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Autor Thema: Das Tal von Dalvarinan  (Gelesen 18420 mal)

Curanthor

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Das Tal von Dalvarinan
« am: 13. Mai 2017, 17:55 »
Aglarân aus dem geheimen Versteck im eisigen Norden

Es war kühl und er wusste für einen Moment nicht, wo er sich befand. Aglarân öffnete die Augen und sah, dass er sich in einem Zelt aus Hölzern und Sträuchern befand. Scheinbar hatten die geheimnisvollen Bewohner des Eises ihn am Rand der Schneegrenze abgesetzt. Eigentlich hatte er ihnen zugetraut, dass sie ihn einfach in der Wildnis abwerfen und nicht sorgfältig versteckt und geschützt ablegen. Stöhnen tastete er zur Seite und spürte etwas Warmes und Weiches unter seinen Finger. Ein rascher Blick verriet ihm, dass er Iva über das Gesicht strich. Die Söldnerin erwachte von der Berührung und blinzelte. Sofort zog er seine Finger zurück und blickte zur anderen Seite, wo sein Helm, Panzerhandschuhe, Schwert und Schild lagen. Ein Schnurren ließ ihn aufblicken und die Katze, die er aus dem Erebor mitgenommen hatte schlich in das Zelt und leckte Iva über das Gesicht. Die Frau lachte kaum hörbar und streichelte das Tier. Aglarân wunderte sich darüber, dass es die ganze Reise unbeschadet überstanden hatte und nun eher an der Frau hing. Doch neidisch war er nicht.
"Wo sind wir?", erklang die schwache Stimme Ivas, als sie sich aufsetzte. Er zuckte mit den Schultern und musste sich noch immer daran gewöhnen, dass sie sprechen konnte. Stöhnen rieb sie sich den Hinterkopf, wo sie beide getroffen wurden um sie bewusstlos zu schlagen. Dafür, dass sie den eisigen Ort hatten verlassen dürfen, war es ein geringer Preis, genauso wenig wie irgendwo in der Wildnis abgesetzt zu werden. Nachdenklich spitzte er die Ohren und die Geräusche des Waldes drangen an seine Ohren: das Singen von Kleinvögel, das Sirren und Zirpen der Insekten. Ganz entfernt nahm er sogar das Plätschern von Wasser wahr. Mühsam richtete er sich auf und zog sich seine Panzerhandschuhe an. Als er soweit war, packte Aglarân seine restlichen Sachen und krabbelte aus dem Unterschlupf heraus. Iva folgte ihm sogleich und gemeinsam sahen sie sich um. Sie standen an einem Berghang, der von mehreren Bäumen beherrscht wurde. Offenbar befanden sie sich am Fuße eines Gebirges, von dem er aber noch nie gehört hatte.
"Weiß du, wo wir sind? Ich kenne mir in der Wildnis aus, aber von diesem Ort habe ich noch nie gehört", überwand er seine Abneigung zu sprechen und wandte sich an Iva. Vor ihnen lag ein weites, bewaldetes Land. Die Bäume standen in einem saftigen Grün, unabhängig von der Jahreszeit. Die Söldnerin überlegte eine Weile und trat an einen der Bäume und betastete das Moos.
"Nordseite...", murmelte sie nachdenklich und blickte nach Süden. Aglarân folgte ihrem Blick und sah dutzende Berghänge des Gebirges, das er nicht kannte.
"Wir sind weit im Osten", stellte Iva nüchtern fest und ging zurück zu dem Holzunterschlupf, wo sie ein Bündel mit ihren Habseligkeiten herauszog, "Ich schätze, dass wir an dem östlichsten Gebirgszug von Mittelerde sind. Meine Familie hat oft von diesen Ort erzählt, da es hier in den Bergen Unmengen an Gold geben soll."
Während sie sprach, schlüpfte die Katze in ihren Beutel, den sie sogleich schulterte.
"Zwar kenne ich mich hier nicht so aus, aber wenn wir diesem kleinen Bach dort folgen, sollten wir an einen größeren Strom ankommen und von dort aus nach Süden ziehen."
Aglarân musste sich eingestehen, dass er Iva bisher vollkommen unterschätzt hatte. Dafür, dass sie sich "kaum" auskannte, wusste sie nach einigen Momenten wo sie war und wohin sie gehen musste. Er selbst hatte noch nie von diesem Ort gehört und wollte schon fragen, warum denn keine Goldsucher in diesem Gebirge sind, wenn es so reich sein sollte, verkniff es sich aber und sagte stattdessen: "Gut, dann geh vor, " er zögerte einen Moment und besann sich drauf, dass sie wohl kaum noch in seinen Diensten stand und setzte ein kaum hörbares "Bitte" nach.
Iva blickte ihn überrascht an und zog sich ihr Halstuch über den Mund, sodass nur ihre Augen zu sehen waren. Ihr Pony ging ihr knapp über die Brauen und verdeckt den Rest ihres Gesichts. Aglarân wandte den Blick ab und zog sich seinen eigenen Helm über den Kopf. Mit einer Hand strich er den Rosshaarbusch zurück und mit der Anderen seinen Mantel glatt. Dabei bemerkte er, dass der Stoff von Kletten durchsetzt war und entfernte sie im Gehen. Mit großen Schritten folgte er Iva, die auf den kleinen Bach zuhielt, der ruhig vor sich hin plätscherte. Das Geräusch hatte etwas Beruhigendes für ihn, denn in Mordor gab es sowas nicht. Sofort verdrängte er den Gedanken an diesen Ort und zog eine unzufriedene Grimasse. er würde dort nicht zurückkehren. Die Worte der fremden Frau im Eis hallten in seinen Gedanken wieder: "Du denkst, du bist dein eigener Herr? Was hast du denn erreicht? Du bist nur ein jämmerlicher Befehlsempfänger wie jeder andere unter der Fuchtel des Auges."
Aglarân schüttelte zornig den Kopf und ballte die gepanzerte Hand zur Faust, sodass die eisernen Glieder knirschten. Er würde kein Befehlsempfänger mehr sein, das hatte ihm die außergewöhnliche Begegnung deutlich klar gemacht.
Seine schweren Schritte ließen einige Äste knacken, während Iva sich beinahe lautlos durch den lichten Wald bewegte. Nach einigen hundert Schritt erreichten sie den Bach, dessen klares Wasser sich durch ein steiniges Bett schlängelte. Iva kniete an dem Bach nieder und ließ die Katze aus dem Bündel, die sofort freudig zu trinken begann. Aglarân beobachtete dabei ein versonnenes Lächeln auf dem Gesicht der Frau und fragte sich, was daran so schön war. Es war nur ein Tier und er selbst hatte Durst. Er löste eine seiner Trinkflaschen vom Gürtel und dachte kurz nach, ehe er die zweite Flasche ebenfalls löste. Stumm reichte er sie Iva, die mit einem dankenden Nicken annahm. Schweigend füllten sie ihre Wasserflaschen und genossen das Plätschern des Baches. Als ihre Wasservorräte gefüllt waren, machten sie sich auf den Weg und folgten dem Verlauf des Baches. Dabei achtete er etwas mehr darauf, wie er sich bewegte und weniger Lärm machte. Aglarân musste schnell feststellen, dass es gar nicht so einfach war.

Den ersten Tag wanderten sie beinahe ohne drei Sätze zu wechseln dem Bach entlang, dessen Verlauf sich durch den Stein gegraben hatte. Sie passierten einen dichten Wald und sahen einige wilde Tiere, beschlossen aber nicht jagen zu gehen, da sie wahrscheinlich mehr Kraft verbrauchen, als Erfolg haben würden. So versuchten sie so viel Strecke wie möglich zu schaffen. Während sie durch die Wälder liefen und dem Bach folgten, ging ihm immer wieder das Gespräch mit der Fremden durch den Kopf. "Doch zeigt es mir, dass du nicht komplett in der Dunkelheit gefangen bist."
Hat sie wirklich Recht? , fragte er sich im Gedanken und wich einem der immer dicker werdenden Bäume aus, "Ich wurde in der Dunkelheit geboren... hat es nicht auf mich abgefärbt? Habe ich nicht all die Dinge getan..."
Natürlich konnte er sich die Fragen nicht beantworten und schob sie unzufrieden zur Seite. er stellte sich vor, all seine Fragen und Unsicherheit einfach aus seinen Gedanken herauszuschmeißen, doch leider war es nicht so einfach. Selbst als Iva bei Einbruch der Dämmerung vorschlug ein Lager aufzuschlagen, war er noch immer mit seinen eigenen Sorgen, Zweifel und Zorn beschäftigt. Grübelnd half er ihr einen ähnlichen hölzernen Unterschlupf aus Stöcken und Ästen zu bauen. Dabei bemerkte er, dass sie ihn merkwürdig anblickte. Selbst als sie fast das gesamte Material zusammen hatten, warf sie ihm noch immer Blicke zu. Auf einen unzufriedenes Grunzen hin fragte sie zögerlich: "Schlafen wir in einem Unterschlupf oder getrennt?"
Aglarân runzelte die Stirn und sah den Sinn nicht hinter ihren Worten. "Warum Material verschwenden und doppelt Holz sammeln, wenn es in einem schon mal geklappt hat", antwortete er mit einem Stirnrunzeln. Fast war er sich sicher, das Iva manchmal etwas sonderbar sein konnte. Die Söldnerin nickte zögerlich und band die Stöcke mit Fasern zusammen, die sie von Pflanzen gesammelt hatte. Aglarân schaute sich die Handgriffe bei ihr ab und tat es ihr gleich, bis sie genug zusammen hatten, damit sie eine flache Hütte bauen konnten. Als auch diese stand, suchten sie trockenes Holz für ein kleines Lagerfeuer um wilde Tiere abzuhalten. Aglarân tastete dabei nach seinem Beutel und zog seine Feuersteine hervor. Dabei bemerkte er, dass sein Proviant von den geheimnisvollen Bewohnern des Eises aufgefüllt wurde.

Während die Sonne langsam am Horizont versank und den Himmel in ein kräftiges färbte, prasselte ihr Lagerfeuer vor sich hin. Er ärgerte sich, dass das Holz nicht gut brannte, aber es reichte um zu wärmen. Iva saß auf einem Baumstamm ihm gegenüber und hielt an einem Stock etwas von ihrem Proviant über die Flammen. Auf einem Blick von ihm sagte sie: "Ich mag Fleisch nur, wenn es warm ist, sonst esse ich es nicht." Er nickte und schob es auf den Geschmack, der unterschiedlich war. Ihm war es egal was er aß, es musste nur gut den Magen füllen. Nachdem sie fertig gegessen hatten und beschlossen auf Risiko zu gehen und keine wache zu halten, legte sie sich schlafen. Somit endete der erste Tag ihrer langen Reise, von der Aglarân ahnte, dass es sehr lange dauern würde. Als er dort lag und kurz vor dem Einschlafen war, wurde ihm bewusst, dass Iva eigentlich keinen Grund mehr hatte ihm zu folgen. Grübelnd, warum sie noch bei ihm war, schlief er ein.
« Letzte Änderung: 31. Mai 2017, 08:09 von Fine »

Curanthor

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Aglarâns Reise nach Süden II
« Antwort #1 am: 22. Mai 2017, 01:30 »
Am darauf folgenden Morgen wurden sie von Vogelgezwitscher geweckt. Aglarân und Iva erwachten beinahe gleichzeitig und nickten sich zum Gruß, ehe sie begannen das Lager abzubauen. Dabei stellten sie fest, dass ihr Lagerfeuer noch immer glomm. Er löschte es rasch und streckte sich, während Iva einen Schluck Wasser trank.
"Wann werden wir an dem ersten Dorf vorbeikommen?", fragte er beiläufig und strich seinen Mantel glatt.
Iva zuckte mit den Schultern und stapelte die zusammengebundenen Pflanzen- und Holzstöcke unter einem Busch. Er kommentierte ihr Tun nicht und wartete, bis sie aufbrechen konnten. Es dauerte auch nicht lange, da marschierten sie aus dem kleinen Wald hinaus, auf eine lange, grüne Wiese hinaus. Vor ihnen wand sich der Bach, der nun etwa zwei Schritt maß, eine idyllischen Abhang hinab. Sie folgten dem Verlauf des Wasserlaufes und sprachen kaum. Am Fuße des Abhangs lag ein weiterer kleiner Wald, am Horizont konnte man sehen, wie der Bach zu seinem Fluss anschwoll.
Iva deutete auf den Fluss und sagte: "Später mündet ein weiterer Fluss in diesen hier und wird zu einem großen Strom, der in das Meer mündet."
Aglarân nickte stumm und marschierte weiter, ehe er sich dazu durchrang zu fragen: "Ist es vielleicht der Fluss, der bei Eryan im Meer mündet?"
Iva nickte nach kurzen Überlegen und zögerte kurz, ehe sie sprach: "Ja, vorher werden wir Kushan passieren. Auch wenn ich diesen Landstrich gern umgehen würde."
"Warum?", fragte Aglarân sofort und runzelte die Stirn, was sie aber durch seinen Helm nicht bemerken konnte.
"Dort in den Wäldern... wurde irgendwas entfesselt...", antwortete Iva murmelnd und schien nicht darüber sprechen zu wollen.
"Ich schätze, wir müssen trotzdem dadurch?", erkundigte er sich mit angespannter Stimme. Die Aussicht auf irgendwelche wilden Bestien gefiel ihm nicht sonderlich. Außerdem würden sie durch die lange Wanderung geschwächt sein und würde nicht auf voller Kraft kämpfen können. Aglarân schüttelte unmerklich den Kopf, als er bemerkte, dass er für zwei rechnete.
"Der bei den Wäldern von Kushan gibt es die einzige große Brücke über den Zustrom des großen Flusses", erklärte Iva widerwillig und zog ihr Halstuch herunter, da es mittlerweile Mittag war. Ihre sanft geschwungenen Lippen waren leicht rissig, da sie durch eine unausgesprochene Übereinkunft ihr Wasser aufteilten. Sie wussten nicht, bis wann der Wasser des Bachs noch trinkbar war und so achteten sie darauf, wie viel sie tranken.
"Und diese große Brücke... würden wir dort nicht auffallen?", fragte er nachdenklich und spielte mit den Gedanken einen anderen Weg einzuschlagen.
Für einen kurzen Moment lächelte die Söldnerin, was Aglarân überrascht eine Braue heben ließ, da sie sonst nie eine Regung zeigte.
"So gesprächig wart Ihr ja noch nie", sagte sie und schüttelte rasch den Kopf, "Nein, dort verkehren Menschen aus allen Herren ländern. Man wird uns für Goldgräber halten." Auf einen Blick hin fügte sie leiser hinzu: "Oder eine hochnäsige Schnepfe mit ihrem Leibwächter."
"Leibwächter?", wiederholte Aglarân mit durchdringenden Zweifel in der Stimme und ballte seine gepanzerte Hand zur Faust.
Iva lächelte erneut und strich sich eine lange Haarsträhne aus dem Gesicht. "Die Menschen des fernen Osten sind sehr eigen. Ich glaube, das könnten wir auch über den fernen Westen sagen."
Er bemerkte, dass sie damit auch von sich selbst gesprochen hatte und somit seinen Verdacht bestätigte. Aglarân schwieg jedoch und wartete darauf, dass sie weitersprach, doch blieben sie für den restlichen Verlauf des Tages still.

Er hatte keine Lust nachzubohren und drehte sich um. Das gewaltige Gebirge hinter ihnen wurde nur langsam kleiner und einzelne Wolkenfetzen krochen die Hänge hinab. Kurz fragte er sich, wie die eisigen Wächter sie hier her gebracht hatten, schob den Gedanken aber beiseite. Ihm war klar, dass er nie darauf eine Antwort erhalten würde. Iva schien auch in Gedanken zu versunken, auch wenn er am Mittag des Tages den Eindruck gehabt hatte, dass sie lebhafter wurde. Schweigend stapften sie in die Stille der Dämmerung, begleitet von den Geräuschen der Natur und dem Plätschern des Baches.

Kurz bevor sie von völliger Dunkelheit umgeben waren, schlugen sie erneut ein Nachtlager auf. Da es jedoch keinen Wald gab, sondern nur ein flach abfallendes Gelände, lagerten sie bei einer Gruppe von Steinen. Der Windschutz war ganz gut, trotzdem machten sie kein Feuer und jeweils einer blieb wach. Weiter außerhalb der Ausläufer konnten sie sich nicht mehr sicher sein, auch wirklich alleine zu sein.

Am nächsten Morgen war ihnen klar, dass die Wache umsonst war. Ihr kleines Lager war unberührt und eine tägliche Routine stellte sich ein: aufstehen, nickend grüßen und eine Kleinigkeit essen. Dann tranken sie Etwas und bauten das kleine Lager ab. Nach nur wenigen Momenten der Ruhe machte sie sich wieder auf dem Weg. Mittlerweile war der Abhang nicht mehr ganz so steil und vermehrt mischten sich zu den Nadelbäumen auch Laubbäume. An einem Abhang erblickte er sogar eine verlassene Hütte. Iva erklärte knapp, dass es ein Rest einer Bergmannshütte war. Das war das Einzige, was sie an diesem Tag an Wörter wechselten. Sie schritten in einem gesunden Tempo durch die Landschaft und Aglarân fühlte sich nach einer langen Zeit endlich frei. Zwar hatte er Iva dabei, die ihn immer wieder an diesen unseligen Auftrag erinnerte, doch hatte er hier weitab im Osten endlich das Gefühl, das zu tun, was er wollte. Natürlich erinnerte sie ihn nicht bewusst daran, sondern eher, wenn er sie anblickte. Sie bemerkte seinen Blick und zog sich rasch das Halstuch wieder bis über die Nase. Er bemerkte, dass sie sich gern versteckte, in der Mittagshitze aber öfters ihren Helm abnahm. Aglarân wunderte sich darüber, dass es ihn irgendwie amüsierte, dass sie sich ebenfalls versteckte. Das tat er sonst immer und zeigte nie sein Gesicht. Hin und wieder bemerkte er, dass sie versuchte durch das Kreuzvisier seines Helmes zu linsen. Wenn er aber den Kopf zu ihr drehte, tat sie stets so, als ob nichts wäre.
Das Spiel empfand Aglarân als eine nette Abwechslung, was er sich selbst aber nie eingestehen würde. Sie zogen durch kleine Wäldern und saftige Wiesen, sahen nur selten Wild oder andere Tiere und schon gar keine Menschen. Hin und wieder fragte er sich, warum hier niemand lebte, wollte aber nicht Iva fragen und somit die Stille stören.

« Letzte Änderung: 25. Mai 2017, 21:51 von Curanthor »

Curanthor

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Aglarâns Reise nach Süden III
« Antwort #2 am: 25. Mai 2017, 23:02 »
Etwas mehr als eine Woche wanderten sie durchgehend dem Fluss entlang, dessen Namen sie nicht kannten. Aglarân war sich nicht sicher, ob Iva ihm es nicht sagen wollte, oder ob sie es wirklich nicht wusste. Auf ihren Weg begegneten sie keinen anderen Reisenden, das wollten sie auch gar nicht. Sie achteten darauf, dass sie nicht auffielen und mieden Dörfer. Auch wenn sie am dritten Tag in Nachts ein Dorf betraten um Lebensmittel zu stehlen, blieb es doch die Ausnahme.

Anhand des Wetters erklärte Iva, dass es langsam Sommer wurde und es in dem fernen Osten sehr warm werden konnte. Am fünften Tag ihrer Reise musste Aglarân die zusätzlichen Felleinlagen seiner Rüstung entfernen, da es selbst in der Nacht nicht mehr so kalt wurde. Je weiter sie in Richtung Süden vordrangen, um so trockener wurde die Luft. Er bemerkte das vor allem an ihren Wasservorräten, auf denen er stets ein Auge hatte. Iva dagegen kümmerte sich um ihre Nahrung, da sie überraschend gut auf der Jagd war. Oft waren es nur Kleintiere, doch Aglarân bemerkte, dass seine Begleiterin sehr erfahren war. Sie wusst wie man Fallen stellte und Tiere ausnahm. Sogar wie man aus einer Sehne eines Beutetiers einen primitiven Bogen baute, mit denen sie seitdem jagte. Dabei achteten sie aber immer darauf, dass sie sich nicht zu weit von dem Fluss entfernten.

Am achten Tag ihrer Reise saßen sie an dem Flussufer des großen Stroms und entzündeten ein kleines Feuer. Iva bereitete gerade eine wilde Ente zu, die sie zuvor erlegt hatte. Aglarân zögerte, legte aber dann seinen Helm ab und trank etwas aus seiner Trinkflasche. Ein rascher Blick genügte ihm zu bemerkten, dass Iva so tat, als ob nichts wäre.
"Du magst es mich zu ärgern oder?", fragte er spontan und wusste nicht, warum er das tat.
"Vielleicht", antwortet Iva mit einem flüchtigen Lächeln und zerschnitt das rohe Fleisch.
Aglarân schwieg, schmunzelte aber, was sich etwas seltsam anfühlte. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Iva ein Funkeln in den Augen hatte. Sein Gesicht erstarrte wieder zu einer gefühlslosen Maske und er starrte auf die blutigen Hande seiner Begleiterin. Ihre beinahe schon fachmännischen Handgriffe verarbeiteten die Ente in einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Als sie soweit fertig war, steckte sie die in sorgfältigen Portionen geschnittenen Fleischstücke auf einige hölzernen Stücke, die er zuvor angeschnitzt hatte.
"Du hast sowas schon oft gemacht, oder?", fragte er, während das Fleisch brieten.
Iva nickte und drehte ihren Stock. "In unserer Gruppe war ich die Jägerin."
"Du meinst die Söldertruppe?", hakte Aglarân nach.
Erneut nickte sie und blickte in die Flammen, während sie mit einer Hand das Halstuch herabzog. "Ja, damals waren wir viel mehr Leute", erklärte sie und deutete auf eine kleine Narbe am Mundwinkel, die ihm zuvor nicht aufgefallen war, "Die erhielt ich bei einem unserer ersten Aufträge." Sie lachte leise und schüttelte den Kopf. "Wir hatten keine Ahnung was wir taten und wir waren so viele, dass wir uns nicht kannten. Die Narbe bekam ich von einen unser eigenen Leute, da wir uns nicht erkannten."
"Was für eine Gruppe wahrt ihr denn?", fragte Aglarân interessiert und stellte sich vor, wir eine große Söldnertruppe durch das Land zog und alle Aufträge erledigte.
Iva schien eine Weile zu überlegen, spielte mit ihren Haaren und prüfte das Fleisch. Als sie sich wieder aufrecht hinsetzte, sah Aglarân in ihrem Blick, dass sie ihre Vergangenheit nicht mochte.

"Wir waren einmal eine Expedition, zusammengestellt aus Söldnern, Kundschaftern, Soldaten, Edelmänner und Offizieren. Unsere Aufgabe war es nach Dunkelland zu fahren...", begann Iva leise und blickte dabei in die Flammen, "Doch wir betraten nie den fremden Kontinent. Wir verbrachten Monate damit die Schiffe zu beladen und als es nur wenige Tage bis zum Aufbruch waren, geriet das Land in Unruhe." Sie verstummte und blickte nachdenklich zu Aglarâns düsterte Gestalt, der wie gewohnt emotionslos zuhörte. Sie mochte die Geschichte nicht, aber sie hatte bisher auch niemanden, der ihr zuhörte. Und konnte es nicht erzählen, dachte sie sich und wollte sich schon über die verschwundene Narbe am Hals fahren. Sie hielt sich jedoch zurück und blickte wieder zu ihren Gegenüber, aus dem sie einfach nicht schlau wurde.

Aglarân legte den Kopf schief, als Iva nicht fortfuhr und drehte seinen Stock mit dem Stück Fleisch ein Stückchen weiter, damit es nicht zu schwarz wurde. Es verwunderte ihn nicht, dass die Länder an der Ostküste das Meer befahren würden, doch von dem Kontinent hatte er nur aus sehr alten Geschichten gehört. Ein Land, in dem nie die Sonne schien. Er würde sich immer davon fernhalten und drängte auch nicht danach, mehr darüber zu erfahren.
"Unser kleines Reich ging innerhalb von einer Woche unter", riss Iva ihn aus den Gedanken und er horchte interessiert auf. Auf seiner Nachfrage, was geschehen war, zog sie sich mit dem gestreckten Daumen über die Kehle. "Attentäter vernichteten die gesamte führende Schicht. Wir hatten eine Ratssystem und keinen alleinigen Herrscher. Ohne Führung brach rasch Chaos aus und ziemlich viele Interessengruppen kämpften um die Herrschaft. Dann kamen die Wilden, die auch schon halb Minhzu verwüstet hatten. Durch den Bürgerkrieg gab es kein schützende Heer, weswegen unser geschwächtes Reich keinen nennenswerten Widerstand leisten konnte. An dem letzten Tag der Kämpfe ordneten die Offiziere an, dass wir mit den Schiffen fliehen, doch die Söldner meuterten. Mehr als die Hälfte schloss sich dem an und ich war mittendrinn. Ehe ich mich für eine Seite entscheiden konnte, waren die Offizieren ermordet und musste mich damit abfinden. Ohne die schützende Gruppe wäre ich verloren gewesen und womöglich als Sklavin bei den Wilden gelandet."
Iva verstummte und zog ihren Stock zurück, an dessem Ende nun ein leicht angeschwärztes Stück Fleisch hing. Sie zog einen Dolch und entfernte ungenießbare Stellen, was er ihr gleich tat. Er beugte sich zu ihr vor und reichte ihr die zweite Wasserflasche. Dafür bekam er von ihr ein Stück von einem geklauten Laib Brot. Nachdeknlich saßen sie da und aßen von der gebratenen Ente, die Aglarân gar nicht so schlecht fand. Zuvor hatte er nie sonderlichen Wert auf Nahrung gelegt, doch frisches Fleisch fand er sehr erfreulich, besonders wenn man so lange wie sie in dem eisigen Norden nichts Warmes essen konnte. Etwas das Iva gesagt hatte, beschäftigte ihn aber: dass sie stets von Wilden sprach. Er meinte einmal in einer Besprechung der oberen Kommandanten von einem Plan zu Unterdrückung der Völker im fernen Osten gehört zu haben. Die Oberen hatten eigentlich behauptet, dass der Plan nicht durchführbar sei, hatten sie es sich in einer geheimen Beratung anders überlegt?
Er schloss die Augen und seufzte leise, sodass Iva überrascht eine Braue hob, als er sie anblickte. Er schüttelte jedoch nur den Kopf und aß mit verminderten Appetit weiter. Er hatte so viele Dinge gehört, die anderen Menschen schaden würden und eines der Opfer saß nun direkt vor ihm. Er wusste nicht, wie er seine Gefühle beschreiben sollte, ein Teil von ihm empfand so Etwas wie Reue. Ein anderer Teil dagegen Hass. Hass auf den dunklen Herrscher, der sich nicht um Menschenleben scherte. Insbesondere sein eigenes Leben, wie er so oft hatte feststellen müssen.
"Wenn du möchtest, kannst du mir mehr erzählen; wenn du bereit dazu bist", sagte er nach einer langen Pause und bemerkte, dass Iva überrascht den Kopf hob. Einen langen Moment musterte sie ihn und schien zu überlegen.
"Danke", sagte sie schließlich leise und knabberte an ihrem Brot. "Wir sollten bald schlafen. Ich übernehme die erste Wache."
Aglarân nickte und wickelte sich in seinem Mantel ein, nahe dem herabgebrannten Lagerfeuer. Er zögerte, fragte dann jedoch: "Wie heißt dieses Gebirge eigentlich, an dem wir gelandet waren?"
"Die Roten Berge, auch als Orocarni-Gebirge bekannt", antwortete sie knapp und blickte hinaus auf den breiten Fluss.
Der Name ließ bei Aglarân etwas klingen, doch sein Verstand war zu müde um sich darum zu kümmern. Mit der Hand am Schwert schlief er ein.

Am nächsten Morgen sprach sie nicht weiter über Ivas Vergangenheit und sie fragte auch nicht, was Aglarân darüber dachte. Er selbst grübelte noch den restlichen Tag darüber, was sie ihm erzählt hatte. Ihm gefiel es nicht in die Gebiete zu gehen, die von irgendwelchen Wilden heimgesucht worden waren. Auch hallten Ivas Worte in seinen Gedanken nach, dass in den Wäldern von Kushan Etwas entfesselt worden war. Ihre Reiseroute war durchaus gefährlich, doch er war zuversichtlich.

Mehr als Grübeln tat er an den Tag nicht und auch Iva sprach nicht viel, außer die Richtung anzugeben, in der sie reisten. Sie folgten weiterhin den großen Strom, der sich seitdem kleinen Bach aus den Bergen nun zu seinem reißenden Fluss entwickelt hatte. Sie passierten einige kleine Dörfer, die an dem Fluss lagen und den guten Boden nutzten um Felder zu bestellen. Hin und wieder schlichen sie sich in die primitiven Dörfer, die hauptsächlich aus Holz und Stroh gefertigt waren um Lebensmittel zu stehlen. Dabei wurden sie auch nie erwischt und nahmen stets nur Brot oder Fladen mit, die ein unachtsamer Bewohner nicht verschlossen hatte. Scheinbar war man hier so weit abseits der großen Städte, dass man nicht besondere Vorsicht walten ließ. Iva merkte öfters an, dass in Friedenszeiten es ganz normal war, seine Türe offen stehen zu lassen.

Aglarân und Iva nach Kushan
« Letzte Änderung: 1. Jan 2019, 16:56 von Fine »

Fine

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Nach Palisor hinein
« Antwort #3 am: 8. Okt 2018, 14:19 »
Córiel, Jarbeorn und Vaicenya aus dem Fürstentum Dervesalend


Schnee fiel in winzigen Flocken vom weißen Himmel herab, der sich über ihren Köpfen in schier endloser Weite erstreckte. Noch war es dem weißen Kleid des Winters nicht gelungen, die Lande zu beiden Seite des Flusses Tajnik unangefochten zu bedecken, doch hier und da hatte der Schnee bereits Fuß gefasst und sprenkelte die Landschaft mit hellen Flecken. Die Bäume hatten ihre Blätter längst verloren und boten dem Schnee daher nichts als ihre kahlen Äste als Liegefläche. Das bräunliche Gras und die Felsen, die eine eigenartige rötliche Färbung aufwiesen, schienen zum Großteil noch zu warm zu sein, um das sofortige Schmelzen der Schneeflocken zu verhindern. Doch dass es schneite, machte Córiel eindeutig klar, dass der Winter nahte.
Seit ihrem Aufbruch aus der Stadt Dervogord hatten sie dem Verlauf des Flusses in nordöstlicher Richtung ohne große Schwierigkeiten folgen können. Obwohl die kleine Straße, die entlang des östlichen Ufers des Flusses verlaufen war, nach einem Tagesritt abrupt geendet hatte, war das Gelände zu Pferde dennoch leicht zu überqueren gewesen und sie waren gut voran gekommen. Der Fluss war zunächst in nahezu gerader Linie nach Nordwesten durch eine flache Ebene verlaufen, in der nur wenig Vegetation gewachsen war. Je weiter die Reisegruppe jedoch nach Nordosten gekommen war, desto mehr Bäume waren zu sehen gewesen und der Fluss hatte begonnen, in kleinen Biegungen zu verlaufen. Er war inzwischen nicht mehr als zehn Meter breit und an den meisten Stellen so seicht, dass die Pferde ihn jederzeit hätten überqueren können. Rechter Hand war seit einigen Tagen eine Gebirgskette am Horizont erschienen und es war immer kälter geworden. Alle drei Gefährten trugen inzwischen dicke Pelzmäntel, die sie unterwegs von einem einsamen Fallensteller erworben hatten. Ihr Atem war bei jedem Luftholen sichtbar und die Tatsache, dass es schneite, macht es nur umso deutlicher, dass der eisige Norden mit jedem Schritt, den sie taten, näher rückte.

Fünf Tage nachdem sie Dervogord verlassen hatten rasteten sie an einem kiesigen Strand am Flussufer. Es war früher Nachmittag und ein karges Mittagessen lag hinter ihnen, das aus den mitgebrachten Vorräten bestanden hatte. Die Natur rings um sie bot ihnen nur wenig an, mit dem sich ihre Nahrungsvorräte ergänzen ließen.
Vaicenya stand etwas abseits der Gruppe und betrachtete nachdenklichem Gesichtsausdruck einen der Felsen, der aus dem Gras ragte und auf dem sich eine kleine Ansammlung von hartnäckigen Schneeflocken zu sammeln begonnen hatte. Nach einem langen Augenblick hob die Dunkelelbin den Blick und ließ ihn in die Ferne schweifen. Nach Osten hin, wo die gewaltige Gebirgskette am Horizont aufragte.
„Ich weiß, wo wir sind,“ murmelte sie. „Dalvarinan...
Der Name weckte in Córiel eine Erinnerung Melvendës, die einst gewusst hatte, dass es einen Ort mit dieser Bezeichnung gegeben hatte. In einem längst vergangenen Zeitalter hatten die ersten Elben das Gebiet rings um ihren Heimatwaldes Dalvarinan genannt. Es war ein beliebter Ort gewesen, um entlang der klaren Wasser des Flusses über die Wiesen zu schlendern und sich nachts am unverhüllten Anblick der Sterne zu erfreuen. Melvendë selbst hatte eine solche Reise nur ein einziges Mal unternommen.
Córiel stellte sich neben Vaicenya. „Wenn dies Dalvarinan ist, dann haben wir das Land Palisor erreicht,  und die Berge dort am Horizont müssten das große Massiv darstellen, das einst an Ostrand des Elbenwaldes grenzte und unsere Heimat von den Stämmen auf der anderen Seite trennte.“
„Die Orocarni nannten wir sie, und diesen Namen tragen sie bei vielen Völkern noch heute,“ sagte Vaicenya. „Dann sind wir nahe an unserem Ziel. Ich spüre es deutlich.“
„Eins verstehe ich nicht,“ sagte Jarbeorn, der im Schneidersitz auf einer leichten Decke hockte. „Wieso ist es überhaupt so schwer, den Ort zu finden, an dem Níthrar sich aufhält? Wenn es einst eure Heimat war, solltet ihr doch eigentlich ganz genau wissen, wo er liegt, oder etwa nicht?“
„Viel hat sich seit den Altvorderen Tagen verändert. Eine Zeitspanne ist seither vergangen, die über deinen Verstand hinaus geht. Die Welt ist eine andere geworden. Sie wurde in den Kriegen der Valar zerbrochen und neu geformt. Täler und Flussläufe haben sich verschoben und Berge sind versetzt worden. Nachdem die Hälfte meines Volkes auf die Große Wanderung nach Westen ging, regte sich auch unter jenen, die in ihrer Heimat blieben, die Sehnsucht, neue Länder zu erforschen. Und als wir hörten, dass der Schatten besiegt worden sei, hielt uns nichts mehr davon ab, den Wald und die Wasser unseres Erwachens hinter uns zu lassen. Wenn ich daran zurückdenke, kommt es mir seltsam vor, dass es dazu kommen konnte, dass nahezu alle Elben Cúivienen verlassen haben, aus welchen Gründen auch immer.“
„Und du selbst? Weshalb bist du gegangen?“ fragte Córiel leise.
Vaicenyas Blick blieb an Córiels Augen hängen und sie schwieg für einen langen Moment. Dann seufzte sie tief. „Nachdem du... gefallen warst, hatte sich für mich alles verändert. Tarásanë habe ich mit meinem Zorn auf die Welt vertrieben; sie verschwand nicht lange nach der Großen Wanderung. Mir blieb niemand mehr. Das, was mich am Leben hielt, war der Kampf gegen die Kreaturen des Schattens, die ich jagte, wo immer ich sie fand. Nach der Niederlage ihres Herrn verkrochen die meisten von ihnen sich im hohen Norden, wo ich sie nicht erreichen konnte und meine Streifzüge der Rache wurden immer weitläufiger. Schließlich verließ ich als eine der letzten den Wald unserer einstigen Heimat, als ich von der Ankunft eines neuen Volkes im Osten hörte. So begegnete ich zum ersten Mal den Vorvätern der Menschen. Und ich sah, dass es unter ihnen einige gab, deren Herzen dem Schatten zugewendet waren. Also machte ich mich daran, diese Saat im Keim zu ersticken. Ich lebte über Jahrtausende an den Küsten des östlichen Meeres und scharte eine kleine Anzahl von Gleichgesinnten um mich. Zwar gab es unter ihnen niemals jemanden, der das ersetzen konnte, was wir einst geteilt hatten, aber... du musst verstehen, ich war in jenen Tagen trotz allem einsam. Ich dachte, einer von ihnen könnte das Loch in meinem Herzen füllen.“
Vaicenya starrte hinab ins Wasser des Flusses, der leise vor sich hin plätscherte. Für einen Augenblick hatte Córiel erwartet, die Dunkelelbin würde anfangen zu weinen, doch der flüchtige Augenblick verstrich so schnell wie er gekommen war. Ihr Blick verhärtete sich wieder und sie blieb stumm.
„Selbst ich weiß, dass eine funktionierende Beziehung Liebe braucht,“ meinte Jarbeorn. „Und darüber hinaus verstehe ich nicht, wie es dazu kommen konnte, dass du den Weg nach Hause einfach vergessen hast.“
„Jarbeorn...“ setzte Córiel an, doch Vaicenya war schneller.
„Hast du nicht zugehört, oder sind meine Worte an dem Fell in deinen Ohren abgeprallt? Ich sagte doch, die Welt hat sich seither verändert. Während ich am Ozean jenseits der Orocarni lebte, wurden weit im Westen die Kriege von Beleriand geschlagen. Mein Volk kämpfte dort tapfer gegen den Herrn der Schatten, der aus der Gefangenschaft der Valar geflohen war, und als man ihn endlich niederwarf, erzitterten Berge und Meere erneut. So gewaltig waren die Auswirkungen der finalen Schlacht, dass ganze Länder im Meer versanken und Gebirge und Täler verschoben wurden. Ich konnte den Weg nach Hause nicht mehr finden, weil er nicht mehr da war. Außerdem wollte ich es auch gar nicht. Dort gab es nichts mehr für mich.“
„Und was ist mit Níthrar? Wie... kam es dazu, dass du einen Sohn bekamst?“ fragte Córiel. Sie war sich bewusst, dass es vermutlich viel Zeit benötigen würde, Vaicenya noch einmal so zum Reden zu bekommen. Deshalb musste sie die Gelegenheit, die sich ihr gerade bot, einfach nutzen.
Vaicenyas Blick zeugte von Misstrauen, gepaart mit lange unterdrücktem Schmerz. „Wieso willst du das wissen?“ hakte die Dunkelelbin nach.
„Du sagtest doch, dass niemand aus deinem Gefolge dir geben konnte, was du suchtest. Und doch...“
„Und doch hast du doch offensichtlich entschlossen, einem von ihnen deinen ganz persönlichen Schatz zu zeigen.“ Jarbeorns Grinsen hätte wohl kaum mehr fehl am Platz sein können, und doch war es da. Córiel schlug die Hände vors Gesicht aufgrund seines kindischen Benehmens.
Anstatt zu explodieren nickte Vaicenya wider Erwarten jedoch nur. „Es gab gewisse... lockere Umgangsformen unter jenen, die sich entschlossen hatten, mir zu folgen. Zu Beginn war es der Respekt, der die an mich gerichteten Anfragen abhielt, doch irgendwann machte ich ihnen klar, dass ich auch nur eine von ihnen war. Ich besaß zwar die Autorität, ihnen Befehle zu erteilen und sie im Kampf gegen die Diener des Schattens anzuführen, doch ich war trotz allem Teil der Gemeinschaft.“ Sie hielt inne und seufzte. „Ich weiß nicht, wer von ihnen Níthrars Vater ist. Es war mir damals egal. Und das ist es heute noch immer. Ich weiß nicht, wo meine einstigen Gefährten jetzt sind. Sie sind vom Zahn der Zeit in alle Winde verstreut worden. Ob Níthrars Vater überhaupt noch lebt, steht in den Sternen.“
„Wichtig ist, dass dein Sohn noch am Leben ist,“ meinte Córiel aufmunternd. „Wir werden ihn schon bald gefunden haben; jetzt, wo wir wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Jarbeorn schien noch nicht fertig zu sein. „Was ist mit Saruman? Wie kam es, dass du dich ihm angeschlossen hast?“ fragte er geradeheraus.
„Ich stand nur zum Schein in seinem Dienst,“ antwortete Vaicenya. „Vor vielen Jahren kam der Zauberer in die Lande, die ich damals durchstreifte, nachdem Níthrar mich verlassen hatte. Dabei machte ich seine Bekanntschaft, doch ich dachte mir nicht viel dabei. Seine Absichten deckten sich nicht mit den meinen. Als er jedoch vor drei Jahren in den Osten zurückkehre und neue Verbündete um sich scharte, wurde ich aufmerksam. Eine Armee von Orks plante er aufzustellen, um sie gegen seine Feinde zu richten, zu denen auch Sauron gehört. Eine gute Gelegenheit bot sich.. zu gut, um sie ungenutzt zu lassen. Ich würde dafür sorgen, dass sich Sarumans Orks im Krieg gegen Saurons Orks verheizten und dass beide Seiten herbe Verluste hinnehmen würden.“
„Doch Saruman hat nicht nur Mordor angegriffen,“ wandte Jarbeorn ein. „Es ist seine Schuld, dass Lothlórien zerstört wurde.“
„Ich habe nichts dazu zu sagen,“ entgegnete Vaicenya. „Ich befand mich tief im Gebirge, um einige widerspenstige Orkstämme in den Dienst der Weißen Hand zu zwingen, als er den Goldenen Wald überfiel. Ich hätte ihm davon abgeraten, doch ich wusste, dass er bereits meine wahren Absichten erahnte. Also ließ ich mich für einige Zeit von ihm benutzen. Bis ich in Dunland eine Begegnung hatte, die alles veränderte.“ Sie blickte Córiel lange an, ehe sie den Blick senkte.
„Du hast mich zunächst nicht wiedererkannt, nicht wahr?“ stellte die Hochelbin fest.
„Natürlich nicht. Viele Zeitalter waren seit deinem Tod vergangen. Zu Anfang gab es oft Augenblicke, in denen ich glaubte, du wärest zurückgekehrt, wenn ich jemanden traf, der dir ähnlich sah. Doch jedes Mal wurden meine Hoffnungen enttäuscht. Erst bei unserer dritten Begegnung war die Asche in meinem Herzen wieder zu einem fahlen Funken geworden. Und so beschloss ich schließlich, dir deine Erinnerungen zurückzugeben.“
„Und das ist dir gelungen, auch wenn ich dir nicht dankbar dafür bin,“ antwortete Córiel leise. „Es ist noch immer schwierig für mich.“
Vaicenya schien darauf keine Antwort zu haben.

Als es Nacht geworden war, ritten sie noch einige Meilen weiter. Der Mond stand als schmale Sichel am Himmel über ihnen, und der Schneefall hatte sich verstärkt. Dicke Flocken sanken zu Boden, und nur wenige schmolzen sofort. Schon bald würde das Land von einer weißen Schicht bedeckt sein.
Vaicenya ritt mehrere Stunden schweigend am Ende der Gruppe. Als sie schließlich ihr Lager für die Nacht aufgeschlagen und gegen den Schneefall eine befehlsmäßige Schutzschicht aus Ästen und Laub errichtet hatten, gesellte sie sich schließlich zu Córiel, während Jarbeorn sich beinahe sofort schlafen legte. Der Beorninger war für die letzte Wachschicht eingeteilt worden.
„Ich weiß, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber wir müssen vorsichtig sein,“ wisperte die Dunkelelbin kaum hörbar. „Heute morgen noch war es kaum mehr als eine unheilvolle Ahnung, die meinen Geist belastete, doch inzwischen habe ich Gewissheit.“
„Worüber denn?“ fragte Córiel ebenso leise zurück.
„Wir sind nicht allein,“ stellte Vaicenya klar. „Jemand beobachtet uns, seitdem wir Dalvarinan betreten haben...“
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Ein schicksalsschwerer Name
« Antwort #4 am: 22. Okt 2018, 16:44 »
Vaicenyas unheilvolle Feststellung sorgte dafür, dass keine der beiden Elbinnen in jener Nacht wirklich zur Ruhe kam. Jarbeorn hingegen ließ sich davon nicht stören. Als Córiel ihn in den letzten Nachtstunden vor Sonnenaufgang zu seiner Wachschicht aufweckte, gab sich der Beorninger so unbekümmert wie eh und je.
"Da draußen ist jemand... oder etwas," warnte Córiel.
"Und wenn schon. Ich sorge schon dafür, dass wir ungestört bleiben, Stikke," antwortete Jarbeorn. "Was auch immer dort draußen ist - solange es nicht größer als ein Bär ist, mache ich mir keine Gedanken darüber."
"Selbst der kleinste Ork kann dir die Kehle durchschneiden, wenn du nicht aufmerksam bist," hielt Córiel dagegen.
"Er soll es ruhig versuchen. Ich bin hart im Nehmen, Stikke. Du kennst mich doch." Jarbeorn lachte leise. "Jetzt sieh schon zu, dass du noch etwas Schlaf bekommst, bevor die Sonne aufgeht."
Córiel hoffte, dass der Beorninger recht behalten würde und ihre Sorgen unbegründet waren. Dennoch gelang es ihr nicht wirklich, zum Einschlafen zu kommen. Also versuchte sie es nach Elbenart und ließ ihren Geist über die weiten Ebenen ihres Verstandes wandern, während ihr Körper in der Wirklichkeit verharrte und, gegen den Stamm einer dicken Birke gelehnt darauf wartete, dass Córiel die Erholungsphase beendete.

Es war Vaicenya, die sie schließlich anstupste und dafür sorgte, dass Córiel die Augen wieder aufschlug. Das helle Licht der aufgehenden Sonne blendete sie. Der Himmelskörper war gerade über die fernen Spitzen der Orocarni geklettert und die Bäume ringsum warfen lange Schatten gen Westen, die nun langsam zu schrumpfen begonnen hatten, je höher die Sonne aufstieg.
"Wir sollten von hier verschwinden," sagte Vaicenya. "Ich spüre eine Präsenz in der Nähe... näher als gestern Abend."
"Das ist beunruhigend," meinte Córiel. "Vielleicht sollten wir unser Tempo etwas beschleunigen."
Sie machten die Pferde bereit und luden ihr Gepäck rasch auf. Ehe sie jedoch aufbrechen konnten, hielt Vaicenya mitten in der Bewegung inne und starrte angestrengt zwischen den immer dichter werdenden Bäumen hindurch. Dann sprang sie aus dem Sattel und zog ihre Schwerter. "Jetzt reicht es," zischte sie und sprang los, mitten ins Unterholz hinein. Mit lautem Getöse fuhrwerkte die Dunkelelbin darin herum, ohne dass Córiel und Jarbeorn, die ihr vorsichtig folgten, erkennen konnten, was geschah. Als sie herangekommen waren, erklang ein Aufschrei aus dem Gebüsch, in dem Vaicenya verschwunden war, und eine stämmige Gestalt stürzte strauchelnd daraus hervor. Sie überschlug sich einmal und kam vor Jarbeorns und Córiels Füßen auf ihrem Rücken zum Liegen.
"Na sieh mal einer an," meinte Jarbeorn und stemmte seine großen Hände in die Hüften. "Wenn das kein Zwerg ist, dann will ich ein Welpe sein." Und ehe Córiel oder die nun wieder aufgetauchte Vaicenya reagieren konnten, hatte der Beorninger die Gestalt gepackt und sie vor sich auf die Füße gestellt. Die braune Kapuze, die sie getragen hatte, fiel ihr dabei vom Kopf, und man konnte sehen, dass Jarbeorn Recht gehabt hatte. Vor ihnen stand ein Zwerg mit vergleichsweise kurzem, rotbraunem Bart und Haar, der feste Reisekleidung und darunter ein Kettenhemd trug. Bewaffnet war er mit einem schweren Hammer, dessen Griff lang genug war, um ihn sowohl mit einer als auch mit zwei Händen zu führen. Darüber hinaus trug der Zwerg einen Bogen samt Pfeilen auf dem Rücken.
"So," sagte Jarbeorn mit seiner unvergleichlichen Freundlichkeit. "Jetzt, wo wir uns Auge in Auge gegenüberstehen, gibt es keinen Grund mehr für Heimlichkeiten, Meister Zwerg. Wie lautet dein Name?"
Während Córiel mit einer Handbewegung Vaicenya daran hinderte, den Zwerg hinterrücks zu erstechen, warf dieser einen misstrauischen Blick auf Jarbeorn, ehe er antwortete: "Es ist unhöflich, einen Fremden zuerst nach dem Namen zu fragen, ohne den eigenen genannt zu haben."
"Und ebenso unhöflich ist es, Fremden nachzustellen und ihre Schritte heimlich zu verfolgen," stellte Córiel klar. Sie war zwar froh, dass offenbar für den Augenblick keine Gefahr zu drohen schien, doch ihre Anspannung blieb.
"Wenn es dir hilft, will ich gerne den Anfang machen," sagte Jarbeorn gutmütig. "Ich bin Jarbeorn, Sohn des Grimbeorn."
"Ein Beorninger?" entfuhr es dem Zwerg.
"Ganz recht. Du hast also schon von meinem Volk gehört."
"Das ein oder andere Mal," gab der Zwerg zu. "Und was ist mit denen beiden? Diese Wildgewordene dort hat mir beinahe beide Beine abgetrennt!"
Vaicenyas Blick war tödlich. "Das habe ich auch noch immer vor, Zwerg." drohte sie.
"Das ist Vaicenya. Sie ist... nun, recht direkt, wie du gemerkt hast," erklärte Jarbeorn lächelnd. "Nur die Ruhe, sie wird dir nichts tun."
"Wird sie nicht?" fragte Vaicenya zweifelnd und zog die Augenbrauen in die Höhe.
"Nicht, bevor wir nicht wissen, mit wem wir es zu tun haben," ging Córiel dazwischen. "Mein Name ist Córiel, vom Volk der Noldor. Du kennst nun unsere Namen, und wir würden gerne deinen erfahren und darüber hinaus den Grund, weshalb du uns nachgestellt hast."
"Dieses Land ist mir fremd, und ich habe bereits einmal zuvor den Fehler gemacht, mich Reisenden ohne Vorsicht zu nähern. Die letzten Elben, mit denen ich sprechen wollte, haben versucht, mich umzubringen. Deshalb wollte ich zunächst einmal sehen, mit wem ich es hier zu tun habe, ehe ich mich euch zeige." Der Zwerg blickte niedergeschlagen zu Boden und ließ die Schultern sinken. "Das alles hätte ganz anders ablaufen sollen. Ich kam in dieses Land, um mein Volk zu retten und meinen Vater stolz zu machen. Aber ich habe die Berge nicht einmal erreichen können."
"Dein Volk? Stammst du vom Erebor?" fragte Jarbeorn nach.
Der Zwerg nickte. "Ich bin dort geboren. Ein Jahr nachdem mein Großvater zum König unter dem Berg geworden war erblickte ich am Durinstag das Licht der Welt."
"Dein Großvater?" wiederholte Córiel. "König unter dem Berg... aber das bedeutet ja, dein Vater ist..."
"Mein Name ist Durin, Sohn des Thorin," sagte der Zwerg. Er klang nicht sonderlich begeistert davon.
"Ein Name mit großem Gewicht," merkte Vaicenya an.
Durin zog eine Grimasse. "Du hast ja keine Ahnung, Spitzohr. Ich wünsche mir oft, mein Vater hätte einen anderen Namen gewählt, oder ich wäre an einem anderen Tag geboren worden."
"Und warum bist du so weit fort von deinem Volk? Soweit ich weiß lebt der Großteil der Zwerge Erebors in den Eisenbergen und in den Grotten bei Helms Klamm, in Rohan," sagte Córiel.
"Ich sagte doch bereits, ich bin hier, um die Zwerge zu retten. Als der Erebor fiel, floh ich mit einigen wenigen Überlebenden nach Khadar-zharâk in den Eisenbergen, zu meinem Onkel Gráin Feuerfaust. Immer wieder sprach er davon, dass er den Erebor von den verdammten Ostlingen zurückerobern würde, wenn er nur genug Krieger unter seinem Befehl hätte. Und da kam mir ein Einfall. In den ältesten Geschichten meines Volkes ist überliefert, dass es einst sieben Vorväter gab, die als erste unter allen Zwergen erwachten. Wenn die Geschichten stimmen, erwachten vier von diesen sieben in den Bergen, die ihr dort hinten am östlichen Horizont seht. Die Orocarni. Ich wollte ihre Nachfahren finden und an der Spitze eines Heeres von Zwergen in den Westen zurückkehren... und meinem Namen und meinen Ahnen gerecht werden. Jeder Durin, der vor mir kam, war ein legendärer König, wusstet ihr das? Es muss mein Schicksal sein, mit ihnen gleichzuziehen... doch ich fürchte, ich bin kläglich gescheitert."
Durin setzte sich auf dem Waldboden und starrte trübnsinnig vor sich hin. Er hatte seine Geschichte erzählt und schien der Verzweiflung nahe zu sein, falls so etwas bei einem Zwerg überhaupt möglich war.
"Wir sollten weiterreiten," sagte Vaicenya. "Dieser Zwerg geht uns nichts an."
"Wir können ihn doch nicht einfach hier zurücklassen," erwiderte Córiel leise. "Er ist der Erbe des Thrones vom Erebor und von großem Wert für sein Volk. Sein Vater muss krank vor Sorge sein. Für mich klingt es nämlich danach, als ob Durin auf eigene Faust hier ist."
"Ich weiß, was wir tun werden," sagte Jarbeorn. "Wir helfen ihm natürlich dabei, sein selbst gewähltes Ziel zu erreichen."
Beide Elbinnen blickten den Beorninger überrascht an. "Hast du vergessen, weshalb wir hier sind?" zischte Vaicenya.
"Um deinen Sohn zu finden," antwortete Jarbeorn. "Und das werden wir auch. Und Durin wird uns begleiten, ganz einfach. Wenn wir Níthrar gerettet haben, helfen wir Durin bei der Suche nach den Zwergen der Orocarni. Ihr müsst zugeben, dass eine Zwergenarmee, die Mordor oder Rhûn aus einer unerwarteten Richtung angreift, die Kriegslage zu unseren Gunsten verschieben würde."
"Bist du dir da sicher?" fragte Córiel.
"Komm schon, Stikke. Wir sind doch gerade in der Gegend. Wann wirst du das nächste Mal Gelegenheit haben, verschollene Zwergenreiche zu entdecken? Das wird ein Riesenspaß, glaub mir."
Bei diesen Worten hob Durin den Kopf. Ein Hoffnungsschimmer war in seinen Augen aufgetaucht. "Ihr wollt mir wirklich helfen?" fragte er.
"Ich sorge schon dafür, dass wir deine verlorenen Zwerge in Rekordzeit finden," sagte Jarbeorn und zog den Zwerg auf die Beine. "Und mach dir um die beiden Damen dort keine Sorgen. Sie werden schon bald merken, das es das Beste für uns sein wird, dir zu helfen. Außerdem gibt es da ja vielleicht auch etwas, bei dem du uns helfen kannst."
"Und was wäre das, Freund Jarbeorn?" wollte Durin wissen.
"Wir sind auf der Suche nach einem Ort namens..."
"Cúivíenen," ergänzte Córiel Jarbeorns Satz.
"Genau. Bist du bei deiner Reise in den Osten zufällig an einem solchen Ort vorbeigekommen? Dort soll es ein Gewässer geben, vielleicht einen See oder eine Bucht, die direkt am Waldrand liegt.“
Durin strich sich nachdenklich durch den Bart. "Als ich zum ersten Mal den Fluss überquerte, der hier hinter uns fließt, schlug ich den direkten Weg zu den Orocarni ein, bis sich mir unüberwindbare Felsen am Fuße des Gebirges in den Weg stellten.  Von dort hatte ich einen gewissen Ausblick über die Lande westlich des Gebirges und sah, dass der Fluss aus einem See inmitten des dichtesten Waldes entsprang. Vielleicht ist das der Ort, den ihr sucht."
Córiel und Vaicenya tauschten einen Blick aus, dann sagte die Dunkelelbin: "Führ uns dorthin. Dann werden wir es in Erwägung ziehen, dir zu helfen."
"Mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig," brummte Durin verdrossen.
"Kopf hoch!" lachte Jarbeorn. "Jetzt bist du Teil unserer kleinen Gemeinschaft. Du wirst schon sehen, bald werden die beiden Eiszapfen dort dich genauso sehr mögen wie mich."
"Das werden wir ja sehen," war alles, was Vaicenya dazu sagte, ehe sie sich wütend in ihren Sattel schwang.

So setzten sie ihre Reise fort - ihre Reisegruppe um einen weiteren Gefährten erweitert. Durin saß hinter Córiel auf dem Rücken ihres Pferdes und wies ihr, die vorausritt, den Weg. Er schien einen guten Orientierungssinn zu besitzen, denn trotz des immer dichter werdenden Waldes kamen sie entlang des Flusses weiterhin recht gut voran. Gegen Mittag entschieden sie jedoch, die Pferde am Zügel weiterzuführen, da das Geäst nun so tief hinab hing, dass es sie beim Reiten behinderte. Durin stapfte voran, sich am Ostufer des Flüsschens haltend. Und so kam es, dass sie am späten Nachmittag des gleichen Tages schließlich den Ort erreichten, der von den Wassern des Erwachens übrig geblieben war.
« Letzte Änderung: 23. Okt 2018, 07:21 von Fine »
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An den Wassern des Erwachens
« Antwort #5 am: 13. Dez 2018, 16:08 »
Durin, der noch immer voran ging, war mit einem Mal stehen geblieben. Der Rest der Reisegruppe führte die Pferde nun bereits seit einer knappen Meile am Zügel. Der Wald war zu dicht geworden, um weiter zu reiten. Die Bäume bildeten ein beinahe lückenloses Dach über ihren Köpfen und standen eng nebeneinander. Es hatte zu schneien begonnen. Obwohl der dichte Wald ihnen etwas Wärme spendete, spürte Córiel, wie die Kälte langsam ihre Beine hinauf kroch. Das Licht begann bereits zu schwinden und der Abend kündigte sich an.
"Was ist los?" rief Vaicenya dem Zwerg zu. Dieser drehte sich halb zu ihnen um und deutete geradeaus.
"Riecht ihr das nicht?" fragte Durin.
Córiel schnupperte. Ein merkwürdiger Geruch lag in der Luft. Er erinnerte sie an den Rauch von Lagerfeuern, doch irgend etwas daran kam ihr unbekannt vor.
"Hmm," brummte Jarbeorn. "Riecht, als würde jemand auf offenem Feuer grillen," meinte der Beorninger.
"Das meine ich nicht," erwiderte Durin. "Es ist der Gestank von..."
"...Orks", fiel Vaicenya ihm ins Wort. "Jetzt ist er unverkennbar geworden. Ich habe genug Zeit mit diesen nutzlosen Kreaturen verbracht, um diesen Geruch überall wiederzuerkennen."
Durin nickte bekräftigend. "Als ich zuletzt hier war, habe ich noch nichts davon wahrgenommen. Gesehen hab' ich auch nichts. Aber jetzt sind Orks in der Nähe, daran besteht kein Zweifel."
"Gehen wir vorsichtig weiter," schlug Córiel vor. "Haltet die Augen offen."

Sie pirschten sich mit großer Vorsicht weiter durch den Wald. Die Pferde hatten sie auf einer kleinen Lichtung angebunden, da Durin ihnen versichert hatte, dass sie sich kurz vor ihrem Ziel befänden. Der Zwerg erwies sich als überraschend geschickt und bewegte sich deutlich leiser als Jarbeorn, der größere Schwierigkeiten damit hatte, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Die Helligkeit nahm unter dem dichten Blätterdach des Waldes mehr und mehr ab. Schon bald mussten Córiel und Vaicenya voraus gehen, da sie im Dunkeln noch am besten sehen konnten. Zwerg und Beorninger folgten ihnen, während Durin hin und wieder geflüsterte Richtungsanweisungen an Córiel durchgab.
"Seht doch," wisperte Vaicenya einige Minuten später. "Dort vorne ist ein Licht."
"Nicht nur eines," ergänzte Córiel. "Ich sehe zwei, drei, vier... ein halbes Dutzend!"
"Ein rötliches Licht, wie von einer Fackel," murmelte Durin. "Das erklärt den Feuergeruch. Ich wette, die Orks sind ebenfalls nicht weit."
Sie näherten sich einem der Lichter, das zwischen den Baumstämmen unregelmäßig flackerte. Dichte Teppiche aus Moos hingen von den Bäumen herab und versperrten ihnen oft die Sicht, bis sie nahe genug an die Lichtquelle heran gekommen waren. Dann lugte Córiel vorsichtig hinter einem besonders breiten Stamm hervor... und was sie sah, ließ ihren Atem stocken. Vor ihr, an einem groben Pfahl, hing eine in Flammen stehende Leiche.
"Beim Barte meiner Ahnen..." presste Durin geschockt hervor.
"Diese Monster," zischte Vaicenya. "Wo sind sie?" Sie zog die Schwerter, doch Córiel hielt sie rasch zurück.
"Vorsicht," warnte sie. "Wir wissen nicht, wie viele Orks in der Nähe sind. Wir sollten sie überraschen, wenn wir können."
"Die übrigen Lichter..." murmelte Jarbeorn und beendete seinen Satz nicht. Sie wussten alle nur zu gut, worum es sich bei den anderen Lichtquellen handelte.
"Wir müssen sie uns ansehen," entschied Vaicenya. "Und diesen Abschaum dafür büßen lassen."

Sie fanden drei weitere Leichen, die alle ein Opfer der Flammen geworden waren. Córiels Magen drehte sich bei dem Geruch von verkohltem Fleisch mehr und mehr um. Jedes weitere Brandopfer, das sie entdeckten, wies weniger Verbrennungen auf und hatten also weniger lange in Flammen gestanden, doch alle waren bereits gestorben. Schließlich kamen sie zu einer Leiche, deren Gesichtszüge noch einigermaßen erkennbar waren. Die Haare waren bereits verschwunden, doch die feinen Gesichtszüge und die spitzen Ohren machten ihnen allen deutlich klar, worum es sich bei den Toten handelte.
"Los, weiter," drängte Vaicenya. "Die Brände werden immer frischer. Bald haben wir die Verantwortlichen eingeholt."
Sie rissen sich von dem grausamen Anblick los und hasteten weiter. Doch kaum eine Minute später drang ein Schrei an ihr Ohr, der ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Córiel erschauerte bei dem Gedanken, dass ein lebendes, denkendes Wesen zu einem solchen Laut fähig war.
Als sie kurz darauf das letzte Licht erreichten, war der Elb, dessen Todesschrei sie gehört hatten, erst seit wenigen Augenblicken in die Hallen von Mandos gezogen. Vaicenya knurrte gefährlich, als sie zwischen dem Laub hinter dem Brandpfahl Spuren entdeckte.
"Jetzt haben wir sie," stieß die Dunkelelbin hervor. Mit gezückten Klingen nahm sie die Verfolgung auf. Der Rest der Gruppe zog ebenfalls die Waffen und folgte ihr.

Inzwischen war es vollständig dunkel geworden. Die Geräusche des Waldes schienen mit jeder Minute lauter und bedrohlicher zu werden, auch wenn Córiel sich beinahe sicher war, dass sie sich das nur einbildete. Sie hatte einen Pfeil auf die Sehne ihres Bogens gelegt und folgte Vaicenya dicht auf dem Fuße. Sie passierten einen umgestürzten Baumstamm und drangen noch tiefer in den geheimnisvollen Wald ein. Das Unbehagen in ihren Gesichtern war deutlich zu erkennen.
Dann verschwanden mit einem Mal die Bäume auf beiden Seiten und sie standen am Ufer eines kleinen Sees. Die Sterne spiegelten sich auf dem klaren Wasser und Córiel wusste, dass sie an den Ort zurückgekehrt war, an dem Melvendë vor vielen Zeitaltern einst erwacht war.
"Dort hinten," raunte Vaicenya und deutete den Strand entlang nach Norden. Ein verräterischer Lichtpunkt war dort aufgetaucht, diesmal eindeutig von einer Fackel. Sie kamen hastig näher, während sie sich nahe am Schatten der nahen Bäume hielten. Eine Horde von ungefähr zehn oder fünfzehn Orks war es, die drei Gefangene mit sich zerrten. Eine vierte Gestalt war bereits an einen der bekannten Pfähle gebunden worden, der nahe des Wassers in den weichen Boden getrieben worden war. Der Gefangene am Pfahl zappelte und wehrte sich nach Kräften, während die Orks ihn malträtierten.
Spätestens jetzt war Vaicenya nicht mehr zu halten. Mit einem wilden Schrei sprang sie los und krachte mitten zwischen die verdutzten Orks. Ehe diese sich von ihrem Schock erholen konnten, waren drei bereits unter Vaicenyas wirbelnden Klingen gefallen.
Durin war der Nächste, der sich dem Kampf anschloss. Sein großer Kriegshammer zerschmetterte den Helm samt Kopf eines weiteren Orks, der sich zwischen den Zwerg und die Gefangenen gestellt hatte. Córiels Bogen sang zweimal und sorgte dafür, dass zwei Orks mit Pfeilen im Hals gurgelnd zusammenbrachen. Und auch Jarbeorn tat seinen Teil und vertrieb oder tötete die Orks am Brandpfahl, ehe sie mit ihrer Fackel das trockene Holz entflammen konnten.
Es dauerte nur wenigen Minuten bis alle Orks tot waren. Bei den drei Gefangenen, die Durin inzwischen von ihren Fesseln befreit hatte, handelte es sich um Elben - zwei Männer und eine Frau - die ihnen ihre Dankbarkeit in einer Sprache zeigten, die weder Córiel noch Durin oder Jarbeorn verstanden.
Vaicenya hatte nur Augen für den Elb am Brandpfahl. Sein Kopf war auf seine Schulter herabgesunken, doch seine Brust hob und senkte sich. Er war am Leben. Und als die Fackel, die Jarbeorn vorsichtig aufgehoben hatte, sein Gesicht beleuchtete, erkannte Córiel Níthrars ausgezehrtes Gesicht.
Klirrend fielen Vaicenyas Schwerter zu Boden. Sie stand beinahe regungslos vor ihrem Sohn, einen schwer zu deutenden Ausdruck auf dem Gesicht. Zögerlich hob sie die linke Hand, um ihm über die Wange zu streichen. Doch die Berührung schien sie zu erschrecken und sie zog die Finger wieder zurück.
Níthrar stöhnte leise und schlug die Augen auf. Sein Blick ging für einen Augenblick ins Leere, dann klärte er sich. "...Mutter?"
"Ich bin hier, Níthrar," erwiderte Vaicenya leise.
Ihr Sohn schwieg, doch er brach den Blickkontakt nicht ab. Eine Pause trat ein, die schließlich von Jarbeorn beendet wurde.
"Holen wir dich erst einmal da runter," brummte der Beorninger und zog sein Schnitzmesser hervor. Rasch hatte er Níthrars Fesseln gelöst und half dem Elben, sich auf dem weichen Boden am Ufer niederzulassen.
"Jarbeorn," stellte Níthrar staunend fest. "Córiel. Und..." sein Blick blieb an Durin hängen.
"Durin, Sohn des Thorin. Zu Euren Diensten." Der Zwerg verbeugte sich knapp.
"Wie nur könnt ihr hier sein?" fragte Níthrar verwundert. "Ich habe wohl so Einiges verpasst, wenn Mutter bei euch ist und ihr keine Feinde mehr zu sein scheint. Oder träume ich etwa, und bin in Wahrheit bereits auf dem Weg in den Ewigen Westen?"
"Du träumst nicht," lachte Jarbeorn. "Du und deine Freunde sind frei. Wir sind hier, weil... nun, das ist eine längere Geschichte."
"Das ist sie," stimmte Córiel dem Beorninger zu. "Ich bin froh, dass wir rechtzeitig gekommen sind, um zu verhindern, dass du das gleiche Schicksal wie die Unglücklichen erleidest, die wir um Wald gefunden haben."
Ein Schatten legte sich über Níthrars Gesicht. "So viele haben den Tod gefunden," murmelte er. "Ihre Schreie... ich glaube, ich werde sie niemals vergessen können."
"Vielleicht nicht," sagte Vaicenya und bot Níthrar die Hand an, um ihm auf die Beine zu helfen. "Aber du bist jetzt in Sicherheit. Und ich sorge dafür, dass die, die dafür verantwortlich sind, ihre gerechte Strafe erhalten."
Níthrars Zweifel an ihren Worten waren ihm deutlich anzusehen. Doch dann ergriff er Vaicenyas Hand. "Mutter, ich... weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber... ich bin froh, dass du hier bist."

Während Vaicenya leise mit den Elben sprach, deren Sprache sie verstand, war Córiel ans Ufer des Sees getreten. Er war um ein Vielfaches kleiner als in Melvendes Erinnerung, doch es bestand kein Zweifel: Sie stand tatsächlich an den Wassern des Erwachens, am Strand Cúivienens. Mit einem Mal fühlte sie die Last der Jahrtausende, die auf ihrem Rücken ruhte und hatte das Gefühl, davon erdrückt zu werden.
Ein Arm legte sich um ihre Schulter, und die breite Gestalt Jarbeorns schob sich neben sie. "Beeindruckend," meinte der Beorninger.
"Was meinst du?"
"Das Sternenlicht," erwiderte er. "Selbst hier, so fern von der Heimat wie nur möglich, inmitten eines grausamen und fremden Landes, leuchten sie dennoch unverändert in ihrer Schönheit vom Himmel herab und spiegeln sich dort im klaren Wasser."
Córiel folgte seinem Blick. Er hatte recht. Selbst nach all der Zeit, die Córiel in Mittelerde verbracht hatte, war das Licht der Sterne noch immer dasselbe. Sie fand Trost in dieser Tatsache. Und gestattete sich ein kleines Lächeln.
"So tiefgründig warst du noch nie," stichelte sie. "Ist es mir also endlich gelungen, auf dich abzufärben?"
"Mach den Moment nicht kaputt, Stikke," hielt er dagegen, ohne seine Belustigung zu verbergen. "Wir haben noch einiges vor uns. Es wird uns gut tun, zumindest für einen kurzen Augenblick unsere Sorgen beiseite zu legen."
Córiel fand, dass der Beorninger wie so oft Recht hatte. Den Blick auf das Spiegelbild der Sterne gerichtet atmete sie tief durch und ließ zu, dass sie sich in jenem flüchtigen Moment für einige kostbare Minuten verlor.
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Misstrauen und Irreführung
« Antwort #6 am: 15. Dez 2018, 23:08 »
Laute Stimmen zwangen Córiel und Jarbeorn, sich vom Anblick des mystischen Sees abzuwenden. Zwischen Vaicenya und den drei befreiten Elben war ein Streit ausgebrochen, der in einem alten Dialekt des Quenya geführt worde. Córiel hatte Schwierigkeiten, der Auseinandersetzung zu folgen. Die Sprache erinnerte sie an die jener Elben, die ihr in Eregion begegnet waren. Vaicenya hatte beide Hände an die Griffe ihrer Schwerter gelegt und allein Níthrars Beschwichtigungsversuche hielten sie noch davon ab, die fremden Elben anzugreifen.
"Was ist denn passiert?" wollte Jarbeorn wissen und drängte sich mit seiner breiten Gestalt zwischen die Streitenden.
Vaicenya machte ein finsteres Gesicht. "Uns schlägt hier deutlich weniger Dankbarkeit entgegen, als man meinen sollte," grollte sie.
"Mutter, bitte," sagte Níthrar eindrücklich. "Beruhige dich."
"Ich, mich beruhigen?" zischte sie. "Und diese schmählichen Anschuldigungen einfach so hinnehmen?"
"Anschuldigungen?" fragte Córiel verwirrt. "Wovon sprichst du?"
"Diese drei dort," sagte Vaicenya und zeigte auf die fremden Elben, deren Gesichter voller Misstrauen waren. "Sie bezichtigen uns, mit jenen, die dieses Land heimsuchen, im Bunde zu stehen."
Durin lachte schallend. "Das sieht euch Spitzohren ähnlich! Kaum habt ihr einen Feind bezwungen, wendet ihr euch schon gegeneinander. Dabei könnte selbst ein Kind erkennen, dass wir alle Feinde dieser erbärmlichen Orks sind." Er versetzte einem der Ork-Kadaver einen saftigen Tritt und grinste.
Einer der Elben wandte sich an Córiel. "Ihr müsst entschuldigen," begann er, die Gemeinsprache mit einem schweren Akzent sprechend. "Selbstverständlich sind wir euch dankbar, dass ihr uns vor dem Tod durch die Hand dieser Yrecal gerettet habt. Doch hier in Sonuvien und in ganz Palisor gehen dieser Tage allerlei unheilvolle Dinge vor, und unser Volk ist vorsichtig geworden - insbesondere Fremden gegenüber."
"Das verstehen wir ja," erwiderte Córiel diplomatisch. "Doch die Orks sind die Feinde aller lebenden Wesen, das sollte doch selbst so weit im Osten dieser Welt bekannt sein. Hier stehen wir an den Wassern des Erwachens - Cúivienen, oder Sonuvien in eurer Sprache, wenn ich es richtig verstehe, und sind alle von der selben Art der Erstgeborenen Erus - bis auf zwei Ausnahmen." Sie deutete auf Jarbeorn und Durin, und lächelte ihrem Gegenüber unsicher zu.
"Nun, da beginnen bereits die Schwierigkeiten," sagte der Elb, zu dessen beiden Seiten sich die beiden, mit ihm geretteten fremden Elben aufstellten. "Dieser Mensch dort, dünkt es mich, trägt Kleidung und Bewaffnung, wie sie den Barbaren nicht fremd ist, die Palisor plagen und verheeren. Dem Zwerg stehen wir neutral gegenüber; zwar haben unsere Leute einst Handel mit den Städten und Festungen von Aules Volk im Gebirge östlich von hier getrieben, doch seit einem Jahrhundert ist der Kontakt abgebrochen. Weshalb sich einer von ihnen nun wieder in unseren Wäldern blicken lässt, ist uns nicht klar."
"Ich suche nach jenen Städten, von denen ihr gesprochen habt," stellte Durin rasch klar. "Ich stamme nämlich gar nicht von dort. Durin, Sohn des Thorin, zu Euren Diensten." Er verbeugte sich knapp.
Der Elb hob die Augenbrauen. "An Höflichkeit mangelte es Eurem Volk noch nie," sagte er. "Also gut. Da Ihr uns so bereitwillig Euren Namen verraten habt, Durin, Sohn des Thorin, so wisset, dass Ihr mit Mardor, Sohn des Herion sprecht. Und dies sind meine Mutter Livian und mein Vetter Vatharon."
"Ich bin Córiel und dies sind Jarbeorn, Níthrar und Vaicenya," stellte Córiel rasch den Rest ihrer Gruppe zu.
Mardor fixierte Vaicenya. "Vaicenya... Dieser Name ist uns bekannt, und er bestätigt unseren Verdacht. Wir haben kein besonders gutes Verhältnis zu jenen, die von den Tatyar abstammen."
"Was schert mich das?" murrte Vaicenya. "Wir haben euch das Leben gerettet. Also zeigt etwas Dankbarkeit. So einfach ist das."
Livian, eine Elbin mit recht kurzem, schwarzem Haar, ergriff das Wort. "Dankbarkeit ist ein Luxus, den wir uns in diesen finsteren Tagen nur noch selten leisten können," sagte sie mit demselben Akzent wie Mardor.
"Ich war mit euch Gefangener dieser Monster," meinte Níthrar, "und wir alle hätten beinahe das Schicksal jener Unglücklichen geteilt, die im Wald verbrannt sind. Ihr mögt unserem Volk und unseren Begleitern hier nicht vertrauen, doch ich bin mir sicher, dass ihr mit uns in einer Sache übereinstimmt: Diese Orks, und alle ihrer Art, haben den Tod verdient."
Der dritte Elb, den Mardor als Vatharon vorgestellt hatte, warf einen langen Blick auf Jarbeorns Axt und sagte dann: "Ich stimme dir in jener Hinsicht zu, Níthrar. Und lasst mich der Erste sein, der euch für die Vollstreckung unserer Rache an diesen Yrecal dankt.“ Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er, an den Beorninger gewandt fort: „Ich habe gesehen, wie du deine Waffe geschwungen hast, Jarbeorn, und es hat mein Herz erfreut."
Jarbeorn lachte tief. "Na, dann bin ich gerne zu Diensten gewesen, mein Freund." Er breitete die Arme aus und wandte sich an die gesamte Gruppe. "Hört mal, ich verstehe ja, dass es unter Elben Konflikte gibt, die viele Jahrtausende zurück liegen können und dass euer Misstrauen einander gegenüber womöglich sogar angebracht ist. Aber dennoch sind die Orks unser aller Feinde und ich glaube nicht, dass dieser Haufen hier das letzte war, was wir von ihnen gesehen haben. Ich wette, es gibt hier noch mehr von ihnen. Also schlage ich vor, wir suchen uns ein etwas sichereres Plätzchen als diesen zugigen Strand, so schön es hier auch sein mag. Gibt es in der Nähe vielleicht ein Dorf, in dem wir zumindest eine Nacht übernachten könnten, ehe wir weiterziehen?"
"Ja, gibt es," begann Vatharon, doch scharfe Blicke von Livian und Mardor ließen ihn verstummen. Mardor seufzte hörbar, ehe er das Wort nahm.
"Gan Lurin, der Sitz unseres Anführers Herion, liegt nicht weit von hier," sagte er mit hörbarem Widerstreben. "Aber..."
"Es ist wichtig, dass wir so bald wie möglich dorthin gehen, damit Herion uns in Sicherheit weiß. Und meine Schwester ebenfalls." wandte Vatharon ein. Er hatte in einen Dialekt des Avarin gewechselt, den Córiel etwas besser verstand. Weshalb das so war, konnte sie nicht recht sagen - vermutlich kannte nur Melvendë die Antwort darauf, und Córiel hatte noch immer Schwierigkeiten damit, alle jener uralten Erinnerungen frei nach Wunsch abzurufen. Für den Augenblick begnügte sie sich mit der Vermutung, dass Melvendë einst mit Avari in Kontakt gekommen sein musste, die eine ähnliche oder sogar dieselbe Sprache gesprochen hatten.
"Lathia wird das gar nicht gefallen," hielt Livian in derselben Sprache dagegen. "Wenn wir Fremde nach Gan Lurin bringen... und obendrein drei Tatyar."
"Sie sind hier, in Sonuvien, und haben die Sterntochter des Meeres gesehen," antwortete Vatharon darauf und deutete auf den in Sternenlicht getauchten See. "Und sie haben die Yrecal getötet, die uns gefangen nahmen. Lasst sie zumindest vor meinem Onkel sprechen. Lathia wird dafür sorgen, dass sie keinen Schaden anrichten können."
Livian und ihr Sohn Mardor tauschten einen langen Blick aus. Schließlich wandte sich Mardor wieder an die Gruppe und wechselte zurück in die Gemeinsprache. "Es sei also, Fremde. Wenn Durin, Sohn des Thorin, und Jarbeorn, Sohn des Grimbeorn, für euch - Córiel, Vaicenya und Níthrar - bürgen, so möget ihr mit uns nach Gan Lurin gehen und unser Anführer Herion wird entscheiden, ob ihr dort willkommen geheißen werdet."
Vaicenya schnaubte. Die Worte "Undankbares Pack" waren ihr nur allzu deutlich von den Lippen abzulesen. Doch dann fiel ihr Blick auf Níthrar, der sich nur schwach auf den Beinen halten konnte. Córiel wusste, was Vaicenya dachte: Níthrar brauchte dringend Ruhe, und es gab vieles zwischen Mutter und Sohn zu besprechen. Ein halbwegs sicherer Ort, wie es das Dorf Gan Lurin zu sein schien, war genau das, was sie jetzt brauchten.
"Wir werden mit euch gehen," sagte Córiel.
"Und Jarbeorn und ich werden dafür sorgen, dass ihr drei euch benehmt, damit die hiesigen Langohren euch nicht zu ihrer nächsten Mahlzeit verarbeiten... oder was auch immer man hier mit unerwünschten Eindringlingen macht." Durin grinste bei diesen Worten in sich hinein und blickte den Elben herausfordernd in die Gesichter.
Jarbeorn lachte und gab ein bestätigendes Geräusch von sich. Während sich die Gruppe zum Aufbruch bereit machte, hörte Córiel, wie der Beorninger dem Zwerg zuraunte: "Ich mag deinen Humor, mein Freund."

Die Nacht wurde immer finsterer, während sie sich zu acht durch den dichten Pinienwald Sonuviens schlugen. Vatharon ging voraus, während Mardor und Livian das Schlusslicht der Gruppe bildeten. Vaicenya und Jarbeorn stützten Níthrar, dessen Verletzungen ihr Vorankommen verlangsamten. Schließlich, nach guten drei Stunden, tauchten vor ihnen im Dunkeln vereinzelte, silbrige Lichtpunkte auf und der Wald wurde etwas weniger dicht. Ungefähr hundert Schritte weiter kamen sie auf eine Lichtung, die von einer breiten Palisade beherrscht wurde. Jenseits davon lag ein Dorf, das vom schimmernden Licht vereinzelter Elbenlampen beschienen wurde. Im Zentrum der Palisade war ein großes, verschlossenes Tor eingelassen. Ehe sie sich dem Tor weiter nähern konnten, sprang von der hölzernen Plattform oberhalb des Tores eine hochgewachsene, schlanke Gestalt herab, die mit Schwert und Bogen bewaffnet war. Langes, bronzefarbenes Haar, das der Haarfarbe Vatharons glich, wallte über ihren Rücken und endete erst auf Höhe der Leiste der Elbenkriegerin, die die Gruppe mit strengem Blick musterte. "Keinen Schritt weiter, Eindringlinge," sagte sie in scharfem Ton. Dann fiel ihr Blick auf Vatharon. "Wie kommst du dazu, diese Fremden nach Gan Lurin zu bringen?" herrschte sie ihren Bruder - um den sich offensichtlich handelte - an.
"Lathia, sie haben Livian, Mardor und mich aus der Gefangenschaft der Yrecal befreit," entgegnete Vatharon und ging zu seiner Schwester hinüber, als wolle er sie umarmen. "Bist du denn gar nicht froh, uns wohlbehalten wiederzusehen?"
Lathia schenkte ihm einen vernichtenden Blick. "Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was haben diese Endringlinge hier verloren? Wie konntest du zulassen, dass sie hierher kommen?"
Vaicenya schien drauf und dran zu sein, sich einzumischem, doch Córiel legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie hoffte, dass Vatharon in der Lage sein würde, seine Schwester von den guten Absichten seiner Begleiter zu überzeugen.
"Herion wird über ihr Schicksal entscheiden, wie es Tradition ist," sagte Vatharon. "Sie sollen mit ihm sprechen, nachdem sie geruht haben. Einer von ihnen ist verletzt."
"Nein, das werden sie nicht," beharrte Lathia. "Heute gilt mein Wort, nicht das Wort Herions." Ein Schatten zog bei diesen Worten über ihr Gesicht.
Livian riss die Augen auf. "Was ist geschehen? Ist ihm etwas zugestoßen? Ist mein Mann am Leben?" rief sie bestürzt.
"Er lebt... wenn auch nicht viel gefehlt hat," sagte Lathia. "Bis er sich erholt hat, habe ich das Kommando in Gan Lurin." Sie hob die Hand. Oben am Tor erschienen Elben mit gezogenen Bögen, die Pfeile auf Córiel und ihre Gefährten zielend. "Vatharon, Mardor, Livian... geht von den Fremden weg. Ich werde kein Risiko eingehen."
Und tatsächlich gehorchten die drei genannten Elben und gaben den Schützen freies Schussfeld. Vaicenya stellte sich schützend vor Níthrar, während Durin und Jarbeorn wild durcheinander zu brüllen begannen...
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Die Anführer der Hwenti
« Antwort #7 am: 11. Jan 2019, 15:33 »
"Und jetzt - nehmt sie gefangen," erklang Lathias Stimme über den Tumult hinweg. Avari-Krieger strömten aus dem sich ohne Vorwarnung geöffneten Tor heraus und umstellten Jarbeorn, Durin, Vaicenya und Córiel. Vatharon war der Einzige, der dabei etwas schuldbewusst drein blickte. Mardor und Livian schienen sich den Wünschen ihrer Anführerin zu fügen und hatten gleichmütige Mienen aufgesetzt.
"Das werdet ihr bereuen," sagte Vaicenya leise und bedrohlich. Córiel nahm die Hand der Dunkelelbin und drückte sie - fest. Wenn Vaicenya jetzt in Rage geriet, waren sie alle dem Tod geweiht. Auch Níthrar machte eine beruhigende Geste in Richtung seiner Mutter. Und für den Moment schien es zu funktionieren. Vaicenya biss die Zähne zusammen und blieb ruhig, auch wenn die Blicke, die sie von sich gab, geradezu tödlich waren.
Man band ihnen die Hände zusammen und führte sie ins Innere des Dorfes. Die aus Holz gebauten Häuser waren eng aneinander gedrängt und von weiteren Elbenlampen erhellt. Dorfbewohner waren nur wenige zu sehen. Alle Elben, die Córiel sah, trugen Waffen in den Händen.
Im Zentrum des Dorfes erhob sich das einzige Gebäude des Dorfes, das aus Stein bestand. Es handelte sich um ein beinahe vollkommen rundes Konstrukt, das wie ein sich windender, überaus breiter Baumstamm geformt war und von oben bis unten mit eingravierten Schriftzeichen bedeckt war. Die Avari führten ihre Gefangenen ins Innere des Gebäudes, dessen Erdgeschoss aus einer großen, runden Halle bestand. Am anderen Ende des Raumes stand ein verzierter Sitz aus Stahl, der mit bestickten Decken belegt war. An den Wänden ringsum waren kunstvolle Malereien zu sehen, die das alltägliche Leben der Elben Palisors zeigten. Und in der Mitte der Halle brannte ein rundes Feuer, dessen Rauch von einer mit einem Gitter versehenen Öffnung in der Decke aufgefangen wurde. Erhellt wurde der Raum von weiteren Lampen sowie den flackernden Flammen des Feuers.
Während Córiel sich noch staunend umblickte, nahm Lathia auf dem Sitz am Ende des Raumes Platz. Die bewaffneten Avari trieben ihre Gefangenen vor sich her, bis diese auf der freien Fläche direkt vor dem Stuhl standen.
"Mein Name ist Lathiawen, und ich spreche für die Hwenti von Palisor," sagte die Anführerin der Elben mit stählerner Stimme. "Weil ihr daran beteiligt wart, meine Familienmitglieder aus der Gefangenschaft der Yrecals zu befreien, gewähre ich euch eine einzige Gelegenheit, mich davon zu überzeugen, dass ihr nicht unsere Feinde seid und nicht den Tod verdient habt. Sprecht! Eure Zeit läuft." Sie verschränkte die Arme vor der Brust und blickte sie der Reihe nach herausfordernd an.
Vaicenya schien etwas sagen zu wollen, doch Níthrar hielt sie zurück. Stattdessen war es Jarbeorn, der das Wort nahm. "Wir danken Euch für diese Gelegenheit, Lathiawen von den Hwenti. Erlaubt mir zunächst, meine Freunde und mich vorzustellen." Er breitete die Arme aus und fuhr fort: "Ich bin Jarbeorn, Sohn des Grimbeorn, vom Volk der Beorninger. Neben mir steht Durin, Sohn des Thorin, von den Langbärten. Desweiteren stehen hier vor dir Vaicenya und ihr Sohn Níthrar vom Volk der Tatyar, sowie..."
"Mein Name ist Melvendë... ebenfalls von den Tatyar," sagte Córiel mit fester Stimme. Eine Erinnerung war über sie gekommen, als Jarbeorn zu sprechen begonnen hatte. Der Name des Dorfes, in dem sie sich befanden, lautete Gan Lurin... ein Ort, den Melvendë bereits kannte, wenn auch unter einem anderen Namen. In den langen Jahren des Friedens, vor der Ankunft der Schattenkreaturen war sie einige Male zu den Heimstätten anderer Elbenvölker gereist. Einmal hatte sie ihre Freunde, Cúwen und Tyelpion von den Stämmen des Ostens, in eines der Dörfer begleitet, die vom Volk der Hwenti bewohnt gewesen waren. Und Córiel hatte erstaunt festgestellt, dass sich an dieser Tatsache in all den vergangenen Zeitaltern offenbar nichts geändert hatte. Zwar sah sie weder Tyelpion noch Cúwen, denn Tyelpion war in den Wirren der ersten Kriege verloren gegangen, und Cúwen hatte in ihrer Trauer den Kontakt zu den Tatyar abgebrochen. Dennoch hoffte Córiel, dass es unter den Hwenti, die heute hier waren, vielleicht jemanden geben konnte, der ihren Namen schon einmal gehört hatte.
Doch stattdessen war es ein anderer Name, der bei Lathiawen eine Reaktion auslöste. Eine Reaktion, die wohl niemand erwartet hatte. Die Elbin lehnte sich in ihrem Sitz zurück und... lachte.
"Die mächtige Vaicenya also," rief die Anführerin der Hwenti. "So beeindruckend bist du gar nicht, wo ich dich jetzt von Angesicht zu Angesicht sehe."
"Was soll das denn heißen?" erwiderte Vaicenya gereizt.
"Wir haben hier in Sonuvien schon viel von deinen Taten im Süden Palisors gehört - oder sollte ich besser sagen, von deinen Untaten? Es würde mich gar nicht wundern, wenn du hinter den Yrecal-Angriffen der letzten Jahre steckst."
"Sicher nicht," hielt Vaicenya dagegen. "Wir beide wissen, dass diese Angriffe das Werk des Ilcalocë sind.“
Erstauntes Gemurmel erhob sich bei diesen Worten unter den Hwenti. Sowohl Zustimmung als auch Ablehnung glaubte Córiel daraus hervor zu hören.
"Der Ilcalocë ist nur ein Legende. Ein Märchen, das man unartigen Kindern erzählt, um sie zu erschrecken," sagte Lathiawen. "Gib mir einen einzigen Grund, weshalb ich dich nicht auf der Stelle von Kopf bis Fuß aufschlitzen sollte."
Vaicenya deutete auf die drei Elben, die sie befreit hatten. Dann senkte sie in einer überraschend demütigen Geste das Haupt und sagte leise: "Ich kenne meine Fehler und weiß, was ich in angerichtet habe. Du magst mir glauben, oder nicht - das ist mir egal. Aber ich sage die Wahrheit, wenn ich dir jetzt sage, dass ich mich geändert habe. Seitdem ich gefunden habe, was ich all die Jahre gesucht hatte." Zu Córiels Verwunderung streifte Vaicenyas Blick bei diesen Worten Níthrars Gesicht, und nicht das der Hochelbin. "Wenn du jemanden aufschlitzen willst, dann... nimm mich. Aber lass die anderen in Frieden. Sie haben dir und deinem Volk kein Leid angetan, sondern sind aus freiem Willen hier, um mir bei der Suche nach meinem Sohn zu helfen. Und sie haben dafür viel geopfert. Ich habe sie nicht darum gebeten, sondern sie taten es aus freier Entscheidung heraus."
"Eine interessante Entwicklung," sagte eine neue Stimme. Sie war leise, und doch sorgte sie für sofortige Stille unter den Hwenti. "Demut steht dir gut zu Gesicht, Vaicenya."
"Herion..." Lathiawen blickte den Elben an, der am Treppenaufgang zu den oberen Stockwerken stand. Zwei Frauen stützten den schwächlich wirkenden Herion, doch seine Ausstrahlung war die eines weisen Ratgebers und respekteinflößenden Anführers. "Was tust du hier?" wollte Lathiawen misstrauisch wissen.
Auf Herions blassem Gesicht erschien ein schmales Lächeln. "Bei dem Lärm, den ihr alle hier veranstaltet, kann doch niemand schlafen. Ich bin herunter gekommen, um nachzusehen, was hier wohl für eine solche große Aufregung gesorgt hat. Und ich bin froh, dass ich es getan habe." Livian und Mardor waren an Herions Seite geeilt, denn er wirkte außerordentlich schwach. "Lass mich unter vier Augen mit Vaicenya sprechen, und ich werde ergründen, ob sie wirklich die Wahrheit sagt. Ihre Freunde sollen in der Zwischenzeit unsere Gäste sein. Bringt sie in einem der leer stehenden Häuser unter und behandelt sie gut, denn ihnen ist es zu verdanken, dass mein Sohn und meine Frau noch am Leben sind. Wir müssen..." Er brach ab und wurde von einem ungut klingenden Hustenanfall geschüttelt. Als Herion sich mit der Hand über den Mund wischte, sah Córiel, dass Blut daran klebte. Der Anführer der Hwenti winkte Vaicenya müde zu sich, und beide verschwanden die Treppe hinauf.
Lathiawen schien ihren Zorn nur mühsam beherrschen zu können. Doch offensichtlich würde sie das Wort ihres Anführers nicht infrage stellen. Sie warf Córiel und Níthrar feindselige Blicke zu, während sie die Anweisungen Herions in die Tat umsetzte. So geschah es, dass man Córiel und die Anderen in einem der aus Holz gebauten Häuser nahe der Palisaden einquartierte und ihnen ans Herz legte, Lathiawen nicht zu weiterem Zorn zu reizen. Sie beschlossen, die Nacht hier zu verbringen und darauf zu hoffen, dass es Vaicenya gelingen würde, Herion von ihrem Sinneswandel zu überzeugen, ohne dass es zu einem Gewaltausbruch kam...
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Verteidige dich!
« Antwort #8 am: 27. Jan 2019, 10:08 »
Die Nacht verging, ohne dass Vaicenya wieder auftauchte. Am folgenden Morgen war Córiel früh auf den Beinen, während Jarbeorn, Durin und Níthrar den Sonnenaufgang verschliefen. Alle dreien schien die Ruhe nach den Strapazen ihrer Reise durch Rhûn und Palisor gut zu tun.
Córiel öffnete behutsam die Eingangstüre der Hütte, in der die Hwenti sie einquartiert hatten. Die Sonne war gerade über die Bergkette im Osten geklettert und tauchte das Dorf in warmes, morgendliches Licht. Nur wenige Elben waren unterwegs, um ihren täglichen Geschäften nachzugehen. Man warf Córiel unterschiedliche Blicke zu - ein Teil war misstrauisch, andere zeugten eher von Neugierde. Doch niemand sprach die Hochelbin an, während sie einen Spaziergang durch das erwachende Dorf machte.
Ohne dass sie es vorgehabt hatte, trugen ihre Beine sie zum zentralen Platz der Siedlung, wo der Steinerne Baum aufragte, in dessen oberen Stockwerken der Anführer des Dorfes, Herion, mit Vaicenya verschwunden war. Córiel fragte sich, ob sie wohl nachsehen sollte, was die beiden so lange aufhielt. Zögerlich näherte sie sich dem Eingang des großen Gebäudes, doch ehe sie die Türe öffnen konnte, ertönte eine kühle Stimme hinter ihr.
„Sie sind fort,“ stellte Lathiawen klar. Córiel fuhr herum und fand die Hwenti-Elbin mehrere Schritte entfernt stehend vor, die Arme vor der Brust verschränkt. „Ich habe bereits nachgesehen. Herion und Vaicenya sind verschwunden, und bis auf seine Frau, Livian, weiß niemand, wohin sie gegangen sind.“
„Sie hat es dir nicht verraten?“ wunderte Córiel sich.
Lathiawen blickt verärgert beiseite. „Livian handelt im Auftrag Herions, und ich werde seine Entscheidung diesbezüglich jetzt nicht infrage stellen. Aber eines gibt es, das ich tun kann.“ Sie fand Córiels Blick, und Lathiawens Augen blitzten. „Los! Verteidige dich!“
Etwas sauste auf Córiel zu. Instinktiv riss sie die Hand hoch und fing den Gegenstand am Griff auf. Es stellte sich als Schwert heraus. Eine gerade, ungebogene Klinge, mit einem Griff, der Platz für anderthalb Hände bot. Kaum hatte Córiel die Waffe ergriffen, sprang Lathiawen bereits auf sie zu, eine ähnliche Waffe schwingend. Ihren Angriff führte sie von oben, das Schwert über den Kopf erhoben. Córiel drehte sich weg und ließ den Schlag an ihrer Klinge abgleiten, ehe sie zwei schnelle Schritte machte und etwas Distanz zwischen sich und ihre Gegnerin brachte.
„Was soll das bezwecken?“ fragte sie, das Schwert in einer wachsamen Defensivhaltung erhoben.
„Man kann viele Worte tun, um seine Absichten zu verbergen oder offen zu legen,“ rief Lathiawen. „Doch für mich sprechen Taten lauter als Worte.“ Sie wirbelte um die eigene Achse und griff diesmal mit einem einhändigen Schlag von unten her an. Córiels Schwert parierte den Treffer mit einem metallischen Klirren, das die Aufmerksamkeit der Dorfbewohner erweckte.
„Dies entspricht nicht den Traditionen!“ riefen einige, doch Lathiawen scherte sich nicht darum. Der Kampf ging mit unverminderter Härte weiter und auf Lathiawens Angriffe folgten Córiels hastige Paraden und Ausweichmanöver.
„Wo ist Herion? Er muss dem ein Ende setzen, ehe noch jemand verletzt wird,“ rief jemand, den Córiel gerade nicht sehen konnte. Sie machte einen Ausfallschritt auf Lathiawen zu und machte dann ihren ersten offensiven Zug des Duells, indem sie die Klinge auf Bauchhöhe horizontal kreisen ließ. Die Hwenti-Elbin entging dem Treffer durch einen raschen Sprung rückwärts.
„Hierbei geht es nicht um Traditionen. Ziehe eine Waffe und du tötest oder wirst getötet,“ rief Lathiawen. „Wenn der Tod nicht eintritt, dann Verletzungen. Wenn keines davon eintritt, hast du Glück gehabt, oder deine kämpferischen Fähigkeiten überragten die deines Gegners.“ Sie stieß sich ab und sauste auf Córiel zu. Die Hochelbin verstärkte ihren Stand und hob das Schwert zur beidhändigen Parade. Lathiawens Angriff prallte dagegen und sie kamen für einen Augenblick zum Stillstand, die Gesichter ganz nahe beieinander und die Klingen gekreuzt.
„Du willst sehen, was ich zu bieten habe?“ wisperte Córiel. „Gib mir einen Speer, und ich zeige es dir.“
Lathiawen grinste. „Vielleicht werde ich das,“ entgegnete sie. „Wenn du es dir verdient hast.“ Sie ließ sich fallen und schlug nach Córiels Beinen. Die Hochelbin sprang über den Hieb hinweg und versetzte Lathiawen einen Tritt gegen die rechte Schulter, als die Hwenti-Elbin gerade wieder auf die Beine gekommen war. Sie taumelte zwei Schritt rückwärts, dann fing sie sich wieder. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stürzte sie sich auf Córiel, und es war, als würde sie erst jetzt ihr gesamtes Können einsetzen. Córiel geriet in ernsthafte Schwierigkeiten und konnte sich kaum gegen die wilden Angriffe behaupten, die auf sie einprasselten. Lathiawen schien überall gleichzeitig zu sein und drängte Córiel in die Defensive.
Die Klinge ihrer Gegnerin drang durch Córiels Verteidigung und rauschte viel zu nahe an ihrem Gesicht vorbei. Ein Büschel blonder Haare fiel zu Boden, und Córiels linkes Ohr loderte in hellem Schmerz auf. Das Schwert hatte es mit der flachen Seite gestreift und eine Verbrennung hinterlassen. Córiel biss die Zähne zusammen und packte Lathiawens ausgestreckten Arm mit der freien Hand, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dabei drehte sie sich um die eigene Achse, entging einem weiteren, hastigen Hieb ihrer Gegnerin und schlug dann mit aller Kraft zu. Zwar gelang es Lathiawen, den Angriff zu parieren, doch Córiels Klinge rutschte an ihrem Schwert ab und hinterließ einen kleinenSchnitt an Lathiawens rechtem Oberarm.
Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. In Lathiawens Augen sah Córiel keinen Schmerz, nur Überraschung. Doch dann flackerte wieder Wut darin auf. Lathiawen griff an, mit einem vorhersehbaren Schlag gegen Córiels Mitte. Die Hochelbin brachte ihr Schwert zur Parade in Stellung, und... mit einem Mal war Lathiawens Klinge nicht mehr dort, wo sie hätte sein sollen. Anstatt von vorn zu kommen, schlängelte sich der Angriff auf beinahe unmögliche Art und Weise um Córiels Verteidigung herum, und der Griff von Lathiawens Schwert traf Córiels Handgelenk, das sofort taub wurde. Die Klinge fiel ihr aus der Hand, ohne dass sie es verhindern konnte. Etwas stieß hart gegen ihre Brust, und sie fand sich auf dem Erdboden wieder, Lathiawens Schwert an ihrem Hals.

Ehe Córiel reagieren konnte, begann Lathiawen, zu lachen. Es war so ziemlich das Letzte, was die Hochelbin in dieser Situation erwartet hatte. Die Klinge an ihrem Hals verschwand. An ihrer Stelle wurde Lathiawens Hand sichtbar, und Córiel ergriff sie und ließ sich auf die Beine ziehen.
„Gut gekämpft,“ sagte die Hwenti-Elbin. „Ein würdiger Gegner ist selten für mich zu finden.“
Córiel wusste zunächst nicht recht, wie sie darauf antworten sollte. Sie betastete ihr Ohr und warf einen Blick auf Lathiawens blutenden Arm. „Tut mir Leid wegen der Verletzung,“ sagte sie.
„Mach‘ dir keine Gedanken wegen diesem Kratzer. Ich habe es dir ja gesagt. Wer eine Waffe zieht, riskiert es, verletzt zu werden. Das gilt für mich ganz genauso, wie für dich.“
„Was wolltest du mit diesem Kampf bezwecken?“ wollte Córiel wissen.
Lathiawen lächelte - zwar war es kein freundschaftliches Lächeln, doch immerhin war die Feindseligkeit aus ihrer Stimme verschwunden. „Ich wollte wissen, was du tun würdest. Und deine Reaktionen haben mir gezeigt, dass dir und deinen Begleitern vielleicht ja doch zu trauen ist, Melvendë.“ Sie machte eine Pause und ihr Blick ging hinüber zum Steinernen Baum. „Vaicenya zu beurteilen ist nun Herions Sache.“

Jarbeorn und Durin lösten sich aus der kleinen Menge, die den Kampf beobachtet hatte. Beide schienen schwer beeindruckt zu sein.
„So etwas hab‘ ich noch nie gesehen,“ meinte der Zwerg. „Das ging ja so schnell hin und her, dass man kaum folgen konnte.“
„Gut gemacht, Stikke,“ lobte Jarbeorn und schlug Córiel freundschaftlich auf die Schulter.
„Es gehört einiges dazu, meine Schwester dazu zu bringen, sich im Kampf nicht zurückzuhalten,“ sagte Vatharon, der neben dem Beorninger aufgetaucht war.
„Ich hoffe, du bist ihr in dieser und auch in anderer Hinsicht nicht ähnlich,“ scherzte Córiel. „Ich habe für heute genug Kämpfe bestritten.“
„Mich müsst ihr nicht von eurer Vertrauenswürdigkeit überzeugen,“ erwiderte Vatharon grinsend. „Jarbeorn hat mir erzählt, was im Westen vor sich geht, und welche Abenteuer ihr bereits gemeinsam erlebt habt. Außerdem habt ihr mich gerettet. Ich weiß, dass ihr den Hwenti nicht schaden wollt.“
Lathiawen musterte ihren Bruder mit einer Mischung aus Unwillen und Nachdenklichkeit. Dann nickte sie leicht und marschierte in Richtung des Steinernen Baumes davon.
„Man sieht es ihr nicht an, aber ich bin mir sicher, dass du sie beeindruckt hast, Melvendë,“ sagte Vatharon zuversichtlich.
„Hast du eine Ahnung, wohin Herion mit Vaicenya verschwunden sein könnte?“ fragte Córiel ihn.
Doch Vatharon schüttelte den Kopf. „Mein Onkel hat seine eigenen Methoden, um die Wahrheit aus jemandem herauszubekommen. Dass die beiden spurlos verschwunden sind, bedeutet wohl, dass sie einen der unterirdischen Gänge verwendet haben, die wir die Wurzeln des Steinernen Baumes nennen. Ich vermute, Herion wird Vaicenya irgend einer Art von Prüfung unterziehen.“
„Dann hoffen wir, dass sie diese Prüfung besteht,“ sagte Durin und schlug die Fäuste gegeneinander. „Bei eurem Duell zuzusehen, hat mich hungrig gemacht. Wie wäre es mit einem wohlverdienten Frühstück?“
„Wohlverdient?“ lachte Jarbeorn. „Du hast doch nichts getan, mein Freund.“
„Ich habe sie angefeuert. Hast du mich nicht gehört?“
Der Beorninger legte den Kopf schief. „Tut mir Leid, in der Aufregung des Kampfes muss ich dich wohl überhört haben.“
„Bitte, Freunde, so streitet euch doch nicht,“ sagte Vatharon gut gelaunt. „Ihr sollt eurer Frühstück bekommen. Kommt - ich bringe euch zu mir nach Hause.“

Beinahe hatte Córiel erwartet, in Vatharons Unterkunft wieder auf Lathiawen zu treffen, denn die beiden Geschwister teilten sich ein Haus am Rande des Dorfes. Doch von der Kriegerin war nichts zu sehen, als sie sich zu viert um einen runden Tisch setzten und ein ausgedehntes Frühstück zu sich nahmen. Während sie aßen, stellte Vatharon ihnen viele weitere Fragen über die Länder im Westen. Besonders schien ihn der Verlauf des Krieges zu interessieren.
Nach einer halben Stunde gelang es Córiel, eine Frage zur Lage in Palisor zu stellen, und zu den Elben, die dort lebten.
„Wir sind alles, was vom Volk der Hwenti in Sonuvien noch übrig ist,“ sagte Vatharon. „Alle anderen sind in den letzten Monaten nach Westen gezogen.“
„Weshalb haben sie ihre Heimat verlassen?“ fragte Jarbeorn.
„Wegen den ständigen Ork-Angriffen. Und weil sie das fürchten, was womöglich hinter all dem Leid steckt, das sie in den vergangenen Jahren erdulden mussten.“
„Wovon sprichst du?“ wollte Córiel wissen.
Vatharon senkte seine Stimme zu einem Flüstern. „Meine Schwester und einige andere glauben nicht daran, aber ich bin mir sicher, dass das Auftauchen der Orks mit der Legende des Ilcalócë zu tun hat.“
Córiel wunderte sich über das Wort, das Vatharon verwendete. Es klang wie eine Eigenbezeichnung, oder ein Titel. Ehe sie sich Gedanken über die Bedeutung machen konnte, ging das Gespräch weiter.
„Was ist das für eine Legende?“ fragte Durin.
„Im Gebirge östlich von hier, in den Orocarni, gibt es viele gewaltige Berge. Doch der höchste Gipfel von ihnen wird bei unserem Volk Ilmarës Wacht genannt. Er ragt bis über die obersten Wolken hinauf, und sein Gipfel ist von immerwährendem Sternenlicht beschienen. Als die Altvorderen Tage endeten und der erste Dunkle Herrscher gestürzt wurde, gab es einige seiner Diener, die dem Gemetzel entkamen und sich an Orten wie diesem vor den Herren des Westens verbargen. So geschah es der Legende auch mit dem Ilcalócë. Er floh von den Thangorodrim bis in die Orocarni und dort oben, auf dem höchsten Gipfel, geriet er in den Bann des Lichts der Sterne. Um ihnen nahe zu sein, verließ er die Bergspitze niemals wieder...“
„Und wenn du nicht brav bist, wird sein Schlaf enden und er wird dich holen kommen,“ erklang Lathiawens spöttische Stimme von der Tür her. „Es ist nichts als eine Legende, Vatharon.“
Sie fuhren überrascht herum. Vatharons Schwester stand im Türrahmen, die Hände in die Hüften gestemmt. Ehe jemand etwas sagen konnte, fuhr Lathiawen bereits fort. „Ihr solltet rasch mit mir kommen. Herion ist soeben zurückgekehrt.“
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Abschied von den Hwenti
« Antwort #9 am: 6. Mär 2019, 15:18 »
Rasch kehrten sie auf den zentralen Platz des Dorfes zurück. Der Anführer des Hwenti-Stammes, Herion, wartete bereits auf sie. Bei ihm waren sein Sohn Mardor sowie Vaicenya und Níthrar.
"Ich hörte, es ist dir gelungen, Lathiawens Aufmerksamkeit zu erringen, Melvendë," sagte Herion gut gelaunt, als sie sich bei ihm eingefunden hatten.
"Wenn Ihr damit auf den Kampf mit ihr anspielt, dann könnte man es wohl so nennen," meinte Córiel.
"Eine ungewöhnliche Entwicklung der Dinge. Es kommt nur selten vor, dass jemand gegen unsere beste Kriegerin bestehen kann." Herion warf Vaicenya einen Blick zu, ehe er fortfuhr: "Auch ich habe die vergangenen Stunden gut genutzt. In den uralten Wäldern, die uns seit dem Aufgang der Sterne umgeben, ist große Weisheit verborgen, die ich mir zunutze gemacht habe. Ich bin zu einer... Übereinkunft mit thíril Vaicenya gekommen."
"Na sowas," staunte Jarbeorn. "Sie kann ja doch ganz vernünftig sein, wie mir scheint."
Vaicenya funkelte ihn wütend an, sagte jedoch nichts. Stattdessen sprach der Anführer der Hwenti weiter: "Vaicenya und ihr Sohn werden einige Zeit bei uns bleiben und dafür sorgen, dass uns die Yrecals nicht länger behelligen. Sie werden Lathiawen und den anderen Hütern beim Schutze unseres Stammes von großem Nutzen sein."
Córiel hob überrascht die Augenbrauen. "Du willst wirklich hier bleiben?" fragte sie die Dunkelelbin, welche ihr mit einem schlichten Nicken antwortete.
"Ich halte das für eine gute Idee," sagte Níthrar. "In der Zwischenzeit könnt ihr dem Zwerg bei seiner Mission Unterstützung leisten."
"Ich habe einen Namen, Elb," sagte Durin unwirsch. "Durin, Sohn des Thorin, schon vergessen?"
"Wir hatten seit meiner Befreiung noch gar keine richtige Möglichkeit, einander kennenzulernen. Ich bin Níthrar - und bitte um Verzeihung, Durin, Sohn des Thorin."
"Gut, na schön," gab sich Durin zufrieden. Dann wandte er sich an Córiel und Jarbeorn. "Ihr beiden wollt mir weiterhin bei der Suche nach den Zwergen des Ostens helfen?"
"Das versteht sich doch von selbst," sagte Jarbeorn. "Immerhin hast du uns auf die Spur gebracht, die uns zu Níthrar geführt hat. Wir werden diese verschwundenen Zwergenstädte schon bald gefunden haben. Ich freue mich schon drauf, diese geheimnisvollen Berge, die ihr Orocarni nennt, zu bereisen. Im Gebirge fühle ich mich gleich wohler, vor allem, wenn es bergauf geht. Da spürt man, wie das Leben durch einen hindurchströmt."
Córiel musterte den Beorninger mit einem zweifelnden Blick. Sie wusste, dass Jarbeorn im Tal des Anduin aufgewachsen war, wo die steilen Hänge des Nebelgebirges nicht fern waren. Doch dass Jarbeorn das Gebirge den Wäldern vorzog, kam ihr etwas merkwürdig vor. "Wie dem auch sei," sagte sie etwas steif, "auch ich helfe dir, Durin. Sollte dein Vorhaben gelingen und der Erebor wieder in Zwergenhand geraten, hätte der Krieg im Norden eine wichtige Wendung genommen. Der einsame Berg liegt strategisch günstig und ein von Zwergen kontrollierter Erebor würde das Waldlandreich entlasten und neue Angriffsmöglichkeiten auf die Orks im Grauen Gebirge ermöglichen."
Durin nickte. "Dann werden wir als furchtloses Trio diese Aufgabe angehen, und sie meistern," beschloss er.
"Ihr seid voller Tatendrang, wie ich sehe," sagte Herion. "Das ist gut! Denn nach dem, was aus den Orocarni an unsere Ohren gedrungen ist, wird sich die Aufgabe wohl kaum als einfach erweisen. Seid gewarnt, und agiert mit Vorsicht! Die guten Wünsche der Hwenti mögen euch begleiten."
"Und vergesst nicht, auf dem Rückweg hier im Dorf einen Zwischenstopp einzulegen und uns zu erzählen, was ihr erlebt habt!" warf Vatharon noch ein.

Sie beschlossen, am kommenden Tag nach Osten hin aufzubrechen. Die Hwenti versorgten sie mit einigen Vorräten und Beschreibungen der Umgebung, denn Karten existierten für die ungezähmte Wildnis von Dalvarinan nicht. Herion hatte bereits vor seiner Rückkehr ins Dorf Späher ausgesandt, um die Pferde vom Waldrand zu holen, die Córiel und ihre Gefährten in Riavod gekauft hatten. Sie nahmen zwei der Tiere mit sich, und Córiel ließ Durin hinter sich in den Sattel klettern, da sein Gewicht kombiniert mit Jarbeorns muskelbepackter Gestalt zu viel für selbst das stärkste Ross gewesen wäre.
Ehe sie losritten, schärften ihnen die Hwenti noch einmal ein, besonders aufmerksam zu sein. Vatharon, der den Zügel von Córiels Pferd führte, sagte: "Meine Schwester mag den Ilcalocë nur für ein Märchen halten, aber ich bin mir sicher, dass er irgendetwas mit den Yrecals im Gebirge zu tun hat."
Durin, der hinter Córiels Rücken hervorlugte, sagte: "Was mag das bloß für eine Kreatur sein, von der du da andauernd sprichst, Vatharon?"
Der Avarin-Elb überlegte, schien nach dem richtigen Wort zu suchen. Derweil erreichten die beiden Rösser das Tor des Dorfes. Jarbeorn, der sein Pferd im Schritt gehen ließ, verließ als Erster die Ansiedlung der Hwenti. Ehe Córiel ihm folgen konnte, sagte Vatharon im Flüsterton: "Ich glaube, im Westen würde man den Ilcalocë als einen Drachen bezeichnen. Nehmt euch in Acht vor ihm!"
Mit gemischten Gefühlen ritten sie los. Drei in grün gekleidete Avari, die sich im Wald flink zu bewegen wussten, wiesen ihnen den Weg, bis sie das dichteste Waldgebiet, das das Dorf umgab, hinter sich gelassen hatten und in lichtere Regionen kamen. Hier verabschiedeten sich die Hwenti von ihnen und verschwanden so rasch wie Wassertropfen, die auf einen klaren See fallen.
Nun übernahm Córiel mit Durin als Passagier die Führung. Zwischen den Baumwipfeln hindurch konnte sie im Osten bereits die ersten rötlichen Bergspitzen hervorblitzen sehen. Zwar befanden sie sich noch immer im Wald, doch zwischen den Bäumen (zumeist Fichten und Buchen) gab es genug Platz, dass die Pferde in einen flotten Trab fallen konnten. So kamen sie zügig voran, während der Tag verstrich. Das Gebiet veränderte sich nur wenig, doch seit dem Mittag hatte der Boden zuerst sanft, dann immer steiler begonnen, nach Osten hin anzusteigen. Als die Sonne untergegangen und sie ein Nachtlager aufgeschlagen hatten, hatten sie schon beinahe die ersten Ausläufer der Orocarni erreicht.


Córiel, Jarbeorn und Durin in die Orocarni
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RPG:

Thorondor the Eagle

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Aufbruch in die Vergangenheit
« Antwort #10 am: 23. Jun 2019, 22:20 »
Start Caelîf:

Als die Elben das schützende Tal verlassen hatten ritten sie entlang einer eher wenig genutzen Handelsstraße um Richtung Norden zu kommen. Die Straßen durch die wilden Wälder die sich westlich der Orocarni erstreckten wurden generell nicht mehr sehr stark benutzt. Das lag wohl daran, dass die Straßen über hohe Pässe an die Ostküste des Meeres führten und diese Wege eher unsicher waren. Die Menschen aus den südlichen Ländern benutzen Wege die südlich der Orocarni nach Osten führten und die Menschen die aus Rhûn kamen legten ihren Focus eher auf die westlichen Ländereien. Die wilden Wälder Palisors waren in den Jahrtausenden eher zu einem legendären Ort geworden.

Der Quetgwor hatte ihnen verraten, dass im Nordosten der wilden Wälder ein ausgedehntes Sumpfgebiet lag und der Wald sollte unbedingt südlich davon verlassen werden. Auf dieser Höhe waren sie wohl weit genug von Rhûn entfernt und südlich genug um nicht zu Nahe an die Eisenberge zu kommen, wo immer wieder Orks gesichtet wurden.

Nach gut einer Woche in der sie Tag für Tag nur vom Dickich der Bäume umgeben waren, erreichten sie eine baumfreie Anhöhe. Von hier aus hatte man eine wunderbare Aussicht. Zu ihren Füßen breitete sich ein breiter Talkessel aus der grün bewaldet war. Im Norden war ein großer See zu sehen und etwas östlich davon am Horizont das genannte Sumpfgebiet erahnbar.
„Hier möchte ich heute eine Rast einlegen, bitte“, beschloss Rástor.
„Aber mein Herr, die Sonne geht erst in ein paar Stunden unter. Wir sollten die Zeit nutzen um noch voran zu kommen und um uns eine geschützere Stätte für die Nacht zu suchen“, antwortete Inglos, der Hauptmann der Grenzwächter.
„Ich weiß es ist hier nicht ideal, aber ich würde euch trotzdem gerne darum bitten.“
„Nun gut, aber ich schlage vor, dass wir unsere Zelte im Schutz der Bäume aufschlagen. Hier auf dieser kahlen Anhöhe sitzen wir wie auf dem Präsentierteller“, antwortete der Hauptmann.

Rástor leistete keinen Widerstand mehr. Augenblicklich begannen die Soldaten das Nachtquartier zu errichten. Caelîf blieb bei Rástor.

„Hast du dir die Welt so vorgestellt, Caelîf?“, fragte der oberste Rat ihn.
„In den vielen Büchern die ich gelesen habe, wurden zahlreiche Landschaften beschrieben, aber nichts kommt dem gleich was ich hier sehe. Das Aussehen der Welt in meinen Gedanken war so schroff und kantig wie es eben bei uns zuhause ist. In meinem Träumen hätte ich mir nie vorgestellt, dass ein sich durch das Tal schlängelnder Fluss, der Spiegel eines Sees, die sanften Wogen eines bewaldeten Tales so aussehen.“
„Dieser Ort ist aber ein ganz besonderer Ort und du wirst keinen vergleichbaren finden.“
„Besonders? Wieso?“
„Ich habe noch nicht viel auf dieser Welt gesehen mein junger Freund, aber an diesen Ort erinnere ich mich sehr gut. Zunächst war ich mir nicht ganz sicher, aber meine Augen können mein Herz nicht täuschen. Dieses Gefühl von Heimkehr hatte ich seit Jahrtausenden nicht. Vor uns erstreckt sich das Tal von Dalvarinan, das Tal in dem die Elben erwacht sind.“
Ehrfurcht überkam Caelîf als er diese Worte hörte: „Deshalb wollt ihr die Rast hier einlegen!“
„Ja, ganz genau. Heute Nacht möchte ich den Duft meines Herkunftsortes riechen, das Glitzern der Sterne im Wasser des Sees sehen und die Magie unseres Volkes fühlen. Hier ist die Wiege unseres Lebens.“
Die beiden Elben stiegen von ihren Pferden und ließen sie frei auf der Lichtung umerstreifen. Sie pflegten eine sehr intensive Beziehung zu den Tieren, daher würden sie nicht einfach fortlaufen. Jeder von den Elben zog sich ein wenig zurück um sich vom langen Ritt zu erholen bis die Nacht bereits hereingebrochen war.

Caelîf hörte wie der Oberste des Rates sein Zelt verlies. Das hohe Gras auf der Lichtung raschelte ein wenig als er es durchschritt. Ohne darüber nachzudenken folgte er ihm und fand ihn im Gras sitzend. Rástor summte ein Lied das der Elb noch nie gehört hatte. Der junge Elb blieb ein wenig abseits stehen und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen. Die Sterne leuchteten hell und klar in dieser Nacht, es war Neumond, als hätte er sich absichtlich versteckt. Niemals zuvor hatte Caelîf solch ein weites Firmament gesehen. Der sternengesprenkelte Himmel reichte bis zum Horizont.

Plötzlich bemerkte er, dass nicht nur auf dem Horizont kleine Lichter leuchteten, sondern auch in dem Wald vor ihnen. Sie schienen sich zu bewegen.
„Du kannst dich ruhig zu mir setzen“, bot ihm Rástor nun an und Caelîf folgte dem Angebot.
„Ist es nicht traumhaft schön?“
„Ja“, bestätigte der jüngere Elb im Flüsterton „Diese Lichter dort unten, sind das andere Elben?“
„Das ist eine gute Frage. Manche werden es wahrscheinlich sein, das hoffe ich zumindest. Es wäre überaus traurig, wenn es hier keine Elben mehr gäbe.

Beide schwiegen und schauten in die Ferne. Inglos und die anderen schlossen sich ihnen nun ebenfalls an.

„Als die Elben erwacht sind, waren die Herren dieser Welt sehr besorgt um uns. Im Norden herrschte der ewige Schatten der die Elben verführte um ihnen zu schaden und in die Dunkelheit zu ziehen. Also ließen die Valar ihre Vertrauten und Diener zurück um ein Auge auf uns zu werfen. Unter ihnen waren die Nandini. Sie nannten sich die Feen der Täler und sie hüteten alles was dort lebte. Vielleicht sind sie es die heute die Wälder von Cuivienen beschützen.“
Die verbleibende Nacht erzählte Rástor noch ein paar Geschichten aus den ältesten Tagen der Elben. Manche lauschten aufmerksam, manche ließen ihre Seele baumeln und lagen rücklings im Gras. Als die Dämmerung anbrach bauten sie die Zelte ab und setzen ihre Reise fort.
« Letzte Änderung: 3. Jul 2019, 08:43 von Fine »
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Thorondor the Eagle

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Erste Begegnung
« Antwort #11 am: 1. Jul 2019, 22:59 »
Am folgenden Tag begannen die Truppe ihren Abstieg in das Tal von Dalvarinan. Die dünne Besiedlung des wilden Waldes kam ihnen sehr zugute, ungesehen und ungehindert sich ihrem Ziel zu nähern. Wie Ihnen der Quetgwor gesagt hatte, würden sie irgendwann im Norden auf einen Fluss stoßen der aus dem großen See entsprang. Diesem müssten sie nach Westen folgen um zu dem Sumpfgebiet und zum Waldrand zu gelangen.

Caelîf, der von der Geschichte Rástors sehr beeindruckt war, hielt immer wieder Ausschau nach den Waldfeen aus der Erzählung. Der junge Elb war immer wieder begeistert, wenn er von Wesen las, die andere Fähigkeiten hatten als jene der Elben. Doch über all die Jahre, wo er keines dieser Wesen gesehen hatte, fragte er sich ob sie denn überhaupt existieren oder ob diese nur der Fantasie der Schreiber entsprang.
Sein Blick war so fokusiert, dass ihm das Gewöhnliche um sich gar nicht wirklich wahr nahm.
„Bist du auch so fasziniert von diesen Bäumen wie ich?“, fragte er ihn Rástor.

Erst jetzt sah der junge Elb, dass viele der Bäume in dieser Gegend ganz eigenartige Formen hatten. Viele der Stämme wuchsen nicht gerade in die Höhe, viele bogen sich nach links und nach rechts, manche teilten sich und hatten mehrere Kronen. Einige hatten sogar verschiedenförmige Blätter. Es war ein merkwürdiges, aber beeindruckendes Naturschauspiel.
„Wieso wachsen die Bäume so merkwürdig? Denkt ihr es liegt an der Magie dieses Tales?“
„Das mag vielleicht sein, aber viel eher glaube ich, dass es ein Werk unserer Verwandten ist. Einst lernten die Elben allem was lebte zu sprechen, selbst den Bäumen. Einst hörte ich sogar die Geschichte, dass es manchen Elben möglich war mit ihrem Gesang das Wachstum der Bäume und Pflanzen zu beeinflussen. Als würden diese Geschöpfe auf die Bitten der Elben reagieren. Ich hielt es eigentlich eher für eine Legende, aber wenn ich diesen Teil des Waldes sehe, bezweifle ich das sehr.“

Nachdem sie gut eine halbe Stunde entlang des Flussufers geritten waren erreichten sie eine ihnen unbekannte Brücke. Erst als sie näher herankamen, sahen sie, dass es mehrere Bäume waren die am linken und rechten Flussufer wuchsen und sich über den Fluss beugten um sich in der Mitte zu verbinden.
„Wer erschafft so etwas wunderschönes?“

Inglos befahl seinen Männern zu halten um sich ein wenig umzuschauen. Caelîf stieg von seinem Pferd und ging zu dem Naturwunder. Schritt um Schritt trat er auf die festen Baumstämme die sich nach oben hin sogar ein wenig abgeflacht hatten. Das Geländer links und rechts bildete sich aus dünnen Ästen die sich vom Boden nach oben ragten und sich dann wie ein Bogen wieder auf den Boden spannten. In der Mitte wo die Bäume des südlichen und nördlichen Ufers aufeinander trafen waren die Äste zusammengedreht und ragten wie Speerspitzen in den Himmel.
Caelîf warf einen Blick zurück. Rástor sprach gerade mit Inglos als sich plötzlich die Bäume unter dem jungen Elben bewegten. Zuerst war es kaum spürbar, dann wurde es aber heftiger. Zwischen den einzelnen Baumstämmen sah er plötzlich die lebendige Wasseroberfläche des Flusses. Der Elb tat sich schwer das Gleichgewicht zu halten, plötzlich löste sich die Veribindung der Bäume, Caelîf fiel hin und rollte sich die Baumstämme hinunter zum Nordufer.
„Caelîf“, hörte er die Rufe seiner Gefährten und das Knarren der Baumstämme sowie das peitschen der belaubten Äste. Er versuchte hin und wieder zu schauen, was hier gerade passierte, hatte aber Angst, dass ihm ein Ast oder sonst etwas ins Gesicht traf. Erst als sich die Geräuschkulisse beruhigte, hob er seinen Kopf. Die Bäume hatten sich aufgerichtet und die Brücke war nicht mehr verbunden.

„Was ist geschehen?“, rief Inglos herüber und sogleich begann er mit Rástor zu disukutierte. Waren diese Bäume tatsächlich am Leben?
Caelîf spielte mit dem Gedanken einfach durch den Fluss zu schwimmen, aber er kannte dieses Gewässer nicht, weder die Tiefe noch die Strömungen. Er schaute sich am Ufer um, wobei er nicht wusste wonach er denn suchen sollte. Caelîf erschrak furchtbar, als er plötzlich zwischen den merkwürdig geformten Bäumen einen Elben erspähte. Wie angewurzelt blieb er stehen und starrte den Unbekannten an. Er trug einen bräunlichen Brustpanzer und lockere Kleidung aus beigem Stoff. Sein Bogen war gespannt, auf der Sehen ein Pfeil zum Schuss bereit.

Der junge Elb wusste nicht was er tun sollte. Aus Verzweiflung lockerte er seinen Gurt und lies das ungezogene Schwert zu boden fallen.
„Tut mir nichts“, sagte er in seiner Sprache, der andere schien ihn nicht zu verstehen. Er wiederholte es auf Sindarin, ebenfalls keine Reaktion. Er überlegte weiter was er denn noch sagen konnte. Da fiel ihm ein Wort aus einer alten Überlieferung ein die er in den Archiven Nurthaenars entdeckt hatte: „Rainë“ (Frieden).

Der Bogenschütze wiederholte es mit einem etwas anderen Akzent und Caelîf nickte mit dem Kopf. Mit durchdringendem Blick musterte er die fremde Truppe und ließ den Bogen schließlich sinken. Der Fremde kramte in seinem Gewand und holte etwas heraus, führte es zu seinem Mund und bließ hinein. Ein leiser Pfiff war zu hören, ähnlich einem Vogelzwitschern. Nach nur wenigen Minuten tauchten weitere Elben auf. Sie waren alle sehr ähnlich gekleidet.
Einer von Ihnen kam auf Caelîf zu, blieb aber in sicherer Entfernung stehen.

„Wer seid ihr?“, fragte er auf Sindarin.
„Wir sind hier nur auf der Durchreise“, gab er zur Antwort.
„Wohin?“
„Nach Westen zu unseren Verwandten in Rhûn“
„Woher kommt ihr?“
„Aus den Bergen südlich von hier“, antwortete Caelîf. Durch seine eher kurz gehaltenen Fragen, vermutete er, dass das Sindarin des Fremden nicht sehr gut war. Also beschloss er die Unterhaltung weiterzuführen, mit einfachen Worten.
„Wir wollen euch nicht in eurer Ruhe stören“, der junge Elb deutete mit den Händen Richtung Weste, „Am Ende des Waldes ist ein Sumpfgebiet, dort wollen wir hin und dann weiter in die offenen Lande. Wenn ich wieder auf der anderen Seite des Flusses bin, werden wir weiterziehen.“
„Ihr seid keine Hwenti. Woher kommt ihr?“
„Sprecht am besten mit Rástor, er lebte früher in diesem Tal“, seine Hand deutete auf das andere Ufer zu dem alten Elb.
„Nur einer darf herkommen“, sagte der fremde Soldat streng „Sag es ihnen“

Caelîf rief über das Ufer die Bedingungen. Inglos hatte große Bedenken, allerdings waren es immer noch Elben die ihnen gegenüberstanden, daher stimmte Rástor zu. Sie sahen zu wie einer der Elben auf die Bäume zugingen. Er hielt sich die Hand vor den Mund und flüsterte den Bäumen etwas zu. Wie von Zauberhand begannen sich die Bäume zu bewegen. Die Wurzeln lockerten sich ein wenig und langsam schloss sich die Brücke wieder zusammen. Es dauerte ein paar Minuten bis der ältere Elb über die Brücke gehen konnte.
Er ging sogleich zu dem Elben der ein wenig Sindarin sprach und unterhielt sich einigermaßen flüssig mit ihm.
Wieder hörte Caelîf dieses Wort „Hwenti“ und aus dem leisen Genuschel hörte der nahm er nur noch die Worte „Gilthandi“ und „Hisildi“ wahr. So gut es ging sprachen die beiden miteinander, bis schließlich der Fremde Soldat ihnen deutete zu folgen, auch Inglos und seinen Männern.

Caelîf schloss zu Rástor auf: „Wohin gehen wir mein Herr?“
„Wie es aussieht, haben diese Elben hier in der Nähe eine Siedlung. Wenn ich alles richtig verstanden habe, haben wir das große Privileg die heutige Nacht dort zu verbringen.“
Neugier und Freude spiegelte sich auf dem Gesicht Caelîfs wider. Eigentlich waren es Verwandte von ihnen, aber sie wirkten so verschieden und fremd.
„Es könnte aber auch sein, dass wir jetzt ihre Gefangenen sind. Früher hatten die Elben eine einheitliche Sprache, aber über die vielen Jahrtausende haben sich diese sehr verändert. Ich hoffe, sie haben alle meine Worte auch richtig verstanden“, sagte der Älter mit einem Grinsen auf dem Gesicht.
„Das hoffe ich sehr“, antwortete Caelîf und die Neugier in seiner Miene wich der Besorgnis.
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Re: Das Tal von Dalvarinan
« Antwort #12 am: 7. Jul 2019, 22:37 »
Die Gruppe aus Nurthaenar führte ihre Pferde neben sich her, da der Waldpfad sehr schmal war und die Einheimischen selbst zu Fuß unterwegs waren. Nach ungefähr einer Stunde Fußmarsch passierten sie ein Portal. Es war ein mehrere Meter langer Tunnel aus Bäumen die mittig über Ihnen spitz zusammenliefen. Links und rechts des Portals erstreckte sich eine dichte Kette an dicken Baumstämmen. Sie bildeten eine „natürliche“ Barriere.

Niemand in Nurthaenar hat solche Fähigkeiten wie diese Elben. Kann es sein, dass sie dies von den Waldfeen gelernt haben? Was ist das für ein magischer Ort? Ich verstehe manche ihrer Wörter. Es ist ähnlich wie die Sprache in unseren alten Büchern…

„Wo sind wir hier?“, fragte Caelîf seinen Herren.
„Dies ist unsere Heimat: Awld-aronémer“, antwortete der Soldat der ein wenig Sindarin sprach.
„Es ist wunderschön“, entgegnete Caelîf. Dieser Wald machte den Anschein als sei er ein gewöhnlicher, verwilderter, doch bei genauerem Hinsehen, wurde ihm klar, dass hier alles seine Ordnung hatte. Entlang des Weges waren teilweise Bäume mit dickeren Baumstämmen die vermutlich als Spähposten dienten, an lichteren Orten standen Bäume mit ausladender Krone die Früchte trugen. In einem Bereich waren Pflanzen die wie dünne, kerzengerade Holzstäbe aus dem Boden ragten und die teilweise umgefallen am Boden lagen.

Nach knapp einer weiteren halben Stunde erreichten sie auf einer kleinen Anhöhe das Zentrum der Ansiedlung. Die Häuser lagen verstreut zwischen den Bäumen und waren eher klein gehaltene Gewölbe. Sie bestanden ausschließlich aus geflochtetenen Weiden. Die Eingänge waren mit dicken Stoffen verhängt. Am oberen Ende waren die Blätter der lebendingen Pflanzen besonders üppig ausgeprägt, da sie das Dach bildeten. Alle Einheimischen die sie trafen schauten neugierig auf die Neuankömmlinge und einige wenige von ihnen schlossen sich an. Auf einer größeren Lichtung erreichten sie das wohl größte Gebäude der Siedlung. Es bestand aus zahlreichen Weidenpflanzen die auf einem Kreis an acht Punkten wie dicke Bündel aus dem Boden sprossen. Sie wuchsen wie dicke Säulen nach oben, die sich immer wieder teilten und mit anderen zusammenliefen. Gemeinsam bildeten sie eine Art Grundgerüst aus geschwungenen Balken, das zarte Geäst wurde davon getragen. Es war ein einzigartiger Anblick. Geübte Handwerker könnten kein schöneres Gewölbe anfertigen. Jedes Ästchen schien genaustens plaziert zu sein. Im Durchmesser hatte dieser Raum ungefähr 20 bis 25 Meter. Der Boden war mit einer Art Teppich ausgelegt der jedoch aus feinen Fasern bestand und in verschiedenen brauntönen gehalten war.

Erst jetzt bemerkte Caelîf, dass in der Mitte des Raumes auf leicht erhöhten Sitzflächen eine Elbe und ein Elb saßen. Während sie mit ihren Grenzwächtern sprachen, konnte Caelîf sie genauer betrachten. Beide hatten dunkles, langes Haar und trugen sandfarbene Kleidung mit dunkelbraunen Stickereien. Meist waren es Blumenmuster oder geschwungene Linien. Ihre Augen hatten ein sehr dunkles braun, die Brauen waren buschiger als bei anderen Elben. Die Elbe trug einen ungeschliffenen bernsteinfarbenen Kristall als Medallion um den Hals, ansonsten waren sie schmucklos.

Anschließend an ihre Beratung deuteten sie ihren Gästen platz zu nehmen auf den kreisförmig angeordneten Sitzflächen. Im selben Moment reichten ihnen andere Elben steinerne Trinkschalen mit Wasser gefüllt und eine weiterer Elb stellte einen Teller mit frischen Früchten in die Mitte.
„Seid gegrüßt“, sagte der Elb auf Sindarin zu der Gruppe.
„Wir danken euch für eure Gastfreundschaft und eure herzliche Aufnahme in eurer Mitte. Ich bin Rástor, das ist Caelîf und dies Inglos mit seinen Grenzwächtern“, entgegnete Rástor höflich.
„Meine Boten berichteten uns, dass ihr Elben der südlichen Rotberge seid. Woher kommt ihr?“
„Unser Volk siedelte sich vor Jahrtausenden, als der Mond zum ersten Mal den Horizont streifte, in einem verborgenen Tag der Orocarni. Nurthaenar heißt unser Heimatort. Aber ihr werdet uns kaum kennen, denn abgesehen von ein paar ausgewählten Händlern hat niemand von uns Kontakt zu unseren Verwandten des Wilden Waldes.“
„Und doch sprecht ihr einwandfrei die Sprache des Westens“, bemerkte nun die Elbe.
„Ja, vor langer Zeit fanden Elben aus Rhovannion in unserer Stadt eine neue Heimat. Sie lehrten uns die gemeine Sprache der Elben und wir entschlossen uns dazu, unsere Kinder darin zu unterrichten. Man erzählte uns, dass jeder Elb westlich der Orocarni diese Sprache spricht.“
„Das mag vielleicht stimmen für die Länder westlich von Rhovannion, aber nicht hier in den Wilden Wäldern. Jene Völker die wir kennen sprechen ihre eigene Sprache, so wie ihr die eure, aber viele werden euch noch verstehen, wenn ihr in der Sprache unserer Väter sprecht.“
„Nun, dann sollten wir unser Quenya wieder ein wenig auffrischen“, antwortete Rástor mit einem Grinsen auf dem Gesicht „Sagt mir, meine Freunde, wir wissen nun, dass wir hier in Awld-aronémer sind, dürfen wir erfahren wer ihr seid?“
„Mein Name ist Laycáno und dies ist meine Gefährtin Yndial. Wir sind jene die für unsere Heimat sprechen aber nicht über sie bestimmen. Als Volk der Kindi sind wir bekannt und es gibt nichts was wir mehr lieben als das Leben in diesen Wäldern, allem voran die Bäume.“
„Euer Werk in diesem Teil des Waldes ist sehr beeindruckend. Ihr habt gelernt die Pflanzen dieses Waldes zu bändigen, wie es eine alte Legende besagt.“
„Wir bändigen den Wald nicht“, antwortete Yindial leicht irritiert „Unsere Ahnen gaben den Bäumen und allem was wächst das Versprechen, ihnen keinen Schmerz zuzufügen und sie zu beschützen. Ein Versprechen das auf Gegenseitigkeit beruht.“
„Es ist ein Leben im Einklang“, brachte nun Caelîf hervor, der seine anfängliche Unsicherheit dieser Situation abgelegt hatte und sich in der Mitte dieses Volkes langsam wohler fühlte, obwohl es ihm nach wie vor fremd vorkam. Yindial nickte zustimmend.
„Die Soldaten berichteten, dass ihr auf dem Weg in den Westen seid. Was ist das Ziel eurer Reise?“, fragte nun wieder Laycáno.
„Ich folge dem Ruf einer alten Freundin. Sie bat mich zu ihr zu kommen nach Taur-en-Elenath.“
Die beiden Elben gegenüber wurden aufmerksamer.
„Kennt ihr diesen Ort?“
„Wenig Kontakt halten wir zu unseren Verwandten westlich von hier, was unsere mäßigen Sprachkenntnisse des Sindarin erklärt, aber wir haben von dem geheimnisvollen Ort gehört. Es ist ein Wald östlich der Mündung des Carnen – wie die Elben des Westens ihn nennen. Allerdings ist uns nicht bekannt, dass er noch immer von Elben bewohnt wird. Seid ihr sicher, dass eure Freundin dort ist?“
Caelîfs fragender Blick wandte sich zu Rástor.
„Sie sprach im Traum zu mir und sie nannte mich bei einem Namen den ich zuletzt in Cuvienen trug. Es gibt nur noch wenige die ihn kennen.“

Es sind schon die zweiten die an der Wahrheit des Traumes zweifeln. Rástor ist ein weiser Elb, er wird sich doch nicht in die irre führen lassen. Allerdings war er ebenso lange nicht mehr in der Welt außerhalb Nurthaenars… wieviel Kenntnis über all das hier hat er denn? Aber niemand kennt uns, hat Rástor selbst vorhin gesagt. Wer hätte etwas davon ihn in eine Falle zu locken? Hoffentlich sind an diesem geheimnisvollen Ort wirklich Elben und wir treffen auf seine alte Freundin

Hin- und hergerissen von seinen eigenen Gedanken konnte Caelîf dem Gespräch nicht mehr folgen. Erst als er bemerkte, dass es sich dem Ende zuneigt, wurde er wieder aufmerksamer.
„Es interessiert uns sehr mehr über euch zu erfahren, daher bieten wir euch diese Halle als Unterkunft für diese oder auch weitere Nächte. Ihr seid unsere Gäste“, bot Laycáno an und Yindial nickte lächelnd.
„Und gerne nehmen wir es an. Auch ich, da ich lange nicht außerhalb unserer Heimat war, bin interessiert daran wie die Welt sich verändert hat“, entgegnete Rástor.

Caelîf war voller Vorfreude als er das hörte. Endlich würde er die Möglichkeit haben andere Elben kennen zu lernen.
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Re: Das Tal von Dalvarinan
« Antwort #13 am: 11. Jul 2019, 23:09 »
Als Laycáno und Yindial den Versammlungsraum verließen, trafen die anderen Einheimischen alle Vorkehrungen um die Gäste willkommen zu heißen. Es ging wie von Zauberhand, die Bewegung eines Elben ging über in die eines anderen. Sie waren so fein aufeinander abgestimmt, als könnten der eine fühlen was der andere braucht. Und so war in nur wenigen Minuten eine Stätte zum Ausruhen für Caelîf und seine Mitreisenden aufgebaut und es war gut so, denn die ersten Spuren der Dämmerung zeigten sich am Firmament.

Der junge Elb setzte sich auf eine Matratze aus Leinenstoff die mit etwas weichem gefüllt war. Rástor saß ihm gegenüber.
„Ist euch aufgefallen, dass hier alles reibungslos funktioniert obwohl sie kaum miteinander reden?“, fragte er.
„Ja, unser Volk ist bereits sehr verbunden miteinander, aber hier von unseren Verwandten können wir uns diesbezüglich sicherlich noch etwas abschauen. Deine Wahrnehmung, junger Freund, ist sehr bemerkenswert. Ich denke du kannst dich in dieser Siedlung frei bewegen und umsehen. Wir haben nichts zu befürchten.“
Caelîf freute sich über das Kompliment des Veríaran. Sogleich legte er seine Lederrüstung ab, behielt die Unterkleidung bestehend aus einem leichten Hemd aber an und verließ den Versammlungsraum. Er folgte einem schmalen Erdpfad der zu einem Häusschen unter einem Baum führte. Neugierig betrachtete er diese und stellte fest, dass sie ebenfalls nur aus Weidengewächsen bestanden.

„Möchtest du es von innen sehen?“, überraschte ihn plötzlich eine weibliche Stimme von hinten.
Caelîf fühlte sich ertappt, er drehte sich um, erkannte Yindial und blickte sofort beschämt zu Boden.
„Verzeiht mir“, antwortete er knapp.
„Es macht mir nichts, auch ich bin neugierig wie es denn bei euch aussieht. Auch wenn wir nicht sehr viel Kontakt zu den anderen Elbenvölkern haben, eines das gänzlich unbekannt ist, trifft man heutzutage sehr selten.“
„Wir leben sehr zurückgezogen.“
„Wir ebenfalls, aber wir verstecken uns nicht vor der Welt da draußen. Das ist eher eine Eigenschaft der Windan, wie man so hört. Aber das ist eine andere Geschichte. Also, möchtest du denn sehen wie wir leben?“
Caelîf nickte.
Sie ging wortlos an ihm vorbei, schob den Vorhang des Hauses beiseite und beide traten ein. Das Haus hatte in etwa einen Durchmesser von knapp 10 Metern. Von den Weidenästen war innen nichts zu sehen, da alles mit Stoff verkleidet war, sogar oben an der Decke. Es waren zarte Muster eingewoben. Zum Sitzen gab es nur in einer Ecke ähnliche Podeste wie in der großen Halle, ein größes Bett, daneben standen zwei drei steinerne Schalen mit Wasser, ein kleinerer Schrank und sonstige Kleinigkeiten.
„Wir leben sehr einfach wie du siehst. Man erzählte uns, dass die Elben des Westens große Städte bauen, große Häuser, befüllt mit vielen Dingen. Wir aber leben mit dem was die Natur uns bereit ist zu geben. Jeden Tag essen wir alle gemeinsam, wir spielen und tanzen, wir kümmern uns um einander. Jeder schaut auf meine Kinder und ich schaue auf jedermanns Kinder.“
Es klang in Caelîf’s Ohren merkwürdig und zu schön um wahr zu sein, aber auch irgendwie bekannt, wenn er an seine Familie dachte: „Also seid ihr eigentlich wie eine große Familie.“
„Ja, so könnte man es ausdrücken. Wie hast du vorhin so schön gesagt, eine Einheit. Besser hättest du es kaum ausdrücken können.“
„Komm mit, ich führe dich ein bisschen durch unsere Heimat.“

Sie schob den Vorhang beiseite und Caelîf trat hinaus ins freie.
„Was machst du denn hier?“, fragte ihn Laycáno überrascht.
„Sei nicht so neugierig mein Lieber!“, entgegnete seine Frau beim Verlassen des Hauses „Ich zeige unserem Gast wie wir leben. Er scheint noch etwas verwirrt zu sein und schüchtern.“ Das Zwinkern auf seinen Augen konnte der junge Elb zum Glück nicht sehen.
„Ist gut. Ich möchte dann auch noch ein wenig mit eurem Anführer sprechen“, sagte Laycáno zu beiden. Er trat neben seine Frau, gab ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Betreten sah der junge Elb weg.

„Komm mit, Caelîf“, forderte Yindial ihn nun auf und ging voraus „Erzähl mir ein wenig von eurer Stadt, wie heißt sie? Nurthaenar?“
„Ja genau. Sie liegt verborgen auf einem Bergrücken zwischen den hohen Gipfeln der Orocarni. Wir schätzen die Natur auch sehr, unsere Häuser bestehen aus Stein, Pflanzen dürfen wachsen wo immer sie wollen. Die meisten Nahrungsmittel bauen wir selbst an und ernten sie wieder und verteilen sie dann an alle in der Stadt. Eigentlich sind wir auch eine große Familie in Nurthaenar, nur nicht ganz so verbunden wie ihr.“
„Ich bemerke, dass du gerne dort lebst.“
„Natürlich, wer ist nicht gerne da wo er sich zuhause fühlt?“

Sie erreichten einen kleinen Hain mit verschiedenen Laubbäumen. Die Kronen waren mächtig und es hingen merkwürdige Früchte daran die Caelîf noch nie gesehen hatte.
„Schau, diese Bäume, wir haben sie nicht gepflanzt damit wir ihre Früchte ernten. Wir pflegen sie jeden Tag, ja manche singen ihnen sogar etwas vor und dafür werfen sie jeden Tag manche ihrer Früchte für uns ab.“
Yindial ging in die Knie. Mit ihrem Handrücken strich sie über das knöchelhohe Gras, während der Bewegung drehte sie die Hand und griff nach einer der Früchte am Boden. Mit einem spitzen Stein den sie am Boden fand öffnete sie die Schale der orange-roten Frucht: „Hier koste sie!“
Vorsichtig führte Caelîf die Frucht zu seinen Lippen und strich sanft darüber. Ein süßer Geschmack breitete sich auf seinen Lippen und der Zungenspitze aus. Ohne weiter zu zögern nahm er einen großen Bissen.
Yindial musste lachen: „So reagieren die meisten, wenn sie erstmal unsere Kemiávë probieren. Die Königin aller Früchte.“
Vermutlich war ihm die Gier ins Gesicht geschrieben und sein Verhalten tat sein Übriges. Sofort zügelte sich der junge Elb. „Sie schmeckt auch wirklich sehr gut“, sagte er ruhig und so höflich er konnte: „Ich habe noch nie von dieser Frucht gehört!“
„Und nirgends anders wirst du sie finden als hier auf unserem Hain. Komm mit, wir sind noch lange nicht fertig!“, forderte sie ihn wieder auf.
1. Char Elea ist in Bree  -  2. Char Caelîf ist in Palisor

Thorondor the Eagle

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Eine neue Freundschaft
« Antwort #14 am: 12. Jul 2019, 15:51 »
Ehe die Elbe über den grünen Hain davoneilte, kniete sie sich vor den Baum und küsste wertschätzend den Boden vor sich. Danach lief sie leicht wie eine Feder über das Gras, Caelîf folgte ihr. Sie erreichten einen schmalen Bach der sich zwischen den Wurzeln der Bäume hindurchschlängelte, sie folgten ihm bis er einen großen Bogen um die Wurzeln einer Trauerweide machte.
„Dies hier ist mein Lieblingsplatz“, warf sie ihm hin, ging zum Stamm des mächtigen Baumes und umrundete ihn. Mit ihren Füßen stieg sie auf Erhebungen in der Rinde, hüpfte und kletterte nach oben.

Was macht sie denn nur? Eben war sie noch so andächtig und jetzt so kindlich verspielt? Das letzte Mal als ich einen Baum hochgeklettert bin war ich noch ein Kind…

Etwas irritiert folgte er seiner Gastgeberin in die Baumkrone. Sie kletterte bis ganz nach oben und blieb auf den Ästen über der Krone sitzen. Caelîf tat es ihr gleich, musste aber schnaufen vor Anstrengung. Als sich sein Körper beruhigte, warf er einen Blick auf die Umgebung. Man sah weit über die Kronen des Waldes hinweg. Eine Wolkendecke aus grünen Blättern erstreckte sich um sie, so weit das Auge reichte. Es herrschte Ruhe und Frieden. Der Himmel hatte sich bereits leicht verdunkelt und die ersten Sterne erschienen am Firmament.
„Als Kind entdeckte ich diesen Ort und es wurde mir der liebste überhaupt“, sagte Yindial strahlend und Caelîf verstand ihr sprunghaftes Verhalten.
„Hast du auch so einen Lieblingsplatz?“
Er nickte: „Wir nennen sie die Eliancor, das Haus der Sterne. Es ist eine Felsengrotte, darin ist ein großer klarer See und an deren Decke leuchten die Sterne unserer Ahnen. Ich bin sehr oft dort und erinnere mich an, an, an meine Großmutter.“
„Es muss ein wunderbarer Zauber sein, aber es haftet die Trauer an diesem Ort.“
„Ja, dort gedenken wir all jenen die uns verlassen haben.“
„Verlassen kann uns niemand, der in unseren Gedanken und vor allem in unseren Herzen wohnt. WIR verlassen nur den Verblichenen, indem wir ihn vergessen. Hat deine Großmutter jemals gewollt, dass du traurig bist in ihrer Gegenwart?“
„Nein“, Caelîf musste lächeln bei dem Gedanken an seine Kindheit „Im Gegenteil, sie wollte, dass ich tanze, singe, spiele. Sie las mir oft vor, so wie ich später ihr oft vorlas.“
„Darüber würde sie sich sicherlich mehr freuen, als wenn du weinend oder trübsalblasend in der Eliancor sitzt.“
„Da habt ihr vermutlich recht.“
„Wenn du zurückkommst nach Nurthaenar, gehe dorthin und lies ihr vor und trage ein Lächeln auf deinem Gesicht. Ich habe es schon gesehen und es ist entzückend.“
Caelîf musste Lächeln.
„Kommst du denn von hier?“
„Nein, mein Heimatort liegt weit im Süden von hier. Es ist eine kleine Ansiedlung namens Makallin. Meine Herkunftsfamilie lebt dort ähnlich wie wir hier. Aber Laycáno lebte Zeit seines Lebens an diesem Ort.“

Plötzlich landete eine kleine Nachtigall auf der Krone des Baumes. Sie starrte wie ungläubig auf die beiden Elben.
Yindial griff behutsam nach Caelîf’s Handrücken. Ein angenehmer Schauder zuckte durch seinen Körper. So behutsam wie vorher führte sie seine Hand in Richtung des Vögelchens und flüsterte ein paar Worte von denen sich der Elb nur „Lynna-lómelindë“ merkte. Mit einem Satz landete die Nachtigall auf der Handfläche von Caelîf. Es war ein eigenartiges Gefühl beiden Beine mit ihren drei leicht spitzen Krallen auf seiner Haut zu spüren. Sie begann laut zu zwitschern, als würde sie sich darüber beschweren hineingelegt geworden zu sein und nun in der falschen Hand zu sitzen. Aber offensichtlich fühlte sie sich nicht ganz unwohl.
„Sie kommt mich öfter hier besuchen“, sagte die Elbe leise „Sie würde sich freuen, wenn du mit ihr singst.“
„Singen ist definitv nicht meine Stärke“, entgegnete er.
„Das ist diesem kleinen Kerlchen egal“, sagte Yindial und stimmte mit sanfter Stimme ein Lied in ihrer Sprache an. Es klang wunderschön. Caelîf schloss seine Augen und lauschte aufmerksam dem Duett, bis es langsam abklang.

Es war bereit dunkel, als die beiden Elben wieder den Baum hinunterkletterten um zurück zur Siedlung zu gehen. Sie fanden alle Bewohner des Dorfes in der Wiese sitzend vor. Sie aßen genüsslich zu Abend. Rástor und die anderen hatten sich unter die Einheimischen gemischt. Ohne große Worte setzten sich Caelîf und Yindial getrennt voneinander zu den anderen. Es war das beste Mahl seitdem sie von Nurthaenar aufgebrochen waren und ein bezaubernder Abend. Später sangen die Elben noch ein paar traditionelle Lieder in ihrer Sprache. Danach zogen sich alle zur nächtlichen Ruhe zurück.

Am nächsten Morgen fanden sich alle zur Verabschiedung zusammen.
„Wir sind euch zu großem Dank verpflichtet, Einwohner von Awld-aronémer. Ihr habt uns überaus herzlich in eurer Mitte Willkommen geheißen und nicht geringeres werden wir euch bieten, wenn ihr uns in Nurthaenar besucht. Ihr seid immer Willkommen.“
„Im Namen unseres Volkes bedanke ich mich, Rástor – Veríaran von Nurthaenar. Möge Kementári euren Weg segnen, so wie sie einst unseren schützenden Wald gesegnet hat. Auf ein baldiges Wiedersehen“, verabschiedete sie Laycáno.

Yindial, die neben ihrem Ehemann stand, ging auf Caelîf zu und streckte ihm ihre Hand entgegegen um ihm ein kleines Stoffsäckchen zu überreichen.
„Es sind Samenkörner unserer geliebten Kemiávë. Vielleicht finden sie in eurer Heimat auch einen Ort um zu gedeihen.“
„Ich danke euch“, entgegnete der Junge höflich. Er ging in die Knie, beugte sich nach vorne und küsste den Boden vor seinen Füßen, wie er es am Vortag bei der Elbe gesehen hatte. Die Einheimischen begrüßten seine Geste.
Im Anschluss wandten sie sich von den Kindi ab um den Pfad zurück zum Fluss zu nehmen.
„Caelîf!“, rief ihm Yindial nach und dieser drehte sich ein letztes Mal um „Und vergiss nicht jeden Tag für den Baum zu singen.“
Er lächelte und die Gruppe zog ihres Weges.

„Was meinte sie mit dem Baum vorsingen?“, frage Rástor nun neugierig.
„Mit eurer Vermutung, dass es Elben gibt die den Pflanzen vorsingen, liegt ihr goldrichtig. Diesem ganz speziellen Baum muss man offensichtlich vorsingen damit er wächst und gedeiht.“
„Ein bemerkenswertes Volk. Laycáno und Yindial haben sehr alte und sehr reine Fear. Sie leben sicherlich schon viele Jahre hier im Wilden Wald.“
„Ihrem Verhalten, konnte man dies aber nicht immer ansehen“, entgegnete der jüngere Elb.
„Lasse dich davon nicht in die irre führen. Gerade wir Elben, wo wir doch so lange Leben, neigen dazu zu vergessen, dass wir irgendwann einmal auch Kinder waren. Manchmal ist es erfrischend und auch notwendig genau diese Seite wieder hervorkommen zu lassen. Vielleicht haben wir das in unserer Heimat verlernt.“

Noch am selben Tag ließen sie den Wilden Wald hinter sich und begaben sich in die offenen Lande.

Caelîf, Rástor und Soldaten Nurthaenars nach Umland von Riavod
« Letzte Änderung: 8. Aug 2019, 22:16 von Thorondor the Eagle »
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