist hier. Aber sie hat einfach viel zu tun. Sie nimmt ihre neue Aufgabe sehr ernst."
"Diese Mädchen, wie Váneth... wieviele sind es?" fragte Valion.
"Nur eine Handvoll. Meine Mittel sind natürlich begrenzt. Ich kann nur eine bestimmte Anzahl an Mäulern stopfen. Aber über deine äußerst hilfreiche Schwester bin ich in den Besitz eines schönen großen Hauses in der Nähe dieser Gärten hier gekommen. Frag' mich nicht, was sie getan hat, damit dieser reiche Einfaltspinsel aus Anfalas es ihr für einen Spottpreis überlassen hat. Mir ist es gleich. Die Mädchen haben einen Ort, an dem sie sicher sind, und das ist alles, was in dieser Hinsicht zählt."
"Entdeckst du jetzt etwa deine gutherzige und fürsorgliche Seite?" stichelte Valion. Ein gefährliches Aufblitzen in Lóminîths Augen brachte ihn jedoch rasch zum Schweigen.
"Komm", sagte seine Verlobte. "Ich zeige es dir. Es ist nicht weit."
Während sie die Gärten verließen, musste Valion an Edrahils Worte denken. Ich hoffe, da steckt nicht mehr dahinter, als es scheint. Ich will dir vertrauen, Lómi... enttäusch mich nicht!

Eandril:
Hilgorn hatte das Ende der Besprechung ungeduldig herbeigesehnt, und die Kasernen sofort nach ihrem Ende mit schnellen Schritten verlassen. Je näher er jedoch an sein Ziel kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Seit sie Lamedon verlassen hatten, hatte er nicht länger an Imradon gedacht, und es vermieden, sich seinen Gefühlen wirklich zu stellen. Doch wenn er Faniel sah, würde es sich nicht länger vermeiden lassen, darüber zu sprechen.
Er klopfte an die Tür, und nur wenige Augenblicke später öffnete Faniel. Wie immer, wenn er sie sah, schien sein Herz einen kleinen Sprung zu machen, und ihre Augen strahlten als sie sagte: "Du bist wieder da!" Hilgorn erwiderte das Lächeln, schloss sie fest in die Arme und küsste sie - sittsam auf die Wange, denn aus einem Nebenzimmer kam Iorweth gestürmt, ein wenig langsamer gefolgt von Belegorn. Das Mädchen drängte sich zwischen ihn und Faniel, umarmte sein Bein - höher reichte sie nicht - und Hilgorn strich ihr zärtlich durch den schwarzen Schopf. Mit der anderen Hand winkte er Belegorn zu, der den Anflug eines Lächelns zeigte, seine Hand ebenfalls hob und sofort wieder sinken lies. Hilgorn unterdrückte ein Seufzen. Ihr Verhältnis hatte sich bereits deutlich gebessert seit der Ankunft in Dol Amroth, doch er und sein Neffe hatten noch einen weiten Weg vor sich.
"Ich habe noch gar nicht gehört, dass das Heer zurück ist. Warum hast du mir keinen Boten geschickt?", beschwerte Faniel sich, aber ihr Lächeln zeigte, dass sie nicht wirklich verärgert war.
"Weil ich euch ganz für mich haben wollte", erwiderte Hilgorn, und löste sich sanft aus Iorweths Umklammerung. "Gab es eine große Schlacht?", fragte das Mädchen. "Habt ihr gewonnen?"
"Ja, es gab eine Schlacht", bestätigte Hilgorn, wobei er Faniel nicht aus den Augen ließ. "Und ja, wir haben gewonnen, für dieses Mal." Faniel musste ihm angesehen haben, dass etwas nicht in Ordnung war, denn sie sagte: "Kinder, bitte geht wieder hinaus in den Garten, spielen. Das Wetter ist viel zu schön, um drinnen zu sein." Das entsprach der Wahrheit, denn außer einigen verstreuten Wolken war der Himmel strahlend blau, und eine leichte Brise vom Meer sorgte dafür, dass die sommerliche Hitze nicht zu drückend wurde.
Dennoch ließen sich die Kinder nicht so leicht abspeisen. "Warum?", fragte Belegorn, und Iorweth ergänzte: "Genau. Ihr seid doch auch drinnen." Dann warfen sich die Geschwister einen misstrauischen Blick zu, offenbar verwundert, einmal einer Meinung zu sein.
"Deine Mutter und ich haben etwas zu besprechen, was nicht für eure Ohren bestimmt ist", erklärte Hilgorn, und erwiderte Belegorns rebellischen Blick ruhig. Er kannte diese Haltung von jungen Rekruten, die sich noch nicht an die militärische Hierarchie gewöhnt hatten, und wie erwartet wandte Belegorn einige Herzschläge später den Blick ab, und ging betont langsam den Flur entlang in Richtung der Gartentür davon.
Iorweth warf ihrer Mutter einen flehenden Blick zu, und trottete ihrem Bruder dann langsam hinterher, nachdem Faniel den Kopf geschüttelt hatte.

Als die Kinder im Garten verschwunden waren, wurde Faniels Miene ernst, und sie fragte: "Was ist geschehen? Hast du... ihn gesehen." Hilgorn nickte langsam, hob dann den Kopf und blickte ihr in die Augen. "Er ist tot, Faniel. Imradon ist tot."
Auf Faniels Gesicht spiegelten sich all die widerstreitenden Gefühle wider, die Hilgorn selbst empfunden hatte. Erleichterung, Schock und sogar Trauer - allerdings eine deutlich größere Trauer als bei Hilgorn selbst. Er sah, wie sie die Zähne zusammen biss und ihre Kiefermuskeln zuckten. Dann fragte sie: "Hast du ihn getötet? Oder war es jemand anders?"
"Es war... Valion", erwiderte Hilgorn langsam. "Und er hat..." Faniel hob die Hand, und bedeutete ihm, zu schweigen. "Nein, bitte. Ich..." Sie atmete tief durch. "Ich muss jetzt einen Moment alleine sein, bitte."
Hilgorn nickte, verwirrt. "Natürlich. Sag mir Bescheid, wenn du dich wieder in der Lage fühlst, zu..." Er unterbrach sich, denn sie hatte bereits begonnen, die Treppe ins obere Stockwerk hinaufzusteigen.
Einige Zeit wanderte Hilgorn im Haus umher, beobachtete durch die Gartentür die spielenden Kinder, und bei ihrem Anblick wurde sein Herz schwer. Ihr Vater - sein Bruder - hatte versucht, Hilgorn zu töten, und war dabei selbst getötet worden, und Hilgorn wollte ihre Mutter heiraten. Wie mochte es für sie sein, wenn er ihnen früher oder später davon erzählen musste? Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, und schüttelte den Kopf. Bei den zwei Bäumen, was für ein Durcheinander.
Schließlich hielt er es nicht länger aus, stieg die Treppe hinauf und blieb vor der Tür zu Faniels Zimmer stehen. Sie war nicht ganz geschlossen sondern nur angelehnt, und er glaubte ein verhaltenes Schluchzen aus dem Raum zu hören.
Nach einem kurzen Zögern öffnete er die Tür leise, und trat neben Faniel, die am Fenster stand, die Ellbogen auf den Fensterrahmen gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben. Als er ihr den Arm um die Schultern legte, wehrte sie sich nicht - ein gutes Zeichen.
"Und ich dachte, du hättest ihn nicht geliebt", sagte Hilgorn, und konnte eine leichte Bitterkeit nicht aus seiner Stimme heraushalten. Er wusste nicht recht, was er fühlen sollte - Mitleid, Eifersucht, oder Scham, dass sie offenbar mehr um seinen Bruder trauerte als er selbst? Faniel hob den Kopf, und wandte ihm ihr tränennasses Gesicht zu. "In letzter Zeit nicht, aber als wir geheiratet haben? Ich habe ihn nie so geliebt, wie dich jetzt, aber... damals habe ich zumindest etwas ähnliches gefühlt. Zumindest bis nach Belegorns Geburt, als er hatte... was er wollte." Mit der freien Hand wischte Hilgorn ihr sanft eine Träne von der Wange. Die wenigen Worte hatten alle Zweifel, die ihn kurz überfallen hatten, fortgewischt.
"Und er ist immerhin der Vater meiner Kinder", sprach sie leise weiter. "Also trauere ich um ihn - nur heute, nur dieses eine Mal."
"Ich verstehe", sagte Hilgorn, und es war nicht gelogen. Er hatte Imradon nicht beweint, doch er hatte auch nicht mit ihm zusammengelebt, und ihr Verhältnis war ohnehin nie gut gewesen. Trotzdem hatte er um seinen ältesten Bruder getrauert, allerdings eher aus Pflichtgefühl und aus dem Wissen heraus, was das für seine Mutter bedeuten würde, die all ihre Söhne, ungeachtet ihrer Fehler, immer geliebt hatte.
Faniels Tränen waren versiegt, als sie fragte: "Also... wie ist es geschehen?"
"Er war beim feindlichen Heer", erzählte Hilgorn. "Ich hatte ihn zu Beginn der Schlacht nicht gesehen, sondern erst später. Ich bin zu Boden geschlagen worden, und plötzlich war er da. Er drohte mich zu töten, und wollte dich und Belegorn wiederhaben. Ich... konnte mich nicht wehren, und ich weiß ehrlich nicht, ob ich ihn hätte töten können. Aber dann war Valion da, und... hat ihm den Kopf abgeschlagen. Er hat also nicht gelitten."
"Das ist gut", erwiderte Faniel, und bette den Kopf an seine Schulter. Sie hatte nicht wieder zu weinen begonnen, als er von Imradons Tod erzählt hatte, und sagte nun: "Ein Teil von mir hat sich seinen Tod gewünscht, damit ich frei bin... aber ich wollte nie, dass er leiden muss, trotz allem was er getan hat."
"Du bist eben ein guter Mensch", murmelte Hilgorn, und presste die Lippen gegen ihre Schläfe. Er vergrub die Gefühle des Hasses und der Rache, die er gegenüber Imradon zwischenzeitlich gehegt hatte, tief.
"Wenn du das sagst, ist es genug für mich", meinte Faniel, und küsste ihn, mit dem Hunger und der Leidenschaft einer Frau, die ihren Mann mehrere Jahre nicht gesehen hatte. Als sie sich voneinander lösten, lächelte sie wieder, und die Erleichterung darüber war so groß, dass sie Hilgorn beinahe schmerzte.
"Weißt du, was das heißt?", fragte sie, und Hilgorn nickte. "Du bist frei, um erneut zu heiraten."
"Nach angemessener Trauerzeit natürlich", gab Faniel zurück, und eine Spur von Schalk hatte sich in ihre Augen geschlichen. "Die in Anbetracht der Umstände allerdings nicht allzu lange dauern dürfte..."
"Hm", machte Hilgorn, lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme. "Wie wäre es mit... einem Tag?" Faniel lachte, und es war das schönste Geräusch, dass er seit langem vernommen hatte. "Du bist wirklich unmöglich. Also was ist, willst du mich heiraten?"
Hilgorn stockte kurz, bevor er meinte: "Sollte... ich nicht derjenige sein, der diese Frage stellt?"
"Mag sein. Mir egal", gab Faniel zurück. "Also?"
Hilgorn grinste, zog sie fest an sich und hob sie von den Füßen. "Da fragst du noch. Natürlich will - und werde - ich dich heiraten." Er wirbelte sie einmal lachend im Kreis, und als er sie wieder auf die Füße stellte, küsste sie ihn.

"Wir sollte nicht zu lange damit warten", meinte Hilgorn schließlich. "Immerhin ist Krieg, und man weiß nie..." "Rede nicht davon", unterbrach Faniel ihn, und ihre grauen Augen blickten ernst. "Ich weiß, worauf ich mich einlasse."
Der Zauber des Augenblicks war verflogen, und Hilgorn sagte leise: "Es gibt beunruhigende Nachrichten aus dem Osten. Es könnte sein, dass der Krieg bald wieder ganz ausbricht, und ich nach Osten an den Gilrain muss."
"Wie gesagt, ich weiß, worauf ich mich einlasse", erwiderte Faniel scharf, doch sofort wurde ihre Miene wieder weicher. "Tut mir leid. Ich weiß, dass du mich nur auf das Unausweichliche vorbereiten willst."
"Ich will nicht noch einmal so fortgehen wie letztes Mal", erwiderte Hilgorn. "Plötzlich und unerwartet." "Das ist das Schicksal, wenn man einen Soldaten liebt", sagte Faniel mit traurigem Lächeln. "Aber solange du immer wieder nachhause kommst, kann ich es aushalten." Ihre Miene verdüsterte sich noch ein wenig mehr als sie sagte: "Ich muss es den Kindern erzählen. Was passiert ist."
"Ich helfe dir", sagte Hilgorn, und nahm ihre Hand. "Immerhin war ich dort." Und schließlich war er derjenige, der dafür gesorgt hatte, dass Imradon Tíncar hatte verlassen müssen. Damit war er direkt verantwortlich dafür, dass sein Bruder in Morthond sein Ende durch Valions Klinge gefunden hatte, doch das erwähnte er nicht.

Iorweth nahm die Nachricht vom Tod ihres leiblichen Vaters beinahe gleichmütig auf. Imradon hatte seiner Tochter nie viel Beachtung geschenkt, und wenn, dann war er abweisend und kalt gewesen. So hatte sie nie viel Zuneigung zu ihm entwickeln können, und die Tatsache, dass er nun nicht nur fort, sondern auch tot war, schien sie wenig zu berühren. Belegorn hingegen lauschte Hilgorns stockender Erklärung schweigend, und nur eine einzige Träne stahl sich aus seinem Augenwinkel. Hilgorn konnte nicht umhin, die Beherrschtheit seines Neffen zu bewundern.
Als Hilgorn zu Ende geredet hatte, war Belegorn ohne ein weiteres Wort im Haus verschwunden, und Hilgorn war ihm einige Zeit später gefolgt. Als Hilgorn das Zimmer der Kinder betrat, richtete Belegorn sich mit einem Ruck aus seiner liegenden Position auf und setzte sich auf die Bettkante. Dann wischte er sich mit einer trotzigen Bewegung die Tränen weg, zog die Nase hoch, und blickte Hilgorn feindselig entgegen.
Hilgorn setzte sich ihm gegenüber auf die Kante von Iorweths Bett und sagte: "Es ist in Ordnung, um deinen Vater zu trauern."
"Ich brauche eure Erlaubnis nicht", gab Belegorn feindselig zurück. "Ihr habt ihn ja ohnehin nicht ausstehen können, also seid ihr vermutlich froh darüber, dass er... tot ist."
"Imradon und ich mögen nicht gut miteinander ausgekommen sein, schon seit Kindheit an", begann Hilgorn langsam. "Aber er war trotz allem mein Bruder. Ich habe ihn nie wirklich gehasst, und auch ich habe um ihn getrauert."
"Ach." Es war ein hässlicher Laut. "Und jetzt habt ihr ja euer Ziel erreicht, und könnt mir Tíncar wegnehmen - wie er es gesagt hat."
Hilgorn seufzte. "Belegorn, ich habe es dir damals gesagt - ich will Tíncar nicht. Es steht dir zu, nicht mir. Und selbst wenn, käme vor mir noch immer dein Onkel Aldar an die Reihe."
"Und was ist mit meiner Mutter?", fragte der Junge, und zum ersten Mal zitterte seine Stimme ein wenig. "Die wollt ihr mir aber wegnehmen. Ich bin nicht dumm, ich weiß, was ihr..."
"Du hast recht", erwiderte Hilgorn leise. "Ich liebe deine Mutter, und sie liebt mich. Eines Tages werden wir auch heiraten, aber: Du und deine Schwester, ihr seid ihre Kinder. Und sie wird niemals aufhören, ihre Kinder zu lieben oder für euch da zu sein. Ich will dir deine Mutter nicht wegnehmen, und..." Er überlegte einen Moment, während Belegorn seinem Blick schweigend auswich. "Ich kann nicht dein Vater sein, und ihn auch nicht ersetzen", sagte er schließlich. "Aber was auch immer geschieht, ich bin noch immer dein Onkel, und ich kann, wenn du es versuchen willst, dein Freund sein. Dann könnten wir sicherlich miteinander auskommen."
Noch immer stand Misstrauen in Belegorns Augen, als er Hilgorns angebotene Hand betrachtete. "Aber ihr habt meinen Vater gehasst - das hat er gesagt."
"Du bist nicht dein Vater, Belegorn", erwiderte Hilgorn, ohne die Hand zurück zu ziehen. "Was auch immer zwischen mir und ihm war, betrifft dich nicht. Bist du bereit, mir eine Chance zu geben."
Zögerlich ergriff Belegorn seine Hand, und ließ sie sofort wieder los. "Ihr werdet mir das Kämpfen beibringen."
Was wird Faniel nur dazu sagen... dachte Hilgorn, nickte aber ohne zu Zögern. "Wenn ich die Zeit dazu finde, und sonst werde ich dafür sorgen, dass es jemand anders tut. Aber nur unter einer Bedingung."
"Was?", fragte Belegorn vorsichtig, und Hilgorn grinste in sich hinein. Er wusste, er hatte gewonnen.
"Du wirst aufhören, gemein zu deiner Schwester zu sein. Du musst sie ja nicht alles so machen wie sie will, aber ein bisschen netter zu ihr sein, und vielleicht auch mal mit ihr spielen, wenn du eigentlich keine Lust dazu hat. Immerhin sind du und deine Mutter das einzige, was ihr geblieben ist."
Belegorn sah einen Moment zu Boden, und sagte dann so leise, dass es beinahe ein Flüstern war: "Ich will eigentlich gar nicht gemein zu ihr sein. Aber... mein Vater war immer so zu ihr, und ich dachte, ich müsste so sein, wie er."
"Du musst nur so sein, wie eine einzige Person", erwiderte Hilgorn, und stand von der Bettkante auf. "Du selbst."
Als Belegorn seinen Blick erwiderte, hatte er das erste Mal das Gefühl, dass es tatsächlich etwas mit ihnen werden konnte - dass er, Faniel und ihre Kinder, tatsächlich eine Familie sein konnten.

Hilgorn zum Palast...

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