Der schwarzhaarige Elb saß majestätisch auf einem weißen Schimmel, hinter ihm folge ein kleiner Trupp Schwertkämpfer und Bogenschützen. Seine weiße Rüstung schimmerte erhaben, auch wenn sie eher schlicht gehalten war. Der Schimmel diente mehr seiner eigenen Arroganz - er war schon immer ein schlechter Reiter. Doch für dieses Gefühl der Überlegenheit könnte er sterben.
Er war von Thranduil gebittet worden, dem hohen Rat zu Elrond beizutreten - ebenso wie sein Sohn Legolas. Dieser ist einige Tage vorher losgerissen worden, die Entscheidung zu Gunsten Liutasils kam nach einem Scharmützel, in welchem er seine Gegner gottgleich niedergemacht hatte. Er könnte dem Rat sicherlich weiterhelfen, hat Thranduil gesagt.
"Herr, wir sollten eine Rast machen. Die Männer sind müde und hungrig", sagte ein junger Elb namens Eldarion. Liutasil hatte ihn ins Herz geschlossen, Eldarion war eine echte Kämpfernatur. Warum er aber einen so großen Trupp übernehmen musste war Liutasil schleierhaft - das würde ihm doch nur die Geschwindigkeit nehmen. Aber es war zu gefährlich den Hohen Pass zu nehmen, aber Liutasil musste den kürzesten Weg nehmen, um Legolas noch aufholen zu können.
"Unmöglich, Eldarion. Wir müssen in zwei Tagen bereits in Bruchtal sein, eine Pause ist verzichtbar. Essen könnt ihr auch im Gehen!"
Eldarion sah ihn an. "Wir essen im Gehen - wie barbarisch. Das passt nicht zu Elben, lieber hungern wir." Die Ehre dieses Jungen verwunderte Liutasil nicht zum ersten Mal, häufiger hatte er schon durch solche Sprüche auf sich aufmerksam gemacht. Übermut oder Ehre, noch wusste er nicht genau was es war. Bald würde er es erfahren.
Die Schneestürme wurden stärker. Die Männer froren zwar nicht (das verbat ihre elbische Zauberkunst), doch es zehrte an ihren Kräften. Er müsste wohl doch eine Rast machen ...
Die Höhle einige Meter vor ihm erschien ihm dafür richtig. Sie war groß und - augenscheinig - leer. Er lotste sein Pferd hinein und befahl seinen Männern, ihm zu folgen. Im hinteren Teil unterhielten sich gerade die Elben, die für die Lebensmittelversorgung zuständig waren, als es geschah: Mit einem gewaltigen Satz sprang ein Troll des Nordens von der Anhöhe über der Höhle. Sofort riss er die Elben entzwei, das Essen regnete durch Luft und verteilte sich im Schnee. Der Schrei des Trolls war markerschütternd, doch Liutasil und Eldarion zogen sofort ihre Schwerter. Ui - Gemrynd glühte beinahe vor Vorfreude, während er auf das Tier zustürmte. Die Männer hinter ihm spannten ihre Bögen.
Der Troll hieb zuerst auf Eldarion ein. Dieser duckte sich geschickt und hackte in einem Atemzug auf die Hand des Trolls ein, die schnell nachgab. Sie landete neben dem Essen auf dem Schnee. Liutasil hieb ihm das Schwert in den bauch, was das Getier aber nicht beeindruckte: Es schlug Liutasil mit der bloßen Hand zu Boden. Dann surrten Pfeile durch die Luft. Brüllend schaute der Troll auf seinen Brustkorb, der gespickt voller gefiederter Pfeile war. Er hieb wild um sich, Liutasil und Eldarion flohen verzweifelt in die Höhle, der Troll kam schnell näher ...
und krachte gegen den Eingang. Das Beben reichte aus, um die Höhle erzittern zu lassen. Langsam bröckelte Stein für Stein vor den Eingang, ein Elb, der geistesanwesend genug war nach draußen zu rennen, wurde von der Lawine zermalmt. Der Eingang war verschlossen.
"Was nun? Diese Steine bekommen wir nie weg."
"Sei still Eldarion, ich muss nachdenken."
Wie sollten sie hier je wieder rauskommen? Die Höhle war nur wenige Meter in die Tiefe gegangen, einen Ausgang gab es nicht - nicht mehr.
"Männer, wir rasten erstmal, holt die Lembas Brote heraus."
Die Männer riefen nach zwei Elben, doch dann fiel es ihnen auf: Die Beiden, die dafür zuständig waren, fielen dem Troll als erstes zum Opfer. Kein Essen, keine Chance herauszukommen, es wartete nur der Tod.
Es dauerte zwei Tage bis der Wahnsinn los ging. Zuerst rannte seine Kompanie sinnlos gegen die Felsen und versuchte, sie zu verdrängen. Dann schlugen sie auf die Felsen ein, doch weder ihre Fäuste noch ihre Schwerter konnten etwas ausrichten.
Eldarion und Liutasil blieben ruhig.
"Unser Ende ist nah, Liutasil. Wir sterben gemeinsam, doch nicht in der Schlacht. Dies ist nicht das Ende eines Kriegers, sondern das eines Verlierers." Die Männer brachen erschöpft zusammen. Ihr ende war gekommen.
"Das wird wohl unsere lettzte Nacht, Eldarion."
Sie kamen bei Nacht. Während alle schliefen, begannen die Wände sich zu bewegen. Eine wache Person hätte es wahrscheinlich als Halluzination interpretiert, doch es wäre ihr Tod gewesen. Die Wand drehte sich, und heraus kamen Orks. Nicht viele, wahrscheinlich nur ein Späh Trupp, doch die übermüdeten Elben bemerkten sie nicht. Der erste Schrei war der Eldarions, der direkt neben Liutasil lag. Zwei Orks standen über ihm, und rissen ihm das Fleisch von den Knochen. Der Schrei überraschte selbst die Orks - waren die Elben nicht tot? Liutasil erspähte zwei weitere Orks bei seinen Mannen. Sein Schwert enthauptete den ersten Ork über Eldarion, der zweite bekam es unter der Gürtellinie zu spüren. Sein Bein fiel auf Eldarion. Die anderen zwei Orks starben genau so schnell wie sie gekommen waren, doch Liutasil sah, dass die meisten seiner Männer im Schlaf verhungert waren.
Eldarion röchelte leise. "Nein!"
Liutasil legte die Arme um seinen Kopf und versuchte ihn hochzuhiefen, doch die Wunden waren tief und Eldarion würde wohl nicht überleben.
"Ich will nicht sterben."
Liutasil sah ihm tief in die Augen. "Das wirst du nicht ..."
"Ich weiß es wie du. Und ich weiß, dass du dafür verantwortlich bist. Warum hast du uns hierrein gelockt? Es war alles deine Schuld, du verräter ... Du hast mich umgebracht ..."
Liutasil sah ihn an. Er zog die Arme ruckartig zurück, und Eldarions Kopf schmetterte gegen die Felswand. Er blieb reglos liegen. Liutasil stürmte aus der Höhle, der Trickgang war noch offen, der Ausgang war nah. Er stürmte heraus und sah die zugeschüttete Höhle. Langsam zog er das Essen aus dem Schnee, es war eiskalt, doch schmeckte köstlich.
"Der bessere gewinnt. Du warst eher der Übermut als die Ehre."
In diesem Moment zerbrach etwas in Liutasil. Es gibt etwas empfindliches in jedem Lebewesen, und Liutasil verlor es an jenem Abend. Die tausend Teile, in die es zersprang, machten Liutasil irrational. Er kann brutal sein, jeden seiner Gegner angreifen, ohne grund.
Oder hasserfüllt, wenn er die Zwerge für den Tod seines Vaters verantwortlich macht. Hinterlistig, wenn er von bestimmten personen etwas will. Oder heldenhaft, wenn er für die Leute, die ihm etwas bedeuten, sein leben geben würde.
Und es gibt die Momente völliger Klarheit, in dem sich sein Geist wie ein Puzzle zusammensetzt. In diesen Momenten weiß er, das er auf dem falschen Weg ist, doch die Erleuchtung verschwindet schnell wieder, und seine Persönlichkeit zerspringt.