Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Imladris

Elronds Haus

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Eandril:
Als am nächsten Morgen die Sonne ihre ersten Strahlen über die Berggipfel im Osten warf erwachte Oronêl erfrischt. Er fühlte sich so gut wie lange nicht mehr - die Ruhe und Geborgenheit von Imladris und die Gewissheit, dass es Amrothos wieder gut ging, hatten ihr übriges getan.
Nach einer kurzen Stärkung wanderte er durch das Haus, durchquerte die noch immer ausgestorbenene Halle des Feuers, und kam schließlich über eine gewundene Treppe auf eine kleine Steinterasse, die von Bäumen umgeben war und auf die Häuser von Imladris hinabblickte. Für einen Augenblick verharrte er und ließ seinen Blick über das Tal schweifen, von den dunklen Kiefernwäldern im Norden zu den schroffen Abhängen im Süden.
Während er noch dort stand und den kühlen Wind aus dem Norden genoss, hörte er Schritte die Treppe hinaufkommen, und sah sich kurz darauf Elrond und Radagast, die in ein Gespräch vertieft schienen, gegenüber. Er neigte vor dem Halbelb und dem Zauberer den Kopf und sagte: "Guten Morgen. Ich hoffe, ich habe euch nicht unterbrochen."
"Aber überhaupt nicht!", erwiderte Radagast mit einem warmen Lächeln, und Elrond meinte: "Tatsächlich haben wir gerade über die Geschehnisse des gestrigen Abends gesprochen."
Bei der Erwähnung des letzten Abend lief Oronêl trotz des guten Ausgangs ein Schauer über den Rücken. "Für einen Moment habe ich geglaubt, dass wir es nicht schaffen", sagte er, und Elrond blickte ihn scharf an.
"Hättest du es über dich gebracht, dem Prinzen den Ring gewaltsam abzunehmen? Du hättest ihn vermutlich töten müssen."
"Ich weiß es nicht", gab Oronêl ehrlich zu. "Aber ich bin froh, dass es nicht so weit gekommen ist." "Und das ist das einzig entscheidende", warf Radagast ein. "Was ich hingegen viel interessanter finde, ist die Rolle die die junge Irwyne dabei gespielt hat."
"Ja... Wie es scheint haben die Ringe der Macht auf einfache Personen, die nicht nach Herrschaft oder Macht streben, deutlich weniger Einfluss." Elrond schwieg für einen Moment, und Oronêl war sich sicher dass der Herr von Bruchtal nicht nur auf Irwyne anspielte. Er fragte allerdings nicht weiter nach, denn in Elronds Stimme hatte ein Hauch von Trauer mitgeklungen. Dann kam ihm ein Gedanke, und er fragte: "Herr Elrond, hast du bemerkt dass Irwyne uns belauscht hatte?" Ihm war bereits gestern Abend aufgefallen, dass Elrond bei ihrem Auftauchen deutlich weniger überrascht gewirkt hatte als die anderen Anwesenden, doch erst jetzt, im Licht des Tages, konnte er sich einen Reim darauf machen.
Ein kurzes, kaum merkliches Lächeln huschte über Elronds sonst ernstes Gesicht. "Ja, ich hatte es bemerkt, und ich habe auch bemerkt dass sie uns zu Amrothos' Zimmer gefolgt ist. Ich habe nichts gesagt, weil ich es für richtig hielt dass sie erfuhr was passierte - und irgendein Gefühl hielt mich davon ab, sie fortzuschicken. Ich fühlte, dass es einen Sinn hatte, dass sie dabei war, und dieses Gefühl hat sich als richtig herausgestellt."

Auf der Treppe erklangen erneut Schritte, diesmal schnelle von kleinen Füßen, und schließlich erschien Irwyne am oberen Ende. Sie hatte rote Wangen vom Laufen, und ihre blonden Haare waren zerzaust. "Oronêl! Komm mit, ich möchte..." Sie stutzte, und schien erst jetzt Radagast und Elrond zu bemerken, die neben Oronêl standen und auf deren Gesichtern sich ein Lächeln abzeichnete. Irwyne knickst ein wenig ungeschickt vor dem Herrn von Bruchtal, und sagte: "Oh, verzeiht mir. Ich wollte euch nicht unterbrechen."
Elrond lächelte nur, und Radagast antwortete: "Du hast uns nicht unterbrochen, Kind. Nimm Oronêl nur mit, er hat sich ein wenig Gesellschaft von Freunden verdient."
Als sie ein paar Stufen zurückgelegt hatten, fragte Oronêl: "Was hast du vor, Irwyne?"
"Ich wollte dir Finelleth vorstellen, sie ist unten im Garten. Eigentlich wollte ich das ja gestern Abend schon tun aber..."
"Es war nicht der richtige Zeitpunkt", beendete Oronêl den Satz für sie. Inzwischen hatten sie das untere Ende der Treppe erreicht. "Ja..." Für einen Moment konnte Oronêl ihr ansehen, dass die Erlebnisse des Abends nicht spurlos an dem Mädchen vorübergegangen waren, doch dann lächelte sie und der Eindruck war vorüber. "Aber jetzt geht es Amrothos wieder gut. Also los, komm mit!"

Oronêl und Irwyne in die Gärten Bruchtals...

Eandril:
Oronêl aus den Gärten Bruchtals...

Oronêl folgte Erestor in den Hauptsaal des Hauses, wo Elrond und eine Gruppe ihm unbekannter Elben ihn erwarteten.
"Ich habe unter den Bewohnern von Imladris nach solchen gefragt, die mit dir nach Fornost gehen würden", sagte Elrond zur Begrüßung. Oronêl ließ den Blick über die Anwesend gleiten, und stellte fest dass es nicht ausschließlich Elben waren. Einer der Männer trug einen Bart und war in graubraunen Stoff und ein Kettenhemd gekleidet.
"Ich würde mich geehrt fühlen, wenn ihr mich begleiten würdet", meinte Oronêl an die Gruppe gewandt, und vermied mit Absicht das Wort folgen. Er fühlte sich nicht berechtigt, sie anzuführen.
"Gelmir und Faronwe kommen aus Lindon und stehen in Círdans Diensten", stellte Elrond zwei Elben vor, die leicht geschwungene Schwerter nach Art der Noldor trugen. "Wir wollten sowieso bald in unsere Heimat zurückkehren", sagte der hellhaarige der beiden, den Elrond als Gelmir vorgestellt hatte. "Und da Fornost beinahe auf dem Weg liegt, helfen wir gerne dabei es gegen den Schatten zu verteidigen."
"Mein Name ist Glorwen", stellte sich die Elbin die zur rechten Gelmir stand, und einen Bogen über der Schulter trug. "Wir haben uns bereits in Lothlórien gesehen."
Oronêl betrachtete sie genauer, und erinnerte sich. Glorwen hatte beim Fall von Caras Galadhon geholfen, die Wälle zu verteidigen, bis Saruman sie mit seiner List zum Einsturz gebracht hatte. Seitdem hatte er die Elbin nicht mehr gesehen. "Ich bin froh, dass du die Schlacht überlebt hast."
"Ich auch", antwortete Glorwen, und fügte mit grimmiger Miene hinzu: "Und auch wenn wir unsere Heimat nicht retten konnten, so werde ich doch nicht aufhören den Schatten zu bekämpfen, ob Sauron oder Saruman."
"Ich bin Valandur von den Dúnedain", sagte der einzige Mensch unter ihnen mit heiserer Stimme, und Elrond ergänzte: "Valandur hatte sich Sarumans Truppen unter dem jungen Helluin angeschlossen, desertierte aber nachdem er von den Plänen, Lórien anzugreifen, gehört hatte. Dabei wurde er verwundet, und gelangte mit letzter Kraft nach Imladris." "Ich werde alles tun, um das Unrecht dass meine Brüder im Namen der Freiheit begehen, ein wenig zu mildern." Valandur sprach leise aber intensiv, und in seinen Augen leuchtete ein Feuer. "Es tut mir Leid um Lothlórien, und dafür gehört euch mein Schwert, bis das Land der Elben gerächt ist."
Oronêl sagte nichts, sondern neigte nur den Kopf. Er wusste nicht, was er darauf erwiderten sollte, obwohl die Abneigung gegen den Mann, die im ersten Moment in ihm aufgestiegen war, bei seinen letzten Worten dahingeschmolzen war wie Schnee in der Sonne.
"Cúruon ist einer der Wächter von Imladris", sagte Elrond und nickte in die Richtung eines hochgewachsenen Elben der ein mächtiges Zweihandschwert auf den Rücken geschnallt hatte, und dessen rotes Haar Oronêl an Celebithiel erinnerte. "Auch wenn meine Aufgabe eigentlich der Schutz unserer Grenzen ist, wenn Fornost und der Sternenbund fallen, gehört alles Land ringsum bald wieder Saruman. Und das kann ich nicht zulassen", erklärte Cúruon. "Meine Tochter Mírwen wird uns ebenfalls begleiten", fuhr er fort und deutete auf die junge Elbin neben ihm, die sein feuerrotes Haar geerbt hatte und Oronêl zuversichtlich zulächelte. Mírwen trug im Gegensatz zu ihrem Vater im Augenblick keine Waffen, doch in ihrem Blick erkannte Oronêl die Konzentration einer geübten Kämpferin.
"Sieben Gefährten nach Fornost", sagte Elrond, und strich sich über das Kinn.
"Acht!", erklang von der Tür Orophins Stimme, der mit raschen Schritten den Saal durchquerte und sich neben Glorwen stellte. Die Elbin aus Lórien lächelte ihm grüßend zu, offensichtlich kannten sie sich bereits von früher.
"Nein, Neun!" Von der Halle kam Finelleth heran geeilt, bereits vollständig mit einer Axt und einem kurzen Schwert gerüstet. Aus ihren Stiefen und Armschützern ragten die Griffe mehrerer Wurfmesser, und Oronêl begann zu begreifen warum eine ganze Gruppe Orks die Begegnung mit ihr nicht überlebt hatte.
In Elronds Augen flackerte etwas auf, das eine schmerzvolle Erinnerung sein mochte, doch der Eindruck verging so schnell wieder wie er gekommen war. "Also gut, wenn deine Wunden ausreichend verheilt sind..."
"Das sind sie", erwiderte Finelleth nachdrücklich, und der Herr von Bruchtal nickte langsam und nachdenklich.
"Also gut", sagte er schließlich. "Neun Gefährten mögen nach Fornost gehen. Es ist alles, was wir in Imladris noch gegen den kommenden Sturm ausschicken können. Es mag zu wenig sein, und doch... es muss reichen." Er klang, als ob er eher zu sich selbst sprechen würde, als zu den Anwesenden.

"Ich bin geehrt, dass ihr mich begleiten wollt", sagte Oronêl leise, doch alle Blicke richteten sich auf ihn. "Orophin weiß bereits, worum es bei diesem Auftrag geht, doch ihr sollt es ebenfalls erfahren." Er zog den Ring aus seiner Tasche, und hielt ihn hoch, sodass er im Licht der Lampen leuchtete. "Dies ist einer der neun Ringe, den ich in Dol Amroth einem der Nazgûl abgenommen habe." Valandur zog scharf die Luft ein, und auch die meisten der Elben zeigten ihre Überraschung offen.
"Um ihn zu zerstören muss ich die Schmieden von Eregion finden, und dazu brauche ich die Hilfe von Mathan Nénharma, dessen Vater in diesen Schmieden arbeitete, und seinem Sohn eine Karte hinterließ, die nur er lesen kann. Mathan befindet sich vermutlich in Fornost, wo die Gefahr eines Angriffs von Sauron oder Saruman droht. Ich werde Mathan finden, und mit ihm gemeinsam die Schmieden suchen, um diesen Ring zu vernichten. Ich werde niemanden von euch gegen seinen Willen bitten, weiter als bis Fornost mit mir zu gehen, doch wer mir seine Hilfe auf diesem Weg anbietet, den werde ich nicht zurückweisen."
Stille senkte sich über den Raum, bis Gelmir aus Lindon das Wort ergriff. "Gut gesprochen. Ich kann noch nicht sagen, was ich nach Fornost tun werde, doch bis dorthin kannst du dir meiner Hilfe gewiss sein."
Nach und nach stimmten die anderen zu, und als letzter sagte Orophin: "Ich bin mit dir seit Dunharg gereist, durch Feuer, Schlacht und Gefahr, durch Lórien, Rohan und Dunland bis hierher. Und wenn ich kann, werde ich dir auch nach Fornost weiterhin folgen, bis deine Aufgabe erfüllt ist."
Oronêl lächelte seinem Gefährten dankbar zu.

"Dann ist es beschlossen. Vebringt die Nacht noch hier", schloss Elrond die Versammlung. "Ruht euch aus, sammelt eure Kräfte, und brecht bei Sonnenaufgang auf. Ihr werdet eure Kraft brauchen."
Als sie auseinandergingen glaubte Oronêl, aus dem Augenwinkel einen Schatten in einer der Türen verschwinden zu sehen. Doch er hörte nichts und sah auch keine weitere Spuren eines Lauschers, also dachte er bald nicht mehr daran.

Eandril:
Der nächste Morgen kam mit Nebel, durch den nur einzelne Sonnenstrahlen drangen und Imladris in ein unwirkliches Licht hüllten. Nacheinander suchte Oronêl alle auf, die ihn nicht nach Fornost begleiten würden.
Amrothos fand er auf dem Söller oberhalb des Hauses, von wo der Prinz gedankenverloren in den Nebel hinausblickten. Oronêl freute sich, ihn auf den Beinen zu sehen. "Es ist, als wäre die ganze Welt verschwunden", meinte Amrothos, als Oronêl sich neben ihm an das Geländer lehnte.
"Ja..." Es hatte Morgende in Lórinand gegeben, an denen der Nebel vom Anduin aufstieg und den ganzen Wald einhüllte. Dann waren er und Calenwen manches Mal in die höchsten Wipfel geklettert, bis sie über den Wolken waren, über sich den blauen Himmel und unter sich die weiße Fläche des Nebels, die hier und dort von einer Baumkrone durchstoßen wurde.
"Aber leider ist die Welt noch immer dort draußen, und auch wenn es so scheint steht die Zeit nicht still."
"Ich weiß", sagte Amrothos bedauernd. "Ich würde dich gerne begleiten, aber... das ist nicht mein Weg. Und ich bin froh wenn ich so viel Abstand zwischen diesem Ring und mir habe, wie es möglich ist."
"Was wirst du tun?", fragte Oronêl nach, und Amrothos erwiderte: "Ich bin mir nicht sicher. Ich werde einige Zeit hierbleiben, mich ausruhen. Und dann vielleicht nach Lindon gehen, wenn die Straße nach Westen sicher ist, und von dort mit einem Schiff nach Dol Amroth fahren."
"Dein Vater macht sich vermutlich Sorgen um dich", stimmte Oronêl zu, auch wenn er traurig war dass sein Freund nach Süden zurückkehren würde, und vermutlich viel Zeit vergehen würde bis sie sich wiedersahen.
"Das tut er." Amrothos blickte noch einmal hinaus in den Nebel, wandte sich dann Oronêl zu und bot ihm die Rechte dar. Oronêl ergriff die angebotene Hand, und Amrothos sagte: "Ich wünsche dir alles Glück der Welt, und mögen die Sterne deinen Weg erleuchten."


Auf dem Weg vor das Haus, wo sich die Gruppe versammeln sollte, traf Oronêl auf Gamling, der in der Haupthalle in der Mitte des langen Tisches neben einem Mädchen mit dunkelbraunen Haaren, das munter auf ihn einredete, saß und frühstückte. Oronêl schätzte das Mädchen etwa so alt ein wie Irwyne - wenn auch anscheinend ein wenig anstrengender, denn Gamling warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu.
"Ah, Oronêl", sagte der Alte Rohir, und wischte sich einen Krümel aus dem Bart. "Ich hatte mich schon gefragt, wann du bei mir vorbeischaust."
"Ich war zuerst bei Amrothos", erwiderte Oronêl leise, denn der Abschied machte ihm zu schaffen, und Gamling nickte verständnisvoll. "Verstehe ich. Ich hatte ja die junge Faeriën hier zur Gesellschaft." Er stieß dem Mädchen freundschaftlich in die Seite, das daraufhin von ihrem Teller aufblickte und Oronêl ansah.
"Du gehst nach Fornost, nicht wahr? Mein Bruder Rilmir ist auch dort. Kannst du ihn von mir grüßen, wenn du ihn siehst?"
"Natürlich", antwortete Oronêl. Wenn er noch am Leben ist, fügte er in Gedanken hinzu, denn so viel er über die Dúnedain wusste, war ihr Leben in diesen Tage gefährlich. Andererseits, für wen galt das nicht?
"Nun da wir das geklärt haben wünsche ich dir viel Glück auf dem Weg", sagte Gamling. "Ich würde mich euch ja anschließen, aber ich fürchte ich wäre eher ein Hindernis als eine Hilfe."
"Du hast deinen Teil bereits getan und hast dir ein wenig Ruhe verdient", erwiderte Oronêl, und Gamling lachte. "Wer weiß. Vielleicht werde ich den jungen Amrothos nach Dol Amroth begleiten, und von dort in meine Heimat weiterziehen. Auch wenn sie Saruman nicht länger folgen, vielleicht findet unsere Königin ja eine Verwendung für einen alten Krieger."
Oronêl wollte sie gerade zum gehen wenden, als Gamling ihn zurückhielt. "Eins noch. Wenn du in Fornost oder sonst irgendwo auf den jungen Aldoc stößt, von dem ich dir erzählt habe... dann grüß ihn von mir."


Nur wenig später hatten sich alle Gefährten auf dem kleinen Platz vor Elronds Haus versammelt. Da standen Glorwen und Orophin, beide ihren Bogen über der Schulter, Gelmir und Faronwe, die über ihren silbernen Rüstungen ebenso wie die anderen dunkle Mäntel trugen, der rothaarige Cúruon und seine Tochter Mírwen, die Oronêl zuversichtlich zulächelte und der Mensch Valandur, der wie immer eine grimmige Miene zur Schau trug und das Langschwert, das er an der Seite trug, befingerte.
Während Cúruon und Mírwen in wertvolle Rüstungen nach der Art der Elben von Imladris gerüstet waren, trugen Orophin und Glorwen ebenso wie Oronêl nur leichte Lederkleidung in grün und braun und Valandur trug abgetragene, graubraune Kleidung über seinem Kettenhemd.
Als letzte traf Finelleth ein, ebenso gerüstet wie am Tag zuvor und gefolgt von Antien, Elrond und seiner Tochter Arwen, die Oronêl am Abend zuvor zum ersten Mal gesehen hatte.
"Die Gemeinschaft ist vollständig", sagte Elrond mit ernster Stimme, und Arwen gab jedem von ihnen einen schmalen silbernen Ring, in den ein einzelner Stern eingraviert war.
"Diese Ringe besitzen keine Macht", erklärte sie, als jeder seinen Ring in der Hand hielt. "Sie sind lediglich ein Symbol, das euch als Gefährten kennzeichnen soll und euch auch später für immer aneinander erinnern soll."
Die acht Elben und der Mensch murmelten Dankesworte, doch Oronêl war abgelenkt. Er hielt unauffällig Ausschau nach Irwyne, konnte sie jedoch nirgends entdecken... dabei wusste sie, wann sie aufbrechen wollten. Vielleicht wollte sie nicht, dass er und Finelleth gingen, und wollte sie auf diese Weise bestrafen. So gern er das Mädchen hatte, manchmal war sie ihm ein Rätsel.

Der Moment des Aufbruchs war gekommen, und nacheinander schritten sie durch das Tor von Bruchtal. Der Nebel hatte sich ein wenig gelichtet, und so erhellte die Sonne doch noch ihren Weg.
Valandur und Cúruon gingen vorweg, denn der Waldläufer und der Wächter der Grenzen kannten sich in der Gegend am besten aus, und die anderen folgten ihnen. Ein weiter Weg nach Westen lag vor ihnen, auf dem noch viel passieren konnte bevor sie ihr Ziel erreichten.

Oronêl und Gefährten auf die Große Oststraße...

Eandril:
Oronêl, Kerry, Mathan, Finelleth und Celebithiel von der Wildnis nahe Imladris

Wie bei Oronêls letztem Besuch in Bruchtal stand das Tor von Imladris auf der anderen Seite der Brücke über den Bruinen offen, doch dieses Mal war es nicht verlassen. Oronêl erkannte die wartende Gestalt sofort, obwohl sie nicht ihre Rüstung sondern normale Kleidung nach der Art von Imladris trug. Doch er kannte nur zwei Elbenfrauen mit derart roten Haaren, und die eine ging hinter ihm neben Finelleth.
"Mírwen", sagte er freudig, und ergriff die rechte Hand der jungen Elbin, an der silbern der Ring Arwens glitzerte. "Wir hatten nicht erwartet, dich hier zu treffen."
"Aber ich hatte gehofft, dich - euch hier wieder zu sehen, deshalb bin ich zurückgekommen."
Finelleth schob Oronêl wenig sanft zur Seite, und schloss ihre junge Gefährtin kurzerhand in die Arme. "Gut, dich zu sehen, Mírwen", sagte sie. "Es sieht aus, als hättest du gewusst, dass wir kommen."
"Wir haben euch auf der anderen Seite der Schlucht stehen sehen", erklärte Mírwen. Sie begrüßte auf Mathan und Kerry freundlich, und schloss dann Celebithiel in die Arme. Er jetzt wurde Oronêl klar, dass die beiden Frauen einander bereits länger kennen mussten, schließlich waren sie beide in Imladris aufgewachsen.
Schließlich führte Mírwen sie durch das Tor die schmale gepflasterte Straße entlang, die zu Elronds Haus hinaufführte. Wie beim letzten Mal sangen in den Bäumen und Büschen die verschiedensten Vögel, obwohl der Sommer vergangen war und der Herbst näher rückte, und die kleinen Wasserfälle des Tals plätscherten sanft und leise vor sich hin.

"Meister Elrond wird sicherlich gerne erfahren, wie eure Reise nach Eregion verlaufen ist", sagte Mírwen, den Blick auf Oronêl gerichtet. "Aber ich kann schon an euren Gesichtern sehen, dass ihr Erfolg hattet und der Ring vernichtet ist."
"Sogar zwei", meinte Celebithiel mit einem Lächeln. "Man könnte sagen, die Reise hat mehr Erfolg gebracht als wir erhoffen konnten." Mírwen zog die schmalen roten Brauen in die Höhe, fragte aber nicht weiter. Sie legten das letzte Stück des Weges schweigend zurück, erleichtert von der Reise für einen Moment an einen sicheren Ort gekommen zu sein, und in Kerrys Fall offensichtlich vollkommen überwältigt von der Schönheit dieses Ortes.
Sie erreichten die verzierte Tür zu Elronds Haus, die nicht verschlossen, sondern nur angelehnt war, und beinahe erwartete Oronêl, dass sie im nächsten Augenblick aufschwingen und Irwyne in der Öffnung auftauchen würde. Doch Irwyne war weit fort, wahrscheinlich bereits in Gondor, und es war Mírwen, die die Tür ganz aufstieß. Sie betraten den erleuchteten Flur, und für einen Augenblick genoss Oronêl die einladende Wärme und das sanfte Licht der elbischen Lampen.
"Ihr solltet zu Elrond gehen und ihm berichten", meinte Mírwen, doch sie sah dabei nur Oronêl an. "Ich... habe noch einiges zu tun, aber du musst mir hinterher auch erzählen, das alles geschehen ist." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, den Oronêl war beinahe einen halben Kopf größer als sie, und küsste ihn plötzlich auf die Wange, bevor sie den Gang entlang verschwand. Oronêl blickte ihr verständnislos nach, doch als er Kerry und Finelleth aus dem Augenwinkel vielsagende Blicke wechseln sah, seufzte er. Das konnte er nun eigentlich wirklich nicht gebrauchen.
"Sie hat Recht, wir sollten Elrond berichten", sagte Mathan, und gab mit keiner Regung zu erkennen, dass er überhaupt etwas seltsames bemerkt hatte, wofür Oronêl ihm dankbar war.
"Ich glaube, dazu werden Kerry und ich nicht gebraucht", meinte Finelleth. "Wir suchen uns lieber ein schönes freies Zimmer im Gästehaus - mit ein paar weichen Betten."
"Das wäre wunderbar", seufzte Kerry. "Ich muss zugeben, allmählich tun mir die Füße vom vielen Laufen weh."
"Ich werde ebenfalls erst später zu Elrond gehen", sagte Celebithiel, und Oronêl nickte verständnisvoll. Immerhin war Elrond ihr Ziehvater, und sie hatte ihn einige Zeit nicht gesehen - oder zumindest eine für die Maßstäbe der Elben kurze Zeit, in der sehr viel geschehen war. "Also dann", meinte eher an Mathan gewandt. "Lass uns gehen."

Sie fanden den Herrn von Bruchtal in der Halle des Feuers, wo er in Gesellschaft seiner Tochter nahe des Feuers saß. Arwen sang mit leiser, aber klarer Stimme ein Lied, dessen Worte Oronêl nicht verstand, und als sie endete blickte sie Oronêl und Mathan direkt entgegen. Oronêl hatte das Gefühl, dass Elronds Tochter direkt durch ihn hindurch auf seine Seele blickte, und er neigte unwillkürlich den Kopf vor ihr.
Im selben Moment blickte Elrond auf, und lächelte. "Nur wenig mehr als zwei Monate ist es her, dass du von Bruchtal aufgebrochen bist, Oronêl. Wie ich hörte, hat deine Gemeinschaft in Fornost großes vollbracht und ihren Zweck erfüllt." Bei diesen Worten wanderte sein Blick zu Mathan. "Und gemeinsam habt ihr mehr vollbracht, als ich für möglich gehalten hätte. Ich habe gespürt, wie der Ring, den du in Dol Amroth errungen hast, in Eregion vernichtet wurde, doch danach gab es eine zweite, noch stärkere Erschütterung. Erzählt mir, was geschehen ist."
Oronêl begann zu erzählen, wie Kerry in Lindon zu dem Ring des Hexenkönigs gekommen war, und Finelleth ihn an sich genommen hatte, als er versucht hatte, Besitz von dem Mädchen zu ergreifen. Mathan berichtete von der Seeschlacht mit Sarumans Schiffen an der Mündung des Gwathló, und sie wechselten sich bei der Erzählung von der Eroberung Tharbads ab. Oronêl sprach über ihre Reise durch Dunland und den Kampf in der Schmiede.
"Jeder von euch hat seinen Teil zur Vernichtung dieses Übels beigetragen", meinte Elrond schließlich. "Und niemand alleine hätte das vollbringen können. Es ist gut, und wird Sauron einen schweren Schlag versetzen. Er ist zwei seiner furchterregendsten Diener für immer beraubt."
Er blickte Oronêl an. "Ich hoffe, Gwilwileths Wunde ist gut verheilt?" Oronêl zögerte einen Augenblick, bevor ihm einfiel, dass Gwilwileth Celebithiels Geburtsname gewesen war. "Ja", bestätigte er. "Die Heiler der Manarîn haben sich gut um sie gekümmert, und sie hat uns hierher begleitet."
Für einen Augenblick leuchteten Elronds Augen auf. "Gut. Das ist gut." Er wandte sich Mathan zu. "Ich habe viele Fragen an dich, Mathan Nénharma. Über das Volk deiner Tochter, und über deinen Vater. Aber das hat bis morgen Zeit, falls du dich vorher ausruhen möchtest."
Mathan schüttelte den Kopf. "Nein... tatsächlich würde ich sehr gerne mit dir über etwas sprechen."
"Dann werde ich in der Zeit sehen, was Finelleth und Kerry treiben...", meinte Oronêl, und wandte sich zum Gehen. "Womöglich stellen sie sonst das ganze Haus auf den Kopf."
Zu seiner Verwunderung verließ Arwen die Halle mit ihm, und auf seinen Blick hin erklärte sie: "Ich habe das Gefühl, dass Mathan lieber alleine mit meinem Vater wäre. Und außerdem würde ich Celebithiel sehr gerne sehen..." Ihr Stimme klang eindeutig sehnsüchtig, und Oronêl verstand sie. Celebithiel und Elrond waren alles, was Arwen von ihrer Familie geblieben waren - die Mutter nach Westen gefahren, die Brüder getötet, und der Mann den sie liebte, gefangen im Schwarzen Turm von Mordor.
"Sie wird sich freuen, dich zu sehen, Herrin", erwiderte Oronêl, und berührte den silbernen Ring, den sie ihm geschenkt hatte. "Wie ich auch."
Arwens Blick fiel auf seine verstümmelte linke Hand, und ihr Gesicht wurde ernst. "Mírwen hat mir davon erzählt. Ist es schlimm?" Oronêl schüttelte den Kopf. Innerlich war er erstaunt, wie jemand, dem beinahe alle Lieben genommen worden waren, noch immer so viel Mitgefühl für das Leid anderer empfinden konnte.
"Nein", antwortete er. "Manchmal ist es merkwürdig, manchmal habe ich das Gefühl, die Finger würden schmerzen - obwohl sie nicht mehr dort sind. Und manchmal will ich mit der linken Hand zugreifen, und bin kurz verwundert, dass sie nicht fehlen." Darüber hatte er noch mit niemandem vorher gesprochen, erkannte er, überrascht, dass er es jetzt tat. "Aber dafür habe ich denjenigen getötet, der seit über tausend Jahren das Ziel verfolgt, mein Leben und das meiner Familie und aller, die ich liebe zu zerstören." Oronêl zuckte mit den Schultern. "Insofern denke ich, ist es ein vorteilhafter Tausch."
Sie erreichten den Eingang des Hauses, wo Erestor sie erwartete. "Celebithiel ist in die Gärten gegangen", sagte er an Arwen gewandt. "Sie sagte, sie wüsste wo du sie findest."
Arwen nickte langsam, und erwiderte: "Das weiß ich." Zu Oronêl sagte Elronds Haushofmeister: "Finelleth und die junge Kerry sind im Nachbarhaus. Sie haben dort Freunde getroffen, wenn ich mich nicht täusche." Oronêl zog eine Augenbraue in die Höhe. Welche Freunde das sein mochten? Er würde es wohl bald erfahren.

Fine:
Kerry folgte Finelleth durch die Flure des Hauses Elronds, während die Waldelbin ihr von ihrem vorherigen Besuch in Imladris erzählte. "Dies ist ein Ort des Friedens, und der Heilung," erklärte Finelleth. "Hier wurde meine Verletzung behandelt, die ich während der Überquerung des Hohen Passes erlitt."
"Der Hohe Pass..." wiederholte Kerry nachdenklich. Halarîns Worte kamen ihr in den Sinn: Dort wurden Finelleth und Irwyne von Orks überfallen. "Glaubst du, wir werden diesen Weg nehmen können? Gibt es keinen anderen?"
"Cirith Forn en Andrath, wie der Pass im Sindarin heißt, ist die Fortsetzung der Großen Oststraße," sagte Finelleth und führte Kerry in eine kleinere Halle, die sich auf einen weitläufigen Balkon öffnete und einen spektakulären Ausblick über die Wasserfälle Bruchtals bot. "Und an den Pass schließt die Straße zur Carrock-Furt an, und von dort setzt sich der Weg über die Alte Waldstraße fort - bis ins Waldlandreich, dem Ardheryn Thranduils. Es ist der direkte und kürzeste Weg. Nur drei große Pässe führen über das Nebelgebirge: Der Hohe Pass, der Pass des Caradhras, und der Pass an der Schwertel-Quelle. Doch sowohl Caradhras und Schwertel liegen zu weit südlich und würden einen großen Umweg bedeuten. Außerdem liegen sie beide näher an Moria - dem Hauptsitz Sarumans in diesen Bergen. Der Hohe Pass ist der kürzeste Weg für uns - und wahrscheinlich auch der sicherste. Und sollten wir dort auf Orks stoßen, werden sie dasselbe Schicksal erleiden wie die Gruppe, die sich mir und Antien in den Weg gestellt hat."
"Schön, dass du dich daran erinnerst, meine Liebe," sagte eine melodische Stimme hinter ihnen. Kerry drehte sich überrascht um, und sah einen Elben heran kommen, dessen hellbraunes Haar im angenehmen Kontrast zu seinen dunkelgrünen Gewändern stand. Finelleth begrüßte den Neuankömmling mit einer fröhlichen Umarmung und stellte ihn rasch vor: "Dies ist Antien, von dem ich gerade gesprochen habe. Er war bei der Belagerung Dol Guldurs dabei und hat Irwyne und mich bis nach Imladris begleitet. Antien, dies ist Kerry; Cynerics Tochter."
"Oh, Tatsache," meinte Antien gut gelaunt und deutete eine Verbeugung an. "Ja, das erkennt man deutlich. Da, siehst du es? Der gleiche verwunderte Blick wie bei ihrem Vater. Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend!"
Kerrys Augen verengten sich gefährlich. "Er ist also ein Witzbold," stellte sie fest. Finelleth lachte herzlich.
"Nun, vielleicht gibt es doch einige Unterschiede," bemerkte Antien. "Das feurige Temperament muss sie wohl von ihrer Mutter haben."
"Wie ist es dir ergangen, Antien?" fragte Finelleth, darauf bedacht, einen Streit zu vermeiden. "Was hast du getrieben, während Oronêl und ich Eriador gerettet haben?"
"Ich habe drei neue Lieder geschrieben und einen wunderschönen Baum im Hof hinter den Stallungen gepflanzt," sagte Antien stolz. "Außerdem ist es mir gelungen, mein Rezept für Pilzsuppe noch einmal zu verfeinern. Ich muss dringend ins Auenland reisen, um es von wahren Feinschmeckern testen zu lassen. Nach allem, was man hört, ist dort inzwischen wieder Frieden eingekehrt, wofür offenbar der gute alte Gandalf verantwortlich ist. Wenn das der alte Tom hört!"
"Du meinst Tom Bombadil, diesen seltsamen Gesellen der inmitten des Alten Waldes lebt?" fragte Kerry, die sich noch lebhaft an ihr Treffen mit Tom Bombadil erinnerte.
"Eben jenen," bestätigte Antien. "Ich bin, nun, auf eine gewisse Art und Weise, sein Sohn. Du sprichst, als wärst du ihm schon begegnet, habe ich Recht?"
"Ja, ich kenne Tom," antwortete Kerry. "Er hat dabei geholfen, Gandalf aus seinem Schlaf zu holen."
"Ach! Na, das hätte ich mir ja denken können," meinte Antien. "Schön! Ich denke, ich werde ihm bald einen Besuch abstatten. Aber nun zu euren Abenteuern! Finelleth, meine Liebe, was habe ich verpasst? Oder besser gesagt, was ist mir erspart geblieben? Ich habe gehört, in einer Stadt namens Fornost ist es drunter und drüber gegangen, und ihr wart mittendrin!"
"Drunter und drüber, das kann man wohl sagen," sagte Finelleth und stürzte sich in einen detaillierten Bericht über die Reise von Oronêls Gemeinschaft und über die Belagerung von Fornost.

Kerry verzog das Gesicht. Sie wollte nicht an Fornost oder Angmar erinnert werden. Außerdem kam sie sich bei einem Treffen alter Freunde, wie dies eines zu sein schien, etwas fehl am Platz vor. Also verabschiedete sich höflich und begann, ziellos durch die Hallen und Flure des Hauses zu streifen. Immer wieder traf sie dabei auf Elben, die sie entweder nicht beachteten oder ihr einen freundlichen, aber dennoch leicht irritierten Blick schenkten. Kerry musste feststellen, dass Elronds Haus von innen größer war, als es von außen gewirkt hatte. Sie bog um eine Ecke - und stieß mit einer dunkelhaarigen Gestalt zusammen, sodass beide zu Boden fielen.
Hastig rappelte Kerry sich wieder auf. "Tut mir Leid! Tut mir Leid! Ich habe wohl nicht aufgepasst."
"Das kannst du aber laut sagen!" antwortete ihr eine helle, hörbar verärgerte Stimme. Sie gehörte einem dunkelhaarigen Mädchen, das ein tiefblaues Kleid nach Elbenart trug und das die Hände in die Hüften gestemmt hatte. Sie musste ungefähr fünfzehn Jahre alt sein, schätzte Kerry. Und sie war eindeutig nicht erfreut über das, was geschehen war. "Mach gefälligst deine Augen auf, anstatt hier wie ein kopfloses Huhn durch die Gegend zu rennen! Du hast Glück, dass ich mich bei dem Sturz nicht verletzt habe, sonst..."
"Sonst was?" unterbrach Kerry, die sich ebenfalls zu ärgern begann. Der Ton, den das Mädchen angeschlagen hatte, gefiel ihr überhaupt nicht.
"Sonst rufe ich meinen Bruder, und der wird dir Manieren beibringen!" drohte ihr Gegenüber.
"Dann ruf' ihn doch," gab sich Kerry wenig beeindruck. "Mit dem werde ich schon fertig werden."
"Pah! Du wirst schon sehen, was du davon hast!" giftete das Mädchen und stürmte davon, jedoch nicht, ohne zwei vorbeischlendernde Elben grob aus dem Weg zu schubsen.
Kerry konnte darüber nur den Kopf schütteln. "Sieht ganz so aus als hätten noch nicht alle hier verstanden, dass Bruchtal ein Ort des Friedens ist," murmelte sie.

Sie beschloss, nach Finelleth zu suchen. Falls sich der Bruder des unfreundlichen Mädchens wider Erwartung als Problem herausstellen sollte, wollte Kerry ihm nicht alleine gegenübertreten müssen. Und Finelleth war die beste Kämpferin, die sie kannte. Doch als sie den Balkon erreicht hatte, auf dem sich ihre Freundin mit dem Elben namens Antien unterhalten hatte, musste sie feststellen, dass dort niemand mehr war.
"Mist!" sagte sie leise zu sich selbst. Finelleth und Antien müssen sich wohl ein ruhigeres Plätzchen gesucht haben. Und was jetzt? "Blóden hel!"
Kaum war der rohirrische Fluch im Raum verklungen wurde er schon in derselben Sprache beantwortet: "Na na, eine solche Sprache haben dir aber deine Eltern bestimmt nicht beigebracht, junge Dame." Ein in die Jahre gekommener rohirrischer Krieger betrat den Balkon und musterte Kerry von oben bis unten, ehe er sagte: "Ich hätte nicht gedacht, dass die ersten Worte, die ich in meiner Muttersprache höre, seitdem Irwyne nach Westen aufbrach, ein solch derber Fluch sein würden."
Kerry riss sich zusammen und schluckt die scharfe Erwiderung hinuter, die ihr bereits auf der Zunge gelegen hatte. "Entschuldigt, Meister," sagte sie auf rohirrisch und machte eine höfliche Grußgeste. "Mein Name ist... Déorwyn, Cynerics Tochter, aus Hochborn."
"Gamling, Garalds Sohn, aus der Westfold," stellte sich ihre neue Bekanntschaft vor.
"Ihr kennt Irwyne?" fragte Kerry. "Sie bestieg in Mithlond ein Schiff, das sie nach Dol Amroth bringen wird, falls Ihr Euch fragt, wie es ihr ergangen ist."
"Schön zu hören," sagte Gamling freundlich. "Und was bringt dich nach Bruchtal, Déorwyn von Hochborn?"
Ehe Kerry Zeit hatte, sich zu überlegen, wie sie auf diese Frage antworten sollte, wandte Gamling den Blick zur Tür, von der schnelle Schritte zu hören waren. Er verzog gequält das Gesicht. "Ich weiß, wer da kommt," sagte er und seufzte. "Ich weiß nicht, was ich diesmal falsch gemacht habe, aber wenn Faeriën von Eldalondë einmal in Fahrt ist, täte man gut daran, das Weite zu suchen bis ihr Zorn verraucht ist. Zu dumm, dass wir uns hier in eine Sackgasse manövriert haben."
Faeriën - das Mädchen, das mit Kerry zusammgestoßen war - kam schnellen Schrittes herein und baute sich so bedrohlich es ihr möglich war vor Gamling und Kerry auf. "Ihr könnt jetzt damit aufhören, in eurer seltsamen Geheimsprache zu reden," giftete sie.
"Das ist Rohirrisch," gab Kerry heftig zurück.
"Ist mir egal. Ich habe mir gleich schon gedacht, dass du mit Gamling unter einer Decke stecken musst. Ist das etwa Vergeltung für die Sache mit den Hufeisen, alter Mann?"
"Ich würde nie..." versuchte Gamling sich zu wehren, aber Faeriën schnitt ihm gnadenlos das Wort ab.
"Pech gehabt! Mein Bruder ist auf dem Weg. Jetzt habt ihr nichts mehr zu lachen!"
Eine hochgewachsene Gestalt trat durch die Tür - und Kerry riss vor Staunen die Augen auf.
"So, du bist also diejenige, die meiner kleinen Schwester Ärger gemacht hat," sagte Rilmir und kam heran.
"Hallo, Dúnadan," antwortete Kerry und fiel ihm in die Arme.
"Was soll das?" hörte sie Faeriën verärgert sagen. "Verpass' ihr eine Abreibung! Wirf sie über das Geländer!"
"Genug, Faeriën. Kerry und ich sind alte Freunde. Ich bin mir sicher, sie ist nicht absichtlich mit dir zusammgenstoßen," sagte Rilmir als er sich von Kerry löste.
"Sag mal, bist du etwa nach der Faeriën von Faeriëns Pforte benannt?" fragte Kerry schnell. Sie erinnerte sich an den Überfall des Sternenbundes auf die Feste der Erben Isildurs am Abendrotsee. Damals waren sie über einen verborgenen Eingang ins Innere der Festung geklettert, der denselben Namen wie Rilmirs kleine Schwester getragen hatte.
Faeriën bedachte sie mit einem Blick, in dem sich Misstrauen und Neugierde mischten. "Ja, so ist es. Bist du etwa dort gewesen?"
"Rilmir und ich haben geholfen, den Sitz der Erben Isildurs zu befreien," erklärte Kerry.
"Davon hast du mir noch gar nichts erzählt, gwador," stellte Faeriën fest. "Schon wieder."

Sie schien einen Augenblick nachzudenken und ergriff dann überraschend Kerrys Hand. "Also gut. Du kommst jetzt mit mir und erzählst mir alles über deine Reisen mit meinem Bruder. Weißt du, er hält mich nämlich hier gefangen, in Bruchtal. Ständig redet er davon, dass die Welt da draußen zu gefährlich für mich sei. Was für ein Unsinn! Und dann erzählt er mir nicht einmal, was dort wirklich vor sich geht und was er für Abenteuer erlebt. Aber jetzt habe ich ja dich dazu." Sie zog Kerry mit sich, und Rilmir folgte ihnen, einen eindeutig belustigten Ausdruck im Gesicht. Während sie mehrere große Räume durchquerten ließ Faeriëns Redefluss kaum nach. "In Bruchtal habe ich längst alles gesehen, was es zu sehen gibt, und Neuigkeiten aus der Ferne sind rar. Der alte Gamling hat längst keine Geschichten mehr zu erzählen, und die Elben sind entweder ständig mies gelaunt oder halten sich für die größten Witzbolde, die Mittelerde je gesehen hat. Es ist kaum zu ertragen, das kannst du mir glauben. Und denkst du, man kann sich auf sie verlassen? Ha! Natürlich nicht! Nicht einmal Grüße überbringen können sie. Dieser Oronêl, der sich wohl für etwas Besonderes hält, hat es nicht für nötig gehalten, meinem Bruder meine Grüße zu überbringen, als er nach Fornost gegangen ist."
Endlich hatten Faeriën ihr Ziel ereicht: Eine der kleineren Gastunterkünfte, in der sie offenbar untergebracht war. Sie bot Kerry einen Stuhl an, während sich Rilmir ungefragt auf das kleine Bett legte. Am Fenster des Raumes stand eine weitere bekannte Gestalt: Haleth, die ein ganz ähnliches Kleid wie Faeriën trug und die Haare kunstvoll frisiert trug. Auch sie begrüßte Kerry mit einer herzlichen Umarmung.
"Ich bin froh, dass es dir gut geht," sagte Haleth. "Wie ich sehe, hast du schon Bekanntschaft mit dem Rest der Familie gemacht..."
Kerry nickte und nahm Platz, um sich den Fragen Faeriëns zu stellen. Doch ehe sie beginnen konnten öffnete sich die Tür des Raumes erneut, und Oronêl kam herein.
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Kerrys Blick huschte von Oronêl zu Faeriën, deren Augen sich zu engen Schlitzen verzogen hatten. "Du..." zischte das Mädchen gefährlich.
In was bin ich da bloß reingeraten?

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