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Eregion / Vor dem Sprung
« Letzter Beitrag von Curanthor am Gestern um 23:16 »Es war ein merkwürdiges Gefühl wieder mit seinen Schwestern zu sprechen. Ihm war es, als sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen hatten, dabei waren es erst einige Wochen, vielleicht Monate. Er musterte sie genauer, als sie sich in der fast leeren Kammer auf einige Fässer setzten. Sie kamen deutlich nach Mutter, die wachsamen Augen waren aber die ihres Vaters. Ihre Haare hatten mittlerweile die ursprüngliche weiße Färbung verloren und nun einen dunkelblonden Ton angenommen. Um ihre Mundwinkel hatte sich ein harter Zug gebildet, am linken Handgelenk trugen sie beide jeweils einen schmalen, eleganten Armreif mit verschlungen Mustern und drei kleinen Edelsteinen. Seine Schwestern musterten auch ihn einen langen Moment, bis sie ihn darum baten seine Reise bis hier hin zu erläutern.
Mathan umriss grob die Fahrt mit der Avalosse, den Kampf um Tharbad und den Weg nach Eregion, die Kämpfe in der Schmiede, die Ankunft der übrigen Elben und dann die Reise nach Norden. Auch wenn er sich so kurz wie möglich fasste, dauerte die Erzählung länger als ihn lieb war. Glücklicherweise kannten seine Schwestern bereits einen Teil, da sie ebenfalls in den Norden gereist waren, einige Zeit nach ihm. Er blinzelte und sein Blick huschte erneut zu den Schmuck, den sie trugen. „Also... wisst ihr über Mutter Bescheid?“
Sabaia zögerte schuldbewusst, doch Yutée nickte entschlossen. „Wie haben eine Zeit lang bei ihr gelebt, zusammen mit anderen. Noch bevor wir uns in Lindon trafen.“
Mathan wurde klar, dass er nie gefragt hatte, was sie so trieben, oder wo sie lebten, als sie sich vor einiger Zeit getroffen hatten. Er fühlte sich schuldig, sich so wenig für das Leben seiner Schwestern zu interessieren. Ein wenig nagte es auch an ihm, dass seine Mutter ihm nichts davon erzählt hatte.
Sabaia bemerkte seinen Gesichtsausdruck und schob hastig nach: „Sie wollte nicht, dass wir jemanden davon erzählen. Wir waren ihre Augen und Ohren. Außerdem beobachteten wir die Schmiede, bewachten sie ohne einzugreifen... sie verbat uns hinunterzugehen...“
„...Und daran hielten wir uns.“ Yutée strich ihm sanft über die Schulter, „Wir wussten auch nicht, dass Vater dort unten lebt, sonst hätten wir es dir gleich gesagt, egal was Mutter sagt.“
Mathan atmete tief durch und nickte knapp. Er konnte ihnen nicht böse sein, immerhin war er auch kaum für sie da gewesen. Er setzte seine Erzählung fort und kam rasch an der aktuellen Lage an.
„Hmm“, machten seine Schwestern nur und schauten sich nachdenklich an, „Wir könnten dieses wandelnde Etwas suchen gehen. Und vertrauen kannst du uns sowieso.“
Er sah keinen Grund ihre Hilfe abzulehnen und stimmte zu. „Habt ihr irgendwelche Pläne bei dem aufkommenden Kampf mitzuwirken?“
Die beiden sahen sich an. Er kannte diesen Blick, dass sie irgendwas wussten, aber erst später preisgeben würden. „Vorerst nicht. Wir sind recht begabt darin unerkannt zu bleiben, wenn du verstehst...“, begann Sabaia langsam und Yutée beendete den Satz: „Zumal uns niemand in der Stadt wirklich kennt.“
Mathan runzelte die Stirn. Die Zwillinge waren schon immer etwas geheimniskrämerisch, aber diesmal war er sich sicher, dass sie etwas Größeres zurückhielten. Gleichwohl kannte er sie gut genug zu wissen, dass sie ihn nie schaden würden.
„Also gut“, brummte Mathan, „Falls euch jemand fragen stellt, verweist auf mich. Streng geheime Mission des Feldherrn.“ Die beiden nickten ernst und machten sie auf den Weg. Er wartete einige Momente, bis sie weit genug weg waren und verließ die Kammer.
Valena saß am Brunnenplatz auf dem Rand des Sockels und beobachtete wie geordnete Kolonnen an gerüsteten Elben in Reih und Glied durch die Straßen marschierten, die meisten im Laufschritt. Nur vereinzelt wurden Befehle gebellt. Scheinbar wussten sie was zu tun war, denn die meisten hatten den nördlichen Stadtteil als Zeil. Eine weitere Kolonne aus einhundert Soldaten mit purpurroten Mänteln und auf Hochglanz polierte, schwere Rüstungen marschierte gerade auf dem Platz auf. Sie wirkten deutlich abgehärteter, die Haltung stramm und bis an die Zähne bewaffnet. Hier bellte niemand Befehle, jede Bewegung wirkte so, als sie im Schlaf ausgeführt werden konnte. Einige Umstehenden murmelten, dass dies die königliche Leibgarde sei.
„Rück mal 'n Stück, Menschenmädchen“, brummte eine männliche Stimme mit einem seltsamen Akzent. Der Duft von Tannenzapfen und kaltem Metall drang ihr in die Nase. Jemand setzt sich unangenehm nah an sie heran, sodass sich ihre Beine berührten. Valenas Seitenblick war missbilligend, doch der Elbenkrieger trug eine schwere, vom Kampf gezeichnete Rüstung und starrte nach vorn. Sein leicht eingedellter Helm auf den Kopf sprach von dutzenden abgefangenen Hieben, dennoch glänzte der Stahl in der trüben Sonne. Dunkelbraune, fast schwarze Haare ergossen sich vom Unterrand des Helms auf seinem bemantelten Rücken.
„Neu hier?“, fragte er Mann nach eine Weile der Stille.
Valena brummte zustimmend, wenig Lust verspürend den aufdringlichen Kerl zu unterhalten.
„Bin schon eine Weile hier und du...?“
„Valena vom Raureiftal“, stellte sie sich kühl vor und blieb weiterhin stur sitzen.
Der Elbenkrieger lachte rau und schlang einen Arm um ihre Schulter. „Calûnor, aber du kannst mich Calún oder Cal rufen.“ Sie wand sich unter dem starken Arm, die aufkommende Panik herunter kämpfend.“Vielleicht werde ich den kommenden Krieg nicht überleben. Mein Platz ist in der vordersten Reihe. Ich wurde mit dem Schwert in der Hand geboren und werde durch ein Schwert sterben, das hat man mir weisgesagt.“ Valena hielt dabei inne, ihn von sich abzuschütteln. „Einmal wollte ich mir vorstellen wie es ist, einfach nicht in den Kampf zu ziehen... ein warmes Feuer zu Hause, einen gemütlichen Sessel mit einem Buch... aber irgendwie kann ich es nicht.“
„Warum?, fragte sie nach einem kurzen Moment, den schweren Arm auf ihren Schultern ignorierend, „Es zwingt dich doch keiner?“
Calûnor lachte erneut, jedoch weniger herzlich, „Das nicht, aber es liegt in meiner Natur. Die Kinn-Lai sind nicht dafür bekannt zimperlich zu sein“ Er zog seinen Arm zurück und legte die gepanzerte Hand auf ihr Knie, woraufhin sie merklich zusammenzuckte. „Wenn wir etwas wollen, dann machen wir das klar. Und ich sehe nicht, was du willst.“
Sie blinzelte verwirrte, noch immer unangenehm berührt durch die schwere Hand des Mannes, doch das pochende Herzen in ihrer Brust beruhigte sich stetig. Etwas überrascht davon, dass es plötzlich um sie ging, räusperte sie sich. „Was meinst du?“
„Das wüsste ich auch gerne...“ Er nahm seine Hand von ihr. „Vergiss es. Nur die Launen eines Kriegers, der sein Volk wohl in den Krieg führen muss. Die wilden und ungezähmten Gedanken vor einer Schlacht.“
Velanas Knie wirkte leichter als zuvor. Irgendwie hatte die Berührung ihr weniger ausgemacht als gedacht. Sie schaute ihn an, doch Calûnor hatte sich vorgebeugt und stützte seinen Kopf auf der Handfläche, den Ellenbogen wiederum auf seinem Bein.
„Vielleicht wollte ich auch einfach nur die Stimme einer Frau hören, die nicht ständig nörgelt, über wichtige Dinge schwadroniert oder aufbrausend ist“, murmelte der Elbenkrieger.
Valena rutschte etwas peinlich berührt auf einer Stelle herum. „Ich bin eigentlich nichts von dem. Vielleicht zu ruhig in manchen Dingen?“ Sie überlegte kurz. „Und etwas zu kämpferisch, habe ich öfters gehört.“
„Hmm, kämpferisch klingt gut, das mag ich. Aber ich denke, du magst mich nicht. Das ist auch in Ordnung.“ Calûnor richtete sich auf, „Wie gesagt, mein Volk ist nicht bekannt für seine zarte Seite.“
Er machte Anstalten zu gehen, doch Valenas Hand hielt ihn am tiefblauen Umhang fest. Überrascht schaute er zu ihr hinab. Seine bernsteinfarbenen Augen musterten sie das erste Mal im Gesicht. Der Blick des Mannes war kalt wie Stahl. Langsam ließ er sich wieder nieder. Sie wusste selbst nicht, warum sie ihn hierbehalten wollte. Ihr Blick ging zu dem wuchtigen Zweihänder, den der Elbenkrieger neben sich gelegt hatte. Vielleicht ein Anflug von Bewunderung? Sie wusste es selbst nicht. Irgendwas in ihr sehnte sich vielleicht nach Stärke? Herr Mathan war die Führung, die sie brauchte. Vielleicht hatte sie nun diese Stärke gefunden. Sie war selbst von sich überrascht und schluckte den Brocken in ihrem Hals hinunter, unsicher ob sie nervös sein sollte, oder ein klein wenig Gefühl der Sicherheit zulassen sollte.
„Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich dich nicht mag“, murmelte sie schließlich. Sie griff selbstbewusster nach seiner Hand und platzierte sie auf ihrem Knie, „Dafür brauche ich mehr Zeit.“
Calûnor ließ sie gewähren und wirkte kein Stück wie die unnahbaren Gestalten aus den Geschichten. „Ich weiß auch nicht, was ich hier mache.“, sagte er nach einem Moment und verharrte neben ihr regungslos. „Vielleicht hilft das hier mir dabei.“ Seine schwere Hand wirkte auf Valena wie ein schützendes Zelt in einer fremden Stadt. „Was auch immer gerade geschieht.“
Adrienne stiefelte unwirsch durch die enge Gassen. Irgendwas war hier, aber es entzog sich ihren Blicken. Immer wieder hatte sie das Gefühl den oder die fremde gleich um eine Ecke flitzen zu sehen, fand aber entweder leere Gassen und Gänge, oder gelegentlich ein Spitzohr. Das Geflüster, das sie stets begleitete, war zu einem dumpfen Rauschen abgeklungen. Ihr Auge schmerzte gelegentlich, vor allem wenn sie in die Sonne blickte, aber ansonsten ging es ihr besser, je mehr sie sich bewegte. Ihr kam alles so dumm und peinlich vor. Sie hatte sich gehen lassen, alles falsch verstanden und dem dunklen Gedanken nachgegeben. Der frisch verkrustete, flache Schnitt auf der Höhe ihres Herzens war das deutlichste Zeichen davon. Ein Mal ihrer eigenen Dummheit.
Nach ihrer Begegnung und der daraus folgenden Verwundung waren ihr wieder Dinge eingefallen, die sie anfangs nicht zuordnen konnte. Fetzen aus Unterhaltungen. Grausame Bilder, zerhackte Körper, Blut und Eingeweide. Dinge, die sie nie jemanden erzählen würde; darunter ihr eigenes hohles, kaltes Lachen. Dunkle Gelüste und verwirrende Erinnerungen. Alles schwirrte in ihrem Kopf umher und alles aus ihrem eigenen Blickwinkel. So als ob sie es war, die die schrecklichen Taten verübt hatte.
Sie hatte Angst, so sehr, dass ihr Magen jeden Bissen Nahrung verweigerte. Angst um sich selbst, was mit ihr geschah und auch um ihre Freunde. Sie hatte schreckliche Furcht vor dem, was kommen würde. Die Gewissheit, dass sie dem selbst kein Ende bereiten konnte war ein furchtbares Gefühl, als ob ein klaffendes Loch sie zu verschlingen drohte. Sie hatte bereits in diesen Abgrund gestarrt und hatte alle um sich herum von sich gestoßen. Hatte sich auf alle Stimmen in ihrem Kopf eingelassen.
Keuchend lehnte sich Adrienne an eine Hauswand, noch immer den ausweichenden Wesen folgend. Vielleicht war es nur ein Hirngespinst, aber es half ihr nicht daran zu denken, wie töricht sie war. Kerry hatte sie noch immer wie eine Freundin behandelt, ganz gleich wie entstellt sie war. Oder, dass sie sie ungefragt geküsst hatte. Eines der dunkleren Gelüste, ausgelöst durch übermäßigen Alkohol und den wispernden Stimmen. Und dennoch... sie wollte niemanden in der Nähe haben, nicht wenn sie ständig Gefahr verspürte. Meistens von sich selbst ausgehend. Und dennoch behandelten sie alle Adrienne wie eine Freundin. Niemand wusste, dass sie das nicht verdient hatte. Vor allem da sie immer klarer sah, was sie einst getan hatte. Es waren noch immer Fetzen, aber grausam genug es auf der Stelle zu beenden – oder es zumindest zu versuchen. Sie wollte niemanden da hineinziehen, aber die Stimmen in ihren Kopf wisperten ihr zu, dass es dafür schon längst zu spät war. Ihre Freunde würden sich sicherlich von ihr abwenden, wenn sie herausfanden was sie war. Nicht jeder war so naiv wie Kerry.
Adrienne schloss kurz die Augen. Ein Gefühl von Dringlichkeit machte sich in ihr breit. Sie stieß sich von der Wand ab und beschleunigte ihre Schritte. Ihre Hand legte sich auf dem kühlen Griff ihres Elbenschwerts. Eine besonders eindringliche Stimme erhob sich in ihrem Kopf über den allgemeinen Rauschen hinweg. Sie klang ruhig, gütig und sehr weise. Die Stimme warnte sie in einem vertrauensvollem Ton. Es drohte Gefahr, aber nicht für sie. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Mit einem leisen sirren fuhr der blanke Stahl aus der Scheide. Das Wispern bestärkte sie. Adrienne hatte nicht viel Zeit. Sie konnte sich vielleicht nicht selbst beschützen, das machte keinen Sinn, ganz gleich was sie Kerry sagen würde, aber sie konnte alle Kraft aufbieten andere zu beschützen – selbst diese unbekannte, ungezügelte Macht, die sich in ihr erneut regte. Selbst wenn sie daran zerbrechen würde. Es war der letzte Akt, den sie vollziehen konnte, solange sie so klar war wie jetzt.
Nivim hatte sich schließlich Hilfe geholt. Elestora war einfach zu gut in dem Spiel geworden. Sie lächelte geschlagen, als der leicht gerüstete Spähtrupp eilig vor ihr an den Treppen zum Kronsitz zum Stehen kam. Es waren neun Elben, plus den Anführer, der sich knapp verneigte. „Randar, zu Euren Diensten, ehrenwerte Dame Nivim.“
Erstaunt stellte sie fest, dass es Hwenti waren. Nivim nickte und befasste ein Tuch, mit dem sich den Schweiß zuvor von der Stirn getupft hatte. „Ich weiß, dass es fast schon lächerlich klingt, aber könntet Ihr und Eure Mannen bitte helfen meine Tochter zu finden? Die Kleine ist zu geschickt im Versteckspiel geworden.“
Der Anführer blinzelte einen Moment. „Die kleine Prinzessin Elestora?“ Seine Stimme war ernster als sie erwartet hatte.
Nivim nickte zögerlich, verunsichert von der Professionalität des Mannes. „Ich weiß, in so einer Situation habt Ihr sicherlich andere...“
Sie verstummte, da Randar die Hand hob. „Verzeiht, Dame Nivim, aber macht euch keine Sorgen. Unser Volk hält Kinder für den größten Schatz des Lebens. Macht Euch keine Vorwürfe, wir helfen gerne.“ Die Männer Randars nickten bekräftigend und versicherten ihr, dass sie sie finden würden.
Sie atmete erleichtert auf, auch wenn es ihr noch immer übertrieben vorkam. Nivim trat näher an den Trupp heran, sodass nur sie sie hören konnte. „Bitte behandelt den... Auftrag diskret.“ Sie lächelte unsicher.
Randar erlaubte sich ein Schmunzeln. „Natürlich, unsere Lippen sind versiegelt.“
Sie erklärte den Männern wo sie ihre Tochter das letzte Mal gefunden hatte, ihre beliebten und unbeliebten Orte, woraufhin sie wie Schwarm Vögel auseinander stoben.
Amante maß das schwere Schwert mit einem missbilligenden Blick, das Amarin aus dem geheimen Versteck gezogen hatte. Es war ein massiger Zweihänder, der vermutlich mehr Metall als so mancher Plattenpanzer aufwies. Der Stahl war schwarz, durchzogen von blauen Adern und schimmerte im Licht. Sie wusste relativ wenig über die Schmiedekunst, vermutlich war er leichter als er aussah, aber vor allem wertvoll. Sternenstahl erkannte sie immer problemlos.
„Ein Andenken aus Gondolin, oder inspiriert davon?“, fragte sie feixend.
Amarin hielt inne und das Steinfach einen Moment offen, ließ es aber dann mit einem Rumpeln zufallen. „Das hatte ich schon vorher auslagern lassen.“ Er trat an die schwere Klinge, „Eigentlich war es für einen der Hohen Herren der Stadt bestimmt. Mein alter Lehrmeister gestattet es mir nur für diesen Zweck mit nach Mittelerde zu bringen. Nun, wie auch immer, es kam anders .“
Sie hielt sich kurz den Kopf, doch der Schleier war heute dichter als je zuvor. Es war nichts zu sehen, nur trübe Dunkelheit. „Also beginnt das, was Cúwen einst sah.“
Ihr alter Freund grunzte nur zustimmend und schnappte sich ein Ledertuch, mit dem er die Klinge entlangfuhr. „So sieht es aus.“
„Und das sorgt dich nicht?“ Sie musterte ihn mit gerunzelter Stirn. Ob er schon soweit bei klarem Verstand war?
Amarin hielt inne. „Natürlich sorgt es mich.“ Seine Stimme war schneidend, sodass sie innerlich zusammenzuckte. Da war sie wieder, die Schärfe der letzten Jahrhunderte, die ihn verändert hatten. „Meine Nachfahren werden durch Blut waten. Tragödien werden uns befallen. Natürlich...“ Er verstummte, da seine Stimme sich immer weiter hochschaukelte. Er hielt sich kurz den Kopf. Dann sagte er sanfter: „Wer würde das nicht, es sind meine Nachfahren und alten Freunde, um die es geht.“
Amante spürte sich unwillkürlich lächeln. „Alte Freunde, ja.“, wiederholte sie versonnen, „Damals schien vieles leichter, mit klaren Grenzen. Ich frage mich, was die anderen heute so tun...“
Er warf ihr einen unergründlichen Blick zu und polierte das Schwert. „Cúwen war da nicht so deutlich, ob wir uns alle überhaupt noch einmal wiedersehen... und ich erinnere mich nicht, wo ich den Schild versteckt habe.“
Sie erlaubte sich ein schelmisches Grinsen. „Dann ist es scheinbar noch nicht so dringend.“ Amante nickte in die Richtung der Schmiedefeuer, die in den geheimen Gang hinein flackerten. „Das Feuer wird es dir offenbaren, der Große Schmied wird dich sicherlich nicht vergessen haben.“
Er verharrte in der Bewegung. „Da bin ich mir nicht so sicher.“
„Wenn ich eins weiß, dann, dass es nie zu spät ist für einen Versuch.“ Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Versuche es. Ohne den Schild... nun, du weißt ja... Wir sehen uns oben.“
„Sehr aufmunternd.“, brummte er.
Morlas putzte einige Gläser, seine starken Arme wie üblich entblößt. Eine junge Elbendame warf ihm hin und wieder Blicke zu und bestellte wahrscheinlich ihren sechsten Wein. Nein, er wusste genau, dass es ihr sechstes Glas war. Nityel erschien wie aus dem Nichts neben ihm, das Weinfässchen unterm Arm. Ihr scharfer Blick wanderte durch den leeren Schankraum. Bis auf einige wenige Elben und die drei Zwerge war es leer. Morlas erwartete ein Kniff in die Seite, da die Elbenmaid ihm deutliche Zeichen gab, doch seine Frau runzelte stattdessen die Stirn. Er stellte besorgt das Glas ab und trocknete seine Hände an der Schürze. Normalerweise hätte sie ihm die Ohren lang gezogen, stattdessen ließ sie fast das Fass fallen, sodass er es ihr abnehmen musste.
„Es ist so ruhig...“, sagte Nityel schließlich und es klang ominös. Sie blickte ihn an, ihre dunklen Augen leicht geweitet. Morlas ging ein Schauer über den Rücken. So aufgebracht hatte er sie noch nie erlebt. Selbst bei den Überfällen auf der Reise hier nach Westen nicht. „Meister Peregrin hatte davon gesprochen...“
Er legte ihr eine Hand um die Hüfte, die sie ergriff. Ihre Finger waren kalt und klammerten sich um die seine. „Was meinst du?“
„Das große Luftholen vor dem Sprung.“
Morlas' Magengrube krampfte sich zusammen, als er an Pippins Worte dachte, die der Halbling auch ihm erzählt hatte. Wortlos nahm er sie in den Arm und die starke Kinn-Lai vergrub ihren Kopf an seinen Schultern.
Elestora war mit ihren ganz eigenen Abenteuer beschäftigt. Sie lief einer streunenden Katze nach, die sie in die alten Viertel führten, weiter südlich. Hier waren die Gassen eng und mehr Ruinen als Zelte zu sehen. Sie mochte die Gassen nicht, aber Fari würde sich sicher freuen, wenn sie eine neue Freundin hatte. Oder Nammano. Der Mann aus Stahl, der Mutter und Großmutter immer beschützte. Nammano mochte Tiere. Sie lächelte breit, vielleicht würde er dann öfters mit ihr spielen. Und Nammano war gar nicht so garstig wie er immer tat. Er spielte nur mit ihr, wenn es keiner sah und sie musste Nammano immer versprechen es keinem zu sagen. Und sie war ein gutes Mädchen, sie hielt immer ihre Versprechen. Eilig hastete sie der Katze weiter hinterher in eine besonders enge und dunkle Gasse.
Ein schwarzer Schemen in einem Schatten ließ sie kurz zögern. Die weiß-blond getigerte Katze nutzt die Chance und quetschte sich mit einem maunzen zwischen zwei engen Steinwänden hindurch. Elestora ließ die Schultern hängen. Blöder Schemen! Sie lief darauf zu und es bewegte sich. Neugierig geworden folgte sie ihm. Mutter spielte ihr wohl wieder einen Streich - oder es war vielleicht ein anderes Tier. Sie folgte ihm tiefer in die immer unheimlich wirkendere Gasse und sie stockte. „Amil?“ Sie stolperte rückwärts, als der Schemen urplötzlich anhielt. Zu spät bemerkte sie, dass das kein Schemen war und er sich aufrichtete. Etwas packte sie. Kaltes Leder über ihren Mund verhinderte ihren gellenden Schrei, dann wurde sie von den Füßen gerissen.
Adrienne erstarrte mitten in der Bewegung, ein stechender Schmerz im Auge. Klirrend fiel ihr Schwert zu Boden. Stöhnend beugte sie sich nach vorn, eine Hand am Kopf, die andere gegen eine alte Steinwand gelehnt. Eine weiß-blond getigerte Katze strich ihr schnurrend um die Beine.
Mathan umriss grob die Fahrt mit der Avalosse, den Kampf um Tharbad und den Weg nach Eregion, die Kämpfe in der Schmiede, die Ankunft der übrigen Elben und dann die Reise nach Norden. Auch wenn er sich so kurz wie möglich fasste, dauerte die Erzählung länger als ihn lieb war. Glücklicherweise kannten seine Schwestern bereits einen Teil, da sie ebenfalls in den Norden gereist waren, einige Zeit nach ihm. Er blinzelte und sein Blick huschte erneut zu den Schmuck, den sie trugen. „Also... wisst ihr über Mutter Bescheid?“
Sabaia zögerte schuldbewusst, doch Yutée nickte entschlossen. „Wie haben eine Zeit lang bei ihr gelebt, zusammen mit anderen. Noch bevor wir uns in Lindon trafen.“
Mathan wurde klar, dass er nie gefragt hatte, was sie so trieben, oder wo sie lebten, als sie sich vor einiger Zeit getroffen hatten. Er fühlte sich schuldig, sich so wenig für das Leben seiner Schwestern zu interessieren. Ein wenig nagte es auch an ihm, dass seine Mutter ihm nichts davon erzählt hatte.
Sabaia bemerkte seinen Gesichtsausdruck und schob hastig nach: „Sie wollte nicht, dass wir jemanden davon erzählen. Wir waren ihre Augen und Ohren. Außerdem beobachteten wir die Schmiede, bewachten sie ohne einzugreifen... sie verbat uns hinunterzugehen...“
„...Und daran hielten wir uns.“ Yutée strich ihm sanft über die Schulter, „Wir wussten auch nicht, dass Vater dort unten lebt, sonst hätten wir es dir gleich gesagt, egal was Mutter sagt.“
Mathan atmete tief durch und nickte knapp. Er konnte ihnen nicht böse sein, immerhin war er auch kaum für sie da gewesen. Er setzte seine Erzählung fort und kam rasch an der aktuellen Lage an.
„Hmm“, machten seine Schwestern nur und schauten sich nachdenklich an, „Wir könnten dieses wandelnde Etwas suchen gehen. Und vertrauen kannst du uns sowieso.“
Er sah keinen Grund ihre Hilfe abzulehnen und stimmte zu. „Habt ihr irgendwelche Pläne bei dem aufkommenden Kampf mitzuwirken?“
Die beiden sahen sich an. Er kannte diesen Blick, dass sie irgendwas wussten, aber erst später preisgeben würden. „Vorerst nicht. Wir sind recht begabt darin unerkannt zu bleiben, wenn du verstehst...“, begann Sabaia langsam und Yutée beendete den Satz: „Zumal uns niemand in der Stadt wirklich kennt.“
Mathan runzelte die Stirn. Die Zwillinge waren schon immer etwas geheimniskrämerisch, aber diesmal war er sich sicher, dass sie etwas Größeres zurückhielten. Gleichwohl kannte er sie gut genug zu wissen, dass sie ihn nie schaden würden.
„Also gut“, brummte Mathan, „Falls euch jemand fragen stellt, verweist auf mich. Streng geheime Mission des Feldherrn.“ Die beiden nickten ernst und machten sie auf den Weg. Er wartete einige Momente, bis sie weit genug weg waren und verließ die Kammer.
Valena saß am Brunnenplatz auf dem Rand des Sockels und beobachtete wie geordnete Kolonnen an gerüsteten Elben in Reih und Glied durch die Straßen marschierten, die meisten im Laufschritt. Nur vereinzelt wurden Befehle gebellt. Scheinbar wussten sie was zu tun war, denn die meisten hatten den nördlichen Stadtteil als Zeil. Eine weitere Kolonne aus einhundert Soldaten mit purpurroten Mänteln und auf Hochglanz polierte, schwere Rüstungen marschierte gerade auf dem Platz auf. Sie wirkten deutlich abgehärteter, die Haltung stramm und bis an die Zähne bewaffnet. Hier bellte niemand Befehle, jede Bewegung wirkte so, als sie im Schlaf ausgeführt werden konnte. Einige Umstehenden murmelten, dass dies die königliche Leibgarde sei.
„Rück mal 'n Stück, Menschenmädchen“, brummte eine männliche Stimme mit einem seltsamen Akzent. Der Duft von Tannenzapfen und kaltem Metall drang ihr in die Nase. Jemand setzt sich unangenehm nah an sie heran, sodass sich ihre Beine berührten. Valenas Seitenblick war missbilligend, doch der Elbenkrieger trug eine schwere, vom Kampf gezeichnete Rüstung und starrte nach vorn. Sein leicht eingedellter Helm auf den Kopf sprach von dutzenden abgefangenen Hieben, dennoch glänzte der Stahl in der trüben Sonne. Dunkelbraune, fast schwarze Haare ergossen sich vom Unterrand des Helms auf seinem bemantelten Rücken.
„Neu hier?“, fragte er Mann nach eine Weile der Stille.
Valena brummte zustimmend, wenig Lust verspürend den aufdringlichen Kerl zu unterhalten.
„Bin schon eine Weile hier und du...?“
„Valena vom Raureiftal“, stellte sie sich kühl vor und blieb weiterhin stur sitzen.
Der Elbenkrieger lachte rau und schlang einen Arm um ihre Schulter. „Calûnor, aber du kannst mich Calún oder Cal rufen.“ Sie wand sich unter dem starken Arm, die aufkommende Panik herunter kämpfend.“Vielleicht werde ich den kommenden Krieg nicht überleben. Mein Platz ist in der vordersten Reihe. Ich wurde mit dem Schwert in der Hand geboren und werde durch ein Schwert sterben, das hat man mir weisgesagt.“ Valena hielt dabei inne, ihn von sich abzuschütteln. „Einmal wollte ich mir vorstellen wie es ist, einfach nicht in den Kampf zu ziehen... ein warmes Feuer zu Hause, einen gemütlichen Sessel mit einem Buch... aber irgendwie kann ich es nicht.“
„Warum?, fragte sie nach einem kurzen Moment, den schweren Arm auf ihren Schultern ignorierend, „Es zwingt dich doch keiner?“
Calûnor lachte erneut, jedoch weniger herzlich, „Das nicht, aber es liegt in meiner Natur. Die Kinn-Lai sind nicht dafür bekannt zimperlich zu sein“ Er zog seinen Arm zurück und legte die gepanzerte Hand auf ihr Knie, woraufhin sie merklich zusammenzuckte. „Wenn wir etwas wollen, dann machen wir das klar. Und ich sehe nicht, was du willst.“
Sie blinzelte verwirrte, noch immer unangenehm berührt durch die schwere Hand des Mannes, doch das pochende Herzen in ihrer Brust beruhigte sich stetig. Etwas überrascht davon, dass es plötzlich um sie ging, räusperte sie sich. „Was meinst du?“
„Das wüsste ich auch gerne...“ Er nahm seine Hand von ihr. „Vergiss es. Nur die Launen eines Kriegers, der sein Volk wohl in den Krieg führen muss. Die wilden und ungezähmten Gedanken vor einer Schlacht.“
Velanas Knie wirkte leichter als zuvor. Irgendwie hatte die Berührung ihr weniger ausgemacht als gedacht. Sie schaute ihn an, doch Calûnor hatte sich vorgebeugt und stützte seinen Kopf auf der Handfläche, den Ellenbogen wiederum auf seinem Bein.
„Vielleicht wollte ich auch einfach nur die Stimme einer Frau hören, die nicht ständig nörgelt, über wichtige Dinge schwadroniert oder aufbrausend ist“, murmelte der Elbenkrieger.
Valena rutschte etwas peinlich berührt auf einer Stelle herum. „Ich bin eigentlich nichts von dem. Vielleicht zu ruhig in manchen Dingen?“ Sie überlegte kurz. „Und etwas zu kämpferisch, habe ich öfters gehört.“
„Hmm, kämpferisch klingt gut, das mag ich. Aber ich denke, du magst mich nicht. Das ist auch in Ordnung.“ Calûnor richtete sich auf, „Wie gesagt, mein Volk ist nicht bekannt für seine zarte Seite.“
Er machte Anstalten zu gehen, doch Valenas Hand hielt ihn am tiefblauen Umhang fest. Überrascht schaute er zu ihr hinab. Seine bernsteinfarbenen Augen musterten sie das erste Mal im Gesicht. Der Blick des Mannes war kalt wie Stahl. Langsam ließ er sich wieder nieder. Sie wusste selbst nicht, warum sie ihn hierbehalten wollte. Ihr Blick ging zu dem wuchtigen Zweihänder, den der Elbenkrieger neben sich gelegt hatte. Vielleicht ein Anflug von Bewunderung? Sie wusste es selbst nicht. Irgendwas in ihr sehnte sich vielleicht nach Stärke? Herr Mathan war die Führung, die sie brauchte. Vielleicht hatte sie nun diese Stärke gefunden. Sie war selbst von sich überrascht und schluckte den Brocken in ihrem Hals hinunter, unsicher ob sie nervös sein sollte, oder ein klein wenig Gefühl der Sicherheit zulassen sollte.
„Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich dich nicht mag“, murmelte sie schließlich. Sie griff selbstbewusster nach seiner Hand und platzierte sie auf ihrem Knie, „Dafür brauche ich mehr Zeit.“
Calûnor ließ sie gewähren und wirkte kein Stück wie die unnahbaren Gestalten aus den Geschichten. „Ich weiß auch nicht, was ich hier mache.“, sagte er nach einem Moment und verharrte neben ihr regungslos. „Vielleicht hilft das hier mir dabei.“ Seine schwere Hand wirkte auf Valena wie ein schützendes Zelt in einer fremden Stadt. „Was auch immer gerade geschieht.“
Adrienne stiefelte unwirsch durch die enge Gassen. Irgendwas war hier, aber es entzog sich ihren Blicken. Immer wieder hatte sie das Gefühl den oder die fremde gleich um eine Ecke flitzen zu sehen, fand aber entweder leere Gassen und Gänge, oder gelegentlich ein Spitzohr. Das Geflüster, das sie stets begleitete, war zu einem dumpfen Rauschen abgeklungen. Ihr Auge schmerzte gelegentlich, vor allem wenn sie in die Sonne blickte, aber ansonsten ging es ihr besser, je mehr sie sich bewegte. Ihr kam alles so dumm und peinlich vor. Sie hatte sich gehen lassen, alles falsch verstanden und dem dunklen Gedanken nachgegeben. Der frisch verkrustete, flache Schnitt auf der Höhe ihres Herzens war das deutlichste Zeichen davon. Ein Mal ihrer eigenen Dummheit.
Nach ihrer Begegnung und der daraus folgenden Verwundung waren ihr wieder Dinge eingefallen, die sie anfangs nicht zuordnen konnte. Fetzen aus Unterhaltungen. Grausame Bilder, zerhackte Körper, Blut und Eingeweide. Dinge, die sie nie jemanden erzählen würde; darunter ihr eigenes hohles, kaltes Lachen. Dunkle Gelüste und verwirrende Erinnerungen. Alles schwirrte in ihrem Kopf umher und alles aus ihrem eigenen Blickwinkel. So als ob sie es war, die die schrecklichen Taten verübt hatte.
Sie hatte Angst, so sehr, dass ihr Magen jeden Bissen Nahrung verweigerte. Angst um sich selbst, was mit ihr geschah und auch um ihre Freunde. Sie hatte schreckliche Furcht vor dem, was kommen würde. Die Gewissheit, dass sie dem selbst kein Ende bereiten konnte war ein furchtbares Gefühl, als ob ein klaffendes Loch sie zu verschlingen drohte. Sie hatte bereits in diesen Abgrund gestarrt und hatte alle um sich herum von sich gestoßen. Hatte sich auf alle Stimmen in ihrem Kopf eingelassen.
Keuchend lehnte sich Adrienne an eine Hauswand, noch immer den ausweichenden Wesen folgend. Vielleicht war es nur ein Hirngespinst, aber es half ihr nicht daran zu denken, wie töricht sie war. Kerry hatte sie noch immer wie eine Freundin behandelt, ganz gleich wie entstellt sie war. Oder, dass sie sie ungefragt geküsst hatte. Eines der dunkleren Gelüste, ausgelöst durch übermäßigen Alkohol und den wispernden Stimmen. Und dennoch... sie wollte niemanden in der Nähe haben, nicht wenn sie ständig Gefahr verspürte. Meistens von sich selbst ausgehend. Und dennoch behandelten sie alle Adrienne wie eine Freundin. Niemand wusste, dass sie das nicht verdient hatte. Vor allem da sie immer klarer sah, was sie einst getan hatte. Es waren noch immer Fetzen, aber grausam genug es auf der Stelle zu beenden – oder es zumindest zu versuchen. Sie wollte niemanden da hineinziehen, aber die Stimmen in ihren Kopf wisperten ihr zu, dass es dafür schon längst zu spät war. Ihre Freunde würden sich sicherlich von ihr abwenden, wenn sie herausfanden was sie war. Nicht jeder war so naiv wie Kerry.
Adrienne schloss kurz die Augen. Ein Gefühl von Dringlichkeit machte sich in ihr breit. Sie stieß sich von der Wand ab und beschleunigte ihre Schritte. Ihre Hand legte sich auf dem kühlen Griff ihres Elbenschwerts. Eine besonders eindringliche Stimme erhob sich in ihrem Kopf über den allgemeinen Rauschen hinweg. Sie klang ruhig, gütig und sehr weise. Die Stimme warnte sie in einem vertrauensvollem Ton. Es drohte Gefahr, aber nicht für sie. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Mit einem leisen sirren fuhr der blanke Stahl aus der Scheide. Das Wispern bestärkte sie. Adrienne hatte nicht viel Zeit. Sie konnte sich vielleicht nicht selbst beschützen, das machte keinen Sinn, ganz gleich was sie Kerry sagen würde, aber sie konnte alle Kraft aufbieten andere zu beschützen – selbst diese unbekannte, ungezügelte Macht, die sich in ihr erneut regte. Selbst wenn sie daran zerbrechen würde. Es war der letzte Akt, den sie vollziehen konnte, solange sie so klar war wie jetzt.
Nivim hatte sich schließlich Hilfe geholt. Elestora war einfach zu gut in dem Spiel geworden. Sie lächelte geschlagen, als der leicht gerüstete Spähtrupp eilig vor ihr an den Treppen zum Kronsitz zum Stehen kam. Es waren neun Elben, plus den Anführer, der sich knapp verneigte. „Randar, zu Euren Diensten, ehrenwerte Dame Nivim.“
Erstaunt stellte sie fest, dass es Hwenti waren. Nivim nickte und befasste ein Tuch, mit dem sich den Schweiß zuvor von der Stirn getupft hatte. „Ich weiß, dass es fast schon lächerlich klingt, aber könntet Ihr und Eure Mannen bitte helfen meine Tochter zu finden? Die Kleine ist zu geschickt im Versteckspiel geworden.“
Der Anführer blinzelte einen Moment. „Die kleine Prinzessin Elestora?“ Seine Stimme war ernster als sie erwartet hatte.
Nivim nickte zögerlich, verunsichert von der Professionalität des Mannes. „Ich weiß, in so einer Situation habt Ihr sicherlich andere...“
Sie verstummte, da Randar die Hand hob. „Verzeiht, Dame Nivim, aber macht euch keine Sorgen. Unser Volk hält Kinder für den größten Schatz des Lebens. Macht Euch keine Vorwürfe, wir helfen gerne.“ Die Männer Randars nickten bekräftigend und versicherten ihr, dass sie sie finden würden.
Sie atmete erleichtert auf, auch wenn es ihr noch immer übertrieben vorkam. Nivim trat näher an den Trupp heran, sodass nur sie sie hören konnte. „Bitte behandelt den... Auftrag diskret.“ Sie lächelte unsicher.
Randar erlaubte sich ein Schmunzeln. „Natürlich, unsere Lippen sind versiegelt.“
Sie erklärte den Männern wo sie ihre Tochter das letzte Mal gefunden hatte, ihre beliebten und unbeliebten Orte, woraufhin sie wie Schwarm Vögel auseinander stoben.
Amante maß das schwere Schwert mit einem missbilligenden Blick, das Amarin aus dem geheimen Versteck gezogen hatte. Es war ein massiger Zweihänder, der vermutlich mehr Metall als so mancher Plattenpanzer aufwies. Der Stahl war schwarz, durchzogen von blauen Adern und schimmerte im Licht. Sie wusste relativ wenig über die Schmiedekunst, vermutlich war er leichter als er aussah, aber vor allem wertvoll. Sternenstahl erkannte sie immer problemlos.
„Ein Andenken aus Gondolin, oder inspiriert davon?“, fragte sie feixend.
Amarin hielt inne und das Steinfach einen Moment offen, ließ es aber dann mit einem Rumpeln zufallen. „Das hatte ich schon vorher auslagern lassen.“ Er trat an die schwere Klinge, „Eigentlich war es für einen der Hohen Herren der Stadt bestimmt. Mein alter Lehrmeister gestattet es mir nur für diesen Zweck mit nach Mittelerde zu bringen. Nun, wie auch immer, es kam anders .“
Sie hielt sich kurz den Kopf, doch der Schleier war heute dichter als je zuvor. Es war nichts zu sehen, nur trübe Dunkelheit. „Also beginnt das, was Cúwen einst sah.“
Ihr alter Freund grunzte nur zustimmend und schnappte sich ein Ledertuch, mit dem er die Klinge entlangfuhr. „So sieht es aus.“
„Und das sorgt dich nicht?“ Sie musterte ihn mit gerunzelter Stirn. Ob er schon soweit bei klarem Verstand war?
Amarin hielt inne. „Natürlich sorgt es mich.“ Seine Stimme war schneidend, sodass sie innerlich zusammenzuckte. Da war sie wieder, die Schärfe der letzten Jahrhunderte, die ihn verändert hatten. „Meine Nachfahren werden durch Blut waten. Tragödien werden uns befallen. Natürlich...“ Er verstummte, da seine Stimme sich immer weiter hochschaukelte. Er hielt sich kurz den Kopf. Dann sagte er sanfter: „Wer würde das nicht, es sind meine Nachfahren und alten Freunde, um die es geht.“
Amante spürte sich unwillkürlich lächeln. „Alte Freunde, ja.“, wiederholte sie versonnen, „Damals schien vieles leichter, mit klaren Grenzen. Ich frage mich, was die anderen heute so tun...“
Er warf ihr einen unergründlichen Blick zu und polierte das Schwert. „Cúwen war da nicht so deutlich, ob wir uns alle überhaupt noch einmal wiedersehen... und ich erinnere mich nicht, wo ich den Schild versteckt habe.“
Sie erlaubte sich ein schelmisches Grinsen. „Dann ist es scheinbar noch nicht so dringend.“ Amante nickte in die Richtung der Schmiedefeuer, die in den geheimen Gang hinein flackerten. „Das Feuer wird es dir offenbaren, der Große Schmied wird dich sicherlich nicht vergessen haben.“
Er verharrte in der Bewegung. „Da bin ich mir nicht so sicher.“
„Wenn ich eins weiß, dann, dass es nie zu spät ist für einen Versuch.“ Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Versuche es. Ohne den Schild... nun, du weißt ja... Wir sehen uns oben.“
„Sehr aufmunternd.“, brummte er.
Morlas putzte einige Gläser, seine starken Arme wie üblich entblößt. Eine junge Elbendame warf ihm hin und wieder Blicke zu und bestellte wahrscheinlich ihren sechsten Wein. Nein, er wusste genau, dass es ihr sechstes Glas war. Nityel erschien wie aus dem Nichts neben ihm, das Weinfässchen unterm Arm. Ihr scharfer Blick wanderte durch den leeren Schankraum. Bis auf einige wenige Elben und die drei Zwerge war es leer. Morlas erwartete ein Kniff in die Seite, da die Elbenmaid ihm deutliche Zeichen gab, doch seine Frau runzelte stattdessen die Stirn. Er stellte besorgt das Glas ab und trocknete seine Hände an der Schürze. Normalerweise hätte sie ihm die Ohren lang gezogen, stattdessen ließ sie fast das Fass fallen, sodass er es ihr abnehmen musste.
„Es ist so ruhig...“, sagte Nityel schließlich und es klang ominös. Sie blickte ihn an, ihre dunklen Augen leicht geweitet. Morlas ging ein Schauer über den Rücken. So aufgebracht hatte er sie noch nie erlebt. Selbst bei den Überfällen auf der Reise hier nach Westen nicht. „Meister Peregrin hatte davon gesprochen...“
Er legte ihr eine Hand um die Hüfte, die sie ergriff. Ihre Finger waren kalt und klammerten sich um die seine. „Was meinst du?“
„Das große Luftholen vor dem Sprung.“
Morlas' Magengrube krampfte sich zusammen, als er an Pippins Worte dachte, die der Halbling auch ihm erzählt hatte. Wortlos nahm er sie in den Arm und die starke Kinn-Lai vergrub ihren Kopf an seinen Schultern.
Elestora war mit ihren ganz eigenen Abenteuer beschäftigt. Sie lief einer streunenden Katze nach, die sie in die alten Viertel führten, weiter südlich. Hier waren die Gassen eng und mehr Ruinen als Zelte zu sehen. Sie mochte die Gassen nicht, aber Fari würde sich sicher freuen, wenn sie eine neue Freundin hatte. Oder Nammano. Der Mann aus Stahl, der Mutter und Großmutter immer beschützte. Nammano mochte Tiere. Sie lächelte breit, vielleicht würde er dann öfters mit ihr spielen. Und Nammano war gar nicht so garstig wie er immer tat. Er spielte nur mit ihr, wenn es keiner sah und sie musste Nammano immer versprechen es keinem zu sagen. Und sie war ein gutes Mädchen, sie hielt immer ihre Versprechen. Eilig hastete sie der Katze weiter hinterher in eine besonders enge und dunkle Gasse.
Ein schwarzer Schemen in einem Schatten ließ sie kurz zögern. Die weiß-blond getigerte Katze nutzt die Chance und quetschte sich mit einem maunzen zwischen zwei engen Steinwänden hindurch. Elestora ließ die Schultern hängen. Blöder Schemen! Sie lief darauf zu und es bewegte sich. Neugierig geworden folgte sie ihm. Mutter spielte ihr wohl wieder einen Streich - oder es war vielleicht ein anderes Tier. Sie folgte ihm tiefer in die immer unheimlich wirkendere Gasse und sie stockte. „Amil?“ Sie stolperte rückwärts, als der Schemen urplötzlich anhielt. Zu spät bemerkte sie, dass das kein Schemen war und er sich aufrichtete. Etwas packte sie. Kaltes Leder über ihren Mund verhinderte ihren gellenden Schrei, dann wurde sie von den Füßen gerissen.
Adrienne erstarrte mitten in der Bewegung, ein stechender Schmerz im Auge. Klirrend fiel ihr Schwert zu Boden. Stöhnend beugte sie sich nach vorn, eine Hand am Kopf, die andere gegen eine alte Steinwand gelehnt. Eine weiß-blond getigerte Katze strich ihr schnurrend um die Beine.